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Die eiszeitliche Tundra wird von dem kleinen Mammut Manka als endlose Weite wahrgenommen, als sie geboren wird. Geschützt von den älteren Tieren, erkundet Manka mit ihren Gefährten die Welt, die ihr auf den Wanderungen der Herde vor Augen kommt. Dabei lernt sie neue Freunde kennen, jedoch auch neue Feinde. Nun muss Manka erkennen, welche Feinde die gefährlichsten für sie sind, allen voran die Wölfe und die Menschen.In dieser spannenden und wundervoll geschriebenen Buchreihe für Kinder von 10-12 Jahren, lernt der junge Leser viele verschiedene Tiere kennen. Direkt durch die Augen des jeweiligen Tieres bekommt man eine faszinierende, erkenntnisreiche und einfühlsame Erzählung von dessen Leben. Dazu erhält man viele wissenschaftliche Informationen über die Umwelt und Lebensweise der Tiere und ihre Gefahren. In vielen Fällen werden unter diese Gefahren auch die Menschen gezählt. Dadurch bringt Streblow den jungen Lesern früh bei, dass bedrohte Tierarten geschützt werden sollten und das Menschen andere Lebewesen respektieren sollten. Diese Reihe macht nicht nur Kindern, sondern auch Erwachsenen, beim Lesen Spaß.
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Seitenzahl: 137
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Lothar Streblow
SAGA
Manka, das Mammut
Copyright © 1990, 2018 Lothar Streblow und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788711807583
1. Ebook-Auflage, 2018
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach
Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com
„Die Frage nach dem tierlichen Bewußtsein hat die Menschen schon immer gefesselt, weil Haus– und Wildtiere gleichermaßen unsere Bewunderung und Neugier erregen. Sie verlocken uns dazu, in ihre Haut zu schlüpfen und uns vorzustellen, wie ihr Leben sein mag. “
Donald R. Griffin
„Gefühle sind es, die alle Kreatur dazu drängt, etwas zu tun oder, wenn es ängstliche Stimmungen sind, etwas zu unterlassen. “
Vitus B. Droscher
Sommerlicht glühte über der Tundra. Hoch stand die Sonne am blaßblauen Himmel; die kleinwüchsigen Zwergbirken warfen kaum Schatten. Nur am Horizont bildete schütterer Nadelwald eine dunkle Linie. Dazwischen schimmerten silbrig zahllose von Wollgras umwucherte Tümpel.
Mitten in dieser endlosen Weite bewegten sich Gestalten, massige Gestalten: tonnenschwer mit langen Rüsseln an wuchtigen Schädeln, riesigen gebogenen Stoßzähnen und zottelig-dichtem rostbraunem Fell. Eine Mammutherde wanderte weit auseinandergezogen durch die Kältesteppe der letzten Eiszeit, folgte einem uralten Wechsel.
Am äußersten Rand ästen vereinzelt ein paar mächtige Bullen, geführt vom alten Rasu. Weiter innen trottete eine Gruppe von Kühen mit halbwüchsigen Kälbern, weidete gemächlich Tundrakräuter. Und in der Nähe eines von Mücken umsurrten Schlammpfuhls rauften ausgelassen einige Jungtiere.
Plötzlich ertönte ein schrilles Trompetensignal. Die Herde stockte wie auf Kommando. Eine kleinere Gruppe im Zentrum bewegte sich nicht weiter, bildete dicht zusammengedrängt einen schützenden Ring um eine stöhnende Kuh. Heftige Geburtswehen erschütterten ihren Körper.
Rasu, der alte Leitbulle, schien genau zu wissen, was da vorging. Längst schon hatte er mit der empfindlichen Spitze seines Rüssels die frische Spur eines Wolfsrudels am Boden gewittert. Seine Erfahrung sagte ihm, daß die Wölfe dem Neugeborenen gefährlich werden konnten. Die trächtige Kuh brauchte Zeit, in der deckungslosen Tundra ihr Baby ungestört zur Welt zu bringen. Und solange würde die Herde bei ihr Wache halten.
Zwei ältere Kühe standen bei ihr, umsorgten die Mutter. Und es dauerte nicht lange. Als das Kleine kam, fingen sie es mit ihren Rüsseln auf, damit es nicht zu tief stürzte, lösten es behutsam aus den Eihäuten und halfen ihm auf die Beine.
Manka fühlte sich noch ein bißchen taumelig. Erschöpft lehnte sie sich gegen die stützenden Rüssel. Viel sah sie noch nicht von der unbekannten Welt, nur die gewaltigen wollhaarigen Leiber der Großen, ihre stämmigen Säulenbeine und die gelblich schimmernden Stoßzähne. Manka reichte ihnen kaum bis an die Knie. Und als aus einem der mächtigen Bäuche neben ihr ein dumpfes Kollern ertönte, erschrak sie heftig.
In diesem Augenblick spürte sie eine sanfte Berührung. Ihre Mutter hatte sich ihr zugewandt und strich mit dem Rüssel über ihr vom Fruchtwasser noch feuchtes Gesicht. Und weiter tastete der Rüssel über ihre kleinen Ohren und die Stirn bis zu ihrer leicht eingerollten Rüsselspitze.
Manka seufzte leise. Nach der warmen Geborgenheit im dunklen Leib ihrer Mutter war ihr alles hier draußen fremd: die bunten Blüten im frischen Grün voll summender Insekten, der kühle Wind, der durch die Tundragräser strich, die ungewohnte Helligkeit. Aber die zärtliche Berührung beruhigte sie, die schützende Nähe. Und sie atmete den vertrauten Geruch.
Allmählich stand Manka schon etwas sicherer auf den Beinen. Die Großen um sie herum grollten und quietschten leise. Es war, als wollten sie das Neugeborene begrüßen.
Manka gab einen noch zaghaften Laut von sich. Dabei baumelte ihr kleiner Rüssel wie ein schlaffer, kraftloser Schlauch hin und her. Instinktiv suchte sie nach den beiden Milchdrüsen zwischen den Vorderbeinen ihrer Mutter. Sie spürte ein seltsames Gefühl im Magen, spürte zum erstenmal Hunger.
Aber so schnell fand sie nicht, was sie suchte. Noch war ihr kurzer Rüssel nicht voll benutzbar. Aber getrunken wurde nicht mit dem Rüssel, sondern mit dem Mund. Und das war für das winzige Mammutbaby gar nicht so einfach.
Ihre Mutter bemerkte Mankas unbeholfene Bemühungen. Behutsam schob sie sich halb über sie. Jetzt hatte Manka es leichter. Trotzdem dauerte es noch eine ganze Weile, bis sie eine der Zitzen fand. Dann aber saugte sie gierig, trank die warme nahrhafte Milch.
Doch auch das Trinken war anstrengend. Immer wieder legte Manka eine kurze Pause ein, um zu verschnaufen. Endlich fühlte sie sich satt. Die Milch hatte ihr geschmeckt. Jetzt spürte sie eine große Müdigkeit. Sie schloß die Augen und döste ein wenig.
Inzwischen war über eine Stunde vergangen. Wolkenfetzen schoben sich vor die sinkende Sonne. Es wurde kühler. Ein Kolkrabenpaar kreiste in großer Höhe über der Stelle, wo Manka geboren worden war, lauerte auf bequemes Futter. Am Horizont verschwand leichtfüßig ein Rudel Wildpferde.
Die Mammutherde zog langsam weiter. Und die kleine Gruppe um das Neugeborene wollte nicht Zurückbleiben. Sie brauchte den Schutz der übrigen Herde, die Geborgenheit in ihrer Mitte. Zwar hatten die Mammuts kaum Feinde, doch den Kleinen drohten vielerlei Gefahren, von denen Manka noch nichts wußte. Deshalb bildeten immer einige der großen Mammutkühe einen Schutzring um die Jungtiere. Und Manka war nicht das einzige Baby. So mußte auch Manka sich wohl oder übel auf ihren noch unsicheren Beinen in Bewegung setzen.
Die Großen aber machten es ihr leicht, halfen ihr fürsorglich weiter. Von der einen Seite spürte sie den haarigen Rüssel ihrer Mutter unter ihrem kleinen Bauch, von der anderen Seite den Rüssel einer der großen Kühe, die bei der Geburt geholfen hatten. Manka fühlte sich leicht angehoben. Und teils von Rüsseln sorgsam gestützt, teils von ihnen getragen, machte Manka zwischen den beiden Großen ihre ersten tapsigen Schritte in die frühsommerliche Tundra.
Die Nacht war sternenklar und voller Geräusche. Gegen Abend hatte die Mammutherde eine Gegend erreicht, wo die flache Tundra in eine hügelige Taigalandschaft überging. Der im Sommer sehr feuchte Dauerfrostboden der Tundra, der nur oberflächlich abtaute und das Wasser nicht versickern ließ, lag ein Stück hinter ihnen.
Hier zwischen den schütter stehenden Erlen, Fichten, Birken und Weiden war der Boden trockener, die Pflanzendecke vielfältiger. Und Mammuts legten sich nicht gern zum Schlafen auf feuchten Untergrund.
Manka lag eng angeschmiegt zwischen ihrer Mutter, ihrem vier Jahre älteren Bruder Ranko und der hilfsbereiten Tante auf einem weichen Graspolster. Nach dem anstrengenden Tag schlief sie tief und fest, wohlig geborgen zwischen wärmenden Leibern. Sie hörte weder das laute Schnarchen der Herde noch das dumpfe Kollern ihrer Bäuche. Und sie sah auch nicht, wie in kurzen Abständen immer wieder ein paar der Großen aufstanden und einige der im Stehen dösenden Wachen ablösten, die sich dann niederlegten.
Erst als die rötliche Morgensonne über die fernen Höhenzüge stieg und Mankas Mutter sich erhob, erwachte Manka. Sie vermißte die Wärme. Auch ihr Bruder Ranko war schon aufgestanden. Geschickt drückte er mit dem Rüssel einige Birkenzweige nieder, um an die Blätter zu kommen. Fast die gesamte Herde stand schon auf den Beinen und suchte zwischen Gras und Gesträuch nach Nahrung. Ein neuer Tag hatte begonnen. Und das erste, was Manka spürte, war Hunger.
Noch ein wenig schläfrig, blinzelte Manka unter ihren langen Wimpern in die Sonne. Über ihrem Kopf summte ein Mückenschwarm. Als sie gähnend ihren kleinen Rüssel anhob, spürte sie, wie ein anderer Rüssel ihr zärtlich über den Körper tastete. Ihre Mutter hatte auf Mankas Erwachen gewartet und half ihr vorsichtig beim Aufstehen.
Das konnte Manka schon fast allein. Sie war nur noch etwas taumelig vom Schlaf. Und kaum stand sie aufrecht, suchte sie eifrig nach ihrer Morgenmilch. Geduldig ließ ihre Mutter sie trinken, bis sie satt war. Nur, das dauerte eine Weile. Erst dann fühlte Manka sich zufrieden.
Jetzt begann auch ihre Mutter ihre Morgenmahlzeit. Wie alle Elefanten futterten auch die Mammuts einer Herde immer gemeinsam, abgestuft nach der Rangordnung. Die Ranghöchsten besetzten die ergiebigsten Stellen. Und nur langsam bewegten sich die einzelnen Tiere weiter, wenn sie einen Fleck abgegrast hatten.
Neugierig beobachtete Manka das Treiben der Großen. Ihr Bruder riß gerade einige Birkenzweige ab, zerkleinerte sie sorgfältig und schob sie sich mit dem Rüssel in den Mund. Ihre Mutter hielt sich mehr an das üppig wuchernde Gras, bündelte es mit ihrem Rüssel und klopfte die anhaftende Erde an ihren Säulenbeinen ab, bevor sie es gemächlich zwischen ihren Mahlzähnen zerkaute.
Das interessierte Manka. Sie drängte sich an ihre Mutter und betrachtete neugierig ihre halbgeöffneten Kiefer, die seltsam breiig-grüne Masse.
Davon etwas abhaben wollte sie noch nicht. Sie war ja noch ein Milchkind und satt von ihrer Morgenmilch.
Zutraulich tappte sie zu ihrem Bruder, der sich ausgiebig an einem Birkenstamm scheuerte. Ihm juckte das Fell. Ranko war mit seinen vier Jahren nur knapp einen halben Meter größer als sie selbst, hatte aber schon kleine Stoßzähne. In seinem zottigen Fell hafteten Grashalme und Blätter. Und er begrüßte seine kleine Schwester mit einem Quietschlaut.
In diesem Augenblick ertönte rasch näher kommendes Stampfen. Im Eilschritt rannte ein anderer junger Mammutbulle auf die beiden zu. Manka erschrak. Doch der junge Bulle wollte gar nichts von ihr, er wollte mit dem gleichaltrigen Ranko raufen. Und Ranko reagierte sofort.
Kampfbereit hob er seinen zotteligen Kopf und schwang seinen Rüssel über die Stirn. Mit abgestellten Ohren näherten sich die beiden. Doch bevor sie mit ihren Rüsselansätzen aufeinanderstießen, fühlte Manka sich von einem viel größeren Rüssel vom Kampfplatz gezogen.
Es war ihre Mutter, die sie vor dem Ungestüm der beiden Raufbolde bewahren wollte. Aufatmend lief Manka neben ihr her, blickte aber zwischendurch immer wieder zurück. Dabei sah sie, wie die beiden jungen Bullen ihre Rüssel um den Kopf des anderen schlangen und mit durchgestemmten Beinen den Gegner zurückzudrängen versuchten. Das sah ziemlich gefährlich aus, war aber nur Spiel. Und Manka war sehr froh, als sie mit ihrer Mutter auf eine Gruppe großer Kühe traf, die zwei andere Mammutbabys umringten.
Die beiden Kleinen schnupperten aufgeregt. Und auch Manka schnupperte neugierig. Die beiden waren nur wenige Tage vor Manka geboren worden, also Babys wie sie. Ihre Mütter hatten die drei Kleinen zusammengeführt, um gemeinsam einen Kindergarten von Mammutbabys zu bilden. Sie sollten zusammen in der Herde aufwachsen und miteinander spielen. So ließen sie sich auch leichter beaufsichtigen.
In dieser Gesellschaft fühlte Manka sich wohler als bei den älteren Jungbullen. Und beschützt von den Großen, wanderten sie dicht beieinander in den Morgen.
In den nächsten Tagen blieb es sonnig. Die Mammutherde war weiter in die baumlose Tundra gezogen, vorbei an Seen und Tümpeln, an düsteren Mooren und blütenübersäten Sumpfrändern, über flechtenbedeckte Steinhalden und durch seichte Flüsse und Bäche. Vogelschwärme zogen am klaren Himmel. Im Frühsommer bot die sonst karg wirkende Kältesteppe reichlich Nahrung. Das wußten die alten, erfahrenen Mammuts. Unbeirrt folgten sie den uralten Wanderwegen.
Erst als am Horizont die gewaltige Eisbarriere der von Norden vordringenden Gletscher aufschimmerte, bogen die Leittiere nach Süden ab. In dieser lebensfeindlichen Eiswüste gab es für sie kein Überleben.
Die weiten Ebenen, die man später das Norddeutsche Tiefland nennen würde, waren damals vor rund vierzigtausend Jahren, in der Würm-Eiszeit, von einem dicken Eispanzer überzogen. Und von den Alpen im Süden schoben sich die Berggletscher nordwärts. Alles Leben in Tundra und Taiga war zwischen zwei sich langsam bewegenden Eisströmen gefangen. Dazwischen aber gab es Raum genug für zahllose Tiere und auch für Menschen.
Manka sah kaum etwas von dem eisigen Horizont. Sie spürte nur den kalten Wind, der von den zerfurchten Gletschern herüberwehte. Doch ihr dichtes, wolliges Fell schützte sie vor der Kälte. Und die kleine Gruppe, in deren Mitte sie langsam über die Tundra wanderte, bot ihr Geborgenheit.
Inzwischen kannte Manka die einzelnen Mitglieder des Kindergartens: Rundu und Singa, die beiden Mamrnutbabys, und ihre Mütter, Rundus dreijährige Schwester Malu, die kinderlose Tante, die bei der Geburt geholfen hatte, und Singas vierjährigen Bruder Kolo, der immer mal wieder mit Ranko raufte.
Im Moment benahmen die beiden jungen Bullen sich recht friedlich. Ranko lief sogar dicht neben Manka und half seiner kleinen Schwester fürsorglich über die Unebenheiten des Geländes, während Mankas Mutter sie von der anderen Seite stützte.
Überall zwischen dem wuchernden Grün lagen kleinere und größere, von den Eismassen rundgeschliffene Felsbrocken, die vom letzten Gletschervorstoß zurückgeblieben waren. Und nicht immer konnte die Mammutherde dem Moränenschutt ausweichen. Zum Klettern aber waren die Mammutbabys noch zu ungeschickt. Dann schob Mankas Mutter ihren mächtigen Rüssel vorsichtig unter Mankas Hinterteil und hob sie auf das Hindernis. Und Ranko schob ihr stützend seinen Rüssel unter den Bauch.
Manka gefiel es auf einem der flechtenüberzogenen Felsbrocken. Von hier aus bekam sie einen besseren Überblick. Neugierig sah sie sich um.
Vorn an der Spitze der Herde liefen sichernd ein paar einzelne große Bullen, angeführt vom alten Rasu. Danach folgten Gruppen von Kühen mit halbwüchsigen Jungen. Der Kindergarten mit Manka befand sich in der Mitte. Und hinter ihnen kamen Gruppen von Jungtieren. Den Schluß bildeten wieder einzelne große Bullen.
In der Ferne jedoch zeichneten sich Umrisse von Tieren ab, die Manka noch nicht kannte. Dort zog in gewundener Reihe eine Rentierherde durch die Tundra. Und unweit der vorderen Mammutbullen trottete gemächlich ein mächtiges Wollhaarnashorn mit Kind. Von anderen Tieren sah Manka nichts; sie wichen der Mammutherde aus.
Mit einemmal bekam Manka einen sanften Stoß. Ihre Mutter und Ranko trieben sie behutsam weiter: herunter von dem Felsbrocken. Doch als Manka mit ihrer Hilfe das Steingewirr schnaufend überklettert hatte, stand sie vor einem neuen Hindernis. Und diesmal war es Wasser.
Zögernd beäugte Manka den träge fließenden Schmelzwasserbach. Unter der dünnen Grasnarbe am Uferrand schimmerte eine dicke Eisschicht. Entschlossen watete Mankas Mutter in den flachen Bach und erstieg das jenseitige Ufer. Sie wußte, daß Manka das noch nicht allein schaffte, wandte sich ihr zu und versuchte, sie mit dem Rüssel vorsichtig hochzuziehen.
Manka aber geriet in ihrer Ungeschicklichkeit mit den Füßen an das glatte Eis, glitt ab und rutschte spritzend halb ins Wasser. Die nasse Kälte erschreckte sie. Und sie begann heftig zu zappeln.
Im gleichen Augenblick spürte sie von hinten einen anderen Rüssel, der sie hochhob. Die Tante hatte energisch mit zugepackt. Und mit vereinten Kräften zogen die beiden Großen die tropfnasse Manka aufs Trockene.
Noch etwas verdutzt über das unverhoffte Bad stand Manka am Ufer. Da platschte es direkt hinter ihr, Wasser spritzte über sie hinweg. Rundu war ebenfalls in den Bach gefallen, nur noch weiter hineingerutscht. Hilflos trompetete er seine Angst über die Tundra. Doch auch er wurde von seiner Mutter und seiner größeren Schwester rasch ans Ufer befördert. Und die wärmende Sonne trocknete den beiden Kleinen das Fell.
Von Osten her begann es zu dämmern. Die Sonne blieb noch hinter fahlem Grau verborgen. Und viel heller wurde es auch nicht. Ein trüber Tag hüllte die Tundra in mageres Licht. Leichter Nieselregen näßte Blüten und Gräser. Und im dichten Wollhaar der Mammuts hingen winzige Tropfen.
Die Großen hatten sich längst erhoben. Mammuts hatten einen kurzen, tiefen Schlaf, wie alle Elefanten. Meist schliefen sie nur zwei bis drei Stunden, beschützt von einander sich ablösenden Wachen, erhoben sich dann, entleerten sich und suchten nach Nahrung. Als schlechte Futterverwerter hatten sie eigentlich dauernd Hunger. Essen war ihre Hauptbeschäftigung während des Tages.
Mammutbabys aber schliefen länger; sie brauchten viel mehr Schlaf. Auch Manka schlief noch, zusammen mit Rundu und Singa, den Kopf auf einem moosüberzogenen Stein, ihre kurzen Beine behaglich von sich gestreckt. Das harte Nachtlager in der Tundra störte sie nicht.
Plötzlich fühlte sie sich sehr unsanft geweckt. Ihr Bruder Ranko scheuerte gemächlich sein Hinterteil an ihrem Rücken. So was störte zwar erwachsene Mammuts nicht, die dabei ruhig weiterschliefen, Manka jedoch rutschte durch die unerwartete Berührung mit ihrem Kopf von dem Stein. Unwirsch trompetete sie durch ihren kleinen Rüssel.
Auch Ranko wurde durch Mankas Trompeten erschreckt. Fürsorglich beruhigte er sie. Immer wieder strich er ihr mit seinem Rüssel behutsam übers Gesicht. Sie hörte auf zu trompeten. Doch nun spürte sie das Knurren ihres Magens. Und bei Ranko gab es keine Milch.
Mit erstaunlicher Geschwindigkeit stellte sie sich auf ihre kurzen Beine und blickte sich suchend um. Ihre Mutter stand nur wenige Schritte entfernt und sah sie an; sie hatte die beiden genau beobachtet. Aber sie kam nicht näher. Geräuschvoll klatschte sie mit ihren beiden Ohren; so rufen alle Elefanten ihre Kinder. Und dieses Signal mußte Manka lernen.
Manka begriff, daß sie selbst zu ihrer Milchquelle gehen mußte. Noch ein wenig steif vom Schlaf tappte sie hinüber. Ihre Mutter begrüßte sie liebevoll, tätschelte sie mit ihrem Rüssel und stellte sich über sie, damit Manka bequem trinken konnte.
Als Manka satt war, suchte sie jemand zum Spielen. Doch Rundu und Singa schnarchten noch. So blieb ihr nur ihr älterer Bruder.