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Die nahezu täglichen medialen Auseinandersetzungen mit der Geschlechterthematik führten mich zu dem Thema. Ich begann, die Debatten zu verfolgen und meine persönliche Ansicht dazu parallel zu reflektieren. Hinzu kam meine fast dreißigjährige Tätigkeit als Grundschullehrerin, in der ich zahlreiche Beobachtungen und Erfahrungen in Bezug auf geschlechtsspezifisches Verhalten sammeln konnte, die häufig konträr zu angeblich wissenschaftlichen Forschungsergebnissen standen. Ein Blick in die Geschichte der Geschlechterrollen erweiterte die Komplexität der Geschlechterpositionen ebenso wie die Einsicht in verschiedene Bücher zur Thematik. Dazu kam meine individuelle Biografie als Mädchen/Frau, zu deren Entstehen ich nach kausalen Zusammenhängen fragte. Aus diesen verschiedenen Perspektiven entstand mein Manuskript. Es gliedert sich in einen subjektiven biografischen Darstellungs- und Erfahrungsbericht im ersten Teil des Manuskriptes und einen gesellschaftlichen Deutungs- bzw. Untersuchungsansatz im zweiten Teil, in dem ich fachwissenschaftliche, geschichtliche, literarische, psychologische Aspekte aufgreife.
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Seitenzahl: 193
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Sylvia Rosenkranz-Hirschhäuser
Mädchen oder Junge? Das Geschlechterlabyrinth
Ein subjektiver Erfahrungsbericht
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Anstelle einer Einleitung
Vorworte
Teil I Ich bin ein Mädchen
Exkurs in die Zeitgeschichte
Exkurs II
Exkurs III
Exkurs IV
Teil II
Medienlabyrinth
Geschichtlich-gesellschaftlich-literarischer Exkurs
Bücherlabyrinth
Sprachlabyrinth - Geschlechtsbeschreibungen
Labyrinth der Positionen
Suche nach dem Labyrinthausgang - Resümee - Fazit
Mein persönliches (Frauen-) Nachwort
Impressum neobooks
Frauenquote für Päpste!
Männerquote für Hebammen!
Frauenquote für Kranführer!
Männerquote für Zahnarzthelferinnen!
Frauenquote für Türsteher!
Männerquote für Tagesmütter!
Frauenquote für Baggerführer!
Männerquote für Kosmetikerinnen!
Frauenquote für Waldarbeiter!
Im weitesten Sinne von der Infragestellung dieser Sätze handelt das Buch.
Ein Buch über Geschlechtsfragen – Junge oder Mädchen – Mann gegen Frau –
erweckt
schlechtestenfalls Gähnen – nein bitte nicht noch eines
bestenfalls Hoffnung – die möglicherweise enttäuscht werden wird
eher Achselzucken – was soll dazu noch zu sagen sein?
Vorwort 1
Das Buch entsteht während der Fußballfrauenweltmeisterschaft.
Die Frauen stürmen, dribbeln, grätschen, foulen, siegen………
Ein Frauensport? Warum nicht!....(.Sendung hart aber fair mit Hajo Schuhmacher, Töpperwien, Uli Stein, Bärbel Wohlleben….am 6.07.11)
Vorwort 2
Während ich diese Zeilen schreibe, wünsche ich mir einen Mann ins Haus, einen richtig großen, starken zum Anpacken, einen der zupacken kann, einen durch und durch praktischen typischen Mann.
Gerade komme ich aus meinem Garten, habe mit dem Spaten in Wurzelboden gestochen, in tiefe, feste verwurzelte Erde, die kaum zu durchdringen ist. Dazu braucht es Kraft, Männerkraft. Ich fühle mich überfordert, möchte delegieren, nicht mehr alles mit Frauenhand und Frauenkraft machen müssen. Ich habe ausgepowert. Genug Frauenpower gezeigt. Über Jahre. Fast Jahrzehnte.
Morgen steht Rasen mähen an, ein Hangrasen, rauf, runter, runter, rauf. Auch auf dem Rasen habe ich gezeigt, was ich als Frau kann, jahrein, jahraus, immer gezeigt, mir und jedem anderen, der es sehen oder hören oder wissen wollte.
Nun reicht’s. Ich möchte, dass ein Mann meine Gartenarbeit übernimmt, das Äste schneiden, Bäume fällen, Abfall schleppen.
Vorwort 3
Vor wenigen Wochen titelte die Frankfurter Rundschau den Vorschlag Merkels, Niedersachsens Landeschef Wulf zum Präsidentschaftskandidaten zu machen mit dem Ausruf: Es ist ein Junge!
Vorwort 4
Auf der Nachhausefahrt sitze ich in der S-Bahn und höre von zwei etwa elf- bis zwölfjährigen Jungen folgendes Gespräch:
‚Weißt du, das Leben mit Bruder und Schwester ist ganz anders als nur mit Bruder.’-
‚Ich weiß das, mit Schwester regelt man alles mit Reden – mit Bruder mit Kloppen.’
Vorwort 5
Das Thema ist so alt wie die Menschheit.
‚Ist es ein Junge oder ein Mädchen?’- die erste Frage nach einer Geburt.
Einerseits die unwichtigste, die gestellt werden kann, die Frage ‚Ist es gesund?’ ist zweifelsfrei die wichtigste, dennoch folgt diese Frage fast immer an zweiter Stelle.
Andererseits ist es aber auch sehr entscheidend, ob ich als Mädchen oder als Junge, als Frau oder als Mann durchs Leben gehe.
Das Thema ist heikel.
Es hat eine unendlich lange wechselhafte Geschichte.
In unzähligen Büchern wurde und wird über das Verhältnis ‚Mann-Frau’ geschrieben und immer wieder anders und/oder neu oder auch immer wieder die gleiche Frage nach der Unterschiedlichkeit und dem Warum.
Das Thema ist gesellschaftspolitisch brisant und interessant, denn es polarisiert, ist in seiner Bewertung subjektiv und wird in seiner Objektivierung aus subjektiven Quellen gespeist.
Die Thematik der Geschlechtsspezifigkeit umfasst eine ähnliche Spannbreite der Beurteilungen wie die Frage nach der Intelligenz: ist sie zu nahezu 100 Prozent genetisch oder ist sie zu nahezu 100 Prozent von sozio-kulturellen Faktoren abhängig? Wie ist sie zu beeinflussen?
Meinungen, Einschätzungen, Untersuchungen, Studien verändern sich im Laufe der Jahrzehnte, je nach sozial- und kulturpolitischem Mainstream und gesellschaftspolitischem Avantgarde-Denken. Gab es in den sechziger-siebziger Jahren die vorrangige Meinung (natürlich mit wissenschaftlichen Belegstudien), Intelligenz sei zu 90 Prozent erziehungs- und herkunftsbedingt, bildungsabhängig und beeinflussbar, so änderte sich in den folgenden Jahrzehnten (mit natürlich ebenso belegbaren Studien) die Wertigkeit um riesige Prozentzahlen bis zu der These, Intelligenz sei zu etwa 10 Prozent genetisch. Im Zwischenfeld tummelten sich munter Behauptungen und Vermutungen und heute ist wohl die vorrangige These akzeptiert, dass Genetik und soziale Umwelteinflüsse sich die Waage halten. An Beweisbarkeit wird es allerdings allen Untersuchungen weiterhin mangeln.
Einem vergleichbaren Wandel und Wechsel an Behauptungen und Beurteilungen ist die Geschlechterfrage unterworfen.
Was ist an Jungen-/Männerverhalten und entsprechend Mädchen-/Frauenverhalten genetisch und was ist durch Erziehung und Umwelt erworben bzw. kann durch Erziehung beeinflusst und verändert werden? Zahllose Texte kursieren in diversen Fachbüchern diverser Fakultäten.
Eines Beweises wird die Wissenschaft auch hier schuldig bleiben.
Ich behaupte, die Position zu der gestellten Frage hängt von der eigenen Biographie, vielen individuell erlebten Erfahrungen und geschlechtsunabhängiger psychischer Konstitution ab. Unbewusst fließen so geprägte unterschiedliche Faktoren in Wertungen ein.
Meine persönliche Beschäftigung mit der Thematik fußt auf zunächst nicht definierbarem Interesse, das ich lange Zeit immer wieder in mir spüre und einer Unmutsreaktion, wenn ich auf pauschale Polarisierungen zu der Geschlechterrolle in Wort und Bild treffe.
Das Thema begleitet mich durch mein Leben, es umkreist mich immer wieder, lässt mich Kopf schütteln, lachen, wütend werden, ungläubig staunen, lässt mich nachdenklich werden, es ist so umfassend und in so vielen Bereichen implizit enthalten, wenn nicht direkt, so zumindest indirekt, dass ich täglich darauf stoße: zu Hause, im Beruf, in den Medien, in unserer Gesellschaft, eben überall.
Heute lese ich gerade wieder unsägliche Artikel zum ‚girls day’, für mich Anlass, die ersten Zeilen dieses Buches zu schreiben.
Die kaum überschaubare Textflut in Wort und Schrift, in der Junge oder Mädchen, Frau oder Mann inhaltlich thematisiert werden, macht es schwer einen roten Faden an konzeptionellem Vorgehen zu legen.
Ob in Psychologie, Pädagogik, Soziologie, die Geschlechterrollen haben in jeder Wissenschaft ihren Stellenwert, die Reihe ließe sich fortsetzen: Biologie (logisch), Medizin, Religion (Adam und Eva), Germanistik (Grammatik: der, die, das!), Geschichte (die großen Kaiserinnen und Königinnen, die blutrünstigen Herrscher!), Politik (auch die aktuelle Situation: erste Kanzlerin)
In diesem Wirrwarr der Thematik und der daraus folgenden Schwierigkeit des Herausgreifens der wichtigen, aussagekräftigsten Kernpunkte, habe ich mich entschlossen, ein subjektives Buch zu schreiben.
Ich schreibe meine eigene Jungen-Mädchen Geschichte und meine ganz persönlichen Gedanken dazu auf, ich trage so etwas wie Puzzleteile zu einem Ganzen zusammen.
Das Ganze wäre dann ein gesellschaftlicher Komplex, in dem die Mädchen-Jungen-Frau-Mann Problematik sichtbar, fühlbar und spürbar würde.
Ich unternehme eine chronologische Mädchen-Jungenreise, gelange über persönliche Erlebnisse und Erfahrungen zu Ansichten und Meinungen und stelle diese zur Diskussion.
Jede Leserin, jeder Leser kann darin sich selbst suchen und vielleicht auch finden.
Sollte Provokantes zwischen den Zeilen zu lesen sein, wäre es entweder Absicht von mir oder entstünde aus der jeweiligen subjektiven Perspektive der Leserin, des Lesers.
Im Grunde wäre genau dieses Empfinden eine meiner hypothetischen Behauptungen:
Die individuelle Sozialisation mit ihren eigenen Prägungen entscheidet über die persönlich erlebte Geschlechterrolle. Wie ich mich als Mädchen, als Frau oder eben umgekehrt als Junge, als Mann sehe, erlebe, empfinde, ob unterlegen, überlegen, devot, in Konkurrenz zum anderen Geschlecht, hängt von vielfältigen Faktoren ab, die in der Summe die lebenslange gesellschaftliche Position ergeben.
Meine persönliche Entwicklung in meine Rolle als Frau
Mein erster Kontakt mit dem Thema fand in meiner frühesten Kindheit statt, im Grunde vor meiner Geburt.
Irgendwann hörte ich damals meine Mutter zu einer anderen Frau sagen:
Ich wollte kein drittes Kind mehr, weil ich Angst hatte, es wird wieder ein Mädchen.
Als ich diese Worte hörte, erschrak ich.
Mein Vater war Unternehmer, führte eine Fabrik und wünschte sich einen ‚Nachfolger’.
Unausgesprochen stand der Wunsch nach einem ‚Stammhalter’ für Name und Firma jahrelang im Raum.
Ein Jahr nach meiner Geburt kam meine Schwester zur Welt. Wieder ein Mädchen.
Ich bin gerne Frau und froh darüber, eine zu sein. Ich wollte als Kind immer Mädchen sein und vermisste nichts. Das würde ich auch im Rückblick heute noch gleichermaßen behaupten. Dennoch gibt es eine andere Erinnerung, die fest in mir verankert ist, deren Gefühl ich jederzeit wieder aufleben lassen kann, von dem ich heute noch nicht sagen kann, woher es rührt .
Innerlich wünschte ich mir jahrelang einen ‚großen Bruder’. Diesem starken kontinuierlichen Bedürfnis forschte ich nach, was bedeutete es für mich und warum hegte ich diesen Wunsch und kam erst sehr spät davon ab?
Es muss mit einer omnipotenten Männlichkeitsvorstellung zu tun gehabt haben.
Von einem großen Bruder kann ich viel lernen, dachte ich, er kann so viel, was ich nicht kann. Ich würde zu ihm aufschauen, ihn bewundern und er würde mir helfen können. Solche oder ähnliche gedankliche Phantasien müssen mich als Kind bewegt haben, einen Bruder zu idealisieren. Es entsprang einem Anlehnungsbedürfnis, einem Wunsch nach Sicherheit und Aufgehobensein, das mir mein Vater nicht erfüllen konnte. ‚Mit einem großen Bruder bin ich auch groß’, so mein Allmachtsstreben.
Die Irrealität war mir nicht bewusst und auch nicht wichtig, ich trauerte einfach innerlich immer ein wenig um die nicht erlebbare Situation. Einen ‚kleineren Bruder’ zu bekommen, war mir ein völlig fremder Gedanke und damit Beweis für mich, dass die ‚Brudertheorie’ ein psychischer Stabilisierungsgrund meiner Kindheitsseele war.
Mit meiner Identität als Mädchen war ich stets zufrieden, ich benahm mich teilweise jungenhaft, trug aber gerne ‚schöne Kleidchen’ und achtete schon früh auf Geschmack und Ästhetik.
Puppen mochte ich nicht sehr, spielte nicht oft mit ihnen, spielte viel lieber mit Tieren. Ich war kein ‚richtiges’ Mädchen, aber auch kein ‚echter’ Junge.
Bei den Spielen bestimmte ich auch am liebsten und ‚kommandierte die anderen’, wie meine Mutter behauptete.
Dominanz im Umgang mit Freundinnen und Freunden wurde mir schon sehr früh nachgesagt. Ich hatte einen starken Willen, wusste ihn einzusetzen und ließ mich nur wenig beeinflussen.
Trotz meines kindlichen Bedürfnisses nach einem starken großen Bruder fühlte ich mich Jungen zu keinem Zeitpunkt unterlegen.
In der Schule hatte ich enge Freundinnen und ein gutes Verhältnis zu Jungen.
Ich war akzeptiert und ein bisschen wurde ich von manchen bewundert, weil ich als couragiert und mutig galt, was mir selbst nicht so recht bewusst war in diesem Alter.
Innerlich fühlte ich mich nicht so wie ich äußerlich wirkte.
Außerhalb der Schule verbrachte ich meine Freizeit in einer Clique, in der ich phasenweise das einzige Mädchen war und wenn nicht, wechselten die anderen Mädchen in der Form, dass sie Freundin eines Jungen aus der Clique waren oder nicht, dann verschwanden sie wieder, während ich einen festen Platz in der Gruppe hatte, weil ich lange Jahre mit einem der Gruppenmitglieder befreundet war.
Ich war gerne mit Jungen unterwegs, war für alle Aktionen zu haben und benahm mich so, dass die Jungen zwischen Bewunderung und Sympathie schwankten. Einige fanden mich wohl auch recht attraktiv, aber ich war kein Mäuschen, das sich kuschelte oder ein Mädchen mit hilfesuchendem Augenaufschlag. Heute würde vielleicht der Ausdruck passen, ich war tough.
Mein Studienfach, Veterinärmedizin, entsprach eher männlichen Ambitionen, obwohl schon zu Beginn der 70er Jahre viele Studentinnen die Fakultät mit Engagement und Erfolg besuchten. Meine Motivation zu diesem Studium war falsch interpretierte Tierliebe, sie reichte für drei Semester bis ich zur Pädagogischen Hochschule wechselte und Grundschullehrerin wurde. Nun war ich im ‚typisch’ weiblichen Studienfach angekommen. Gründe für den Wechsel lagen allerdings nicht im weiblichen Betreuungs- und Versorgungsinstinkt, sondern waren ganz pragmatischer und finanzieller Natur: ich wählte den einfachsten und schnellsten Weg, Geld zu verdienen. Dass ich damit gleichzeitig einen interessanten, herausfordernden und mich sehr zufrieden stellenden Beruf ergriffen hatte, stellte ich für mich erst Jahre später fest.
Wir lebten ein bisschen im life-style der 68-er Generation in einer Kleinstadt im ländlichen Raum, unternahmen Motorradtouren, ich als Sozia (später machte ich meinen Motorradführerschein), zelteten an Wochenenden an ruhigen Seen, später reiste ich mit meinem damaligen Partner im uralten ausgebauten Hanomag-Bus bis Asien, eine abenteuerliche Zeit, in der es gefahrvolle, ungewöhnliche Situationen zu bewältigen gab, in denen Ängstlichkeit fehl am Platze und eine robuste körperliche Konstitution gefordert war. Wir wechselten uns mit Auto fahren ab und ich steuerte den Bus durch indische Basare und an Wasserbüffeln, Rikschafahrern, Fußgängern und Kühen und Hühnern vorbei.
Wir erlebten eine Reise, die Männern wie Frauen gleichermaßen viel abverlangte.
Ich hatte mich vom Mädchen zur Frau entwickelt und genoss ich es, als Mädchen von Jungen akzeptiert und bewundert zu werden, so genoss ich als junge Frau ebenso die Anerkennung von Männern. Ich fühlte mich als Frau beachtet und geachtet und fühlte mich Männern gleichwertig. Eher hatte ich zu dieser Zeit das Empfinden, als Frau den besseren Part erwischt zu haben, im Nachhinein betrachtet aus recht banalen Gründen, die andererseits Basis positiver Lebensgefühle sein können und somit in recht simpler Form Zufriedenheit bedeuten. Ich fand es zum Beispiel schön, mich nett zu kleiden, hatte Lust und Freude an gutem Aussehen ohne einer Modepuppe zu gleichen und dachte, schade, Jungen können so etwas nicht, die interessieren sich nicht dafür.
Ich genoss es auch, einige mir unliebsame Dinge gerne Jungen zu überlassen, zum Beispiel Schränke aufbauen und Reifen wechseln.
Dass ich später, um emanzipiert zu sein, das Gegenteil beweisen wollte, nämlich: ich kann auch Reifen wechseln und Regale aufbauen, war zu meiner Jugendzeit noch nicht absehbar und diese ‚emanzipierte Einstellung’, ich muss alles können, was Jungen können, hat sich im Laufe der Jahre auch wieder verändert, und ich konnte und kann heute ausgesprochen gut beim Reifenwechseln und Schränke aufbauen zugucken und froh sein, es nicht selbst machen zu müssen. Die Ambivalenzen in meiner Haltung führten unter anderem zur vorliegenden Auseinandersetzung und Reflexion mit dem Thema.
Wenn ich die verschiedenen Gefühle, Verhaltensweisen und Handlungen, die mosaikartig in mir aneinandergereiht, eher durcheinander gewürfelt, sind, entsteht ein diffuses Bild:
Ich sollte von meinen Eltern aus Junge sein – ich bin Mädchen und fühle mich in meiner Mädchenrolle (unbewusst) wohl – ich bin als Mädchen dominant und verhalte mich nicht ‚typisch’, spiele nicht ‚nur’ Mädchenspiele (aber auch, z.B. Rollenspiele), ich spiele nicht gerne mit Puppen, ich brumme aber auch nicht gerne mit Autos herum, klettere auf Felsen, auf Bäume (aber schlecht), wünsche mir aber einen ‚großen Bruder’, der mich beschützt und den ich bewundern kann- ich achte auf ‚gutes, schickes Aussehen’, fühle mich wohl in der Rolle, von Jungen beachtet zu werden, fühle mich auch geschmeichelt, wenn sie mich für manche ‚mutige’ Tat bewundern, will ihnen aber auch in nichts zurückstehen: bei Kälte sich ins Wasser wagen, feiern bis zum Ende, kleine Illegalitäten mittragen, eben so sein wie Jungen – ich fahre auf dem Motorrad mit, aber mich interessiert kein Motor, ich zelte gerne in der Clique am Lagerfeuer und singe, aber ich baue nicht gerne ein Zelt auf, sondern schaue lieber zu. Ich helfe meiner Mutter nicht gerne in der Küche, sondern verlasse sie nach dem Essen fast fluchtartig, ich koche bis heute nicht gerne. Ich habe mich noch nie freiwillig handwerklich betätigt, meinem späteren Ehemann nur höchst ungern assistiert, habe aber Phasen durchlebt, in denen ich meinen Kindern Pullis und mir Schals strickte, nie talentiert, eher einer Modeerscheinung folgend, als Jugendliche hätte ich niemals freiwillig Stricknadeln angefasst.
Lesen ist seit meiner Kindheit eine Leidenschaft von mir, in meinem Kinder- und späteren Jugendzimmer stapelten sich die Bücher: kunterbunt in der Thematik und weder typisch jungen- noch mädchenbezogen in populärer Klassifizierung: als Kind las ich überwiegend Tierbücher (mein Lieblingstierbuch: Der schwarze Hengst Bento) und im Alter zwischen 12 und 14 Jahren sämtliche 70 Karl May-Bücher, etwa 30 ledergebunden aus der Jugendbibliothek meines Vaters, die weiteren 40 Bände ließ ich mir schenken oder kaufte sie von meinem Taschengeld, ich las auch Astrid Lindgren – Bücher und aus der Jugendzeit meiner Mutter: Der Trotzkopf, ein späteres Lieblingsbuch von mir.
Betrachte ich meine Schilderungen reflektierend, sehe ich viel stärker eine Zweiseitigkeit, eine bipolare Position im Denken, nach der ich in meiner Jugendzeit zwischen 16 und 25 Jahren zwar lebte, deren ich mir aber damals nicht bewusst war.
Seit meinem fünfzehnten Lebensjahr hatte ich ‚einen festen Freund’.
Es gab auch zwischendurch Probleme mit einem zweiten und ich war unsicher, für wen ich mich entscheiden sollte, also spielte ich auch mal Bäumchen wechsel’ dich, doch einer war immer für mich da. Bis zum heutigen Tag.
Ich erlebte in meinen Männerbeziehungen wenig Enttäuschungen, wenn, gingen Trennungen von meiner Seite aus. Unbewusst oder sogar instinktiv suchte ich mir Männer aus, die stabile Beziehungen leben konnten, zuverlässige, ‚bodenständige’, keine notorischen Fremdgänger. Ich brauchte die Stabilität, um meine fehlende Vaterbeziehung zu kompensieren. Mein Vater war eher abwesend als anwesend, dominierte meine Mutter, die nicht berufstätig war, sondern, obwohl sie Abitur und ein Semester Medizin studiert hatte, ihrer Hausfrauenrolle nachkam. Für ihre unkritische devote Haltung meinem Vater gegenüber, sie meinte, so ‚am besten mit ihm auszukommen’, verachtete ich sie fast zeitlebens. Emotional war mein Vater der schwächere, der seine Sensibilität tief zu verstecken wusste. In unserem Familienleben richteten sich aller Augen auf ihn, er nahm die Rolle des Patriarchen ein, dem aber das ‚Väterliche’ der Rolle fehlte. Vielmehr entzog er sich aller alltäglichen Verantwortung, ging in seiner Funktion als Unternehmenschef auf, bestimmte aber, wenn er sich zu Hause aufhielt des Tagesrhythmus im Hause. War er auf ‚Geschäftsreisen’, was häufig vorkam, lockerten sich Atmosphäre und Stimmung unter uns Kindern und unserer Mutter sichtlich auf.
Mein Interesse, die Aufmerksamkeit und Anteilnahme von Männern zu erhalten, wurzelt in meiner Vaterbeziehung, in der es an ebendieser Zuwendung mangelte.
Ich hatte nach außen einen starken, dank seines beruflichen Erfolges und seiner Intelligenz, seines Wissens einen geachteten und geschätzten Vater, den auch ich in diesen Bereichen bewunderte. An seiner fehlenden Empathie, seiner Anerkennung gegenüber seinen Töchtern litten meine Schwester und ich so lange ich denken kann.
Einerseits stark, andererseits schwach, ein Männerbild, das mich unbewusst in Vielem lenkte.
Es ist keine neue Erkenntnis, dass die Mann-/Fraurolle der Eltern auch die eigene Identität beeinflusst und determiniert. Seitenweise füllt dieses Thema Psychologie- und andere Bücher. Setzt der Bewusstwerdungsprozess im eigenen Ich darüber ein, werden Lebensentscheidungen klarer, Männerbeziehungen begründbarer und eventuell verändert sich mit der Erkenntnis die Handlungsfähigkeit, wenn Unzufriedenheit mit der Selbsteinschätzung einhergeht.
In mir haben sich so unterschiedliche Positionen von weiblichen und männlichen Gefühls- und Betrachtungsmöglichkeiten eingenistet, dass ich im negativen Sinne von einer Zerrissenheit sprechen könnte, im positiven Sinne von einer großen Flexibilität und Vielseitigkeit.
Eingebettet in zwei starke selbstbewusste Großmütter, die eine bereits mir 39 Jahren Witwe, die andere eine stolze, intelligente Frau, ihrem Ehemann in psychischer Stärke und individuellem Eigenleben stets überlegen, erlebte ich Vorbildcharaktere, die mich prägten; genetische Faktoren müssen in meiner rollenspezifischen Sozialisationsgeschichte und meinem Rollenverständnis als Frau dabei unberücksichtigt bleiben, da ihr Einfluss Interpretation wäre und nicht Beweis sein könnte.
Ich wuchs unter Frauen auf, einer Mutter, die sich zwar äußerlich ihrem Mann unterordnete, ich würde sogar sagen, sie ‚diente’ ihm zeitlebens, die aber in ihrem Inneren einen starken Charakter hatte, sich ihre stabile Psyche nicht von ihm zerstören ließ und nach seinem Tod eine bewundernswerte Selbständigkeit bewies; einer Schwester, der ich schon aufgrund meines Alters um ein Jahr überlegen war und den beiden Großmüttern, die mir selbständiges Denken und Handeln als Frau zur Selbstverständlichkeit werden ließen, ausgeschlossen die finanzielle Selbständigkeit, denn eine Großmutter erhielt Witwenrente und lebte mit ihrem unverheirateten Bruder in einer Art Wohngemeinschaft (eine zur damaligen Zeit höchst ungewohnte Form eines geschwisterlichen Zusammenlebens), die andere lebte in finanzieller Abhängigkeit ihres Mannes, die sich jedoch einzig und allein auf diesen Bereich beschränkte. Selbst hier demonstrierte meine Großmutter (Jahrgang 1899) Autonomie, indem sie den Schlüssel des Familienpanzerschrankes besaß und sich uneingeschränkt und unkontrolliert Zugang zu Geld verschaffen konnte und dies auch tat.
Diese biographische Geschichte bestimmte meine geschlechtsspezifische Identität.
Was wurde nun daraus?
Was dachte und tat ich und was denke und tue ich heute?
Die fünfziger und sechziger Jahre
Ich wurde Ende 1949 geboren.
Männer hatten vor noch nicht allzu langer Zeit Krieg geführt und Frauen hatten mit heroischer Kraft die Trümmerarbeit in den Nachkriegsjahren geleistet.
Die neue Bundesrepublik konstituierte sich, Gleichberechtigung per Gesetz war festgeschrieben.
Die Wirtschaftswunderzeit schuf Arbeitsplätze und in den Familien herrschte Bürgerlichkeit. Die traditionelle Rollenverteilung von Mann und Frau war in den meisten Arbeiter- und Mittelschichts-Haushalten noch selbstverständlich, Ausnahmen bestätigten die Regel, während das bäuerliche Leben auf dem Lande den Gesetzen der Gleichberechtigung allein auf Grund des notwendigen Arbeitseinsatzes folgte, wenn auch mit dem Unterschied von ‚schwerer’ und ’leichter’ Arbeit (wobei die landwirtschaftliche Arbeit eigentlich keine ‚leichte’ Arbeit kennt).
Der Begriff der ‚Doppelverdiener’ etablierte sich in den Nachkriegszeiten in Ansätzen, es mussten erst die Voraussetzungen geschaffen werden: Frauen zogen allmählich in Bildung und Ausbildung Männern gleich, doch benötigte die Entwicklung dazu Jahre, eher Jahrzehnte.
In meiner Jugend waren Mädchen auf Gymnasien und an Universitäten noch stark unterrepräsentiert. Mädchen waren nicht in allen gesellschaftlichen Kreisen, aber doch nach überwiegender Meinung zum Heiraten und Haushaltführen bestimmt und wurde eine Frau berufstätig, war sie zu Doppelbelastung gezwungen oder alleinstehend ohne Familie, die Gleichberechtigung der Männer im Haushalt lag damals noch hinter dem gedanklichen Horizont.
Die Arbeitsbelastung in Haus und Garten beanspruchte weitaus mehr Zeit als heute, denn weder die (nicht unbedingt positive) Entwicklung der Fertigprodukte, der Küchengeräte sowie der Reinigungs- und Waschprodukte war so effektiv wie heute (dafür allerdings auch weniger anspruchsvoll und leistungsoptimiert).
Im politisch-gesellschaftlichen Leben schreiben sich viele teils geachtete, teils kritisch betrachtete und dennoch aufgrund ihrer politischen Leistung geschätzte Politiker in die Geschichtsbücher. Von Adenauer über Ehrhardt, Brandt, Wehner, Strauß und viele andere ‚wichtige’ Männer in der zweiten und dritten Reihe sind die Namen der ‚großen’ Frauen in der Politik der Fünfziger und Sechziger Jahre schnell genannt, sie waren rar: die ersten Ministerinnen wurden bezeichnenderweise für das Gesundheitsministerium und das Familienministerium ernannt: Elisabeth Schwarzhaupt 1961, gefolgt von Käthe Strobel, Anke Huber und erste Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit war Marie Schlei. Ältere werden sich an diese Namen erinnern, jüngere nicht, denn es fehlt ihnen der Bekanntheitsgrad der Männer dieser Zeit. Erst 1972 wurde Annemarie Renger erste Präsidentin des Deutschen Bundestages.
Als Jugendliche erlebte ich Politik als reine Männerdomäne und Frauen wie die genannten weckten meine Bewunderung.
In meinem unmittelbaren Umfeld waren Frauen als Mutter und Hausfrau beschäftigt, sie prägten entsprechend mein damaliges Gesellschaftsbild.
Wäre ich zur gleichen Zeit in der ehemaligen DDR aufgewachsen, hätte ich andere Erinnerungen. In den neuen Bundesländern war der Anteil weiblicher Arbeitskräfte, Kindergrippen- und Hortplätzen bekanntlich um ein Vielfaches höher.
Anhand meiner individuellen Biographie im exemplarischen Erleben seien in meinem Text gesellschaftliche Entwicklungen und Tendenzen ausgezeigt, die einerseits subjektiv zu werten sind, im Kontext aber eine objektive Gültigkeit erkennbar werden lassen.
Die Jahre der 68er, die antiautoritäre Bewegung, die Rebellion der Jugend – meiner Jugend – wirft Fragen auf, konfrontiert die Generation unserer Eltern mit Abbau von Konventionen, Kritik an bürgerlichen Normen und Werten, kurz die nächsten zehn Jahre sind Umbruch und Veränderung im Familiären wie im Politischen – im sozialkritischen Jargon der Linken nicht zu trennen – denn das eine bedingt das andere, zweifelsfrei. Es ist zunächst weniger die Geschlechterfrage, das gesellschaftliche Frau-Mann-Verhältnis, das für Turbulenzen sorgt, es ist mehr das Infragestellen der elterlichen Autoritäten und der kapitalistischen Wertvorstellungen, so wird auch mit dem Aufbrechen verkrusteter Hierarchien der Grundstein zu feministischer Politik in dieser Zeit gelegt.
Die siebziger Jahre
Die gesellschaftspolitische Situation der Siebziger Jahre ist bekannt:
Die Entwicklung der sechziger Jahre manifestiert sich, Politisierung der Jugend, Infragestellung herkömmlicher Werte, Abgrenzung zur Elterngeneration, Leben neuer Gesellschaftsformen (Kommunen, Wohngemeinschaften, ‚Leben ohne Trauschein’), die Blicke kapitalismuskritischer Menschen sind auf die Welt gerichtet und kriegführende Staaten werden öffentlich kritisiert.
Die Zahl studierender Frauen nimmt zu, die Zahl ausschließlicher ‚Hausfrauen’ ab.
Die Klage über Männer, die die von Frauen geforderte Arbeitsteilung nicht als selbstverständlich erachten und sich ihr weiterhin entziehen, bleibt konstant.