Madison Sisters - Lynsay Sands - E-Book

Madison Sisters E-Book

Lynsay Sands

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Beschreibung

Turbulente Romantic History von der Meisterin des humorvollen Liebesromans


Die Madison-Sisters: Drei gewitzte Schwestern im England der Regency-Ära. Mit viel Charme und Witz erzählt Lynsay Sands, wie Christiana, Suzette und Lisa Madison der Gesellschaft ein Schnippchen schlagen und trotz aller Hindernisse die wahre Liebe finden.


Ein Earl kommt selten allein

Lady Christiana steckt in der Klemme: Dicky, ihr Scheusal von einem Gatten, ist überraschend verstorben - und das mitten in der Ballsaison. Diese müssen ihre Schwestern nutzen, um einen Ehemann zu finden, da sie durch Dickys Verschulden in Not geraten sind. Kurz entschlossen packt Christiana den Toten auf Eis und begleitet die beiden auf einen Ball. Dort trifft sie Dickys verschollenen - und ungleich liebenswürdigeren - Zwilling, der ihr Herz schon bald höher schlagen lässt. Doch da ist immer noch ihr toter Ehemann, der langsam aber sicher auftaut ...


Ein Lord mit gewissen Vorzügen

Suzette ist eine reiche Erbin auf der Suche nach einem Ehemann. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Frauen wünscht sie sich einen Mann, der selbst mittellos ist. Daniel Woodrow scheint der ideale Kandidat: Er ist gutaussehend, aus adligem Hause und ... vollkommen verarmt. Suzette ist überglücklich. Aber Daniel spielt nicht mit offenen Karten. In Wahrheit verbirgt er seinen Reichtum, weil er nicht will, dass eine Frau ihn nur seines Vermögens wegen heiratet. Doch wie lange kann er dieses Geheimnis vor Suzette bewahren?


Wie angelt man sich einen Lord

Lisa Madison weiß ganz genau, wer neben ihr am Traualtar stehen soll. Doch Robert Langley, den sie seit Kindestagen kennt, behandelt sie noch immer wie eine kleine Schwester. Erst als Lisa frustriert aufgibt und sich mit aller Entschlossenheit in den Londoner Heiratsmarkt stürzt, scheint Robert endlich zu bemerken, dass sie eine wunderschöne junge Frau geworden ist. Doch ihr Glück ist in Gefahr, denn ein unbekannter "Verehrer" scheint fest entschlossen, Lisa mit Gewalt für sich zu gewinnen ...


"Mit ihrem typischen Humor und den lebendigen Figuren hat Lynsay Sands sich eine treue Fangemeinde geschaffen." Publishers Weekly

Die drei Romane der Madison-Sisters-Reihe von Spiegel-Bestseller-Autorin Lynsay Sands endlich in einem E-Book!

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Inhalt

TitelZu diesem BuchEin Earl kommt selten allein123456789101112131415161718Ein Lord mit gewissen VorzügenProlog1234567891011121314151617Wie angelt man sich einen Lord?1234567891011121314151617181920Die AutorinDie Romane von Lynsay Sands bei LYXImpressum

LYNSAY SANDS

Madison Sisters

Ein Earl kommt selten allein

Ein Lord mit gewissen Vorzügen

Wie angelt man sich einen Lord

Zu diesem Buch

Ein Earl kommt selten allein

Lady Christiana steckt in der Klemme: Dicky, ihr Scheusal von einem Gatten, ist überraschend verstorben – und das mitten in der Ballsaison. Diese müssen ihre Schwestern nutzen, um einen Ehemann zu finden, da sie durch Dickys Verschulden in Not geraten sind. Kurz entschlossen packt Christiana den Toten auf Eis und begleitet die beiden auf einen Ball. Dort trifft sie Dickys verschollenen – und ungleich liebenswürdigeren – Zwilling, der ihr Herz schon bald höher schlagen lässt. Doch da ist immer noch ihr toter Ehemann, der langsam aber sicher auftaut …

Ein Lord mit gewissen Vorzügen

Suzette ist eine reiche Erbin auf der Suche nach einem Ehemann. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Frauen wünscht sie sich einen Mann, der selbst mittellos ist. Daniel Woodrow scheint der ideale Kandidat: Er ist gutaussehend, aus adligem Hause und … vollkommen verarmt. Suzette ist überglücklich. Aber Daniel spielt nicht mit offenen Karten. In Wahrheit verbirgt er seinen Reichtum, weil er nicht will, dass eine Frau ihn nur seines Vermögens wegen heiratet. Doch wie lange kann er dieses Geheimnis vor Suzette bewahren?

Wie angelt man sich einen Lord

Lisa Madison weiß ganz genau, wer neben ihr am Traualtar stehen soll. Doch Robert Langley, den sie seit Kindestagen kennt, behandelt sie noch immer wie eine kleine Schwester. Erst als Lisa frustriert aufgibt und sich mit aller Entschlossenheit in den Londoner Heiratsmarkt stürzt, scheint Robert endlich zu bemerken, dass sie eine wunderschöne junge Frau geworden ist. Doch ihr Glück ist in Gefahr, denn ein unbekannter »Verehrer« scheint fest entschlossen, Lisa mit Gewalt für sich zu gewinnen …

Ein Earl kommt selten allein

Ins Deutsche übertragenvon Susanne Gerold

1

»Mylady?«

Christiana lag zusammengerollt unter ihren Decken und rührte sich nicht. Sie öffnete lediglich ein Auge, um die ältere Frau anzublinzeln, die sich über sie beugte. Es war Grace, ihre Zofe. »Hm?«

»Ihre Schwestern sind da.« Diese vier Worte und die Dringlichkeit, mit der sie ausgesprochen wurden, veranlassten sie, auch das andere Auge zu öffnen.

»Was? Meine Schwestern sind in London?« Christiana drehte sich um, stieß Decken und Laken von sich und setzte sich auf. »Um diese Uhrzeit? Es muss etwas passiert sein, wenn sie mich so früh sprechen wollen.«

»Das dachte ich auch, als ich gesehen habe, wie sie aus ihrer Kutsche gestiegen sind«, stimmte Grace zu, während Christiana aufstand. »Deshalb bin ich gleich zu Ihnen gekommen. Wenn Sie sich beeilen, können Sie unten sein, bevor es Ihrem Gemahl gelingt, sie wegzuschicken.«

»Dicky würde sie nicht wegschicken«, sagte Christiana überrascht. Dann schob sie zweifelnd nach: »Oder vielleicht doch?«

»Er hat schon öfter jemanden weggeschickt.«

»Wen?« Das Nachthemd, das die Zofe ihr über den Kopf zog, dämpfte ihr Entsetzen und ihre Überraschung.

»Lady Beckett, Lady Gower, Lord Olivett und … zweimal Lord Langley.« Grace wandte sich ab und tauschte das Nachthemd gegen ein hellblaues Kleid aus, das zu Christianas Augen passte. Während sie ihr half, es anzuziehen, fügte sie hinzu: »Und ich kann Ihnen versichern, dass Lord Langley, der schon beim ersten Mal ganz und gar nicht erfreut war, beim zweiten Mal richtig außer sich vor Wut geriet.«

»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Christiana mit einem Seufzer, während das Kleid über ihren Körper glitt. Langleys Anwesen grenzte an Madison Manor – an ihr Zuhause, in dem sie ihre Kindheit verbracht hatte. Robert, der einzige Sohn und Erbe der Langleys, war mit ihr und ihren Schwestern groß geworden. Er gehörte praktisch zur Familie, war der große Bruder, den sie nie gehabt hatte. Es war nicht verwunderlich, dass es ihm nicht gefiel, wie ein unerwünschter Besucher weggeschickt zu werden. »Wieso hast du mir nichts davon gesagt?«

Grace griff nach einer Bürste und fing an, gleichmäßig durch Christianas Haare zu fahren. »Was hätte es genützt?«, fragte sie dann.

»Nichts«, gab Christiana unglücklich zu.

Ihr Gemahl hatte jedes Recht der Welt, wegzuschicken, wen auch immer er wegschicken wollte; er allein bestimmte darüber, wer das Haus betreten durfte und wer nicht. Wohingegen sie selbst in dieser Ehe überhaupt keine Rechte hatte – das hatte sie inzwischen begriffen. Sie seufzte und zog eine Grimasse, als Grace kräftig an ihren Haaren zerrte und sie zu dem festen, matronenhaften Dutt zusammenband, den Christiana seit ihrer Vermählung trug – eine Frisur, die sie verabscheute. Nicht, weil sie damit hässlich ausgesehen hätte – das war nicht einmal der Fall –, sondern weil sie Kopfschmerzen davon bekam, dass ihre Haare den ganzen Tag so straff zurückgebunden waren. Aber Dicky bestand darauf – mit der Begründung, dass ihre widerspenstige Natur auf diese Weise ein bisschen kultiviert würde.

»Was könnte meine Schwestern veranlasst haben herzukommen?«, fragte Christiana besorgt.

»Ich weiß es nicht, aber es muss wichtig sein. Sie haben keine Nachricht geschickt, dass sie in der Stadt sein werden«, stellte Grace klar, ehe sie einen Schritt zurücktrat. »So. Die Haare sind fertig.«

Christiana hatte kaum Zeit, ihre Hausschuhe anzuziehen, bevor Grace ihren Arm nahm und sie zum Gehen drängte. »Kommen Sie, wir müssen uns beeilen. Inzwischen wird Haversham Lord Radnor gefunden und hergeholt haben. Hoffen wir, dass wir schnell genug sind und Ihr Gemahl sie noch nicht weggeschickt hat.«

Christiana brummte zustimmend. Sie war vollauf damit beschäftigt, von einem Fuß auf den anderen zu hüpfen und zu versuchen, ihre Schuhe anzuziehen, ohne stehenzubleiben, während die Zofe sie zur Tür schob. Als sie den oberen Flur entlanghastete, konnte sie vom Eingang die hellen, besorgten Stimmen von Lisa und Suzette heraufdringen hören. Sie runzelte die Stirn. Es war ausgesprochen unhöflich, ihre Schwestern im Eingangsbereich warten zu lassen, statt sie in den Salon zu führen. Allerdings konnte sie Haversham deswegen keinen Vorwurf machen; der Butler führte nur die Befehle aus, die er von Dicky bezüglich des Umgangs mit Gästen erhalten hatte.

Als Nächstes erklang Dickys durchdringende Stimme, die verkündete: »Ich fürchte, meine Gemahlin schläft noch. Ihr hättet wirklich einen Boten mit einer Nachricht schicken sollen, dass ihr euch mit ihr treffen wollt. Dann hätte ich einen angemessenen Zeitpunkt für einen solchen Besuch nennen können. Nach dem momentanen Stand der Dinge müsst ihr jetzt wohl ins Stadthaus eures Vaters zurückkehren und diese Nachricht schreiben.«

»Können wir nicht einfach hochgehen und mit ihr sprechen, Dicky? Wir sind schließlich ihre Schwestern, und es ist wirklich wichtig.« Suzettes Stimme war eine Mischung aus Verzweiflung, Wut und etwas, das Schock sein mochte. Die Wut richtete sich zweifellos gegen Dickys hochtrabende Worte. Wahrscheinlich galt ihnen auch der Schock, dachte Christiana; sie wusste, dass sich der Mann, dem ihre Schwestern jetzt gegenüberstanden, gewaltig von dem unterschied, den sie bis zur Hochzeit erlebt hatten. Christiana hegte keinerlei Zweifel daran, dass sie über die Veränderung genauso verwirrt und verblüfft waren, wie sie es selbst in den ersten sechs Monaten ihrer Ehe gewesen war. Was ihr Sorgen bereitete, war allerdings die Verzweiflung, die ebenfalls mitgeschwungen hatte. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht.

»Schon gut, Gemahl. Ich bin wach«, rief Christiana, als sie die Treppe erreichte und die Stufen hinunterzugehen begann.

Dicky drehte sich um und blinzelte zu ihr hoch. Christiana konnte nicht erkennen, ob seine Wut den Worten ihrer Schwestern galt oder ihren eigenen. Dicky legte Wert darauf, dass man ihm gehorchte, und zwar unverzüglich; er würde Suzettes Beharrlichkeit ganz sicher nicht gutheißen. Allerdings wäre er auch alles andere als glücklich darüber, dass sie aufgetaucht war, bevor er Suzette und Lisa hatte wegschicken können, wie er es offenbar bereits mit anderen Besuchern getan hatte.

Christiana zwang sich zu einem beruhigenden Lächeln, während sie die letzten Stufen hinter sich brachte und zu ihm trat. Ihr Gemahl hatte ein ziemlich aufbrausendes Naturell und konnte gemeine Dinge sagen, wenn man ihn wütend machte. Sie selbst musste mit seinen Beleidigungen und Vorwürfen leben, aber es war nicht recht, dass ihre Schwestern gezwungen waren, seinen Zorn zu ertragen, der ihnen noch dazu entsetzliche Angst machte. Dabei war es weniger die Wut selbst, die Christiana so verstörte, sondern vielmehr ihr enormes Ausmaß. Dicky war ständig in einen dunklen Umhang aus Zorn gehüllt. Wenn er provoziert wurde, rötete sich sein Gesicht und verzerrte sich zu einer angespannten, grausamen Maske, und er fauchte und knurrte mit so viel Bösartigkeit, dass ihm die Speichelfäden förmlich von den Lippen flogen und sich – wie bei einem tollwütigen Hund – in den Mundwinkeln sammelten. Die Gefühle in seinem Innern ließen ihn darüber hinaus zittern, als könnte er sich kaum noch beherrschen und müsste jeden Moment explodieren. Einer solchen Explosion wollte Christiana unbedingt aus dem Weg gehen. Dicky war sehr kräftig, und sie wollte nie die Trümmer sehen müssen, die er bei einem unkontrollierten Wutausbruch zurücklassen würde.

»Guten Morgen, Dicky«, hauchte Christiana nervös, als sie zu ihm trat. Sie beugte sich vor und gab ihm einen Kuss auf die kalte, harte Wange, als wäre alles in Ordnung und sie würde nicht gerade gegen den starken Drang ankämpfen, vor der brodelnden Wut davonzulaufen, die sie in ihm aufwallen spürte.

Dicky ging mit keiner Silbe auf ihre Begrüßung ein, sondern fauchte: »Ich hatte deinen Schwestern gerade erklärt, dass es ziemlich unhöflich ist, so früh am Morgen unangemeldet hier aufzutauchen.«

»Nun, ja, wir gestehen doch aber Familienmitgliedern ein kleines bisschen mehr Spielraum zu, oder?«, fragte Christiana und zuckte zusammen, als sie merkte, wie flehentlich es sogar in ihren eigenen Ohren klang. Es war unmöglich zu überhören, dass sie ihn anbettelte, keine Szene zu machen, und an den Mienen ihrer Schwestern konnte sie nur zu gut erkennen, dass sie dies sehr wohl bemerkten – was genauso demütigend war. Noch demütigender war allerdings, dass sich Dicky entschied, ihre Bitte einfach zu überhören.

»Meine Familie würde nie uneingeladen und ohne Voranmeldung hier auftauchen«, fauchte er und lächelte ihre Schwestern verächtlich an, als wäre ihr Verhalten unter aller Kritik.

»Natürlich würde deine Familie das nicht tun. Sie sind ja alle tot«, versetzte Suzette, und Christiana starrte sie sofort alarmiert an. Dann schoss ihr Blick besorgt wieder zu Dicky, der die Luft zwischen den Zähnen einsog und sich aufplusterte.

Sie erkannte die Zeichen einer drohenden Explosion und nahm rasch seinen Arm, während sie versuchte, ihn wegzuziehen: »Wieso gehst du nicht und widmest dich deinem Frühstück, während ich mich um meine Schwestern kümmere?«

Dicky rührte sich nicht. Er stand da wie angewurzelt, ignorierte ihr Ziehen und starrte Suzette finster an, die trotzig zurückblickte.

Christiana schloss kurz die Augen und kämpfte gegen den Drang an, dem dummen Mädchen eine Ohrfeige zu geben. Oh ja, Suzette war ziemlich mutig, aber sie hatte in diesem Kampf auch wenig zu verlieren. Dicky konnte sie weder schlagen noch sonst wie bestrafen. Er würde seine Wut über Suzettes Mut an ihr auslassen … und zwar wahrscheinlich auf unterschiedliche Weise. Es würde ihm nicht reichen, ihr wegen ihrer ungebärdigen und ungehobelten Familie eine halbe Stunde lang Vorhaltungen zu machen, sie zu beschimpfen und anzuschreien. Höchstwahrscheinlich würde er außerdem behaupten, dass Suzette einen schlechten Einfluss auf sie ausübte, und ihr verbieten, sie wiederzusehen. Danach würde er weitere Bestrafungen folgen lassen – zum Beispiel würde er dafür sorgen, dass es nur noch etwas zu essen gab, das sie nicht mochte. Oder er würde sie aus dem einen oder anderen Grund frühmorgens wecken und dann entweder darauf bestehen, dass sie sich abends frühzeitig zurückzog, wenn sie es sich gerade mit einem guten Buch gemütlich gemacht hatte, oder verlangen, dass sie lange aufblieb, auch wenn sie erschöpft war.

Obwohl Dicky sie in der letzten Zeit etwas in Ruhe gelassen hatte, würde er ihr vermutlich in den nächsten Tagen seine Gesellschaft aufzwingen und sich in Schimpftiraden über alles und jeden in London ergehen, die sie ganz sicher entmutigen und niederdrücken würden. Danach würde er darauf bestehen, dass sie mit ihm das Haus verließ, um ihm bei dem einen oder anderen Einkauf zu helfen, nur um zu verkünden, wie miserabel ihre Wahl war und als Beweis ihres schlechten Geschmacks etwas ganz anderes zu nehmen. Für sich betrachtet waren das alles geringfügige Bestrafungen, aber wenn sie zusammenkamen und länger andauerten, würde sie an einem solchen Leben voller kleiner Quälereien immer mehr verzweifeln.

Und zu allem Überfluss würde Dicky alles an ihr kritisieren – wie sie aussah, was sie trug, wie sie sprach, wie sie sich benahm, wie naiv sie war, was für Freunde sie hatte oder dass sie keine hatte. Ein steter Strom von Missbilligung, der ihr langsam, aber sicher auch das letzte bisschen Selbstwertgefühl nahm, bis sie sich nur noch danach sehnte, all dem im Schlaf zu entkommen. Eine andere Rettung gab es für sie nicht. Selbstmord kam nicht infrage, ebenso wenig wie eine Scheidung.

»Wo ist euer Vater?«, bellte Dicky plötzlich und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf die aktuelle Angelegenheit. »Was ist das für ein Mann, der zulässt, dass sich zwei junge, unverheiratete Frauen ohne seine Begleitung in der Stadt herumtreiben?«

»Sie treiben sich wohl kaum in der Stadt herum, wenn sie uns besuchen«, wandte Christiana rasch ein, um zu verhindern, dass Suzette etwas sagte. »Bitte, Gemahl, dein Frühstück wird kalt. Wieso gehst du nicht …«

»Unser Frühstück«, berichtigte Dicky sie scharf und lächelte dann auf eine Weise, die sie innerlich aufseufzen ließ. Er hatte eine Möglichkeit gefunden, wie er sie bestrafen konnte. »Aber du hast recht. Es wird wirklich kalt, während wir unsere Zeit mit ungeladenen Gästen verschwenden.«

Unversehens packte er Christianas Hand und zerrte sie durch die Eingangshalle. »Führe die Schwestern meiner Frau in den Salon, Haversham. Wir werden uns ihnen später widmen, wenn wir das Frühstück eingenommen haben, für das die Köchin so hart gearbeitet hat.«

Christiana warf ihren Schwestern einen Blick zu, halb entschuldigend und halb warnend, dann stand sie schon im Frühstückszimmer, und Dicky schlug die Tür hinter ihnen zu.

»Dein Vater sollte sich schämen, dass er drei derartig widerspenstige Kreaturen aufgezogen hat«, fauchte er, während er sie zur Anrichte mit den Speisen führte. »Ein kleines bisschen Disziplin hätte irgendwann nach langer Zeit bessere Frauen aus euch allen machen können. Aber er hatte wohl selbst keine Disziplin, wie?«

Christiana schwieg. Sie nahm einfach nur einen Teller und fing an, ihn mit Speisen zu befüllen. Sie hatte schon vor langer Zeit die Erfahrung gemacht, dass seine Schimpftiraden nur noch schlimmer und länger wurden, wenn sie versuchte, mit ihm zu diskutieren. Also nahm sie sich ein Stück Toast und etwas Obst und wollte sich schon umdrehen.

»Du isst etwas Vernünftiges«, fauchte Dicky und hielt sie fest. »Gib mir deinen Teller.«

Als er ihr das China-Porzellan aus der Hand riss, biss sich Christiana auf die Zunge. Es gelang ihr gerade noch, einen aufsteigenden Seufzer zu unterdrücken, während Dicky Bohnen und Räucherfisch auf ihren Teller häufte. Sie hasste beides, Bohnen wie Räucherfisch, und das wusste er. Es schien, als hätte er bereits mit der Bestrafung begonnen.

»Da. Jetzt kannst du dich hinsetzen.«

Als sie einen Blick auf den Teller warf, den Dicky ihr unter die Nase hielt, sah sie, dass er auch noch Rührei auf die Bohnen und den Fisch gepackt hatte. Sie aß lieber gekochte Eier, nahm den Teller aber wortlos und ging zum Tisch. Dennoch wünschte sie sich ganze Zeit, dass sie den Mut hätte, ihm den Teller mitsamt Essen einfach ins Gesicht zu werfen. Unglückseligerweise tat sie nie etwas so Kühnes. Vielleicht hätte sie es getan, hätte er es gewagt, sie so zu behandeln, bevor sie geheiratet hatten, aber damals war er durch und durch charmant gewesen und hatte ihr stets Komplimente gemacht. Dieses andere Verhalten hatte erst nach der Hochzeit angefangen, und Christiana war über die plötzliche Verwandlung so verblüfft gewesen, dass sie zu langsam reagiert hatte. Sie hatte sich so benommen gefühlt, als hätte ihr jemand einen Schlag auf den Kopf versetzt. Als sie schließlich über den Schreck hinweg war und anfing, für sich einzutreten, war es zu spät gewesen; die Kritik und die Misshandlungen wirkten bereits, und statt mit ihm zu streiten, hatte sie sich dabei ertappt, wie sie sich fragte, ob das Kleid, das er kritisierte, vielleicht wirklich etwas zu tief ausgeschnitten war oder der Farbton vielleicht wirklich nicht zu ihrer Haarfarbe passte. Ihr Selbstbewusstsein war erschüttert, und je mehr Zeit vergangen war, desto schlimmer war es geworden. Inzwischen dachte sie gar nicht mehr darüber nach, dass er sich vielleicht irren könnte, sondern war nur noch bestrebt, ihn zu beruhigen und zufriedenzustellen, seine Wut zu lindern und es ihm recht zu machen, sofern das möglich war. Irgendwann war sie zu einer Sklavin geworden, die weniger Rechte besaß als die Bediensteten, die für ihn arbeiteten.

»Du isst ja gar nichts«, sagte Dicky, als er sich zu ihr an den Tisch setzte.

Christiana räusperte sich. »Ich bin nicht sehr hungrig.«

»Das ist mir egal. Du bist zu dünn. Iss«, sagte Dicky mit fester Stimme und fügte hinzu: »Deine Ernährung ist furchtbar. Du isst nicht genug Fleisch. Iss die Bohnen und den Fisch.«

Christiana neigte den Kopf und begann zu essen, wobei sie sich alle Mühe gab, nicht zu schmecken, was sie in den Mund beförderte. Das allerdings war unmöglich, und so war sie mehr als froh, als sie den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte und aufstehen konnte.

»Was tust du da?«

Christiana verharrte mitten in der Bewegung; ihr Blick schoss zu ihrem Gemahl. »Ich bin fertig, Dicky. Ich dachte, ich könnte jetzt zu meinen Schwestern gehen, um –«

»Aber ich bin noch nicht fertig.« Als er Christianas verwirrten Gesichtsausdruck sah, fauchte er: »Ist es zu viel verlangt, dass meine Frau mir beim Frühstück Gesellschaft leistet?«

Zögernd setzte sie sich wieder hin, aber in ihrem Innern erwachten Groll und Wut. Sie frühstückten nie zusammen. Vom ersten Morgen ihrer Ehe an hatte er es sich zur Angewohnheit gemacht, entweder früh aufzustehen, zu frühstücken und das Haus zu verlassen, noch bevor sie sich auch nur gerührt hatte, oder länger als sie zu schlafen und das Frühstück allein in seinem Zimmer einzunehmen. Zuerst hatte sich Christiana deshalb Sorgen gemacht, da sie dachte, ein Ehepaar sollte gemeinsam frühstücken, aber nach einer Weile war sie froh über diese Erholungspausen gewesen. Jetzt war sie einfach nur wütend auf Dicky, denn sie wusste, dass er nur deshalb nach ihrer Gesellschaft verlangte, weil es eine Möglichkeit war, ihre Schwestern noch länger warten zu lassen.

Dicky ließ sich Zeit, sein Frühstück zu beenden, aber schließlich schob er den Teller weg und stand auf. Er bestand darauf, sie zum Salon zu begleiten, und tat das in einem Tempo, in dem jede Schnecke ihn hätte überholen können. Als er endlich die Tür zum Salon öffnete, biss Christiana die Zähne zusammen.

»Chrissy!« Als Christiana eintrat, sprang Suzette vor Erleichterung auf, hielt aber unvermittelt inne, als Dicky ihr folgte. Dann sah sie mit offensichtlicher Frustration zu, wie er Christiana mit unglaublich langsamen Bewegungen zu einem Sessel führte und ihr half, sich hinzusetzen.

»Nun?« Dicky wölbte eine Braue, während er sich auf die Armlehne setzte; er überragte Christiana dabei deutlich und wirkte in dieser Haltung wie ein Raubvogel, der kurz davor war, sich auf etwas hinabzustürzen. Dann sah er ihre Schwestern mit einem Blick an, als wären sie ungezogene Kinder. »Was ist denn nun so wichtig, dass ihr zu dieser unheiligen Stunde hier aufkreuzen musstet?«

Suzettes Blick wanderte zu Christiana und dann zu Lisa, bevor sie sich zu einem kühlen Lächeln zwang und auf liebliche Weise log: »Gar nichts. Wir haben Chrissy nur schrecklich vermisst. Es ist mehr als ein Jahr her, seit ihr geheiratet habt, und obwohl du es versprochenhattest, hast du sie uns noch immer nicht zu Besuch gebracht.«

Christiana konnte spüren, wie sich Dicky versteifte, und seufzte innerlich. Noch etwas, für das sie später bestraft werden würde.

»Ich bin ein Graf, Mädchen, ein wichtiger Mann, und viel zu beschäftigt, um meine Zeit damit zu verschwenden, mich auf dem Land herumzutreiben, während hier Arbeit auf mich wartet«, sagte Dicky steif.

»Ah, nun, jetzt sehen wir uns ja«, murmelte Christiana, um ihre Schwester daran zu hindern, etwas anderes zu sagen. »Und ich bin sehr glücklich, euch zu sehen. Ihr müsst mir alles erzählen, was passiert ist, seit ich von zu Hause weggefahren bin.«

Zu ihrer großen Erleichterung verstand Suzette den Hinweis und fing sofort an, eine Geschichte nach der anderen über das Leben auf dem Landgut zu erzählen. Sie schien es regelrecht zu genießen, und ihre Augen blitzten schelmisch, als sie wiedergab, wer geheiratet hatte und wer nicht, und auf jedes Fitzelchen Klatsch aufmerksam machte, das sie gehört hatte, ganz egal, wie banal es auch sein mochte. Was Lisa anging, saß sie still daneben und betrachtete den immer ungeduldiger werdenden Dicky wachsam und besorgt, während Suzette weiterquasselte. Es war für alle eine Erleichterung, als er plötzlich aufstand und verkündete: »Ich werde euch Damen jetzt eurer Plauderei überlassen. Ich habe wichtigere Dinge zu erledigen, um die ich mich kümmern muss.«

Mit dieser gewichtigen Bemerkung verließ er sie, und zwar mit sehr viel rascheren Bewegungen, als er Christiana beim Eintreten zugestanden hatte.

»Gott sei Dank«, stöhnte Suzette, als sich die Tür hinter ihm schloss. Sofort fiel die Fassade der Fröhlichkeit und Sorglosigkeit von ihr ab. Wut zeichnete jetzt ihr Gesicht, als sie sich nach vorn beugte und fragte: »Was zum Teufel geht hier vor, Chrissy? Behandelt er dich immer so? Mein Gott, als er um dich geworben hat, war er überhaupt nicht so. Er –«

»Still«, zischte Christiana. Sie stand hastig auf, ging zur Tür und bückte sich, um durch das Schlüsselloch spähen zu können. Als sie sah, dass niemand in der Eingangshalle war, atmete sie erleichtert aus und kehrte zu ihren Schwestern zurück.

»Wie schlimm ist deine Ehe?«, fragte Suzette ruhig, während sich Christiana zwischen ihren Schwestern auf dem Sofa niederließ. »Du wirkst müde und mitgenommen. Er behandelt dich nicht gut, oder?«

»Das ist unwichtig«, sagte Christiana. Es gab nicht viele Möglichkeiten, ihre Situation zu verändern, und darüber zu sprechen würde nur dazu führen, dass ihr Elend ans Tageslicht kam. Es war leichter, wenn sie gar nicht erst darüber nachdachte. »Was ist los? Wieso seid ihr hier?«

Suzette und Lisa wechselten einen Blick, dann meldete sich Lisa zum ersten Mal zu Wort: »Vater hat wieder gespielt.«

»Was?« Christiana schnappte bestürzt nach Luft. »Aber er hat doch versprochen, es nie wieder zu tun, nachdem Dicky seine letzten Spielschulden bezahlt hat.«

So war sie in dieser Ehe gelandet. In einer einzigen denkwürdigen Nacht hatte ihr Vater die ganze Familie in Schwierigkeiten gebracht, weil er viel getrunken und noch mehr gespielt hatte. Zwar hatte er versucht, seine Schulden mit dem Verkauf von Familienerbstücken zu begleichen, aber das Geld, das er auf diese Weise zusammengekratzt hatte, hatte nicht gereicht. Als die Gläubiger schließlich an seine Tür geklopft hatten, hatte er keine Ahnung gehabt, wie er den Rest bezahlen sollte. Und dann war das Glück in Gestalt von Dicky erschienen. Er war nach Madison Manor gekommen, weil er um Christianas Hand anhalten wollte, und als er gehört hatte, in welcher Not sich ihr Vater befand, hatte er ihm angeboten, im Gegenzug die restlichen Schulden zu begleichen.

Man musste ihrem Vater zugutehalten, dass er erst in den Handel eingewilligt hatte, nachdem Dicky ihn davon überzeugt hatte, dass er Christiana wirklich liebte. Dicky hatte behauptet, sie im Sommer bei einem Volksfest gesehen und kurz mit ihr gesprochen zu haben, woran sie sich allerdings nicht erinnerte. Er hatte auch behauptet, von ihr so fasziniert gewesen zu sein, dass er begonnen hatte, mehr über sie in Erfahrung zu bringen. Und je mehr er über sie erfahren hatte, desto mehr hatte sie ihm gefallen.

Seine Worte waren ziemlich überzeugend gewesen und hatten ihren Vater beeindruckt. Aber obwohl er sich in der Klemme befunden hatte, wollte er nur seinen Segen zu dieser Verbindung geben, wenn Christiana ebenfalls einverstanden war.

Unglücklicherweise war Christiana leicht zu überreden gewesen. Dicky sah gut aus, er war vermögend und ein Earl. Jede junge Frau hätte sich geschmeichelt gefühlt, wenn ein solcher Mann ihr den Hof gemacht hätte.

Und wie er ihr den Hof gemacht hatte! Er war so liebevoll gewesen, hatte sie seine kleine Rosenknospe genannt und mit berührenden Gedichten und Beteuerungen seiner unsterblichen Liebe bezaubert. Das alles war ziemlich berauschend gewesen für eine einfache junge Frau, die bisher zurückgezogen auf dem Land gelebt hatte und deren einzige Kameraden bisher die eigenen Schwestern und ein Nachbarsjunge gewesen waren. Nicht lange, und er hatte sie vollständig für sich eingenommen. Schließlich hatte sie der Verbindung zugestimmt.

Christiana verzog das Gesicht, als sie daran dachte, wie naiv und dumm sie gewesen war. Jetzt erkannte sie, dass sie seine Absichten hätte hinterfragen und sich für ihre Entscheidung mehr Zeit ausbedingen müssen. Andererseits hatte ihr Vater die Spielschulden spätestens nach zwei Wochen begleichen müssen, und sie hatte – dumm, wie sie war – jedes Wort geglaubt, das Dicky zu ihr gesagt hatte. Sie war fest davon überzeugt gewesen, dass er sie liebte und es keinen anderen Grund für seine stürmische Werbung gab. Was hätte es schließlich auch für einen geben können? Er wusste nichts von der außerordentlich großen Mitgift, die Christiana und ihre Schwestern testamentarisch von Baron Sefton erhalten hatten, dem Vater ihrer Mutter. Es war ein Familiengeheimnis.

Als er sich nach der Hochzeit so radikal verändert hatte, hatte sie sich allerdings irgendwann gefragt, ob er vielleicht doch davon gewusst hatte und diese Mitgift der eigentliche Grund gewesen war, warum er um sie geworben hatte. Doch sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie er davon hätte erfahren können.

»Vater hat gesagt, dass er es nicht gewollt hat«, sagte Suzette unglücklich und lenkte Christianas Aufmerksamkeit wieder auf das neue Problem. »Er fühlt sich schrecklich und zerbricht sich seither den Kopf darüber, wie er seine Schulden zurückzahlen kann. Aber ihm will einfach nichts einfallen.«

Christiana verzog das Gesicht. Auch beim ersten Mal hatte er sich schrecklich gefühlt. »Wann war das? Und wie ist es passiert? Er war ja nicht einmal in London, und in der Nähe von Madison gibt es keine solchen –«

»Er war letzten Monat in London«, berichtigte Lisa sie ruhig. »Wusstest du das nicht?«

»Nein«, gab Christiana bestürzt zu. »Wieso hat er mich nicht besucht, wenn er doch hier war?«

»Aber das hat er doch getan«, versicherte Suzette ihr. »Genau genommen war das der Grund, weshalb er überhaupt nach London gereist ist. Er hat sich Sorgen gemacht, weil Dicky uns nie mit dir besucht und wir nie Antworten auf die Briefe bekommen haben, die wir dir geschickt haben.«

»Ich habe keine Briefe von euch bekommen, aber euch die ganze Zeit jede Woche geschrieben«, sagte Christiana ruhig, während sich die Wut langsam in ihren Magen hineinfraß. Dass keine Antworten auf ihre Briefe gekommen waren, hatte sie noch einsamer und niedergeschlagener gemacht. Jetzt sah es so aus, als hätte Dicky irgendwie dafür gesorgt, dass keiner ihrer Briefe das Haus verließ und sie auch keinen erhielt. Was hat dieser Mann wohl noch getan?, fragte sie sich verbittert.

»Dieser Mistkerl«, fauchte Suzette und sah aus, als wollte sie am liebsten irgendetwas zerschlagen.

»Habt ihr eben gesagt, dass Vater hier gewesen ist?«, fragte Christiana und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf das eigentliche Thema.

»Ja«, murmelte Lisa und sah die immer noch wütende Suzette besorgt an. »Dicky hat erklärt, du wärst bei der Schneiderin.«

»Davon hat er mir gar nichts gesagt«, sagte Christiana unglücklich.

»Anscheinend hat Dicky ihn sehr herzlich empfangen und dann auf einen Drink in den Club mitgenommen … und danach in eine Spielhölle«, sagte Lisa.

Christiana lehnte sich zutiefst bestürzt zurück.

»Vater hätte eigentlich vor zwei Wochen wieder nach Hause zurückkehren müssen«, fuhr Suzette mit ruhiger Stimme fort. »Als er nicht kam und wir auch keine Nachricht von ihm erhielten, haben wir uns Sorgen gemacht und beim Stadthaus nachgefragt, aber nie eine Antwort bekommen. Schließlich sind Lisa und ich zu dem Schluss gekommen, dass es am besten wäre, wenn wir nach London fahren und herausfinden, was passiert ist.«

Als sie nicht weitersprach, ergriff Lisa das Wort. »Wir sind früh am Morgen in London angekommen und sofort zum Stadthaus gefahren. Dort haben wir Vater in der Bibliothek gefunden. Er war betrunken und hat geweint.«

Christiana atmete geräuschvoll aus und fragte niedergeschlagen: »Wie schlimm ist es?«

»Schlimmer als letztes Mal«, sagte Suzette mit harter Stimme.

»Noch schlimmer?« Christiana spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich.

»Die Schulden sind diesmal niedriger«, sagte Lisa schnell. »Aber das Gut hat sich von seinem ersten Fehltritt noch längst nicht wieder erholt, deshalb gibt es weder genug Bargeld noch viel, das man verkaufen könnte. Es ist möglich, dass Vater gezwungen ist, das Gut zu verkaufen, wenn er das Geld nicht sonst irgendwie aufbringen kann.«

Christiana schnappte entsetzt nach Luft. Das war schlimmer als beim letzten Mal.

»Wenn das erst rauskommt, sind wir ruiniert«, stellte Lisa klar.

Christiana biss sich auf die Lippe; sie wusste, dass es stimmte. »Wie viel Zeit hat er, um das Geld zusammenzubekommen?«

»Zwei Wochen«, antwortete Suzette.

»Zwei Wochen?«, flüsterte Christiana bestürzt. Einen Moment lang rasten ihre Gedanken wie eine Ratte in der Speisekammer, dann straffte sie entschlossen die Schultern. »Ich rede mit Dicky. Wir werden etwas Geld von meiner Mitgift nehmen und –«

»Nein. Du hast letztes Mal gezahlt. Es wäre nicht gerecht, dass du es schon wieder tun musst«, wandte Suzette ein und fügte dann erbittert hinzu: »Abgesehen davon sieht es so aus, als wärst du immer noch dabei, für Vaters letzten Fehltritt zu bezahlen.«

Christiana machte eine wegwerfende Handbewegung; sie wusste, dass Suzette darauf anspielte, wie Dicky sie behandelt hatte. Aber darüber wollte sie jetzt nicht sprechen. »Suzette, du kannst nicht zahlen«, sagte sie stattdessen. »Du kannst deine Mitgift nicht beanspruchen, wenn du nicht vorher heiratest.«

»Stimmt«, pflichtete Suzette ihr bei. »Deshalb werde ich heiraten müssen.«

»In zwei Wochen?« Christiana schüttelte den Kopf. »Du wirst in zwei Wochen keinen geeigneten Gemahl finden.«

»Wer sagt denn, dass er geeignet sein muss?«, fragte Suzette trocken. »Dicky hat so gewirkt, als wäre er es, aber es hat sich nicht sehr gut entwickelt, oder?«

»Aber –«

»Keine Sorge, Chrissy«, unterbrach Suzette sie. »Ich habe einen Plan. Ich brauche nur ein bisschen Hilfe von dir, damit er funktioniert.«

»Was für ein Plan ist das? Und wobei soll ich dir helfen?«, fragte Christiana besorgt.

Suzette beugte sich eifrig nach vorn und nahm ihre Hände. »Es gibt immer irgendwelche Lords, die zwar Ländereien und einen Titel haben, aber gleichzeitig dringend Geld brauchen. Ich habe vor, so einen zu finden. Jemanden, der verzweifelt genug ist, um mit mir einen Handel einzugehen. Als Gegenleistung für die Heirat und den Zugang zu drei Vierteln meiner Mitgift muss er mir gestatten, über das eine Viertel selbst so zu verfügen, wie ich es möchte, und mir die Freiheit zugestehen, mein eigenes Leben zu leben.« Sie lächelte breit. »Alles, was ich von dir brauche, ist deine finanzielle Unterstützung bei unserem Debüt … sofort. Du musst uns zu Bällen und Teegesellschaften und Soirees und was es sonst noch so gibt mitnehmen, damit ich dort Männer treffen und einschätzen kann, ob sie infrage kommen. Den Rest übernehme ich.«

Christiana starrte ihre Schwester an. Der Plan klang vernünftig. Drei Viertel von Suzettes Mitgift waren immer noch ein Vermögen, und bei einem solchen Arrangement würde Suzette sicherlich glücklicher in ihrer Ehe sein als sie selbst.

Tatsächlich verspürte Christiana für einen kurzen Moment einen neidvollen Stich, weil ihre jüngere Schwester ein solches Arrangement zustande bringen könnte. Was Suzettes Bitte betraf, war es nicht zu viel verlangt, dass sie sie bei ihrem Debüt in der Gesellschaft finanziell unterstützte, und sicherlich sehr viel einfacher, als wenn sie Dicky bat, ihr Zugang zu ihrem Vermögen zu gewähren. Während er nur zu bereitwillig sein Geld mit Essen, Wein und den eigenen Vergnügungen verschwendete, verschloss sich seine Hand augenblicklich, wenn es darum ging, ihr auch nur ein kleines Taschengeld zu gewähren. Dicky schien es zu genießen, zu allem, das sie von ihm erbat, erst einmal Nein zu sagen. Daher würde es auch alles andere als leicht sein, wie Christiana beunruhigt klar wurde, ihn dazu zu bringen, ihr dabei zu helfen, ihre Schwestern in die Gesellschaft einzuführen.

»Chrissy?«, fragte Suzette besorgt. »Das kannst du doch, oder?«

Christiana richtete den Blick wieder auf ihre jüngere Schwester. Sie sah die Sorge und Verzweiflung in Suzettes Gesicht und straffte die Schultern. »Natürlich kann ich das, ich werde Dicky dazu bringen, es zu tun … irgendwie«, fügte sie etwas leiser hinzu, während sie entschlossen aufstand.

Sie würde ihn jetzt sofort damit konfrontieren, nahm sich Christiana vor, während sie durch das Zimmer schritt. Zum ersten Mal seit langer Zeit stellte sie fest, dass sie keine Angst hatte. Es lag nicht nur daran, dass sie wütend darüber war, dass Dicky ihren Vater an die Spieltische zurückgetrieben hatte. Schon allein zu wissen, dass ihre Familie versucht hatte, ihr zu schreiben, und sie gar nicht so allein hätte sein müssen, wie sie sich im vergangenen Jahr gefühlt hatte, schien ihre Lebensgeister zu wecken. Ebenso wie die kurze Zeit in der Gesellschaft ihrer Schwestern. Irgendwo in ihr erwachte die alte Christiana aus einem langen Schlaf, und sie war bereit zum Kampf.

»Was ist, wenn er Nein sagt?«, fragte Lisa besorgt, und Christiana verharrte an der Tür.

Sie wartete gerade lange genug, um ein Lächeln auf ihre Lippen zu zwingen. Dann sah sie Lisa an und sagte leichthin: »Dann werde ich ihn wohl töten müssen, oder?«

2

Eigentlich klopfte Christiana immer an, bevor sie Dickys Arbeitszimmer betrat. Diesmal allerdings war sie wütend und zu einer Auseinandersetzung bereit. Sie klopfte nicht an, sondern stieß die Tür einfach auf und trat wild entschlossen mit den Worten ein: »Wir müssen uns unterhalten, Dicky.«

Christiana fand, dass das ein ziemlich starker Anfang war. Was für ein Pech, dass Dicky nicht da war, um die Worte zu hören. Das Zimmer war leer.

Sie wollte sich gerade mit finsterem Gesicht umdrehen, um ihren Gemahl woanders zu suchen, als sie jemanden in einem der Sessel beim Kamin sitzen sah und innehielt. Es war ihr Dicky, wie sie an den dunklen Haaren erkannte, die über die Rückenlehne hinausragten. Mit mürrischer Miene wartete sie auf ein Anzeichen, dass er sie gehört hatte. Als nichts geschah, runzelte sie die Stirn noch ein bisschen mehr und trat zu ihm.

»Du wirst mich jetzt nicht ignorieren, Dicky. Ich weiß, dass du die Briefe abgefangen hast, die meine Familie mir geschrieben hat, und dass du irgendwie auch verhindert hast, dass meine Briefe sie erreicht haben. Und jetzt musste ich erfahren, dass du meinen Vater tatsächlich in eine Spielhölle mitgenommen hast? Wie konntest du das nur tun? Du weißt doch genau, was letztes Mal passiert ist! Seit unserer Hochzeit werde ich von dir äußerst schlecht behandelt, aber nie hätte ich gedacht, dass du etwas tun würdest, das derartig –« Während Christiana das Zimmer durchquerte, redete sie sich ordentlich in Rage. Als sie den Mann, den sie gerade so schalt, genauer betrachtete, verharrte sie abrupt.

Dicky saß zurückgelehnt im Sessel. Seine Augen waren geschlossen, und die Finger ruhten auf der Brust, als hätte er die Krawatte lockern wollen, wäre aber eingeschlafen, bevor er dazu gekommen war. Zweifellos war Dicky eingedöst, nachdem er in sein Arbeitszimmer gegangen war, um Suzettes Geschwätz zu entkommen, dachte Christiana grimmig.

Der Alkohol hatte wohl seinen Teil dazu beigetragen, schloss Christiana weiter, als ihr Blick auf das leere Glas fiel, das auf dem Tisch unweit einer halb leeren Flasche mit bernsteinfarbener Flüssigkeit stand. Sie erkannte die Karaffe; der Whisky darin war gut und teuer. Er trank eigentlich nur dann etwas davon, wenn es etwas zu feiern gab.

Sie fragte sich, was um alles in der Welt es zu feiern geben könnte, und beugte sich zu ihm hinunter, um ihn an der Schulter zu rütteln. »Dicky, du … Oh!« Sie schnappte nach Luft und machte einen Satz zurück, als er plötzlich vom Sessel kippte und auf dem Boden landete.

Christiana wollte sich schon bücken, um ihn aus seinem Vollrausch zu reißen, als ein Rascheln an der Tür ihre Aufmerksamkeit weckte. Suzette und Lisa waren ihr gefolgt und standen im Türrahmen.

Suzette sah hinunter auf Dicky, dann hob sie den Blick und sagte trocken: »Ich dachte, es sollte ein Scherz sein, als du gesagt hast, du würdest ihn umbringen.«

»Sehr witzig«, murmelte Christiana, die den Humor ihrer Schwester nicht besonders schätzte. »Er ist betrunken. Schließt die Tür, bevor jemand von den Bediensteten vorbeikommt und sieht, in welchem Zustand er sich befindet.«

»Trinkt er oft um diese Zeit?«, fragte Suzette und trat zu ihr, während Lisa die Tür rasch schloss.

»So früh nicht, nein«, erwiderte Christiana. »Aber er fängt gewöhnlich früher an, als er sollte, und trinkt auch mehr, als ihm guttut. Ich habe mir allmählich schon leichte Hoffnungen gemacht, dass er eines Tages – lieber früher als später – die Treppe herunterfallen und mich zur Witwe machen würde«, fügte sie trocken hinzu und zog dann eine Grimasse, denn sie wusste, wie bitter und unfreundlich dieser Gedanke war.

»Ich glaube, das hat er getan«, sagte Lisa ruhig, als sie neben Christiana trat und den auf dem Boden liegenden Dicky anstarrte. »Dich zur Witwe gemacht, meine ich. Ich glaube nicht, dass er noch atmet, Chrissy.«

Christiana blickte zweifelnd auf ihren Gemahl hinunter. Er war vornüber vom Sessel gestürzt, sodass sein Kopf jetzt auf dem Teppich vor dem Kamin lag. Es sah zwar nicht so aus, als würde sich sein Rücken bewegen oder beim Einatmen weiten, doch genau sagen ließ sich das nicht, weil er so sehr in sich zusammengesackt war.

Christiana kniete sich neben ihn und drehte ihn mit Suzettes Hilfe auf den Rücken. Einen Moment starrten sie beide nur auf seine Brust. Sie bewegte sich nicht. Christiana, die kaum glauben konnte, was sie sah, beugte sich vor und legte ihm auf der Höhe seines Herzens das Ohr an den Körper. Es war kein gleichmäßiges Klopfen zu hören – eigentlich war gar kein Klopfen zu hören.

Mit geweiteten Augen richtete sie sich wieder auf und starrte ihren Gemahl einfach nur an. Sie konnte kaum glauben, dass er tot war. Dicky war einfach nicht rücksichtsvoll genug, um etwas so Nettes zu tun.

»Er ist wirklich tot, oder?«, fragte Lisa.

Christiana warf ihrer jüngsten Schwester, die immer noch beim Sessel stand, einen Blick zu und sagte unsicher: »Es scheint so.«

»Was hat ihn wohl getötet?«, fragte Lisa mit einem Stirnrunzeln und schlug dann vor: »Es war wahrscheinlich sein Herz. Mir ist aufgefallen, dass sich sein Gesicht ziemlich gerötet hat, als Suzette mit ihm gestritten hat. Er scheint ein sehr leidenschaftlicher Mann gewesen zu sein.«

Christiana antwortete nicht; stattdessen ließ sie den Blick über den Mann schweifen, von dem sie so unbedingt hatte frei sein wollen. Sie stieß einen traurigen Seufzer aus. Als sie geheiratet hatten, hatte sie noch geglaubt, ihn zu lieben, aber während ihrer Ehe war der Mann, den sie geliebt hatte, nicht mehr da gewesen. Er hatte sich in jemand anderen verwandelt, kaum dass die Zeremonie beendet gewesen war. Dieser Mann hier hatte im letzten Jahr auch das letzte bisschen Liebe, das noch in ihr gewesen war, mit seiner Kontrollsucht und seiner ständigen Kritik erstickt. Dennoch spürte sie, wie ein Hauch Trauer in ihr aufstieg. Vermutlich galt sie dem Mann, den sie in ihm gesehen hatte, und dem Leben, auf das sie sich gefreut hatte. Trotz allem hatte sie immer noch einen letzten Rest Hoffnung gehabt, dass etwas geschehen würde, das ihn in den wunderbaren Märchenprinzen zurückverwandelte, der er gewesen war, als er um sie geworben hatte. Und dass sie doch noch bis in alle Ewigkeit mit ihm glücklich werden könnte, so wie sie es sich an ihrem Hochzeitstag erträumt hatte.

Christiana war nicht so dumm zu glauben, dass es viel Hoffnung darauf gegeben hätte, aber jetzt gab es mit absoluter Sicherheit gar keine mehr. Sie war Witwe … und hatte die Absicht, Witwe zu bleiben. Es war unvorstellbar, dass sie sich jemals wieder vertrauensvoll an einen anderen Mann binden würde, zumindest in diesem Leben. Christiana hatte ihre Lektion gelernt.

Entschlossen straffte sie die Schultern. »Ich sollte die Bediensteten jetzt wohl einen Arzt rufen lassen –«

»Nein«, unterbrach Suzette sie. »Wenn er tot ist, beginnt deine Trauerzeit. Du kannst uns dann nicht mehr bei unserem Debüt helfen. Man wird sogar erwarten, dass wir mit dir trauern, was bedeutet, dass wir absolut keine Möglichkeit haben, uns zu retten.«

Christiana begriff, dass Suzette recht hatte, und sagte hilflos: »Was können wir denn nur tun? Er ist tot.«

Suzette starrte den unglückseligen Dicky finster an, während Lisa vorschlug: »Vielleicht können wir ihn einfach in sein Bett legen und den Dienstboten sagen, dass er sich nicht wohlfühlt. Vielleicht reichen Suzie ein paar Tage, um jemanden zu finden, der verzweifelt genug ist, dass er ihr Angebot annimmt. Sobald sie sich entschieden hat und auf dem Weg nach Gretna Green ist, kannst du sagen, dass du Dicky gerade tot in seinem Bett gefunden hast.«

»Ein paar Tage reichen nicht einmal dafür, dass Suzie ihre Suche nach einem Gemahl auch nur beginnt«, gab Christiana zu bedenken.

»Doch«, entgegnete Suzette. »Heute Abend wird die Saison mit einem Ball bei Lord und Lady Landon eröffnet. Alle werden dort sein. Du und Lisa, ihr könnt mit den Frauen plaudern und versuchen herauszufinden, ob es Gerüchte über Männer gibt, die Geld brauchen. Ich kann mir dann ein Bild von diesen Männern machen und sehen, welcher von ihnen besonders verzweifelt ist und für meine Bedürfnisse geeignet sein wird.«

»Es sind alle da, die eingeladen wurden«, berichtigte Christiana ihre Schwester. »Wir sind nicht eingeladen.«

»Doch, natürlich sind wir das«, beharrte Suzette. »Lady Landon hat es uns selbst gesagt.«

»Wann sollte sie euch das gesagt haben?«, fragte Christiana argwöhnisch. »Ihr seid doch erst heute Morgen in London angekommen.«

»Wir haben Lord und Lady Landon in der letzten Schenke getroffen, in der wir auf unserem Weg nach London haltgemacht haben«, sagte Lisa und lächelte übers ganze Gesicht. »Sie waren beide sehr nett und haben sich freundlicherweise mit uns an einen Tisch gesetzt. Während unserer Unterhaltung sagte Lady Landon, dass sie dir und Dicky eine Einladung geschickt hat und diese Einladung gern auf uns beide ausdehnen würde.«

»Dicky hat nie etwas von einer Einladung zum Ball der Landons gesagt.« Christiana starrte seine Leiche an.

»Was für eine Überraschung«, sagte Suzette angewidert und betrachtete den Mann finster. Ihr Fuß machte eine scharfe Bewegung in seine Richtung, die aber nie zu Ende geführt wurde.

Christiana wölbte eine Augenbraue; sie war überzeugt, dass sich ihre Schwester gerade noch rechtzeitig daran gehindert hatte, der Leiche einen Tritt zu versetzen.

»Lady Landon hat auch erwähnt, dass die Hammonds einen Abend später ebenfalls einen Ball geben«, verkündete Lisa. »Sie sagte, es wird fürchterlich viel los sein, da alle kommen würden. Und sie wusste, dass du dazu ebenfalls eingeladen bist. Sie und Lady Hammond sind offenbar gut befreundet, und Lady Landon hat versprochen, Lady Hammond eine Nachricht zu schicken, um ihr mitzuteilen, wie entzückend wir sind, und ihr vorzuschlagen, ihre Einladung an dich ebenfalls auf uns auszudehnen.« Lisa strahlte vor Zufriedenheit. »Irgendwann auf einem dieser beiden Bälle wird Suzie wohl jemanden finden. Wir brauchen also nur zwei Nächte; danach kannst du verkünden, dass du Dicky tot im Bett gefunden hast.«

Ungläubig starrte Christiana sie an. »Aber er ist jetzt schon tot, Lisa. Nach ein paar Tagen …« Sie beendete den Satz nicht – es war einfach zu furchtbar auszusprechen, dass Dicky dann anfangen würde zu stinken.

»Wir können das Schlafzimmerfenster geöffnet lassen, damit kalte Luft hereinkommt«, schlug Suzette sofort vor. »Dadurch wird die Verwesung verlangsamt werden. Wir könnten sogar zum Eishaus gehen, um Eis zu holen, und ihn darin einpacken –«

»Gütiger Gott.« Christiana sprang entsetzt auf. »Ich kann nicht glauben, dass ihr das alles vorschlagt. Er ist ein Mensch und kein Stück Fleisch.«

»Nun, es ist ja nicht so, als wäre er ein guter Mensch gewesen«, sagte Suzette gereizt. »Nach dem bisschen, was wir heute miterlebt haben, scheint er dich abscheulich behandelt zu haben.«

»Und er ist derjenige, der Vater in die Spielhölle geschleppt hat und dafür verantwortlich ist, dass er schon wieder vor dem Ruin steht«, erklärte Lisa theatralisch.

Christiana schwieg, innerlich hin- und hergerissen. Sie starrte den Toten auf dem Boden an, betrachtete die besorgte Miene von Lisa und die verzweifelte von Suzette und ballte die Hände zu Fäusten. »Zwei Nächte«, sagte sie mit fester Stimme. »Mehr können wir nicht riskieren.«

»Zwei Nächte«, pflichtete Suzette ihr erleichtert bei.

Christiana schüttelte den Kopf. »Wir sind wahnsinnig.«

»Die wahnsinnigen Madison-Schwestern«, sagte Suzette und grinste plötzlich.

Christiana lächelte nicht; sie war zu sehr damit beschäftigt, darüber nachzudenken, wie sie ihren Gemahl in sein Schlafzimmer bringen konnten. Und dann war da noch die nicht ganz einfache Aufgabe, seinen Kammerdiener – ganz zu schweigen vom übrigen Dienstpersonal – von ihm fernzuhalten. Ein anderes Problem war, wie sie das Eis herschaffen sollten, um ihn genug zu kühlen, damit nicht schon der Gestank seinen Zustand verraten würde. Und schließlich mussten sie noch die Einladungen finden und sich in der knappen Zeit um passende Kleider kümmern.

Lieber Gott, dachte sie, das kann alles gar nicht funktionieren. Sie mussten wirklich wahnsinnig sein, dass sie es auch nur in Erwägung zogen.

»Nimm seine Füße, Lisa.«

Christiana sah ihre Schwestern an, die sich jeweils zum Kopf- und Fußende ihres Gemahls begaben. Alarmiert riss sie die Augen auf. »Was habt ihr vor?«

»Wir müssen ihn in sein Zimmer bringen«, sagte Suzette überraschend vernünftig. »Geh raus und vergewissere dich, dass niemand in der Eingangshalle ist.«

»Aber –«

»Mach schon«, brummte Suzette ungeduldig, packte Dicky an den Schultern und hob seinen schweren Körper vom Boden auf.

Christiana kniff die Augen zusammen und stemmte die Hände in die Hüften. »Pass bloß auf, Fräulein, es mag zwar sein, dass ich das ganze letzte Jahr gezwungen war, mir Dickys herrischen Ton gefallen zu lassen, aber das hat nur daran gelegen, dass er mein Gemahl war. Ich lasse mich nach seinem Tod nicht von dir herumkommandieren, als wäre ich in diesem Haus nur irgendeine Dienerin.«

Lisa hatte gerade Dickys Füße gepackt, ließ sie aber jetzt mit einem lauten Poltern wieder auf den Boden fallen. Sie trat zu Christiana und tätschelte ihr beruhigend den Arm. »Hör zu, Chrissy, ich glaube nicht, dass Suzie das ernst gemeint hat. Wir sind im Augenblick alle etwas übererregt.«

Christiana verdrehte die Augen. Lisa hatte schon immer gern Frieden gestiftet und versucht, verletzte Gefühle zu heilen und Streitigkeiten zu verhindern. Sie schüttelte den Kopf und deutete auf Dicky. Er war wirklich ziemlich groß, und er würde sich nicht so leicht oder schnell bewegen lassen. »Nun, wir können ihn nicht auf diese Weise nach oben schaffen.«

»Wie meinst du das?« Suzette ließ Dickys Oberkörper fallen.

Christiana zuckte zusammen, als sein Kopf auf das Parkett schlug, erklärte aber geduldig: »Selbst wenn jetzt niemand in der Halle ist, könnte uns jemand überraschen, wenn wir gerade dabei sind, ihn die Stufen hochzuschleppen. Was wollen wir dann sagen?«

Suzette runzelte die Stirn und musterte Dicky voller Widerwille. »Sogar tot ist der Mann noch eine Last.«

Christianas Mund zuckte erheitert, und sie wusste, es musste ein Anfall von Hysterie sein. Das hier war absolut nicht witzig.

Ihr Blick wanderte wieder über Dicky und blieb dann an dem Teppich hängen, auf dem er zur Hälfte lag. Plötzlich wusste sie, was zu tun war. »Wir werden ihn in den Teppich rollen und nach oben bringen. Auf diese Weise wird ihn niemand sehen.«

»Und wie erklären wir, wieso wir einen Teppich durch die Gegend tragen?«, fragte Suzette zweifelnd.

»Wir werden sagen, dass du hierbleiben und im Rosenzimmer schlafen wirst, Suzie, und dass es nachts dort kühl ist. Und dass wir hoffen, der Teppich wird dabei helfen, es in den paar Nächten, die du hier sein wirst, etwas wärmer wirken zu lassen«, verkündete Christiana zufrieden. Es war schön, endlich einmal vor einer Aufgabe zu stehen, die sie meistern konnte. Das war etwas ganz anderes, als ständig mit dem Kopf gegen eine Wand zu laufen und darüber nachzudenken, wie sie ihre Ehe retten konnte.

»Das könnte funktionieren«, sagte Lisa langsam.

»Das wird auch funktionieren«, pflichtete Christiana ihr bei. »Und jetzt kommt und helft mir, ihn auf den Teppich zu legen.«

Das war schnell geschehen, da sie sich gemeinsam daranmachten, ihn richtig auf den Teppich zu befördern und einzurollen.

»Und jetzt?«, fragte Suzette, während sie sich aufrichtete.

»Jetzt tragen wir ihn nach oben«, sagte Christiana entschlossen. »Suzie, nimm du das eine Ende. Lisa, du nimmst die Mitte und ich das andere Ende.« Sie kniete sich neben ihr Ende des Teppichs und wartete darauf, dass ihre Schwestern ebenfalls ihre Positionen einnahmen. »Auf drei. Eins, zwei, drei.«

Das letzte Wort war fast ein Ächzen, da Christiana gleichzeitig den Teppich fester packte und sich aus ihrer knienden Position aufrichtete, ohne die Hände zu Hilfe zu nehmen.

»Oh Gott, ist der schwer«, beklagte sich Lisa, während sie langsam zur Tür gingen.

»Das Gewicht des Teppichs macht es nicht gerade besser«, keuchte Suzette, als sie an der Tür stehenblieben.

Christiana ächzte nur zustimmend und schob ihre Hüfte seitlich etwas heraus, damit ihr Ende nicht herunterfiel, während sie rasch eine Hand ausstreckte und die Tür öffnete. Die Bewegung war sehr schnell, und trotzdem fing der Teppich an, ihr von der Hüfte zu rutschen. Sie konnte gerade noch verhindern, dass er herunterfiel. Christiana seufzte erleichtert und trat auf den Korridor hinaus, nur um abrupt stehenzubleiben, als sie sah, dass sich Haversham näherte.

Unglücklicherweise rechneten Lisa und Suzette nicht damit, dass sie stehenblieb, und hinter ihr ertönte ein leiser Fluch. Es folgte ein bisschen Gestolpere, und Christiana wäre beinahe der Teppich aus den Fingern gerutscht. Mit großer Mühe konnte sie es gerade noch verhindern. Sie drehte sich zu ihren Schwestern um und sah, dass Lisa den Teppich losgelassen hatte und er in der Mitte durchhing. Doch noch während sie hinsah, packte ihre jüngere Schwester wieder zu.

Seufzend wandte sich Christiana um und zwang sich zu einem Lächeln für Haversham, der jetzt vor ihnen stehenblieb. Eines musste man dem Mann lassen: Er war ein Butler, wie er im Buche stand. Er zuckte nicht mal mit der Wimper, als er sah, dass die drei Frauen einen schweren Teppich mit sich herumschleppten.

»Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, Mylady?«, fragte er höflich.

»Nein, nein«, sagte sie rasch. »Wir bringen nur kurz Dicky hoch, um den Teppich zu wärmen. Ich meine, wir bringen Dickys Teppich hoch, um das Zimmer wärmer zu machen«, berichtigte sie sich schnell mit erstickter Stimme und quasselte schnell weiter. Sie konnte einfach nicht gut lügen. »Ins Gästezimmer. Das Rosenzimmer, das so kühl ist. Suzie wird darin wohnen. In dem Zimmer. Und weil es dort kühl ist, wollen wir es mit dem Teppich wärmen. Dickys Zimmer ist bereits warm. Er hat Fieber. Er liegt oben in seinem Zimmer und fiebert, er wird den Teppich daher nicht vermissen, verstehen Sie«, kam sie fast verzweifelt zum Ende, ohne dass ihr der entnervte Seufzer entging, der hinter ihr ertönte. Wahrscheinlich war das Suzette, dachte sie kläglich. Es klang jedenfalls ganz wie einer ihrer unverbesserlichen »Meine-Schwester-ist-ein-echter-Tölpel«-Seufzer, unter denen sie in ihrer ganzen Jugend zu leiden gehabt hatte. Es gab doch ganz bestimmt eine Altersbegrenzung für derart unmögliche Geräusche, oder? Christiana war ziemlich fest der Meinung, dass sie nicht mehr erlaubt sein sollten, wenn jemand geheiratet hatte.

»Ich verstehe«, sagte Haversham langsam. »Möchten Sie vielleicht, dass ich ihn für Sie hochbringe?«

»Nein!« Das Wort barst förmlich aus ihrem Mund, fast wie eine Kugel aus einer Kanone. Sie zwang sich, ruhig zu bleiben, und fügte hinzu: »Sie müssen etwas anderes tun.«

Haversham nickte höflich, wartete und fragte dann: »Und das wäre?«

»Was wäre was?«, fragte Christiana unsicher.

»Dieses andere, das ich tun soll, Mylady«, erklärte Haversham geduldig. »Was wäre das?«

Er sprach so langsam, als würde er mit einem besonders dummen Kind reden, aber Christiana konnte es ihm kaum verübeln, nachdem sie sich offenbar in eine Idiotin verwandelt hatte. Sie war für solche Nacht-und-Nebel-Aktionen wirklich nicht geschaffen, entschied sie müde, während sie krampfhaft versuchte, sich irgendetwas einfallen zu lassen, um den Mann wegschicken zu können.

»Ich möchte, dass Sie jemanden von der Dienerschaft beauftragen, ein Hühnchen zu kaufen«, sagte sie schließlich.

Haversham wölbte eine Braue. »Ein Hühnchen?«

»Für Dicky. Er ist krank«, erinnerte sie ihn an den Inhalt ihrer Lüge. »Es heißt doch, dass Hühnersuppe gut bei so etwas ist.«

»Ja, das heißt es«, sagte Haversham ernst. »Soll ich vielleicht erst hochgehen und Lord Radnor fragen, ob er meine Hilfe benötigt, wenn er sich auszieht und zu Bett begibt? Ich fürchte, sein Kammerdiener ist ebenfalls nicht ganz auf dem Damm und kann ihm nicht helfen.«

»Freddy ist krank?«, fragte Christiana überrascht. Was für ein unerwartetes Glück. Damit hatte sich das Problem, wie sie den Kammerdiener von Dicky fernhalten sollten, gelöst.

»Tödlich krank. Es würde mich nicht wundern, wenn er einige Tage nicht zur Verfügung steht«, sagte der Butler ernst und fügte dann hinzu: »Ich werde natürlich in der Zwischenzeit für Freddy einspringen und meinerseits Lord Radnor zur Verfügung stehen.«

»Oh, nein«, sagte Christiana sofort. »Ich meine, mein Gemahl ist zwar krank, aber er braucht vermutlich trotzdem keine Hilfe beim Ankleiden. Er bleibt zweifellos im Bett, bis er sich wieder erholt hat. Ich bin sicher, dass er Sie nicht brauchen wird.«

»Hm.« Haversham nickte. »Dann werde ich gehen und dafür sorgen, dass jemand ein Hühnchen kauft, und überlasse die Damen wieder ihrem Vorhaben.«

»Ja, tun Sie das«, sagte Christiana erleichtert. Sie wartete, bis er durch die Küchentür verschwunden war, dann murmelte sie: »Gehen wir«, und setzte sich sofort wieder in Bewegung.

»Gott sei Dank«, keuchte Suzette, während Christiana eilig auf die Treppenstufen zuging. »Ich dachte schon, er würde nie verschwinden. Und wirklich, Chrissy, du kannst aber auch überhaupt nicht lügen.«

Christiana verzog das Gesicht, aber sie konnte es kaum abstreiten, daher ging sie einfach nur schneller, denn sie wollte die Last, die ihr toter Gemahl darstellte, endlich loswerden. Als sie schließlich die nach oben führenden Stufen erreichten, schwitzten sie und waren erschöpft, aber sie gingen weiter, ohne stehenzubleiben. Sie hatten Dickys Zimmer fast erreicht, und Christiana drückte sich den Teppich mit einer Hand gegen die Hüfte, während sie die andere nach der Türklinke ausstreckte, als sich die Tür des nebenan gelegenen Zimmers öffnete.

Sofort sah sich Christiana alarmiert um. Unglücklicherweise genügte diese leichte Bewegung, damit ihr das Bündel von der Hüfte glitt. Sie fühlte, wie es herunterrutschte und zu Boden sackte, aber diesmal war sie nicht schnell genug, um es zu verhindern. Schlimmer noch, auch Suzette und Lisa waren so überrascht, dass ihnen der Teppich ebenfalls entglitt. Er fiel der Länge nach zu Boden und entrollte sich, sodass Christianas Zofe, die im Korridor stehengeblieben war, plötzlich ein sehr toter Dicky zu Füßen lag.

Alle vier Frauen starrten auf den Toten hinunter, dann hob Grace den Blick zu Christiana und murmelte: »Haben Sie ihn endlich getötet, ja? Wurde aber auch langsam Zeit.«

3

»Ich muss sagen, Lady Radnor, auch wenn Suzette die dunklen Haare eures Vaters hat, habt ihr alle drei die Gesichtszüge eurer Mutter. Sie wäre stolz darauf, wie hübsch Sie alle geworden sind.«

»Vielen Dank, Lady Olivett«, sagte Christiana. Das dazugehörige Lächeln machte ihren Mund breit und erzeugte einen kleinen Schmerz, der sie nur noch mehr strahlen ließ. Der Schmerz rührte daher, dass sie an diesem Abend so viel gelächelt hatte – etwas, das sie im ganzen letzten Jahr nicht getan hatte. Sie genoss den Schmerz als Zeichen, dass sich die Dinge zum Besseren wendeten – und wie sehr sie sich schon geändert hatten. So gut hatte sie sich nicht mehr amüsiert, seit … nun, seit sie geheiratet hatte.

Seit ihrer Ankunft auf dem Ball der Landons hatte Christiana die letzten Stunden damit verbracht, ihre neue Freiheit zu genießen und mit den anderen verheirateten Frauen zu plaudern. Sie tat ihre Pflicht und versuchte – wie erwartet – Gerüchte über ihre jeweiligen Tanzpartner zu erhaschen, aber dennoch blieb ihr genügend Zeit, um sich zu unterhalten und zu lachen und sich zu vergnügen. Es war schön, und sie nahm sich fest vor, sich niemals wieder so sehr kontrollieren und beherrschen zu lassen, wie sie es im letzten Jahr erlebt hatte. Irgendwie verstand sie auch gar nicht mehr so richtig, dass sie es überhaupt zugelassen hatte. Wahrscheinlich lag es daran, dass niemand sie bisher so behandelt hatte und sie auch noch nie auf die Unterstützung und Liebe ihrer Familie hatte verzichten müssen. Diese Mischung hatte dafür gesorgt, dass sie sich allein und verängstigt gefühlt hatte. Aber das war endgültig vorbei; jetzt war sie eine geachtete Witwe, war wieder mit ihren Schwestern zusammen und wild entschlossen, jede Minute davon zu genießen.

»Das Musikstück ist gleich zu Ende. Wer ist Suzettes nächster Tanzpartner?«, fragte Lady Olivett neugierig.

»Danvers, glaube ich«, antwortete Christiana und lächelte ihr Gegenüber an. Lady Olivett war eine gute Freundin ihrer Mutter gewesen, als diese noch gelebt hatte, und sie hatte Christiana und ihre Schwestern gleich unter ihre Fittiche genommen, als sie in London angekommen waren, was sehr großzügig von ihr war, wenn man bedachte, wie schäbig Dicky sie behandelt hatte. Immerhin hatte er sie weggeschickt, als sie Christiana besuchen und zu sich hatte einladen wollen.

»Ja, ich glaube, das stimmt. Und da kommt er auch schon«, bemerkte Lady Olivett.

Während Christiana den Blick wieder auf ihre Schwester richtete, sprach Lady Olivett weiter: »Danvers bietet keine sehr viel bessere Perspektive als Willthrop, aber er ist immerhin jung und sieht gut aus. Allerdings steckt er in finanziellen Schwierigkeiten und ist obendrein ein Schurke, deshalb sollte man sie warnen, zu viel Interesse an ihm zu entwickeln.«

»Das werde ich tun«, versicherte Christiana ihr und suchte gleichzeitig die andere Seite der Tanzfläche ab, wo Lisa sich irgendwo inmitten einer kleinen Schar kichernder junger Frauen befand. Danvers zählte zu den Kandidaten, über die Lisa Informationen einholen sollte. Sie hatten die Namen auf Suzettes Tanzkarte aufgeteilt, und Christiana und Lisa hatten jeweils eine Hälfte übernommen. Auf diese Weise, so hofften sie, würde es nicht ganz so auffallen, dass sie auf Informationen über die Männer aus waren. Jetzt wartete sie neugierig darauf, welches der vorher verabredeten Zeichen Lisa ihr geben würde. Allerdings konnte sie ihre jüngste Schwester nirgends entdecken. Stattdessen blieb ihr Blick abrupt an einem Mann hängen, der gerade den Ballsaal betreten hatte. Nach einem Jahr Ehe hätte sie ihn überall erkannt. Es war Dicky … und zwar gesund und munter und sehr, sehr wütend.

»Lord Radnor! Ihre Frau sagte, Sie seien krank und könnten heute Abend nicht kommen. Offensichtlich haben Sie es doch noch geschafft.«

Richard Fairgrave, Earl von Radnor, blieb stehen und drehte sich um. Als er sah, dass der Mann, der sich ihm näherte, sein Gastgeber Lord Landon war, entspannte er sich etwas. Dann begriff er, was Lord Landon gesagt hatte.

»Meine Frau?«, fragte er, und sein Blick glitt fragend zu Daniel, dem Earl von Woodrow, seinem besten Freund, der ihm das Leben gerettet und ihn hierhergebracht hatte. Daniel zuckte nur hilflos mit den Schultern.

»Ja«, sagte Landon fröhlich und sah sich um. »Sie ist hier irgendwo. Lady Radnor und ihre Schwestern waren gleich bei den Ersten, die eingetroffen sind. Und da ist sie ja«, sagte er triumphierend und deutete auf eine kleine Gruppe von Frauen, die sich am Ende des Ballsaals versammelt hatten.

Richard starrte auf die Stelle, wo eine kleine blonde Frau in einem Kreis mit einigen sehr viel älteren Damen stand. Die älteren Ladys redeten, während die Frau, die offenbar seine Gemahlin war, zuhörte. Oder auch nicht – er konnte es nicht erkennen. Ihr Blick, in dem etwas lag, das Entsetzen sein konnte, war auf ihn gerichtet. Er spürte, wie sich seine Brauen wölbten, aber er sah sie weiter an, registrierte, wie dünn sie war, wie blass, sodass es fast schon krank wirkte. Er registrierte auch, dass sie nicht besonders hübsch war.

»Wie ich schon erwähnte«, sprach Landon weiter und drehte sich zu ihm um, »hat sie uns gesagt, dass Sie sich hingelegt hätten, weil Sie krank seien und heute Abend nicht kommen könnten. Sie sehen mir allerdings ganz danach aus, als würde es Ihnen gut gehen. Dennoch scheint sie überrascht zu sein, Sie zu sehen.«

»Ich bin davon überzeugt, dass sie das ist«, sagte Richard ruhig.