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Lothar Streblow unternahm viele Reisen im In- und Ausland, auf denen er sich mit Studien über Tiere, Verhaltensforschung und Ökologie befasste. Von diesen Erkenntnissen inspiriert, entstanden zahlreiche Radiosendungen, Hörspiele und Essays, sowie Umwelt-, Reise- und Tiererzählungen. Dabei versuchte er stets dem sachkundlichen Anspruch gerecht zu werden. Gleichzeitig überzeugt er durch eine sehr bildhafte und lebendige Sprache und es gelingt ihm in die Gefühlswelt der Tierindividuen einzudringen und diese darzustellen. Die Erzählungen aus "Bären vor dem Frühstück" sind ein sehr schönes Beispiel dafür.-
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Seitenzahl: 67
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Lothar Streblow
SAGA Egmont
Bären vor dem Frühstück – Erzählungen
Copyright © 1979, 2018 Lothar Streblow und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788726032215
1. Ebook-Auflage, 2018
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach
Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com
Für Nole und Nick,
meine beiden Gefährten
In unserm Camp, tief im Süden Jugoslawiens, gab es etliche Schildkröten. Eine gehörte dem Österreicher über uns auf der Steinterrasse. Er hatte sie aus Mazedonien, vom Ohrid-See. Und er erzählte überall herum, wie er sie gefangen hatte. Es muß sehr aufregend gewesen sein. Und er zeigte sie jedem: ein stattliches Tier mit gutgezeichnetem Panzer. Aber hier hatte er noch keine erwischt. Nur gesehen hatte er welche, sagte er. Und Kees, der dicke Holländer mit dem Zirkuszelt, hatte drei, zwei große und eine kleinere. Er hatte sie hier in Montenegro gefangen, ganz in der Nähe des Camps, in den Bergen oberhalb der Küste, im Dickicht. Und er sagte, es sei ganz leicht, man müsse nur Glück haben.
Nicolas hatte das gehört, das mit dem Glück. Seitdem ließ er Kees keine Ruhe mehr. Der kleine Bursche wollte alles ganz genau wissen. Und Kees gab in seinem hartklingenden Deutsch geduldig Auskunft: über die Begleitumstände des Fangs über Uhrzeit und Wetter, Anmarschweg und Fundstelle. Er wiederholte es wunschgemäß immer wieder. Man hätte fast eine Gebrauchsanweisung daraus ableiten können. Fast! Das Dumme war nur, daß bei allen drei seiner Schildkröten die Begleitumstände des Fangs völlig verschieden waren. Eine Art Regel ließ sich also absolut nicht erkennen. »Leider«, meinte Nicolas.
Kees lächelte mitfühlend. Er wollte ihm sogar eine von seinen schenken. Aber Nicolas wollte nicht, er wollte eine selbstgefangene. Dann führte Kees seine Prachtexemplare vor. Es waren wirklich Prachtexemplare: die beiden großen mit ihren knapp zwanzig Zentimeter Länge und die kleine, deren Panzer noch ziemlich weich war. Aber alle drei waren quicklebendig, äußerst neugierig und sehr gefräßig. Und sie fraßen mit genüßlichem Schmatzen: Maulbeeren und frische Feigen, Tomaten und Haferflocken mit Milch. Wenn die Großen satt waren, gaben sie behaglich tiefe Quakgeräusche von sich und gähnten. Nur die Kleine quakte nicht. Sie hatte noch ihre Babystimme. Das klang drollig, wie das zarte Piepen eines Vogels. Nicolas war kaum noch wegzubringen.
Allmählich wurde er ganz verrückt nach Schildkröten. Und wir mit. Wir mußten unbedingt eine haben. Aber wie? Mit den Gebrauchsanweisungen von Kees ließ sich nicht viel anfangen. Und auch der freundliche alte Serbe von der Verwaltung des Camps gab nicht gerade eine präzise Auskunft. Der meinte philosophisch: Schildkröten sucht man nicht, man findet sie. Und wir sollten auf die Schlangen aufpassen.
Das mit den Schlangen wußten wir. Nicolas fand das spannend. Er hatte keine Angst vor Schlangen. Wir allerdings fanden sie unangenehm: weil man nie genau wußte, woran man mit ihnen war. Es gab eine Menge giftige hier. Und wenn man Schildkröten suchte, mußte man auf Schlangen stoßen. Es gab viel mehr Schlangen als Schildkröten, ein paar Dutzend Sorten. Und unverschämt waren die Viecher! Der Engländer neben uns hatte eines Tages sogar eine im Zelt, unter dem Schlafsack. Er hatte sich genau daraufgelegt und dann gebrüllt wie am Spieß. Kreidebleich war er aus dem Zelt gekommen. Dann hatten wir die Schlange herausgeholt, mit Knüppeln und Stangen: ein Mordsvieh, armdick und fast zwei Meter lang. Aber sie war nicht giftig, sagte der alte Serbe, nur schön groß.
Daß Schildkröten in Zelte kriechen, hatte noch keiner gehört. So was machen sie wohl auch nicht. Schildkröten muß man suchen.
Wir suchten ein paar Wochen, nicht gerade jeden Tag, aber immer wieder. Morgens gingen wir und gegen Abend, wenn die Schildkröten ihr Futter suchen; tagsüber dösen sie irgendwo versteckt im Schatten grünen Dickichts und rühren sich kaum von der Stelle. Wir trugen lange Jeans und derbe Strümpfe, als Schutz gegen Schlangenbisse. Auch hatte ich mir einen dicken Knüppel gemacht, eine Art behelfsmäßigen Schlangenverscheucher, um damit auf den Boden zu klopfen, was Schlangen ja bekanntlich nicht mögen. Nicolas grinste und meinte, ich sähe gefährlich aus. Er fand mich komisch.
So stapften wir los, hinter dem Camp hinauf in die Berge, einen schmalen Trampelpfad entlang, der sich ziemlich steil den Hang hochzog. Etwa eine Stunde. Allmählich wurde der Pfad immer schlechter, war schließlich nur noch eine ausgewaschene Rinne, gefüllt mit klobigem rundgeschliffenem Geröll, bei Regen vermutlich ein Wildbach. Es war scheußlich zu gehen. Die Steine rutschten unter den Sohlen weg, und wir mußten aufpassen, daß unsere Füße nicht eingeklemmt wurden. Ein verstauchter Knöchel hätte das Ende der Schildkrötenjagd bedeutet. Vorsichtshalber stützten wir uns gegenseitig an den schwierigsten Stellen. Ein richtiger Maultierpfad! Und wir sahen auch Maultiere. Die Montenegriner benutzten sie, um zu ihren am Hang verstreuten Oliven- und Feigenplantagen zu kommen. Sie lächelten freundlich und grüßten, aber sie liefen neben ihren Tieren, in Sandalen mit Lederriemen. Die Maultiere nickten beim Gehen rhythmisch mit den Köpfen. Das sah hübsch aus. Sie liefen wie auf einem Promenadenweg. Maultier müßte man sein, oder wenigstens eins haben. Aber wir hatten nur unsere Füße zum Klettern. Es war heiß, und der Schweiß lief uns in den Kragen. Wir stöhnten.
Plötzlich schrie Nicolas: »Ein Krokodil! Paps! Ein Krokodil! Ein kleines Krokodil!«
Aufgeregt zeigte er auf einen massigen Geröllbrocken am Rand des Pfads. Da saß etwas. Aber es war natürlich kein Krokodil. Wo sollte das auch herkommen, hier oben in den Bergen. Es war eine Eidechse, eine schillernd grüne Smaragdeidechse von riesigen Ausmaßen, ungefähr einen halben Meter lang, flach und ziemlich breit. Wie sie da auf dem heißen Stein in der Sonne lag, konnte man sie auf den ersten Blick gut für so was wie ein junges Krokodil halten.
Sie blieb seelenruhig sitzen, bis wir ganz dicht vor ihr standen. Es war ein wunderschönes Tier. Ich hielt sie schon für tot. Da machte Nicolas eine hastige Bewegung, und weg war sie. Wie ein grünschillernder Blitz verschwand sie zwischen dem Geröll.
Nicolas wollte hinterher. Und ehe ich den Mund aufmachen konnte, tat er es auch, sprang einfach mitten hinein in die Wildnis voller Schlangen und sonstiger unheimlicher Viecher. Ihm schien das nichts auszumachen. Oder er hatte es in seinem Eifer glatt vergessen. Jedenfalls war er verschwunden, genau wie die Eidechse.
Nole rief. Sie war in Sorge, wie alle Mammis. Verständlich. Und auch mir wurde etwas mulmig. Wenn er nun einer dösenden Schlange auf den Schwanz trat? Nicht auszudenken!
Wir riefen beide. Aber der Bengel kam natürlich nicht. Also kletterten wir ihm nach. Nur war das für uns etwas schwieriger. Der kleine Kerl flitzte behende durch das Gestrüpp, wo wir uns mühsam hindurchwinden mußten. Ich brüllte, er solle warten. Doch er meinte nur: »Brüll nicht so, Paps! Du verscheuchst ja die ganzen Viecher!«
Womit er eigentlich recht hatte. Wenigstens konnten wir uns jetzt nach dem Klang seiner Stimme orientieren. Weit konnte er nicht sein. Hastig brachen wir durch das Gebüsch, kamen auf eine kleine Lichtung. Und da stand er, jenseits der geröllübersäten schrägen Fläche, und starrte fasziniert auf etwas, das wir nicht erkennen konnten. Hatte er die Eidechse? Oder? Aufatmend gingen wir näher.
Er winkte. Und als wir herankamen, flüsterte er leise: »Da! Da zwischen den Steinen, unter den Zweigen! Ich glaube, das ist was. Etwas Großes, Rundes, Dickes. Und es krabbelt!«
Ich sah nichts, außer den Steinen, und die krabbeln bekanntlich nicht. Ich knurrte irgendwas wie »blödsinniger Einfall« oder so. Aber Nicolas grinste nur. Er wußte, was er gesehen hatte. Und er war überzeugt, es sei eine Schildkröte.
Vorsichtig stocherte ich mit meinem Schlangenverscheucher zwischen dem Geröll herum. Tatsächlich, da bewegte sich etwas! Jedenfalls etwas Umfangreicheres als eine Schlange. Das konnte gut eine Schildkröte sein. Ein Witz wäre das: jagt eine Eidechse und findet eine Schildkröte. Also doch Glück! Genau wie bei Kees. Aber noch hatten wir sie nicht.
»Vielleicht sollten wir sie einkreisen«, meinte Nole vorsichtshalber.
Das mußte das Tier gehört haben. Es raschelte, ein paar Zweige vibrierten im Gebüsch. Doch der Ginster stand dicht wie eine Mauer.