Man ist ja Nachbar - Andreas Altenburg - E-Book
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Man ist ja Nachbar E-Book

Andreas Altenburg

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Beschreibung

Ralf Prange, Mitte 50, alleinstehend, ist der postalische Wunschnachbar im Rotklinkerbau in Barmbek-Süd. Einen wie ihn gibt es in jedem Haus, und doch ist Prange als personifizierte Paket-, Gerüchte- und Sorgenannahmestelle einzigartig: Er ist die gute Seele und Nervensäge der Nachbarschaft; schrullig, spießig, etwas einsam, neugierig, manchmal übergriffig, in jedem Fall aber mit dem Herzen am rechten Fleck und sehr gewissenhaft, was die ihm übertragene Verantwortung angeht. Hier erzählt er vom Leben im Mietshaus – von ausgebüxten Kleinsttieren, Geruchsbelästigungen durch Kohlsuppendiäten, Versteckspielen vor Halloweenkindern und Freundschaften mit den DHL-Boten. Wunderbar komisch!

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Seitenzahl: 398

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Andreas Altenburg

Man ist ja Nachbar

Ralf Prange nimmt an

 

 

 

Über dieses Buch

Ralf Prange, Mitte 50, alleinstehend, ist der postalische Wunschnachbar im Rotklinkerbau in Barmbek-Süd. Einen wie ihn gibt es in jedem Haus, und doch ist Prange als personifizierte Paket-, Gerüchte- und Sorgenannahmestelle einzigartig: Er ist die gute Seele und Nervensäge der Nachbarschaft; schrullig, spießig, etwas einsam, neugierig, manchmal übergriffig, in jedem Fall aber mit dem Herzen am rechten Fleck und sehr gewissenhaft, was die ihm übertragene Verantwortung angeht.

Hier erzählt er vom Leben im Mietshaus – von ausgebüxten Kleinsttieren, Geruchsbelästigungen durch Kohlsuppendiäten, Versteckspielen vor Halloweenkindern und Freundschaften mit den DHL-Boten. Wunderbar komisch!

Vita

Andreas Altenburg, 1969 in Bayern geboren, ist seit 1993 als Morgen-Redakteur, Autor und Sprecher mit Schwerpunkt Comedy bei NDR 2 tätig. Zu den von ihm entwickelten Formaten gehören «Kwatsch», «Schumibrüder», «Haus Sonnenschein», «Detzer & Nelling» oder «Wer piept denn da?». Bei rororo erschien u.a. 2011 das Fanbuch zur Kultserie «Frühstück bei Stefanie» und «Wir sind die Freeses». Andreas Altenburg erhielt zusammen mit Harald Wehmeier den Deutschen Radiopreis für die Radiocomedy «Frühstück bei Stefanie»; die Fernsehcomedy «Jennifer – Sehnsucht nach was Besseres» wurde mit dem Deutschen Comedypreis 2018 in der Kategorie Beste Sitcom ausgezeichnet.

Die Hausgemeinschaft

3. Etage links

Eigentum seit 2015: «Der Öko-Spießer und der Blasse»

Moritz Schrader und Niklas Durm

Der freudlose Öko-Spießer Moritz nervt mit seiner Verbissenheit in allen Dingen – auch seinen Partner Niklas alias «der Blasse».

2. Etage links

Mieter seit 10 Jahren: «Die Kapellas»

Tanja, Frank und Hund

Die Lautstarken. Man fragt sich, warum sie eigentlich verheiratet sind, so oft, wie die auf dem Balkon streiten. Prange jedenfalls hört gerne zu – und die Kapellas liefern.

1. Etage links

Eigentum seit 2017: «Die Elblette»

«Fräulein» Kathrin Schöneborn

Die Wohnung wurde von ihren Eltern gekauft. Sie ist Mitte 30 und benimmt sich insgesamt wie eine Reederstochter aus Blankenese. Die Realität zwingt sie allerdings nach Barmbek-Süd.

Erdgeschoss links

Mieter seit über 20 Jahren:

Horst Rohde

Er ist der Gegenpol zu Prange. Der Flur zwischen beiden Wohnungen ist so etwas wie umkämpftes Niemandsland, aber neben Paketmann Micki ist Horst der einzig wirklich Vertraute.

4. Etage rechts

Eigentums-Dachgeschosswohnung, üppige Dachterrasse:

«Der Fernsehmann»

Man kennt ihn aus dem Abendprogramm. Es brennt unter Pranges Nägeln, der Boulevardpresse den einen oder anderen Hinweis auf sein Privatleben zu geben.

3. Etage rechts

Mieterin seit 1952: «Die Nazi-Oma»

Frau Hardefeld

Zuckersüße Oma und Uroma – aber nur äußerlich. Ist sie einfach schon verwirrt oder doch hin und wieder schlicht böse?

2. Etage rechts

Neue Mieter: «Familie Arschlochkind»

Julia Köster-Demirbay, Hamza Demirbay, der 8-jährige Malik

Dem Vater gehören vier Tankstellen. Die Mutter ist voll berufstätig und überbehütet ihren Sohn. Und ausgerechnet mit diesem kleinen Scheißer hat Prange Mitleid.

1. Etage rechts

Wechselnde Mieter seit 2014:

«Die WG»

Hier hausen der Hackenläufer, der Bumser, der Schnarcher, die Gelbhaarige und irgendein Malte – mit Frettchen und Chamäleon. Alles sehr unübersichtlich. Irgendein Marvin holt immer die Post ab.

Erdgeschoss rechts

Mieter seit Kindheit:

Ralf Prange

Alleinlebend seit dem Tod der Mutter und Auszug seiner Schwester Silke. Einziger ständiger Kontakt ist – zunächst – sein Beo Berni. Dann kommen Paketmann Micki, Malik und die ehemalige Paketfrau Dörte ins Spiel.

Untergeschoss rechts

Souterrain mit eigenem Eingang:

Ilona – die «Liebesdame»

Obwohl sie sich nicht das Treppenhaus teilen, wohnt Prange über einer Liebesdame und nimmt auch für sie Pakete an.

1

Seit zwanzig Minuten! Seit zwanzig Minuten stehe ich mit meiner Schwester jetzt schon in der Schlange bei der Post. Dabei war ich gestern schon hier. Und das alles nur, weil Silke wieder mal ungefragt auf dem Homeshoppingkanal Sachen für mich bestellt hat. Eine Kochblume! Schon mal gehört? Das ist so ein wabbeliges Gummiding, das man auf den Topf legt, damit das Wasser nicht überkocht. Wie wäre es mit Platte-kleiner-Stellen? Aber nein, das wäre ja zu einfach. Und nicht so schick. Und Menschen wie meine Schwester Silke hätten nix mehr zu tun.

Na ja, jedenfalls hatte Silke auch schon mal eine Kochblume für sich selbst bestellt. «Das Ding ist super!», sagte sie damals am Telefon zu mir. Irgendwie schafft sie es immer wieder, mein geheucheltes «Na, das ist doch toll» falsch zu interpretieren, und – bums! – hat sie mir vor ein paar Tagen, als die Kochblume wieder im Angebot war bei Kochwelt mit Alicia Schönberg, auch eine bestellt. Und jetzt steh ich mit Silke hier bei der Post, weil die zu blöd war, mir das Päckchen vernünftig an die Haustür zu liefern.

«Heute kommt dein Päckchen», hatte Silke mich angerufen und mir die Sendungsverfolgungsnummer durchgegeben. Auf eine Art grenzt das ja an Nötigung, wenn irgendwelche Leute mir einfach ungefragt Sachen nach Hause schicken und ich es dann ausbaden muss. Okay, sie ist meine Schwester, deshalb mach ich da jetzt kein größeres Fass auf. Aber es nervt.

«Die sind auch super fürs Kartoffelkochen. Wirst schon sehen», versucht Silke, gut Wetter zu machen.

«Ja.»

«Aber nicht mit den Fingern vom Topf nehmen nachher. Dafür musst du die Mälzer-Zange nehmen. Sonst verbrennst du dich.»

«Wie? Und das soll so? Haben die das im Fernsehen auch mit der Mälzer-Zange gemacht?»

«Nein, aber das sind auch Profis.»

«Kannst du mir mal erklären, warum du mir das Ding nicht einfach mitgebracht hast, wenn du sowieso in der Stadt bist?»

«Da wusste ich das ja noch nicht.»

 

Silke wohnt mit ihrem Mann auf dem Land an der Nordsee. Und so schön das da auch ist, hat sie hin und wieder Heimweh nach Hamburg-Barmbek, wo wir zusammen aufgewachsen sind, in der Wohnung, in der ich immer noch lebe. Deswegen ist sie gestern zu Besuch gekommen, hat mir ein büschen in der Wohnung geholfen, das Wohnzimmer mit Laminatpflege behandelt, was ich sonst nie mache, und die schwarzen Fenstergummis mit Fenstergummizeug behandelt, das sie auch vom Homeshoppingkanal hat und das der absolute Hammer sein soll. Abends Steak essen und einmal Kino in der Mundsburg – das ist ihr Programm. Sie schläft dann immer bei mir, auf einer Klapp-Matratze in ihrem alten Zimmer. Und als ich heute Morgen sagte, dass ich zur Post muss, um nach dem Päckchen zu fragen, was gestern schon hätte da sein müssen, entschied sie spontan, mitzukommen.

«Ich muss noch Radiergummis kaufen. Und die im Post-Shop sind mit die besten.»

Also manchmal weiß ich nicht, ob sie wirklich so ist oder ob sie nur wieder eine Ausrede sucht, um mich auf Schritt und Tritt verfolgen zu können. Weil ja der kleine zurückgebliebene Bruder nicht in der Lage ist, alleine ein Päckchen vom Schalter abzuholen …

Jedenfalls stehen wir jetzt hier, und ich fühle mich die ganze Zeit beobachtet. Das macht mich nervös, und ich fange an, heimlich den gesamten Vorgang im Kopf noch mal durchzugehen, um nicht am Ende doch wieder als der Dumme dazustehen. Aber nee: Sendungsnummer, Paketschein – alles geprüft.

«Alles Arschlöcher», rutscht es mir raus.

«Du redest schon wie dein bekloppter Vogel.»

«Kann er ja nix für.»

«Ja, das ist aber auch schon wieder so ’n Ding, dass du dir dieses vermaledeite Tier ans Bein bindest. Typisch du. Die Leute reden ja schon.»

Dazu muss man wissen, dass ich seit ein paar Jahren einen Beo zu Hause habe. Leider gehörte der vorher einem Mann mit Tourette-Syndrom. Einem Pastor! Das allein ist ja schon tragisch genug. Auch für die Gemeinde, ne? Mein Beo hat jedenfalls die ganzen Versautheiten aufgeschnappt, die der Herr Pastor während seiner Tics herausgeschleudert hat, und krächzt sie jetzt fleißig nach. Aber als ich das bemerkte, stand der Käfig schon in meinem Wohnzimmer. Und Fluchen sei kein Umtauschgrund, sagte man mir bei der Verbraucherzentrale. Jetzt habe ich das Tier halt, und jetzt müssen wir da durch. Fertig. Da muss man nun ja nicht immer drauf rumhacken.

«Hast du denn den Paketschein?»

«Noch mal: Da war kein Paketschein! Im Sendungsverlauf steht aber, dass das Päckchen in der Filiale ist.»

«Und warum war’s dann gestern nicht schon da?»

«Ich weiß es nicht!»

«Hast du wo angerufen, Ralf?»

«Jaha!»

«Ich hab bei der Firma noch mal angerufen. Die schicken sowieso noch mal ein neues los, weil deins weg ist.»

«Das sagst du jetzt …»

«Vorsichtshalber.»

«Dann muss ich ja wieder hierher.»

«Du bist doch sonst immer zu Hause! Soll ich’s an so eine Packstation liefern lassen?»

«So was gibt’s bei uns gar nicht. Wüsst ich nicht.»

Ich habe irgendwie ein schlechtes Paket-Karma. Wenn ich mal nicht zu Hause bin und aufpasse wie ein Luchs, geht alles schief. Wobei ich jetzt auch nicht weiß, auf was diese Großkatzen groß aufpassen. Aber man sagt das ja so. Wie auch immer. Gerade ich!

Für jeden aus dem Haus nehme ich die Pakete an, aber wenn ich selber mal eins bekommen soll, nix da. Ich verwette meinen Beo, dass meine Nachbarn sich tot stellen, wenn die Paketleute mit der Lieferung für mich bei ihnen klingeln. Und hinterher liegen meine Pakete dann irgendwo im Dreck vor der Haustür. Außer bei Dörte. Die arbeitet sauber. Die legt sie mir direkt vor die Tür. Aber die anderen? Auch von der Konkurrenz? Die stecken einem noch nicht mal ein Zettel in den Briefkasten. Und dann kann ich wieder alle Getränke-Läden und Kioske mit Paketshop in der Nachbarschaft abklappern. «Haben Sie ’n Paket für Prange?» Da kommt man sich vor wie so ein kleiner Schuljunge, der um Kaubonbons bettelt. Ich meine, ich bin Kunde! Ich habe einen Vertrag, dass mir der ganze Kram und auch die bescheuerten Kochblumen von meiner Schwester Silke nach Hause geliefert werden!

Ich habe wohl schon wieder geschnauft, denn Silke knufft mich in die Seite.

«Was ist denn jetzt schon wieder los?»

«Mich nervt das! Jetzt bin ich schon das zweite Mal hier.»

«Kann ja mal passieren …»

«Noch nicht mal ein Zettel im Briefkasten …! Also Dörte würde so was nicht machen. Irgendwas ist ja wohl mit ihr.»

«Wer ist denn Dörte?»

«Die Paketfrau. Die weiß, dass ich zu Hause bin.»

«Immer ja nu auch nicht.»

«Meistens aber wohl. Und ich hab extra den ganzen Tag aus’m Fenster geguckt.»

«Ah! Wegen Dörte!»

«Gar nicht!»

«Wie sieht sie denn aus?»

«Was soll denn das jetzt? Völlig normal sieht die aus. Wenn du mir auch einfach Sachen bestellst! Und ich muss dann am Ende selber zur Post latschen. Zweimal! Deswegen guck ich aus’m Fenster. Dann passiert das nicht. Normalerweise.»

Der Typ hinter uns versucht ganz langsam, eine zweite Warteschlange zu bilden. Alle dreißig Sekunden trippelt er ein bisschen weiter nach rechts und ein bisschen weiter nach vorn. Wir sind bald dran, und wenn er mit mir auf gleicher Höhe ist und Schalter 5 auf der rechten Seite aufmacht, dann kann er an mir vorbeiziehen – denkt er. Ich kenne diese Arschnasen. Wenn die Postfrau dann fragt: «Wer ist als Nächstes dran?», kommt von denen mit so einer Unschuldsmiene: «Ich weiß gar nicht? Der Herr oder ich …?!», und dann gehen die einfach schon direkt hin, ohne die Antwort abzuwarten. Das vergiss mal, Freundchen. Nicht mit mir. Nicht mit Ralf Prange! Ich schiebe Silke ein Stück nach rechts und mache den Gang zu.

«Was soll denn das?»

«Da liegen deine Radiergummis. Nimm!»

Der Typ hinter uns verzieht genervt das Gesicht. Wusste ich es doch.

«Lad sie doch mal ein!»

«Wen?»

«Die Paketfrau!»

«Woher denn? Da ist nix. Spinnst du?»

Wie eine Zombie-Armee trippelt die Schlange weiter nach vorne. Keine Spur von Vorfreude auf das, was man da vorne am Tresen unter Umständen abholen möchte. Wahrscheinlich, weil die meisten sowieso wissen, dass am Ende irgendwas schiefgeht. Das Paket, das nicht da ist. Das Einschreiben, für das man den Ausweis vergessen hat. Die Sanddornsaft-Flasche für Oma, die im falschen Karton liegt. Da kriegst du einen Brass.

«Du kannst dir ja auch mal was anderes anziehen. Immer nur diese Hose. Soll ich mal mit dir los?»

Warum muss sich Silke eigentlich immer wie Mudder aufführen? Ich meine, ich bin erwachsen.

«Die ist praktisch für die Arbeit.»

«Ich weiß gar nicht, wieso du überhaupt noch arbeitest. Du hast doch so gut wie ausgesorgt mit den Windrädern.»

«Ja, und denn?»

«Machst du was Schönes!»

«Weiß nicht. Sooo viel Schönes gibt’s ja nu auch nich.»

Das ist noch was, das ich anstrengend an meiner Schwester finde: dass sie mir immer wieder aufs Brot schmieren muss, was ich ohne sie wäre. Die Sache mit den Windrädern damals war nämlich ihre Idee. Da war sie gerade aufs Land gezogen mit ihrem Mann und hat Beteiligungen für uns gekauft. Mit dem Geld von unserem toten Vater, weil der ja auf der Baustelle von einem Besoffenen mit dem Bagger überfahren worden ist. Die Windräder-Aktien sind dann abgegangen wie Schmidts Katze, und das schmiert mir Silke aufs Brot, sobald sich die Gelegenheit ergibt.

Inzwischen bin ich voll am Schwitzen und habe jetzt schon kein Bock mehr. Da – endlich! – erlöst mich die Postfrau an Schalter 3.

«Einmal hier nach vorn bitte …»

Der Typ hinter uns zuckelt schon so komisch, wahrscheinlich für den Fall, dass ich nicht rechtzeitig reagiere. Was stimmt nicht mit dem Mann? Was sind das nur alles für unentspannte Leute in Postwarteschlangen?

«Moin, ich wollt mein Päckchen abholen. Im Sendungsverlauf steht, dass das hier in der Filiale ist.»

«Ich schau mal. Einmal den Paketschein bitte …»

«Ja nee, den Paketschein hab ich nicht. DHL war ja gar nich bei mir zu Hause.»

«Das kann ja nicht sein.»

«Doch! Ich hab ja den ganzen Tag aus’m Fenster geguckt. Da kam niemand.»

«Geben Sie mir mal die Nummer.»

«Ich war gestern schon mal hier. Die hab ich gestern doch schon gesagt.»

«Aber heute ja nicht. Also? Die Nummer? Das nützt ja nun nichts.»

Ich hasse das. Ich kann die Ziffern gar nicht trennen, alles verschwimmt. Silke sagt immer, ich bräuchte langsam eine Lesebrille, aber das ist ja wohl Quatsch. Frechheit! Jetzt gibt sie mir seufzend einen Bleistift aus ihrer Handtasche, damit ich mittippen kann. Mit so einem Blick, der LESEBRILLE?! sagt. Die Diskussion kann ich jetzt nicht auch noch gebrauchen.

«198.370.076.557. Prange.»

«Wie bitte?»

«Für Prange.»

Sie tippt alles ein. Und macht somit genau das, was ich zu Hause schon gemacht habe. Warum bin ich eigentlich extra hierhergefahren?

«Gucken Sie jetzt auch nur wie ich im Internet?»

«Ah. Das Paket ist in die Filiale geliefert worden. Sehen Sie?»

«Ja.»

«Kann aber nicht sein. Weil hier in meinem eigenen Computer ist nix mit der Nummer oder mit Prange.»

«Gestern ja auch schon nicht. Und nu?»

«Ja, dann müssen Sie sich an die DHL wenden. Wir sind hier nur die Post.»

«Aber Sie haben doch die Pakete!»

«So einfach ist das nicht. Wir nehmen nur an von DHL. Sie müssen sich bitte an DHL wenden.»

«Wollt ich ja. Hab da angerufen. Musste erstmal stundenlang die Nummer googeln, auf der Homepage findet man die gar nicht. Dabei wollt ich nur bei der Post anrufen und nicht Brad Pitt aufm Handy.»

«Die Post ist sowieso nicht DHL.»

«Sie wissen doch, was ich mein. Denn ruf ich da an, und ich sach Ihnen, bis ich da erstmal an einen echten Menschen geraten bin!»

«Ja, und was hat der dann gesagt?»

«Der hat mich nach der Sendungsnummer gefragt.»

«Und?»

«Paket ist in die Filiale geliefert worden, sagt er!»

«Jetzt schreien Sie doch nicht so.»

«Ich sag, ja toll, sag ich zu dem. Was soll ich denn jetzt machen? Da sagt er, gehen Sie in die Filiale und fragen Sie noch mal nach. Ich frag, wo ich mich beschweren kann. Da sagt er, ja, hier nicht. Höchstens in der Filiale!»

Ich spüre Silkes Blick von der Seite. Das war wohl wieder ein bisschen laut. Ja, aber ist doch wahr. Ich meine, bin ich bescheuert? Die Postfrau scheint das alles überhaupt nicht zu irritieren. Sie bleibt komplett ruhig, ist bestimmt schon seit Jahren am Schalter.

«Hier können Sie sich nicht beschweren.»

«Wieso?»

«Weil wir die Post sind. Hören Sie mir doch zu!»

«Was kann ich denn jetzt machen?»

«Wir haben hier einen Kummerkasten.»

Sie beugt sich über den Tresen, bis sie fast draufliegt, klammert sich mit den Händen an der vorderen Kante fest und zeigt mir mit einem Kopfnicken einen großen braunen Pappkarton, in den oben ein Schlitz reingeraspelt wurde – wahrscheinlich mit einem Brotmesser aus der Mitarbeiterküche, so, wie das aussieht. Mit einem breiten Textmarker hat jemand «DHL Kummerkasten» draufgekritzelt. Ehrlich jetzt? Glaubt man das?

«Der wird von DHL abgeholt. Und dann lesen die das.»

«Wollen Sie mich verarschen?»

Ihr Blick bleibt starr. So gucke ich immer durch die Leute durch, die meine Windschutzscheibe an der Ampel putzen wollen. Wir verharren einen Moment in unseren Stellungen. Silke schaut auf die Uhr. Sie seufzt demonstrativ. Na gut.

«Haben Sie vielleicht einen Zettel für mich?»

«Das müssen Sie schon zu Hause machen. Schreiben Sie einen Brief, und dann kommen Sie wieder her, und dann kommt Ihre Beschwerde auch an.»

Okay. Sie hat kein Bock. Ich habe auch kein Bock. Wer hat auf so was schon Bock? Und das alles wegen einer Kochblume, die ich gar nicht haben will. Glaubt man das? Ich verstaue mein Handy in meiner Hosentasche und will gerade gehen. Aber wir sind noch nicht fertig.

«Ich nehme dann bitte dieses Radiergummi.»

«Bitte schön, einmal das Radiergummi.»

Und das soll eins der größten Logistikunternehmen der Welt sein, denke ich noch und frage: «Könnten Sie’s bitte als Geschenk einpacken?»

2

Ich habe jetzt schon kein Bock mehr! Seit sieben Uhr heute früh trampeln irgendwelche Arschnasen pausenlos durchs Treppenhaus. Ich meine, jetzt nicht so wie die Kinder von den Strehlers, wenn die morgens auf dem Schulweg die Stufen runter sind wie so eine afrikanische Büffelherde, die zum Wasserloch rennt. Nein! Diese Typen stampfen die Treppen rauf und runter wie King Kong, wenn er Ärger mit der Hüfte hat.

Beim Blick durch meinen Türspion sehe ich natürlich sofort, dass hier wieder mal ein Umzug im Gange ist. Das ganze Treppenhaus – voller Kartons! Auf einmal ist Ruhe. Wahrscheinlich sitzen die jetzt vor dem Bürgersteig in ihrem LKW und hauen sich Mettbrötchen rein. Die Parkverbotsschilder stehen schon eine Woche da rum. Und unsereins darf schön in der Parallelstraße parken oder muss morgens um sechs im Schlafanzug seine Karre umsetzen. So einfach wie früher ist das in Barmbek mit dem Parken auch nicht mehr, das boomt hier jetzt nämlich. Dass das überhaupt immer so geht mit diesen Verbotsschildern …

Ich mache die Tür auf und gucke vorsichtig raus, weil ich noch Ei auf meinem T-Shirt habe vom Frühstück, und die Haare sind auch noch nicht so ganz – aber zu spät. Horst von gegenüber checkt auch gerade die Lage und glotzt mich durch seinen Türspalt an.

«Moin Prange, hier is wat los, wa?»

Horst wohnt hier nun bestimmt schon zwanzig Jahre, und es ist fast egal, wann ich aus meiner Wohnungstür trete: Seine Tür geht auch auf. Wie so ein Kuckuck aus der Uhr kommt er hervor. Der muss da den ganzen Tag stehen, vor seinem Türspion.

«Ja, ich find das unverschämt. Die machen Pause, und die ganzen Kartons versperren den Flur – und wer macht die weg?»

«Die wohl.»

«Aber jetzt ja nicht. Man kommt da überhaupt nicht durch.»

«Wo willst du denn hin, Prange?»

«Ist doch völlig egal. Ich hab ja wohl das Recht! Und dann lassen sie auch noch einfach die Haustür offen stehen! Das zieht hier wie Hechtsuppe! Und jeder kann hier alles rausklauen!»

Was will Horst eigentlich von mir? Der soll mich in Ruhe lassen. Ist doch wahr. Nicht mal zum Briefkasten kommt man. Ich meine, die Post ist noch nicht da. Aber theoretisch. Sollen sie doch die Kartons erst hochtragen, und dann können sie ihre Zwiebelmettbrötchen essen! Ich mache ja auch erst die Wurst in der Schlachterei fertig, bevor ich Pause mache, und lass die da nicht so halb gefüllt rumhängen.

«Bei dir brodelt das schon wieder, wa, Prange?»

«Gar nicht. Aber ist doch so.»

Wirklich! Alles voller Kartons. Ich gucke genauer hin. Nicht, dass ich neugierig bin, aber das fällt einem nun ja mal alles direkt ins Auge. Offene alte Schuhkartons mit Gewürzen und Salzstreuern – oder Kerzenständern? Was das jetzt soll? Wer zieht denn mit Kerbel um? Kerbel braucht kein Mensch. Da gibt es doch gar kein Gericht zu!

Und was ist da noch? Neben den Schuhkartons eine große Batterie Profikartons mit Aufschrift. Ich selber bin noch nie umgezogen in meinem Leben, aber steht da nicht normalerweise Bücher, Küche, Badezimmer drauf? Bei den Neuen muss ich lesen: Wellness + Spa – oh! – Yoga Ute – boah! – Samenmischungen + Bio-Öle – ich glaub es nicht! – Architectual Digest – was ist das nun wieder? – und: Bücher, franz. Klassiker. Leute, echt jetzt? Wahrscheinlich lassen die ihre Kartons deshalb den halben Tag im Treppenhaus stehen, um allen zu zeigen, was für eine grüne Bio-Familie die sind und dass sie nach dem Yoga bei einem guten französischen Klassiker entspannen. Was für ein Scheiß! Ich würde jetzt schon ganz gern mal eine Karton-Ecke anheben, um das zu überprüfen. Also, ob da nicht vielleicht was ganz anderes drin ist. Uncooler Kram. Aber Horst steht immer noch da und glotzt die Kartons an. Und mich.

«Er hat wohl einigermaßen Kohle, hab ich gehört. Er macht in Tankstellen.»

«Wenn du das sagst …»

«Allein die ganzen Bücher.»

Ich mach mir eine kleine Notiz im Kopf, dass ich bei Gelegenheit mal bei denen im Wohnzimmer im Bücherregal nach den Klassikern suche. Also, wenn sich das mal ergeben sollte. Falls ich da mal ein Paket hinbringe, wovon ich ja wohl ausgehen muss.

«Ich weiß auch gar nicht, wo die so viele Bücher stellen wollen. Die Wände geben das gar nicht her.»

Horst glotzt mich an und versucht, mir zu folgen. Er ist nicht die hellste Kerze auf der Torte. Meine Meinung. Obwohl Silke immer meckert, so was sagt man nicht mehr.

«Wenn das nämlich so ist, wie ich meine, dann ziehen die in den Zweiten, wo vorher die Strehlers waren.»

«Ja, wahrscheinlich.»

«Die haben dann exakt meinen Grundriss. Wo soll da ’n Bücherregal hin, in der Länge?»

«Ich weiß auch gar nicht, wofür man so viele Bücher braucht.»

«Ich mein, es sieht ja gut aus. Vielleicht teilen sie’s auf. Klassiker im Wohnzimmer zum Zeigen. Und Ratgeber und Sachbuch verteilt auf Toilette und Schlafzimmer.»

«Möglich ist das.»

Ich will gerade wieder zurück in meine Wohnung und den Beo füttern, als der Paketmann durch die offene Haustür kommt und mehrere Lieferungen im Flur auf das Linoleum plumpsen lässt. Ich beobachte ihn. Den kenne ich noch überhaupt nicht. Wo ist denn Dörte? Er keucht und schaut mich an.

«Bist du Prange?»

«Ja. Steht ja hier.»

R. Prange steht auf meinem Klingelschild. Schwarz. Graviert. Auf Alu-Silber. Ich finde, das reicht vollkommen aus. Was sollen diese getöpferten Platten von wegen «Hier wohnt Familie XY mit Torsten, Katja, Max, Leonie und Bommel, dem Karnickel»? Der Postmann will eine klare Ansage, und die bekommt er von mir. Horst mischt sich ein.

«Was für Rohde dabei?»

«Prange!»

Der Postmann mustert vorsichtshalber noch mal das Paket. Das muss die gottverdammte Kochblume sein! Das sehe ich schon am Karton. Er zückt sein Tablet, und ich krakele meine Unterschrift auf das Display. Was das eigentlich immer soll? Da kann man sein Autogramm auch gleich mit Legosteinen bauen. Völlig unleserlich! Und das liegt nicht an meiner Handschrift. Wobei Silke sich immer beschwert, wenn ich ihr mal eine Postkarte aus dem Urlaub schreibe. Aber das ist ein anderes Thema …

«Wo ist denn eigentlich Dörte?»

Der Postmann guckt mich verständnislos an. Bis letzte Woche hat hier auf jeden Fall noch Dörte die Pakete ausgefahren. Ich hoffe, dass sie nur Urlaub hat. Gibt nicht viele Frauen in der Paketzustellung, aber sie hat das zuletzt ganz gut gemacht, und man gewöhnt sich ja auch aneinander. Schließlich bin ich hier im Haus der Trottel, der für alle die Pakete annimmt, wenn die Nachbarn nicht zu Hause sind oder die Paketleute einfach keine Zeit haben, auch noch im zweiten, dritten, vierten und fünften Stock zu klingeln. Ich persönlich reiße mich nicht darum, damit das mal von Anfang an klar ist, aber ich wohne Hochparterre. Und man ist ja Nachbar.

«Wichser!»

Ich zucke zusammen. Der Paketmann hat es wohl auch gehört, er guckt irritiert.

«Halt den Sabbel da hinten!»

Mein bescheuerter Beo krächzt schon wieder durch die offene Wohnungstür. Ganz ehrlich? Ich kann ihn nicht immer leiden. Ich habe Berni damals nach dem Tod meiner Mutter bei eBay-Kleinanzeigen gekauft. Silke hat mir den aufgeschwatzt, weil so ein Tier kann ja ganz tröstlich sein, sagte sie. Und nun das. Ich lehne die Tür mal lieber an.

«Schöneborn?»

«Wohnt im Ersten.»

Er meint die Elblette. Drei Pakete! Von dem Format her würde ich sagen, Stiefel. Mal wieder. Sie ist immer so maßlos.

«Nimmst du?»

Er hält mir sein Tablet hin. In Gottes Namen.

«Durm?»

Das ist der Blasse aus dem Dritten, von dem Schwulen der Freund.

«Wahrscheinlich wieder irgendeine Batteriesäure oder so», fachsimpelt Horst.

«Geht dich doch gar nix an.»

«Er ist so ’n Tech-Freak.» Als ob Horst sich auskennen würde. Ich nehme hier ja wohl die Pakete an.

«Das sehe ich schon am Absender. Der hat sie nicht mehr alle, wenn du mich fragst. So was hat man früher doch im Laden gekauft!»

«Ja, es ist alles nicht mehr das.»

Ich weiß auch nicht. Ganz früher war das Paket als solches ja noch etwas Besonderes. Wenn der gelbe Laster mit dem schwarzen Posthorn in die Straße eingebogen ist, da war aber was los! Da raschelten die Gardinen, und die neugierige Nachbarschaft reckte die Hälse und drückte sich die Nase an der Einfachverglasung platt, als wenn der Bundespräsident persönlich mit seinem Mercedes Pullman durch die Straße fahren würde. Dabei war es nur die Trockenhaube von Neckermann für Wuttkes von gegenüber. Trotzdem Leute, ein Ereignis war das! Der Paketbote brauchte noch nicht mal zu klingeln. Die Haustüren wurden aufgerissen, und die Kundschaft ist ihm entgegengerannt, so schnell das eben ging mit Plüsch-Hausschuhen und Kittelschürze. Na ja.

«Sundermann?»

«Meinetwegen.»

«Kapella?»

«Wie viel denn noch?»

Ich gucke Horst an.

«Kannst du ja auch mal machen!»

Er winkt ab und verschwindet schnell in seiner Wohnung. Ich quittiere, schiebe den ganzen Haufen mit den Füßen an die Türschwelle und wuchte dann alles in meinen Flur. Ich könnte wetten, dass zumindest die Elblette zu Hause ist. Habe vorhin noch ihren Föhn gehört. Sauerei. Dann höre ich auf einmal Gekeife im Flur.

«Malik! Jetzt komm bitte!»

«Nein!»

«Jetzt stell dich nicht so an!»

«Ich hab hier kein Netz! Das ist kacke hier.»

Ich stehe noch in der Tür und bin mir sicher, dass Horst hinter seinem Spion auch gerade auf Posten ist. Der Paketmann steckt Benachrichtigungskarten in die Briefkästen. Immerhin. Die Frau prescht nach oben in den dritten Stock. Ich sage «Moin», aber sie beachtet mich gar nicht. Der Junge steht immer noch auf Höhe meiner Tür und hält ungläubig sein Handy in alle Richtungen.

«Heute Nachmittag macht Papa uns unser eigenes Internet, Schatz.»

«ICH. WILL. ABER. JETZT!»

Was für ein Arschlochkind! Also so richtig. Grüßt nicht mal, glotzt nur auf sein Handy, quengelt seiner Mutter hinterher. Die Sorte kenne ich. Da habe ich schon kein Bock mehr. Und als ob das alles nicht reichen würde, stolpert der Dussel jetzt auch noch über meine Fußmatte. Kokos. Standard. Ungebremst fliegt er hin. Direkt vor meine Füße. Ein Geschrei! Sirene ist nichts dagegen. Ich habe das noch alles gar nicht richtig realisiert, da kommt die Mutter schon wieder die Treppe runtergerannt und ist am Schnaufen.

«Malik! Was ist denn? Bist du hingefallen?»

Das Handy hat er nicht einmal aus der Hand gelegt, aber wälzt sich am Boden wie Heini Schulz von TuS Barmbek, wenn er an der Strafraumgrenze am Trikot gezupft wird.

«Der markiert nur!» Und im gleichen Augenblick denke ich mir auch schon: Hätte ich bloß nichts gesagt.

«Wie bitte?»

«Ich mein nur. Er hat ja sogar noch sein Handy in der Hand …»

«Malik, mein Schatz. Fehlt dir auch nix? Fühl mal deine Zähne. Ist alles heil?»

Dann guckt sie mich zum ersten Mal richtig an. Genervt.

«Wir sind neu. Hallo. Im Dritten.»

«Ja.»

«Weil, Sie gucken so.»

«Prange.»

«Wie bitte?»

«Prange mein Name. Die Kartons … wie lange sollen die denn hier stehen bleiben?»

«Haben Sie jetzt keine anderen Sorgen?»

Das Arschlochkind krümmt und windet sich, umarmt sich selbst im Schmerzgeschrei. Glaubt man das?

«Ist mein Sohn über die Matte gefallen? Malik? Bist du über die Matte von dem Mann gefallen?»

«Er hat überhaupt nicht geguckt. Man muss ja gucken. Und wenn hier nicht so viele Kartons stehen würden, denn wär jetzt gar nix los.»

«Geben Sie uns die Schuld, dass unser Sohn über Ihre Matte stolpert?»

«Schuld ist er selber.»

Wortlos hebt sie ihren Sohn auf und trägt ihn die Treppe hoch. Dabei ist er dafür nun wirklich zu alt. Er schluchzt und jammert immer noch und starrt mich dabei über die Schulter seiner Mutter hinweg an. Dann, kurz bevor sie im ersten Stock verschwinden, streckt er mir die Zunge raus. Ich wusste es! Habe ich das laut gesagt? In Horsts Spion meine ich ein kleines Huschen wahrzunehmen. Egal. Von oben höre ich die Mutter noch schnaufen: «Was stimmt denn nicht mit dem?», dann mache ich die Tür hinter mir zu. «Musst du immer so grummelig sein», glaube ich meine Schwester schimpfen zu hören. O.k., ich gebe es zu. Ein etwas ungünstiger Auftakt insgesamt. Man ist ja Nachbar.

Mittlerweile ist es Abend geworden, und über mir in der WG stelzt der Hackenläufer von der Küche zum Klo und zurück ins Wohnzimmer. Und wieder zurück zur Küche. Zurück ins Wohnzimmer. Und noch mal zurück in die Küche. Haben wir es denn mal langsam? Dann gucke ich eben im Schlafzimmer fern, wenn der da oben, verfressen, wie er ist, den ganzen Abend Nachschub von der Küche zum Fernseher holen muss.

Im Flur komme ich an den Paketen vorbei, die immer noch nicht abgeholt worden sind. Und dann sehe ich es. Leckomio. Mitten im Stapel steht ein kleiner Klapp-Karton mit der Aufschrift «PSP Spiele Malik». Den habe ich wohl im Eifer des Gefechts mit abgeräumt. Na super. Ich weiß nicht mal, was das ist, PSP-Spiele. Ist es da nicht fast meine Pflicht, kurz mal nachzuschauen? Nicht, dass das nachher noch was Verbotenes ist. Ist ja auch nicht zugeklebt, der Karton. Ich klappe den Deckel hoch. «Ach, das sind Computerspiele», denke ich und wühle mich durch die kleinen grauen Kassetten. Was mache ich denn jetzt? Wie werde ich die wieder los? Ich gucke durch den Türspion nach draußen und sehe, dass die Luft rein ist. Wenn ich den Kram einfach auf den Briefkasten lege, ist alles okay.

Dann Schritte. Im nächsten Moment klingelt es. Oh nee! Die Arschlochkindmutter.

«Entschuldigen Sie die Störung. Wir hatten ja heute schon das Vergnügen …»

«Ja.» Vorstellen könnte die sich eigentlich auch mal.

«Mein Sohn vermisst einen Karton mit seinen Playstation-Spielen, und nun bin ich einmal von oben runter und habe alle gefragt, ob sie den vielleicht gesehen haben.»

Mist. Was soll die denn von mir denken? Das kann ich echt nicht gebrauchen, und nach unserer kleinen Anpflaumerei vorhin gebe ich mir doch jetzt erst recht nicht die Blöße. Das wäre alles nicht passiert, wenn die den Kram nicht im Treppenhaus stehen gelassen hätten.

«Nein.»

«Tja.»

«Hat er den Karton denn im Treppenhaus stehen lassen?»

«Jetzt hören Sie doch mal auf damit.»

Von oben schreit schon das Arschlochkind.

«Mama! Ich will jetzt Playstation!»

Er trommelt mit Händen und Füßen an das Treppengeländer. Mit einem «Mammikommtgleich» will sie schon kehrtmachen, als ihr Blick an dem Ding hängen bleibt, das ich in der Hand halte.

«Ist das nicht ein Spiel?»

«Was denn?»

«In Ihrer Hand. Das ist doch ein Playstation-Spiel von meinem Sohn, oder nicht?»

Tja. Dumm gelaufen. Ich fange an zu schwitzen.

«Weiß nicht. Öhm. Müsste man mal genauer …»

Ich öffne ihr die Tür zu meinem Flur und wühle eigentlich ganz gut geschauspielert in dem Kartonstapel herum.

«Aber so wie’s aussieht, könnte das hier … – isses der hier vielleicht?»

«Ja. Ist ja interessant.»

«Guck an. Der hat hier ja aber auch nichts zu suchen. Sagen Sie das Ihrem Sohn, bitte?»

«Wollen Sie mich verarschen?»

Na ja, einen Versuch war es wert. Und auch, wenn mir die meisten Nachbarn so ziemlich am … vorbeigehen, ist das zwischen uns schon irgendwie ein schlechter Start. Ich drücke ihr den Karton in die Hand, lege das eine Spiel ganz vorsichtig dazu und schließe langsam den Pappdeckel.

«Pimmel!»

«Hallo? Was war das denn?»

«Ich war das nicht.»

Sie mustert mich mit halb zugekniffenen Augen.

«Pimmelfresse!»

«Sehen Sie. Das ist mein Beo. Aber ich hab ihm das nicht beigebracht. Das war ich nicht. Das war der Pastor», bekräftige ich etwas hilflos.

Sie dreht sich kopfschüttelnd um und geht zurück ins Treppenhaus. Ich rufe noch hinterher: «Er heißt Berni.»

Keine Reaktion.

«Na ja. Wir schnacken!»

3

Es stinkt! Ich habe jetzt schon kein Bock mehr. Sage ich ganz ehrlich. Im ganzen Treppenhaus wabert diese Geruchswolke aus dem dritten Stock herum. Aus dem dritten! So ungefähr muss man sich das wohl vorstellen, wenn in einer Wohnung ein Leichnam langsam vor sich hin gammelt und der Geruch nach Tagen durch die Wohnungstürritze kriecht, und ganz plötzlich riecht man es dann auch unten bei mir, wenn man zum Briefkasten geht. Ich weiß aber sofort, dass da oben niemand in seinem Bett liegt und verschimmelt, weil selbst die Nazi-Oma heute Morgen noch an mir vorbelaufen ist, fitter denn je. Nein, eigentlich allen Bewohnern ist sofort klar: Der Öko-Spießer macht wieder Kohlsuppen-Diät.

Und weil ich hier schon immer wohne, weiß ich: Das geht die nächsten fünf bis zehn Tage so weiter. Und trotzdem freut es mich fast, weil ich jetzt endlich die Chance habe, heute Abend zu ihm nach oben zu gehen und zurückzugiften, denn ich nehme gerade ein neues Paket für ihn an. Besser geht es ja fast gar nicht.

«Alter, was stinkt hier so?»

Der neue Postmann hält mir sein Display wegen der Unterschrift für Schrader hin, so heißt der Öko-Spießer.

«Haben Sie denn überhaupt bei ihm geklingelt?»

«Nicht da.»

«Weil, irgendjemand kocht da oben ja ganz offensichtlich.»

«Ist nicht da.»

Der Postmann starrt wie ein kleiner Schuljunge, der vorm Direktor steht, auf den Boden, um mir nicht in die Augen sehen zu müssen. Das macht er immer, seit er hier ist, wenn er keine Lust hat, bis in den dritten, vierten oder fünften Stock hochzulatschen. Ich kann ihn verstehen. Nicht nur wegen des Gestanks von da oben, sondern auch, weil die Autos draußen schon wieder hupen, weil er mit seinem Lieferwagen nicht auf dem Fahrradweg parkt wie alle anderen, sondern die Fahrbahn für den Autoverkehr blockiert.

Es kann ja auch tatsächlich sein, dass die da oben schon gestern gekocht haben oder am Wochenende und jetzt nur der Gestank langsam unten angekommen ist. «Geruchsverbreitungstempo Kohlsuppe» müsste man mal googeln oder «Kohlsuppe Verbreitung schneller als Fisch?». Wie auch immer. Es stinkt.

«Das ist Kohlsuppe. Von da oben.»

«Riecht wie tote Frau.»

Und genau das hatte ich ja gerade auch schon gedacht. Wir müssen beide grinsen. Irgendwie ist er ein ganz Verschmitzter. Das Eis zwischen uns ist am Brechen, sozusagen. Obwohl ich schon noch manchmal an Dörte denke. Im Urlaub ist die ja wohl nicht, so lange.

Jetzt traut sich auch Horst von gegenüber raus.

«Oh, macht er wieder Kohlsuppe?»

«Ja, er ist spät dran in diesem Jahr, aber ich hab’s mir schon gedacht, dass er bald loslegt. Der kriegte seine bescheuerte Fahrradweste ja nur noch stramm zu.»

«Was? Der ist doch so dünn.»

«Nee, aber auf seinem Fahrrad, wenn er so nach vorne greift, hängt unter seiner Fahrradweste so ’ne kleine Pocke raus. Wie so ’ne gequetschte Wasserbombe. Das mag der Blasse bestimmt nich haben.»

«Der Blasse?», schaltet sich der Postmann ein.

«Der Blasse ist der Mann vom Öko-Spießer. Aber den kennen Sie wahrscheinlich noch nicht, oder?»

Horst nimmt seine Post aus dem Briefkasten.

«Ich bekomm heute Besuch. So ’n Gestank ist ja geschäftsschädigend.»

«Was machst du denn für Geschäfte?»

«Nee, ich mein nur mal so allgemein. Da muss man sich ja entschuldigen, wenn jemand kommt. Das ist, als wenn jemand ins Treppenhaus gefurzt hat, und die Leute denken nachher, ich war das.»

«Es kommt ja aber von oben», sage ich.

«Das wissen doch aber die Leute nicht, wenn sie unten reinkommen.»

Das stimmt natürlich. Wenn man also im Erdgeschoss, was weiß ich, ein Ehe-Anbahnungs-Institut betreibt, und im Treppenhaus riecht es nach Leichen bzw. Kohlsuppe, dann überlegt sich die potenzielle Kundschaft vielleicht, ob sie wirklich die Türklinke zur Agentur runterdrücken sollte. Wenn man aber «Kohlsuppendiät verboten» googelt, steht da nur, was man während einer Kohlsuppendiät unbedingt nicht tun oder essen sollte.

Es ist schlichtweg so, dass Gerüche im Haus schwer zu verbieten sind. Wenn aber einer die Musikanlage bei Heavy Metal auf Anschlag dreht, kann man sofort die Polizei rufen. Wie ungerecht ist das?

«Wenn man Gestank hören könnte, dann wär die Kohlsuppen-Diät von der Belästigung her ja wohl mindestens genauso schlimm wie ein Heavy-Metal-Konzert», sage ich zu den beiden.

«Ich finde Hundekacke an Gummistiefeln, die vor der Wohnungstür stehen, schlimmer», meint Horst.

«Natürlich ist Hundekacke schlimmer als Kohlsuppe. Aber nur, wenn man direkt die Nase dranhält. Wahrscheinlich. Und ich hab Kohlsuppe ja noch nie von näher als fünf Meter gerochen. Wer weiß.»

«Also bitte. Wenn Fräulein Schöneborn ihre Reitstiefel mit Hundekacke dran ins Treppenhaus stellt – das soll keine Belästigung sein?»

«Sag ich ja gar nicht. Aber ich riech nicht extra dran. Und deshalb: Von hier unten ist die Suppe schlimmer, und die Kackstiefel von der Elblette nimmt man nur im Vorbeigehen wahr. Wie die Fußballschuhe von dem Arschlochkind da oben.»

«Wie nennst du den?»

Oh. Mist. Fehler. Das passiert mir öfter, dass ich meine Spitznamen für die anderen aus dem Haus auch in der Öffentlichkeit verwende. Horst weiß mittlerweile, dass sein «Fräulein Schöneborn» bei mir «die Elblette» ist. So nennt man hier in Hamburg die Upper-Class-Ladys aus den Elbvororten. Fräulein Schöneborn ist aber streng genommen nur nach Elbletten-Art. Sie sieht so aus, als wenn sie ein Gestüt in Nienstedten betreibt, also von den dunkelbraunen schlanken Gummistiefeln her, aber am Ende hat es dann doch nur für unser schönes Barmbek gereicht, und reiten tut sie in Norderstedt. Neben der Autobahn. Und ihr Pony heißt Kalle. Aber egal. Und das Arschlochkind … da muss ich natürlich aufpassen. Manche Leute rümpfen dann die Nase.

«Dieser kleine Malik», mildere ich ab, «von den Neuen. Der spielt Fußball in diesen Plastikschuhen. Die stinken immer so spakig. Wie ’ne Badehose, die man in der Sporttasche vergessen hat.»

«Ach, das ist das immer», erkennt Horst. «Das ist überhaupt ’ne Pest. Warum können die nicht in Lederschuhen spielen? Dann stinkt das nicht so. Oder: Warum können die die Schuhe nicht einfach bei sich in die Wohnung stellen?»

«Weil das dann bei denen stinkt!»

Ich merke, dass der Paketmann langsam nervös wird und von einem Bein auf das andere trippelt, weil er loswill. Er schaut gebannt auf seinen Stift, den ich in der Hand halte. Aber ich will meinen Gedanken schnell noch zu Ende bringen.

«Und da ist die Rechtslage ja eigentlich klar», sage ich. Der Paketmann nickt höflich, aber ich weiß nicht, ob er uns wirklich folgen kann. «Aber was aus der Wohnung selber kommt, da kannst du nix machen. Und ausgerechnet er von oben mit seiner bescheuerten Kohlsuppe hat sich neulich wieder beschwert, dass das bei mir immer nach Räuchermett riecht. Und deswegen kann ich ihm heute einen zurückgeben.»

«Bei dir riecht’s ja aber nun mal nach Schweinerauch.»

«Doch nicht bis ins Treppenhaus.»

«Wenn du da grad durchgelaufen bist, schon.»

«Du Schweineraucher», sagt der Paketmann. Er hatte wohl gerade eine Erleuchtung, weil er schon die ganze Zeit neben dem Kohlgeruch eine weitere kleine Aromanote wahrgenommen hat. Ich hoffe mal nicht, dass er eigentlich mich meinte mit dem Geruch, als er eben gerade ins Treppenhaus kam.

«Aber gut», schiebt er nach, weil er meine Irritation wohl bemerkt hat.

Dazu muss man wissen, dass ich Schichtleiter in einer namhaften Schweineräucherei bin. Nötig habe ich es eigentlich nicht mehr, wegen der Windparkbeteiligung. Aber man ist ja Kollege, und der Nachwuchs bleibt auch in meiner Branche aus, und von daher mache ich es just for fun. Ausgesorgt haben und trotzdem weiterarbeiten, das kann ich nur jedem empfehlen. Mit einer kleinen Einschränkung: Ich rieche nach Mettwurst. Isso. Kannst du nichts machen. Eigentlich mögen die meisten Leute auch den Geruch. Aber eben nur an der Mettwurst selber und nicht am Menschen. Der Mann von meiner Schwester riecht in seiner Nappa-Jacke wie ein Ledersofa aus einem Anwalts-Vorzimmer, und an ihm mag ich das ganz gern riechen. Da ist er der Gewinner. Verrückt. Das sind so Sachen, die man nicht greifen kann. Aber das nur nebenbei.

«Ja, danke. Auf jeden Fall kam er grad mit dem Blassen von einer ‹Wanderung› durch den Stadtpark zurück und steht in seinen albernen Outdoor-Klamotten und mit seinen Walking-Stöcken vor meiner Wohnungstür und labert mich voll, dass er sich als Vegetarier gestört fühlt von dem Geruch.»

«Wieso das?»

«Weil das nach Räucherfleisch riecht.»

«Das ist ja wohl die Höhe», sagt selbst Horst.

«Nee, aber das ist das. Es ist eben Geschmacksache. Bei Musik ja auch. Wenn da welche Heavy-Metal-Musik anmachen, wird eher die Polizei gerufen, als wenn da einer laut Rondo Veneziano hört. Aber darauf darf das eigentlich gar nicht ankommen.»

«Ja, und nu?»

«Es kommt eben nicht drauf an, was da riecht oder stinkt, sondern wie doll das stinkt. Und seine kalte Kohlsuppe riecht ja wohl doller als das Geräucherte an mir. Und das kriegt er heute zurück.»

«Du kannst doch Geruch nicht wie Lautstärke messen.»

«Doch, kann ich. Machen ja welche.»

«Er macht ja nur ’n paar Tage im Jahr Kohlsuppe.»

«Trotzdem soll er mich mit meinem Geräucherten in Ruhe lassen. Selbst wenn meine Wohnung das ganze Jahre nach Räuchermett riecht, riecht sie ja nicht so laut, jetzt im übertragenen Sinne, wie die Kohlsuppe aus dem Dritten. Dann ist er doch der, der bis nachts um vier noch Heavy Metal aufdreht, sozusagen.»

«Okay», sagt der Paketmann und kann uns, glaube ich, nun wirklich nicht mehr folgen.

«Und dann könnte man wahrscheinlich schon die Polizei holen!»

«Prange, jetzt ist aber mal gut», sagt Horst.

«Nee, is doch so. Auf dem Balkon darf ja auch nicht gegrillt werden, weil das die Nachbarn nervt, aber ausgerechnet hier drinnen darf jeder Stinkesuppe machen und Hundekacke unterm Gummistiefel haben, wie er lustig ist!»

Jetzt habe ich mich doch wieder reingesteigert, und bevor ich noch ausfällig werde, unterschreibe ich lieber mit zittriger Hand auf dem Display.

Dann höre ich aus dem zweiten Stock das Viech der Kapellas röcheln. Ein Jack Russell Terrier, der den ganzen Tag am Bellen ist, wenn sie ihn zu Hause lassen. Wir hören kurz auf zu schnacken, als Frau Kapella mit dem Viech vorbeiläuft und uns kurz zunickt. Wir nicken zurück und schauen den beiden nach. Erst mit dem Zuklacken der Haustür setze ich unseren kleinen Treppenhaus-Plausch fort.

«Ihr Köter stinkt auch. Erst recht, wenn er nass ist.»

«Also, nu mach mal halblang.»

«Nee. Das ist bei Tieren so. Bei Nässe stinken die. Meine Schwester hat ja ’n Ziegenhaar-Teppich, und wenn da ’n Glas Apfelsaft draufkippt, dann stinkt der. Aber nicht nach Apfelsaft, sondern nach Ziege. Und der Köter von den Kapellas auch. Durch den Briefschlitz in der Tür kommt das. Und wenn das im Haus nach Tieren stinkt, dann hat man auch ’ne Handhabe. Wenn so ’ne durchgeknallte Oma vierzig Katzen in der Dreizimmerwohnung hält, dann muss man das nicht dulden.»

«Die sind dann auch nicht artgerecht gehalten.»

«Der Hund von den Kapellas hat ’ne Steppjacke an, das ist ja wohl auch nicht artgerecht.»

«Hat aber mit dem Gestank nix zu tun.»

«Aha! Dann ist in diesem Land also ein Hund, der für alle anderen Nachbarn genauso stinkt wie ’ne Wohnung mit vierzig Katzen, kein Fall für ’n Rechtsanwalt. Die vierzig Katzen aber schon. In der Nase bleibt es ja wohl dasselbe!»

Es wird schon wieder laut zwischen uns. Horst macht das nix aus, aber ich möchte schon vermeiden, dass alle anderen mitbekommen, was man so redet. Meine Schwester Silke sagt, dass ich hinter dem Rücken meiner Nachbarn lästere, aber den Schwanz einziehe, wenn es drauf ankommt. Aber ich vertrage nun mal keinen Streit: Das stresst mich. Ehrlich. Und über jemanden lästern, wie sie es nennt, ist ja einfach nur das Rauslassen von Ungerechtigkeitsunbehagen. Ich rieche nach Mett und kann nichts dafür! Das kommt von meinem Job! Und wenn der Öko-Spießer meint, Kohlsuppen-Diät machen zu müssen, dann ist das ein böswilliger Eingriff in das Privatgeruchsleben anderer, weil er dafür ja auch ins Sanatorium gehen könnte.

Der Paketmann packt jetzt endgültig seine Sachen zusammen und verabschiedet sich. Er heißt Micki, finden wir noch heraus, und geht an manchen Wochenenden zu Hause in Polen mit seiner Familie auf die Jagd. Bis wir das erstmal verstanden haben, hat es allerdings ein bisschen gedauert. Gestenreich hat er nachgeahmt, wie er dem Karnickel «den Pullover auszieht», und dass das nicht so streng riecht wie die Kohlsuppe aus dem vierten Stock. Irgendwie mag ich ihn.

 

Am Nachmittag bring ich dem Öko-Spießer dann schließlich sein Paket nach oben. Vom Klötern her könnte es eine Saftkur oder so sein, aber er macht ja schon eine Diät.

Ich klingle an der Tür. Wenige Augenblicke später steht der Blasse vor mir.

«Ich wusste es!»

«Wie bitte?»

«Sie sind zu Hause!»

«Ja, und?»

«Man ging davon aus, dass nicht.»

«Warum haben Sie dann geklingelt?»

«Micki sagte das.»

«Wer?»

«Der Paketmann. Ich hab ein Paket für Ihren Partner.»

Der Blasse sieht deutlich modischer aus als der Öko-Spießer. Während der schon graue langweilige Haare hat, tönt der Blasse immer noch seinen Ansatz. Sieht aus wie Schuhcreme. Er trägt auch diese eng geschnittenen Chinos, die bei mir nicht mal über die Wade rübergehen. Silke wollte mir mal so welche in einem Laden in der Hamburger Straße andrehen. Was haben wir beide gelacht! Aber bei dem Blassen sehen die eigentlich ganz gut aus. Manchmal trägt er aber auch diese bekloppten Outdoor-Klamotten, wenn beide eine Runde über den Wochenmarkt drehen oder durch den Stadtpark laufen, um für eine Wanderung auf dem Salzsteigweg zu üben. Die Kataloge für die Tour standen aufrecht auf den Briefkästen rum, daher weiß ich das überhaupt. Na ja.

«Machen Sie Diät?»

«Wie bitte?»

«Es riecht so.»

Kommentarlos nimmt der Blasse das Paket entgegen. Ganz oben, eine Treppe höher, wohnt der Fernsehmann. Der heißt hier so, weil man den aus dem Fernsehen kennt. Vor einem Jahr hat er sich hier die Dachgeschosswohnung als Eigentum über einen Makler unter den Nagel gerissen. Aus seiner Wohnung strömt immer so ein herber Parfümgeruch wie aus manchen dieser affigen Läden in der Europapassage in der City. Vielleicht hat er eine kleine Düse in der Tür, die das Zeug rausbläst? Ich mag den Geruch, und der Fernsehmann selbst riecht auch so, denn einmal hat er bei mir sein Paket abgeholt. Und da war dann für eine halbe Stunde sogar mein Räuchermettgeruch übertüncht, sagte Horst seinerzeit. Aber wie ein Deo auf einer Schweißachsel versagt selbst der Geruch des Fernsehmanns nach wenigen Augenblicken gegen die Penetranz dieser ätzenden Suppe.

«Danke.»

«Man riecht es.»

Mehr trau ich mich dann doch nicht. Aber immerhin, jetzt hat der Öko-Spießer was zum Nachdenken. Er schließt die Tür, und ich höre ihn durch seine Wohnung nach hinten gehen, während ich noch einen Augenblick vor der Tür verharre. Dann, endlich, ertönt ein ungläubiges «Hä?».

Mühevoll hatte ich den ganzen Karton mit einer aufgeschnittenen Dauerwurst eingerieben und trocken geföhnt.

Ganz langsam lässt die Anspannung nach, als ich, fast tänzelnd, wieder zu mir runtergehe. Tag vorerst gerettet!

4

Es ist 17.30 Uhr. Ich sitze im Mundsburg-Kino um die Ecke und habe jetzt schon kein Bock mehr. Eigentlich war ich mit meiner Schwester verabredet. Wenn ich mit ihr ins Kino gehe, dann gehen wir hinterher immer noch in ein Restaurant, wo es diese Locken-Pommes zum Steak gibt, und das mag ich wohl ganz gerne. Schön Spezi dazu – herrlich!

Ich Idiot habe diesmal die Karten für einen von Silkes Filmen schon vorher gekauft. Irgend so ein komplizierter Kram wieder, wo ich sie dann immer fragen muss: «Hä? Wo kommt er denn jetzt wieder her? Ich denk, der ist tot …», und sie dann antwortet: «Das ist ’ne Rückblende, Ralf. Pass doch mal auf! Das wird noch wichtig!»