Madame Bonheur und die Tote von Toulouse - Lilou Favreau - E-Book
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Beschreibung

Cosy Crime mit einer Wahrsagerin. Für alle Fans von Südfrankreich-Krimis

»Maggie setzte sich an den Schreibtisch und begann die Tarot-Karten mit beiden Händen über die Platte zu schieben und so zu mischen. ›Wo ist Adèle?‹, flüsterte Xavier in ihrem Rücken. Maggie drehte eine Karte um. Es war Der Tod.«

Maggie verdient ihr Geld als Wahrsagerin »Madame Bonheur«. Sie liebt Mystik und Klimbim und sieht ihren Job eher als Show, ähnlich einer Zirkusvorstellung. Eines Tages steht der Privatdetektiv Xavier Degrange vor ihrer Tür und bittet sie um Mithilfe in einem Vermisstenfall. Sie lässt sich auf die Zusammenarbeit ein, obwohl ihr Schwindel dadurch auffliegen könnte. Mit ihrer guten Beobachtungsgabe, Intuition und einer Portion Glück gelingt es ihr, die fehlende Wahrsagekunst auszugleichen. Oder steckt hinter »Madame Bonheur« etwa doch mehr als nur eine gute Show?

»Den Leser erwartet ein spannender Krimi und er erinnert mich an Agatha Christi.« ((Leserstimme auf Netgalley))

»Jeder der leichte französische Filme und Literatur mag, wird Freude an diesem Krimi haben.« ((Leserstimme auf Netgalley)) 

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© Piper Verlag GmbH, München 2022

Redaktion: Christiane Geldmacher

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Alexa Kim »A&K Buchcover«

Covermotiv: depositphotos.com (lifeonwhite; anniebirdie; Croisy); shutterstock.com (DeltaOFF)

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Kapitel 1

Mit hastigen Schritten bog Maggie in die Gasse zu ihrer Wohnung ein. Gerne hätte sie noch ein bisschen mit ihrer Freundin Colette in ihrem Gemüseladen geplauscht, doch in wenigen Minuten würde Maggies beste Kundin vor der Tür stehen, und bis dahin mussten die Einkäufe weggeräumt sein und der Lidstrich sitzen. Bevor Maggie eintrat, polierte sie noch schnell mit dem Zipfel ihres Shirts das verschnörkelte Metallschild, das ankündigte, dass hier eine Wahrsagerin zu finden wäre. Es war auffallend genug, um nicht übersehen zu werden, und trotzdem so dezent, dass es das idyllische Flair des Dörfchens Roussillon nicht störte. Bei allem Geschäftssinn hätte Maggie es nicht übers Herz gebracht, eine Leuchtreklame an die ockerfarbene Fassade zu hängen. Sie ließ die rustikale Holztür offenstehen und schob ihren Oleander im Terrakottatopf so davor, dass sie nicht zufallen würde und man trotzdem noch bequem hindurch kam. Zwar blühte dieser noch nicht, doch lange würde es nicht mehr dauern. Seine ersten himbeerroten Blüten fielen immer ziemlich genau mit dem Start der Hauptsaison zusammen, und inzwischen zeigten sich schon einige Knospen.

Dann schnappte sie sich ein Bündel aus Klimbim, in dem zwischen allerlei bunten Steinen einige große Anhänger klapperten, die die Form von Augen und Händen hatten, und platzierte es an einem Nagel an der offenen Tür. Der Wind würde es klimpern lassen und den ein oder anderen Kunden zu ihr hereinschicken, so zumindest der Plan.

Die Zeit drängte, deshalb stopfte Maggie einfach die gesamte Papiertüte in den Kühlschrank und ging schnell in ihr Schlafzimmer. Sie setzte sich an den Schminktisch und schnappte sich ihren schwarzen Kajalstift. Er war ihr wichtigstes Arbeitsutensil. Mit geübten Bewegungen umrandete sie ihre Augen und trug danach dick Wimperntusche auf. Jetzt noch die großen goldenen Ohrringe und ein buntes Tuch um den Kopf, und Madame Bonheur war bereit, ihren Dienst anzutreten. Zufrieden nickte sie ihrem Spiegelbild zu.

»Madame?«, hörte sie da eine wohlbekannte Stimme vom Eingang her rufen. Puh, das war ja just in time. Maggie sprang auf, warf sich noch ein weiteres buntes Tuch um die Schultern und verließ das Schlafzimmer.

Emmanuelle Bernard war die Tochter einer wohlhabenden Familie, denn ihre Eltern bewirtschafteten bereits in zweiter Generation ein gut gehendes Hotel an der Côte d’Azur. Und zu Maggies großer Freude nahm Emmanuelle in strikter Regelmäßigkeit jeden Donnerstag die eineinhalbstündige Fahrt von Marseille nach Roussillon auf sich, um Maggie zumindest mit einem kleinen Anteil an ihrem Vermögen teilhaben zu lassen. Seit die Bernard-Tochter vor einem knappen Jahr bei einem Besuch des hübschen Künstlerdorfes zufällig Maggie und ihre Wahrsagekunst entdeckt hatte, hatte sie nur ein einziges Mal ihren Besuch bei ihr abgesagt. Und damals hatte ein schlimmes Fieber die Ärmste ins Bett gezwungen.

»Emmanuelle, wie schön dich zu sehen!«, flötete Maggie und begrüßte die Kundin mit Küsschen auf beide Wangen – eine Geste, an die die gebürtige Schwäbin sich außerhalb ihrer Rolle als Madame Bonheur wohl nie gewöhnen würde.

»Die Freude ist ganz auf meiner Seite, ich konnte es kaum erwarten, mit dir zu sprechen. Es ist etwas ganz Wunderbares passiert.«

Oha, Maggie war sich nicht sicher, ob sie Emmanuelles Neuigkeiten genauso in Verzückung versetzen würden. Doch sie zeigte ein wohlwollendes Lächeln und bat sie in ihre Wahrsagestube.

Das kleine Zimmer strotzte nur so vor Klischees: ein Regal, in dem neben einigen Kräuterbündeln auch Fläschchen und Tiegel in verschiedenen Farben und Formen standen; ein dunkler Tisch mit passenden Stühlen, auf dem Tarotkarten und eine große Glaskugel bereit lagen; und in der Ecke stand eine immer offene Holztruhe, aus der allerhand orientalisch anmutender Nippes und sogar ein Hexenbrett herausragten. Das Ding hatte Maggie mal auf einem Jahrmarkt gewonnen. Eigentlich hatte sie es wegwerfen wollen, doch dann hatte sie bemerkt, dass ihre Kunden dem Brett mit seinen schnörkeligen Buchstaben neugierige bis ehrfürchtige Blicke zuwarfen, und so hatte sie es eben behalten. Eine stimmige Kulisse war schließlich wichtig für eine gute Show.

»Also, Emmanuelle, was ist passiert?«, fragte Maggie, als sie sich gegenübersaßen.

»Ich habe einen Mann kennengelernt!«, sprudelte es freudig aus der jungen Kundin heraus.

Maggie hielt sich eisern an ihrem Lächeln fest. So etwas hatte sie schon befürchtet. Jeder von Emmanuelles Besuchen drehte sich um die Themen Männer, Liebe, und wann sie nun endlich einen Heiratsantrag bekommen würde. Auch wenn Maggie ihr durchaus ihr Glück gönnte, kam sie nicht umhin sich zu fragen, ob Emmanuelle noch einen Sinn in ihren Diensten sehen würde, wenn sie schließlich unter der Haube wäre.

»Wie schön! Erzähl mir von ihm.«

Es folgte ein ausführlicher Bericht mit wenig Inhalt, an dessen Ende Maggie zumindest wusste, dass der Angebetete Adriano hieß, wie der Name schon nahelegte, aus Italien stammte, umwerfende Wuschellocken und süße Grübchen hatte.

»Und wo habt ihr euch kennengelernt?«, versuchte Maggie die Thematik in weniger schwärmerische Bahnen zu lenken.

»Auf einer Party bei Freunden. Es war Liebe auf den ersten Blick.«

Maggie nickte bedächtig. Gemeinsame Bekannte sprachen eher für statt gegen den Mann. Zumindest klang er wesentlich besser, als der Immobilienhai, der nicht nur scharf auf Emmanuelle, sondern auch auf das Hotel ihrer Eltern gewesen war. Oder der Partyhengst, der ihr nach dem zweiten Date eine offene Beziehung vorgeschlagen hatte. Oder der allein reisende Geschäftsmann, dessen nahtlose Bräune lediglich durch einen schmalen hellen Strich am linken Ringfinger unterbrochen gewesen war, wo die Franzosen ihren Ehering trugen. Ja, Emmanuelle hatte auf der Suche nach dem Richtigen wirklich schon einiges mitgemacht. Insofern wünschte Maggie ihr tatsächlich, dass es diesmal anders sein würde. Doch ein kleines imaginäres Teufelchen hatte sich auf ihrer Schulter niedergelassen und flüsterte ihr unentwegt zu, dass sie die Einnahmen, die Emmanuelle ihr bisher so zuverlässig geliefert hatte, brauchte.

»Und wie steht es um sein Herz? Denkst du, ihm geht es genauso? Seid ihr euch schon nähergekommen?«

Emmanuelles Grinsen verriet mehr als tausend Worte. Was innerhalb einer Woche doch alles passieren konnte.

Maggie nahm ihre Hand. »Wenn es so gut läuft zwischen euch, dann brauchst du mich doch gar nicht. Warum bist du hier?«

Entrüstung flog in das hübsche Gesicht ihrer Kundin. »Natürlich brauche ich dich! Ich muss doch wissen, ob es echt ist, ob er der Eine ist!«

Maggie unterdrückte den Impuls, die Stirn zu runzeln. Emmanuelle war offensichtlich frisch verliebt und überglücklich mit ihrem Adriano. Und trotzdem zweifelte sie. Hatte die junge Frau einfach schon zu viele schlechte Erfahrungen gemacht, oder waren manche Menschen einfach nicht dazu bestimmt, ihren Frieden zu finden?

»Bitte leg mir die Karten«, schob sie nach, als Maggie nicht reagierte.

Diese nickte und griff nach dem kleinen Stapel, der neben der Glaskugel lag. Dann breitete sie die Karten verdeckt auf der Tischplatte aus und mischte sie, indem sie mit beiden Händen in kreisförmigen Bewegungen über die Karten fuhr. Man machte dies so, weil es auch eine Rolle spielte, ob man die Karte richtig herum zog oder auf dem Kopf stehend. Außerdem hatte Maggie einmal gelesen, dass man so eine Verbindung zu den Karten aufbauen würde. Davon hatte sie noch nie etwas gespürt, aber es sah einfach wahrsagerischer aus, als würde sie sie in der Hand mischen wie beim Kartenspielen.

Emmanuelle folgte gebannt ihren Bewegungen. Maggie atmete einmal theatralisch ein und aus und zog die erste Karte: Der Ritter der Kelche.

»Ich wusste doch, dass er der Richtige ist! Mein Ritter in glänzender Rüstung!« Die Kundin kicherte mädchenhaft.

Die Kelche entsprachen dem Herz im normalen Kartenspiel und standen für die Welt der Gefühle. So falsch war Emmanuelles Deutung also vielleicht gar nicht, auch wenn Maggie keine Ahnung hatte, was der Ritter bedeutete. Sie hatte sich längst abgewöhnt, Karten, deren Bedeutung sie nicht kannte, nachzuschlagen. Erstens machte das nicht gerade einen vertrauenerweckenden Eindruck, und zweitens war es den Aufwand nicht wert, denn Maggie wusste in den meisten Fällen auch ganz ohne Karten ziemlich genau, was ihre Kundschaft hören wollte.

Sie zog die nächste Karte. Es waren die Liebenden. Hier kannte sogar Maggie die Bedeutung. Emmanuelle klatschte jauchzend in die Hände.

Als drittes und letztes deckte sie den Ritter der Münzen auf. Maggie nahm sich einen Moment, um zu überlegen, was sie aus diesem Kartentrio machen wollte. Als sie aufblickte und in Emmanuelles große, dunkle Rehaugen sah, streifte sie ein Anflug von schlechtem Gewissen, doch das Teufelchen auf ihrer Schulter grinste wohlwollend.

»Die Liebenden sprechen für sich«, begann Maggie ihre Ausführungen.

Emmanuelle hing an ihren Lippen.

»Doch wir haben hier nicht einen Ritter in glänzender Rüstung, wie du so schön gesagt hast, sondern zwei. Es scheint also neben deinem Adriano noch einen Anwärter zu geben.«

»Tatsächlich?« Emmanuelle fuhr sich ratlos mit den Fingerspitzen über die Lippen. »Aber wer könnte das sein?«

»Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass die Karten dich mahnen. Um genau abzuwägen und dich entscheiden zu können, musst du beide Anwärter kennen. Natürlich kann dein Adriano wirklich der Richtige sein. Aber vielleicht ist es auch der andere. Du solltest also nichts überstürzen.«

Maggie hasste sich für einen Moment, als ihre junge Kundin mit ernstem Blick beinahe feierlich nickte. Doch das Teufelchen auf ihrer Schulter klatschte Beifall.

Kapitel 2

Seufzend schob Maggie die Tarotkarten wieder zu einem Stapel zusammen, nachdem Emmanuelle sich unter inbrünstigen Dankesbekundungen von ihr verabschiedet hatte. Das schlechte Gewissen nagte an ihr. Vielleicht konnte sie Emmanuelles Interesse ja in Zukunft auf ein anderes Thema lenken – Nachwuchs vielleicht oder die Übernahme des Hotels? Nächste Woche würde Maggie in diese Richtungen mal vorsichtig vorfühlen.

Ein Geräusch im Hausflur ließ sie aufhorchen. Sie stand auf und ging hinaus. »Hast du etwas vergessen, meine Liebe?«, fragte Maggie in festem Glauben, dass es Emmanuelle wäre. Doch vor ihr stand nicht die junge Brünette, sondern ein fremder Mann. Sein Erscheinen überraschte sie nicht nur, weil sie mit Emmanuelle gerechnet hatte. Die Reisesaison hatte noch nicht begonnen, und außerdem wirkte er mit seinem weißen Hemd und dem Sakko nicht wie ein Tourist. Laufkundschaft war in diesen Tagen selten und einen Termin hatte sie für heute keinen mehr vereinbart.

Der Blick aus seine dunkelbraunen Augen betastete sie interessiert, und auch sie konnte nicht anders als ihn zu mustern. Die Jeans, die er trug, gab Hemd und Sakko einen legeren Touch. Der Kurzhaarschnitt des Fremden war etwas herausgewachsen, sodass sein dunkles Haar in sanften Wellen fiel und sich an seinen Nacken schmiegte. Ein paar helle Strähnchen an den Schläfen verrieten, dass er nicht mehr so jung war, wie er auf den ersten Blick wirkte. Maggie schätzte, dass er ungefähr in ihrem Alter oder eine Idee älter war als sie, also in etwa auf die vierzig zuging.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Maggie.

»Das hoffe ich. Sie sind Madame Bonheur?« Sein taxierender Blick wanderte zu dem Tuch hinauf, das sie sich turbanartig um den Kopf geschlungen hatte. Sie konnte nicht herauslesen, was er von ihrer Erscheinung hielt, und das machte sie nervös.

»Ja, freut mich, Sie kennenzulernen.« Sie schüttelte ihm die Hand und war froh, dass er nicht auf die Idee kam, Küsschen auf ihren Wangen zu verteilen.

»Mein Name ist Degrange. Haben Sie einen Moment für mich?«

»Gerne. Kommen Sie bitte herein.« Sie deutete mit einer einladenden Geste in ihre Wahrsagestube.

Sobald er das Zimmer betrat, schaute er sich auch hier aufmerksam um.

Plötzlich kam Maggie sich dumm vor in ihrer Verkleidung und mit der ganzen Deko. Sie schluckte gegen das unangenehme Gefühl an, das stärker wurde, je länger der Fremde seinen Blick über den Inhalt ihres Regals schweifen ließ.

»Sind das Salbeibündel?«, fragte er über die Schulter.

»Ja.« Sie ärgerte sich über die Unsicherheit in ihrer Stimme und räusperte sich. »Kennen Sie sich gut aus mit Kräutern?« Das würde nämlich bedeuten, dass sie auf der Hut sein musste.

Doch zu ihrer Erleichterung schüttelte der Fremde den Kopf. »Nein, ich habe nur gelesen, dass Leute wie Sie Reinigungsräucherungen mit Salbei durchführen.«

Leute wie Sie. War das abfällig gemeint? Maggie spürte, wie sie sich mehr und mehr anspannte.

Endlich wandte er sich vom Regal ab und drehte sich zu ihr um.

»Setzen Sie sich doch«, sagte Maggie, während auch sie selbst sich wieder an dem kleinen Tisch niederließ. »Was kann ich für Sie tun?«

»Sagen Sie es mir. Sie sind doch schließlich Wahrsagerin.« Mit einem schelmischen Grinsen setzte er sich ihr gegenüber.

Maggie wurde es warm unter ihrem Turban. Was wurde das hier? War Degrange hier, um sich über sie lustig zu machen?

»So funktioniert das nicht.« Sie versuchte, sich ihre Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. »Die Schwingungen, die uns ständig umgeben, sind diffus und durcheinander. Sie können sich das vorstellen, wie ein verwirrtes Wollknäuel. Für meine Arbeit brauche ich einen Hinweis, nach welchem Faden ich greifen muss. Sie müssen mir also schon eine Frage stellen, wenn ich Sie beraten soll.«

»Verstehe. Ich wollte Sie nicht verärgern, sondern nur die Stimmung ein bisschen auflockern.«

»Ich bin nicht verärgert, nur etwas verwirrt.« Maggie biss sich auf die Lippen. Sie war es nicht gewöhnt, hier in ihrer Wahrsagestube so offene Gespräche zu führen.

»Ich bin nicht hier, weil ich etwas über meine Zukunft von Ihnen hören möchte, obwohl das sicherlich sehr reizvoll wäre. Ich bin Privatdetektiv.«

In diesem Moment fingen alle Alarmglocken in Maggies Inneren an zu schrillen. Was wollte Degrange von ihr? Hatte ihn womöglich ein unzufriedener Kunde auf sie angesetzt? Würde er ihr gleich an den Kopf werfen, dass sie eine Betrügerin sei, die vom Wahrsagen nicht die geringste Ahnung habe?

Maggie bemerkte, dass sie unruhig auf ihrem Stuhl hin und her rutschte. Schnell griff sie nach den Tarotkarten, um ihre verkrampften Hände zu beschäftigen. »Dann sind Sie beruflich hier? Wer ist ihr Auftraggeber?«

Ihre Frage schien ihn zu irritieren, zumindest runzelte er für einen Moment die Stirn, ehe er antwortete. »Ein Herr aus Cassis. Seine Frau ist verschwunden.«

Maggie ließ nervös die Karten von der einen in die andere Hand gleiten. Degrange hatte den Namen seines Auftraggebers nicht genannt, natürlich nicht. Gingen die Herren davon aus, dass sie etwas mit dem Verschwinden dieser Frau zu tun hatte? Unweigerlich grübelte sie, ob in einer ihrer letzten Sitzungen von einer anstehenden Trennung, einem Tapetenwechsel oder sonst irgendetwas gesprochen worden war, das mit einem zurückgelassenen Ehemann in Verbindung gebracht werden könnte. Doch ohne einen Namen zu kennen, war das äußerst schwierig.

»Mein Klient macht sich große Sorgen. Er geht davon aus, dass ihr womöglich etwas Schreckliches passiert ist. Da die polizeilichen Ermittlungen jedoch anscheinend auf der Stelle treten, hat er mich eingeschaltet.«

Nun, das klang nicht unbedingt nach einem gehörnten Ehemann. Aber was wollte Degrange andeuten? Warum war er hier?

»Was hat das alles mit mir zu tun?«, platzte Maggie schließlich heraus.

Degrange seufzte. »Ich muss zugeben, dass auch meine Ermittlungen bislang nichts ergeben haben. Leider bin ich ebenso ratlos wie die Polizei.« Er wirkte ehrlich zerknirscht. »Ich hatte gehofft, Sie könnten mir mit ihren besonderen Fähigkeiten bei der Suche nach der Vermissten helfen.«

Maggie klappte die Kinnlade hinunter. Sie hatte mit ihrem Verdacht, dass er gekommen war, um ihr in irgendeiner Art und Weise Vorwürfe zu machen, so falsch gelegen, dass es für eine Wahrsagerin schon fast lächerlich war. »Ich soll mit Ihnen zusammen diesen Fall lösen?«

Degrange nickte und sah sie dabei so hoffnungsvoll an, dass Maggie der Brustkorb eng wurde. Wie stellte er sich das denn vor? Sie konnte doch überhaupt nicht wahrsagen!

»Würden Sie das tun, Madame Bonheur? Für mich und in erster Linie natürlich für Adèle Josserand und ihren besorgten Gatten?«

Nun hatte das Opfer also einen Namen. Wie sollte sie sich sträuben, einer Frau zu helfen, die womöglich in Not war, und deren Namen sie jetzt auch noch kannte? Maggie wollte schreiend davonlaufen oder wenigstens den Kopf schütteln. Lieber würde sie Degrange jetzt und hier enttäuschen und das Thema im Keim ersticken, als dass er in ein paar Tagen feststellte, dass sie vollkommen nutzlos war. Doch wie ferngesteuert nickte sie und rang sich ein Lächeln ab.

Degrange, der Ahnungslose, freute sich sichtlich. »Danke, ich hatte so gehofft, dass Sie mir helfen würden. Sind Sie damit einverstanden, wenn wir uns Honorar und Spesen teilen?«

Wieder nickte sie mechanisch. Maggie hatte geahnt, dass ihr ihre Wahrsagerei irgendwann auf die Füße fallen würde. Doch dass dies so katastrophal und unausweichlich und in Gestalt eines netten, gut aussehenden Privatdetektivs geschehen würde, das hatte sie beim besten Willen nicht kommen sehen – vielleicht ein weiteres ironisches Indiz dafür, dass sie eben nicht war, was sie vorgab zu sein. Das Teufelchen auf ihrer Schulter, dass ihr bei Emmanuelles Besuch noch so zugetan gewesen war, brach in hämisches Gelächter aus.

Kapitel 3

Gerade als Colette das Schild, das an der Tür ihres Geschäfts hing, von Offen auf Geschlossen drehte, kam Maggie dort an.

»Hast du etwas Zeit für mich? Ich habe dir auch etwas Leckeres für deine Mittagspause mitgebracht.«

»Natürlich, komm rein!«

Maggie schob sich an ihr vorbei. Gemeinsam durchquerten sie den kleinen Obst- und Gemüseladen und gingen durch die Hintertür in die Wohnung, die direkt angrenzte.

»Du musst mich nicht mit Essen bestechen, wenn du mich besuchen möchtest«, sagte Colette lachend, als Maggie anfing, den Inhalt ihrer Tasche auf dem Tisch auszubreiten.

»Ich habe uns Cassoulet bei Ferdinande geholt.«

»Oh, lecker, da sage ich nicht nein!«

Ferdinande betrieb mit seiner Familie einen Bauernhof in der Nähe, der wegen seines Hofladens weithin bekannt war. Denn neben Eiern, Fleisch und Wurst gab es dort auch immer ein Tagesgericht zum Mitnehmen, das es Maggies Meinung nach mit jeder Sterneküche aufnehmen konnte.

Colette schnappte sich das Essen, um es etwas aufzuwärmen. Nachdenklich blickte Maggie ihr nach. Wie immer trug sie einen wadenlangen Faltenrock, der beim Laufen um ihre Beine tanzte, und ein süßes Twinset dazu. Diese Art von Kleidungsstücken hatte Colette in nahezu jeder Farbe, und sie wurde nicht müde, sie möglichst bunt miteinander zu kombinieren. Zusammen mit ihrem kurzen schwarzen Haar, das völlig ohne Aufwand immer so aussah, als hätte sie es sorgfältig in Wasserlocken gelegt, wirkte sie trotz ihrer einundvierzig Jahre mädchenhaft.

Während das Rauschen der Mikrowelle aus der kleinen Küche nebenan drang, kam sie mit Wasser und einer bereits entkorkten Flasche Rotwein zurück. Im Gegensatz zu den Begrüßungsküsschen war die Ansicht, dass Rotwein zu jeder Tageszeit passte, eines der Dinge in Frankreich gewesen, an die Maggie sich schnell und gerne gewöhnt hatte.

»Setz dich, du siehst mitgenommen aus«, meinte Colette, während sie einschenkte.

Maggie ließ sich auf einen der beiden Holzstühle fallen. »Das bin ich auch«, murmelte sie.

Das Piepen der Mikrowelle rief Colette zurück in die Küche.

Wenig später kam sie mit zwei dampfenden Tellern zurück an den Tisch. Der Duft von Ferdinandes Cassoulet stieg Maggie sogleich angenehm in die Nase.

Colette stellte die Teller ab, zog die Ofenhandschuhe aus und setzte sich zu ihr. »Was ist los?«, fragte sie schließlich und schob sich genüsslich eine Gabel weißer Bohnen in den Mund.

»Es ist etwas Schreckliches passiert.« Maggie nahm einen großen Schluck Wein, als müsse sie sich Mut antrinken, um von Degranges Besuch zu erzählen. Dabei hatte sie das dringende Bedürfnis, darüber zu sprechen, und ihre Freundin Colette war die Einzige, der sie anvertraut hatte, dass es mit ihren Wahrsagekünsten nicht weit her war. »Gestern war ein Mann bei mir in der Stube. Degrange – sagt dir das zufällig irgendwas?«

Colette runzelte nachdenklich die Stirn. »Ich war mit einem Degrange in der Schule, aber den wirst du wahrscheinlich nicht meinen. Der war so unscheinbar, ich glaube nicht, dass der dich so aus dem Konzept gebracht hätte.«

Maggie winkte ab. Sie konnte Colette nicht verübeln, dass sie von einem missglückten Flirtversuch oder Ähnlichem ausging. Schließlich war ihr Liebesleben seit der Trennung von Raphaël eine Aneinanderreihung von humoristischen Kurzgeschichten. »Er ist Privatdetektiv.«

»Ui, spannend. Mal was anderes. Aber wo liegt das Problem?«

»Er will, dass ich ihm mit Wahrsagerei bei der Lösung eines Vermisstenfalls helfe.«

Colette hielt mitten in der Bewegung inne, die Gabel auf halbem Weg zwischen Teller und Mund, und schaute sie mit großen Augen an. Anscheinend schien ihr die Tragweite der Situation sofort klar zu sein, was Maggie gleichzeitig beruhigte und ängstigte.

»Du hast ihn doch hoffentlich zum Teufel geschickt, oder?« Der Blick aus Colettes hellblauen Augen bohrte sich in Maggies Kopf.

Maggie wich ihrem Blick aus und stocherte in ihrem Cassoulet herum.

»Maggie! Bist du von allen guten Geistern verlassen? Du wirst auffliegen!«

»Ich weiß, aber was hätte ich denn tun sollen?«

»Na, absagen natürlich!«

»Du redest leicht! Er hat mich so hoffnungsvoll angesehen …«

Colette schnaubte halb belustigt, halb verärgert, was Maggies Gefühlslage nicht gerade besser machte.

»Er meinte, diese arme vermisste Adèle würde mich brauchen.«

Colette beugte sich vor und sah sie eindringlich an. »Was diese Frau womöglich braucht, ist die Polizei oder im schlechtesten Fall einen Bestatter. Oder von mir aus kann ja vielleicht wirklich eine Wahrsagerin helfen, sie zu finden, aber Maggie, wir beide wissen, dass du nichts von alldem bist.«

»Genau das ist ja das Problem!«, rief Maggie hilflos und schob den Teller von sich.

Colette betrachtete sie einen Moment lang mitleidig. Maggie spürte ihren Blick förmlich auf ihren Wangen.

Dann schob die Freundin ihr den Teller wieder zu. »Der Cassoulet ist köstlich.« Sie hatte nun einen versöhnlichen Tonfall angeschlagen. Das war typisch für sie. Sie regte sich schnell auf und meistens ebenso schnell wieder ab. Genau diese unverblümte und direkte Art schätzte Maggie so an ihr. Doch heute schmerzten ihre Worte, wusste Maggie doch genau, dass Colette Recht und sie Mist gebaut hatte. Missmutig widmete sie sich wieder ihrem Cassoulet.

Die beiden aßen still, und nach einiger Zeit schenkte Colette noch einmal Rotwein nach. Als sie ihren Teller geleert hatte, seufzte sie zufrieden und tätschelte sich den nicht vorhandenen Bauch. Als Maggie ebenfalls fertig war und das Besteck beiseitelegte, griff Colette über den Tisch und drückte ihre Hand. »Wir kriegen das schon hin.«

Es war im Grunde nur eine Floskel, und doch beruhigte sie Maggie ein wenig. »Ich hoffe es.«

»Naja, es bleibt dir ja schließlich nichts anderes übrig.« Colette lachte laut auf.

Maggie verzog das Gesicht zu einem freudlosen Lächeln.

»Erzähl mir genauer, worum es geht. Dieser Degrange wurde beauftragt, eine vermisste Frau zu finden?«

»Ja, von ihrem Ehemann. Er macht sich wohl große Sorgen um sie, und weder die Polizei noch der Detektiv kommen in dieser Sache weiter.«

»Wenn die Ermittlungen stagnieren, kannst du den Fall sowieso nur zum Positiven beeinflussen«, kommentierte Colette pragmatisch.

»Das schon, aber wie du schon sagtest, ich könnte auffliegen und meinen Job verlieren. Und wenn meine Kundschaft dann auch noch Wind von der Sache bekommt, wollen sie womöglich ihr Geld zurück oder zeigen mich sogar wegen Betrugs an.«

Colette legte den Kopf schief und überlegte. »Ja, das war mein erster Gedanke, aber wenn ich es mir genau überlege, glaube ich das gar nicht. Eine Betrugsabsicht kann man dir schließlich nicht so einfach nachweisen. Du könntest auch einfach eine Wahrsagerin sein, die an ihre Fähigkeiten glaubt, aber eben ziemlich schlecht ist.«

»Na, wunderbar. Am Ende habe ich also die Wahl zwischen Betrug und Unfähigkeit.« Das Schlimmste daran, das offen auszusprechen, war, dass es wahr war.

»Vielleicht ist dieses Dilemma eine Chance für dich.«

»Wie meinst du das?«

»Nun ja, ich sage dir ja schon seit einiger Zeit, dass du dir einen anderen Job suchen solltest, einen, der deinen Fähigkeiten besser entspricht.«

Maggie schluckte. Ein Job, der den eigenen Fähigkeiten entsprach, das war durchaus eine verlockende Vorstellung. Dumm nur, wenn man wenig tolle Fähigkeiten hatte.

Kapitel 4

Maggie blieb nicht viel Zeit, um zu bangen und sich zu überlegen, unter welchem Vorwand sie sich vielleicht doch noch aus der Affäre ziehen könnte, denn vier Stunden später saß sie auf Degranges Beifahrersitz. Der hatte ein Treffen mit seinem Auftraggeber vereinbart, damit dieser einerseits seine neue Ermittlungspartnerin kennenlernen konnte und andererseits sich Maggie so ein besseres Bild von der Vermissten machen könnte.

Maggie hatte für das Treffen luftige Leinenkleidung in Braun und Beige ausgewählt und sich passend zu den Erdtönen ein terrakottafarbenes Tuch um den Kopf gebunden. Es ergab einen hübschen Kontrast zu ihren blonden Locken. Auf ihre großen Creolen und den schwarzen Lidstrich verzichtete sie auch diesmal nicht. Das war eine Art Berufskleidung für sie, und heute war es ihr wichtiger denn je, wie eine Wahrsagerin auszusehen, sich eine Fassade aufzubauen, hinter der sie sich verstecken konnte.

Zumindest auf Degrange schien ihr Outfit Eindruck zu machen. Er deutete bei seiner Begrüßung gar eine kleine Verbeugung an und hielt ihr ganz gentlemanlike die Autotür auf. Meine Güte, Maggie konnte sich nicht erinnern, wann ein Mann sie einmal derart hofiert hätte.

»Ich bin froh, Sie in dieser Angelegenheit nun an meiner Seite zu wissen, Madame Bonheur«, sagte Degrange, während er seinen taubenblauen Citroën aus den engen Gassen von Roussillon hinaussteuerte.

Die Gewissheit, dass schon bald das böse Erwachen für den armen Mann kommen würde, schmeckte bitter auf Maggies Zunge. Er setzte so große Hoffnungen in sie, dass ihr beinahe schlecht wurde. Sie fühlte sich unbehaglich auf dem imaginären Podest, auf das er sie stellte. »Bitte nennen Sie mich Maggie.«

»Sehr gerne, Maggie. Mein Name ist Xavier.« Wie viele Franzosen sprach er ihren Namen aus, als wäre sie eine Flasche Flüssigwürze.

Die Frühlingssonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel, während sie an Weinfeldern und Olivenhainen vorbeifuhren. Bald passierten sie die Point Julien. Die von den alten Römern erbaute Steinbogenbrücke spannte sich im Abendlicht über ein malerisches Flüsschen. Die Provence zeigte sich wieder einmal von ihrer schönsten Seite.

Maggie schloss die Augen und lehnte sich zurück. Schweigend fuhren sie Richtung Süden. Ob Xavier Degrange ihre Körperhaltung so interpretiert hatte, dass sie etwas Ruhe wollte und nicht in der Stimmung wäre für eine Unterhaltung, oder ob er selbst seinen Gedanken nachhing, wusste sie nicht. Jedenfalls wagte sie es nicht, sich zu rühren oder die Augen zu öffnen. Sie würde sich noch früh genug seinen Fragen stellen müssen.

Erst als sie bemerkte, dass sie durch das beständige Schunkeln des Wagens eingedöst war, richtete sie sich auf und blickte aus dem Fenster, um sich zu orientieren.

»Wir sind gleich da«, sagte Degrange. Anscheinend hatte sie eine ganze Weile geschlummert, denn sie erkannte, dass sie das Randgebiet von Cassis bereits erreicht hatten. Bäume und Sträucher großer Gärten säumten die Straße zu beiden Seiten und wurden lediglich von Einfahrten unterbrochen. Rechts tauchte ein bebauter Hügel auf. Die Fensterläden der mediterranen beigen Häuser waren vom selben Blau wie der Himmel.

Maggie straffte sich. Cassis war eine ihrer Lieblingsstädte. Ihr heimlicher Traum war es, eines Tages hierher zu ziehen und den Reichen und Schönen aus den manikürten Händen zu lesen. Sie warf einen unauffälligen Seitenblick auf Degrange. Sie war so damit beschäftigt gewesen, sich Sorgen zu machen, dass sie gar nicht auf die Idee gekommen war, dass diese Zusammenarbeit auch eine Chance sein könnte.

»Wo wohnen Sie eigentlich?«

Degrange zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Ich bin ein Reisender, wissen Sie. Ich bin immer dort, wo meine Ermittlungen mich hinführen.«

»Haben Sie denn kein Büro?« Maggie biss sich auf die Lippe. Doch erleichtert merkte sie, dass Degrange gar nicht daran dachte, sich auf den Schlips getreten zu fühlen.

»Alles, was ich für meine Ermittlungen brauche, passt in diesen Koffer.« Er nickte nach hinten, wo ein kleiner Trolley auf der Rückbank lag. »Ursprünglich stamme ich aus Avignon. Eine sehr schöne Stadt, aber ich bin lieber in der Natur. Ich liebe Weinberge und das Meer, also sollte ich jemals sesshaft werden, dann wohl in einem Gut oder Strandhaus.« Er wandte kurz den Blick von der Straße ab und lächelte sie verschmitzt an.

Maggie musterte ihn mit neuem Interesse. Sie hatte immer geglaubt, Privatdetektive würden in einem dunklen Büro sitzen und zu viel rauchen, bis endlich ein Klient vorbeikam. Degrange schien das völlige Gegenteil ihrer verstaubten Vorstellung zu sein. »Und wo haben Sie heute Nacht geschlafen?«

Degrange lachte auf. Es amüsierte ihn offensichtlich, dass sein Lebensstil sie irritierte. »In Roussillon.«

»Tatsächlich?«

»Ja, ich habe gestern dort in einem Gasthaus eingecheckt. Ich war Ihnen also heute Nacht näher als Sie dachten.« Wieder dieses verschmitzte Lächeln.

Maggie war versucht, es zu erwidern, doch dann wandte sie sich ab und blickte aus dem Fenster. Flirtete Degrange mit ihr oder hatte er ihr gerade sehr charmant unter die Nase gerieben, dass sie für eine Wahrsagerin erstaunlich wenig wusste?

Ehe sie sich weiter darüber Gedanken machen konnte, bog Degrange ab. Ohne, dass sie irgendwo klingeln mussten, öffnete sich ein schmiedeeisernes Tor, und sie fuhren einen leicht ansteigenden Weg hinauf. In weitem Bogen landeten sie vor einer Villa. Sie hatte eine rosafarbene Fassade mit weißen Faschen um die großen Fenster. Mehrere Balkönchen und Stuckleisten trieben das Ensemble an die Grenze des Kitschs. Der Eigentümer war augenscheinlich Fan der Villa Ephrussi de Rothschild. Zwar waren sie in Cassis und nicht Nizza, und in dieser Lage war anzunehmen, dass das Gebäude neu und nicht historisch war, doch inmitten der gepflegten Parkanlage versprühte es trotzdem einen Hauch von Renaissance-Schick und Pomp. Maggie konnte ihre Überraschung nicht verbergen.

»Hatte ich erwähnt, dass es ein äußerst lukrativer Auftrag ist?«, sagte Degrange schmunzelnd.

Maggie nickte verstehend und ließ ihren Blick über die rosa Fassade schweifen. Über Geschmack und Farben konnte man nicht streiten, wie die scholastische Philosophie bereits proklamiert hatte. So oder so, Charles Josserand war augenscheinlich wohlhabend genug, um ein ganzes Bataillon an Privatdetektiven anzuheuern.