Mamas Alzheimer und wir - Peggy Elfmann - E-Book

Mamas Alzheimer und wir E-Book

Peggy Elfmann

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Beschreibung

Wie ein kräftiger Sturm wirbelt die Diagnose Demenz das Leben der Betroffenen, aber auch ihrer Familien durcheinander. Die Journalistin Peggy Elfmann kennt die Gefühle, Gedanken und Sorgen, mit denen Angehörige leben: Als ihre Mutter mit nur 55 Jahren an Alzheimer erkrankte, war das ein Schock für die damals 32-Jährige. Doch heute weiß sie, dass das Leben auch mit Alzheimer gut sein kann. Auf ihrem Blog "Alzheimer und wir" teilt die Autorin regelmäßig ihre Erfahrungen. Damit wurde sie für den Grimme Online Award nominiert und gewann den Goldenen Blogger. In diesem Buch erzählt sie ihre Geschichte von Anfang an. Sie beschreibt die Herausforderungen, die mit der fortschreitenden Demenz auftreten, und welche Lösungen sie und ihre Familie gefunden haben. Dieses Buch ist ein berührender Erfahrungsbericht, aber nicht nur das: Er enthält Hintergrundwissen über Diagnose und Behandlung sowie viele persönlich erprobte Tipps zum Umgang mit Betroffenen und zur eigenen Bewältigung.

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© privat

Peggy Elfmann ist Journalistin und schreibt zu Themen rund um Gesundheit, Familie und Gesellschaft. Auf ihrem Blog „Alzheimer und wir“, der ihr 2020 eine Nominierung für den Grimme Online Award einbrachte und für den sie im selben Jahr mit dem Goldenen Blogger ausgezeichnet wurde, berichtet sie über die Alzheimererkrankung ihrer Mutter und darüber, wie sie als Tochter damit umgeht. Sie hat drei Töchter und lebt in München. www.alzheimerundwir.com

Peggy Elfmann

Mamas Alzheimer und wir

Erfahrungsbericht & Ratgeber

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Informationen zu unserem gesamten Programm, unseren Autorinnen und Autoren und zum Verlag finden Sie unter: www.mabuse-verlag.de.

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Ausschließlich aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im vorliegenden Buch die männliche Sprachform gewählt. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für alle Geschlechter.

Vor seiner Publikation wurde das Manuskript vom Expertenteam der Demenz Support Stuttgart gGmbH einer kritischen Durchsicht unterzogen, was wichtige Hinweise beigesteuert hat. www.demenz-support.de

© 2021 Mabuse-Verlag GmbH

Kasseler Str. 1 a

60486 Frankfurt am Main

Tel.: 069 – 70 79 96-13

Fax: 069 – 70 41 52

[email protected]

www.mabuse-verlag.de

www.facebook.com/mabuseverlag

Projektkoordination und Lektorat: Simone Holz, Pisa,

www.lektorat-redazione-holz.eu/

Umschlagabbildung: Peggy Elfmann

Satz und Gestaltung: Martin Vollnhals, Neustadt a. d. Donau

Druck: SOL Service GmbH, Schrobenhausen

ISBN: 978-3-86321-597-2

eISBN 978-3-86321-577-4

Printed in Germany

Alle Rechte vorbehalten

Dankeschön

Auf dem Weg zu diesem Buch haben mich viele liebe Menschen begleitet, denen ich Danke sagen möchte.

Zuallererst möchte ich mich bei meiner Familie bedanken. Sie hat mir auch für dieses Buch das Vertrauen geschenkt, dass ich die richtigen Worte finden werde, um über meine und unsere Erfahrungen mit der Alzheimererkrankung zu schreiben. Es ist ein „Alzheimer und wir“, wie ich immer sage, und ich danke euch für dieses „wir“. Vielen Dank Mama, Papa, Kai, Katrin.

Ohne meine Mama wäre dieses Buch nie entstanden. Ich habe mir das Thema Alzheimer nicht ausgesucht, es ist zu mir gekommen. Mir ist es ein Herzensanliegen geworden, darüber zu schreiben und aufzuklären. Danke, Mama, dass du mir immer wieder zeigst, dass das Leben mit Alzheimer viel mehr ist als die Krankheit. Danke, dass du mir ein Urvertrauen mit auf meinen Lebensweg gegeben hast.

Ein besonderer Dank geht an meine drei Töchter. Sie haben meine Zettelsammlung mit großem Interesse verfolgt und erlebt, wie daraus ein richtiges Buch entstanden ist. Ich danke euch für eure Zuversicht, eure Freude und euer Lachen, das ihr mit mir teilt.

Ich danke all meinen lieben Freunden und Freundinnen, die mir zugehört haben, die meine Zweifel ertragen haben und die immer wieder aufmunternde Worte für mich hatten. Jedes einzelne hat mir ein Stück weit beim Schreiben geholfen.

Besonderer Dank geht an meine Erstleserinnen Anne, Claudia, Barbara und Anne. Danke, dass ihr so behutsam mit meinem Manuskript umgegangen seid und mir wertvolle Hinweise gegeben habt.

Vielen Dank an alle Experten und Expertinnen, die ich interviewen durfte und von denen ich viel über Demenz und Alzheimer gelernt habe. Danke auch noch einmal an das Team der Demenz Support Stuttgart gGmbH, das dieses Buch auf fachliche Korrektheit überprüft hat.

Ein großes Dankeschön geht an das Team des Mabuse-Verlags, dafür, dass es an meine Idee von diesem Buch geglaubt hat. Ich wollte von Anfang an eine Mischung aus emotionalen Erzählungen und praktischen Tipps schreiben. Zu Beginn Franziska Brugger und später dann Simone Holz haben mich wunderbar bei der Entstehung des Buches unterstützt.

Bedanken möchte ich mich auch bei all meinen Blog-Lesenden, die mich treu begleiten. Ich freue mich über jede Einzelne und jeden Einzelnen und hoffe, dass ich mit diesem Buch ebenso berühren und unterstützen kann wie auf „Alzheimer und wir“.

Inhalt

Prolog

1Die große Panik

„Liebe Mama, wie kann das sein?“

Angst um Mama

Angst um mein Leben

Angst um meine Tochter

Infoteil: Wie wird die Alzheimerdiagnose gestellt?

2Wissen wollen, was kommt

„Liebe Mama, ich schicke dir ein paar Broschüren“

Auf der Suche nach Informationen

Über Alzheimer (nicht) sprechen

Allein mit der Angst

Infoteil: Was tun nach der Diagnose? Ein Überblick über Medikamente, Therapien und Angebote für Angehörige und Betroffene

3Alles wie immer! Alles wie immer?

„Liebe Mama, du siehst gut aus“

Stark bleiben

Ein Stück normales Leben

Mut durch einen neuen kleinen Menschen

Infoteil: Vorsorgen – Drei wichtige Dokumente und mehr

4Kleine große Veränderungen

„Liebe Mama, sei doch nicht traurig“

Die Bedürfnisse (nicht) erkennen

Lücken in der Orientierung

Ganz normale Großeltern?

Eine neue Beziehung entsteht

Infoteil: Kommunikationsfehler – und wie es besser geht

5Deine Welt, meine Welt

„Liebe Mama, ich bin mir unsicher“

Fest im Alltag

Kleine und große Kinder

Und wo bleibe ich?

Infoteil: Fünf häufige Kinderfragen zur Demenz – und wie ich sie angemessen beantworte

6Alles ist anders

„Liebe Mama, ich hatte Angst vor dir“

Wut und Hilflosigkeit

Der Aggression auf den Grund gehen

Weniger negative und mehr schöne Gefühle

„Die Oma ist doof“ – Über kindliche Aggressionen

Infoteil: Gemeinsam Zeit verbringen – Ideen, wie Menschen mit Demenz und Kinder spielend zusammenkommen können

7Du fehlst mir

„Liebe Mama, ich bin so kaputt“

Meine Traurigkeit und ich

Müttersorgen

Ein großes Fest für Mama

Infoteil: Sich im eigenen Zuhause besser zurechtfinden

8Neue Welten betreten

„Liebe Mama, ich mache mir Sorgen um dich“

Hilfe holen fällt schwer

In guten wie in schlechten Zeiten

Der lange Weg zur Tagespflege

Warten auf die Tagespflege

Zwischen Loslassen und Festhalten

Infoteil: Tagespflege – was ist das?

9Neu kommunizieren lernen

„Liebe Mama, ich würde gerne mit dir sprechen“

Wo sind die Wörter?

Ohne Worte miteinander sprechen?!

Das Sprechen anregen – kinderleicht

Infoteil: Die Biografie richtig nutzen

10Viel Bewegung und große Unruhe

„Liebe Mama, wo wolltest du hingehen?“

Vom Weglaufen, Hinlaufen und Verirren

Immer in Bewegung

Ich wünsche mir eine andere Oma

Infoteil: Hinlaufen und Verirren – Tipps für Schutz und Sicherheit

11So fern und so einsam

„Liebe Mama, ich möchte für dich da sein“

Wenn kleine Dinge zu großen Problemen werden

Mein dauernd schlechtes Gewissen

Darf ich traurig sein?

Ein Helfernetzwerk aufbauen

Lernen durch die Pflege in der Familie

Neue, eigene Wege gehen

Infoteil: Kleine Lösungen für Herausforderungen im Alltag

12Im Krisenmodus

„Liebe Mama, wann werden wir uns wiedersehen?“

Von Angst und Sorgen

Nähe trotz Abstand?

Pflegen in Coronazeiten

Lernen in und aus der Krise

Infoteil: Ideen, wie man (aus der Ferne) Gutes tun kann

13Heute ein Lächeln

„Liebe Mama, du fehlst mir, selbst wenn ich neben dir sitze“

Immer wieder Lösungen finden

Gemeinsam schaffen wir das

Kleine Dinge mit einer großen Wirkung

Alzheimer vorbeugen – geht das?

Infoteil: Selbstfürsorge für pflegende Angehörige

Epilog

Abschließendes

Prolog

„Wir beobachten das mal.“ Mit diesen Worten bin ich aufgewachsen. Wenn ich mich als Kind verletzt hatte oder krank war, ging ich zu meiner Mama. Sie tröstete mich, versorgte meine Wunden und redete mir gut zu. Ihre Ruhe und Geduld gaben mir die Zuversicht, dass es wieder gut werden würde. Auch als ich älter war, wandte ich mich mit meinen Sorgen und Problemen oft an sie. Sie unterstützte mich bei meinen Wünschen und Plänen, auch wenn sie ihr nicht immer leichtfielen.

Als ich 16 war, bewarb ich mich für ein Auslandsstipendium. Das Auswahlverfahren dauerte einen ganzen Tag, inklusive Sprach- und Wissenstests, einem Vortrag mit Diskussion und einem Bewerbungsgespräch auf Englisch. Ich bekam das Stipendium und durfte für ein Jahr in die USA gehen. Ich war voller Vorfreude und konnte es kaum erwarten, aber je mehr der Tag nahte, umso mehr Zweifel bekam ich. Schon Tage bevor ich fliegen sollte, lagen meine Mama und ich uns weinend in den Armen. Sie machte mir Mut und ließ mich gehen.

Auch Jahre später, als ich aufbrach, um im Süden Äthiopiens zu forschen, stärkte sie mich. Mama gab mir eine Karte mit auf den Weg, auf die sie geschrieben hatte: „Sei entschlossen und tapfer“ Egal, wie weit ich weg war, irgendwie war sie immer in meiner Nähe. Und irgendwie behielt sie auch recht: Fast alle Wehwehchen, egal ob Schmerzen oder Liebeskummer, gingen vorüber, wenn ich beobachtete und abwartete.

„Jetzt machen wir einen Plan.“ Das waren die Worte meines Papas. Er schmiedete gerne Pläne, für Urlaube, Wochenenden und auch für den Alltag. Vielleicht war das typisch für einen Lehrer? Immer die Kontrolle haben zu wollen und zu wissen, was als Nächstes passiert. Dabei war in seinem Leben auch vieles nicht nach Plan gelaufen. Als kleiner Junge hatte er in der Nachkriegszeit seine Mutter und seinen Vater verloren, wurde von seinem Bruder getrennt und kam fernab in eine fremde Familie und fand dort eine neue Heimat. Ein Leben voller Herausforderungen, und als er dann endlich meine Mama traf, kehrte viel Ruhe ein. Je älter ich wurde, umso mehr nervte mich das dauernde Planen meines Papas. Ich dachte, ich wäre ganz anders. „Jetzt wart doch erst mal ab“, entgegnete ich ihm manchmal mit einem genervten Augenrollen. Ich wollte frei entscheiden und mich nicht einengen lassen durch irgendeinen Plan. Dabei hatte ich doch selber genaue Vorstellungen und Erwartungen, die mich leiteten und mir Halt gaben.

Als die Alzheimerkrankheit im August 2011 in unsere Familie kam, half uns weder Abwarten noch Planen. Die Diagnose meiner Mama kam wie ein Tornado. Sie tauchte mit einem Mal auf, ohne jegliche Vorwarnung, riss uns allen den Boden unter den Füßen weg und fegte uns durch die Luft.

Zurück am Boden dachte ich, ich könnte weiterleben wie bisher, und hielt an meiner kleinen, eng getakteten Welt fest. Mir tat vieles nicht gut in diesem Alltag, aber ich traute mich nicht, andere Wege auszuprobieren. Ich spürte Trauer, Hilflosigkeit und Wut, hielt sie aber in mir. Ich verstand nicht, dass Alzheimer wie eine Wolke über uns allen schwebte und auch mich als Tochter begleiten würde. Für mich war sie lange nur eine grau-trübe Wolke. Ein Schleier, der sich über alles legte. Der machte, dass mein Alltag, mein kleiner Lebensplan mich heillos überforderte.

Ich suchte den richtigen Weg, um mit Alzheimer umzugehen, und fragte viele Menschen um Rat. Gefunden haben wir unseren Weg, so wie jede Familie ihren eigenen Weg mit der Demenz finden muss. Ich wünsche mir, dass niemand damit im Stich gelassen wird. Dass da Ärzte, Psychologen und Pflegeprofis sind, die Rat geben, und vor allem auch Angehörige und Menschen mit Demenz, die erzählen. Die einen Einblick geben in das Leben mit dieser Krankheit und nicht nur von den Schrecken berichten, sondern von allem, auch von den schönen Momenten und den Dingen, die man dazulernt.

Es ist nicht das Ende.

Es wird nur anders.

Es ist das Leben.

1 Die große Panik

„Liebe Mama, wie kann das sein? Wie kannst du – mit 55 Jahren an Alzheimer erkranken? Das ist doch etwas, das nur alte Leute haben. Und nicht du! Du bist jung, du hast mir erst vor einer Weile gesagt, dass du kurz dachtest, du wärst noch mal schwanger. Es waren doch erst die Wechseljahre. Wie kann es sein, dass du Alzheimer hast?

Als Papa mich angerufen und gesagt hat, dass du Alzheimer hast, war es mit einem Mal schwarz in meinem Kopf. ‚Was?‘, habe ich gerufen. Es war Abend, du warst noch im Krankenhaus, schon seit zwei Tagen. Ich dachte, du bist überarbeitet, hast zu viel zu tun und brauchst Ruhe und eine Auszeit – aber ALZHEIMER? Papa hatte gesagt: ‚Peggy, setz dich bitte hin!‘ So ein Quatsch, dachte ich. Was sollte er mir schon sagen? Mich haut so schnell nichts um. Ich als berufstätige Mutter habe doch nie Zeit. Also hing ich weiter die Wäsche auf, während wir telefonierten. Und dann musste ich mich doch setzen. ‚Deine Mutti hat Alzheimer‘, hatte Papa gesagt. Ich hielt ein feuchtes Shirt in den Händen und rief geschockt: ‚WAS?‘ ALZHEIMER. ALZHEIMER. ALZHEIMER. Wie so ein Werbebanner, das die Flugzeuge durch den Himmel ziehen, flog das Wort durch meinen Kopf. Wie kann das sein?

Ich bin fassungslos. Am liebsten würde ich mich in mein Bett legen und einfach nur weinen. Alzheimer, damit verbinde ich Pflegeheim und ein grausames Vergessen. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Du sollst Alzheimer haben? Ich kann es nicht glauben.

Am Tag danach bin ich zur Arbeit gefahren, weil ich so verdammt pflichtbewusst bin. Mein Leben hatte sich geändert, aber ich wollte so weitermachen wie immer. Ich ging in mein Büro, setzte mich, schaltete den Computer an. Ging zu meiner Chefin und wollte ihr einen ‚Guten Morgen‘ wünschen, aber dann liefen schon die Tränen. Sie kommen die ganze Zeit einfach so. Eine meiner Lieblingskolleginnen meinte, ich solle meine Kraft für etwas anderes als Weinen aufbewahren. Aber ich komme nicht dagegen an. Ich muss einfach immer weinen. Wieso verdammt noch mal hast du Alzheimer? Du bist doch meine liebe, schöne, schlaue Mama. Halt mich fest und geh nicht weg! Weißt du bald nicht mehr, wer ich bin? Was wird nun aus mir und meinem Leben? Ich wollte doch ein zweites Kind bekommen. Darf ich das jetzt überhaupt, wo du vielleicht bald Pflege brauchst und mich als Tochter? Ich habe Angst vor der Zukunft. Was bringt der Alzheimer? Tief in meinem Herzen ist nun etwas Dunkles und Schweres. Es legt sich über alles andere. Ich glaube, mein Leben wird nie wieder gut.“

Angst um Mama

Ich hatte solche Angst. Die große Panik befiel uns alle in den ersten Wochen nach der Diagnose. Ich habe zu Hause geweint, bei der Arbeit, am Telefon mit Freundinnen, so ziemlich überall. Ich konnte es nicht glauben. „Warum meine Mutti?“, fragte ich mich und die anderen immer wieder. Ich bekam Antworten wie: „Das weiß keiner“, „Manchmal trifft es auch relativ junge Menschen“, „Vielleicht liegt es in der Familie“. Ich wollte die Antworten eigentlich gar nicht hören, denn sie gaben mir trotz allem keine Antwort auf die Frage: Warum meine Mama?

Ich hatte Angst um sie. Dass sie bald stirbt. Dass ich sie verliere. Ich wollte so schnell wie möglich zu ihr. Ein paar Tage nach dem Anruf, der alles veränderte, war ich in aller Frühe aufgestanden, um kurz nach fünf Uhr in München in den Zug zu steigen und zu meinen Eltern zu fahren. Ich wollte Mama zu einer abschließenden Untersuchung am Universitätsklinikum und danach zu ihrem Arzt begleiten. Im Zug zeigte ich mein Ticket, mit Ziel: Jena-Paradies. Der Schaffner studierte es und sagte mit einem charmanten Lächeln im Gesicht: „Aha, einmal ins Paradies wollen Sie.“ Ich weinte. Nie war ich weiter entfernt vom Paradies als in diesem Moment frühmorgens im ICE. Ich heulte, es war mir egal, dass jeder im Zug meine Tränen sehen konnte. Der Zug hatte Verspätung, ich nahm mir ein Taxi vom Bahnhof und wollte nichts anderes, als im Behandlungszimmer neben meiner Mama zu sitzen. Aber wie das so ist: Die eigentlich kurze Fahrt zog sich hin, wir standen gefühlt Stunden an den roten Ampeln und dann fand der Taxifahrer die Zufahrt zu dem entsprechenden Klinikgebäude nicht. Ungeduldig stieg ich aus und wollte den Rest zu Fuß gehen. Ich zahlte, wartete nicht auf mein Rückgeld und rannte die Straße entlang. Doch da kamen mir meine Eltern schon entgegen. Hand in Hand. Papa schaute ernst, Mama lächelte. Ich freute mich, sie zu sehen, war aber irgendwie auch sauer: War es das jetzt? Steht alles schon fest? War ich umsonst gekommen? „Das ging ganz schnell“, sagte Papa trocken. Mama blieb still. Es war klar: Die Diagnose Alzheimer war bestätigt. Ich umarmte Mama. Papa drängte zum Weitergehen, er marschierte in seinem üblichen Marschtempo und zog Mama mit.

Zum Parkplatz mussten wir durch ein kleines Einkaufszentrum gehen. Diese Geschäfte, diese vielen Menschen, mir war das alles zu laut und zu bunt. „Willst du etwas essen, Peggy? Du hast doch bestimmt Hunger, wenn du so früh aufgestanden bist“, fragte Papa. „Komm, wir trinken einen Cappuccino.“ Echt jetzt? Ich konnte es nicht glauben. Wir trinken einen Cappuccino, nachdem Mama die PET-Untersuchung (siehe Infoteil dieses Kapitels) hat machen lassen und diese bekloppte Diagnose bestätigt ist? Das war mir eindeutig zu viel Normalität. „Ich hab keinen Hunger“, sagte ich. Wir gingen zum Auto. Ich bestand darauf zu fahren. Ich, die seit Jahren fast gar nicht Auto fuhr. Aber ich wollte nicht, dass mein Papa jetzt am Steuer saß. Ich fuhr die Landstraße entlang, Papa saß neben mir und Mama auf der Rückbank. „Dort hinten sind die Dornburger Schlösser, die sind sehr sehenswert“, erklärte mein Papa, zeigte aus dem Fenster und bestaunte die Landschaft. „PAPA“, entgegnete ich genervt. Ja, draußen war eine wunderschöne Landschaft. Die Sonne schien, wir hatten einen malerischen Blick auf die Saale, aber mir war nicht nach Konversation. Ich schaute nach draußen, aber eine malerische Landschaft mit Schloss konnte ich nicht sehen. Es war irgendwie alles grau. Mama sagte nichts. Ich starrte nach vorne auf die Straße. Schweigend fuhren wir zu ihrem Neurologen. Er hatte die Erstdiagnose gestellt, Mama dann aber noch mal an die Universitätsklinik überwiesen, um sie zu bestätigen. Wir gingen den langen Gang entlang und setzten uns in den Wartebereich. UND JETZT? UND JETZT? So wummerte es die ganze Zeit in meinem Kopf. Ich hatte Angst, weil ich doch gar nicht wusste, wie es nun weitergehen sollte. Was würde der Alzheimer mit meiner Mama machen? Gab es nicht immer noch eine winzige Hoffnung, dass alles nur ein Irrtum war? Vielleicht könnte der Arzt auch ein Medikament verschreiben – und Mama würde wieder gesund werden?

Die Worte des Arztes waren klar. Diagnose Alzheimer. Alzheimer ist nicht heilbar. Während er erzählte, schwirrten zwei Fragen in meinem Kopf herum: ‚Warum Mama?‘ und ‚Wie geht es weiter?‘. Der Arzt nahm sich viel Zeit und erklärte. Wir hörten zu und nickten, meiner Mama liefen die Tränen über die Wangen. Meine Eltern hielten sich an den Händen.

Obwohl Wissenschaftler seit Jahrzehnten daran forschen und immer wieder an neuen Medikamenten tüfteln, gibt es bislang keine Heilung von Alzheimer. Die Arzneimittel können die Krankheit nicht heilen, der Prozess ist unaufhaltbar, aber sie können ihn verzögern. Aber was hieß das nun für meine Mama? Der Arzt wollte sich nicht festlegen. Alzheimer sei individuell und er könne nicht vorhersagen, wie und in welchem Tempo die Krankheit verläuft. Mit diesen Worten und einem Rezept entließ er uns aus seiner Sprechstunde.

Ich konnte es noch immer nicht glauben. Meine liebe, schöne, schlaue, herzensgute Mama, die da neben mir stand, sollte Alzheimer haben? Ich nahm ihre Hand und wir gingen langsam zum Auto. Mein Hoffnungsschimmer, dass alles nur ein großer Irrtum war, lag begraben.

Alzheimer stellte ich mir wie ein Zerfallen vor. Aber war es wie eine Sandburg am Meer, die mit jeder Welle ein klein wenig mehr von ihrem Fundament verlor und Stück für Stück zusammensackte? Oder war es eine einzige Welle oder ein Orkan, die kamen und die Basis wegrissen und nur Leere hinterließen? Warum konnte man diese Wellen nicht anhalten? Oder die Sandburg auf einen trockenen Grund setzen? Was würde mit Mama passieren, wie würde es weitergehen? Wie konnte es sein, dass sie mit 55 Jahren an Alzheimer erkrankt war? „Ungewöhnlich jung“, hatte der Arzt gesagt. Aber es passiere. Warum Mama? Ich war wütend und traurig zugleich. Es war nicht fair, dieses Leben. Das hatte meine Mama nicht verdient. Schrecklich und gemein kam mir die ganze Welt vor.

Angst um mein Leben

Ich hatte nicht nur Angst um meine Mama, ich hatte auch Angst um mich. Was würde aus mir werden? Ich wollte gerne ein zweites Kind bekommen. Konnte ich das jetzt noch? Durfte ich es? War da genug Kraft für zwei Kinder ohne die Unterstützung einer Oma? Hatte ich genug Kraft für zwei Kinder und eine kranke Mutter? Ich hatte eine Stelle mit mehr Verantwortung übernommen, würde ich das in Zukunft weitermachen können, wenn meine Mama Pflege bräuchte? Hätte ich genug Kraft und Zeit, um weiter so ehrgeizig arbeiten zu können? Wie sollte ich alles schaffen? Ich, die ihre Arbeit als Journalistin so sehr mochte, dass sie kaum in Elternzeit gegangen war und nun den täglichen Spagat zwischen Beruf und Kind lebte.

Meine Eltern wohnten weit weg, aber wenn ich Hilfe brauchte, hatten sie mir oft ihre Unterstützung gegeben. Wenn die Kita geschlossen hatte und ich arbeiten musste, kamen sie schon mal, um auf meine Kleine aufzupassen. Noch wichtiger war für mich jedoch immer gewesen, dass ich meine Mama um Rat fragen konnte, wenn ich nicht weiterwusste. Ob das nun ein Rezept für die Kohlrouladen war oder mein Gejammer über fehlende Krippenplätze, ich konnte sie anrufen und sie war für mich da. Wie sollte das jetzt werden? Sie brauchte mich doch, jetzt, wo der Alzheimer in ihr Leben gekommen war. Durfte ich da überhaupt noch ein Kind bekommen? Konnte ich tatsächlich weiterarbeiten? Würde ich Karriere machen können? Wieder einmal lange und weit weg reisen? Wie konnte ich mein Leben leben und gleichzeitig eine pflegende Tochter sein? Ich hatte all diese Fragen im Kopf und sie machten mir Angst.

Die große Panik befiel uns alle in den ersten Wochen und Monaten nach der Diagnose. Kopfschütteln, Tränen, Verzagen? Mir half das Weinen. Und es tat gut, dass wir als Familie zusammenkamen. Mein Bruder war da mit seiner Frau, ich mit meiner Familie. Wir saßen alle im Wohnzimmer, in stiller Erwartung, ein bisschen wie Heiligabend bei der Bescherung, bloß dass wir dieses Geschenk wirklich gerne zurückgegeben hätten. Ich saß neben Mama und hielt ihre Hand. Papa sprach. Meine Tochter turnte auf dem Sofa herum. Ich weinte, Mama weinte, bis auf meine kleine Tochter hatten wir alle Tränen in den Augen. ‚Wie soll es nun weitergehen?‘, das war die Frage, die wir versuchen wollten zu beantworten. Wir waren immer noch geschockt von der Diagnose. Wir weinten zusammen, aber doch jeder für sich. Wir sprachen nicht über die Gefühle, die uns zu Tränen rührten, und nicht über die Hoffnungen und Erwartungen, die wir damit begruben. Papa hatte sich darauf gefreut, mit Mama zu reisen, wenn sie in ein paar Jahren in den Vorruhestand gegangen wäre. Vielleicht hätten sie sein Traumland Island besucht, möglicherweise sogar wieder eine Lapplandwanderung gemacht und ganz bestimmt hätten sie Zeit in ihrem Lieblingsurlaubsland Schweden verbracht. Ich wünschte mir Unterstützung für meinen Alltag als berufstätige Mutter, mein Bruder wünschte sich eine eigene Familie. Und nun das: Alzheimer. Wir ließen unseren Gefühlen nicht so viel Raum, schließlich waren wir zusammengekommen, um meine Eltern zu unterstützen und mit ihnen über eine Lösung nachzudenken. ‚Wie soll es weitergehen?‘, diese Frage wollten wir beantworten. Aber wie will man Antworten auf eine Frage finden, wenn man keinen blassen Schimmer davon hat, wie genau die Umstände und Bedingungen sein werden? Was würde die Alzheimerkrankheit für Mama bringen? Die Zukunft war etwas, das hinter einem grauen Schleier lag.

In meinem Kopf tanzten die Gedanken Pogo. Soll ich zu meinen Eltern ziehen? Eine erfahrene Kollegin, deren Ratschläge ich sehr schätze, hatte gesagt: „Du darfst auf keinen Fall deinen Job aufgeben.“ Dieser Satz hämmerte in meinem Kopf. Ich hatte nicht ernsthaft daran gedacht, meinen Beruf aufzugeben. Ich lebte und liebte meinen Job als Journalistin: interessante Menschen treffen, Interviews führen und schreiben. Ich hatte immer selbstständig sein wollen. Ich wollte das nicht aufgeben. In meinem Kopf war aber auch der Wunsch und ein wenig die Verpflichtung: ‚Ich kann Mama nicht im Stich lassen, ich bin doch ihre Tochter.‘ Das Gedankenkarussell drehte sich in einem fort: Was ist mit meiner Arbeit? Was mit meiner Tochter? Was mit dem Leben, das ich mir in München eingerichtet habe? Ich kann doch nicht so einfach umziehen – und meiner eigenen kleinen Familie diese Entscheidung aufdrücken. Oder konnte ich doch? War es nicht sogar meine Pflicht als Kind?

Wir waren innerlich alle voller Panik und Sorge – und doch versuchten wir, einen Plan für das Ungewisse zu machen. Ich konnte mir nicht vorstellen, mein Leben aufzugeben. Und meine Eltern sagten klar, dass sie das auch nicht wollten. Aber ich wollte doch auch für sie da sein und ihnen zeigen, dass ich mich kümmern möchte und sie nicht alleinlasse. Aber mit der Distanz, die zwischen uns liegt, ist das natürlich nicht so einfach. Wir sprachen sehr vage über mögliche Lösungen. Sollten sie zu mir und meiner Familie ziehen? Oder zu meinem Bruder und seiner Frau? Keiner von uns hatte eine Wohnung oder ein Haus, in dem genug Platz gewesen wäre. Könnten sie weiter zu Hause bleiben, irgendwann mit entsprechender Unterstützung? Über einen möglichen Umzug in ein Pflegeheim sprachen wir nicht. Ich traute mich nicht einmal, das auszusprechen, und versuchte, diesen Gedanken zu ignorieren. Ich hatte kein schönes Bild von einem Pflegeheim im Kopf – und das, obwohl ich doch keine Erfahrung damit hatte. Wenn ich an ein Heim dachte, sah ich meine Mama vor mir, die alleine, hilflos und verwirrt im Gang eines Pflegeheimes umherirrte. Wir sprachen nicht über alternative Wohnformen wie ein Betreutes Wohnen oder Senioren-WGs, diese Möglichkeiten kannten wir damals noch nicht. Meine Mama war doch noch so jung. 55 Jahre alt – es wirkte absurd, dass wir über Altenheime entscheiden sollten. „Wir helfen euch“, versprachen mein Bruder und ich.

Papa wollte das Haus verkaufen, dann irgendwo in meine Nähe ziehen. Das hatten wir uns überlegt und es schien für alle eine Möglichkeit. Konkreter wurde dieser vage Plan nie, bis heute nicht. Vielleicht war das auch gar nicht wichtig in der Situation damals. Wichtig war, dass wir uns versichert hatten, dass wir eine Familie sind und uns unterstützen. Ja, die Diagnose Alzheimer war schrecklich. Aber: Mama war nicht allein und wir wollten sie unterstützen.

Angst um meine Tochter

Ich war in großer Panik – und versuchte sie doch von meiner Tochter fernzuhalten. Ich unterdrückte meine Tränen, wenn ich nachmittags mit ihr Duplo spielte oder wir auf dem Spielplatz waren. Meine Tochter war noch nicht ganz drei Jahre alt und hatte klare, kindliche Bedürfnisse. Sie wollte ihren kleinen Duplozug aufbauen, wollte hohe Türme mit den Bausteinen stecken und auf dem Spielplatz klettern. Sie brauchte Essen, ich kaufte ein und kochte und machte all das, was man für kleine Kinder macht. Diese Routine sorgte dafür, dass mein Leben weiterlief, dass ich mich nicht ins Bett legte und weinte und mich aufgab, weil die Welt um mich herum plötzlich so schrecklich gemein wirkte. Abends, wenn sie schlief, schlich ich manchmal in ihr Zimmer und betrachtete ihr zartes Gesicht. Da war die Welt mit einem Mal friedlich und ich etwas versöhnt.

Wie kann man einer Dreijährigen Alzheimer erklären? Was weiß ein kleines Kind über das Gehirn und über Nervenzellen, die nicht mehr so arbeiten, wie sie arbeiten sollen? Nichts. Viel zu kompliziert wären diese Erklärungen. Sollte ich sagen: ‚Die Oma ist krank‘? Das wirkte irgendwie unglaubwürdig. Wie kann die Oma krank sein, wenn sie weder Husten noch Schnupfen hat und auch nicht mit Fieber im Bett liegt, sondern lächelnd in der Küche steht und kocht? Und so sprach ich die Diagnose nicht an. Ich sagte meiner Tochter damals nicht die klaren Worte: ‚Oma hat Alzheimer.‘ Ich dachte, es wäre besser so. ‚Was sollte es bringen, meiner Tochter von etwas zu erzählen, das sie nicht verstehen kann?‘, das fragte ich mich und entschied, dass sie überhaupt nichts davon hätte. Vielleicht wollte ich es aber einfach immer noch nicht wahrhaben. Ich hoffte auf ein kleines Wunder. In jedem Fall konnte ich es immer noch nicht verstehen. Ich verstand nicht, was Alzheimer ist und was die Erkrankung mit sich bringen würde.

Ich sprach mit meiner sensiblen Tochter auch nicht über meine Gedanken. Ich zeigte ihr meine Gefühle nicht. Wenn ich mit ihr zusammen war, habe ich mich sehr zurückgenommen. Ich wollte meiner Kleinen keine Angst machen. Ich wollte ihre Unbeschwertheit nicht trüben. Aber in Gedanken war ich oft weit weg. Ich hatte Angst um meine kranke Mama und reiste Hunderte Kilometer, um sie zum Arzt zu begleiten. Aber meinem Kind sagte ich wie nebenbei: „Ich gehe mit der Oma zum Arzt.“ Ich hatte Panik, dass meine Mama bald stirbt. Ich traute mich nicht, das meiner Tochter zu sagen. Was wusste mein Kind vom Sterben und dem Tod? Sie wusste ja nicht einmal, dass es ihn gab. Ich fühlte mich hilflos, ob und wie ich das Thema Alzheimer ansprechen sollte.

Ich dachte, es würde sich ergeben und meine Tochter hineinwachsen. Ich nahm mir vor, dass ich ihre Fragen beantworten würde, wenn sie älter wäre und es die Situation erfordere. Aber ich wollte sie nicht unnötig besorgen.

Aber jetzt hatte ich Angst. Angst, etwas falsch zu machen. Angst, meiner Tochter wehzutun. Angst, mit ihren Tränen nicht umgehen zu können. Ich wollte mein Kind beschützen. Ich wollte sie vor meiner Trauer beschützen, ich wollte nicht, dass sie weint und sich sorgt. Aber es wäre vielleicht hilfreich gewesen, ihr zu sagen: ‚Ich bin traurig, weil es der Oma nicht gut geht.‘ Oder: ‚Ich mache mir Sorgen um die Oma.‘ Heute weiß ich: Das Schlimme waren nicht meine traurigen und wütenden Emotionen, sondern dass ich sie nicht ausgesprochen habe. Meine Gefühle waren da, auch wenn ich sie nicht zeigte. Sie schwebten wie eine Wolke über mir und verdunkelten meine Stimmung. Aber Kinder haben feine Antennen, sie kennen ihre Eltern so gut, weil sie sie immerzu beobachten, und natürlich spüren sie ganz besonders, wenn da eine dunkle Wolke über einem schwebt, und es macht ihnen ein komisches Gefühl. Ich weiß nicht, ob meine Tochter sich Gedanken dazu gemacht hat, sie war sehr rücksichtsvoll. Aber vielleicht hätte es ihr geholfen, wenn ich gesagt hätte: ‚Ich bin gerade traurig, weil die Oma eine Krankheit hat. Das hat nichts mit dir zu tun.‘

In diesen ersten sorgenvollen Wochen nach der Diagnose hatte ich seit langer Zeit wieder das Gefühl, dass ich eine Tochter bin. Aber ich sah mich nicht mehr als die kleine, liebe Tochter, die bei ihrer Mama Hilfe sucht. Mit einem Mal war ich erwachsen geworden. Ich fühlte mich als Tochter, die auf einmal eine Verantwortung hatte – und doch überhaupt keinen Plan, was sie tun konnte und sollte. Ich wollte für meine Mama da sein, aber ich wusste nicht wie. In meinem Kopf wummerte es noch immer und ich fragte mich immerzu: ‚Warum meine Mama?‘ Ich hatte Angst, weil ich doch gar nicht wusste, wie es nun weitergehen sollte. Was würde der Alzheimer mit meiner Mama machen? Würde sie mich jetzt alleine lassen? Schrecklich und gemein kam mir die ganze Welt vor. Ich fühlte mich schrecklich einsam. Die Krankheit machte mir Angst und ich wählte die Strategie des Überspielens. Ich wollte so viel Alltag und Arbeit wie möglich, um mich abzulenken. Bald lächelte ich wieder nach außen hin, ich war die fröhliche, liebe Peggy, aber innerlich hatte sich ein grau-trüber Schleier über mein Herz gelegt.

Infoteil: Wie wird die Alzheimerdiagnose gestellt?

Ärzte bedienen sich verschiedener Methoden, um eine Demenz zu diagnostizieren. Es gibt mehr als 50 Formen der Demenz – die Alzheimerdemenz ist die häufigste. Die Symptome der einzelnen Demenzformen sind verschieden und lassen sich nicht immer klar trennen. Wenn Sie eine Demenz bei sich vermuten, sollten Sie sich zuerst an den Hausarzt oder einen Neurologen beziehungsweise mit Überweisung an eine Gedächtnisambulanz wenden. Für Angehörige ist die Deutsche Alzheimer Gesellschaft eine gute erste Anlaufstelle. Für die Therapie ist es wichtig, die genaue Form zu kennen. Diese Verfahren werden zur Diagnose der Alzheimerdemenz angewendet:

Anamnese: Das Arztgespräch ist ein erster wichtiger Teil der Diagnose. Der Arzt informiert sich umfassend und fragt etwa Ihre Vorgeschichte ab: Welche Beschwerden haben Sie? Wie lange bestehen diese schon? Haben sie sich verändert? Beeinträchtigen sie den Alltag? Finden Sie manchmal nicht die richtigen Worte? Wie gut können Sie sich räumlich orientieren? Leiden Sie an Stimmungsschwankungen? Haben Sie sich zurückgezogen aus Ihrem sozialen Umfeld? Wie fühlen Sie sich? Können Sie gut schlafen? Damit er sich ein umfassendes Bild machen kann, sollten Sie möglichst ausführlich berichten. Wenn Sie möchten, kann Sie auch ein Angehöriger begleiten. Der Arzt wird auch ihn befragen, um sich einen detaillierten Einblick zu verschaffen. Für die Diagnose einer Alzheimerdemenz müssen die Symptome mindestens sechs Monate bestehen. Immer wieder werden Patienten mit depressiven Verstimmungen für dement gehalten (Pseudodemenz). Mit entsprechenden Methoden können Ärzte jedoch eine Depression von einer Demenz unterscheiden.

Körperliche Untersuchung mit einer Blutuntersuchung: Zusätzlich zu einem Gespräch wird der Arzt Sie untersuchen. Auch eine Blut- und Urinuntersuchung muss stattfinden. Dadurch erhält er einen Überblick über den körperlichen Gesundheitszustand und kann andere Ursachen ausschließen. Möglich ist etwa ein Vitamin-B12-Mangel oder eine Schilddrüsenunterfunktion, die ebenfalls zu Gedächtnisproblemen und Vergesslichkeit führen können, aber anders als eine Demenz behandelbar sind. Bei Alzheimer sind die Blutwerte normal, bei einer unbehandelten Schilddrüsenunterfunktion sind die Schilddrüsenwerte TSH, T3 und T4 verändert.

Psychologische Tests: Anhand verschiedener Untersuchungen kann der Arzt die Gedächtnisleistung, das Urteilsvermögen, die Beeinträchtigung im Alltag, den Wortschatz, mögliche Verhaltensauffälligkeiten sowie den Schweregrad einer Demenz einschätzen. Die häufigsten Tests zur Einschätzung kognitiver Veränderungen im Frühstadium sind folgende Verfahren: Uhrentest, Mini-Mental-Status-Test, Demenzdetektionstest. Bei dem Uhrentest soll eine Uhr mit Ziffernblatt und Zeiger gezeichnet werden. Dieser Test zeigt visuell-räumliche Orientierungsprobleme auf. Der Mini-Mental-Status-Test (MMST) ist ein Fragebogentest mit Fragen zu den fünf Bereichen: Orientierung, Merkfähigkeit, Aufmerksamkeit und Rechenfähigkeit, Erinnerungsfähigkeit und Sprache. Es ist ein kurzer, einfacher Test, bei dem etwa gefragt wird: ‚Welchen Tag haben wir heute? Wo sind wir?‘ Der Demenzdetektionstest (DemTect) wird bei leichten kognitiven Einschränkungen gemacht. Er enthält fünf Fragen zur Beurteilung des Kurz- und Langzeitgedächtnisses, der Konzentration, Wortflüssigkeit, kognitiven Flexibilität sowie der Sprache. Zum Beispiel müssen Sie sich zehn Wörter merken oder Zahlenfolgen wiedergeben. Mithilfe von ADL-Skalen (,Activities of Daily Living‘) wird die Alltagskompetenz im häuslichen Umfeld gemessen, dazu gehören einfache Tätigkeiten wie Essen, sich Waschen oder Anziehen, aber auch komplexere wie das Zubereiten von Mahlzeiten, das Führen einer Unterhaltung oder das Einnehmen von Medikamenten. Für diese Einschätzung wird in der Regel eine Bezugsperson gefragt. Dazu kommen zusätzliche, ausführlichere psychologische Tests, die eingesetzt werden, um eine unsichere Diagnose abzuklären. Die Tests werden regelmäßig wiederholt, um den Krankheitsverlauf sowie Behandlungserfolge zu beurteilen.

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