Man darf ja wohl noch fragen - Andreas Altenburg - E-Book
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Man darf ja wohl noch fragen E-Book

Andreas Altenburg

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Beschreibung

Band 2 des SPIEGEL-Bestsellers «Man ist ja Nachbar»: Ralf Prange ist zurück! Die Hausgemeinschaft in Barmbek-Süd steht kopf: Die Mietwohnungen werden in Eigentum umgewandelt. Pranges neuer Vermieter, das Grinsegesicht, nervt mit Wohnungsbegehungen; da bleibt kaum noch Zeit für das Feierabendbierchen mit Paketmann Micki. Auch weil Neu-Freundin Dörte sich im einstigen Junggesellenparadies breitmacht, das Fernsehprogramm bestimmt und Prange mit zu Pärchenabenden bei den Kapellas aus dem dritten Stock schleppt. Und plötzlich ist auch noch der Fernsehmann verschwunden. Steckt die Wohnungs-Mafia dahinter? Prange und Nachbar Horst ermitteln auf eigene Faust. Man darf ja wohl noch fragen!

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Seitenzahl: 380

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Andreas Altenburg

Man darf ja wohl noch fragen

Ralf Prange lässt nicht locker

 

 

 

Über dieses Buch

Früher war alles einfacher!

 

Die Hausgemeinschaft in Barmbek-Süd steht kopf: Die Mietwohnungen werden in Eigentum umgewandelt. Pranges neuer Vermieter, das Grinsegesicht, nervt mit Wohnungsbegehungen; da bleibt kaum noch Zeit für das Feierabendbierchen mit Paketmann Micki. Auch, weil Neu-Freundin Dörte sich im einstigen Junggesellenparadies breitmacht, das Fernsehprogramm bestimmt und Prange mit zu Pärchenabenden bei den Kapellas aus dem zweiten Stock schleppt. Und plötzlich ist auch noch der Fernsehmann verschwunden. Steckt die Wohnungs-Mafia dahinter? Prange und Nachbar Horst ermitteln auf eigene Faust. Man darf ja wohl noch fragen!

Vita

Andreas Altenburg, Jg. 1969, ist seit 1993 als Morgen-Redakteur, Autor und Sprecher mit Schwerpunkt Comedy bei NDR 2 tätig. Bei rororo erschien u.a. 2011 das Fanbuch zur Kultserie «Frühstück bei Stefanie» und «Wir sind die Freeses». Andreas Altenburg erhielt zusammen mit Harald Wehmeier den Deutschen Radiopreis für die Radiocomedy «Frühstück bei Stefanie»; die Fernsehcomedy «Jennifer – Sehnsucht nach was Besseres» wurde mit dem Deutschen Comedypreis 2018 als «Beste Sitcom» ausgezeichnet.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Mai 2023

Copyright © 2023 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung Cordula Schmidt Design, Hamburg

Coverabbildung Kai Würbs

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-01525-8

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

Die Hausgemeinschaft 2.0

3. Etage links

Eigentümer seit 2015: Der «ÖkoSpießer» und (sein Freund) der «Blasse»

 

Hat eine eigene Firma für Energieberatung und nervt mit Innovations-Vorschlägen für das Haus und die Hausgemeinschaft.

Beide sind Fahrradhelm-Träger, leidenschaftliche Wanderer und lieben Kohlsuppendiät.

2. Etage links

Mieter seit 10 Jahren: Das Ehepaar Kapella

 

Tanja, Frank und Hund. Die Lautstarken. Man fragt sich, warum sie eigentlich verheiratet sind, so oft, wie die auf dem Balkon streiten. Und dann beginnt Pranges Dörte auch noch eine Paarfreundschaft mit den beiden!

1. Etage links

Eigentum seit 2017: Fräulein Schöneborn: die «Elblette»

 

Die Wohnung wurde von ihren Eltern gekauft. Sie ist Mitte/Ende 30, und Horst ist ein großer Fan – was er nie zugeben würde.

Erdgeschoss links

Mieter seit über 20 Jahren: Horst Rohde

 

Er ist der Gegenpol zu Prange. Der Flur zwischen beiden Wohnungen ist so etwas wie umkämpftes Niemandsland, aber neben Paketmann Micki ist Horst der einzige wirkliche Vertrauensmann, wenn es um die Belange im Haus geht.

4. Etage rechts

Eigentums-Dachgeschosswohnung, üppige Dachterrasse: Der «Fernsehmann»

 

Man kennt ihn aus dem Abendprogramm. Mysteriöser Lebemann. Immer im Einsatz. Er kommt und geht und … bleibt weg. Auch deshalb ist Prange etwas übergriffig mit dem einzigen Promi in der Straße.

3. Etage rechts

Mieterin seit 1952: Die «Nazi-Oma»

 

Etwas übertrieben vielleicht, dieser Spitzname, aber Prange ist oft erschrocken, welche Begrifflichkeiten diese zuckersüße alte Dame (*1923) verwendet. Ist sie einfach verwirrt oder doch böse?

2. Etage rechts

Mieter seit 2020: Familie «Butschi»

 

Julia Köster-Demirbay, Hamza Demirbay, der 9-jährige Butschi, Ex-Arschlochkind. Dem Vater gehören vier Tankstellen. Die Mutter ist voll berufstätig und überbehütet ihren Sohn. Und ausgerechnet mit diesem kleinen Scheißer hat Prange Mitleid.

1. Etage rechts

Wechselnde Mieter seit 2014: «Die WG»

 

Der Hackenläufer, der Bumser und noch ein paar. Prange weiß nicht genau, wie viele. Tendieren dazu, zu laut Fußball zu gucken.

Erdgeschoss rechts

Mieter seit Kindheit: Ralf Prange

 

Allein lebend seit dem Tod der Mutter und Auszug seiner Schwester Silke. Einziger Kontakt war – zunächst – sein Beo Berni. Dann kamen Paketmann Micki, Butschi und Paketfrau Dörte ins Spiel.

Untergeschoss rechts

Souterrain mit eigenem Eingang: Ilona – die «Liebesdame»

 

Prange bildet sich permanent ein, Geräusche aus ihrer Wohnung zu hören. Was aber ein Irrtum ist. Wenn Ilona in Montur ihre Pakete bei ihm abholt, wird es manchmal pikant.

1

«Man darf ja wohl noch fragen!»

«Jetzt lass doch die armen Leute, Ralf.»

«Das soll die Zukunft sein? Ist doch wahr …»

Seit zwanzig Minuten! Seit zwanzig Minuten stehe ich mit meiner Schwester jetzt schon in dieser Schlange im DHL-Shop. Im DHL-Shop! Seit mein Lieblingspostamt dichtgemacht wurde, muss ich die meisten Postsachen über den Snack- & Getränkeshop in der Parallelstraße regeln, der nebenbei einen Pakete-Schalter beherbergt. Glaubt man das? Paketannahme war mal so was wie ein Ausbildungsberuf, das haben früher sogar Postbeamte gemacht, und heute steht da ein junger Typ im Samtnicki-Trainingsanzug, gepeikert bis zum Hals, und nimmt meine Paketware und, ja, sogar Einschreiben in seine Obhut!

Und ich stehe hier auch nur, weil meine Schwester Silke es wieder nicht lassen konnte, mir einfach ungefragt zum wiederholten Male im Homeshopping irgendeinen Scheiß aus der «Ultradust-Welt mit Alicia Schönberg» zu bestellen. Diesmal einen Teleskop-Staubwedel, mit dem man sogar unter der Waschmaschine wischen kann. Das Video davon hat meine Schwester mir gerade auf ihrem Handy gezeigt, weil sie immer noch beleidigt ist, dass ich das Teil zurückschicken möchte.

«Warum soll ich unter der Waschmaschine wischen?»

«Fürs Gefühl. Du wischst ja auch auf Schränken.»

«Nur da, wo ich rankomm. Alles, wofür ich ’ne Leiter brauch, wisch ich nicht.»

«Man stellt doch mal ’ne Tasche aufn Schrank.»

«Wenn ich da rankomm, ja! Aber nicht, wenn ich extra ’ne Leiter holen muss.»

«Das ist doch ekelig, wenn man da denn mit’m Finger rübergeht.»

«Silke! Was soll ich da mit’m Finger rübergehen, wenn ich mir dafür extra ’ne Leiter holen muss!»

«Das sind so tolle Tuchaufsätze. Das ist dies ultradust. Stefan macht damit seine Fahrradspeichen. Kann man nämlich abmachen, von diesem Aufsatz. Und das ist das.»

«Nur als Tuch?»

«Auch nur als Tuch. Geht auch.»

«Das ist ja der reinste Wahnsinn.»

«Hör auf, mich zu verarschen. Wollte dir nur ’ne Freude machen.»

«Das Ding ist, Dörte hat ein eigenes Staubwedelsystem mit in den Haushalt gebracht, und …»

«Okay. Alles klar. Ich versteh.»

Sie dreht beleidigt den Kopf weg und studiert schweigend die Produktinformationen im Chipstüten-Regal, an dem sich die Leute langsam auf dem Weg zum Paketannahmeschalter vorbeischlängeln. Eigentlich freut sie sich ja, dass ich eine feste Freundin habe. Sie mag Dörte, und Dörte findet auch meine Schwester ganz in Ordnung, und manchmal geht mir das sogar ein bisschen auf den Sack, wenn beide sich gegen mich zusammentun. Kommt vor. Bisher hat Silke als meine große Schwester eben immer drauf geachtet, dass ihr kleiner Ralfi in Sachen Haushaltsbewältigung stets auf dem neuesten Stand ist, und jetzt mit Dörte im Haus ändern sich die Dinge halt ein bisschen. Wir sind zwar nicht mal richtig zusammengezogen, jeder hat seine eigene Wohnung, aber hängen trotzdem meistens bei mir ab, weil wir hier eine Satelliten-Hausanlage haben und Dörte nur DVB-T, und weil die Lieferdienste bei mir in Barmbek-Süd schneller an die Wohnungstür liefern als bei ihr in Bramfeld – ich hab’s gestoppt. Von meinen ganzen Verpflichtungen im Haus in puncto Paketannahme ganz zu schweigen. Weil, ich bin Wunschnachbar. Die meisten im Haus geben das bei ihren Paketbestellungen so an. «Wunschnachbar: Prange». Ich hab mir das nicht ausgesucht, und es nervt auch, wenn es überhandnimmt, aber es geht natürlich eine gewisse Verantwortung damit einher, und das muss Dörte einsehen. Sie selbst ist immer noch Fahrerin bei Hermes, und daher kennt sie ja diese ganzen Vorgänge und ist, was das angeht, sowieso die richtige Frau an meiner Seite. Und das eben meistens bei mir zu Hause.

«Nun tu doch nicht so, als wenn Staubwischen dir komplett am Arsch vorbeigeht, Ralf Prange! Du hast doch bisher auch immer mit deinen feuchten Duschhandtüchern gewischt.»

Meine Schwester hebt ihren Kopf und knetet dabei etwas gespielt verlegen eine Tüte Erdnusswürmer, um davon abzulenken, dass sie eigentlich auf Angriff schaltet.

«Das mach ich immer noch, wenn ich sie sowieso danach in die Wäsche schmeißen will.»

«Aha.»

«Nix aha. Das geht super. Duschrestfeuchte im Handtuch kannst du auch einfach aufs Ceranfeld in der Küche legen und damit alte Spiegeleierkruste vom Glas lösen.»

«Ach. Aber Dörte darf ihr eigenes Staubwedelsystem mit in deinen Haushalt bringen. Da bist du dann auf einmal offen.»

«Sie wischt ja auch mal bei mir. Du nicht!»

«Ich hab auch schon bei dir gewischt, Ralf Prange. Aber ich bin ja froh, dass du jetzt jemanden hast.»

«Dann ist ja gut.»

«Ja. Nee, isses auch.»

Pause.

«Silke, letztes Jahr hat diese Alicia Schönberg doch noch diese Gummidinger für die Kochtöpfe verkauft.»

«Kochblumen.»

«Sag ich ja. Und jetzt auf einmal Staubwedel?»

«Du bist nicht der Einzige, der sich weiterentwickelt hat, Ralf Prange.»

«Wieso kannst du den Kram eigentlich nicht auf dem Postamt bei dir zurückschicken, Silke?»

«Wir haben bei uns kein Postamt mehr. Das macht Edeka.»

«Ja, toll.»

«Kannst du’s denn nicht deiner Dörte mitgeben?»

«Die ist bei Hermes!»

«Ach, stimmt ja. Und dieser Micki? Dein DHL-Kumpel?»

«Ich will ihn damit nicht auch noch belasten! Außerdem hast du das doch bestellt, ohne mich zu fragen.»

«Ich will mir sowieso noch Erdnusswürmer kaufen. Das zum Beispiel kannst du nicht bei der Post».

«Aber hier sind zwei Kassen! Eine für Erdnusswürmer und eine für Post. Hier an der einen muss ich erst das Paket bezahlen und dann an der anderen noch extra die Erdnusswürmer kaufen! Und das ist jetzt der Fortschritt? Was ist das für ’ne kranke Welt? In einem echten Postamt kann man an einem Schalter seine Briefe aufgeben, das Päckchen abholen und sogar Radiergummis und Klebebandrollen aus dem Postshop bezahlen!»

«Aber keine Erdnusswürmer.»

Sie will es nicht verstehen.

«Für die Retoure musst du doch auch nicht bezahlen.»

«Lass gut sein, Silke. Generell. Du weißt ja, wie ich meine.»

Das ist jetzt auch schon Bockigkeit bei ihr. Sie weiß, dass ich recht habe.

«Wird dir das alles zu viel, Ralfi?»

«Was denn zu viel?»

«Na ja, es ist viel Veränderung in deinem Leben. Die neue Partnerin und die neue Wohnsituation. Dann die ganzen Wohnungen im Haus, die in Eigentum umgewandelt werden …»

«Die kriegen mich nicht raus. Das wissen die auch.»

«Trotzdem. Du hast ’ne sehr kurze Lunte zurzeit.»

«Was ist falsch an Postämtern, Silke? Was ist falsch daran?»

«Du hörst mir ja gar nicht zu!»

Wir schweigen. Ein Typ vor uns schiebt mit den Füßen abwechselnd eine Bierkiste und einen großen Versandkarton vor sich her. Auf den Armen hält er drei Toastbrote, eine Tüte Nachos und ein Glas Käsesoße. Okay, man bekommt hier eine volle Mahlzeit, aber das ist doch kein vernünftiges Päckchen-Austauschklima, zwischen Snack-Regal, Naschi-Tüten zum Selber-Befüllen und einer kleinen Fertiggerichteabteilung mit Raviolidosen und Mikrowellentortellini. Ist doch wahr. Pakete, die noch rausgehen sollen, und die, die angekommen sind, direkt nebeneinander. Das kann doch nur schiefgehen. Sogar ich als Privatperson habe in meinem Flur extra diesen kleinen, sauberen Paketebereich geschaffen, wo die Ware exakt vorsortiert für die Nachbarschaft auf Abholung wartet und wo auch nix durcheinanderkommen kann.

Wir schweigen.

Ein riesiger Paketstapel wartet hier auf Abholung – direkt vor dem Weinregal! Und jedes Mal, wenn jemand sich eine 1,5-Liter-Flasche Weißwein für 4,99 €, quasi als Bückware, aus dem untersten Regalboden greifen möchte, rammt er mit seinem Rucksack oder einfach nur mit dem dicken Hintern immer denselben quersitzenden Karton aus der Mitte, als wäre das hier Jenga für Grobmotoriker. Und dann – tatsächlich – kippt einiges um.

«Oh.»

Das ist alles. «Oh.» Ansonsten keine Reaktion. Ich weiß ja nicht, was da in diesen Kartons so drin ist, aber das kümmert hier offensichtlich kein Schwein. Nicht mal die Ladenbetreiber.

«Oh.»

«Alles gut.»

«Ah.»

Was für ein Chaos! Ich weiß nicht genau, wie der Betreuungsschlüssel früher bei der Bundespost war, also wie viele Pakete in der Obhut eines Paketannahmebeamten waren. Ich denke mal so etwa 1 zu 30, was vergleichbar wäre mit meiner Grundschullehrerin Fräulein Wriedt und uns 34 Kindern aus der 2c, also alles einigermaßen gut zu überblicken. Der eigentliche Unterschied zu heute ist aber, dass früher die Pakete einfach durch eine Luke oder ein kleines Fließband im Lagerraum verschwanden. Aus den Augen, aus dem Sinn. Wird schon gut gehen. Wie bei so einem Hund, der im Frachtraum im Flugzeug mitfliegen soll und am Spezialschalter in seiner Box auf dem Fließband hinter diesen Gummilappen verschwindet. Der Rest ist Vertrauen. Man muss sich nur mal vorstellen, was los wäre, wenn Herrchen und Frauchen noch die ganze Zeit bis zum Abflug freie Sicht auf einen Haufen schlecht gestapelter Hundeboxen hätten, die alle schon – direkt neben dem Cola-Whiskey-Probierstand am Duty-free-Shop! – auf halb acht stehen und jedes Mal, wenn ein Breitarsch sich nach Toblerone oder Gucci-Düften bückt, umzukippen drohen! Da wäre aber richtig was los. Und genauso unwohl und ohnmächtig fühl ich mich eben auch, wenn ich meine Post diesen Leuten überlassen muss.

Ich hatte neulich über eBay-Kleinanzeigen ein fabrikneues Paar No-Name-Badelatschen, was ich während der Nachtschicht in der Räucherei tragen wollte, verkauft, leider falsche Größe, Fehlkauf, kein Bon mehr – und habe das Paket vormittags im DHL-Shop abgegeben. Und nachmittags hatte ich Lust auf eine bestimmte Marken-Spezi, die sie im Tankstellenshop vom Vater von Butschi, dem Kind aus meinem Haus, nicht führen, und bin wieder rein, und da sah ich mein Paket ganz am Rand vom Stapel direkt auf dem Boden liegen. Auf dem Boden! Und obendrauf ein ganzer Karton Capri-Sonne, der überhaupt nix mit DHL zu tun hat.

«Könnten Sie bitte die Capri-Sonne von meinem Paket runternehmen?»

«Was?»

«Das da unten ist mein Paket.»

«Ja und?»

«Da steht ein Karton Capri-Sonne drauf. Ich hab nur Angst, dass mein Paket vergessen werden könnte, wenn da was draufsteht.»

«Nee, das klappt schon. Keine Sorge.»

«Alles klar. Ich dachte nur.»

Pause.

«Darf ich das Paket oben auf den Stapel stellen?»

«Was’n los, Mann?»

«Ist doch egal. Ich fühl mich dann wohler.»

Und dann schüttelte er schon den Kopf und verdrehte die Augen, und am Ende fühlte ICH mich dann wieder wie derjenige, der einen an der Marmel hat. Glaubt man das? Aber so was kommt von so was.

«Du bist ’ne Helikopter-Mum, Ralf Prange!»

Am Telefon hat Silke mich damit auch noch aufgezogen. Das muss man sich mal vorstellen.

«Ich kann doch nicht so tun, als wenn nichts gewesen wär. Da hätt ich mir ja Vorwürfe gemacht, wenn das nicht geklappt hätte.»

«Guck …»

Kurz überlegen.

«Weißt du noch, als du damals bei Ikea zum Rauchen kurz vor die Tür gehen wolltest und auf dem Weg zum Ausgang durch das Fenster zum Kinderparadies plötzlich Malte und Fehmke gesehen hast, und Malte sprang in Unterhose und Socken in die Bälle?»

«Das ist doch wohl was völlig anderes.»

«Ist es nicht, Silke. Ist es nicht. Ich kann mir ja vorstellen, dass Pakete zwischendurch auch mal so rumstehen. Aber ich will es nicht sehen müssen! Und du konntest damals auch nicht mehr abschalten und hast deine beiden Lütten da rausgeholt.»

Sie will gerade noch was erwidern, aber dann sind wir endlich dran. Wenn ich ehrlich bin, läuft alles so weit ganz gut. Der junge Mann macht es nicht zum ersten Mal. Er nimmt mir den Retourenschein ab und packt ihn vor meinen Augen in das Paket. Es ist mir wichtig, dass er noch mal ein Auge drauf wirft, dass ich auch alles korrekt ausgefüllt habe – und Silke verdreht schon die Augen. Er klebt meinen Karton zu. Faltenfrei. Gute Arbeit. Dann sichert er mir zu, dass er den Aufkleber gleich vernünftig auf das Paket kleben wird. Und da ist es mir plötzlich ganz recht, dass wir noch die Erdnusswürmer für meine Schwester bezahlen müssen und ich einen guten Grund habe, so lange am Tresen stehen zu bleiben, bis der Aufkleber vernünftig auf die Pappe gedrückt wurde. Mit dem Handrücken noch mal drüber. Da kann man nicht meckern.

«So, dann noch die Erdnusswürmer hier.»

«Die sollen’s sein?»

Hohle Phrasen, als wenn man im Schuhgeschäft wär. Also ehrlich.

«Dann müssen wir eben noch an die andere Kasse rüber.»

«Mmmhm. Aha.»

«Geht gleich los. Wenn die Dame dort fertig ist.»

Und das ist das. Wer Pakete aufgibt und dann noch Erdnusswürmer kauft, will zu viel. Das wird bestraft. Die «Dame» dort ist eine rustikale Kettenraucherin, so wie sie klingt, und hat gerade eine XXL-Dose Stopftabak geordert. Ihre EC-Karte steckt schon im Lesegerät, und erst da fällt es ihr ein, dass sie vielleicht doch noch ein Tabak-Beratungsgespräch benötigt. Glaub man das?

«Was ist eigentlich Premium Cut?»

«Wie bitte?»

«Es steht auf der Dose. Premium Cut. Ist das vom Geschmack her?»

«Das weiß ich nicht. Ich rauch nicht selber.»

Ich raste gleich aus.

«Murat?», ruft der Tankstellenverkäufer nach hinten ins Lager. «Was ist Premium Cut?»

«Premium Cut?», kommt es zurück.

«Ja. Was das ist. Die Dame fragt.»

«Weiß nicht. Ist ja aber gut.»

«Hören Sie?», sagt er zur Dame.

«Ja gut», sagt sie. «49,95 € für 310 Gramm. Was wär das vergleichbar in echten Schachteln?»

«Kommt drauf an, wie dick sie stopfen …»

Dann fragt sie noch, was von diesen neuen Tabak-Erhitzern zu halten ist, wo man nix anzünden muss. Die seien so weit ganz gut, kommt es aus der Kassenschlange, aber die haben sie hier leider nicht im Shop, muss der Kollege von Murat gestehen. In der Hamburger Meile würde es einen Spezialladen geben, wo sie Shishas verkaufen, da solle sie mal nachfragen. Dann überlegt sie sich das lieber noch mal, sagt die Dame und lässt den ganzen Bezahlvorgang stornieren. «Wer weiß, ob der Premium Cut überhaupt warm gemacht werden darf.» Ich hasse sie bereits nach diesen sechs Minuten und hab das größte Mitleid mit ihrem Partner – falls sie einen hat.

Ich bin dran.

«So, dann wollen wir mal. Einmal die Flips sollen’s sein? 2,90 Euro bitte.»

«Mit Karte.»

«Mit Karte erst ab zehn Euro. Sorry.»

«Ich hab nur ’n Fünfziger dabei. Den würd ich ungern anbrechen.»

«Tja …»

Es ist nicht zu fassen! Ich bringe ein Paket zurück, das meine Schwester ungefragt für mich bestellt hatte. Und weil sie unbedingt noch Erdnusswürmer haben will, obwohl sie selbst gar kein Geld dabeihat und mich jetzt flehend anguckt wie so ein Dackel vorm Kühlschrank, kaufen wir tatsächlich noch drei Tüten mehr und zwei Duplos, um über die verkackten Zehn-Euro-Mindest-EC-Karten-Bezahlwert rüberzukommen!

Das ist die Zukunft des Paketebusiness? Leck mich am Arsch.

Na ja. Nachher guck ich noch mal, ob es unserem Päckchen gut geht.

2

Wissen Löwen im Zoo eigentlich, dass sie beobachtet werden? Ich würde sagen, ja. Das habe ich schon immer geglaubt. Sie machen ja nichts. Liegen nur rum. Verständlicherweise. Sie werden von Hunderten Leuten angeglotzt, und jeder, der schon mal etwas unglücklich in der Öffentlichkeit von einem Bacon Burger abgebissen hat, kann sich ungefähr vorstellen, wie es sich anfühlen muss, einen sehnigen Drei-Kilo-Klumpen Schlachterei-Abfall klein zu nagen, wenn Leute dabei zugucken. Das geht den Löwen bestimmt auch so. Deshalb halten die sich zurück. Ich selbst war früher mit der ganzen Familie ständig bei Hagenbeck, als es da sogar noch eine Delfinshow gab. Und ich habe zum Beispiel noch nie gesehen, wie sich ein Hagenbeck-Löwe zwischen den Beinen leckt.

«Was ist denn los mit dir?», fragte meine Schwester Silke gerade eben noch Telefon.

«Ich mein doch nur.»

«Das kommt doch wohl ständig vor, dass Löwen sich ablecken.»

«An den Pfoten, Silke. An den Pfoten. Aber zwischen den Beinen nur in freier Wildbahn, wenn sie mit so Geheimkameras von Sielmann gefilmt wurden.»

«Du glaubst allen Ernstes, dass Löwen sich darüber bewusst sind, dass die Leute gucken, und sich deshalb schämen.»

«Man schämt sich ja nicht. Es ist nur einfach unangenehm. Die rechte Freude will wahrscheinlich nicht aufkommen.»

«Sie sind gehemmt?»

«Ja, so was in der Art.»

Und es ist ja tatsächlich mittlerweile fast schon bewiesen, dass Zootiere unter Beobachtung anders drauf sind. Als in China wegen Corona die Zoos geschlossen waren, gab es sofort Panda-Nachwuchs. Glaubt man das? Warum die es nicht einfach nachts tun, weiß der Geier. Der Hund der Kapellas aus dem zweiten Stock in meinem Haus mag es offensichtlich nicht haben, wenn er bei seinem großen Geschäft beobachtet wird, dabei gucken Butschi und ich sogar extra weg, wenn ich mal die Hundesitter-Tour mitgehe, weil ich sowieso denselben Weg habe, wenn ich Altglas zum Container bringe. Und kaum entdeckt der Köter eine abschüssige Stelle, einen Graben oder auch nur das Ufer des Goldbekkanals, stürzt er sich kopfüber runter und hält seinen Hintern merkwürdig in die Höhe, wie ein Kleinkind, das sich denkt: «Wenn ich keinen sehen kann, kann mich auch keiner sehen.» – Tja, dumm gelaufen, kleiner Percy. Es sieht verheerend aus.

Warum mir das alles durch den Kopf geht? Es ist Sonnabendvormittag, und ich habe jetzt schon keinen Bock mehr. Woher auch? Ich sitze mit meinem Paketmannkumpel Micki und meinem Nachbarsjungen Butschi vor der Glotze. Er spielt auf seiner Playstation, die er an meinen Fernseher angeschlossen hat, Online-Fußball gegen einen Jungen aus Aserbaidschan, und wir zwei alten Herren gucken wortlos zu und essen Mikrowellen-Bacon-Burger, die Micki aus dem Tankstellenshop von Butschis Vater mitgebracht hat. Und wo er schon mal dabei war, hat er eben auch gleich Butschi mitgebracht, der seit Neuestem am Wochenende zur Taschengeldaufbesserung bei seinem Vater die durchgefummelten Capri-Sonnen im Kühlregal wieder gerade hinstellt und so was alles.

Jedes Mal, wenn ich gerade von meinem Burger abbeiße und ein ganzes Stück Bacon zwischen den Brötchenhälften rausziehe, sodass mir ein Fleischstreifen über dem Kinn hängt, zusammen mit Remoulade und Röstzwiebeln – genau in dem Moment! –, klingelt es, und Herr Kramer steht mit dieser Familie aus Cloppenburg vor meiner Tür.

«Herr Prange? Könnten Sie uns noch einmal unter den Teppich schauen lassen?»

Und genau in diesen Momenten ist es ganz besonders schwierig, einen trockenen Brocken Mikrowellen-Hack die Speiseröhre runterzukneten, und ich spüre diese Blicke dieser Familie und fühl mich wie ein Löwe im Zoo, der sich die Eier leckt. Ist wirklich so.

Die Sache ist nämlich die: Herr Kramer ist Makler und führt seit zwei Wochen Kaufinteressenten durch meine Wohnung. Also, ich ziehe nicht aus, auf keinen Fall. Ich wohne hier quasi seit Geburt, und so eine Miete bekommt man in Barmbek kein zweites Mal. Das wissen diese Brüder von der Immobiliengesellschaft ganz genau. Können sie gar nix machen. Vor zwei Jahren wurde das Haus vom alten Besitzer an diese Typen verkauft, die das Ganze Schritt für Schritt modernisieren und in Eigentumswohnungen umwandeln wollen. Mit der Dachgeschosswohnung vom Fernsehmann fing alles an. Die gehört jetzt ihm. So ein Moderator hat wahrscheinlich das nötige Kleingeld. Auch der Ökospießer und der Blasse haben ihre Wohnung schon gekauft, Stichwort Vorkaufsrecht, und selbst ich habe ganz kurz gezuckt. Aber ehrlich? Für meine Miete bekommt ein Student heutzutage nicht mal mehr ein WG-Zimmer, und dann soll ich fast 400 000 Euro dafür bezahlen, nur, damit die Wohnung mir gehört? Sind die bekloppt?

Und nun sollen eben andere mit der «Kapitalanlage in einem Mehrfamilienhaus im Herzen Barmbeks» glücklich gemacht werden. Heute ist diese Familie aus Cloppenburg zu Gast, die wahrscheinlich für ihren Sohn eine Wohnung sucht, wenn er zum Studieren oder sonst was nach Hamburg geht. Aber nach über fünfzig Jahren, die ich hier schon lebe, kriegen die mich sowieso niemals raus, sagt mein Anwalt.

Wie dem auch sei, jetzt soll ich wieder meine Auslegeware im Wohnzimmer an der aufgeknibbelten Stelle aus der Ecke ziehen, um zu zeigen, dass darunter noch makelloser Pitchpine-Boden liegt. Bitte schön. Das dürfen die leider, dagegen kann ich gar nix tun, das hat Silke mir noch mal bestätigt.

«Aber du musst ja nicht dabei sein, Ralfi. Lass einfach den Makler rein und trink solange gegenüber bei Horst einen Kaffee oder so.»

«Silke, spinnst du? Ich soll mich beim Nachbarn verstecken, damit diese Leute in meinen Sachen rumschnüffeln können?»

«Nur, weil du immer bei allen Nachbarn, wo du den Schlüssel hast, in den Schränken rumschnüffelst, müssen das ja nicht alle machen.»

«Wie kommst du darauf, dass ich so was mache?»

«Erstens: Bei mir machst du’s auch. Weiß ich. Und zweitens: Hat Horst mir erzählt. Er war dabei, als ihr mal zusammen bei diesem Fernsehmann in der Wohnung wart.»

Unangenehme Geschichte! Horst hatte den Schlüssel vom Fernsehmann, um den Handwerker reinzulassen, und hat mir bei der Gelegenheit endlich mal die Bude ausgiebig von unserem Hauspromi gezeigt, und dann, also wirklich … peinlich! Überall Überwachungskameras, und wir wissen bis heute nicht, ob der Fernsehmann irgendwas mitbekommen hat. Und das ist eben auch Horst mit seiner Neugier.

«Er selber ist ja wohl der Schlimmste.»

«Der Makler würde doch aufpassen.»

«Der ist ja noch schlimmer. Der verteilt Schuhüberzieher an seine Kunden, als wär er der Gastgeber. Dabei ist das meine Wohnung.»

«Ralf, du kannst doch nicht verlangen, dass die Leute sich die Schuhe ausziehen.»

«Der Klempner neulich hat’s gemacht! Und Micki bringt sich mittlerweile eigene Hausschuhe mit. Und wenn die hier mit diesen Gummi-Überziehern durch meine Wohnung laufen, sieht das aus, als wär’s ein Tatort.»

«Ja, und?»

«Das drängt mich in die Defensive, Silke. Das wollen die ja nur!»

Ist doch wahr. Ich bin eh schon kein Mann, der sich jedem in Hausschuhen zeigen mag. Und mein Nachbar Horst zieht sich manchmal sogar extra seine Straßenschuhe mit Trickabsätzen an, wenn es an der Tür klingelt, damit er mit mehr Statur an der Schwelle steht. Und ich sitze hier jetzt mit störrischem Burger-Hack im Hals, und dieses Rascheln an den Füßen der Besucher macht mich wahnsinnig.

«So, hier haben wir Pitch Pine. Einmal abschleifen überall, und die ganze Wohnung ist noch mal Zehntausend mehr wert. Falls Sie sich fragen, warum wir das nicht schon gemacht haben …»

«Weil ich hier wohne!», unterbreche ich den Makler, und er wirft mir einen strengen Blick zu, als wären wir beide Komplizen und müssten an einem Strang ziehen, um diese Träumer aus Cloppenburg gemeinsam über den Tisch zu ziehen.

«Mit Teppichboden ist es ja nicht so edel», sagt die Frau aus der Provinz.

«Den müssen Sie sich wegdenken für Ihr Investment, und sobald Ihnen die Wohnung dann gehören sollte, können Sie hier ganz nach Ihren Vorstellungen umgestalten», sagt der Arsch, während er die Cloppenburger am ausgestreckten Arm aus meinem Wohnzimmer zurück in den Flur geleitet.

«Wichser.»

Stille. Irritation, die ich bis hier ins Wohnzimmer spüre. Mein versauter Beo Berni. Und noch mal: «Wichser.»

Butschi und Micki müssen lachen. Manchmal passt es einfach. Der Makler hatte mich schon nach dem letzten Besichtigungstermin angerufen und gemeint, dass das so nicht ginge mit meinem Papagei.

«Es ist ein Beo. Die sind so.»

«Ach ja. Ihr Vogel hat zu meinem Kunden Pimmelgesicht gesagt. Meinen Sie, das macht meinen Job leichter?»

«Ich habe das dem Vogel nicht beigebracht. Das hat er von einem Pastor mit Tourette, bei dem er vorher gelebt hat.»

«Das weiß ich. Aber das macht es ja nicht besser. Menschen, die mehrere Hunderttausend ausgeben sollen, wollen nicht als Pimmelgesicht beschimpft werden.»

«Es ist meine Wohnung, und da geben wir uns so, wie wir sind. Auch auf Besichtigungen. Wir sind die Katze im Sack! Wir werden doch quasi mitgekauft.»

«Das ist ja das Problem, Herr Prange. Das ist das ja.»

Nicht meins. Ich kann schließlich nichts dafür, dass Herr Kramer immer dieselbe Sorte Mensch mitbringt, die alles in meinem Zuhause abschätzig taxiert.

Meistens geht es schon gleich im Flur los, mit meinen Schaumtapeten.

«Solche Dinger hatte meine Oma früher. Dass es so was überhaupt noch gibt.»

«Wenn wir da mal selber einziehen sollten, kommt der ganze Scheiß aber raus!»

Dann gerät mein Paketwagen mit diversen Päckchen für die Nachbarn und der großen Weinlieferung im 24-Flaschen-Versand-Karton für den Fernsehmann in den Blick.

«Bei denen haben wir auch mal bestellt. Silvaner. Hatte ich Kopfweh von.»

Das Knäuel an diversen Dreier-Steckern, das seitlich hinter dem Fernseh-Regal hervorquillt.

«Oh. Achtung, Kabelbrand.»

Die winzige schwarze Ecke an der Gummidichtung meiner Dusche.

«Der ganze Schimmel hier muss natürlich weg. Könnten Sie bitte notieren, dass das schon vorher war, Herr Kramer?»

Und fast jeder Besucher fragt den Makler dann natürlich auch nach der Gegensprechanlage über dem Klopapierhalter auf der Toilette.

«Was ist das denn bitte für ein komischer Knopf?»

«Da drück ich drauf, wenn’s klingelt und ich am Scheißen bin. Damit die Paketleute wissen, dass ich auch wirklich zu Hause bin und ich nicht wieder mit runtergelassener Hose zur Wohnungstür hetzen muss. So! Sonst noch Fragen?»

Wie gerne hätte ich den Mut, genau so mit diesen Leuten zu reden. Mache ich aber nicht. Ich weiß auch nicht, wieso. Es ist wahrscheinlich einfach diese defensive Lage, in der man sich befindet, wenn Wildfremde durch das eigene Revier laufen und man schutzlos sein Innerstes preisgibt. Weil man mittendrin sitzt.

«Ich weiß gar nicht, warum du dir das immer so gefallen lässt, Ralfi. Das ist doch gar nicht deine Art», meinte Silke vorhin am Telefon.

«Es ist die Situation, Silke!»

Ich war heute früh schon mit Dörte im Baumarktcafé frühstücken, und sie hat mich hinterher einfach nur schnell vor meiner Wohnung rausgelassen, an ihrem freien Tag (!), weil sie auch schon keinen Bock mehr darauf hat, angestarrt zu werden. Irgendwo muss man ja hin in seiner eigenen Wohnung, wenn die Leute da durchtigern. Als ich das erste Mal Wohnungsbesichtigung bei mir hatte, saß ich mit Dörte gerade am Abendbrottisch, als es klingelte.

«Wie, Wohnungsbesichtigung? Jetzt?»

«Ja. Ist ja keine große Sache, Dörte. Wir bleiben ganz normal sitzen und essen.»

«Während die hier durchlaufen, soll ich essen?»

«Ist doch kein Problem!»

Heute weiß ich es natürlich besser. Man sieht sich plötzlich selbst mit den Augen der anderen. Und kommt dabei nicht gut weg. Im Nachhinein denke ich, dass es vor allem an dem Erasco-Texas-Eintopf lag, den ich zusammen mit den Würstchen vom Vortag als Schnibbelwurst warm gemacht hatte und der vielleicht tatsächlich im Topf auf dem Tisch nur so mittelmäßig lecker aussah. Die Gläser, alte Senfgläser noch von meiner Mutter, waren stumpf gespült. Unterschiedliche Teller. Einer mit abgestoßenem Goldrand, einer mit Zwiebelmuster. Als Servietten Zewas. So präsentiert man sich und seinen Alltag, und mit dem unguten Gefühl des Beobachtetwerdens fallen einem immer mehr Negativpunkte an sich auf. Der Makler kam mit zwei Interessenten aus der Neustadt hinter mir in unsere Küche. Dörte blickte nur kurz schüchtern auf.

«’n Abend.»

«’n Abend. Kramer. Essen Sie ruhig weiter. Wir schauen uns nur ein wenig um?»

Ich hasse es, wenn Leute eine Feststellung als Frage formulieren, um ein Mindestmaß an Höflichkeit vorzugaukeln. Natürlich hatte Dörte nicht weiteressen können, genauso wie Micki jetzt gerade seinen Burger zur Seite legen musste.

Die Interessenten nickten uns nur kurz zu und schauten sich schweigend in der Küche um, und diese Blicke waren demütigender als jedes offene Ablästern. Wie zwei fette Ochsenfrösche, die einen ganzen Schwarm Gewitterfliegen vor sich rumschwirren haben, blickten sie in Sekundenschnelle hektisch in alle Ecken und klatschten mit ihren Zungen zu: das schiefe Regal – klatsch! – die Spinnenweben über dem Dunstabzug – klatsch! – die diversen alten Bohrlöcher, wo mal ein beleuchtetes Gläserregal für meine Mutter hängen sollte, das aber nie an der bröseligen Wand hielt – klatsch! – der Eintopf, die Teller, die Zewas – klatsch! Klatsch! Klatsch!

Und während man ihnen dabei zusieht, nimmt man erst wahr, was ihnen noch alles ins Auge fallen könnte: mein drahtiges Nasenhaar, das ich am Morgen schon über meiner Oberlippe spürte, der Eintopf-Fleck auf meiner Fleeceweste, das leere Glas mit Wurstwasser, Dörtes Gerstenkorn im linken Auge.

Und obwohl Dörte mir mit ihrer Selbstsicherheit ansonsten mächtig imponiert, lässt sie sich durch so was auch irritieren. Neulich haben wir im Supermarkt den Ökospießer und den Blassen getroffen, die selbst noch nichts in ihrem Wagen hatten und in ebenjener froschhaften Art beim Small Talk aus den Augenwinkeln unseren Einkaufswagen abscannten. Bier. Plockwurst. No-Name-Käse. Und ohne hinzuschauen, griff sich Dörte, während sie dem Blassen bei seinen genölten Ausführungen über den neuen Fahrradschnellweg durch die City Nord zuhörte, irgendeinen sündhaft teuren Balsamico-Essig (mit gewachstem Flaschenhals!) aus dem Feinkost-Regal und legte ihn wie selbstverständlich in den Einkaufswagen.

Sicherlich, eine kleine Schwäche. Aber auch dafür habe ich sie gern.

Letztes Mal hat mich der Makler gebeten, was anderes im Fernsehen anzugucken oder den Fernseher wenigstens ein bisschen leiser zu machen, als im Mittagsmagazin eine Reportage über Risiken beim Fettabsaugen lief und er Kundschaft erwartete. Fehlt nur noch, dass ich seichte Lounge-Musik anmachen soll. Was glaubt er denn? Man hat als Kunde doch wohl genug Vorstellungsvermögen. Als ich mich in der riesigen Hi-Fi-Abteilung für meinen Fernseher entschieden hatte, lief auf dem Ausstellungsstück gerade «Der weiße Hai», weil der Azubi wohl etwas zu gedankenlos den zentralen Blu-Ray-Player bestückt hatte und mehrere Mütter hektisch nach den Fernbedienungen suchten. Und trotzdem habe ich das Gerät gekauft.

«Dürfte ich mir mal die Hände waschen?», fragte Herr Kramer irgendwann und wartete die Antwort schon gar nicht mehr richtig ab. Stille. Zu still. Ich schlich mich an meine Badezimmertür, unter normalen Umständen wär das vielleicht grenzwertig, und lauschte. Kramer lupfte offenbar langsam und behutsam den Klodeckel, der dann doch mit einem leichten Geräusch gegen die Fliesen schlug. Man bekommt es nie ganz geräuschlos hin, das weiß ich aus eigener Erfahrung, wenn ich nachts hoch muss und Dörte bei mir zu Besuch ist und wach wird, wie eine Wachhündin, die nur döst. Klack – «Ralf?»

Ich bezog mich innerlich auf mein Hausrecht, als ich durchs Schlüsselloch schaute und sah, wie dieser Makler tatsächlich nur schnell kontrollieren wollte, ob mein Klo einigermaßen vorzeigbar ist. Glaubt man das? Was kommt als Nächstes? Dass er mit mitgebrachten Feuchttüchern die Zahnpastareste von meinem Becher abwischt?

«Ich weiß, was Sie da tun, Herr Kramer.»

Stille. Rascheln. Als er rauskam, tat er so, als hätte er mich gar nicht gehört. Im Nachhinein vielleicht auch besser so.

Im Hier und Jetzt macht sich Familie Gernegroß aus Cloppenburg ans Aufbrechen. Wahrscheinlich fanden sie die Wohnung im Internet dann doch irgendwie verlockender als in echt. Der Makler hatte ein paar Bilder mit Weitwinkel und diesen Fotofiltern in die Annonce im Internet gesetzt, auf denen meine Küche wie das Fernsehstudio von Mälzer wirkt. ’tschuldigung, dass meine Bude nur so lala ist!

Jetzt stehen alle drei zusammen mit dem Makler im Flur wackelig auf der Türmatte zum Treppenhaus und bemühen sich, die Schuhüberzieher vom Fuß zu ziehen, ohne dabei umzukippen, als wär’s eine Art Zeitungstanz.

«Was riecht hier eigentlich so komisch?», fragt der Sohn leise seinen Vater und denkt, ich hör das nicht. Micki und Butschi spielen toter Mann und schauen wieder regungslos auf den Bildschirm. In die Stille hinein setzt Berni dann noch einen kleinen versauten Schlusspunkt. Entgeistert nickt man mir ein letztes Mal zum Abschied zu. Ich drücke dem Makler noch meinen Gelben Sack in die Hand und dem einen Cloppenburger mein Badezimmerbeutelchen.

«Einfach kurz in die Tonnen werfen. Danke.»

Also, wenn ich jetzt das Gefühl hätte, da will jemand Seriöses die Wohnung kaufen, in der ich lebe, nette Leute, gute Vermieter auf Augenhöhe, dann würde ich vorher sogar Staub saugen oder Käsestangen zum Knabbern hinstellen, quasi als mein Investment in ein gutes Mietverhältnis. Aber der Markt ist zurzeit einfach überhitzt.

3

«Habt ihr Eiswürfel?»

Ein scharfer Blick, ein Augenrollen von Dörte, aber man wird ja wohl noch fragen dürfen.

Wir sitzen bei den Kapellas auf dem Balkon und haben Weißweinschorle vor uns, die mir so labberig vorkommt, dass ich mein altes Credo bemühen muss: Eiskalt macht trinkbar! Das gilt für schlechtes Bier, für fiesen Aquavit sowieso und selbst für diese komische Erdbeermilch, die Butschi sich manchmal gönnt.

Vor einer Stunde sind wir spontan eingeladen worden, und ich weiß nicht wieso, aber Dörte hat sich offensichtlich fest vorgenommen, bei den Kapellas anzudocken. Sie und «Tanja» haben sich quasi schon angefreundet.

Das Ganze passierte, als Frau Kapella bei mir (uns) klingelte, um ihr Hermes-Päckchen abzuholen, das von Dörte an mich geliefert wurde, als Frau Kapella auf Arbeit war. Dörte und ich trennen Berufliches und Privates sehr genau in solchen Situationen. Eigentlich. Weil, als Frau Kapella abends vorbeikam, um ihr Päckchen mit einem Animal-Print-Oberteil abzuholen, fragte sie doch tatsächlich, ob Dörte da sei und mal einen Blick drauf werfen könnte.

«Auf was?»

«Auf mein Oberteil. Da in dem Päckchen.»

«Und was soll das bringen?»

«Ob’s passt.»

«Wie soll das gehen? Dann müssten Sie’s ja anprobieren.»

«Ja, das dacht ich ja. Und wenn’s nicht passt, kann Ihre Lebensgefährtin das ja gleich wieder retour nehmen.»

«Ich bin doch kein Modehaus hier!»

«Prange Moden?»

Dörte kam lachend um die Ecke, und die beiden konnten sich gar nicht mehr einkriegen.

«Das geht doch ganz schnell, Ralf.»

Beide verschwanden kichernd in meinem (!) Badezimmer. Tatsächlich passte dieses Oberteil, und Frau Kapella behielt es gleich an und lief freudestrahlend ins Treppenhaus. Und ich durfte den Karton entsorgen, den sie mir dagelassen hat. Glaubt man das? Und jetzt dieser spontane Pärchennachmittag.

«Fra-hank, hol uns doch noch mal was Schönes zum Knabbern, für zwischendurch.»

«Ich weiß gar nicht, ob wir noch was Schönes haben.»

«Sonst kann Ralf doch noch was von unten hochholen. Wir haben noch Wasabi-Nüsse irgendwo», schaltet sich Dörte ein. Und ich hab jetzt schon keinen Bock mehr. Wir sind hier schließlich nur zu einem sogenannten Feierabendwein eingeladen, mit der Aussicht, dass Herr Kapella – es fällt mir immer noch schwer, Frank zu sagen – noch ein paar Würste auf den Grill wirft, wofür Dörte schon eine Packung Kartoffelsalat aus dem Tankstellenshop von Butschis Vater beigesteuert hat. Understatement. Keine große Sache. Die Kapellas sind Gastgeber, aber man will ja was in der Hand haben, und sie haben das Mitbringsel unter größtem gespielten Protest in den Kühlschrank verbracht.

«Ihr seid doch verrückt. Was soll das denn, Leute? Es ist doch alles da. Ham wir doch gesagt.»

Jetzt wühlt Frank Kapella in der Küche in den Schubladen und hat schon einen Kleinen sitzen, habe ich das Gefühl.

«Hier ist noch diese Tüte Käsebälle.»

«Oh nee! Das können wir den beiden nicht anbieten.»

«Sonst ist da nix.»

«Ich weiß gar nicht, wo wir die überhaupt herhaben. Das is doch ekelig, Frank. Er nu wieder!»

Sie guckt uns entschuldigend an, als hätte ihr Macker nicht alle Latten am Zaun. Käsebälle! Diese fast golfballgroßen Mais-Dinger mit Käsegeschmack. Ähnlich wie Erdnusswürmer. Nur noch ekliger – aber auf die faszinierende Art. Ich weiß auch nicht, worin der Reiz dieser Dinger liegt. Fasst man sie einmal an, stinken die Hände noch 72 Stunden wie die Nylonstrumpffüße meiner Oma, sodass ich davon ausgehe, dass sich manche Schuhverkäuferinnen und -verkäufer am Wochenende fühlen, als hätten sie eine ganze Tüte Käsebälle gegessen. Und ja, auch ich habe sie schon konsumiert. Und sobald man den ersten Ekel nach dem Öffnen der Tüte überwunden hat, kann man sich in diese Sache regelrecht reinknabbern, und wenn die Tüte leer ist, der Bauch knallhart, die Finger stinken, spürt man die Ohnmacht gegen die Tricks der Lebensmittelindustrie. Kurzum: Ich hätte jetzt gegen ein paar Käsebälle nichts einzuwenden.

Die Kapellas spielen dieses Spielchen, als wären Käsebällchen zum Feierabendwein eine wirklich viel zu verrückte und fast perverse Spielart der, wie sagt man, Snackbereitstellung, dabei wollen sie es eigentlich beide! Das spüre ich! Ich traue mich allerdings auch noch nicht ganz aus der Deckung, zumal Dörte mir mit der dringlichen Aufforderung, meine angebrochenen Wasabi hochzuholen, stumm zunickt.

So ungefähr stelle ich mir übrigens die Anbahnung von Pärchen-Swinger-Abenden vor. Aber noch sind wir zum Glück nicht so weit. Ich hol meine Wasabi von unten, und «Fra-hank» macht in der Zwischenzeit eine Weißwein-Schorle für mich klar, und ich überlege schon, ob ich mir unten in meiner Wohnung schnell ein kleines Blitzbier am Kühlschrank reinziehe.

Ich hab das Prinzip «Verschorlung» noch nie verstanden. Am Ende knallt man sich sowieso die ganze Flasche Weißwein rein, pro Person, nur eben auf sechs Gläser verteilt statt auf drei, und Frau Kapella, Tanja, macht das Glas ziemlich voll. Bis zum Anschlag. Und es ist schon verdächtig, dass sich Fertigschorle in Flaschen, also mit Wasser gepanschter Weißwein, noch nicht so richtig durchgesetzt hat. Aber bei den Kapellas wird der Schein der gepflegten Nachmittagskonversation gelebt, und dass einer von den beiden später beim Aufstehen zum Toilettengang trotzdem in eine ganze Altglas-Batterie leeren Grauburgunder latscht, mit Flip-Flops, spielt jetzt noch keine Rolle. Nein, nein. Die Kapellas fühlen sich an diesen sonnigen Nachmittagen auf ihrem Balkon wie die Kennedys und halten Hof. Und meine Freundin Dörte lässt sich von dieser Show da oben total einfangen.

Ich geh mit meinen Wasabi oder Wasabis – was sagt man da eigentlich? – ins Treppenhaus und lauf Horst in die Arme.

«Wo willst du denn drauf los, Prange?»

«Zu den Kapellas.»

«Aha?»

Er ist offensichtlich irritiert, dass ich mit einer Tüte Wasabi und in Hausschuhen zu den Kapellas hoch will.

«Auf ’ne Weinschorle.»

Er guckt mich ungläubig an, ich schäme mich fast ein bisschen. Als hätte ich ihn hintergangen.

«Hat sich so ergeben …»

«Alles gut.»

Komisch ist das schon. Ist er beleidigt? Warum denn? Darf man keine Bekanntschaften im Haus pflegen? Er war ja auch schon mit der Elblette auf ihrem Balkon. Alleine. Weil er ihr einen Blumenkasten am Geländer festgeschraubt hat und sie gerade grünen Smoothie im Mixer hatte. So nicht, Herr Rohde!

Ich würde die Kapellas jetzt nicht als Freunde bezeichnen, weil vor allem Dörte zusammen mit Tanja die treibende Kraft ist, aber ein schlechtes Gewissen muss ich in der Sache auch nicht haben.

Trotzig und im aufrechten Gang komm ich mit meinen Wasabis – man sagt Wasabis, da leg ich mich jetzt fest – bei den Kapellas an. Ich hatte die Wohnungstür einfach einen Spalt offen gelassen. Das ist natürlich ein Zeichen nachbarschaftlicher Vertrautheit, die über das übliche Maß hinausgeht. Aber in eine Freundschaft will ich mich deshalb nicht reinziehen lassen. Es muss alles passen.

Als die Strehlers noch hier wohnten, da, wo jetzt Butschi und seine Eltern ihre Wohnung haben, über den Kapellas, da entstand schon mal so etwas wie ein freundschaftliches Band. Es war der Brettspiel-Winter 18/19, kurz bevor die Strehlers ausgezogen sind, was damals noch nicht abzusehen war. Alles begann damit, dass meine Schwester Silke übers Wochenende zu Besuch war und ihre Dosis Stadtluft brauchte. Ihr Mann Stefan war in den Herbstferien mit Kumpels in der Holsteinischen Schweiz Fahrradfahren – um Himmels willen –, und die Kinder waren bei Stefans Mutter in Brandenburg, wo Oma, vorübergehend lesbisch geworden, mit einer Freundin auf einem Selbstversorgergrundstück eigenen Cider herstellen wollte. Das Projekt ist mittlerweile genauso tot wie die Partnerschaft, aber an jenem Wochenende genoss meine Schwester die Auszeit bei mir, mit Kinogehen, Karstadt, Steakhaus und allem, was sonst noch dazugehört.

Ich weiß bis heute nicht, wie genau das Ganze eingefädelt wurde, aber an jenem Freitagabend saßen Silke und ich bei den Strehlers am Küchentisch und spielten «Siedler». Silke fand die Einrichtung der Strehlers ja schon immer interessant und hatte sich wahrscheinlich auf ihre ganz eigene Art selbst eingeladen, um mal wieder gucken zu können, was es Neues an Möbeln und Kleinkram in der Wohnung gibt.

«Sonst könnte man ja auch mal was zusammen spielen …»

«Hhmm. Warum nicht? Mal schön spielen.»

«Ralf hat ja nur so ’n kleinen Tisch.»

«Hm, hm.»

«Und dann noch der Vogel!»

«Hm.»

Pause.

«Wir könnten auch ’ne Flasche Wein mitbringen und haben Siedler.»

Und damit war die Sache geritzt, denke ich mal. Dieses Siedler-Spiel, das meine Schwester mir bereits Anfang der 2000er zu Weihnachten geschenkt hatte, lag immer noch originalverpackt in meinem Regal. Damit nicht der falsche Eindruck entstehen konnte, dass das Spiel extra für den Abend gekauft worden war und wir Pranges irgendwelche Psychos sind, die Nachbarn mit nagelneuen Siedler-Spielen zum Spielen auflauern, hat Dörte noch die Folie abgerissen – von meinem Spiel! – und das Spielbrett und den Karton und alle Spielkarten noch mal durchgeknetet, damit alles schon benutzt aussah! Und dann hat sie noch zwei orange Straßen-Hölzchen rausgenommen und hinterher am Tisch der Strehlers die Story erzählt, ja direkt erfunden, dass die kleinen Dinger mal auf Mallorca, wohin wir das Spiel angeblich mitgenommen hatten, weil wir spielen angeblich gerne und überall, durch die Ritzen von einem Teakholztisch gefallen und in der Dunkelheit für immer verschüttgegangen sind. «Man kennt das ja! Welches Spiel ist schon komplett? Hahaha!» – und so hat sich meine Schwester bei den Strehlers reingezeckt. Und ich musste so tun, als hätte ich Siedler lange nicht mehr gespielt von wegen «Erzähl doch noch mal ganz genau, wie das offiziell geht, weil jeder spielt es ja irgendwie anders».

Wir saßen jedenfalls bei den Strehlers, und es wurde ein ganz netter Abend, wir haben viel gelacht. Es lag vielleicht auch am spannenden Spielverlauf und dem Applaus der Strehlers für den «erfahrenen alten Siedlerfuchs Ralf Prange», nachdem ich gewonnen hatte, aber ich war regelrecht angefixt.

«Das müssen wir ja wohl mal wieder machen!»

«Ja, das müssen wir. War richtig gut.»

Am nächsten Vormittag waren Silke und ich dann noch nach einem Flohmarkt am Goldbekufer in der Postfiliale und kauften aus der guten Laune heraus Sichtfensterumschläge für mich und Radiergummis für Silke, und beim Rauskommen sahen wir die Strehlers vorm nächsten Eck-Café in der Oktobersonne sitzen und platt gedrückte gegrillte Käsecroissants essen.

«Na ihr? Seid ihr schön am Frühstücken?»

Meine Schwester flirtet immer mit der Aussprache des Offensichtlichen. Und bei ihr funktioniert das sogar. Die Strehlers boten uns sofort zwei Stühle an, und was soll ich sagen? Eine halbe Stunde später hatte ich schon zwei von diesen fettigen «Wurst im Schlafrock» und ein kleines Alster intus. Ich fühlte mich wie einer von den Sopranos, aus dieser Serie, als wär das ganz normal und jeden Sonnabend so, dass man mit irgendwelchen Nachbarn vor dem Café neben der Postfiliale hockt.

«Und, Ralf?»

Es war das erste Mal, dass Herr Strehler mich direkt Ralf nannte. Fühlte sich gut an.

«Und, Ralf? Worauf sollt ihr beide heut noch los?»

«Ja eigentlich sind wir durch für heute. Erst Flohmarkt, dann hat Silke eben noch Radiergummis gekauft und …»

«Ja, muss auch mal sein.»

Und während wir beiden Männer so am Quatschen waren, haben die zwei Frauen schon längst den Rest des Tages durchgeplant: Erst mal noch ein Alster, danach mitgebrachten Apfelkuchen bei den Strehlers essen, mit Kaffee natürlich, und Siedler. Es war fast so, als würde man als Vierergespann ein gemeinsames Hotelwochenende verbringen: erst Apfelkuchen und Siedler. Dann ein Schlehenschnäpschen mit Schlehen aus dem Schrebergarten der Strehlers. Dann Oktoberfestbier aus der Dose – ein Werbegeschenk. Dann gemeinsames Pizzabestellen! Und spätestens da geht man wohl eine sehr enge Beziehung zueinander ein, wenn man offen überlegt, eine Rancho-Grande-Pizza mit Hackfleisch und BBQ-Soße zu bestellen.

Dann fing irgendeine Endlos-Show auf Pro7