Mami hat 'nen Freund – was machen wir mit Papi? - Susanne von Loessl - E-Book
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Mami hat 'nen Freund – was machen wir mit Papi? E-Book

Susanne von Loessl

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Beschreibung

Thomas Hausmann kann sein Pech nicht fassen: Nach siebzehn Jahren Ehe lässt ihn seine Frau Verena aus heiterem Himmel mit drei Kindern, Haus und Hund für einen anderen Mann sitzen, und das auch noch kurz vor dem geplanten Familienurlaub. Eigentlich würde Thomas sich jetzt gern in seinem Bett verkriechen, Trübsal blasen und in Selbstmitleid baden. Aber die Kinder freuen sich auf die langersehnten Ferien und versprochen ist versprochen. So machen sich die Hausmanns ohne Mami auf den Weg nach Frankreich, wo Thomas Celia begegnet. Celia ist schön, witzig und charmant und zu Thomas’ großem Leidwesen verheiratet...

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Seitenzahl: 285

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Susanne von Loessl

Mami hat ’nen Freund – was machen wir mit Papi?

Roman

Copyright der E-Book-Originalausgabe © 2015 bei hey! publishing, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Umschlagabbildung: FinePic®, München

ISBN 978-3-95607-024-2

www.heypublishing.com

Für Theo

›And Now You’re Mine‹

(Aus dem LOVE SONNET LXXXI von Pablo Neruda)

Der Bobtail August lag in der prallen Julisonne und dampfte Hund vor sich hin. Knapp zwei Zentimeter über dem Hund baumelten Füße in falsch zugebundenen Turnschuhen, Größe zweiunddreißig; sie gehörten zu Paule.

Paule saß, eingehüllt in die ganze Tristesse, die einen Sechsjährigen erfassen konnte, auf einem Mauersockel der Vorgarteneinfassung des Hauses, in dem er wohnte, und verstand die Welt nicht mehr.

Seine kleine Seele zwickte und tat ihm weh.

Über ihm zogen am hellblauen, wolkenlosen Himmel Flugzeuge voller Urlauber dahin; ab ging es in Richtung Norden, Süden, Osten, Westen. Sommerferien.

Paule hatte auch Ferien, ach ja …

Dabei wäre er, wenn alles normal verlaufen wäre, schon seit zwei Tagen in Maubuisson; Sandburgen bauen, Pony reiten, schwimmen, surfen (oder mindestens so tun, als ob) mit Chris, Tino, Fabien und den anderen.

Aber was verläuft schon normal? Oder was ist normal? Erwachsene machen sich ihre eigenen Gesetze, aber das konnte Paule mit seinen sechs Jahren noch nicht wissen.

Seufzend zog er seinen Kaugummi mit dem rechten Daumen einen halben Meter zwischen seinen Zähnen hervor und räufelte ihn gedankenverloren zurück. Ein trockener Schluchzer bibberte sich aus dem traurigen kleinen Kerl an die Luft.

Alwine Kleberg bog eiligen Schrittes, so gut es ihre fünfzehn Kilo Übergewicht zuließen, um die Ecke. Die Sonne hatte kleine Schweißperlen auf ihre Nase gesprenkelt.

»Plopp« machte ihr Einkaufswagen, als er die Granitstufe im Vorgarten nahm.

Alwine schnaufte: »Grüß dich, Paule.«

Stumm hob Paule die linke Hand zum Gruß. Höflich war er, aber reden mochte er nicht. Schon gar nicht mit dem »Winterhuder Wochenblatt«, wie man die Kleberg allgemein betitelte, denn sie wußte alles über alle, manchmal besser als die Beteiligten selbst.

Alwine Kleberg startete einen zweiten Anlauf, um mit Paule ins Gespräch zu kommen.

»Ist das nicht viel zu heiß für den armen August? Mitten in der Mittagshitze? … Und er in seinem dicken Fellpulli … nicht, mein August?« gackerte sie im Vorübergehen.

August rührte sich nicht. Was wollte die Kleberg? Besonders heute. August teilte alles mit Paule: Freude, Kummer, Ärger (meistens hervorgerufen durch matschige Schuhe und Pfoten).

Heute wollten er und Paule ihre Ruhe.

Schleich dich, Kleberg, dachte August.

In der Haustür drehte sich Alwine Kleberg noch einmal um. Erstens weil sie ihren »Hackenporsche« die drei Stufen, die ins Haus führten, hochbugsieren mußte; zu diesem Zweck zog sie kräftig mit beiden Händen an dem – Gott sei Dank! – stabilen Griff und stemmte ihren gut durch Schwarzwälder Kirschtorte gepolsterten Popo gegen die schwere Eichentür, um sie so zu öffnen.

Aber, da war ja auch noch zweitens! Unter Alwines Dauerwelle brodelte es … Wollten Hausmanns, das ist Paules Familie, nicht in den Urlaub? … Oder wie? … Oder doch? … Oder was? …

»Paule!« rief sie. »Wollt ihr in diesem Jahr gar nicht in die Ferien? Wolltet ihr nicht schon lääängst weg sein?«

Alwine pfiff die letzte Kraftreserve aus ihrer Lunge: »Oder ist etwas dazwischengekommen?«

In diesem Moment knallte die schwere Haustür mit leichtem Nachbeben ins Schloß.

In letzter Minute konnte Alwine sich noch durch einen kühnen Schlußsprung vor dem Crash mit massiver deutscher Eiche in Sicherheit ins Hausinnere bringen. Die Tür hatte Endgültigkeit in ihre Fragerei geschlagen.

Frau Kleberg plierte durch die dicke, geschliffene Scheibe in der Tür und sah, daß Paule seinen Kopf schüttelte.

Aha, dachte sie, aber wieso und warum nicht? Interessant! Aber sie würde es schon herausbekommen. Schließlich war sie die Witwe eines Oberstaatsanwaltes. Das verpflichtet!

Für heute waren die neunzig Kilo Kleberg an Paule vorübergezogen, ohne Schaden anrichten zu können.

August erhob sich und schubberte zärtlich seinen Kopf an Paules Knie. Reden konnte er nicht, aber gehört hatte er viel in letzter Zeit.

Paule stieg vom Mauersockel, legte seinen Arm um August und zog ihn in den Schatten. Er lehnte sich an den sonnendurchwärmten Granit, August an seiner Seite, der mit seiner dicken Pfote Paule ans Knie stupste. Paule ergriff die liebevoll gereichte fusselige Hundepfote und kraulte August das warme Fell.

So saßen sie eine ganze Weile, hundepfotenkinderhändchenhaltend … »August, wo ist unsere Mami?«

»Mensch, Paul Hausmann, du Napfsülze, biste bescheuert? Hockst mit August in der prallen Sonne? Willste dir ’n Sonnenstich holen?« Paules Schwester Carina war nach scharfer Linkskurve und abrupter Vollbremsung ihrer Rollerblades vor Paul zum Halten gekommen. »Mensch Paule, mach bloß nicht in Staatstrauer, ich sag dir, Erwachsene sind so. Der totale Egotrip.«

Carina hockte sich zu ihrem kleinen Bruder. Während sie die wenig schmückenden Knieschützer abnahm, redete sie weiter. »Papi hat gesagt, das mit den Ferien geht schon okay, nur ein paar Tage später. Omi und Opa springen ein.«

Mit einem Ratsch öffnete sie nebenbei die Ellbogenschoner.

»Welche?« fragte Paule.

»Papis Eltern.«

»Da werden wir alle nie satt. Sie hat immer Diät. Und an August hat sie auch nur zu meckern.«

»Was willste, Paule, Ferien oder keine? Moser hier nicht rum. Außerdem will Papi heute abend mit uns reden.«

»Sagt er dann auch, wann Mami wiederkommt?«

»O Mann, deine Probleme möcht ich haben. Komm jetzt rauf und wasch dich.«

»Jetzt fängt die auch noch an. Komm, August. Schwestern sollte man verbieten«, flüsterte er August zu.

»Alle reden immer vom Waschen, wenn sie nicht mehr weiter wissen.« Paule musterte seine Schwester.

»Melanie Nielsen in unserer Klasse ist erst sechs, und die ist viel hübscher als wie du. Und sie sieht aus wie ein Mädchen. Du bist eine doofe Schwester in häßlichen Klamotten … vielleicht bist du ja gar kein Mädchen, sondern nur eine Schwester, und die müssen doofer sein!«

Paule fühlte sich besser, er hatte laut geschimpft, das war wie jemandem auf die Nase haun, jawohl. Und ihm war sehr danach.

»Komm jetzt, aber ein bißchen plötzlich.« Carina war leicht irritiert.

»Die Hose macht einen dicken Hintern«, trompetete Paule seiner Schwester hinterher.

Carina drehte sich um, griff Paule in den Kragen seines T-Shirts und schubste ihn in den Lift. August wurde ebenfalls gnadenlos an den Ohren gepackt und hineingezogen.

Sie drückte die fünfte Etage und versuchte, gelangweilt auf Hund und kleinen Bruder zu gucken.

»Melanie trägt nie eine Baseballmütze, und schon gar nicht falsch herum!«

»Mein Bruder Paul ist knapp sechs Jahre alt, was fällt ihm eigentlich ein? Ich bin fast sechzehn, jedenfalls in drei Wochen.« Carina sah sich im Spiegel des Aufzuges an. »Na, toll ist es nicht, Hausmann, was du da siehst«, stellte sie fest und nahm so beiläufig wie möglich die Mütze ab.

»Magst ’n Mars, Paule?« fragte sie versöhnlich ihren kleinen Bruder.

»Mars macht Hüftspeck.«

»Wer sagt solchen Quatsch?«

»Melanie Nielsen!«

Es war äußerst wichtig, daß Paps heute mit ihnen redete, dachte Carina. Und dann ab nach Frankreich. Andere Tapeten. Anderes Essen. Andere Menschen. Und vielleicht noch vieles andere mehr.

DR. THOMAS HAUSMANN KLEINTIERPRAXIS war auf dem Schild zu lesen. Die Praxis lag in einer der ruhigen und schönen kleinen Straßen, die ein weitverzweigtes Netz um die Alster und deren Nebenarme legten.

»Gediegen« pflegen die Hamburger das zu nennen. Diese Beurteilung entspricht etwa drei Sternen oder vier Kochmützen. Also: gediegen. Die Villa blitzte ihr strahlendes Weiß in den Nachmittag, die Weiden bewegten lässig ihre fast bis auf den Boden reichenden Äste. Strotzig, protzig ließen die Geranien den Garten erröten.

Der Eingang zur Praxis war ebenerdig. Wenn auch nur »Kleintierpraxis«, aber Dogge, Wolfshund oder Bernhardiner lassen sich allemal besser ebenerdig zum Tierarzt hineinbringen, -ziehen oder mit vereinten Kräften anschieben.

Im Wartezimmer saßen an diesem Nachmittag noch eine Schildkröte, ein Wellensittich, zwei Katzen und ein Meerschwein. Später gesellte sich noch ein Mops dazu.

Dr. Thomas Hausmann war nicht sehr bei der Sache, seine Gedanken schweiften immer wieder ab … Was hatte er falsch gemacht? … Wieso hatte er nichts bemerkt? … Verena … Es war doch alles so … oder doch nicht …

»Herr Doktor, kann ich Jens mit Adelheid reinschicken?« fragte seine Assistentin.

»Adelheid?«

»Die Schildkröte.« Fräulein Blumenberg lächelte und winkte Jens, er solle eintreten.

Jens marschierte mit Adelheid in das Behandlungszimmer. Er trug sie vor sich her wie ein Doppel-Whopper-Big-Mäc.

Adelheid wurde verarztet. Augentropfen und so weiter. Sie guckte Thomas mit ihren alten, weisen Augen an, zwinkerte kurz, als ob sie ihm signalisieren wollte: »Da mußt du durch, Doc.« – Zwinkerte nochmals: »Danke für die Tropfen.«

»So, Jens, nimm deinen E. T., und dreimal täglich Augentropfen. Montag kommst du wieder.«

»Alles klar, Herr Doktor.« Er ging zur Tür, drehte sich kurz um: »Sagen Sie Lukas bitte noch einmal danke für das tolle Spaghettiessen. Tschüssie.« Vorsichtig, wegen Adelheid, schloß Jens die Tür.

Tolles Spaghettiessen? … Lukas kann doch überhaupt nicht kochen, und ihre Haushilfe war schon im Urlaub. So wie sie alle im Urlaub sein wollten. Hausmann riß die Tür seines Behandlungszimmers auf.

Jens wollte gerade durch die Tür des Wartezimmers nach draußen verschwinden.

»Jens! Lukas hat für euch beide gekocht?« fragte Hausmann leicht nervös. Ihm schwante Schreckliches.

»Nee, wir waren ungefähr zehn, ungefähr. Es war ganz toll. Echt super.« Jens verschwand.

Thomas Hausmann schloß die Tür seines Behandlungszimmers und fiel in seinen Schreibtischstuhl.

Fräulein Blumenberg betrat durch den hinteren Röntgenraum das Zimmer und wurde von ihrem Chef mit den Worten empfangen: »Bei uns zu Hause hat es in der High-Tech-Edelstahlküche ein rattenscharfes, obergeiles Spaghettiessen für circa ein Dutzend Zwölfjährige gegeben, an den Töpfen mein Sohn Lukas!«

»O Herr Doktor!«

»Sie sprechen mir aus der Seele, Fräulein Blumenberg.«

Das Telefon läutete ihn aus der Verzweiflung. Es war der Studienkollege, der ab Montag nun endgültig die Urlaubsvertretung für Thomas übernahm.

»Bleibt es bei dem Termin?«

»Es bleibt dabei, ich erkläre dir später einmal, warum und wieso sich alles verschoben hat, Richard. Die Blumenberg kennt sich aus, sie ist fabelhaft, außerdem kommt ein Student, Marke Arzt aus Leidenschaft, er wird dir die Hamsterbehandlungen unter den Händen wegreißen, mach dich stark, Ritchie. Nicht zu vergessen die süße Billie am Empfang.«

»Thomas, was heißt: die süße Billie? Du bist glücklich verheiratet!«

»Laß dich überraschen. Die ›süße Billie‹, genauer Sybille Frenzen, ernährt sich überwiegend von, hör gut zu: Mann-sind-die-dick-Mann, Lakritzteufeln, Yes- oder No-Torties sowie kandierten Geleebananen, Twix und Lila Pause.«

»Thomas, entschuldige, ich brauch ’n Schnaps. Wiedersehen, schöne Ferien. Grüß deine tolle Frau und deine Gören. Waidmanns Heil.«

»Waidmanns Dank«, sagte Hausmann und legte den Hörer auf. Meine tolle Frau …

Trautes Heim, Schock muß sein.

Bei dem Anblick, der sich bot, blieb selbst August wie vom Donner gerührt im Korridor sitzen.

»Paule, was ist hier los?« Carina schüttelte ihren kleinen Bruder kräftig mit beiden Händen. August war sofort an Paules Seite.

»Schon gut, August, schon gut. Mensch Paule, wie sieht es denn hier aus?«

»Schlimm, nicht? O guck mal, hier is alles voller Blut, iiih.« Paule hielt sich an Augusts Halsband fest.

»Also, ich weiß nix. Lukas war da mit seiner Klasse. Und er hat nur gesagt, wir feiern Abschied auf italienisch, hat er gesagt. Ich war mit August an der Alster, und dann hab ich unten auf der Mauer gesessen und gedacht und so …«

»Es sieht aus, als hätten sie hier Raketen getestet. Wenn das Papi sieht. Komm, hilf mir.«

»Und Lukas? Der kann auch helfen! Aber vielleicht ist er ermördert und kann gar nicht mehr helfen.«

»PAUL!«

»Ja. Erschossen von der Malaria, peng-peng. Machen die, echt.«

»Du gehst mir auf die Nerven, außerdem heißt es Mafia. Und nun komm rein.«

»Lukas … Lukas … bist du da? … Lukas …?«

Ein Telefon schrillte wichtig durch die Stille und fuhr Carina in die sowieso schon erschreckten Knochen.

Paule und August verharrten noch im Eingang, sicherheitshalber. Carina ging zum Telefon und meldete sich. Sie hörte sich an, was am anderen Ende gesprochen wurde, dabei wurden ihre Augen schmaler und ihr Atem lauter.

»Ich sage dir nur eins, mein lieber Lukas, wenn du nicht mit Mach 5 nach Hause kommst, werde ich dich in Gemeinschaftsarbeit mit deinem Bruder in Meister Proper ersäufen. Wer italienisch essen kann, kann deutsch putzen! Mach hin!« Sie knallte den Hörer auf.

»Was war denn?« fragte Paule, der inzwischen mit August in die Wohnung getrottet war.

Er erfuhr, daß ihr Bruder Lukas tatsächlich ein Ferienspaghettiessen für sich und seine Freunde gemacht hatte. Und Thorolf hatte sich beim Kräuterschneiden für die Sauce in den Finger gehackt.

»Is doch logisch«, sagte Paule abfällig, »Thorolf mit seinem schwedischen Namen, was verstehen Schweden schon von Spaghettisauce …«

»Sei ruhig und hol endlich einen Lappen!«

»Aus Schweden?«

Thomas Hausmann kam geradewegs aus der Tiefgarage; er war so sehr in Gedanken, daß er um Haaresbreite in das Mountainbike seines Sohnes Lukas gelaufen wäre.

Das laute Rufen von Thorolf Anders verhinderte Schlimmeres.

»Grüß dich, Paps … Thorolf kennst du ja.« Leicht dämlich grinsend war Lukas nach gut gemachter Vollbremsung vom Rad gestiegen. Auf dem Gepäckträger saß besagter Thorolf und hielt seinen linken bandagierten Arm in die Höhe.

»Guten Tag, Herr Doktor Hausmann«, sagte er höflich.

Soviel Höflichkeit betätigt bei Erwachsenen sofort das Blinksignal: Moment! Moment! Hier stimmt was nicht!

Es blinkte heftig im Kopf von Thomas Hausmann.

Er sah seinen Sohn an, der mit beiden Händen den Lenker festhielt. »Red Bull« stand in Riesenlettern quer auf dem Sweatshirt seines Sohnes. Hausmann irritierte das Red Bull, wie ihn überhaupt aus unerfindlichen Gründen alles irritierte, denn mit leichtem Seitenblick hatte er erkannt, daß besagter Thorolf einen ziemlich dicken Verband mit Schiene am Arm hatte.

»Lukas, was hat das zu bedeuten? Bring dein Fahrrad in die Garage, ich erwarte euch oben.«

»Gern, Herr Doktor Hausmann«, antwortete Thorolf, der noch immer wie angeschweißt auf dem Gepäckträger hockte.

Da war es wieder, nur blinkte es diesmal noch heftiger im Kopf von Thomas Hausmann.

Hausmann schloß die Wohnungstür auf.

»Hey, du Oberarsch, es wurde aber auch höchste Zeit!« Carina guckte vom Fußboden hoch, von dem sie eine festgepappte Spur Tomatenketchup loskratzte, direkt in die ratlosen Augen ihres Vaters.

»Entschuldige, Papi, ich dachte, du bist Lukas.«

Paule lief seinem Vater entgegen, verlor dabei die dicke Papierküchenrolle, die sich quer durch den Raum abrollte, und sprang seinem Vater in die Arme. »Papi.«

»Wir sollten Ruhe bewahren und die anstehenden Probleme nicht an uns auslassen«, versuchte dieser seine Tochter zu beschwichtigen.

Jetzt betrat Lukas mit Thorolf die Wohnung.

»Is ’n Finger ab?« wollte Paule wissen.

»Nein, mit sechs Stichen genäht«, antwortet sachlich Lukas für Thorolf.

»Plus einem Stich, nämlich den, den du im Kopf hast, mein Sohn!«

»Wir wollten doch nur … wir hätten ja auch alles wieder weggeräumt, wenn Thorolf sich nicht geschnitten hätte …«

Hausmann sah sich um. »Was soll das hier alles bedeuten?« Langsam verlor er seine Nerven, dabei hatte Carina das Schlimmste schon beseitigt. Trotzdem sah es immer noch so aus, als ob zehn Mixer ohne Deckel Ketchup mit Rinderhack mittels Zentrifugalkraft auf, unter und über alles verteilt hätten.

Lukas setzte zu einer Erklärung an, sein Vater schnitt ihm das Wort ab.

»Bevor du weiterredest, mein Sohn, zieh dieses dämliche Sweatshirt aus.« Es machte Thomas Hausmann sehr nervös und gereizt, während des gesamten Dialogs mit seinem Sohn auf eine Headline zu gucken, die Red Bull signalisierte. Es animierte auch unnötig.

»Bleib ruhig, Hausmann«, pfiff er sich zur Ordnung. Er wandte sich an Thorolf. »So, mein lieber Thorolf, nun erzähle mir bitte mit WENIGEN Worten die Geschichte.«

Thorolf stand in strammer Haltung, die noch durch den nach oben geschienten Arm merklich unterstrichen wurde, wie ein Wachsoldat in der Türfüllung. Carina unterdrückte nur mühsam ihr Lachen.

»Komm her, Thorolf. Und nun rede.« Hausmann schloß die Wohnungstür.

»Ja … also, das war so. Weil ich mich doch verletzt hatte, mußten wir schneller essen und gleich danach in die Uniklinik. Da hatten wir keine Zeit, hinterher aufzuräumen … Wenn Sie verstehen, Herr Doktor. Und deswegen sieht es hier noch so aus wie es aussieht.« Thorolf grinste unbeholfen, der hochgereckte Arm signalisierte Indianerfrieden: »Hugh!«

Paule hing mit beiden Armen am Hals seines Vaters. Es tat ihm sehr wohl. Vielleicht wurde Thomas Hausmann durch die Nähe und Zärtlichkeit, die der kleine Kerl auf ihn übertrug, milder gestimmt; denn er reagierte wesentlich sanfter, als er es sich vorgenommen hatte. »Na, mein Lieber, dann sag deinem Freund Lukas, spätestens zum Abendessen erwarte ich eine Küche, die aussieht wie ein supergestyltes ›Schöner-Wohnen‹-Hochglanzfoto. Titel, versteht sich!«

»Geht klar, Doc.« Thorolf lächelte. »Ach, Herr Doktor, liebe Grüße von meiner Mutter, den Gürtel von Ihrem Trenchcoat kriegen wir wieder hin.«

Hausmann verstand nicht und sah Thorolf ratlos an.

»Na, wir mußten doch stauen und verbinden.«

»Schweden können nur Eishockey, nich, Papi?« Paule umarmte seinen Vater und gab ihm einen dicken Kuß.

Carina hatte in der Zwischenzeit für ihren Vater einen Kaffee auf den hinteren Balkon gestellt.

»Schalte mal ab, Paps, du hast es verdient.« Sie gab ihrem Vater einen flüchtigen Kuß.

Thomas Hausmann lehnte sich entspannt in seinen Gartenstuhl, atmete aus und durch.

»Ich hoffe, du bist nicht mehr ganz so sauer. Ich mache Ordnung, okay?« Lukas war von hinten an den Gartenstuhl, in dem sein Vater es sich bequem gemacht hatte, herangetreten. Er legte seine Schläfe an die seines Vaters. »Paps, ich hab dich lieb.« Und weg war er.

Thomas Hausmann hangelte sich mit einem Fuß einen Hocker heran, stellte seine Tasse darauf, schaute in den blauen Sommerhimmel. Er wollte ein bißchen denken, und das Blau des Himmels lud förmlich dazu ein.

Wie war das alles gewesen, gekommen, passiert? Anfang der Woche, genauer, erst vor vier Tagen, hatte Verena, seine Frau, ihre Koffer gepackt. Alles, was ihr notwendig erschien, hatte sie mitgenommen – Kleider, CDs, Tagesschuhe, Abendschuhe, Turnschuhe, ein Bild wurde abgehängt und verpackt, ein Silberleuchter, drei Seidenkissen, ein Dutzend Bücher … Es war, als ob ein Virus sie befallen hätte. Praktisch über Nacht mußte sie den Entschluß gefaßt haben, Mann und Kinder zu verlassen.

»Verena, was machst du, was tust du …?«

»Ich will leben.«

Thomas war so verdattert, so traurig, er fühlte sich, als ob ihn langsam jemand von innen aushöhlte.

»Verena. Bitte … haben wir denn nicht gelebt? Wir und die Kinder? War nicht alles so, wie wir es uns immer gewünscht haben?«

»Ach, Thomas. Bitte!«

Mehr hatte Verena eigentlich nicht gesagt, nur dieses blöde »Ach, Thomas«. War sie zu feige, oder war ihr gar nicht bewußt, was sie aufs Spiel setzte?

»Wer ist ER!?! Was bietet er dir, was wir nicht bieten können???«

»Ach, Thomas. Bitte.«

Verena ging von Zimmer zu Zimmer, sah sich um nach diesem und jenem, wie ein Biber, der geeignete Äste für seinen Bau sucht. Thomas ging in die Küche und kam mit einer Flasche Champagner und zwei Gläsern zurück. Barfuß, in Jeans und T-Shirt.

»Verena, hör bitte auf mit der Packerei. Hör mir einen Augenblick zu. Bitte.«

Verena, im »kleinen Weißen« von Chanel, hielt tatsächlich inne. Links hielt sie eine Handvoll Kettengeklunker und rechts eine Tüte einer Nobelboutique. »Ja, bitte. Was willst du sagen?«

»Verena, vor dir steht ein Mann, der dich wahnsinnig liebt, mit dem du drei hinreißende Kinder hast … jedenfalls bis jetzt.« Er lächelte. »Ein Mann, der noch alle Haare auf dem Kopf hat, nicht einen einzigen falschen Zahn, nicht den leisesten Ansatz von Bauch, so einen Mann kann man doch nicht verlassen … Verena, komm, sei wieder MEINE Verena, laß uns die Vorhänge schließen, Klingel und Telefon abstellen, Champagner trinken … Verena …«

»War es das?« fragte sie kühl und ließ die Ketten in die Tüte gleiten. »Du machst ein Gesicht wie einer, der morgen gehängt wird.« Sie ging an ihm vorbei, um Unnützes, Unwichtiges in bereitgestellten Louis-Vuitton-Taschen, Säcken, Beuteln und Koffern zu verstauen.

»Verena, wir wollen übermorgen in die Ferien. Die Kinder freuen sich seit Wochen. Und wir doch auch, oder? … Verena, du kannst doch nicht über Nacht eine andere Frau, ein anderer Mensch geworden sein?«

»Thomas. Bitte.«

Mit hörbarem Knall setzte er die Flasche auf den Tisch, die Gläser daneben, es schepperte laut, aber es blieb alles heil.

»Darf ich dich fragen, wohin du gehst, immerhin sind wir vor dem Gesetz noch Mann und Frau! So aufgerüscht, wie du bist, gehst du sicherlich nicht ins Frauenhaus.« Thomas wurde langsam wütend. »Außerdem lassen sie dort Frauen in Chanel gar nicht rein!«

Thomas dachte an die Kinder. Verena mußte verrückt geworden sein, oder spielten sie mit in dieser lausigen Serie »Voll erwischt«, wo sich am Ende alle über die Spieldeppen totlachen wollen oder müssen?

Vor Thomas’ geistigem Auge erschien das Bild, er würde im Treppenhaus, vor dem Aufzug, an Verenas Gepäck zergeln und bitten und betteln: Verena, verlaß mich nicht … Dann käme jemand aus einer Ecke und würde sagen: Guten Abend, mein Name ist Fritz Egner … Nein, nein, so war es nicht. Es klingelte auch kein Wecker, der ihn aus diesem verflixten Traum holte. Seine Armbanduhr zeigte 13 Uhr 30.

Carina war reiten in Duvenstedt, Lukas mit Thorolf minigolfen. Paule und August waren mittagessen bei Melanie Nielsen.

»Verena, du bist feige. Ja, feige, dich klammheimlich davonzuschleichen. Denkst du nicht an die Kinder? Ist dir alles egal?«

»Ach, Thomas … Ich bin doch nicht aus der Welt. Herrjeh, ich mach das schon.«

Jetzt zischte das Überdruckventil von Thomas Hausmann unüberhörbar. Er sagte Verena, was sie wäre und was sie NICHT wäre. Er beendete seine Rede mit den Worten: »Und sage nicht noch einmal ›Ach, Thomas‹, oder beginne einen Satz damit. Ich könnte mich vergessen!«

Es läutete. Verena betätigte die Gegensprechanlage. Nach kurzer Zeit öffnete sie. Vor der Tür stand in noblem Zweireiher ein Chauffeur. Er nahm die Mütze ab und sagte grüßend, mit leichtem Kopfnicken: »Gnädige Frau, darf ich das Gepäck …« Er nickte Thomas höflich »guten Tag« zu. Thomas kam sich vor wie ein Statist. Stumm, nur anwesend. Verena zeigte auf den gesammelten Louis. Mittels Aufzug schwebte alles abwärts.

»Tschüß, Thomas, paß auf dich auf. Sag den Kindern, ich liebe sie.«

»Das werde ich nicht tun, ich möchte nicht als Lügner dastehen!« Verena ging. Klapp und klack. Die Tür war zu.

Thomas riß die Tür noch einmal auf und rief seiner Frau hinterher: »Wenn ich nicht wüßte, Verena, daß du chauffiert wirst, wäre ich sicher; daß du einen Besen nimmst!«

Mit seiner restlichen Wut knallte er die Tür zu.

Er stand wie angewurzelt allein in der Wohnung. In der Luft hing noch ein Hauch »Roma«, ein Hauch Verena.

Thomas ging ins Bad. Da stand sie! Vergessen! Die Flasche »Roma«, Eau de Parfum per Laura Biagiotti.

Hocherfreut ergriff Thomas die Flasche, um sie vom hinteren Balkon in die Gegend zu pfeffern, irgendwohin, in irgendeinen Garten.

Im Grunde war das gesamte Szenario wie in einem miesen Film, so einem, bei dem ein normaldenkender Zuschauer bereits nach fünf Minuten sagt: So ein Quatsch. Und sich die Sendezeit 23 Uhr 55 spätestens nach zehn Minuten erklärt.

Verena, seine Frau, nutzt die Abwesenheit der Kinder, um in Windeseile mit Sack und Pack nach siebzehn Jahren Ehe die Flucht zu ergreifen.

Gut, es gab Fälle, nicht wenige, da wollten Männer oder Frauen, zum Teil gewandet in ihre älteste Hausklamotte, Plüschpuschen an den Füßen, nur mal schnell Zigaretten holen. Die hat man auch nie wieder gesehen. Wahrscheinlich sind die heute stolze Bratwurstbudenbesitzer auf den Seychellen oder in Castrop-Rauxel. Aber Verena?

Von nichts auf eben, ohne Vorwarnung? Was oder besser – WER steckte dahinter?

Thomas dachte nach, ging die Einladungen und Empfänge durch. Nichts und niemand, kein Gesicht, das Verenas Ausstieg aus dem Familienleben rechtfertigte.

Was hatte sie gesagt …? »Ich will leben?« … So ein Unsinn. Mit ihren achtunddreißig Jahren war sie für Wechseljahrspinnereien zu jung. Depression konnte sie schreiben, hatte ansonsten damit nichts am Hut. Und keinen Grund, welche zu haben!

Was war passiert? Ein Mann mit Chauffeur … Geld viel Geld? Der unaufhaltsame Aufstieg der Verena Hausmann in die schwindelerregenden Höhen der Top Society? Das war es, nur das konnte es sein … Vielleicht war seine von ihm heißgeliebte Verena eine andere Form von Anna Nicole Smith … Na, furchtbar. Thomas brauchte auf den von ihm selbst verursachten Schreck einen Drink …

Mit einem Glas Wein in der Hand stand er an der vorderen Balkonbrüstung und sah auf die fast verwaiste Straße, Mittagszeit, und die meisten Anwohner sowieso schon im Urlaub.

Wie sollte es mit ihm und seiner Familie weitergehen? Drei Kinder und ein Hund und Sommerferien.

Das Ferienhaus war gemietet. Thomas telefonierte am späten Nachmittag mit seinen Eltern. Es wurde vereinbart, sie am Sonntag in Bordeaux vom Flughafen abzuholen …

… Heute war Freitag, 15 Uhr. Krisensitzung.

Thomas stellte die Lehne seines Gartenstuhls senkrecht. Er wollte zuerst mit seiner Tochter reden.

»Carina!« rief er vom Balkon in die Wohnung. »Carina!«

Es erschienen Paule, August, Lukas und natürlich Carina.

»Ja, was is, wir sind gleich fertig«, sagten alle fast gleichzeitig. Thomas mußte lächeln. Seine Gören Carina und Lukas trugen pinkfarbene Gummihandschuhe. Paule hatte auch einen angezogen, falsch herum, die Handfläche nach außen, die Stulpe des Handschuhs endete bei ihm in Achselhöhe.

Paule lächelte seinen Vater an: »Der kaputte Schwede is wech, nach Hause, wir sind wieder nur wir.«

»… und gleich fertig, Papi, nur noch der Herd«, sagte Lukas.

»Vorgeweicht ist schon«, ergänzte Carina.

»Carina, ich wollte mit dir einiges besprechen«, sagte Thomas.

Lukas setzte sich in einen Gartensessel und zog die Gummihandschuhe aus.

»Eigentlich wollte ich mit Carina, na gut, Lukas, bleib sitzen. Paule, muß August nicht runter?«

»Er hat den ganzen Tag gepinkelt«, er setzte noch schnell hinzu, »und gewaschen bin ich auch. Ihr könnt mich ruhig hierlassen, ich weiß schon, was ihr reden wollt.« Trotzig warf er sich in einen Gartenstuhl. Der rosa Gummihandschuh rutschte von seinem Arm auf den Boden. August apportierte ihn ins Wohnzimmer auf einen Sessel.

»Nun sagt schon, wo is Mami?«

Carina, Lukas und sein Vater fingen gleichzeitig an, Erklärungen abzugeben.

»Wenn alle reden, begreif ich gar nix, laßt Papi reden«, bat Paul.

Es war still auf dem kleinen Balkon. Thomas winkte Paule zu sich und zog ihn auf seine Knie, Carina und Lukas saßen rechts und links auf der Armlehne, jeweils eine Hälfte an ihren Vater gekuschelt.

Leise hatte sich August auf die Fliesen gelegt.

Behutsam erklärte Thomas seinen Kindern die Situation oder versuchte es wenigstens. Im Grunde genommen gab es keine Erklärung.

»Ich denke, Lieben soll schön sein, aber so tut es uns allen nur weh«, stellte Lukas fest.

»Nur Mami nicht«, sagte Carina.

»Aber Mami kommt doch wieder, wenn sie den anderen Herrn ausgeliebt hat?« wollte Paule wissen.

»Magst du, wenn einer von deiner Semmel abbeißt, den du nich kennst?«

»Lukas!«

»Ist doch wahr, Mann. Kriegen doch auch die Enten, oder?«

»Lukas!«

»Ja, ich weiß. Aber wir machen das schon. Und zuerst fahren wir in die Ferien. Basta.« Lukas sah seinen Vater an.

Thomas mußte lächeln und zog Lukas an sich und gab ihm einen Kuß. Er hatte ja recht …

»Der andere Lieberer von Mami heißt Kilian«, sagte Paule.

»Woher weißt du das?« wollten alle wissen.

»Vom Telefon. Kilian weiß ich noch, weil das so ein doofer Name is.«

»Kilian heißen Päpste und so«, stellte Lukas fest.

»Aber die haben keine Frauen«, korrigierte Carina ihren Bruder.

»Warum nich?« wollte Paule wissen. »Schön dumm. Wer kocht denn für Päpste und alles?«

»Paul, wir haben andere Sorgen«, fuhr Carina ihm in die Parade.

»Gib man nich so an«, erwiderte Paul, »ich weiß nämlich auch noch, woher die vielen Blumen waren. Jaa. Nich vom Isemarkt. Nee. Die hat immer einer gebracht, ein Mann in grauem Kostüm, mit ’ner flachen Mütze auf ’m Kopf. Ja, weiß ich. Ihr braucht gar nicht so zu gucken, war so.«

Hausmann und seine Kinder saßen noch eine Weile zusammen und schwiegen in die Wolken, jeder hing seinen Gedanken nach. Nur August schnarchte sich laut durch seine Träume.

»Paps, wir machen die Küche fertig, dann rufen wir den Pizza-Service an und überlegen uns, wann wir morgen starten. Sonst hocken wir Weihnachten noch hier und Großmama und Großpapa für den Rest ihres Lebens im Flughafenfundbüro in Bordeaux. Avanti Dilettanti.« Carina scheuchte ihre Brüder hoch.

»Wie gut, eine Frau im Haus zu haben«, stellte Lukas sachkundig fest.

»Ja, und zum Glück schon so eine alte«, meinte Paule.

Zwei Stunden später saßen alle bei einer Kingsize-Pizza, das ist Wohngemeinschaftsgröße, auf dem Tisch stapelweise Papierservietten und Pappteller, die vom letzten Kindergeburtstag übriggeblieben waren. Nur nicht mehr abwaschen, davon hatten alle genug.

Sie saßen auf dem Balkon und ließen sich die Pizza schmecken. Dazu eine warme Sommerbrise, die schräg am Himmel stehende Abendsonne – es ging weiter, das Leben der Hausmanns …

»Allways look on the bright side of life«, intonierte Lukas, indem er einige Dosen Fanta auf den Tisch stellte. Lachend ließen sie die Dosen aneinanderknallen und wünschten sich gegenseitig schöne Ferien.

Es geht fast alles, wenn ein MUSS dahintersteht. Das »Muß« im Hause Hausmann hieß Koffer packen.

Carina hatte für alle unter Mithilfe ihres Vaters die Urlaubsgarderobe zusammengestellt, später mit Lukas gepackt. Sie mußte Lukas allerdings die von ihm vorsorglich bereitgelegten Skisocken ausreden.

»Du tickst nicht richtig, Anfang Juli.«

»Immerhin sind wir am Atlantik«, gab Lukas zu bedenken.

Carina tippte sich an die Stirn. »Du hast jetzt bereits einen Sonnenstich. Skisocken, frag doch Papi, ob er noch deinen Schlitten verstauen kann.«

Lukas brummelte, während er Gepäckstücke zu seinem Vater in die Garage brachte, »man könne ja nie wissen …«

Aber im großen und ganzen lief alles ohne Komplikationen. Das Auto stand gepackt in der Garage. Morgen früh um 6 Uhr 30 würde sie dann ein unbarmherziger Wecker aus den Federn werfen.

Sie sammelten die Reste ihres Pizzagelages zusammen, und die Familie verkrümelte sich langsam in die Betten.

»Halb sieben …« Lukas schielte seufzend gen Himmel und fegte den Tisch mit dem Ärmel sauber. Freiwillig ging er noch zum Müll, er wollte »seine« auf Hochglanz polierte Küche optisch nicht durch Pizzapappen und Fanta-Büchsen verunstaltet sehen.

»Erst macht er Dreck, und dann stellt er sich an.« Paule ging kopfschüttelnd in sein Zimmer. Verstehe einer größere Brüder …

Thomas hatte sich mit der Tageszeitung in die bequeme Hanglage seines Bettes plumpsen lassen.

Er las dies, las das. Moment, was stand da?

Amerika: Immer mehr Väter spielen Mama – Ergebnis einer Untersuchung der Gesellschaft »CENSUS BUREAU«. Neue Männer-Parole: Betreuung und Erziehung machen wir selbst! Nach der Studie wird heute schon ein Fünftel aller Kinder im Vorschulalter inzwischen von Vätern betreut.

Weiter hieß es: Vor vier Jahren waren es erst fünfzehn Prozent!

So so, er lag voll im Trend, bildete er nun eine Mehrheit oder eine Minderheit, indem er seine etwas älteren Kinder betreute …?

Aber das würde sicherlich auch bald prozentual erfaßt werden, wie neuerdings alles erfaßt wird, statistisch gesehen …

»Papi, kann ich bei dir …?« Da stand Paule und holte seinen Vater aus der Tageszeitung.

Wie verloren der kleine Kerl im Türrahmen stand, unter dem Arm seine Knuddelsau. Ja, Paule hatte eine Knuddelsau, ein richtiges Wildschwein mit Knopf im Ohr, ohne sie ging gar nichts. Da, wo andere Kinder Bärchen, Lämmchen oder ähnlich Schmuseweiches hatten, hatte Paule eine Wildsau.

»Komm, mein Kleiner, hopp.« Thomas schlug das Laken zur Seite. Hopp! war auch für August das Kommando. Er sprang ebenfalls ins Bett und rollte sich in Windeseile an das Fußende. Er machte sich so klein wie möglich und stellte sich sofort tiefschlafend.

Paule kuschelte sich an seinen Papi.

»Gute Nacht, Paulchen, träum schön … immer mehr Väter spielen Mama«, sagte er halblaut, während er das Licht löschte.

Thomas konnte nicht einschlafen. Seit Tagen kamen seine Gedanken nicht zur Ruhe, drehten sich im Kreis, drehten sich um Verena.

Die Fenster seines Schlafzimmers waren weit geöffnet, keine noch so kleine Brise ging über die Dächer oder durch die Bäume, um die Stadt ein wenig zu erfrischen. Die Häuserwände gaben des Nachts die gespeicherte Wärme des Tages zurück, Backofentemperaturen vierundzwanzig Stunden. Hamburg schwitzte.

In seinem Arm lag sein Paulchen, sein Atem ging ruhig, er schlief tief und fest. Er fühlte sich geborgen bei seinem Vater.

So sanft wie möglich versuchte Thomas, August, die Heiz- und Rheumadecke, vom Bett zu schubsen. Kein Gedanke. August lag wie eine Planierraupe quer über dem Bett und rührte sich nicht.

Je länger Thomas Hausmann im Bett lag, je wacher wurde er, dazu noch diese unerträgliche Hitze. Behutsam rollte er seinen Sohn aus seinem Arm in die Mitte des Bettes und stand auf.

Er holte sich ein Glas Weißwein und setzte sich auf den vorderen Balkon. – Er dachte an Verena. Je mehr Zeit dazwischenlag, um so unbegreiflicher wurde ihm ihr Verhalten. Wo war sie jetzt? … Und wer zum Teufel ist Kilian?!?

Die Lichter der umliegenden Häuser verloschen langsam, nur hier und da brannten noch vereinzelte Windlichter auf Terrassen oder Balkons. Glühwürmchen gleich leuchteten sie ihr Licht durch die Sommernacht. Eine Nacht zum Träumen … Verena …

Thomas stand auf, ging durch das Schlafzimmer, hörte seinen Paule ruhig und gleichmäßig atmen und weniger leise Paules August. Eine warme, glückliche Welle schlug mit voller Wucht an seine Herzkammern.

Er ging weiter in das Zimmer von Lukas. Da lagen die rosa Gummihandschuhe neben seinem Baseball und einem angebissenen Apfel. Lukas lag bäuchlings und ratzte wie ein Grizzly.

Im Zimmer von Carina brannte noch Licht; vorsichtig öffnete Thomas die Tür. Carina war eingeschlafen, eine Zeitschrift wellte sich in das Bettlaken. Behutsam nahm Thomas die Illustrierte weg.

Während er das Licht löschte, fiel sein Blick auf den Artikel, den seine Tochter gelesen hatte: Schlank ohne Qual.

Carinchen, wenn man so hübsch ist wie du, dachte er, sind die drei oder vier Pfund Übergewicht eine reine Schutzmaßnahme des lieben Gottes für dich. Und deine Eltern!

»Schlaf gut, meine kleine Große.«

Was jammerst du, Thomas Hausmann? Du hast drei Menschen, die du liebst und die dich lieben, nicht zu vergessen einen großen, gemütlichen Hund. Man meint es sehr gut mit dir, Hausmann. Schlaf jetzt, morgen ist ein anderer Tag …

Leise ging er zurück zu Paule.

Mit einem Crash hatte die Geschichte von Verena und Thomas begonnen.

Verena war mit ihrem unübersehbaren knallroten Porsche in die übersehbare graue Ente von Thomas geknallt, und Thomas hatte zu ihr gesagt: »Na, Mäuschen, wer hat dir denn das schöne Spielzeug geschenkt, mit dem du nicht umgehen kannst? – Vielleicht sollten wir die todschicke Sonnenbrille gegen eine anständige Sehhilfe austauschen, oder noch besser gegen einen Hund, den neben dich setzen, damit er bei Gefahr bellt.«

»Du blöde Machograuente, wenn dein Bafög nicht reicht, geh jobben, dann kannst du dir auch ein paar PS mehr unter deinem flachen Hintern leisten.«

Was war das? Eine Frau, die ihm Paroli bot? Thomas’ Sinne reagierten. Er sah sich die junge Dame genauer an. Alle Sinne reagierten! Geschickt zog er sich erst einmal aus der Affäre, indem er grinste und sich seine Mähne aus der Stirn strich; damals trug er noch »offen«.

Sie sah sich den Entenfuzzi auch etwas genauer an … Den im Anzug, toll…!