Major Fuchs auf Reisen - Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem - E-Book

Major Fuchs auf Reisen E-Book

Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

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Beschreibung

Major a. D. August Fuchs und seine Frau Thusnelda lassen sich in dem ungemütlichen Hotelzimmer erschöpft auf das Sofa fallen. In drei Tagen haben sie sechsundvierzig Wohnungen besichtigt, ohne jeden Erfolg: Auch die letzte Wohnung war ein Reinfall. Methodisch, wie der Major ist, beschließt er, die Lage noch einmal gründlich zu rekapitulieren. Nach seiner Verabschiedung wurde zunächst mehr schlecht als recht von der nicht allzu üppigen Pension gelebt, bis eine besondere Erbschaft die Dinge gründlich änderte. Der maliziöse Onkel von Thussi vererbte sein Jagdschloss Malepartus, ein unverkäufliches Ding. Kurzerhand wurde die großartige Idee, darin eine Fremdenpension zu gründen, in die Tat umgesetzt. Das Haus wird mit eigenen, kleinen Mitteln und auf Pump aufs bequemste eingerichtet und als Pension Malapartus eröffnet. Man reüssiert, hat das Haus voller Gäste – und was für Gäste! Nach ein paar Monaten wird ein solventer Käufer gefunden und mit dem Geld ist man für die Zukunft alle finanziellen Sorgen los. Für den Käufer allerdings eignet sich der Major zum Pensionshalter so wie der Igel zum Taschentuch – eine Kritik, die den umtriebigen Major äußerst wurmt. Weil die Wohnungssuche mühsam und erfolglos ist und die Mittel es erlauben, beschließen die beiden, auf Reisen zu gehen und zu Studienzwecken als Gäste in Familienpensionen abzusteigen, um zu lernen. Aber dabei erleben ihr blaues Wunder ...Die ungewöhnliche Forschungsreise des Major Fuchs in Sachen" Pensionsmanagement" – als Groteske voller Humor und Witz erzählt.Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem (1854–1941) war eine deutsche Schriftstellerin, die um 1900 zu den beliebtesten deutschen Unterhaltungsschriftstellerinnen zählte. Sie war eine der wenigen deutschen Autorinnen des 19. Jahrhunderts, die ihre Werke nicht unter einem Pseudonym verfasste. Ihr erstes Werk "Die Nichten des Kardinals" veröffentlichte sie bereits mit 17 Jahren 1871 unter ihrem Geburtsnamen Eufemia Gräfin Ballestrem. Es folgten Gedichte, Novellen, Humoresken und über 40 Romane. Etwa ab 1910 legte sich die Autorin ganz auf das Schreiben von Romanen und Belletristik fest und veröffentlichte in der Regel einen Roman pro Jahr. Ihre wichtigsten Romane sind zweifelsohne die sogenannten "Windmüller"-Romane um den Gentleman-Detektiv Dr. Xaver Windmüller, die meist in aristokratischen Kreisen spielen. Mit den Romanen "Falkner vom Falkenhof", "Trix" und "Die weißen Rosen von Ravensberg" lieferte sie für die damalige Zeit außerordentliche Bestseller, von denen bis zu 120 Auflagen erschienen.-

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Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

Major Fuchs auf Reisen

Der „Pension Malepartus“ anderer Teil.

Tragikomische Erlebnisse

geschildert

Mit Illustrationennach Original-Zeichnungen von Fritz Koch.

Fünfte Auflage.

Saga

Major Fuchs auf Reisen

German

© 1914 Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711517543

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Einleitung.

Du Thussi, sagte der Major a. D. August Fuchs, indem er auf seiner erregten Promenade durch das lange, schmale, ungemütliche Hotelzimmer vor dem Sofa stehen blieb, auf dem seine bessere Hälfte mit unglücklichem Gesicht und allen Anzeichen physischer Erschöpfung sass. „Du, Thussi, jetzt erkläre dich mal, ob die Wohnung dir gefällt!“

„Welche Wohnung, August?“ fragte Frau Thusnelda Fuchs, indem ein tiefer Seufzer ihre behäbige, runde Gestalt durchzitterte. „Wir haben in drei Tagen sechsundvierzig Wohnungen gesehen und 130 Treppen bezw. Etagen dazu erstiegen und wenn das noch drei Tage so fort geht —“

„Eben deswegen frage ich, ob die Wohnung, von der wir eben gerade herkommen, dir gefällt!“ fragte der Major ungeduldig.

„Ach August,“ erwiderte Frau Thussi matt und resigniert, „die Vorderstuben sind ja nicht übel, aber das grässliche Schlafzimmer hinten heraus, wo weder Licht noch Luft herein kann und das Essen aus der Küche durchgetragen werden muss —“

„Na also! Sie gefällt dir nicht,“ unterbrach der Major die weitere Topographie der eleganten Stadtwohnung, „mir gefällt sie auch nicht, ich finde den ganzen Menschenstall einfach scheusslich und damit wären wir ja glücklich wieder so weit, wie vor drei Tagen, nur dass wir von dem Treppengekletter fertig sind. Wohnungen suchen verdirbt entschieden den Charakter, Thussi, ich wenigstens bin ganz geneigt, all den Besitzern dieser infamen Löcher, die man uns für schweres Geld zum Mieten angeboten hat, den Hals umzudrehen. Nun pass auf, jetzt werd’ ich dir mal was sagen und dir einen Vorschlag machen.“

Der Major zog einen Stuhl vor den Sofatisch und nahm seiner Frau gegenüber Platz, die ihn erwartungsvoll ansah.

„Lass uns zunächst mal rekapitulieren,“ fuhr der Major fort. „Du weisst, ich bin ein methodischer Mensch und liebe die Ordnung. Na also: Wir haben seit meiner Verabschiedung schlecht und recht von meiner Pension, aber ruhig und in Frieden gelebt und an nichts Böses gedacht. Da vermacht dein maliziöser Onkel, der Hofmarschall, dir das Jagdschloss Malepartus, und da das Ding so wie es steht, unverkäuflich ist, und wir auch sonst nicht wissen, was wir damit anfangen sollen, so kommst du auf die grossartige Idee, eine Fremdenpension darin zu gründen. Wir richten also aus eignen kleinen Mitteln und aus Pump das Haus aufs bequemste ein und eröffnen darin die ‚Pension Malepartus.‘ Bon! Wir reüssieren, wir haben das Haus voll Gäste — und was für Gäste! und ehe ein paar Monate verstrichen sind, finden wir für den ganzen Krempel einen solventen Käufer und die Summe, die Malepartus uns bringt, versetzt uns in die Reihe der Kapitalisten und in die unangenehme Notwendigkeit, uns eine Wohnung zu suchen, et nous voilà! Und nun komme ich zu dem, was ich eigentlich sagen will. Als der Herr Alex Bachleitner, nachdem er wochenlang seine grosse Schnüffelnase in jeden Besenwinkel der Pension Malepartus gesteckt hatte, mit seinem Kaufpropos zu mir kam, sagte er mir mit einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig liess, dass ich mich zum Pensionshalter eignete wie der Igel zum Taschentuch, und dass ich die ganze Geschichte falsch angefangen hätte und auf dem eingeschlagenen Wege nie auf einen grünen Zweig kommen würde. Recht wird der Herr Alex Bachleitner, Wohlgeboren, ja wohl haben, aber geärgert hab’ ich mich über das, was er mir gesagt hat, schlagrührend, und das kannst du mir auch nicht verdenken, Thussi, denn es ist niemals angenehm, wenn einem haarklein bewiesen wird, dass man ein Esel ist. Aber ich bin wenigstens ein Esel mit einem gewissen Ehrgeiz, und wenn der Kerl, der Bachleitner mit seinem süffisanten Lächeln, seiner Schnüffelei, seiner Cyrano de Bergerac-Nase und seinen Sülztatzen mir nicht so unsympathisch wäre, dann würde ich bei ihm ein bissel in die Schule gegangen sein. Kurz, Thussi, ich gestehe es dir ein in dieser feierlichen Stunde, dass die Geschichte mich alpt und dass ich darauf brenne, Studien zu machen, um zu erfahren, wo und wieso ich als Inhaber der Pension Malepartus auf dem Holzwege war, und wie man es anfangen muss, um eine Fremdenpension fachgemäss zu führen und damit auf besagten grünen Zweig zu kommen. Da unsere Mittel es uns nun erlauben und unsere Zeit erst recht, so möchte ich dir den Vorschlag machen: stellen wir unsere Möbel auf einen Speicher und gehen wir eine Zeitlang auf Reisen! Na, was sagst du denn dazu?“

„Aber natürlich, August, ich bin ganz einverstanden!“ erwiderte Frau Thussi, über das ganze runde Gesicht lächelnd, indem sie eine Liste zerriss, auf der noch ein halbes Hundert zu vermietender Wohnungen aufgezeichnet standen, und die noch mindestens 200 zu erklimmende Stockwerke repräsentierten. „Reisen wir also! Nur August — du hast doch nicht gar im Sinne, eine neue Pension zu gründen?“

„Nee, Thussi!“ lachte der Major behaglich, indem er die Fetzen der Liste mit sichtlichem Vergnügen in den Papierkorb trug. „Aber, nicht wahr, das verstehst du, dass man wissen will, wo das falsche Ende sitzt? Du hast ja mit mir am gleichen Strange gezogen — ’s wird dir also auch Spass machen zu sehen, wie’s eigentlich gemacht werden muss. Versteh’ mich recht: nicht das Hotelwesen will ich studieren, sondern die gemütliche, behagliche Familienpension in ihrer enger gezogenen Grenze. Im Hotel ist man eine Nummer, die von dem mehr oder minder wohlregulierten Uhrwerk des Personals in schematischer Ordnung bedient und erledigt wird — eine Individualität des Gastes wie des Wirtes kommt im Hotel nicht zur Geltung. Anders die Familienpension. Dort ist der Gast nach meinen Begriffen keine Nummer, sondern ein Mensch, der das Behagen des eigenen Heims unter fremdem Dache sucht und finden soll, um unter diesen angenehmen Bedingungen das Land und die Gegend, die er besucht, kennen zu lernen. Und andererseits soll es, nach meiner Auffassung, das Bestreben des Pensionsgebers sein, einem Gaste das Leben unter seinem Dache zu einem möglichst angenehmen zu machen, das Gewicht auf familiäres Zusammenleben zu legen und den Eindruck hervorzurufen, als ob man einen Kreis bildete, in dem alle Gäste eingeschlossen sind. Der Bachleitner, siehst du, Thussi, der ist Hotelier, gelernter Hotelier, und legt natürlich seinen Massstab an. Was weiss ein Hotelier vom Familienleben seiner Gäste untereinander? Das hat er vielleicht auch nicht gemeint, als er mir auseinandersetzte, welch blühender Esel ich gewesen bin — er betonte wohl mehr das wirtschaftliche — aber gleichviel, ich will mir die Sache mal ansehen, wie es gemacht werden muss, um mit einer Familienpension nach der ideellen wie nach der materiellen Seite zu reüssieren. Um den Anfang zu machen: ich habe hier einige ausserordentlich wohlempfohlene Adressen, denen der ‚Stern‘ in meinem Reiseführer das Relief der Gediegenheit zum Überfluss verleiht. Der Winter steht vor der Tür — brechen wir denn auf nach einem wärmeren Himmelsstrich! Da hätten wir z. B. am See von Brissago die Adresse einer solchen warm empfohlenen Familienpension — die ‚Villa Bellavista,‘ deren Inhaber ein Deutscher, Herr Purzel, ist, der seinen Gästen neben idyllischer Lage alles Behagen des eignen Heims verheisst, bei freundlichstem Familienleben und vorzüglicher Verpflegung. Wenn’s dir also recht ist, Thussi, dann brechen wir dahin auf — die Frage, ob noch Platz ist, erledigt ja schnell ein Telegramm.“

Frau Thussi war es recht, und am Abend war das Telegramm schon da, dass ein schönes Zimmer zu zwei Betten für den und den Tag bereit sein würde, gez. Frau Purzel.

„Na denn, frisch auf zum fröhlichen Jagen nach Erfahrungen,“ sagte der Major vergnügt. „Ich brenne ordentlich darauf, dem ekligen Kerl, dem Bachleitner, beweisen zu können, dass er unrecht und ich recht hatte mit meiner Auffassung einer Familienpension!“

Frau Thussi aber sah ihren August bewundernd mit freundlichem Lächeln an, und nachdem das würdige Paar seine Angelegenheiten geordnet, reiste es ab, frohen Herzens und gläubigen Gemüts, denn es mussten ja alle Leute sein wie sie selbst!

Na adieu, Herr Major und Frau Thussi, viel Glück auf den Weg und übers Jahr sprechen wir uns wieder!

Erste Etappe:

Pension Bellavista.

An einem strahlend schönen Nachmittage der ersten Dezembertage langte der Major Fuchs mit seiner Gattin am See von Brissago an. Alles war noch grün, nur der wilde Wein troff in roten Strömen von altem grauem Gemäuer herab, die Kastanien fingen an sich zu färben und späte Rosen blühten in allen Gärten inmitten ihrer weniger vornehmen Blumenschwestern. Aus noch saftigem Grün ragte die tiefdunkle hohe Zypresse empor, alte knorrige Olivenbäume stimmten mit ihrem graugrünen Laub die Farbenskala fein ab, und die mit dicken Knospen besetzten Kamelienbäume verhiessen einen reichen Blütenflor. Dazu die strahlende Sonne, der tiefblaue Himmel und der blaugrüne See — kurz, es war eine Pracht, von der harmlose nordische Gemüter in gläubigem Vertrauen erwarteten, dass sie den ganzen Winter so anhalten würde.

Die Fahrt über die Alpen war auch vom herrlichsten Wetter begleitet gewesen. Jenseits des Gotthardtunnels hatten Fuchsens Kälte und Nebel zurückgelassen und waren in Airolo vom schönsten blauen Himmel begrüsst worden; was Wunder also, wenn der Major selbst in strahlendster Laune nun in dem netten Fiaker neben seiner runden Thussi sass und mit ihr der Pension Bellavista entgegenfuhr, wo sie ja erwartet wurden und all das Behagen finden sollten, das der Major als Pensionsgeber seinen Gästen bereitet hatte.

Der Weg zu diesem verlockenden Ziel wurde erst recht schön, als der Wagen die Stadt verliess und die in die Felsen gesprengte Strasse nach dem gegenüberliegenden Seeufer entlang fuhr, hart an der schimmernden Wasserfläche entlang. Dann bog der Wagen in einen Seitenweg ab, der von weinumrankten Spalieren überspannt war, und hielt vor einer reizend gelegenen Villa in italienischem Stil, an deren Haustür ein kleines Schild mit der Aufschrift „Pension Bellavista“ den guten Fuchsens verriet, dass sie am Ziele seien. Sie entstiegen also ihrem Vehikel und zogen die Glocke, was aber keinen Effekt machte, denn es erschien keine Seele, auch dann nicht, als das Verfahren mehrmals wiederholt wurde. Der Major hiess den Kutscher also das Gepäck abladen und vor die Tür stellen, Frau Thussi blieb als Wächter daneben stehen und ihr Gatte ging auf Rekognoszierung aus, das heisst er öffnete die Haustür und betrat mit einem lauten „Hem!“ den architektonisch hübschen, aber nackten und nicht sonderlich ausgekehrten Hausflur, in dem eine dicke Rolle Teppich-Läuferstoffes anscheinend neu aber verstaubt in einer Ecke lehnte. Eine weitere Klingel war nicht zu sehen, irgend ein menschliches Wesen auch nicht, da der Major aber rechts hinter einer Tür Stimmen hörte, so klopfte er dort an. Das half insofern als der bildhübsche aber arg verraufte Kopf eines anscheinend dienenden Wesens in dem vorsichtig geöffneten Spalt erschien, um mit dem erschreckten Ausruf: „Ein Fremder, Signora!“ wieder zu verschwinden. Nach einer längeren Pause öffnete sich dann wieder die Tür und eine verblühte Frau mit verbundenem Gesicht und umhüllt von einer stark benutzten Küchenschürze erschien auf der Bildfläche.

„Fuchs, Major Fuchs,“ stellte sich der Major vor. „Habe ich vielleicht das Vergnügen, Frau Purzel —“

„Ja, ich bin Frau Purzel,“ nuschelte die Gute aus ihrer geschwollenen Backe heraus. „Sie wünschen?“

„Wir sind angemeldet und werden erwartet,“ erwiderte der Major, das erhaltene Telegramm zu seiner Legitimierung hervorziehend.

„Aha!“ machte die Herrin von Bellavista mit dämmerndem Verständnis. „Also Sie sind wirklich gekommen; ich hatte nicht gedacht, dass Sie wirklich kommen würden. Das Zimmer? Ja, das Zimmer ist noch besetzt, aber es wird morgen frei — ein sehr schönes Zimmer, Sonnenseite, nach dem See heraus!“

„Ja, wenn’s aber besetzt ist, was nutzt mir dann seine Schönheit,“ meinte der Major mit langem Gesicht. „Sie hatten mir doch bestimmt versprochen —“

„Ja, ja, aber ich dachte doch nicht, dass Sie wirklich kommen wollten,“ fiel Frau Purzel ein. „Sie werden sich sehr wohl bei uns fühlen. Die wundervolle Lage des Hauses — unsere Küche ist ganz vorzüglich — alles so bequem und sauber —“

„Herrlich ist das alles,“ fiel der Major ein, „aber wenn wir kein Zimmer haben —“

„Mama! Nummer Sieben!“ rief eine Stimme aus der Küche.

„Ja, wir haben da ein Zimmer bereit für zwei Damen, die heut’ kommen sollten,“ rief Frau Purzel strahlend. „Da sie aber noch nicht da sind, so werden sie heut’ wohl nicht mehr kommen — wenn Sie also das Zimmer einstweilen beziehen wollen, bis das Ihre morgen frei wird, dann können Sie es gerne haben.“

„Wenn die Damen aber nun doch noch kommen,“ warf der Major ein.

„Ach, woher sollten sie denn heut’ noch kommen!“ wehrte Frau Purzel ab. Der Major aber warf einen Blick vor die Haustür, wo seine bessere Hälfte, wie er zerrüttelt und zerschüttelt von der langen Eisenbahnfahrt, wartend auf dem Koffer sass — die Droschke war weggefahren, der Weg hinein bis zur Stadt und zum nächsten Hotel mindestens seine drei Kilometer lang — da schlug der brave Major also seine chevaleresken Gefühle und Begriffe in den Wind, tat seinem Gewissen, das sich lebhaft gegen den Gedanken sträubte, sich dem Kuckuck gleich, ein fremdes Nest anzueignen, Gewalt an und akzeptierte den Vorschlag der Frau Purzel. Nummer Sieben war nun zwar nicht etwa das Nest, das der Usurpator würde ausgesucht haben, aber es hatte vier Wände und eine Decke darüber, gerade das, was der müde Wanderer braucht. Es war ein langes, schmales Gemach, aufs dürftigste eingerichtet, finster und weil nach Norden gelegen, eisig kalt in dieser vorgerückten Jahreszeit. Dem letzteren Übelstand abzuhelfen, wurde in dem primitiven italienischen Kamin ein Feuer von feuchtem Reisig angemacht, und das Resultat davon war ein Rauch zum Ersticken. Nun mussten Fenster und Tür geöffnet werden, um durch Zugluft den Rauch herauszutreiben und der Major fand nicht, dass dies Verfahren die Temperatur erhöhte; Frau Purzel hingegen erklärte, dass nun alles in Ordnung sei, dass das Diner um sieben Uhr stattfände und dass sie jetzt in die Küche müsste, worauf sie befriedigt ihre neuen Gäste verliess.

Der Major hatte seinen Überzieher wieder angezogen und Frau Thussi ihren Wintermantel, und nun sass jedes auf einem der zwei vorhandenen Strohstühle frierend in dem düstern ungemütlichen Raume, stumm, resigniert, ein Bild des Jammers und Unbehagens. Nebenan mussten andere Gäste daheim sein, denn man hörte Personen sich bewegen und mit unglaublicher Volubilität in einer fremden Sprache reden, dann kam eine Pause und nach dieser eine sonderbare Produktion: eine hohe weibliche Stimme begann in einem einzigen Ton eine lange Rede herzusagen, dann fiel eine tiefe weibliche Stimme, auch auf einen einzigen Ton gestimmt, ein und redete weiter, dann kam wieder die hohe Stimme daran und so ging’s ohne Aufhören fort, bis Frau Thussi plötzlich aufsprang. „Du, August, das halt’ ich nicht aus, dabei schlaf’ ich selbst auf dem harten Stuhl hier ein,“ versicherte sie eindringlich. „Wie wär’s, wenn wir lieber in den Garten gingen — kälter wie hier kann’s draussen nicht sein!“

Der Major, der wirklich bei den monotonen Stimmen nebenan schon halb eingedrusselt war, erklärte sich gern bereit und so verliessen sie das „schützende Dach,“ um sich unter freiem Himmel etwas zu erwärmen, und zwar dirigierten sie sich auf den Garten zu, der sich am See hinunterzog und wirklich die entzückendste Aussicht bot in der Glorie der untergehenden Sonne. Beim Passieren durch das Haus bewunderten Fuchsens den schön proportionierten, aber scheunenartig leeren, steingepflasterten Hausflur, und kopfschüttelnd machte der Major seine Frau auf einen daselbst angeschlagenen Zettel aufmerksam, auf welchem in schöner Rundschrift auf italienisch, deutsch, französisch und englisch die Gäste gebeten wurden, das Haus rein zu erhalten und nichts darin zu beschmutzen.

„Die müssen mal eine nette Sorte von Gästen hier gehabt haben, dass solche Affiche nötig wurde,“ meinte der Major erstaunt, Frau Thussi aber warf einen Blick in die Winkel des Hausflurs, darin eine ziemlich dicke Staubschicht lagerte, die ihr geübtes Hausfrauenauge leicht als das Resultat mehrerer Wochen erkannte, und sagte trocken:

„Trotzdem scheinen die Gäste das Auskehren hier vergessen zu haben.“

„Thussi, du wirst ja boshaft,“ schmunzelte der Major, Thussi aber stand vor der Portiere der Gartentür und betrachtete kopfschüttelnd die schöne und mühsame, breite Kreuzstichstickerei, die auf Sackjute der gewöhnlichsten Art verschwendet war.

„Handarbeit,“ dachte sie verwundert, „und auf solch wertloses Material so tadellos schön gestickt! Wer mag die Zeit zu solcher Arbeit hernehmen — das heisst sie ja geradezu vergeuden!“

Aus dem Haus in den Garten heraustretend, fand Frau Fuchs die Antwort auf diese Frage, denn da sass in der noch warmen Sonne ein hübsches junges Mädchen und stickte genau dasselbe Muster auf ein gleiches Stück Sackjute. Sie erhob sich, höflich grüssend.

„Ah, Fräulein sind wohl die Tochter des Hauses,“ fragte der Major.

„Ja, ich bin Centa Purzel, die ältere — meine Schwester Teresina und ich bedienen bei Tisch,“ erklärte sie.

„Ach und Sie machen so schöne, mühsame Arbeiten,“ sagte Frau Fuchs.

„Ich habe schon für sechs Fenster und Türen die Portieren und Übergardinen fertig,“ erwiderte Fräulein Centa stolz. „Jetzt sticke ich noch die Decken für die Chaiselongues der Fremdenzimmer und für Fauteuilbezüge.“

„Aber dazu wird der Stoff nicht haltbar genug sein,“ meinte Frau Fuchs.

„O, das schadet nichts,“ war die freundliche Antwort, „die Stickerei ist ja nicht auf den Sitzen, da wird sie nicht ruiniert.“

„Aha,“ erwiderte Frau Fuchs perplex — an diese Auffassung hatte sie natürlich nicht gedacht. Aber sie warf unwillkürlich einen Blick hinein ins Haus und die unausgefegten Ecken und dachte sich in ihrem harmlosen deutschen Sinn, dass es besser wäre, den Besen zur Hand zu nehmen, als die Zeit mit solch unnützem Gestichele „für die Katze“ zu verschwenden.

„Meine Schwester hilft mir sticken,“ erklärte Centa Purzel stolz, „wir haben das von unserer Mutter gelernt, unserer wirklichen, denn Signora Purzel ist Papas zweite Frau. Sie war Volksschullehrerin und besorgt nun die Küche für die Pension. Sie kocht sehr gut — sehr! Papa ist sehr zufrieden mit der Kost.“

„Worin er jedenfalls mit den Gästen übereinstimmt,“ konnte der Major sich nicht enthalten zu bemerken.

„Natürlich, wenn es Papa findet,“ war die schlichte Erwiderung. „Im Anfang konnte es Mama ja nicht — o, es war oft schrecklich komisch, was sie alles zusammenkochte und Papa war sehr unzufrieden, aber im vorigen Jahre war eine Dame als Gast in der Pension, die sah wohl, dass es Papa nicht schmeckte, und da hat sie Mama das Kochen gelehrt. Nun kann sie es sehr gut, und Papa ist viel schöner seitdem geworden!“

„Welches herrliche Resultat — und welch uneigennütziger Gast!“ rief der Major enthusiastisch. „Ich habe nie einen Gast gehabt, der meiner Schönheit wegen in meiner Küche das Kochen gelehrt hat! Wenn meine Gäste was Besseres haben wollten, dann taten sie das immer wegen sich selbst.“

„O, die Dame hat es sicher wegen Papa getan,“ erwiderte Centa Purzel überzeugt. „Papa ist so schön! Sie kennen Papa noch nicht? Nun, Sie werden ihn beim Diner sehen — Papa führt bei Tisch natürlich den Vorsitz und macht die Konversation. Papa ist so klug und so talentvoll, ein Genie hat ihn der Kantor von San Lorenzo genannt; denken Sie nur, ein Genie! Jetzt ist Papa noch in der Stadt, um Musikstunden zu geben — alle Welt will Musikstunden von ihm haben und dabei ist er doch noch Chordirigent bei Santi Angeli! Ja, beim Diner werden Sie Papa sehen — er ist schön wie ein Cherub!“

Ganz erfüllt von dieser wunderbaren Aussicht schlenderten Fuchsens in tiefem Sinnen durch den Garten.

„Dieser Cherub scheint der Pol zu sein, um den sich in der Pension Bellavista alles dreht,“ bemerkte der Major nach einer Pause tiefen Nachdenkens. „Merkwürdig, sehr merkwürdig!“

Frau Fuchs sagte nichts, aber sie hatte das vage Vorempfinden, als ob sie noch nicht am Ende ihrer Überraschungen in diesem gastlichen Hause seien. Und als der Rundgang um den Garten sie wieder an der eifrig stickenden Centa vorbeiführte, da fragte sie, wer eigentlich neben ihrem provisorischen Zimmer wohne und was die monotonen Stimmen darin bedeuteten.

„Ach, das ist die spanische Gräfin, die mit ihrer Kammerjungfer betet,“ wurde sie belehrt. „Sie sind schon lange bei uns, der Herr Graf v. Sedina Medonia mit seiner Gemahlin und der Cameriera. Sie ist eine sehr feine Dame!“

„Man sollte das bei einer Gräfin v. Sedina Medonia voraussetzen,“ murmelte der Major.

„Ich meine natürlich die Kammerjungfer,“ erklärte Centa mit Betonung.

„Nu eben,“ beeilte sich der Major zuzugeben. „Es ist das bei einer spanischen Kammerzofe wahrscheinlich noch mehr vorauszusetzen. Nun, die Anwesenheit derselben wird Ihnen manche Mühe bei dem Grafen und seiner Gemahlin ersparen.“

„O, die Cameriera räumt nicht auf und putzt nichts aus,“ wurde er belehrt. „Sie hält die Garderobe der Gräfin in Ordnung, sie hilft ihr bei der Toilette und frisiert sie, sie betet mit ihr die kirchlichen Tageszeiten und bespricht mit den Herrschaften deren Familienangelegenheiten, aber sonst wird von uns der Dienst auch in ihrem Zimmer besorgt. Freilich wird ihr im Salon während der Mahlzeiten nur von dem Stubenmädchen serviert, indes meine Schwester und ich Papa und die Gäste bedienen.“

Nachdenklich schritten Fuchsens nach dieser Belehrung wieder weiter. „Anderes Land, andere Sitten,“ gab dann der Major seinen Gefühlen Ausdruck. „Es muss doch aber hier im Hause sonst alles in Ordnung sein, sonst würden Gäste, wie dieser spanische Grande — die Familie gehört zu den ersten des Landes — nicht hier bleiben.“

„Ich habe mir sagen lassen, dass diese südlichen Herrschaften ganz andere Begriffe von Komfort haben als wir,“ meinte Frau Thussi. „Na, wir werden ja sehen!“

Jedenfalls hatte die Zeit heute für die armen Fuchsens bleierne Sohlen, denn sie wollte nicht vorwärts, wie das so zu sein pflegt, wenn man kein gemütliches Zimmer sein nennt. Als es draussen nach Sonnenuntergang auch plötzlich eisig kalt wurde, versuchten sie es mit dem sogenannten „Salon,“ einem grossen Raum zu ebener Erde und daher fusskalt und von einem leichten Modergeruch erfüllt. Die Einrichtung war schäbig, die Ornamente die der Fünfzigpfennig-Basare, und die hereingestellte, schlecht geputzte Petroleumlampe blakte herzerhebend.

Mit Betrachtung der ausgelegten stark begriffenen Photographiealbums verging aber doch die Zeit, und endlich bimmelte ein heiseres Glöcklein seinen Ruf zum „Diner.“ Da der Major und seine Frau im Salon allein blieben, so nahmen sie an, dass man sich gleich im Speisesaal zu versammeln pflegte und begaben sich auch dorthin. In der Tür trafen sie dabei mit einem jungen Paare zusammen, das den sonst nicht immer sehr zuverlässigen Stempel der Geburt, der Rasse und den immer zuverlässigen der Erziehung so deutlich zur Schau trug, dass der Major angeheimelt sich und seine Frau gleich vorstellte und damit die Bekanntschaft des Grafen und der Gräfin von Sedina Medonia machte. Ein schönes Paar — er lichtbraun mit blauen Augen wie ein Engländer aussehend, sie hingegen mit allen Attributen ihrer südlichen Abstammung ausgestattet, von den grossen samtschwarzen Glutaugen an bis zu den winzigen Händen und Füssen der andalusischen Rasse. Neben diesen wirklich angenehmen und liebenswürdigen Menschen fanden der Major und seine Frau noch einen deutschen Prediger mit seiner häuslich aussehenden Frau, einen ungarischen Offizier a. D., ein paar zusammen reisende ältere junge Damen aus Berlin, einen französischen Chasseur-Kapitän und eine junge, weltgewandte Dame vor, welche gleich eine allgemeine Vorstellung übernahm und sich selbst als Frau Welten aus Frankfurt nannte. Fuchsens hörten später, dass die interessante, kluge und weltsichere Dame eine nicht ganz durchsichtige Persönlichkeit war, und dass man begründete Zweifel an ihrem Namen und Frauentitel hege, aber sie war amüsant und angenehm, eine Perle für die Gesellschaft, und Fuchsens waren auch mit der vernünftigen und einzig richtigen Voraussetzung auf Reisen gegangen, dass man weder im Hotel noch in der Pension verlangen könnte, dass die andern Gäste erst ihr Leumundszeugnis und ihr Pedigree zur gefälligen Einsicht vorlegen müssten, ehe man sich mit ihnen zur Tafel setzen und unterhalten könne. Wer im Gasthaus lebt, gleichviel, wie sich’s nennt — Hotel oder Familienpension — der muss sich’s gefallen lassen mit Leuten zusammenzukommen, von denen er nichts weiss, und wenn sie sich sonst wie gebildete Menschen betragen, ist es opportun, nicht erst lange zu fragen und zu forschen, wieso und woher. Das hat bekanntlich schon der selige Lohengrin nicht vertragen, trotzdem seine Elsa doch eigentlich ganz berechtigt zu der berühmten Frage war, die ihr von Übelwollenden für nichts als schnöde Neugier ausgelegt wird. Auf Reisen trifft man so manchen und manche aus dem Hause Lohengrin an, die das Fragen nach „Art und Ort“ nicht vertragen, da muss man halt „die Feste feiern wie sie fallen,“ oder man muss daheim bleiben. Es bleibt allerdings noch der dritte Ausweg: sich ganz abzuschliessen und sich auf seinem Zimmer servieren zu lassen, und wem es Spass macht, mit dem Geruch seines Menüs auf recht beschränktem Raume zusammen zu bleiben und nur das vorgesetzt zu bekommen, was die andern Gäste übrig gelassen haben und dazu noch schlecht bedient zu werden, dem sei diese Manier, ausser Kontakt mit dem „Reisepöbel“ zu bleiben, aufs wärmste empfohlen. Denn der „Reisepöbel“ verliert dabei nichts; die Wirte gewinnen durch die entsprechenden Preiserhöhungen, und der „Exklusive“ hat die Genugtuung, sich nicht mit Krethi und Plethi abgeben zu brauchen und sein Gewand an Leuten zu streifen, von denen er sich sagen muss, dass er gottlob „besser ist wie sie.“

Der Major Fuchs und seine Frau also taten nichts dergleichen, sondern sie unterhielten sich im Speisezimmer der Pension Bellavista ganz gut mit ihren neuen Bekannten. Ein prüfender Blick auf die Tafel hatte Frau Thussi belehrt, dass überflüssiger Luxus hier vermieden wurde, besonders bezüglich reiner Tischwäsche, die in der Pension Malepartus ihren Stolz ausgemacht. Heut’ war Donnerstag und das Tischtuch hier lag sicher schon seit dem Sonntag auf — nein, rein war’s nicht mehr, dafür aber wies es stellenweise ganz hübsche Löcher auf, die zu stopfen es Frau Thussi ordentlich in den Fingern kribbelte. Aber freilich — die Töchter des Hauses mussten ja Jutevorhänge besticken, da konnten sie sich natürlich nicht mit so nebensächlichen Dingen wie Wäscheflicken einlassen.

„Auf was warten wir denn eigentlich?“ fragte der Major naiv, als ihm das „Herumgestehe“ anfing zu lange zu dauern. „Es hat doch längst schon geläutet.“

„Na, der alte Bummler, der Purzel, ist eben noch nicht da,“ belehrte ihn der ungarische Rittmeister. „Das ist auch solche verflixte Mode, dass wir auf den immer warten müssen! Aber sehen Sie, vom andern Ende der Stadt, wo er Stunden gibt, bis hierher gibt’s gerade sechzehn Kneipen, und da er von Haus aus Trompeter ist — na, Sie wissen ja, dass die Blasinstrumente Durst machen.“

„Aha, auf die Art!“ lächelte der Major verständnisvoll. „Was ist er für ein Landsmann? Klingt nicht grade italienisch, der Name Purzel!“

„Ein Bayer ist er, der nach beendeter Dienstzeit bei dem Trompeterchor seines Regimentes eine Italienerin heiratete und mit ihr nach hier auswanderte. Sie war eine intelligente Person und hat die Pension ins Leben gerufen. Nach ihrem Tode hat der Purzel dann das alte Geschöpf geheiratet — aha, da ist er ja endlich — hoffentlich nicht zu sehr illuminiert!“

„Du, Thussi — der Cherub!“ tuschelte der Major seiner Frau ins Ohr. Um Herrn Purzel mit einem Cherub zu verwechseln, dazu gehörten entschieden die Augen der Liebe, die bei Fuchsens, vorläufig wenigstens, nicht vorhanden sein konnten. Infolge dieses Mangels sahen sie also nur einen grossen, schlanken Menschen mit schlechter Haltung und lang wallenden goldblonden Locken und einem ebensolchen Christusbarte, über dem eine dicke Kartoffelnase in rötlichem Glanze leuchtete. Die wässerigen kleinen Schweinsaugen des Cherubs aber hatten einen gutmütigen Ausdruck und ein freundliches Lächeln zeigte die charakteristischen Trompeterfalten in seinen Wangen.

„Bitt’ tausendmal um Pardon, dass i mi a bisserl verspätet habe,“ sagte er atemlos. „Hab’ die Ehr’, Herr Major, freut mi, dass Sie mein Haus beehren. Zu Tisch, wenn’s den Herrschaften recht ist! Schön’s Wetter — Barometer steigt — hab’ mir grad den kleinen Umweg gemacht, um nachzuschauen und den Herrschaften die gute Nachricht zu bringen.“

„Aha!“ tuschelte der ungarische Kapitän, „auf dem Platz, wo das grosse Barometer steht, ist die „Osteria alle megliore fontane,“ wo’s den besten Roten gibt. Dort kann Freund Purzel schlecht vorbei! Daher also die Verspätung!“

Man nahm nun Platz um den übrigens mit den herrlichsten Früchten besetzten Tisch, und Frau Fuchs bemerkte mit Staunen, dass die schon länger im Hause weilenden Gäste sogleich eine fieberhafte Tätigkeit entwickelten, indem sie mit ihren Servietten, denen man das auch ansah, Teller, Bestecke und Gläser zu putzen begannen, ohne sich nur im geringsten damit vor dem Wirte zu genieren, der den Vorsitz bei der Tafel führte. Die spanische Gräfin zeigte dabei sogar in lebhaften Gebärden das erreichte Resultat ihrer Arbeit ihrem Gatten und der vis-a-vis sitzenden Frau Welten, die sich mit dem Hinweis auf das ihrige revanchierte. Heiter lächelnd sah Herr Purzel zu und kramte dabei die neuesten Neuigkeiten aus den Abendblättern aus.

„Du, August — wenn sie das bei uns gemacht hätten, ich wäre gestorben,“ flüsterte Frau Fuchs ihrem Gatten ganz entgeistert zu. „Das ist ja nicht mal der Frau Niedermüller eingefallen!“

„Geschweige der Frau Stolle!“ murmelte der Major, indem er sich in dem vagen Gefühl, dass es doch nötig sein müsste, der Bewegung seiner Tischgenossen anschloss, nur sehr schüchtern und verstohlen sekundiert von seiner besseren Hälfte, deren ganzes Innere sich gegen ein solches Verfahren vor der Öffentlichkeit sträubte. Aber auf Reisen schlägt man manches in den Wind, was einem daheim unmöglich wäre, und zu Frau Thussis Entsetzen fing ihr August nach leichtfertiger Männerart auch schon damit an.

Das Erscheinen der Suppe unterbrach die Beschäftigung ante festum und erfüllte die Atmosphäre mit starkem Knoblauchduft. Infolge dieser Ankündigung verzichtete die Mehrzahl der Gäste auf die Einleitung zum Diner, während nur die Südländer, die jene Würze meist sehr lieben, und der Ungar einiges Weniges davon nahmen und den grösseren Rest stehen liessen.

„Wie? Sie mögen Knoblauchsuppe nit?“ fragte Herr Purzel überrascht. „Ja, da hob’ns aber unrecht! Da wissen’s nit, was gut is. Jetzt, für a Knoblauchsuppen, da lass i mein Leben. Grad extra hab’ i mir’s für heut’ bestellt. Ah, das schmeckt!“

Und die Gäste der Pension Bellavista genossen den Vorzug und das Glück, ihren Wirt, den Cherub Purzel, nicht nur den einen Teller Suppe, sondern auch einen zweiten und dritten mit sichtlichem Behagen ausschlürfen zu sehen und so auf das, was da kommen sollte, zu warten unter Ausübung der himmlischen Tugend der Geduld.

„Donnerwetter — das hätte mir einfallen sollen!“ dachte sich der Major seinerseits.

Na, Herr Purzel erklärte sich schmatzend vor Behagen endlich für befriedigt und nun durften die Gäste auch darankommen. Die weiteren Gerichte waren bei primitivster Servierung indes vortrefflich gekocht — die Dame, welche die Kochlehrerin gespielt, musste es also gut verstanden haben, und Frau Purzel konnte ein entschiedenes Talent für die Kunst Brillat-Savarins nicht abgesprochen werden — dagegen war nichts einzuwenden.

Dagegen war es weniger angenehm, dass der Salon, in den man sich nach beendetem Diner begab, stark nach den gehabten Genüssen duftete, weil die Kammerjungfer der Gräfin dort gespeist hatte, und darum war es auch entschieden deplaciert, wenn nicht direkt falschen Tatsachen huldigend, als Frau Welten sich an das Piano setzte und mit schöner Altstimme davon sang, „dass der Flieder betäubend in der schwülen Sommernacht duftete.“ So etwas lässt sich, wenn man die Nase voll Knoblauch hat, schwer suggerieren, aber was nimmt der Kulturmensch in seiner Höflichkeit nicht alles hin, ohne zu zucken!

Trotz dieser Vergewaltigung seines besseren Wissens durch die Macht des Gesanges stieg der Major, als alle sich zurückzogen, nur ungern in seine kalte ungemütliche Bude von Schlafzimmer mit seiner Thussi hinauf. Auf der Treppe begegnete ihnen Frau Purzel und teilte ihnen mit, dass die Damen morgen früh abreisen würden, Fuchsens das Zimmer also alsbald haben könnten. Dann erkundigte sie sich, wann die Herrschaften zu frühstücken wünschten und als der Major, weil er „ausschlafen“ wollte, als besonders späte Stunde acht Uhr nannte, da meinte Frau Purzel lächelnd: „Sie scherzen, mein Herr!“ Fuchsens legten auf diese eigentümliche Antwort kein Gewicht, sagten „gute Nacht“ und machten, dass sie in die kalten, sich zäh anfühlenden Betten kamen, ohne diese einer besonderen Inspektion zu unterziehen.

Der Schlaf kommt aber in fremden Zimmern und Betten, in denen man vergebens nach der richtigen, vertrauten Kuhle sucht, nicht so rasch