Männergefühle - Stephan Bartels - E-Book

Männergefühle E-Book

Stephan Bartels

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Beschreibung

Haben Männer Gefühle, und wenn ja, wie viele? Was meinen Männer, wenn sie donnerstags ihr Auto waschen? Was denken sie, wenn sie nichts sagen? Was machen sie, wenn sie alleine sind? Was verbirgt sich hinter ihrer schlechten Laune? Warum richten Frauen ein und Männer wohnen nur? Und warum sind Männer manchmal die besseren Frauen? Endlich führen Stephan Bartels und Till Raether Frauen (und Männer) an die geheimen Orte, an denen die männlichen Gefühle Zuhause sind. Sie lassen alle Hüllen fallen und nehmen kein Blatt vor den Mund, wenn sie über das sprechen, was alle Frauen brennend interessiert: über das geheime Gefühlsleben des männlichen Geschlechts! Ein Männerversteher-Buch für sämtliche Geschlechter - und ein großer Spaß mit erhellenden Erkenntnissen!

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Seitenzahl: 326

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Stephan Bartels | Till Raether

Männergefühle

Was denken Männer, wenn sie nichts sagen?

Fischer e-books

»Das sind Gefühle,

wo man schwer beschreiben kann.«

 

Nationalstürmer Jürgen Klinsmann

nach dem Gewinn der Europameisterschaft 1996

VorwortHaben Männer Gefühle, und wenn ja, wo und wie viele?

»Und, was macht ihr gerade so?«

»Wir schreiben ein Buch.«

»Aha, und worüber?«

»Männergefühle.«

»Echt? Na, das wird ja wohl ein kurzes Buch, hahaha!«

– Keine Ahnung, wie oft wir dieses Gespräch in den letzten Monaten hatten. Männern traut man offenbar einiges zu, aber keine Gefühle.

Er ist sagenumwoben. Ein Mythos. Etwas, von dem manche Frauen hartnäckig behaupten, er sei so was wie das Ungeheuer von Loch Ness – eine faszinierende Idee, aber in Wirklichkeit kompletter Unsinn: der männliche G-Punkt. Damit meinen wir nicht eine der drei oder vier erogenen Zonen in unserer Körpermitte, sondern jenen schwer zugänglichen Ort in der Psyche von Männern, an dem wir unsere Gefühle verbergen. Schwer zugänglich? Na ja, für die meisten Frauen. Verbergen? Ja, vor eben diesen.

Auch in den besten Beziehungen gibt es weiße Flecken auf der Landkarte der Männerseele. Denn: Männer sprechen ja nicht. Behaupten die Frauen. Männer erzählen beim Abendessen bestenfalls Anekdoten. Frauen reden darüber, was sie belastet, beschäftigt oder fertigmacht. Männern muss man alles aus der Nase ziehen. Bei Männern muss man zwischen den Zeilen lesen. Männer ziehen sich zurück, Männer kapseln sich ab. Männer muss man zu ihrem Glück zwingen. Sonst tun sie die ganze Zeit so, als wäre alles in Ordnung, bis sie eines Tages zusammenbrechen oder mit den Worten »Mir wird das alles zu viel« auf unbestimmte Zeit das Haus verlassen.

Im Laufe der Jahre ist bei uns ein Verdacht entstanden: Könnte es sein, dass Frauen auch deshalb den Eindruck haben, Männer seien nicht in der Lage, über Gefühle zu reden, weil sie viel zu sehr damit beschäftigt sind, über ihre eigenen Gefühle zu reden? Könnte es sein, dass Frauen vieles, was wir sagen oder tun, nur vor dem Hintergrund ihrer eigenen Gefühle betrachten? Uns kommt es manchmal so vor, als seien ihre eigenen Gefühle für Frauen der Maßstab aller Dinge, als seien ihre Gefühle die einzige Realität, die sie kennen, die einzige Realität, die sie gelten lassen.

Das funktioniert dann in etwa so: Wenn wir nur sehr selten »Ich liebe dich« sagen, dann haben Frauen das Gefühl, wir lieben sie nicht, denn wenn wir es täten, müssten wir es doch öfter sagen können. Wenn wir »Ich liebe dich« sagen, haben sie das Gefühl, dass wir es nur gesagt haben, um ihre Erwartungen zu erfüllen, oder weil uns gerade nichts Besseres eingefallen ist, denn alles andere war ja schon gesagt. Oder sie haben das Gefühl, dass wir es irgendwie komisch gesagt haben, sie analysieren unsere Satzmelodie und interpretieren unsere Stimmfärbung bis das, was sie gehört haben, in ihre Gefühlswelt passt. Ihre Gefühle sind die Welt, wir leben nur darin.

Eigentlich müsste es leicht sein, über Gefühle zu reden, weil scheinbar alle es tun, pausenlos. Die ganze Gesellschaft ist überemotionalisiert: der Sport, das Wetter – die »gefühlte Temperatur« ist noch eine relativ frische Erfindung. Und es ist, so vom Gefühl her, auch ziemlich neumodisch, bei verschwitzten Fußballern Sekunden nach dem Abpfiff zuallererst einen Blick in den seelischen Abgrund zu werfen. Da wird nach einer Niederlage nicht etwa sachlich der Sinn einer 4-2-3-1-Formation in Frage gestellt, nein. Reporter von heute fragen: »0:1 im Halbfinale gegen Spanien – wie sieht es jetzt in Ihnen aus?« Das ist in etwa so, als würde man sich den Finger abschneiden, und dann kommt einer und fragt: »Tut das weh?«

Apropos »weh tun« – eine andere Emotionsfrage nach dem Sport tut es auch: »Wie sehr schmerzt dieses Aus gegen Spanien?« Nur für das Protokoll: Wir lieben Fußball, auch und vor allem deshalb, weil wir nirgendwo so ungefiltert Gefühle durchleben können. Das Reden darüber aber hat meist nichts mit Fußball zu tun. In Wirklichkeit noch nicht einmal etwas mit Gefühlen.

Der beste Beweis aus den Medien, in welchem Ausmaß Gefühle mit Realität gleichgesetzt werden, sind die bezeichnenderweise sogenannten »Realityshows«. Wird uns bei Tine Wittler und Co. gezeigt, wie man Zimmer und Häuser renoviert? Nein, es wird uns gezeigt, wie man sich dabei fühlt, a) während man es tut, und vor allem b) wenn man sieht, was da vollbracht worden ist.

Die bisher am meisten ausgereifte und erfolgreichste Form öffentlicher Gefühlsunterhaltung sind die Castingshows. Sie funktionieren alle nach demselben Prinzip: Es gibt einen Vorwand (Wer kann gut singen? Gut modeln? Ekliges Zeug im Dschungel schlucken?), der der Sendung den Rahmen gibt, aber letztendlich nur zum Anlass genommen wird, darüber zu reden, wie alle sich fühlen. Und die Politik ist zu einem Abklatsch der Castingshow-Welt geworden: Wir leben in einer Diktatur der Gefühle. Wenn der Bundeskanzler abgewählt wird, wünscht er sich zum Zapfenstreich »I did it my way« und weint: Sentimentalität als Staatsakt. Wenn der Verteidigungsminister zurücktritt, wünscht er sich zum Zapfenstreich »Smoke on the Water« und lächelt dabei tapfer: Selbstmitleid als Staatsakt. Wenn der Bundespräsident zurücktritt, dann begründet er das mit seinen verletzten Gefühlen und zeigt uns, wie gerührt er von sich selbst ist. Und wenn der Außenminister schlechte Arbeit macht, lesen wir in Nachrichtenmagazinen keine Analysen seiner Politik, sondern Charakterstudien seiner gequälten Psyche. Es gibt keine Nachrichten mehr, es gibt das Reden über Gefühle.

Womit wir zwei Gründe eingekreist hätten, warum Männer nicht gern und nicht besonders erfolgreich über ihre Gefühle sprechen: Alle tun es, es kommt uns aus den Ohren raus, wir können es nicht mehr hören. Und: In der Beziehung haben Frauen die Gefühlshoheit, und meistens endet das Reden über Gefühle hier im Streit, weil die Gefühle von Frauen irgendwie eine höhere Gültigkeit zu haben scheinen. Das Erste, das mit den Fußballern und Bundespräsidenten, können wir nicht ändern; das Zweite würden wir gern besser verstehen.

Was meinen wir, wenn wir in diesem Buch »Gefühle« sagen?

Gefühle sind die tiefen, authentischen, seelischen Empfindungen des Menschen. Und auch, wenn es sich im Eifer des Gefechts manchmal so anhören wird: Wir möchten niemandes Gefühle in Frage stellen. Wir können und wollen auch nicht analysieren, woher Gefühle wie Wut, Eifersucht oder Enttäuschung kommen. Zu dieser Frage konsultieren Sie bitte die einschlägige Ratgeberliteratur oder Ihren Therapeuten. Uns geht es darum, was in Beziehungen aus Gefühlen gemacht wird. Und unsere These ist, ganz überspitzt:

Frauen reden über Gefühle.

Männer haben sie.

Männer verwandeln ihre tiefen, authentischen Gefühle in schlechte Laune, Schweigen, Fußballbegeisterung oder in Rückzug (nicht selten all dies innerhalb eines einzigen Nachmittags). Das ist wenig, zumindest auf den ersten Blick. Das mehr dahinter steckt, davon handelt dieses Buch.

Frauen drücken ihre Gefühle sehr viel unmittelbarer und direkter aus, und eigentlich ist das eine gute Sache. Eine, die wir lange Zeit auch gern gelernt hätten. Aber irgendwas ist schiefgegangen, wir fühlen uns aufs Glatteis und in die Irre geführt, beides zugleich, wir rutschen aus und wissen nicht, wo oben und unten ist. Wir vermuten, der Grund ist folgender: Indem Frauen ihre Gefühle unmittelbarer, direkter und sehr viel ausführlicher ausdrücken, verwandeln sie Gefühle in Rhetorik. Wir unterstellen keine Absicht; es ist einfach das, was bei uns ankommt. Genauer gesagt: In ihrem Reden über Gefühle verwandeln sich in unseren Ohren die Art, wie sie über Gefühle reden und wie sie ihre Gefühle ausdrücken, in rhetorische Waffen und in Machtinstrumente, vereinfacht könnte man auch sagen: in Vorwürfe und Unterstellungen. Das ist viel, und ehrlich gesagt: für uns oft zu viel, und auch davon handelt dieses Buch.

Uns ist klar, dass die beiden vorigen Absätze aus scherzhaft und schmerzhaft groben Verallgemeinerungen bestehen. Wir überzeichnen und spitzen zu, was wir selbst erlebt haben und was wir wissen aus Gesprächen mit anderen Männern. Und mit Frauen. Wir wissen, dass es unzählige Ausnahmen gibt, dass nicht alle Frauen so oder alle Männer so sind. Um die Tendenz deutlich zu machen, übertreiben wir hier und da und bewegen uns immer wieder hart an der Grenze zum Klischee. Das erfordert einen gewissen Mut, denn wer Klischees verwendet, läuft Gefahr, als Idiot dazustehen, sobald jemand sagt: »Aber das sind doch nur Klischees.« Wir gehen das Risiko ein, denn Klischees sind eben nie nur Klischees: Sie werfen immer auch ein grelles, etwas ordinäres Licht auf einen komplizierten Sachverhalt, der dann in diesem Licht etwas weniger kompliziert wirkt, so dass man sich ihm unbefangener nähern kann. In jedem einfachen Klischee steckt eine komplizierte Wahrheit. Zum Beispiel ist es ein Klischee, dass Frauen mehr Gefühlskompetenz haben als Männer, und es ist ein Klischee, dass Männer ungern und ungeschickt über Gefühle reden. Aber dahinter steckt eine komplizierte Wahrheit: Seit Generationen wurden Mädchen ermutigt, sich um die eigenen Gefühle und die ihrer Umgebung zu kümmern, während Jungen angehalten wurden, die Zähne zusammenzubeißen und so zu tun, als kennten sie keinen Schmerz, vor allem keinen seelischen. Das hat Spuren hinterlassen, und man kann darüber Witze reißen oder man kann versuchen, die Folgen zu verstehen.

Wir werden Witze reißen, aber wir wollen auch verstehen und verstanden werden.

Kapitel 1Zugeschmiert mit Emo-Sauce: Ein Tag im Leben eines Mannes

Wie lebt es sich eigentlich in einer Welt, in der so viel über Gefühle geredet wird, dass man am Ende nicht mehr weiß, wie es einem selber geht? Till Raether beschreibt den Durchschnittstag eines ganz normalen Mannes.

Ein Mann steht morgens auf. Er hat einen eher unspektakulären Tag vor sich, sagen wir: einen Dienstag. Der Mann ist insgesamt auch nichts Besonderes, ein Mann wie du und ich, beziehungsweise wie Stephan und ich. Irgendein Typ aus der zerfallenden Mittelschicht, Ende dreißig, Anfang vierzig, nennen wir ihn Thomas. Weil das der beliebteste männliche Vorname in Deutschland war, als wir geboren wurden: Stephan und ich sind umgeben von Thomassen. Und: Wir sind selbst dieser Thomas. Also: Guten Morgen, Thomas. – Thomas? Aufwachen! Oh, Thomas ist gerade beschäftigt. Vermutlich ist er mit den Resten einer Erektion aufgewacht und versucht auf die Schnelle, das Beste daraus zu machen. Jetzt, wo er das Schlafzimmer mal ein paar Minuten für sich allein hat.

Thomas hat eine Wohnung, die ihm ganz gut gefällt und die seine Frau und er sogar bezahlen können (insgesamt sind die Fixkosten zu hoch, das summiert sich und wird sie eines Tages in Schwierigkeiten bringen). Er hat auch Kinder, also eine Familie, mit der er zusammenlebt; man liebt sich. Krisen, Langeweile und Enttäuschungen ebenso eingeschlossen wie besonders innige Momente. Und Thomas’ uneingeschränkte Hingabe an die Kinder – außer sie trödeln beim Anziehen.

Er hat eine Adresse, er hat einen festen Wohnsitz, einen Lebensmittelpunkt, aber es gibt keinen Ort, an dem man ihn wirklich versteht. Jedenfalls nicht an einem durchschnittlichen Dienstag. Thomas ist ein ziemlich durchschnittlicher Mann, und darum ist er ziemlich allein. Er ist zwar umgeben von Leuten, aber er verbringt den ganzen Tag in einer seltsamen Isolation. Das beginnt schon im Bad. Im Radio läuft ein Infosender, Presseschau, die Nachrichtenlage ist eher unspektakulär: Der Verfassungsgerichtshof von NRW hat der Landesregierung verboten, neue Kredite aufzunehmen. Wenn Thomas sich nicht gerade rasieren würde, schliefe er bei dieser Mitteilung vermutlich gleich wieder ein. Aber dann wird in der Presseschau die FAZ mit den Worten zitiert: »Frau Kraft dürfte die Lust darauf vergangen sein, schon bald wieder vor die Wähler zu treten. Denn als ertappte Haushaltssünderin hat die neue Landesmutter, die ihre Schuldenpolitik stets mit der ›Sorge um künftige Generationen‹ verbrämt, deutlich an Glanz verloren.« Und dann, wie die gleiche Zeitung das amerikanisch-chinesische Verhältnis kommentiert: »Von der politischen Symbiose einer ›G2‹ ist keine Rede mehr. Die Regierung Obama nimmt auch nicht mehr wie zu Beginn Rücksicht auf chinesische Empfindlichkeiten.«

Oh Mann, denkt Thomas, während er sich rasiert, wer hat den hier einmal Politik mit Emo-Sauce bestellt? Warum reden die über »Lust« und »Sorge«, über »Rücksicht« und »Empfindlichkeiten«? Dabei geht’s doch eigentlich um Finanzpolitik im einen und um geostrategische Erwägungen im anderen Fall. Von Tagesbeginn an ist er von Gefühlen umgeben, die nicht seine eigenen sind. Er weiß noch nicht mal, wie er sich heute selber fühlt, aber er weiß bereits, wie sich Hannelore Kraft und China fühlen.

Thomas schmiert sich Rasierbalsam ins Gesicht, auf dem »sensitive« steht. Ihm ist nicht ganz klar, wie und wann das passiert ist, aber er benutzt nur noch »Balsame«. Alles ist schonend und eben »sensitive«, die empfindsamen, gefühlvollen Produkte waren plötzlich da, an den leicht erreichbaren Stellen im Drogeriemarktregal.

Er schmiert sich eine Feuchtigkeitscreme ins Gesicht, die einen leichten Selbstbräunungseffekt hat, den die Hersteller aber ähnlich verbrämen wie Hannelore Kraft ihre Schuldenpolitik: Sie sprechen vom »Summerlook«. Thomas benutzt nicht besonders viele Kosmetikprodukte, aber wenn er sich so umschaut in seiner Ecke des Badezimmers, dann stellt er fest: Er besitzt lauter Zeug, das ihm ein gutes Gefühl verspricht. Thomas fühlt sich missverstanden. Weder wollte er im Nachrichtenradio über die Gefühlslage von Spitzenpolitikern und Großmächten informiert werden noch wollte er Toilettenartikel, die so tun, als wären sie Balsam für seine Seele. Alles ist zugeschmiert mit Second-Hand-Gefühlen. Vielleicht haben wir das zugelassen, weil es bequemer ist, als sich den großen Gefühlen zu stellen: Angst und Wut und Trauer, Hoffnung und Liebe und Zuversicht. Elementare Dinge, das legendäre Eingemachte: Da ranzugehen ist eine Lebensaufgabe, die man leicht aus den Augen verliert, wenn man von Second-Hand-Gefühlen umgeben ist.

Seiner Seele geht’s eigentlich noch ganz gut. Der Frühstückstisch ist wie jeden Morgen bestenfalls improvisiert: Alles geht durcheinander, Hausaufgabenreste, Schulbrote schmieren, für Thomas irgendwas im Stehen. Und fast könnte aus dieser Nähe und diesem Chaos so was wie ein Zuhause, ein Dabeisein entstehen. Wenn Thomas nicht gleich den Fehler machen würde, seiner Frau eine ganz einfache Frage zu stellen. Nennen wir sie Claudia, weil dies der in unserer Generation beliebteste Frauenvorname ist.

Beide arbeiten. Morgens müssen sie immer den Tag noch mal planen, denn aus irgendwelchen Gründen gibt es immer ein paar lose Enden, die noch verknüpft oder rausgerissen werden müssen: offene Termine, ungeklärte Zuständigkeiten, Sachen, die man einfach vergisst.

Thomas fragt: »Sag mal, hast du heute Nachmittag Mitarbeitergespräche?«

Claudia lässt das halbe Vollkorn-Toasty sinken. Bevor Thomas den Mund aufgemacht hat, war sie eine Frau gewesen, die gerade im Begriff war, Aprikosenmarmelade auf eine Frischkäseschicht zu streichen. Jetzt ist sie: sauer? genervt? gekränkt? Auf jeden Fall anders.

»Ja, ja, ich weiß, und du musst wieder die Kinder abholen«, entgegnet Claudia.

»Deswegen frage ich ja. Ich war mir nicht sicher, ob das heute war.«

»Natürlich ist das heute. Wann soll das denn sonst sein?«

»Warum bist du eigentlich so aggressiv?«

»Entschuldige mal«, erwidert seine Frau, »wie würdest du dich fühlen, wenn morgens das Erste, was du von mir hörst, Vorwürfe sind?«

Die Kinder blenden die Szene aus, sie sind vollauf damit beschäftigt, sich nicht anzuziehen. Thomas spürt, wie ihm der Tag entgleitet, und zum ersten Mal ist da heute ganz deutlich dieses Gefühl vom Alleinsein, das bisher nur an ihm genagt hat. Ich habe doch, denkt er, eine ganz sachliche Frage gestellt.

»Vorwürfe? Wieso Vorwürfe?«, fragt er eine Spur zu laut.

Claudia hat offenbar keinen Appetit mehr auf ihr Toasty.

»Glaubst du, mir macht es Spaß, so wenig Zeit mit den Kindern zu verbringen?«, fragt seine Frau. »Kannst du dir vorstellen, wie ich mich dabei fühle, und erst recht, wenn du auch noch so darauf herumreitest?«

Thomas winkt ab. Er ist mittlerweile stinksauer, denn was kann er dafür, dass seine einfache Frage bei seiner Frau auf eine komplizierte Gefühlslage aus Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen getroffen ist? Und was fällt ihr ein, ihr eigenes schlechtes Gefühl gegen ihn zu wenden? Aber das auszusprechen, würde jetzt viel zu weit führen: Der sich daraus ergebende Streit könnte locker ein, zwei Stunden dauern, und wer hat dafür morgens die Zeit? Oder überhaupt: die Energie? Oder, ganz ehrlich: den Mut? Denn immer, wenn seine Frau ihn angreift, weil sie sich angegriffen fühlt, geht es um einen Konflikt, der mit ihrem ganzen Leben zu tun hat. So wie jetzt, wo sie das Gefühl hat, er würde ihr vorwerfen, zu wenig Zeit mit den Kindern zu verbringen. Könnte es sein, denkt Thomas, dass ich diesen Knopf zwar unbewusst, aber doch irgendwie mit Absicht gedrückt habe, weil ich weiß, dass es ein wunder Punkt für sie ist, wenn sie lange arbeiten muss? Und wenn ja, müssten wir dann nicht mal ganz grundsätzlich über unser Lebensmodell und unsere Rollenverteilung reden? Bedeutet das, dass sie lieber weniger arbeiten würde? Hätten wir noch genug Geld zum Leben, wenn sie weniger arbeiten würde? Können wir uns das alles überhaupt leisten?

Große Fragen, die plötzlich an einer kleinen Bitte um Auskunft hängen, wann sie heute nach Hause kommt. Diese großen Fragen machen ihm Angst. Er will jetzt nur noch die Kinder anziehen, sie dahin bringen, wo sie tagsüber ihr Kinderding machen, und dann im Büro seine Ruhe haben.

»Typisch«, sagt Claudia. »Und jetzt sagst du wieder nichts.«

 

Später, allein im Auto und im zähfließenden Verkehr, hat Thomas Gelegenheit, diese Szene vor seinem inneren Auge zu wiederholen. Er hat das Gefühl, dass er, als seine Frau ihm auf seine Frage mit einem Gefühlsausbruch geantwortet hat, endgültig in eine Welt gezogen wurde, die nicht seine eigene ist: die Welt, deren Naturgesetze nicht die unseres Kosmos’ sind, sondern in der stattdessen nur die Gefühle und die Gefühlswahrnehmungen seiner Frau regieren. Es ist ihre Welt, er lebt nur darin.

Eigentlich hat Thomas kein Problem mit Gefühlen. Er meint, drüber reden zu können, und er hat sich auch schon unangenehme eingestanden: Vor ein paar Jahren, als die Kinder noch kleiner waren und der Druck im Job noch größer, bekam er Angstattacken. Erst hat er sich zusammengerissen, dann hat er sich noch mehr zusammengerissen, und dann hat er sich von seinem Hausarzt an einen Psychologen überweisen lassen und eine Therapie gemacht. Seitdem geht es ihm besser. »Öko-Test«, deren positiver Stempel auf allen Produkten ist, die Thomas benutzt, würde sagen: »Gut.« Er hat es nie als allzu große Schande empfunden, auf einmal unkontrollierbar schlechte Gefühle zu haben und dann sogar etwas dagegen zu unternehmen. Er hat sogar zwei Freunden davon erzählt. Seine Frau war toll zu der Zeit. Aber was war das heute Morgen? Warum sagt sie nicht, dass sie Angst hat, zu wenig für die Kinder da zu sein? Warum versteckt sie dieses Gefühl, indem sie es in Unterstellungen und Vorwürfe verwandelt? Oder unterstellt er ihr jetzt gerade selber etwas?

Um sich weniger eingeengt zu fühlen, hat Thomas sich nicht angeschnallt, nachdem er die Feuerwehrzufahrt der Kindertagesstätte mit seinem Kombi verlassen hatte. Auf kürzeren Autofahrten gönnt er sich manchmal dieses Gefühl von Risiko und Freiheit, von Gesetzesbruch und Nostalgie. Bis ihm einfällt, dass er keine Berufsunfähigkeitsversicherung hat. Ging nicht, wegen der Psychotherapie. Also schnallt er sich wieder an.

Im Büro sucht Thomas die Nähe von Frauen. Irgendwann ist ihm klargeworden, dass Frauen interessanter sind als Männer, und zwar nicht nur aus anatomischen Gründen. Wie viele Männer kann Thomas im Arbeitsalltag die Masse anderer Männer nur noch schlecht ertragen. Die alten Männerbünde funktionieren nicht mehr, weil Männer festgestellt haben – und jeden Tag aufs Neue feststellen –, wie langweilig andere Männer sind, und im Rückschluss vermutlich auch sie selbst. Man muss sich nur mal umschauen, morgens am Flughafen, am Gate, wo die Männer warten, die geschäftlich nach Frankfurt fliegen wollen. Im Grunde sehen sie nicht viel anders aus als vor zehn Jahren. Die Laptops sind kleiner geworden, die Handys flacher, die Revers, Hosenbeine und Krawatten schmaler, aber es sind noch immer die Uniformierten aus dem mittleren Management. Wenn man vor zehn Jahren ähnlich gekleidet in ihrem Kreise saß, gehörte man automatisch zu einer Art Armee aus Spesenrittern, zum Fußvolk des Wirtschaftswachstums. Es gab einen unsichtbaren Zusammenhalt aus Selbstüberschätzung, Geschäftigkeit und bedeutungsvollem Rascheln mit Unterlagen und dem Wirtschaftsteil der Zeitung. Auch wenn man nicht dazugehörte, nahm man diese Männer als Gruppe wahr, und man dachte mit einem Seitenblick: Ah, die Wichtigtuer, die sich auf das »Focus«-Bordexemplar und eine Beschwerde bei der Stewardess freuen, sind auch schon da.

Was sieht man heute, zehn Jahre später, in den Gesichtern dieser Männer? Wichtigtuerei? Davon träumen sie nur. Die meisten versuchen zu gucken, als wären sie der Einzige, der nicht dazu gehört, der anders ist, was Besonderes, irgendwie authentischer. Weil keiner mehr zu einer Gruppe von unbehausten Trotteln gehören will, die eine sinnlose Existenz führen. Mittlerweile kommen all diesen Männern die aufdringlich laut geführten Gespräche über Quartalsziele, Abschlüsse und verschobene Meetings aus den Ohren wieder raus. Sie langweilen sich mit sich selbst, sie sind angeödet von ihren Floskeln und Ritualen (aus diesem Grund haben die Herren so wahnsinnig viel Geld verspekuliert in den letzten paar Jahren: aus Langeweile mit sich selbst).

Ganz ehrlich: Thomas redet lieber mit den Frauen in seiner Firma, denn da ist die Bandbreite der Themen größer. Kinder, Küche, Krankheiten und andere Klischees: allemal interessanter als das hohle Selbstbestätigungsgelaber vieler seiner Kollegen.

Aber die Frauen in seiner Firma haben auch was ganz Grundsätzliches verändert, und Thomas ist sich nicht sicher, ob das nicht zu weit gegangen ist. Sie reden über alles, was die Arbeit betrifft, auf ganz ähnliche Weise, wie sie Anekdoten vom Wochenende oder aus dem Familienurlaub erzählen: Feelings first.

Seine Kollegin Sibylle kommt zu ihm und fragt, ob er den Hinzelmeier-Vorgang übernehmen möchte. Thomas versteht die Frage nicht so ganz. Was heißt »möchte«? Sibylles Arbeitsplatzbeschreibung beinhaltet, Aufgaben und freie Kapazitäten zu koordinieren; Thomas’ Arbeitsplatzbeschreibung, einen neuen Vorgang zu übernehmen, da er den Kleinschmidt-Vorgang gestern abgeschlossen hat. Warum also nicht den Hinzelmeier-Vorgang?

»Klar«, sagt Thomas und macht einen großen Fehler, indem er nachschiebt: »Warum nicht?«

»Na ja«, sagt Sibylle und setzt sich. »Ich muss erstmal dich fragen, weil du mit der Kleinschmidt-Sache durch bist, aber ich kann auch Frank fragen.«

»Gut«, sagt Thomas.

»Ist dir also lieber, ja?«, fragt Sibylle. »Ich hab mir gedacht, dass du den Hinzelmeier nicht willst. Das ist ja auch eine unangenehme Geschichte. Sag ruhig, wenn du das nicht willst.«

»Nee, ich hab Zeit«, antwortet Thomas. Unangenehme Geschichte? Wieso unangenehme Geschichte?

Sibylle schaut ihn an.

»Ich hab das Gefühl, du willst das nicht. Und weißt du was? Ich kann das verstehen. Hinzelmeier, das ist eine unübersichtliche Branche, diese Vorgänge sind immer nervig.«

Nervig? Thomas fängt gerade an, was ganz anderes nervig zu finden.

»Ich mach das«, versichert er, weil er zum Arbeiten gekommen ist und nicht, um mit Sibylle darüber zu diskutieren, was sie für Gefühle für seine Gefühle hat, bestimmte Branchen betreffend.

»Du musst nicht«, sagt Sibylle. Thomas ahnt, dass es nur einen Weg gibt, Sibylle loszuwerden und das Thema abhaken zu können.

»Okay«, sagt er, »gib’s Frank.«

Sibylle steht auf und nickt befriedigt, als hätte sie irgendwas Wichtiges erreicht. Bevor sie sein Büro verlässt, zögert sie erwartungsvoll. Thomas versteht.

»Danke«, sagt er. Und bleibt zurück mit dem Gefühl, leicht beschmutzt worden zu sein. Um aus der Situation rauszukommen, musste er sich zu einem Gefühl bekennen, das Sibylle ihm mit besten Absichten unterstellt hat. Dabei wollte Thomas eigentlich nur was arbeiten und dann einigermaßen pünktlich gehen.

Thomas hat also »freie Kapazitäten«, das freut seinen Chef. Er lässt ihn nicht einfach rufen, der Chef kommt sogar selbst.

»Thomas!«, sagt er, denn in der Firma duzen sich alle: flache Hierarchien. »Genau der Mann, den ich sehen wollte.« Sein Chef schließt die Tür und installiert sich in Thomas’ Büro.

»Und?«, fragt er.

Thomas nickt neutral, aber zuversichtlich. Immer besser, den Chef erstmal kommen zu lassen.

»Ich mache mir Sorgen«, beginnt sein Chef, und Thomas korrigiert seinen Gesichtsausdruck in Richtung selbstkritisch, aber immer noch zuversichtlich.

»Die Hinzelmeier-Geschichte?«, fragt er und beißt sich innerlich in den Hintern. Sein Chef winkt ab.

»Nee, das kann ich verstehen, da hätte ich auch keine Lust drauf.« Thomas will was sagen, aber was eigentlich? Egal, sein Chef redet weiter.

»Mir geht’s um die Stimmung in der Abteilung.«

»Du meinst, die Urlaubsgeldkürzung ist nicht so gut angekommen, wie du gehofft hattest?«, scherzt Thomas. Flache Hierarchien! Da darf man ruhig mal ein bisschen frech werden.

»Nee«, sagt sein Chef, »das ist mehr so was Diffuses, irgendwas hat sich verändert. Irgendwie sind die Türen immer zu.«

»Tja«, sagt Thomas, »die Leute arbeiten.«

»Das sollen sie ja auch, aber … doch nicht mit solchen Fressen!«

Thomas denkt: Kein Wunder, es hat ein paar Entlassungen gegeben, die Auftragslage ist schlecht.

»Ich hab das Gefühl, da stimmt was mit der Kommunikation nicht«, sagt sein Chef. Thomas denkt: Mir ist es lieber, die Leute reden gar nicht, als dass sie Schwachsinn reden. Sein Chef nimmt die Stille als Zustimmung.

»Ein Wort«, fährt sein Chef fort, »und du bist der Mann dafür: Team-Building.« Und dann redet sein Chef darüber, was Thomas unternehmen und organisieren soll, damit alle in der Abteilung sich besser fühlen und wieder »Spaß an der Arbeit« haben. Thomas hat das alles schon mal gehört. Langsam ist seine Geduld erschöpft.

»Man könnte natürlich auch einfach klare Ziele vereinbaren, die Aufgaben gleichmäßig verteilen und zur Abwechslung mal in einer anderen Abteilung sparen«, schlägt er vor.

»Entspann dich«, sagt sein Chef. »Du kriegst das hin. Das spüre ich.«

Am Nachmittag, im Pantrybereich, sagt die Sekretärin vom Chef zu Thomas, als niemand anderes in der Nähe ist, dass der Chef »ein wenig gekränkt« gewesen sei, weil Thomas so ablehnend auf den Team-Building-Auftrag reagiert habe.

»Am besten, du gehst mal mit ihm essen und bist wieder nett. Du weißt doch, wie er ist.«

Eigentlich ist Thomas zum Arbeiten gekommen. Und wenn man ihn lässt, ist er nicht mal schlecht darin. Aber stattdessen beschäftigt er sich den ganzen Tag damit, über Gefühle zu reden. Und zwar auf eine seltsam lauwarme, indirekte und daher unehrliche Art und Weise. Vielleicht ist sein Chef wütend, weil die Leute in der Abteilung miese Stimmung verbreiten; vielleicht hat sein Chef Angst, weil er die Mitarbeiter mit seinem Führungsstil nicht motivieren kann. Das wären echte Gefühle, mit denen sein Chef sich vielleicht auseinandersetzen sollte, wenn er sie sich eingestehen könnte. Aber was gibt ihm das Recht, stattdessen Thomas mit abgestandenen Emo-Floskeln vollzulabern? Und kann es sein, dass Sibylle nicht den richtigen Job hat, wenn sie möchte, dass alle bei ihren Entscheidungen ein gutes Gefühl haben? Und bereitet ihr dieser Gedanke möglicherweise ein elementares Unbehagen, das sie dann indirekt Thomas in die Schuhe schiebt?

Thomas geht in sein Büro und recherchiert eine Weile im Internet irgendwelchen Team-Building-Kram, bevor er auf eBay eine beleuchtete Grillzange sofort kauft und YouTube-Videos weiterleitet, die ihm andere Low-Performer gemailt haben.

 

Die Welt ist weiblicher geworden. Das ist ein Fortschritt. Weil die Welt, die hauptsächlich von Männern gemacht wurde, alles andere als lebenswert war: Niemand möchte in den Visionen autoritärer Führer oder in der Achselhöhle von Klaus Lage leben. Aber viele Attribute, die landläufig als »weiblich« gelten, prägen den Alltag eines Mannes wie Thomas, ohne, dass er sich darüber notwendigerweise im Klaren ist.

Alles ist weiblicher geworden, runder, in seinem Auto gibt es keine Kanten mehr und keine Ecken, an denen man mit einem empfindlichen Rock hängenbleiben könnte. Frauen ernähren sich gesünder als Männer, deshalb ist in der Kantine von Thomas’ Firma die Insel in der Mitte mit der Salatbar immer größer geworden; inzwischen gibt es sogar zwei Salatinseln. Sie werden von vorsichtig wählenden Frauen umlagert und von resignierten Männern, die keine Lust mehr haben, sich für die immer schlechter werdenden Stammessen anzustellen. Außerdem sind die Ausgabestellen so weit an den Rand gedrängt worden, dass man im Grunde automatisch an der Salatinsel hängenbleibt. Frauen nehmen grüne Salate und beschweren sie mit ein wenig italienischen Vorspeisen, damit die Blätter nicht vom Teller fliegen. Männer – zu Gast in der Welt weiblicher Ernährungsgewohnheiten, aber dort nicht zu Hause – missverstehen oder missbrauchen das Prinzip Salatbar und laden sich den Teller, soweit statisch möglich, mit jenen Angeboten voll, die von Mayonnaise zusammengehalten werden. Thomas rebelliert und ordert paniertes Fleisch. An der Kasse holt ihn ein Kollege ein, tätschelt ihm scherzhaft den Bauch und sagt: »Du traust dich was!«

Frauen legen mehr Wert auf Hygiene als Männer, deshalb sind die Toiletten renoviert worden: funzelige Low-Budget-Spas, und die Seife aus den Spendern ist auch auf dem Männerklo immer rosa oder apricot. Wenn man anschließend irgendwann am Tag aus Versehen an seinen Händen riecht, kriegt man einen Schreck, denn: Wie konnte man vergessen, dass man einer alternden Volksschauspielerin ins Dekolleté gegriffen hat?

Das sind alles für sich vernachlässigbare Details, aber in ihrer Summe können sie an manchen Tagen dazu führen, dass man als Mann denkt: Das ist irgendwie nicht meine Welt. Ein Gefühl, das Frauen mit sehr viel mehr Grund seit sehr viel Längerem und an sehr viel mehr Tagen haben, vermuten wir. Denn natürlich ist unsere Welt von Hause aus immer noch männerdominiert. Aber das ist genau das Problem: Männer wie Thomas und wir bewegen sich in einer Welt, die a) von Männern dominiert ist, mit denen wir eigentlich nichts mehr zu tun haben wollen, weil sie langweilig, hohl und egozentrisch sind, b) von seltsam unauthentischen, aber allgegenwärtigen Gesprächen über Gefühle beherrscht wird, und die c) keine Ecken und Kanten mehr hat.

Also fragt sich Thomas, wo er eigentlich noch stattfindet in seinem Leben, und beschließt, alles zu ändern. Also alles, was sich heute noch ändern lässt. In erster Linie also die Abendgestaltung. Die gab es bisher nicht, aber man könnte ja was draus machen. Er fängt an, seine Freunde anzurufen, und schnell stellt er fest, dass es gar nicht so besonders viele sind, und dass alle verheiratet sind oder in Partnerschaften leben und »erstmal auf den Familienkalender gucken« oder »mal eben Simone anrufen« müssen, um herauszufinden, ob sie heute Abend können.

Feste Termine, denkt Thomas, man bräuchte mehr feste Termine: Fußball sonntags im Park, endlich die Band mit Nachbarn aus der Siedlung, jeden zweiten Donnerstag, das müsste doch gehen; und vielleicht sogar so was wie ein Abend in einer Bar, wo man sich mit immer den gleichen Männern an immer demselben Tisch trifft und einfach mal über alles Mögliche redet. Thomas hält inne. Er ist dabei, sich einen Stammtisch herbeizuphantasieren. Mit kupferner Tischglocke über dem Aschenbecher? Warum gibt es das andere, besser Leben nur als Klischee oder als Phantasie? Und möchte man wirklich der Typ sein, der in der Nachbarschaft rumtelefoniert, um die Band wieder zusammenzubringen?

Dann ruft Thomas seine Frau an, um ihr zu erzählen, dass er heute Abend noch weggeht. Das ist schlecht. Die Mitarbeitergespräche! Hat er vergessen, dass die sich bis in den Abend ziehen können? Nein, hat er nicht, deshalb wird er ja auch gleich losgehen, um die … – Scheiße, schon Viertel nach vier! Aber es war auch viel zu tun bei der Arbeit. Und dass die Mitarbeitergespräche so lange dauern, dass er abends … – gut, also erst ab acht, halb neun, das ist aber für seine müden Freunde zu spät, na ja, klar, dieses Problem kann Claudia nicht auch noch lösen. Und er soll bitte daran denken, dass er auf dem Nachhauseweg noch in die Apotheke muss. Ob er das Rezept für die Ohrenmedizin des Sohnes dabei hat.

Für einen Moment spaltet sich Thomas in zwei Hälften: Er hat das Rezept nicht dabei, weil er es nach allen Regeln der Kunst vergessen hat, und darüber ärgert sich die eine Hälfte; die andere ist davon überzeugt, dass er natürlich daran gedacht hätte, zur Apotheke zu gehen, er aber das Rezept deshalb zu Hause liegen gelassen hat, weil Claudia ihn so oft daran erinnert hatte. Wodurch irgendwie das Raum-Zeit-Gefüge in eine Schieflage geraten ist, er an alles gedacht, aber nichts erledigt hat, und trotzdem seine Frau schuld ist, was ihn ebenfalls ärgert.

Auf dem Firmenparkplatz hat Thomas oft Schwierigkeiten, auf Anhieb seinen Wagen zu finden. Alle sehen auf unterschiedliche Weise gleich aus. Dann drückt er auf den Türöffner und steigt in das Auto, das ihn anblinkt und sich öffnet. Manchmal stellt er sich vor, wie es wäre, in diesem Moment einen Blackout zu haben: Plötzlich weiß er nicht mehr, wer er ist und wo er wohnt, und er weiß sich nicht anders zu helfen, als im Navigationssystem die »Home«-Einstellung zu wählen und sich dort hinleiten zu lassen, was das Navi für sein »Home« hält. Er käme zu einem Haus und in eine Wohnung, alles sähe aus, als könnte es seins sein, die Frau und die Kinder auch, aber ganz sicher wäre er sich nicht, aber irgendwie – und das ist das Seltsame an seiner Blackout-Phantasie – irgendwie würde es an manchen Tagen auch keinen Unterschied machen.

Er hetzt nach Hause und holt das Rezept, während die Kinder mutmaßlich mit ansehen, wie alle anderen vor ihnen abgeholt werden. Die Kinder haben sich selten oder nie darüber beklagt, aber Thomas hat einfach zu oft gehört, wie Väter und Mütter sich darüber ausgetauscht haben, was spätes Abholen mit kleinen Kinderseelen macht. Als er endlich kommt, schreien die Kinder, sie wollen bleiben. Kein Wunder: Je später sie abgeholt werden, desto besser ist der Betreuungsschlüssel in Kita und Hort.

Thomas zerrt die wütenden Kinder an ihren kleinen Händen mit sich in die Apotheke. Die Apothekerin bringt das gewünschte Präparat und informiert ihn darüber, dass es sich um einen sogenannten »Trockensaft« handelt, also ein Pulver, das erst mit Wasser aufgegossen werden muss, um zu einem Saft zu werden. Thomas nickt ungeduldig, während die Kinder in der Schale mit Sanddornpastillen wühlen.

»Weiß Ihre Frau, wie das geht?«, fragt die Apothekerin.

Thomas ist sprachlos. Das Rezept ist definitiv nicht für seine Frau, sondern für ein Kind, und außerdem ist seine Frau weit und breit nicht zu sehen. Steht er nicht hier, ein Mann und Vater, der Zeit mit seinen Kindern verbringt und Verantwortung für sie übernimmt, auch wenn er sie momentan nicht daran hindern kann, an einem Blutdruckmessgerät herumzuspielen, das man ausdrücklich nicht selbst bedienen soll? Warum seine Frau? Was weiß die Apothekerin von ihm und seinem Leben? Vielleicht hat seine Frau ihn verlassen, wegen eines DJs, zehn Jahre jünger. Oder sie ist tot, vielleicht gerade eben gestorben, das könnte doch alles sein! Was offenbar nicht sein kann, ist, dass ein Vater sich um seine Kinder …

»Na ja«, sagt die Apothekerin, weil Thomas nichts sagt, sondern sie nur anstarrt und langsam, aber leider zu langsam, immer wütender wird, »steht natürlich auch alles im Beipackzettel, kann Ihre Frau dann ja nachlesen.«

 

Thomas liest den Kindern Bücher vor, die er als Kind gern vorgelesen bekommen hat, er tut es genausosehr für sich wie für sie, und es ist gut. Früher ist es ihm nie aufgefallen, aber: Die Kinder aus Bullerbü und die Trolle aus dem Mumintal reden auch über ihre Gefühle, sie haben Angst und Sorgen und sind gekränkt oder traurig. Aber immer nur, wenn es einen verdammt guten Grund dafür gibt. Natürlich macht man sich Sorgen, wenn man herausgefunden hat, dass einem ein Komet aufs Haus fallen wird. Natürlich ist man gekränkt, wenn man nicht mitspielen darf, weil man zu klein ist. Natürlich hat man Angst, wenn man eine Wiese überqueren muss, auf der Ulrich, der böse Auerochse, sein Unwesen treibt. Aber die Kausalität stimmt: Es gibt einen Grund und dann die dadurch verursachten authentischen Gefühle. In Thomas’ Welt reden die Leute über alle möglichen Gefühle, die eigenen und die von anderen, aber das meiste davon scheint Tarnung zu sein, so, als könnte das Reden über irgendwelche und alle möglichen Gefühle einem die Auseinandersetzung mit jenen Gefühlen ersparen, mit denen man sich wirklich auseinandersetzen müsste. Die Welt steht auf dem Kopf, und so zu leben ist anstrengend.

Also schläft Thomas vor dem Fernseher ein, während Champions League läuft und Fußballer am Spielfeldrand über ihre Gefühle reden, und danach eine Talkshow, wo alle das Gleiche tun, nur mit trockenen Haaren.

Klar, Thomas könnte sich ein bisschen zusammenreißen und das Haus oder zumindest das ein oder andere Zimmer rocken, indem er sich nicht von anderen und ihren Gemütslagen runterziehen lässt. Aber wer den ganzen Tag durch unechten Gefühlssirup gewatet ist, mit immer längeren und dickeren süßen Klebefäden an den Beinen, der macht abends keine große Sprünge mehr.

 

Natürlich könnte dieser Tag ein Happy End haben. Claudia käme nach Hause, Thomas hätte es inzwischen ins Bett geschafft, er würde beobachten, wie sie sich auszieht im gedimmten Schlafzimmerlicht. Sie kröche zu ihm unter die Decke, und dann fielen sie übereinander her, hungrig nach Nähe und Leidenschaft nach einem Tag voller Missverständnisse. Aber jeder Satz, der mit »Sie kröche« anfängt, muss irreal bleiben: Hier fällt niemand über irgendjemanden her, diese beiden Leute werden heute keinen Sex mehr haben.

Zweieinhalb Mal die Woche, das soll deutscher Durchschnitt sein? Wenn das stimmt, dann haben statistisch gesehen andere den Sex, den Thomas und Claudia zweieinhalb Mal pro Woche haben sollten. Wie so oft reicht es heute nicht mal mehr für das halbe Mal. Es geht nicht, es ist undenkbar. Um Lust auf Sex zu haben, muss man zumindest für einen kurzen Zeitraum mit sich im Einklang sein, man muss seine Bedürfnisse kennen, neugierig sein aufeinander. Aber Thomas hat heute wieder so viel Zeit mit den Bedürfnissen anderer verbracht, dass er seine eigenen nicht mehr kennt.

Claudia kommt ins Schlafzimmer, und Thomas, der das Licht ausgemacht hat, als er ihren Schlüssel in der Tür hörte, liegt auf dem Rücken und tut, als schliefe er. Er hört, wie sie sich auszieht, und an der Art, wie sie dies tut, übertrieben vorsichtig und mit leichtem Seufzen, merkt er: Dass er bereits schläft, empfindet sie als stummen Vorwurf. Oder sie durchschaut ihn und empfindet, dass er so tut, als würde er schlafen, als stummen Vorwurf.

Moment, denkt Thomas, jetzt bin ich gerade dabei, ihr zu unterstellen, wie sie sich fühlt, das ist natürlich auch kein …

Uff. Seine Frau hat sich auf ihn geworfen. Entweder, er ist ein schlechter Schauspieler, oder es war ihr egal, ob er schläft oder nicht. Er schlägt die Augen auf und blickt in ihr Gesicht, keine zehn Zentimeter von seinem entfernt. Sie kneift ihn mit beiden Händen in die Wangen, Thomas versucht, sich zu befreien, aber seine Frau ist stark. Er muss lachen und bekommt keine Luft mehr. Claudia beißt ihn in die Nase und sagt: »Das war ja wieder ein Scheißtag heute.«

»Stimmt«, ächzt Thomas.

»Dabei hatte er so gut angefangen«, sagt Claudia.

»Gut angefangen?«, fragt Thomas.

»Das war ironisch gemeint«, sagt Claudia.

Thomas grinst. Er ist dankbar, dass seine Frau alles einfach wieder auf Anfang gesetzt hat, indem sie was Albernes gemacht und sich auf ihn geworfen hat. Es ist schön, ihr plötzlich so nah zu sein.

»Manchmal frage ich mich wirklich, was in dir vorgeht«, sagt Claudia.

»Das ist eine lange Geschichte«, sagt Thomas.

»Nur, wenn man sie langweilig erzählt«, sagt Claudia.

Kapitel 2Was Männer haben, wenn sie schlecht gelaunt sind: Eine Einführung vom Fachmann

Schlechte Laune ist eine echte Männerdomäne. Vor allem am Wochenende. Till Raether erklärt, woher die schlechte Laune der Männer kommt und was man dagegen tun kann.

Die meisten Beziehungen scheitern am Wochenende. Weil plötzlich der oder die Geliebte anruft? Oder ein Maxi-Cosi mit einem unehelichen Kind vor der Tür steht? Weil der Vater die Kinder im Supermarkt vergessen hat? Weil jemand die letzte intakte Kreditkarte bei »Hollister« ruiniert hat?

Nein: weil Männer schlechte Laune haben.

Und mit »scheitern« ist auch nicht gemeint, dass alles aus ist und die Beteiligten den Hausstand und die Kinder künftig auf zwei neue Wohnungen verteilen werden. Sondern: dass wieder etwas nicht geklappt hat, was man sich gemeinsam vorgenommen hat. Verständnis füreinander zu haben. Miteinander so zu leben, dass alle zufrieden sind. Oder: einfach nur ein schönes Wochenende zu haben.

Bei Thomas und Claudia in der Siedlung sieht man jeden Samstagvormittag das gleiche Bild: Die Männer streifen einsam oder mit Kindern durchs Viertel, und die Frauen treffen sich mehr oder weniger zufällig auf dem Hof oder bei den Mülltonnen und reden darüber, was die Männer wieder für eine »Scheißlaune« haben.