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In der malerischen Stadt Fair Haven, Connecticut, findet Maggie Bell ihre Berufung in der kleinen Buchhandlung. Doch als ihr Chef stirbt, wird ihr Leben von Joshua Whitfield, dessen Sohn, auf den Kopf gestellt. Sein Plan, einen Teil des Buchladens in ein Café umzuwandeln und Bücher über Vampire und Liebesromane zu verkaufen, entsetzt Maggie. Als dann ein Elektriker während der Renovierung des Ladens ermordet wird und Joshua der Hauptverdächtige ist, muss Maggie all ihre Bedenken beiseiteschieben und versuchen, seine Unschuld zu beweisen. Während sie die Ermittlungen aufnimmt, spürt sie eine zunehmende Anziehung zu Joshua. Doch kann sich eine zurückhaltende Buchhändlerin wirklich in einen rauen Schreiner verlieben, der noch nicht einmal gerne liest?
Auftakt der Cosy Crime Reihe mit Buchhändlerin Maggie Bell.
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Seitenzahl: 237
In der malerischen Stadt Fair Haven, Connecticut, findet Maggie Bell ihre Berufung in der kleinen Buchhandlung. Doch als ihr Chef stirbt, wird ihr Leben von Joshua Whitfield, dessen eigenwilligen Sohn, auf den Kopf gestellt. Sein Plan, einen Teil des Buchladens in ein Café umzuwandeln und Bücher über Vampire und Liebesromane zu verkaufen, entsetzt Maggie.
Als ein Elektriker während der Renovierung des Ladens ermordet wird und Joshua der Hauptverdächtige ist, muss Maggie ihre Bedenken beiseiteschieben und versuchen, seine Unschuld zu beweisen. Während sie sich in die Ermittlungen vertieft, spürt sie eine zunehmende Anziehung zu Joshua.
Doch kann sich eine zurückhaltende Buchhändlerin wirklich in einen rauen Schreiner verlieben, der noch nicht einmal gerne liest?
Auftakt der Cosy Crime Reihe mit Buchhändlerin Maggie Bell.
Harper Lin ist USA Today-Bestsellerautorin mehrerer cosy Crime Serien.
Wenn sie nicht gerade liest oder Krimis schreibt, geht sie gerne zum Yoga, wandert oder backt mit Freunden und Familie.
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Harper Lin
Maggie Bell und die tödlichen Seiten
Aus dem Englischen von Eva Riekert
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Über die Autorin
Impressum
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Maggie Bell spurtete von Hauseingang zu Hauseingang, um dem Regen zu entkommen, während sie mit ihrem Schirm kämpfte. Egal, wie verzweifelt sie auf den Knopf drückte, das Ding ließ sich nicht aufspannen, um sie vor den Elementen zu schützen. Stattdessen blieb es schlaff zusammengefaltet wie eine nasse Motte und tat keinen Mucks.
Es war ein seltsamer Morgen. All ihre üblichen Parkplätze waren belegt, und sie musste praktisch von der anderen Seite der Stadt zu ihrem Arbeitsplatz laufen. Irgendwo auf der Agatha Street fiel ihr ein, dass sie ihren Kaffeebecher auf das Dach ihres Autos gestellt hatte, ehe sie eingestiegen war. Damit war jetzt in den letzten sechs Monaten der dritte Becher verlorengegangen. Aber es lag auch irgendetwas in der Luft – als ob ein Unheil drohte. Maggie machte ihre üble Laune dafür verantwortlich, ihren Wunsch, nach Hause umzukehren, unter die Decke zu kriechen und sich krank zu melden.
»Nun komm schon!«, jammerte sie und schüttelte ihren Schirm.
Weniger durchnässte Passanten glotzten sie an, aber sie bemerkte es kaum, da ihre schwarzgeränderten Brillengläser voller Regentropfen waren. Beim Durchschauen hatte sie den Facettenblick einer Fliege. Im Schutz des Eingangsbereichs der Old Cedar Bank blickte sie in den Himmel. Graue Wolken wirbelten durcheinander. Der Wind war nicht stark, aber trotzdem heftig genug, um die Regentropfen in ihre Richtung zu lenken. Auf der anderen Straßenseite bot der Eingang der Spotlight Boutique etwas mehr Schutz.
Sie blickte in beide Richtungen, um sicher zu sein, dass die Straße frei war, verließ den Gehweg und landete in einer Pfütze, die ihr bis an die Knöchel schwappte. Mit einem sehr undamenhaften Fluch gelangte sie schließlich in den Eingang der Spotlight Boutique. Er bot nicht so viel Schutz, wie sie gehofft hatte, und sie drückte sich eng an die Tür.
Nach weiteren zehn Minuten hatte sie endlich ihren Arbeitsplatz erreicht. Sie sprang über zwei riesige graue Pfützen und fädelte sich zwischen vereinzelten Passanten hindurch, die stolz ihre funktionstüchtigen Schirme zur Schau stellten, dann endlich hatte sie die gläserne Eingangstür erreicht, durch die sie seit über sechs Jahren fast täglich eintrat.
»Whitfield Buchhandlung« stand in abblätternder, zerkratzter Goldschrift auf dem Glas, darunter die Öffnungszeiten. Ein kleines Schild »Geschlossen« war aufgehängt, aber Maggie wusste, dass die Tür offen war. Mr. Whitfield ließ sie immer für sie unverriegelt. Außerdem war es ja nicht gerade so, als drückten ihnen die Leute von Fair Haven in Connecticut die Tür ein, um ein gutes Buch zu erstehen. Sie hätten ein gutes Buch nicht mal erkannt, wenn es Zähne gehabt und sie in den Hintern gebissen hätte.
»Bist du das, Mags?«, rief Mr. Whitfield aus schwindelnder Höhe hinten im Laden.
»Ja«, brummte Maggie. Sie warf ihren nutzlosen Schirm in die Mülltonne und schüttelte sich die Regentropfen aus den Haaren. Dann blickte sie mit zusammengekniffenen Augen die Bücherregale entlang und stöhnte erschrocken auf.
»Alexander Whitfield, was machen Sie da oben auf der Leiter? Ich habe Ihnen doch schon tausendmal gesagt: Warten Sie, bis ich da bin!« Maggie eilte auf ihren Chef zu, der bereits in den Siebzigern war, und half ihm, von der Leiter zu steigen.
»Ich bin doch nicht behindert«, knurrte er.
»Na schön. Wenn Sie von der Leiter fallen und sich den Kopf aufschlagen, dann kommen Sie bitte nicht zu mir gerannt«, erwiderte Maggie.
»Ich musste den ,Engelsbaum‹ an seinen richtigen Platz zurückstellen«, murmelte er mit hochgerecktem Kinn. »Drei Tage hast du nur gebraucht, um das Buch zu lesen. Ein über dreihundert Seiten dickes Buch. Ich dachte, ich hätte mehr Zeit. O je, was ist denn mit dir passiert? Hast du den Wetterbericht nicht gehört? Es soll die ganze Woche regnen.«
»Doch, habe ich« erwiderte sie, zog ihren durchnässten Pullover aus, trat an die Küchenzeile neben dem kleinen Büro von Mr. Whitfield und wrang das Ding aus.
»Hast du denn keinen Schirm?«, fragte Mr. Whitfield unschuldig. »Du weißt doch, ich habe ein halbes Dutzend hier. Dauernd lassen die Leute die Dinger stehen.«
»Ich hatte einen«, grummelte sie. »Ist aber kaputt. Der Knopf funktioniert nicht mehr.«
»Ach so, das ist das Problem. Knöpfe aus Plastik und minderes Material funktionieren einfach nicht gut. Wenn du nach Hause gehst, nimmst du einfach den hier.« Mr. Whitfield humpelte zu seinem Schreibtisch und zog eine elegant geschnitzte Krücke aus einem hohen Messinggefäß. Sie gehörte zu einem langen Schirm mit Nylonbespannung und Speichen mit silbernen Spitzen.
Maggie putzte ihre Brillengläser und besah sich, was ihr Mr. Whitfield hinhielt. Es war ein alter Schirm. Das merkte sie, als sie ihn in die Hand nahm, denn er war schwer und aus richtigem Metall und Holz gefertigt.
»Der bietet dir Schutz. Und behalte ihn bei dir, denn der Regen wird wohl für einige Tage nicht aufhören.« Mr. Whitfield griff in die Bespannung, zeigte Maggie, wo man auf die Metallfeder drückte, dann ließ er den Schieber sanft bis an die Spitze gleiten. Der Schirm entfaltete sich wie eine schwarze Blüte.
»Mr. Whitfield, es bringt Unheil, einen Schirm drinnen zu öffnen«, sagte Maggie.
»Ach Unsinn. Hier, nimm ihn.« Er klappte den Schirm wieder zu und reichte ihn Maggie mit einem Augenzwinkern. »Aber jetzt stell ihn erst mal weg. Was steht heute an?«
»Sie wollten meine Monatsliste fertig machen.« Maggie nahm den Schirm entgegen und strich vorsichtig und bewundernd über den geschnitzten Griff mit der silbernen Spitze.
»Hast du schon alle Bücher vom letzten Monat ausgelesen?«, fragte Mr. Whitfield.
»Das wissen Sie doch.« Maggie verdrehte die Augen. Sie verstaute den Schirm hinter einem kleinen Ladentisch, an dem sie fast jeden Tag saß. »Das fragen Sie jedes Mal, wenn Sie mir eine neue Liste geben.«
»Was hat dir am besten gefallen?«, fragte Mr. Whitfield und setzte sich an seinen kleinen Schreibtisch. Der war bedeckt mit Zeitungen und Zetteln, Quittungen und Rechnungen, Gummibändern, Aufklebern und einem dicken Stapel alter Briefkuverts mit Briefmarken, die er schön fand, der mit einem roten Bindfaden zusammengeschnürt war. Außerdem gab es ein Sammelsurium alter Filzstifte, alle mehr oder weniger eingetrocknet, so dass er sie bisweilen anlecken musste, damit sie wieder schrieben.
»Darüber haben wir doch schon geredet, Mr. Whitfield. Ich habe Ihnen erzählt, dass mir von allen Der Graf von Monte Christo am besten gefallen hat. Ich bin froh, dass ich ihn mir bis zuletzt aufgehoben habe, denn Madame Bovary war …« Maggie simulierte ein Gähnen und hielt sich ostentativ die Hand vor den Mund.
»Aber was ist mit der Hauptfigur, mit Emma Bovary?«, fragte Mr. Whitfield und zog ein Blatt Papier heraus.
»O je, die mochte ich überhaupt nicht«, erwiderte Maggie.
»Weil sie Liebe sucht und geliebt werden will?«, fragte Mr. Whitfield.
»Sie ist eine Langweilerin, und außerdem verschließt sie bewusst die Augen. Ganz zu schweigen davon, dass keiner die ganze Kuh kauft, wenn er auch so an die Milch kommt. Dieser Spruch stammt nicht erst aus der Zeit meiner Jugend, den muss sie auch schon gekannt haben«, witzelte Maggie und grinste, als Mr. Whitfield loslachte.
In dem Moment schlich ein seidiger schwarzer Kater an Mr. Whitfields Schreibtisch vorüber, kam direkt auf Maggie zu und strich ihr schmeichelnd um die Beine.
»Poe, findest du das nicht auch?«, wollte Maggie von dem Kater wissen und nahm ihn auf den Arm. Sie spürte, wie er zustimmend mit dem Schwanz peitschte, und setzte ihn auf Mr. Whitfields Schreibtischplatte.
»Apropos, hast du heute Abend schon was vor? Vielleicht ein Date?«, fragte Mr, Whitfield. Er kramte nach einem Stift, leckte die Spitze an und machte sich auf einem pinkfarbenen Post-it Notizen.
»Apropos an die Milch kommen? Nein, kein Date. Spinnen Sie?«, schnaubte Maggie. »Egal, wen ich kennenlerne, gegen Sie kommt doch keiner an.«
»Ach, Unsinn, Maggie, ich mach mir Sorgen um dich. Ich lebe nicht ewig. Du darfst dein Leben nicht an einen alten Kauz wie mich verschwenden«, sagte er, während er schrieb.
»Bei Ihnen kann ich ich selbst sein, Mr. Whitfield. Niemand in ganz Fair Haven möchte über Bücher reden oder liest überhaupt. Bücher sind meine Leidenschaft. Dafür interessiert sich keiner, deshalb kann ich mit Fug und Recht annehmen, dass sich diese Leute auch nicht für mich interessieren.«
»Das stimmt nicht. Du bist einfach zu schüchtern«, sagte Mr. Whitfield.
Mit einem Achselzucken seufzte Maggie. »Ich weiß nicht, wie man mit jemand ins Gespräch kommt.«
»Mit mir geht das doch bestens«, setzte er hinzu.
»Schon, aber eben, weil Sie so ein verrückter Bücherwurm sind. Mit Ihnen kann ich gut reden«, sagte Maggie, während sie Poe den Kopf streichelte und spürte, wie er schnurrte.
»Du hast mehr zu bieten, als dir bewusst ist, Maggie Bell. Jeder Mann würde sich glücklich schätzen, eine junge Dame wie dich zu ergattern«, sagte Mr. Whitfield. »So, jetzt lese ich dir deine Liste für diesen Monat vor. Ich erwarte, dass du dir den ganzen Monat dafür Zeit nimmst. Verschling nicht alle zehn Bücher in einer Woche.«
Als Mr. Whitfield Maggie vor sechs Jahren angestellt hatte, hatte er sofort ihre introvertierte Art erkannt. Sie war die perfekte Kandidatin, um bei ihm zu arbeiten, denn auch er war introvertiert. Aber die gemeinsame Liebe zu Büchern hatte Maggie allmählich aus ihrem Schneckenhaus gelockt – zumindest Mr. Whitfield gegenüber – und er hatte sie bald so gern wie eine Tochter.
Mit der Zeit lernten sie sich also gut kennen. Mr. Whitfield, der fast jedes Buch in seinem Secondhand-Buchladen und Antiquariat gelesen hatte, in dem mehr als fünftausend Titel standen, begann, ihr jeden Monat eine Leseliste zu geben. Die Bücher verstaubten in den Regalen und waren von fast allen vergessen, außer von ihren Autoren. Andere waren Klassiker, die Maggie schon mehrmals gelesen hatte. So sah fast täglich ihr Tagesablauf aus, während die Stunden vorbeizogen. Kunden kamen selten in den Laden, denn hier gab es nicht die neuesten Vampir-Serien für junge Erwachsene und keine Comics.
»Was ist der erste Titel?«, fragte Maggie und lächelte erwartungsvoll, denn sie war gespannt, welches Buch Mr. Whitfield als Erstes für sie ausgewählt hatte.
»Die Straßen von Laredo. Ein Western. McMurtry«, rief ihr Mr. Whitfield zu.
Sie ging an drei deckenhohen Regalen vorbei bis zur Western-Abteilung und entdeckte das Buch. Ihre Augen funkelten; sie liebte Westernromane. Auch wenn sie es keinem eingestanden hätte, liebte sie diese Burschen, die so männlich waren und keine Skrupel hatten, ihrer Angebeteten einen langen, leidenschaftlichen Kuss zu stehlen und dann auf Goldsuche zu verschwinden oder einen Kerl zu jagen, nach dem per Plakat gefahndet wurde.
»Gefunden! Und das nächste?«, rief sie. Aber es kam keine Antwort. »Mr. Whitfield? Spannen Sie mich doch nicht so auf die Folter!« Sie kicherte. Aber immer noch kam keine Antwort. Vielleicht hatte das Telefon geklingelt, und er war im Gespräch. Allerdings hatte sie keinen Klingelton gehört. Vielleicht hatte er sich umentschieden und schrieb einen weiteren Buchtitel auf.
Maggie drückte das Buch fest an sich und ging langsam zurück zu Mr. Whitfields kleinem Büro, wo sie ihn sitzen sah.
»Mr. Whitfield, alles in Ordnung?«, fragte sie.
Aber es kam immer noch keine Antwort. Er rührte sich kein bisschen. Als sie ihm ins Gesicht blickte, sah er aus, als wäre er eingeschlafen und würde friedlich an seinem Tisch vor sich hinträumen.
Maggie legte ihm die Hand auf die Schulter und schüttelte ihn sanft.
Seine Hand fiel seitlich herab, und ihre Liste mit Büchern für den Monat flatterte zu Boden.
Er war tot.
Der Geruch, den Maggie überall im Bestattungsinstitut der Familie Pearlman wahrnahm, war nicht unangenehm. Zitronig. Die Räume waren großzügig mit Holz ausgestattet. Wie lange Mr. Pearlman wohl benötigte, um alles zu polieren? Nirgends war auch nur ein Stäubchen zu sehen. Auf jedem Tisch standen Schachteln mit Kosmetiktüchern, zusammen mit ein paar Schälchen voller Pfefferminzbonbons. Sie hatte ein paar davon in ihre Tasche gleiten lassen, aber keines gegessen. Das hielt ihr Magen derzeit nicht aus.
Obwohl Maggie selbst alle Vorkehrungen für die Beisetzung getroffen hatte, kam sie sich wie ein Eindringling vor. Wie schön, dass so viele Menschen aus der Stadt zusammengekommen waren, um sich zu verabschieden! Sie plauderten mit Maggie und versicherten ihr, was für ein reizender Mann ihr Chef gewesen war und wie er ihnen fehlen würde. Einige fragten, ob sie den Buchladen übernehmen würde, doch ehe sie eine angemessene Antwort formulieren konnte, waren sie schon weitergegangen, um mit einem interessanteren Trauergast zu reden.
Also stand Maggie allein am Kopf des Sargs und flüsterte leise mit Mr. Whitfield. Wenn er nur noch hätte miterleben können, wie viele Menschen zu seinen Ehren zusammengekommen waren! Er hätte sich darüber amüsiert. Maggie hingegen war nicht überrascht. Sie wusste, dass Mr. Whitfield im Geheimen viel Gutes getan hatte. An jedem Thanksgiving-Tag hatte er im Armenviertel Kisten mit Lebensmitteln für die armen Familien abgegeben. In einigen Restaurants hatte er in der Weihnachtszeit die Rechnungen kinderreicher Familien bezahlt oder auch das eine oder andere junge Paar unterstützt, das gerade noch ganz am Anfang stand. Das Tierheim bekam das ganze Jahr über Säcke mit Hunde- und Katzenfutter aus anonymer Hand. Maggie hatte ab und zu die Quittungen gesehen, aber nie ein Wort darüber verloren. Wenn er gewollt hätte, dass sie davon erfuhr, hätte er es ihr gesagt. Die Vorstellung, dass diese Dinge dieses Jahr nun nicht mehr stattfinden würden, brach ihr das Herz.
Doch sie schluckte die Tränen hinunter. Auf keinen Fall wollte sie Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Schlimm genug, dass sie die Einzige war, die sich schick gemacht hatte. Eine klassische schwarze Strickjacke und einen langen schwarzen Faltenrock besaß doch wohl jeder. Beim Blick über die Anwesenden sah sie Jeans und khakifarbene Cargos und Yogahosen. Echt jetzt? Yogahosen?
»Maggie? Maggie?«
Das war Roger Hawes. Er trug eine weite Arbeitshose und ein Button-down-Hemd, das aussah, als würde er es schon tagelang tragen. Er sah immer so aus.
»Ja, Roger?«, fragte Maggie.
»Du kennst dich doch sicher mit den Finanzen von Alex aus. Ich habe überlegt, wann er den Laden wohl verkaufen will.« Rogers Wangen waren gerötet, und er war etwas außer Atem, als ob er gerannt sei.
»Roger, zurzeit kenne ich noch gar keine Einzelheiten. Mr. Whitfield ist erst vor zwei Tagen gestorben und …«
»Du weißt, warum ich frage. Ich habe Alex ein paar sehr anständige Angebote gemacht, mir den Buchladen zu verkaufen. Die Klitsche hat ihn ausgeblutet. Aber nein. Er ist stur geblieben. Die Stadt hätte einen Buchladen nötig. Was für ein Blödsinn!« Roger rieb sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Also, ich bin bereit, ein faires Angebot zu machen. Ein Pfandleihhaus in der Ortsmitte, genau das braucht Fair Haven.«
Maggie sah Roger so fassungslos an, als hätte er gesagt: Eine Läuseepidemie, genau das braucht Fair Haven. »Ich habe seine Unterlagen noch nicht ganz durchgesehen, Roger. Und Sie müssen sich wohl eher an seinen Sohn Joshua wenden wegen eines möglichen Verkaufs …«
»Ist er da?«, blaffte Roger.
»Ist wer da?«, schnauzte Maggie in ihrem üblichen genervten Ton zurück.
»Joshua, sein Sohn.« Roger sah Maggie fragend an.
»Falls er da ist, weiß ich es nicht. Ich habe ihn noch nie zu Gesicht bekommen«, sagte Maggie, erleichtert, dass sie Roger Hawes nicht wirklich weiterhelfen konnte.
Er schüttelte den Kopf und sah sich einen Moment um, dann blickte er auf Maggie hinunter. »Wo ist die Küche? Gibt’s hier Kaffee?«, fragte er mit heruntergezogenen Mundwinkeln, die ihn wie eine Bulldogge aussehen ließen.
Maggie deutete auf einen Gang zu ihrer Linken, schwieg aber verbissen. Sie sah, wie er davonschlurfte, um einen Kaffee und Orangensaft abzustauben und wahrscheinlich die Hälfte des Gebäcks zu verschlingen, das sie mitgebracht hatte. Mr. Whitfield hatte sie so gemocht, die Backwaren aus Tammy McCarthys Bäckerei, nur einen Block vom Buchladen entfernt. Eigentlich war sich Maggie sicher, dass er wohl eher Tammy gemocht hatte. Sie war ein richtiger Hingucker mit knallroten Haaren und falschen Wimpern. Sie hatte gleich anfangs ihr Beileid bekundet, als sie mehr als die zwei Schachteln mit Mandelhörnchen gebracht hatte, die Maggie bestellt hatte.
»Er war so ein guter Mann, Maggie. Und er hat dich so sehr geschätzt«, hatte Tammy verkündet, dann tupfte sie sich die Augenwinkel mit einem Spitzentaschentuch.
»Danke, Tammy«, erwiderte Maggie und biss sich auf die Zunge, um nicht weinen zu müssen.
Hoffentlich haben die anderen Trauergäste genug Hunger gehabt und die ganzen Mandelhörnchen schon verspeist, dachte Maggie, und sie war sicher, dass Mr. Whitfield ihr beigepflichtet hätte. Nie konnte sie vergessen, wie Roger ständig in den Buchladen kam und die Regale musterte, während er mit Mr. Whitfield sprach.
»Sie werden nicht jünger. Was haben Sie vor mit dem Laden? Wann haben Sie zum letzten Mal was daran verdient?«, pflegte er zu sagen, während er die Bücher beäugte, als hätten sie Fühler oder wären von Spinnweben überzogen.
Maggie hatte nie etwas gesagt, aber wenn es ihr Buchladen gewesen wäre, hätte sie ihn hinausgeworfen. Und wäre er dann noch weiter in ihrem Laden aufgetaucht und hätte wieder so geschmacklose Sprüche geklopft, hätte sie ihn festnehmen lassen.
Die Totenwache sollte von elf Uhr vormittags bis sechs Uhr abends dauern. Maggie hatte ein Buch mitgebracht, in der Hoffnung, sie könnte still an Mr. Whitfields Sarg sitzen und lesen, wie sie es zu seinen Lebzeiten im Laden gemacht hatte. Aber es ging zu, als würden Grabstellen gratis vergeben. Ein steter Strom von Menschen kam und ging. Maggie war sicher, dass sich die Leute bei Mr. Whitfields Totenwache länger aufhielten als jemals in seinem Laden. Außerdem regnete es draußen immer noch. Maggie wusste, sie hätte sich freuen sollen, dass die Leute trotz des schlechten Wetters kamen, aber es störte sie. Als dann schließlich auch noch Joshua Whitfield auftauchte, war ihre Laune auf dem Nullpunkt.
Ein unbekanntes Gesicht erschien im Aufbahrungsraum hinter Mr. und Mrs. Calvin Toonsley. Die beiden gehörten zur Elite von Fair Haven. Auch wenn sich Maggie nicht erinnern konnte, wann einer von ihnen das letzte Mal den Buchladen betreten hatte, überraschte es sie nicht, dass sie kamen. Sie tauchten überall auf, wo man gesehen wurde. Mrs. Toonsley trug ein angemessenes schwarzes Kleid, das ihre perfekte Figur eng umschloss, an jedem Finger und Handgelenk war reichlich Goldschmuck zu sehen. Mr. Toonsley kam ebenfalls in einem stilvollen schwarzen Anzug mit Krawatte. Aber der Mann hinter ihnen war ein Fremder. Ein sehr ansehnlicher Fremder.
Maggie zupfte ihre Ärmel zurecht und strich sich den Rock glatt, während der junge Mann sich näherte. Sein Stil war adrett, und er trug eine schwarze Hose und einen grauen Pullover. Sein Haar war im Regen nass geworden, ebenso seine Wangen. Das dachte Maggie zumindest, bis er näherkam und sie feststellte, dass es Tränen waren. Er trat auf den Sarg zu und kniete sich auf das Kniepolster. Dort verharrte er eine Weile, niemand störte ihn. Schließlich, nachdem er sich die Augen gewischt und weitere Tränen fortgeblinzelt hatte, drehte er sich um und kam auf Maggie zu.
»Sind sie Margaret Bell?«, fragte er mit einem matten Lächeln.
»Ja«, erwiderte Maggie und verzog das Gesicht in der ihr üblichen Art. Warum sollte ein so hübscher Kerl auf sie zukommen? Er musste etwas von ihr wollen.
»Ich bin Joshua Whitfield. Alexander war mein Vater. Er hat mir viel von Ihnen erzählt.«
»Oh. Tut mir leid, er hat kaum mal von Ihnen gesprochen«, entfuhr es ihr. »Äh, mein Beileid zu Ihrem Verlust, meine ich. Er war ein wunderbarer Mann.«
»Das höre ich von allen. Es ist erfreulich, dass man ihm so zugeneigt war«, sagte Joshua und musterte Maggies Gesicht.
Sie schluckte und überlegte krampfhaft, was sie sagen könnte, aber nichts Vernünftiges oder zumindest halbwegs Logisches fiel ihr ein. Mr. Whitfield hatte nie erwähnt, wie attraktiv sein Sohn war. Genau genommen hatte er nur ein- oder zweimal von seinem Sohn gesprochen und die Wahl seiner Frau beanstandet. Aber danach wollte Maggie nicht fragen.
»Entschuldigen Sie. Ich sollte mit ein paar Leuten reden. Wissen Sie, wo der Chef des Beerdigungsinstituts ist? Ich muss die Rechnung begleichen und einiges mehr«, sagte Joshua.
»Äh, er ist wohl in seinem Büro.« Maggie deutete auf den Gang, der zur Küche führte. Dort befand sich auch ein Büro.
»Danke, Margaret. Ich würde mich wirklich gern noch mal mit Ihnen unterhalten, wenn all das erledigt, ist«, sagte er und ergriff ihre Hand, um sie zu schütteln.
»Ach ja?« Maggie schob ihre Brille mit der anderen Hand hoch.
»Ja. Da ich den Buchladen umkrempeln will, muss ich wissen, was raus kann«, sagte er mit bedauerndem Lächeln.
»Den Laden umkrempeln? Wozu?« Maggie wurde hellwach, als hätte sie einen elektrischen Schlag bekommen.
»Ich kenne doch meinen Vater. Er hat den Laden mit seiner Rente finanziert. Geld hat er damit nicht verdient«, erwiderte Joshua. »Ich muss irgendwas damit anstellen.«
»Aber Ihr Vater hat diesen Laden genau so geliebt, wie er ist. Es ging ihm um mehr, als damit Geld zu machen. Dort stehen wunderbare Bücher. Bücher, die man sonst nirgendwo findet und wie sie heute nicht mal mehr geschrieben werden«, regte sich Maggie auf. »Und Sie kommen an und wollen alles ändern? Sie wollen wissen, was raus kann? Nichts kann raus, gar nichts.«
Joshua sah Maggie an. Einen Moment lang geriet sie in den Sog seiner Augen, die genauso seltsam goldbraun waren wie die seines Vaters. Aber sie blitzten fast etwas geheimnisvoll. Dann schlich sich ein Lächeln um seine Lippen, dass ihn noch besser aussehen ließ. Es gefiel Maggie ganz und gar nicht.
»Mein Vater hat vorausgesagt, dass Sie so reagieren würden. Es ist jetzt allerdings kein guter Zeitpunkt, um darüber zu reden. Aber ich freue mich darauf, mit Ihnen zusammenzuarbeiten«, erwiderte Joshua, dann wandte er sich ab und ging auf das Büro des Leiters des Bestattungsinstituts zu.
»Mit mir zusammenzuarbeiten?«, murmelte sie. Sie warf einen Blick auf Mr. Whitfield und hatte fast den Eindruck, dass er sie spöttisch angrinste. »Alexander Whitfield, was haben Sie da ausgeheckt?«
Joshua Whitfield stand an der Tür zum Büro des Bestattungsdirektors und wartete darauf, dass der sein Telefonat beendete. Der Mann trug einen eleganten Nadelstreifenanzug und einen Ring am kleinen Finger und redete ruhig und gemessen auf den Menschen am anderen Ende der Leitung ein. An den Wänden hingen Heiligenbilder und religiöse Sprüche. Der ordentlich aufgeräumte Schreibtisch, ein schwerfälliges Monstrum mit kunstvollem Schnitzwerk an den oberen und unteren Kanten, nahm fast den gesamten Raum ein. Für ihn hergerichtet standen ein Kaffeebecher und ein Teller mit Käsebroten in einer Ecke. Als er Joshua sah, hob er rasch einen Finger.
Joshua nickte.
Es machte Joshua nichts aus, ein paar Minuten zu warten. Er blickte in den Raum, in dem sein Vater lag, und beobachtete Margaret Bell. Alexander hatte häufig über sie geredet, jedoch niemals erwähnt, wie hübsch sie war. Ganz anders als diese Samantha So-und-so, die das Bestattungsinstitut gleichzeitig mit ihm betreten hatte. Sie war sexy und sich dessen bewusst, und Joshua war sich ziemlich sicher, dass die meisten in seiner verschlafenen kleinen Stadt das auch so empfanden. Aber Margaret war anders. Nach Ansicht seines Vaters war sie richtig klug, hatte einen trockenen Humor und war extrem schüchtern. Das bemerkte Joshua auch daran, dass sie so dicht am Sarg seines Vaters stand wie ein kleines Kind, das sich an die Beine seiner Mutter klammerte.
Aber sie war nicht einfach nur niedlich. Wahrscheinlich war es ziemlich unpassend, während der Totenwache für seinen Vater an solche Dinge zu denken. Joshua konnte sich allerdings vorstellen, dass sein Vater nur deshalb über ihr Aussehen geschwiegen hatte, um genau in diesem Moment aus dem Himmel herabzusehen und über sein Staunen zu schmunzeln.
»Mr. Whitfield!« Der Leiter des Instituts riss ihn aus seinen Überlegungen.
»Ach ja, entschuldigen Sie.« Joshua warf einen letzten Blick auf Maggie, dann wandte er sich seinem Anliegen zu.
»Mein Name ist Dennis Lorenz. Mein herzliches Mitgefühl.« Der Chef des Instituts erhob sich von seinem Schreibtisch. Er war keine eins siebzig groß. Seltsam, fand Joshua, im Sitzen hatte er viel beeindruckender gewirkt.
»Danke«, sagte Joshua. »Ich bin gerade in der Stadt eingetroffen und wollte wissen, was ich zu begleichen habe.«
»Nichts. Ihr Vater hat alles im Voraus bezahlt«, erwiderte Dennis.
»Was? Wie ist das möglich? Er hatte doch kein Geld«, sagte Joshua.
»Vor mehr als zwei Jahren hat er bereits alle Vorkehrungen getroffen. Ich habe mich persönlich um alle Einzelheiten gekümmert. Er wollte keine großen Umstände. Im Grunde nur eine bescheidene Veranstaltung. So, wie er es darstellte, bin ich offen gestanden überrascht, wie viel Mitgefühl ihm unsere kleine Stadt entgegenbringt.« Dennis lächelte. Er sah recht gut aus, obwohl er so klein war wie eine Figur aus einem Vierzigerjahre-Film.