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Wir alle agieren nach bestimmten mentalen Modellen. Das heißt, wir machen uns jederzeit Bilder von der Wirklichkeit, die wiederum die Basis für unsere Handlungen sind – meist ganz unbewusst. Allerdings hat die Realität unsere Art zu denken schon längst überholt: Wir handeln nach veralteten Vorstellungen und wenden veraltete Lösungen an. Svenja Hofert versammelt in ihrem Buch 100 mentale Modelle, die uns helfen, die heutige Komplexität zu meistern. Diese umfassen unter anderen Themengebiete wie Erfolg und Führung, Job und Karriere, Lernen und Entwicklung oder Gruppen und Zusammenarbeit. Sie gibt ganz praktische Anregungen, unser Denken – auch spielerisch – zu erweitern und zeitgemäße Lösungen für wichtige Fragen unserer Zeit zu finden. Sei es im Beruf, privat, gesellschaftlich oder für Unternehmen.
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Seitenzahl: 359
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Svenja Hofert
MACH DICH FREI!
100 MENTALE MODELLE für klares Denken und bessere Lösungen
Campus Verlag
Frankfurt/New York
Über das Buch
Wir alle agieren nach bestimmten mentalen Modellen. Das heißt, wir machen uns jederzeit Bilder von der Wirklichkeit, die wiederum die Basis für unsere Handlungen sind – meist ganz unbewusst. Allerdings hat die Realität unsere Art zu denken schon längst überholt: Wir handeln nach veralteten Vorstellungen und wenden veraltete Lösungen an.Svenja Hofert versammelt in ihrem Buch 100 mentale Modelle, die uns helfen, die heutige Komplexität zu meistern. Diese umfassen unter anderen Themengebiete wie Erfolg und Führung, Job und Karriere, Lernen und Entwicklung oder Gruppen und Zusammenarbeit. Sie gibt ganz praktische Anregungen, unser Denken – auch spielerisch – zu erweitern und zeitgemäße Lösungen für wichtige Fragen unserer Zeit zu finden. Sei es im Beruf, privat, gesellschaftlich oder für Unternehmen.
Vita
Svenja Hofert beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Zukunft der Arbeit. Sie ist Nextlevelcoach, Ausbilderin, Keynote Speakerin sowie Autorin von mehr als 25 Wirtschaftsbüchern und spezialisiert auf mentale Modelle für die Transformation des Denkens.
Cover
Titel
Über das Buch
Vita
INHALT
Impressum
TEMPO, TEMPO
WENN DENKMUSTER AM STOCK GEHEN
VOM MODELL LERNEN
Weg vom Inhalt, hin zum Rahmen
Mentale Modelle in diesem Buch
KOMPLEXITÄT & VERSTEHEN
1.
Gestalte unsere Zukunft mit
2.
Von wegen VUKA – es kommt Nebel
3.
Extratour für das Komplexe
4.
Das Gebiet der anderen
5.
Antifragil in die Zukunft
6.
Spielräume vergrößern, Komplexität verkleinern
7.
Durchbrich die Musterteppiche im Kopf
8.
Die Reise nach Extremistan
9.
Mach es einfach, aber nicht primitiv
10.
Erkenne die Effekte der Effekte der Effekte
11.
Serendipity: Zeit ist zeitlos
12.
Triff unbekannte Unbekannte
13.
Intelligent ist … komplexe Ziele zu erreichen
14.
Dumm ist blöd
15.
Mensch vor Monster
KLAR DENKEN & KLUG HANDELN
16.
Berechnend: Mit Klardenken zur Intuition
17.
Fluency: Können muss man machen
18.
Teste dich und deine Annahme
19.
Der wahre Wert von Zahlen
20.
Reise an den unbewohnten Pol
21.
Sowohl-als-auch ist auch keine Lösung
22.
Der Walzer von Aktion und Reflexion
23.
Die Funktion von Fake und Fakt
24.
Mach den Ton aus
25.
Das Problem ist nicht das Problem
26.
Besser leben mit toleranter Intoleranz
27.
Schaffe künftige Realitäten
28.
Raus aus dem Lösungsmodus
29.
Inversion: Fang hinten an
30.
Die Logik, der sich niemand entziehen kann
31.
Interessant! Denk wie eine Forscherin
FORTSCHRITT & INNOVATION
32.
Die kreative Kraft von Weak Ties
33.
Spiele im Innovationsorchester
34.
Die zwei Straßen auf der Via Creativa
35.
Brauchbare Illegalität: Ab in die Grauzone
36.
Brücken bauen mit Bridget
37.
Punkten: Connect the Dots
38.
Der Horizont hinterm Horizont
39.
Der Affe auf dem Sockel
40.
Rüttle den Käfig
41.
Finde das nächste Prinzip
ERFOLG & FÜHRUNG
42.
Play the strong game
43.
Die dritte Säule für Erfolg
44.
Mach den Loop
45.
Mindset ist total Banane
46.
Viele Straßen führen nach Rom
47.
Erfolg vermehrt sich von allein
48.
Mach was aus deinem Kühlschrank
49.
Microsteps: Die Kraft der kleinen Schritte
50.
Führ dich selbst, dann führst du andere
51.
Strukturen statt Hackordnung
52.
Die geheime Leistungsformel
53.
Bewege viel und change wenig
54.
Motiviere dich selbst, sonst tut es keiner
55.
Setz dir den Hut auf
LERNEN & ENTWICKLUNG
56.
Lerne zu lernen
57.
Runter vom Mount Stupid
58.
Hol dir dein Genius-Level zurück!
59.
Weg mit der Musterlösung – her mit der Frage
60.
Teile fluides Wissen
61.
Sisyphus‹ S-Kurve: So lernst du richtig
62.
Hol dir Feedback, das weiterbringt
63.
Lerne mit dem Körper
64.
Sei (k)ein Affe
JOB & KARRIERE
65.
Starte gut und plane wenig
66.
Sorg für den bunten Faden
67.
Sei, wer du sein willst
68.
Volle Konzentration voraus!
69.
Werde ein Digital Mind
70.
Die wahre Zukunft der Bewerbung
71.
Flexichillity: Die Zukunft der Arbeit
72.
Der Elefant auf der Weltkugel
73.
Präsenz statt Anwesenheit
PERSÖNLICHKEIT & PSYCHOLOGIE
74.
Lass dich von dir überraschen
75.
FAME statt FOMO
76.
Darum strengen wir uns an
77.
Aktiviere deinen Chief Emotional Officer
78.
Lästigen Besuch aus dem Kopf rausschmeißen
79.
Emotional Distancing: Auf Abstand gehen
80.
Wahrnehmen statt Bauchfühlen
81.
Such nach der Moral der anderen
82.
Moral ist, wenn man nicht mehr lacht
83.
Verändere deine Umgebung, nicht dich selbst
84.
Wuppen statt planen
GRUPPEN & ZUSAMMENARBEIT
85.
Die teilzeitkollektiven Sinnsucher
86.
Das Ganze ist anders als seine Teile
87.
Gruppendenken: Die Gefahr der totalen Überzeugung
88.
Gruppendenken: Mit Strukturen auflösen
89.
Findet den gemeinsamen Nenner
90.
Energiespenden: Die Magie der Batterielader
91.
Geteilte Mentalmodelle schaffen Ordnung
92.
Kollektivgefühle stecken an
UNTERNEHMEN & ORGANISATION
93.
Raus mit dem Prokrustesbett
94.
New Work ist kein Ponyhof
95.
Baue flexible Hierarchien
96.
Fische sind da, wo niemand fischt
97.
Lebenserwartung steigt mit dem Alter
98.
Das Möbiusband-Prinzip
99.
Öfter mal den Verstand anzweifeln
100.
Stop starting, start finishing
ANHANG
WEITERFÜHRENDE LITERATUR UND QUELLEN
Vom Modell lernen
Komplexität & Verstehen
Klar denken und klug handeln
Fortschritt & Innovation
Erfolg & Führung
Lernen & Entwicklung
Job & Karriere
Persönlichkeit & Psychologie
Gruppen & Zusammenarbeit
Unternehmen & Organisation
Wie schnell das plötzlich geht! Was war das noch ruhig in den 2000ern. Dabei sind sie – zumindest aus meiner Sicht – noch nicht lange her.
Wahrscheinlich merkt ihr, dass »Früher war alles anders« nun wirklich gilt. Ihr spürt Chaoswachstum und Komplexitätsexplosion. Manchmal wisst ihr einfach nicht mehr weiter – und immer mehr Dinge versteht ihr nicht mehr. Mir geht es genauso. Wir dürfen das ruhig zugeben.
Ihr merkt, dass die Menschen in ihren alten Denkweisen verharren und an ungesunden Überzeugungen kleben. Vielleicht habt ihr beruflich mit Veränderung zu tun – als Lehrer, Beraterin, Coach, Führungskraft, Unternehmerin. Vielleicht interessiert euch einfach, wohin die Reise gehen soll. Ihr seht, wie vermeintliche Lösungen neue Probleme verursachen. Ihr erkennt, dass die bisherigen Systeme nicht mehr passen. Ihr bemerkt den Stress, unter den alle Systeme geraten. Die Folge sind extremere Reaktionen und Veränderungsresistenz. Und wenn ihr von »Mehrfachkrisen« lest, wisst ihr gleich, was gemeint ist.
Die Einschläge kommen näher. Wenn ich in meinen Vorträgen die »Pace of Change«-Kurve des Futuristen Ray Kurzweil zeige, steht dort ein Datum: 2014. Die Rückfragen zielen dann oft darauf: »Echt? Damals hat das schon jemand gesehen?«
Es gibt viele, die das, was wir gerade erleben, schon lange haben kommen sehen. Aber das zu wissen, hilft jetzt gerade nicht. Wer beschäftigt sich schon mit Dingen, die noch weit weg scheinen? Wir wachen erst auf, wenn wir direkt betroffen sind.
Was uns helfen kann, in dieser Welt klarzukommen, sind neue Denkmuster. Solche mentalen Modelle bilden die Wirklichkeit nach, wie sie sich gerade zeigt. Möglichst genau – das ist der Sinn und Zweck eines mentalen Modells. Es liefert uns die Grammatik für den Umgang mit einer veränderten Wirklichkeit.
Mentale Modelle sind deduktive Schlussfolgerungen. Sie entlasten uns also von aufwändiger Einzelanalyse, indem sie Beobachtungen aus der Praxis und/oder der Wissenschaft in ein Denkmodell bringen. Sie liefern damit auch einen Rahmen für Problemlösungen, ohne diese direkt zu liefern.
Dieses Buch ist zugleich ein Coachingbuch. Es gibt euch Anregungen, mit diesen mentalen Modellen praktisch zu arbeiten. Letztendlich füttert es, so hoffe ich jedenfalls, die kollektive Weisheit. Denn ich bewerte, ordne, katalogisiere und bebildere das, was sich in dieser Zeit von Chaoswachstum und Komplexitätsexplosion zeigt.
Mir wird von vielen, die meine Bücher und Arbeiten kennen, ein weiter, vorausschauender Blick und Pragmatik attestiert. In der Tradition dieser Stärken möchte ich mit diesem Buch ein Werk schaffen, das komplexe Zusammenhänge für alle transparent macht – und darüber einen Zugang zu klarerem Denken und besseren Entscheidungen bietet.
Wie ihr euch denken könnt, ist so ein Buch ganz schön viel Arbeit, auch wenn ich darin schon Jahrzehnte Übung habe.
Dabei haben mich mein Mann Christoph mit seiner Fähigkeit, die Logik und Konsistenz zu prüfen, und meine Grafikerin Amelie mit ihrem Visualisierungstalent sehr unterstützt. Der Journalistin Anne Otto verdanke ich ihrem Tipp »schreib 10 Prozent einfacher und es wird gut« ein pragmatisches Feedback zum ersten Entwurf meiner Texte. Ich danke euch allen! Ich danke auch allen, die mich mit ihren Gedanken inspiriert haben. Und die mir geholfen haben, meine eigenen mentalen Modelle anzupassen.
Wer die Themen in diesem Buch vertiefen möchte, dem empfehle ich meinen Newsletter bei Substack (http://svenjahofert.Substack.com) sowie meinen YouTube-Kanal Svenja Hofert Mindshift.
Ich spreche euch direkt als Menschen an. Die männliche und weibliche Form nutze ich im Wechsel.
Dies ist das erste Buch, das ich schreibe, in dem ich die Du-Form wähle. Damit hat sich ein individuelles Denkmuster von mir gelöst. Wer mich persönlich kennen lernt, erlebt mich meist locker und nahbar. In der passenden Atmosphäre bin ich schnell per Du. Dennoch fand ich es bisher unhöflich, andere ungefragt zu duzen. Es gab eine Zeit, da war ich der Meinung, dass »Dus« ein Fake sind. Ich glaubte, dass keiner erwartete, dass jemand auf eine Du-Stellenanzeige auch mit »Du« antwortete. Oder eine Rechnung per Du schriebe. Mittlerweile denke ich, dass dies so lange so sein wird, wie ich das glaube.
Es sind nicht nur die vielen Hashtags mit #gerneperdu unter der Firmenadresse. Ich spüre auch, dass die Kultur sich verändert hat. Gleichwohl habe ich inzwischen auch eine Toleranz entwickelt für den stetigen Wechsel zwischen Sie und Du. Es braucht nicht das eine oder das andere, alles ist erlaubt.
Habt ihr es gemerkt? Gerade beschreibe ich mein individuelles Denkmuster. Individuelle Denkmuster bilden Schnittmengen mit kollektiven Denkmustern: Wir greifen uns etwas aus der Welt heraus, das wir denken wollen und können. Aber jeder hat da so seine eigene Auswahl.
Das individuellste Denkmuster, das mir einfällt, stammt von Pippi Langstrumpf: »Ich mach‹ mir die Welt, wie sie mir gefällt.« Und bei Pippi sehen wir auch gleich, dass sich Denkmuster transformieren: Denn was einst völlig absurd und revolutionär klang, ist heute Gemeingut. Wir können nur unsere Sicht auf die Welt beeinflussen. Astrid Lindgren hatte Recht, indem sie das ihrer Hauptfigur eingab – obwohl es zu ihrer Zeit niemand glaubte.
Jedes Wissen hat eben seine Zeit. Nur manchmal ist diese einfach abgelaufen. Der Gedanke hat mir geholfen, zu einer eigenen Antwort in der Frage »Du oder Sie?« zu kommen. Mein heutiges Denkmuster ist geprägt durch Erfahrungen mit den Veränderungen, die ich in Unternehmen erlebe. Ich kann aus diesem erneuerten Denkmuster für mich Handlungen ableiten: Ich sag‹ dann mal Du.
Manche Denkmuster kommen als weise Sprüche, andere küchenpsychologisch, wieder andere wissenschaftlich daher. Sie legen Sichtweisen nahe, geben uns Ratschläge oder beinhalten kleine hirngerechte Anleitungen. Denkmuster helfen uns, mit unserer begrenzten Gehirnkapazität fruchtbar zurechtzukommen.
Viele Denkmuster, vor allem die alten, sind tief in uns einprogrammiert. So tief, dass wir uns selbiger oft nicht einmal mehr bewusst sind. Solch alten Denkmuster sind wie Erinnerungsstücke im Keller, die aus dem aktiven Gedächtnis verschwunden sind. Sie sind aber trotzdem da. Und so beanspruchen sie viel Denkkapazität und blockieren dabei vielleicht sogar den Neuanfang. Vor allem aber passen viele nicht mehr in die komplexe und unlogische Welt, in die wir längst eingetreten sind, was wir aber jetzt erst spüren.
Drei prominente Beispiele für alte Denkmuster:
»Schuster, bleib bei deinen Leisten.«
»Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.«
»Es ist noch immer gut gegangen.« (auf Kölsch: »Ett hätt noch ever jot jejange.«)
Klingen solche Sätze noch in deinen Ohren?
Daneben gibt es viele weitere, die weniger klangvoll sind, aber ebenso festsitzen:
»Ein BWL-Studium ist eine sichere Bank.«
»Lerne erst mal etwas Sinnvolles.«
»Hauptsache effizient.«
»Das Problem muss aus der Welt.«
Alle diese Denkmuster lassen sich heute widerlegen. BWL ist keine sichere Bank. Etwas, das früher sinnvoll war, ist es heute nicht mehr. Effizienz allein greift viel zu kurz. Und: Manche Probleme sind besser als ihre Lösungen.
Solche Denkmuster gehen für mich an Krücken. Sie laufen nicht mehr – ja, sie sind nicht nur lahm, sie verhindern sogar jegliche Bewegung.
»Schuster, bleib bei deinen Leisten« bedeutet, dass man besser bei seinem Fach bleiben möge. Indes: In unserer Zeit hat niemand mehr eine Ahnung, was die Zukunft genau bringen wird – ja, viele Themen sind so komplex, dass Experten oft auch nicht weiterwissen. Diese neue Welt ist ein gewaltiges Experiment – und wie wir die Herausforderungen lösen, steht teils noch in den Sternen. Klar ist nur: Veraltete Denkmuster hindern uns, neue Wege zu gehen und Lösungen zu finden, im Großen wie im Kleinen.
Wenn der Schuster wirklich bei seinen Leisten bliebe, hätte er die Zeichen der Zeit verschlafen. Ein sinnvolleres Muster müsste heißen: »Schuster, erfinde dich neu.« Vielleicht lohnt es sich, dem Recycling- oder Öko-Trend zu folgen, vielleicht den Schuh ganz neu zu erfinden. Schuhmacher-Aspiranten würde ich ein Out-of-the-Box-Denken ans Herz legen – oder gleich eine andere Ausbildung.
Hans dagegen möchte ich raten, jetzt endlich mal mit dem Lernen zu beginnen. Denn Lernen ist nicht an ein Alter gebunden. Lernen fällt denjenigen leichter, die die Hänschen-Denkkrücke schon frühzeitig entsorgt haben. Das Gehirn braucht Training – so wie auch der Körper. Mein Vorschlag für ein alternatives Denkmodell heißt: »Lerne zu lernen.«
Bliebe noch dieser Spruch aus meiner Kölner Heimat »Es ist noch immer gut gegangen«: Nein, es geht eben nicht immer gut. Wenn wir versäumen, die Weichen für unser Denken neu zu stellen, marschieren wir weiter auf unser eigenes Aussterben zu. Ja, das klingt dramatisch – und das ist es auch. Wir denken immer, es seien Klimakrise oder Kriege, die uns das gleiche Schicksal wie den Dinosauriern bescheren könnten – ich meine: Es sind wir selbst! Getragen von Denkkrücken, die so tief in unserem Fühlen verankert sind, dass wir das Krückenhafte nicht einmal merken.
Leider sind Denkkrücken unglaublich widerstandsfähig. Zum einen liegt dies daran, dass sie schon früh in unser Fühlen Einzug gehalten haben. Sie klingen deshalb nicht nur richtig, sie fühlen sich auch richtig an. Somit sind einige von ihnen Teil unserer selbst geworden. Zum anderen rührt ihre Hartnäckigkeit aus unserem fehlenden Bewusstsein: Was wir denken, »ist« nicht, sondern wird erst durch seine ständige Wiederholung geschaffen und verfestigt. So ist aus einem Abziehbild der Wirklichkeit die Wirklichkeit selbst geworden – und wir bemerken dies nicht, weil wir am Abziehbild kleben anstatt an der Wirklichkeit.
Nicht wenige solcher Denkkrücken wurden über die Generationen weitergereicht. So soll der gern bemühte Schuster von dem griechischen Maler Apelles stammen, der rund 300 Jahre vor Christus lebte. Er hatte ein Bild zur öffentlichen Begutachtung nach draußen gestellt. Ein Schuster kam vorbei und bemängelte, dass ein Schuh falsch gezeichnet sei. Danach machte er sich noch über andere Details des Bildes her, woraufhin sich Appelles entrüstete, er habe davon keine Ahnung und solle still sein.
Denkkrücken haben ihre Karriere oft als Denkhilfen begonnen, die in ihre jeweilige Zeit passten. So war es noch vor 20, 30 Jahren angebracht, die eigene Karriere derart zu gestalten, dass man möglichst viel Expertise zu einem einzigen Thema aufbaute – also wirklich bei den eigenen Leisten blieb. Da studierte man dann Personalwirtschaft und Personalwesen und blieb auch ewig im gleichen Feld. Heute hat man es mit einer solchen Einseitigkeit immer schwerer. Denn heute stehen wir vor Herausforderungen, die Flexibilität fordern. Viele Herausforderungen sind so neu, dass niemand die Lösungen kennt. Das Personalwesen in der bisherigen Form etwa hat keine Zukunft, weil wir immer dezentraler und teamorientierter arbeiten. Hinzu kommt die Künstliche Intelligenz (KI), die alles auf den Kopf stellen wird, auch wenn das derzeit noch viele leugnen. Neues braucht die Irritation, die Provokation, die Erschütterung bisheriger Überzeugungen.
All das bringt Herausforderungen, die im Zusammenhang mit der Frage stehen, wer und wie wir als Menschen in Zukunft sein werden: Was wird Arbeit für uns bedeuten? Wie werden wir uns zu anderen Lebewesen positionieren – und wie zur KI?
Manche unserer heutigen Denkkrücken starteten ihre Kopfkarriere als von oben verordnete Denkgebote: Dass die Erde als eine Scheibe galt, war in Galileos Zeiten schlicht die kirchliche Wahrheit. Jede andere Wahrheit widersprach der Bibel. Die Logik lautete also: »Was in der Bibel steht, ist immer wahr. Die Kugel ist in der Bibel nicht erwähnt. Also ist die Behauptung unwahr.« Bis heute gibt es Anhänger dieser Scheiben-Theorie. Was zeigt, dass Denkkrücken auch eine psychologische Funktion haben: Sie reduzieren Komplexität und geben Sicherheit. Wir können uns daran festhalten – und den Glauben daran verordnen wir uns einfach selbst.
Unser Gehirn ist auch gar nicht gemacht für ein ständiges Hochleistungsdenken. Insofern werden Denkkrücken dann zu Denkhilfen: Sie erleichtern das Leben, denn ein ständiges Nachdenken würde uns hoffnungslos überfordern. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann ist mit seinem Buch Schnelles Denken, langsames Denken weltweit bekannt geworden. Er unterscheidet System 1 und System 2: System 2 brauchen wir zum Lösen komplexer Probleme – wenn wir es nutzen, strengen wir uns an, und das Gehirn kommt mächtig in Fahrt. System 1 indes beinhaltet Faustregeln, die es uns leichtmachen, Lösungen zu finden und zu handeln. Mentale Modelle, die verinnerlicht sind, sitzen in System 1.
System 1 kann deshalb auch jede Menge Denkkrücken speichern. Diese gibt es überall: in der Gesellschaft, der Politik, der Arbeit und der Familie, ja sogar in der Partnerschaft. Manchmal waren solche Krücken schon immer Krücken – wie die Theorie der flachen Erde. Bisweilen wurde allerdings aus der ehemals hilfreichen Orientierungshilfe erst sukzessive eine Krücke.
Inzwischen sind wir auf dem Weg in ein neues Zeitalter. Chaoswachstum und Komplexitätsexplosionen erzeugen Mehrdeutigkeit und Unverständlichkeit – und so bewegen wir uns mittlerweile oft im Nebel, in zunehmender Unklarheit. Um diesen Übergang zu meistern, sollten wir hinderliche Krücken fortwerfen – einfach um wieder entspannter laufen zu können.
Vielleicht fragt ihr euch, wie ich dazu komme, dieses Buch zu schreiben? Zum einen ist es mir wirklich, wirklich wichtig, zu einer guten Zukunft beizutragen. Zugleich bin ich ein Mensch, der sehr viele unterschiedliche Erfahrungen gemacht hat. Das prägt anders als Gleichförmigkeit. Seit Ende der 1990er Jahre begleite ich als Coach Veränderung auf der individuellen Ebene. Später kamen dann als Organisationsberaterin Gruppen und Organisationen dazu. Ich habe für Konzerne gearbeitet, für den Mittelstand, für Start-ups, Forschungsinstitute, Ministerien und Verwaltungen.
In allen meinen Tätigkeiten sind mir Denkmuster begegnet, die ich immer versucht habe zu verstehen. Dazu habe ich mich in die verschiedensten Ansätze eingearbeitet und vertieft. Irgendwann habe ich dann verstanden, dass es fast egal ist, von welcher Seite wir kommen, wenn wir die übergreifenden Muster sehen.
Ich habe auch gesehen: Es sind nicht die angepassten Denkmuster, die Veränderung blockieren.
Wirklichkeit ist nicht einfach da. Wir stellen sie uns vor: Wir interpretieren, was wir sehen, hören und fühlen. Es geht immer um Ausschnitte. Wir meinen zwar, ein ganzes Bild zu sehen, aber das stimmt nicht – wir denken uns Zusammenhänge dazu. Das alles passiert »mental«, in unserem Bewusstsein. Dort sind mentale Modelle verankert. Ich mag es, selbige als Abziehbilder von Ausschnitten der Wirklichkeit zu bezeichnen. Unter einem Abziehbild kann ich mir etwas vorstellen: Abziehbilder sind nicht die Wirklichkeit.
Zugleich sind mentale Modelle auch Denkvorlagen für Situationen, in denen uns die Wirklichkeit herausfordert. Dann sind sie Denkwerkzeuge. Sie helfen uns also, etwas zu bewältigen. Welches mentale Modell habt ihr für die Berufswahl? »Am besten auf Nummer sicher gehen«, »Hauptsache, du bringst deine Stärken ein« oder »Job mit Zukunft«?
Manchmal existieren konkurrierende mentale Modelle. Je mehr Erfahrungen wir machen, desto besser können wir unsere Modelle konkretisieren – oder ad acta legen.
Wir sollten unterscheiden:
individuelle mentale Modelle, die wir entwickelt oder übernommen haben;
theoriebasierte mentale Modelle, wie etwa Systemtheorien;
kollektive, also von vielen geteilte mentale Modelle, darunter:
mentale Modelle, die sich auf unser Weltwissen beziehen;
kulturelle mentale Modelle, die durch landesspezifisches Denken geprägt wurden;
organisationale mentale Modelle, die sich aus den Überzeugungen einer Organisation ableiten.
Natürlich kann es Überschneidungen geben. Viele von uns haben kollektive mentale Modelle als individuelles Modell abgespeichert.
Als nützliche Denkwerkzeuge tragen mentale Modelle auf der kollektiven Ebene dazu bei, aktuelle Probleme und Fragestellungen angemessen zu lösen. Angemessen bedeutet hierbei: dergestalt, dass die durch das Modell gefundene Lösung trägt. Sie bestätigt also, dass das Modell sinnvoll ist.
Der Begriff mentales Modell stammt aus der Disziplin der Kognitionspsychologie und schlägt Brücken zur Informatik und Linguistik. Er ähnelt dem Schema des Entwicklungspsychologen Jean Piaget: Auch ein Schema beschreibt das Bild, das wir uns von der Wirklichkeit machen, ohne selbst Wirklichkeit zu sein. Es sagt, was in meinem Kopf zu einem Thema verfügbar ist: Was ist mein Bild von der Welt?
Der Begründer des Begriffs mentales Modell ist der Brite Philip Johnson-Laird, der sich mit deduktivem Denken beschäftigt. Während das induktive Denken eine Theorie aufgrund von Einzelphänomenen entwickelt, testet das deduktive selbige. Genau das ist der Schlüssel aller mentalen Modelle: Sie sind deduktiv, fassen Einzelphänomene so zusammen, dass sie möglichst wirklichkeitsgetreue Verallgemeinerungen sind. Richtig verwendet, sind es also keine einfachen Feststellungen – sie müssen immer wieder überprüft werden.
Es braucht also eine angemessene Beobachtung der zugrunde liegenden Phänomene. Diese kann wissenschaftlich oder praktisch sein – im Idealfall: beides.
»Schuster, bleib bei deinen Leisten« entstand aufgrund der lebensweisheitlichen Annahme, dass Experten immer mehr wissen als Nicht-Experten – die Schlussfolgerung ist deduktiv, da verallgemeinernd. Und eben darum geht es bei allen mentalen Modellen: um eine möglichst hilfreiche und in der Praxis testbare Verallgemeinerung.
Eine wichtige Rolle spielt hierbei unsere Sprache. Diese formt unsere Wirklichkeit. Man kann sagen: Was in Sprache nicht abgebildet ist, ist auch nicht vorhanden. So mag deine Vorstellung von Wörtern wie »Effizienz« eine ganz andere sein als meine – es geht eben nie allein um Wörter, sondern immer auch um deren Bedeutung. »Sprache schafft Wirklichkeit« ist also auch ein mentales Modell.
Jetzt fragt ihr euch vielleicht, was die Informatik damit zu tun hat? Die Informatik beschäftigt sich mit der Entwicklung von Programmen. Wir bringen Hardware das Denken bei und speisen den Maschinen Denkmuster ein, sogenannte Algorithmen. Die Maschinen bekommen damit – oft leider unbeabsichtigt – unsere vorhandenen mentalen Modelle aufgespielt. Vielleicht fallen euch dazu Beispiele ein wie etwa diskriminierende Personalauswahlprogramme. Die deduktiven Schlüsse lernen die Computer oft von uns und machen dabei nicht selten Fehler oder nerven uns.
So gibt es Suchmaschinen, die euch immer wieder angebliche Vorlieben ausspucken, auf dass ihr allein dadurch zum Klicken verführt werdet. Ich hasse dies, denn so werden mir immer wieder Frisuren für Frauen über 50 angezeigt, obwohl ich mich viel mehr für Politik interessiere. Dummer Computer, welches Modell hat man dir da eingespeist?
Damit sollte auch die Relevanz mentaler Modelle gerade in der aktuellen Zeit deutlich geworden sein: Denn was wir den Maschinen eingeben, wird unsere Zukunft prägen. Die Gefahr ist allerdings, dass wir zu starre oder manipulative Abbilder der Vergangenheit schaffen – und dabei neue Denkkrücken reproduzieren.
Ein Beispiel: Was ist dein mentales Modell für Leistung? Und aus welchen Einzelphänomen leitest du dieses ab? Manche meinen, »Noten spiegeln Leistung«: Dieser Schluss führt dazu, dass Bewerber mit besseren Noten von Künstlicher Intelligenz ausgewählt werden. Aber ist es nicht viel eher so, dass Noten den Erfolg von Schülern in unserer aktuellen Welt belegen? In einer veränderten Umwelt könnte dies ganz anders sein – ist es daher sinnvoll, den Algorithmus mit diesem Denken zu füttern? Womit wir bei einem sehr wichtigen Punkt sind: Wir können durch bewusste Anwendung mentaler Modelle unsere eigene Zukunft schaffen. So könnten wir uns darauf einigen, dass Künstliche Intelligenz ausschließlich den Menschen – allen Menschen – dienen soll. Dazu braucht es passende mentale Modelle.
Mentale Modelle schenken uns Orientierung, auch für die Zukunft, die wir gerade bauen. Es geht also um mehr als nur rahmenhafte Vorstellungen von optimalen Vorgehensweisen. Doch für eben solche Annahmen brauchen wir eine Vorstellung von möglichen und wünschenswerten Zukünften. Wir müssen ein Bild haben, wie diese aussehen kann – andernfalls reanimieren und aktivieren wir immer wieder nur die Vergangenheit. Ja, schlimmer noch: die Ausschnitte der Vergangenheit, die wir uns für die Zukunft nicht mehr wünschen.
In der Vergangenheit gaben mentale Denkmuster, Denkkrücken also, oft bestimmte Inhalte vor: Sie waren an »Content« gekoppelt. Moderne mentale Modelle indes haben oft keine konkreten Inhalte mehr. Sie bilden vielmehr offene Denkrahmen, in denen eigene Inhalte wachsen können.
Weiterhin ließen althergebrachte mentale Modelle oft nur eine Alternative zu. »Die zweite Maus frisst den Käse« lässt den Gedanken an mögliche Vorteile für die dritte oder vierte Maus gar nicht erst zu. Dass die Katze auch noch eine Rolle spielen könnte, kommt in diesem Wirklichkeitsabbild nicht vor. Wenn ich dagegen vom »Innovationsorchester« spreche, integriere ich verschiedene Perspektiven. Zeitgemäße mentale Modelle lassen außerdem Spielräume, wo es sie braucht. Sie deuten auf eine Richtung, sagen aber nicht konkret, was zu tun ist.
Sie sind manchmal auch wie ein kurzer Denkstopp. »Mindset ist Banane«, kommt mir vielleicht genau dann in den Kopf, wenn ich wieder mal nach dem richtigen Mindset suche. Das sollte es als mentales Modell besser nicht geben.
Sie grenzen ein und schaffen Orientierung, sie geben auch eine Richtung vor – aber sie beinhalten keine konkreten Lösungen. Daher sind sie näher an Prinzipien als an Regeln. Und obwohl sie als deduktive Schlüsse zu verstehen sind, sollten sie den Verstand nicht ausschalten. Denn nach wie vor ist es wichtig, Einzelphänomene zu betrachten, die dem deduktiven Schluss zuwiderlaufen. Forscht und erkundet also ruhig weiter. Findet eure eigenen mentalen Modelle und widerlegt, was nicht passend ist. Denn: Wir stehen erst gerade am Anfang. Vieles muss sich erst noch bewähren. Anderes wird uns vielleicht links überholen, an das wir derzeit nicht mal im Traum denken. Ich auch nicht.
Der Zukunftsforscher Ray Kurzweil prognostiziert, dass wir allein in diesem Jahrhundert 20 000 Jahre Veränderung sehen werden – aufgrund der Zunahme von Singularitäten und technischen Durchbrüchen, die wie Kipppunkte sind. Ob er Recht bekommt?
Es sind Denkmuster, die Veränderung blockieren. Vorstellungen von Kapitalismus, Freiheit, Bildung, Wirtschaft, Regulierung: Es begegnet uns überall. Jetzt sind wir in einer Zeit, wo sehr deutlich wird, wie das, was da ist, bremst. Und da komme ich wieder zurück zu meinem Anliegen: Ich möchte das, was ich kann und weiß, zugänglich machen. Es ist nur ein Ausschnitt und lange nicht die Welt. Aber ich hoffe, dieser Ausschnitt eröffnet euch neue Perspektiven auf euren Ausschnitt.
100 ist eine magische Zahl. Die 100 Modelle in diesem Buch sind aber keine Magie. Sie sollen dir helfen, zeitgemäße Antworten und Lösungen zu finden. Sie reduzieren das Komplexe auf menschlich leichte Art, ohne es zu trivialisieren.
In manchen großen Modellen sind viele kleine enthalten. Teils stammen die beschriebenen Modelle von mir selbst, teils von anderen, teils sind sie kollektives Gedankengut.
Sollten Denkmuster bereits einige Jahre oder gar Jahrzehnte auf dem Buckel haben, stammen sie in der Regel von Vordenkern, die sich früh mit Komplexität auseinandergesetzt haben. Meist in kleinen Kreisen, da sie damals niemand verstand: Die Zeit war einfach noch nicht reif für ihre Gedanken.
Ich habe nicht jeden erwähnt, von dem ich inspiriert worden bin. Nur wenn die Modelle direkt auf eine Urheberin zurückzuführen sind, habe ich diese genannt. Am Ende des Buches biete ich für jedes Kapitel jeweils fünf Tipps zum Weiterlesen und zur Vertiefung.
Mir ist klar, dass die Modelle immer nur in ihren wesentlichsten Zügen beschrieben sein können. Manches ist leicht verdaulich, anderes braucht vielleicht etwas, bis es sich setzen kann.
Die Kapitelstruktur ist von allgemein zu spezieller aufgebaut. Allgemeine mentale Modelle sind die Grundlage für die weiteren. Die Auswahl ist dabei völlig subjektiv und nicht vollständig.
Einführung
Euer Kopf brummt manchmal? Ihr wüsstet gern, woran ihr euch orientieren könnt? Wir beginnen mit dem übergreifenden Thema und einer Frage: Was hilft uns, diese komplexe und oft unverständliche Welt besser zu verstehen? Ich möchte euch dazu mitnehmen auf eine Reise in einen Nebel, den wir dann Schritt für Schritt lichten.
Ich sitze an meinem Schreibtisch. Vor mir steht ein Kaleidoskop. Ich habe es im Keller gefunden. Hast du auch eins zur Hand? Wenn wir es schütteln, entstehen Bilder, Kunstwerke sogar. Der Blick darauf entspannt. Obwohl wir jedes Mal etwas anderes sehen. Kannst du auch deine inneren Bilder verändern, bisherige Bilder gehen und neue entstehen lassen? Das ist eine Fähigkeit, die wir jetzt mehr brauchen als alles andere. Ganz egal, in welchem Beruf wir arbeiten oder in welchem Ausschnitt dieser Welt wir leben.
Zukunft entsteht in unserer Vorstellung. Sie verändert sich durch unseren Blick auf die Gegenwart. Es gibt also viele Zukünfte. Die einen liegen näher, die anderen ferner. Was du nicht siehst, könnten dir andere zeigen. So entsteht eine kaleidoskopartige Vorstellung – mit dem Unterschied, dass ständig neue Teile von außen dazukommen. Es ist eine sich verändernde, dynamische Vorstellung.
Habt ihr diese Fähigkeit, dann macht euch nicht die Welt, wie sie euch gefällt, à la Pippi Langstrumpf, sondern damit sie euch in Zukunft gefällt. Dabei sind unterschiedliche Vorstellungen hilfreich, verschiedene Blicke ins Kaleidoskop. Wir können uns dann gegenseitig unsere Welten zeigen. Wir können Reisende zu den Welten anderer werden.
Die Annahme, dass die Zukunft vorherbestimmt sei, nennt sich deterministisch. Sie ist weitverbreitet. Es gibt auch teilweisen Determinismus. Falls du dich für Physik interessierst, kannst du Gedankenexperimente finden, die entweder belegen sollen, dass etwas vorherbestimmt ist oder eben nicht. In den meisten Religionen gibt es deterministische und »freie« Elemente.
Der Determinismus prägt viele individuelle und kollektive Mentalmodelle – und bietet mehr Sprengstoff als der gemeinsame Blick ins Kaleidoskop. Doch ob wir mehr oder weniger deterministisch auf die Welt blicken, wird ganz entscheidende Auswirkungen haben. Mit deterministischem Blick lassen wir alles geschehen. Wir liefern uns selbst der Zukunft aus, sehen sie als nicht beweglich.
Wie viel mehr innere Freiheit bietet eine Grundannahme, die von Gestaltbarkeit ausgeht! Diese Grundannahme ist auch gut fürs Seelenheil. Denn psychologisch sorgt Determinismus für Lageorientierung: »Das ist eben Schicksal, und ich kann eh nichts machen!« So eine Haltung wird begleitet vom Gefühl, ausgeliefert zu sein. »Ich kann immer etwas tun« lässt viel mehr Spielraum.
Das ist der Grund, aus dem ich euch empfehle, mit eurer Sicht auf die Zukunft zu beginnen. Gestaltet sie, lasst zu, dass sie sich verändert. Seht sie als Gemeinschaftsproduktion mit individuellem Anteil.
Dieses mentale Modell wirkt auf alles andere. Das heißt nicht, dass ihr jeder Annahme von Vorbestimmtheit mit einem schlechten Gewissen begegnen solltet. Da hilft ein weiteres Mentalmodell: zu wissen, dass man nicht weiß.
Wenn ihr deterministische Spuren in euch oder anderen entdeckt, schätzt eure Prägung und die Sicherheit, die das gibt. Nehmt es, wie es ist. Erkennt die stabilisierende Funktion an, die das für euer Leben hat.
Und blickt auf die Chancen, die eine andere Betrachtung der Welt euch gibt. Was wäre, wenn wir von folgenden Vorstellungen Abschied nähmen:
Zukunft ist schon fertig.
Ich kann ohnehin nichts ändern.
Auf Zukunft haben nur Mächtige Einfluss.
Zukunft ist starr.
Die wichtigste Zukunftskompetenz liegt darin, die Gegenwart zu sehen. Dafür müssen wir den Vorhang lupfen, der heute von morgen trennt. Denn die Zukunft liegt nicht nur vor eurer Haustür und in eurem Freundeskreis. Sie ist dort, wo ihr sie derzeit gar nicht wahrnehmt.
Die UNESCO, die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation, möchte nichts weniger, als das Denken und Fühlen der Menschen zu ändern. Sie hat auch und gerade mentale Modelle im Blick. Sie möchte durch weltweite Initiativen Einfluss nehmen und damit die Zukunft der Bildung gestalten, ebenso wie die der Wissenschaften. Dafür arbeitet sie an einem mentalen Modell, das sie sich Futures Literacy nennt. Es ist nicht einfach nur mit »Zukunftskompetenz« zu übersetzen. Es ist die Fähigkeit, Vorstellungen kommen und gehen zu lassen. Es ist ein Abschied mit Freudentränen und eine Begrüßung voller Hoffnung.
DIE DENKKRÜCKE
Wir sind geprägt von deterministischen Denkmodellen. Ob es der Schicksalsglaube ist oder die Vorherbestimmtheit – diese mentalen Modelle halten uns in der Vergangenheit. Sie verhindern den Blick auf die Gegenwart. Wenn Zukunftskompetenz entstehen soll, müssen wir hier beginnen.
Fazit
DAS NEUE MENTALE MODELL
Du kannst es beeinflussen! Du darfst gestalten, dein Leben, unser Leben, die Zukunft. Futures Literacy gibt uns ein dynamisches Bild von gemeinsamer Zukunft mit auf den Weg. Wir haben mehrere Zukünfte. Wir gestalten sie durch diese verschiedenen Blickwinkel – und nicht durch Vereinheitlichung.
Übung
COACHINGBOX
Der Futures-Literacy-Kompass gibt dir einen Rahmen, um deine Vorstellungen von Zukunft zu erkunden. Es geht dabei um unterschiedliche Phasen eines Prozesses. Die denkbare Zukunft im Zentrum ist das, was ihr euch derzeit vorstellen könnt. Begreift sie als einen dehnbaren Raum. Die wahrscheinliche Zukunft ist jene, die vom derzeitigen Standpunkt aus als möglich angenommen werden kann. Dabei lassen sich Einflussgrößen bestimmen, etwa die Entwicklung von Technologie. Auch die wahrscheinliche Zukunft verändert sich. Indem du ein immer tieferes Verständnis erwirbst, tauchst du in sie ein.
Den Zukunftskompass kannst du in Workshops nutzen oder mit dir selbst durchspielen. Kleine Übungen können da schon sehr wirkungsvoll sein. Du kannst mit einer anderen Person gemeinsam spazieren gehen und die Zukunft dabei »dehnend erkunden«. Für diesen »Walk to talk« kannst du Fragen ausarbeiten. Es kann aber auch »Freestyle« sein. Eine gute und vertrauensvolle Stimmung wird viel dazu beitragen, dass sich Ideen ausbreiten können.
Abb. 1: Zukunftskompass Future Literacy
»Im Nebel stochern« hat keinen guten Ruf. Es bedeutet, dass wir nicht wissen, was kommt. Es fehlen Anhaltspunkte. Das bewerten die meisten Menschen als bedrohlich – außer an Halloween und in Gruselfilmen.
Nebel bildet sich, wenn die Luft mit einer Wasserdampfmenge gesättigt ist, wodurch die Temperatur sinkt. Warme und kalte Luft mischen sich. Nebel wird seltener, mahnten Klimaforscher vor einigen Jahren. Wir sollten ihn also wertschätzen.
»Es fühlt sich so unklar an, neblig.« Als der Manager Tilo im Coaching seine Wahrnehmung einer Situation beschreibt, in der er im Chaos eine weitreichende Entscheidung treffen musste, wird er nachdenklich. »Das war eine beängstigend unklare Situation, für die es überhaupt keine Erfahrungswerte gab. Ich wusste, egal, was ich tue, es ist völlig unklar, was rauskommt. Aber Nichtstun war auch keine Lösung.«
Tilo hat in der Corona-Pandemie für ein Pharmaunternehmen gearbeitet. Keiner wusste, was zu tun war, welche Entscheidungen sinnvoll waren. Einfach nur weiter, machen, irgendwas entscheiden. »Das war nicht mehr zu verstehen. Jede Expertin verfolgte eine andere Wahrheit – oder war es doch nur ein Eigeninteresse?«
Ob Pandemie, Klimakatastrophe, Demografie-Krise oder Kriege: Nicht nur Sicherheit und Planbarkeit sind verloren gegangen, auch Verständlichkeit. Was ist richtig? Was wirkt worauf? Keine Ahnung! »Fake it, till you make it« wird da zum Leitmotiv. Die negative Konnotation aber verschwindet. Ebenso wie »Versuch macht klug« im Kleid von »trial and error« eine Renaissance erlebt. Dabei machen wir Deutschen allerdings laufende Übersetzungsfehler, was uns irreführende mentale Modelle beschert. Der Error ist der Irrtum, den man machen darf, wenn nicht genügend Informationen da sind. Der Fehler ist ein Mistake: Hier hätten wir Informationen, nutzen sie aber nicht. Das weitverbreitete Mentalmodell Fehlerkultur ist also eine Fehlkonstruktion. Es müsste eine Irrtumskultur sein.
Die Welt, in der wir leben, macht einen Wandel durch, wie er in dieser Form in der Menschheitsgeschichte vermutlich einzigartig ist. Seltene Ereignisse treten gehäuft auf, etwa extreme Wetterereignisse oder Pandemien. Ein für sich genommen kleines Ereignis kann alles andere beeinflussen – wie der Ukraine-Krieg –, aber auch die Reaktionen darauf. Was ist Wirtschaft, was Politik, was Ökologie? Systemgrenzen lösen sich auf.
Damit gerät ein älteres mentales Modell, von dem ihr sicher schon gehört habt, an seine Grenzen: VUKA. Es meint:
Volatilität, also Schwankungen,
Unsicherheit,
Komplexität,
Ambiguität, also Mehrdeutigkeit.
Es stimmt zwar in vielem noch, aber wir fühlen: Da ist jetzt deutlich mehr, das uns beeinflusst.
Auch die Reaktionsempfehlung auf VUKA, die auch VUKA heißt, klingt profan:
Vision,
Understanding, also Verständlichkeit,
Klarheit,
Agilität.
VUKA war Ende der 1990er Jahre im Militärumfeld entstanden. Eine in VUKA integrierte These lautet, dass sich jedes Gebiet erobern ließe, wenn man in kleinen Einheiten und Teams agiere. So komme man leichter zurecht mit Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität. Diese zeigte sich nicht nur beim Militär, sondern auch in der Wirtschaft. Und so entstand eine Idee, die sich immer weiter durchsetzte: die Idee von Agilität, als Konzept, um mit VUKA umzugehen.
So hilfreich der Gedanke immer noch ist, er reicht nicht mehr aus. Wir leben nicht mehr nur in einer unsicheren Welt. Es ist mehr als nur unsicher, es ist unverständlich. Keiner kann mehr den Überblick haben und alles verstehen. Das irritiert. Irritation aber wollen viele vermeiden. In der Folge ducken sie sich weg. Verschwörungstheorien sind die Folge – und Götter unserer Zeit.
Pandemie, Kriege, Energiekrise, Armut, Überbevölkerung. Und überforderte Politiker und Wirtschaftslenkerinnen, denen die Ideen ausgehen. Niemand weiß genau, wie und worauf Entscheidungen wirken und was sie überhaupt bewirken. Dabei könnte es so leicht sein. Wir müssen einfach nur anerkennen, dass es ist, wie es ist, und Irritation als hilfreiche Information interpretieren.
Dabei hilft BANU. Das Akronym ist angelehnt an BANI, das erstmals vom US-amerikanischen Zukunftsforscher Jamais Cascio in einem Beitrag für die Plattform »Medium« erwähnt wurde. In den deutschsprachigen Raum hat es der Berater und Zukunftsforscher Stephan Grabmeier gebracht. Ich habe den letzten Buchstaben ausgetauscht, um es passender für die deutsche Sprache zu machen. BANU steht für:
Brüchig,
Angstbesetzt,
Non-linear,
Unverständlich.
Unsere Umwelt ist brüchig. Der poröse Grund ist aber nicht direkt als solcher erkennbar. Wo der Boden am Ende bricht, ist trotz aller Expertenprognosen eine Überraschung.
Die Brüchigkeit deutet sich überall an: Sie zeigt sich zum Beispiel daran, dass eine politische, wirtschaftliche oder auch unternehmerische Entscheidung an der einen Stelle ein Problem löst, an der anderen aber neue Probleme provoziert. Denkt an die Pandemie, an Wirtschaftssanktionen – ihr werdet überall Beispiele finden.
Nebel ist angstbesetzt – das A in BANU steht dafür. Wir glauben beispielsweise, die Natur beherrschen zu können. Doch die Natur lässt sich nicht beherrschen. Dahinter steckt die Angst, sich irritieren zu lassen.
Die Angst ist in der deutschen Sprache weiblich, der Mut männlich. Kaum jemand deutet Angst als Stärke. Doch Angst hat eine wichtige Funktion: Sie zeigt uns, dass wir innehalten sollten, um wahrzunehmen, was gerade passiert. Wer ein Boot steuert, weiß, wie wichtig ein Anker ist: Dieser hält das Boot fest im Sturm. Eine Atempause!
Wenn wir ankern, können wir beobachten, was sich zeigt. Ängstlichkeit ist eine ganz natürliche Reaktion auf Unsicherheit und Irritation. Sie zu spüren, ist hilfreich. Denn wir können lernen, mit Angst zu leben. Und je mehr wir uns an Nebel gewöhnen, desto mehr werden wir dennoch handlungsfähig bleiben.
Non-linear heißt, dass es keine Zusammenhänge gibt. Es lässt sich nicht berechnen. Ich erkläre das in Modell 3. Und unverständlich bedeutet, dass selbst Expertenwissen uns keinen Schlüssel zum Verständnis bietet.
Was uns wirklich helfen würde, wäre etwas ganz anderes: Ein neuer Zugang zur Intuition. Denn die haben wir – nur nicht gelernt zu nutzen.
DIE DENKKRÜCKE
Das mentale Modell VUKA wurde in der relativen Klarheit der 1990er Jahre geboren. Es ging davon aus, dass sich Herausforderungen durch veränderte Umweltbedingungen durch Vision und Agilität lösen ließen. Doch das reicht nicht aus.
Fazit
DAS NEUE MENTALE MODELL
BANU hat eine Lösungspartnerin, RAKI:
Wir sollten R, also die Resilienz, stärken. Was macht dich und die Menschen in deinem Umfeld widerstandsfähig als Person, als Gruppe, als Organisation, als Gesellschaft?
Wir sollten A, also unsere Achtsamkeit, schärfen. Wie kannst du achtsam sein für das, was jetzt passiert? Wie kannst du andere zu mehr Achtsamkeit leiten?
Wir sollten den Blick auf K, also den Kontext, richten. Was hilft dir, aus der Innenperspektive herauszukommen und den größeren Zusammenhang zu sehen?
Weiter sollten wir I, also unserer Intuition, mehr Aufmerksamkeit schenken. Welche Ideen gibt dir die innere Stimme, das innere Bild?
Abb. 2: Das mentale Modell RAKI
Übung
COACHINGBOX
Wie empfindest du BANU selbst? Wie gehst du damit um, und wie erlebst du dein Umfeld? Was heißt RAKI konkret für dich? Wie kannst du zum Beispiel konkret auf den Kontext schauen? Was ist das überhaupt für dich – Kontext? Was bildet deine unmittelbare Umwelt? Wie prägst du sie? Und wie kannst du ein mentales Modell wie RAKI so nutzen, dass es hilfreich für diesen Kontext ist?
1961 eröffnete der erste Aldi in Essen. Meine Tante beschloss damals: »Der Aldi kommt mir nicht ins Haus.« Aldi war für sie sinnbildlich für billig: Der Discounter habe keine Qualität. Ihr eigenwilliges Prinzip entfernte sich im Laufe der Jahre immer mehr von der Mehrheitsmeinung, aber sie änderte es nie mehr. Sie verfolgte also ein individuelles Mentalmodell. Es entsprach ihrer Wirklichkeit, wurde aber mit den Jahren immer weniger kompatibel zu dem anderer Menschen. Es wurde so etwas wie ihr Markenzeichen. Mit jedem »Niemals bei Aldi« drückte sie aus: »So bin ich. Ich kaufe nicht bei den Billigheimern.« Sie wählte damit auch eine Abkürzung im Denken – so wie wir es alle tun, nur dass es nicht immer derart exzentrisch wirkt.
Es ist auch eine Art und Weise, mit all dem klarzukommen, was auf uns einströmt. Denn wenn zu viele Informationen unser Gehirn belasten, blenden wir diese aus: Wir sind einfach nicht für Parallelinformationen geschaffen. Etwas »unterkomplex« zu behandeln, ist deshalb völlig in Ordnung – sofern man damit weder sich selbst noch anderen schadet.
Es gibt allerdings Themen, bei denen eine »unterkomplexe« Behandlung nicht angebracht ist. Wollen wir etwa Lösungen für die Zukunft der Energieversorgung finden, wirken zahllose Variablen miteinander: Das eine bedingt das andere – und kaum hat man hier etwas getan, ploppt da das nächste Thema auf, das nicht bedacht wurde. So viele Augen und Gehirnzellen hat niemand, alles jederzeit im Blick zu haben – schon da es so viele Unbekannte gibt.
Unter Komplexität können wir nicht langfristig planen. Tun wir es doch, kommt ein Flughafen Berlin heraus, also eine Fehlkalkulation. Nicht immer gibt sich das Komplexe sofort zu erkennen. Aber irgendwann ist die Ahr überschwemmt, der Fachkräftemangel manifest, sind die Kosten ausgeufert, hat die Gesellschaft ein Bildungs- oder Renten- oder Gesundheitsversorgungsproblem …
Wie aber erkennt ihr, was komplex ist? Die wichtigste Information gibt uns der Kontext: also alles, was um uns herum ist. Begreifen wir uns als zu unserer Umwelt gehörig, spielt diese immer mit hinein. Wir prägen unsere Umwelt – und diese prägt uns. Dabei haben wir stets nur einen sehr begrenzten Einfluss, denn der Kontext ist immer stärker als wir. Meine Tante prägte ihre Umwelt, indem sie eine bewusste Auswahl traf – die Discounterkarrieren von Aldi und Lidl konnte sie dennoch nicht verhindern.
Wenn wir genauer hinschauen, haben wir zudem nicht einen, sondern viele Kontexte, kleine und große. Der Kontext unserer Arbeit etwa ist anders als jener der Gesellschaft. Komplexität offenbart sich dabei im Unvorhersehbaren – was jede Planung binnen kurzer Zeit obsolet macht. Kurzum: Auf die Frage »Wie verhält sich X?« können wir unter dem Aspekt der Komplexität nur Mutmaßungen anstellen, aber nichts sicher behaupten. Dass viele dies dennoch tun, ist ein Problem unserer Zeit.