Männerklau - Melanie Wolkentanz - E-Book

Männerklau E-Book

Melanie Wolkentanz

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Beschreibung

Ist es der Reiz des Verbotenen? Ist es die Lust auf ein Abendteuer? War die Versuchung zu groß, oder die Freundschaft nicht tief genug? Wie auch immer. Melanie begeht Sünden. Sie macht Fehler – viele Fehler! Die Quittung wartet schon auf sie. Final bekommt man immer die Quittung! Jeder! Immer!

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Inhaltsverzeichnis

PROLOG

KAPITEL 1 - EINE WOCHE ZUVOR

KAPITEL 2 - VERBOTENE VERSUCHUNG

KAPITEL 3 - NEUE WOCHE, NEUES GLÜCK. ODER SO…

KAPITEL 4 - DISKO FEVER

KAPITEL 5 - SCHLECHTE NACHRICHT VON TOM

KAPITEL 6 - DAS BLIND DATE

KAPITEL 7 - DIE SHOW

KAPITEL 8 - BIS DASS DER TOD EUCH SCHEIDET!

KAPITEL 9 - AMSTERDAM

KAPITEL 10 - MEER!

KAPITEL 11 - ALLES ANDERS, ALS GEDACHT!

KAPITEL 12 - NORBERT

KAPITEL 13 - HOCHZEIT TEIL II

KAPITEL 14 - ENDE VOM GELÄNDE

KAPITEL 15 - ALLES AUF ANFANG

KAPITEL 16 - ROT ZU ROSA

KAPITEL 17 - FREUNDSCHAFT VOR DER ZERREIßPROBE!

KAPITEL 18 - OVERDRESSED

PROLOG

Zum wiederholten Male ergreift sie ihr Smart Phone. Hoffnungsvoll wandern ihre Augen über das Display. Keine neuen Nachrichten! Wie auch! Was sollte sich in den letzten zwei Minuten verändert haben?

„Ich verstehe das nicht!“, sagt sie. „In der Disko haben wir den halben Abend zusammen verbracht. Alles war perfekt. Es war wie in unseren besten Zeiten. Warum ruft er nicht an?“

„Keine Ahnung“, sage ich lapidar. „Kommt schon noch!“

Tja, wird sich ihr Traumprinz melden? Kann er sich überhaupt melden?

Immerhin hatte er sie gestern vorzeitig nach Hause geschickt, nur um dann alle Hebel in Bewegung zu setzen, um mich zu verführen. Keine vierundzwanzig Stunden zuvor hat er mich in seine starken Arme gezogen. Vor nicht einmal einem Tag bin ich der ungeheuerlichen Versuchung unterlegen, habe mich in seine Welt entführen lassen, hatte hemmungslosen Sex. In dieser verfluchten Nacht, mit ihm hatte ich mehr gefühlt, als ich es mir je in meinen kühnsten Träumen erhofft hatte.

Sie ist meine beste Freundin. Was macht man in solch einer Situation?

Reden? Schweigen? Den Seitensprung beichten? Keine Ahnung.

Wird sie mir solch einen Betrug je verzeihen? Mehr noch, kann ich mir das selbst vergeben? Und überhaupt! Werde ich der Versuchung zukünftig entsagen können? Immerhin war das schon unser zweites Malheur.

Viele Fragen – keine Antwort. Ihr Telefon schweigt, genauso wie meins!

KAPITEL 1 - EINE WOCHE ZUVOR

Trap dröhnt aus der Anlage, vielleicht ein wenig zu laut. Alle Lampen wurden abgedunkelt. In einigen Nischen flackern vereinzelt Kerzen, versetzen die urige, kleine Wohnung in ein mattes, goldenes Licht, verleihen der Atmosphäre etwas Romantik. Vielleicht ist es ein wenig zu dunkel, vielleicht sind es aber auch gerade diese äußeren Faktoren, dass dieses bunte Meer an Gästen in ein lockeres Gespräch vertieft ist, lacht, flirtet, trinkt oder einfach nur den Moment genießt. Ohne Zweifel kann unsere Party getrost als Erfolg verbucht werden!

Feiern ist mein Leben. Ehrlich, es gibt wenig, was mir mehr Spaß macht. Nur heute würde ich einen anderen Aufenthaltsort vorziehen. Heute war alles etwas zu viel.

Ich habe mich aus meiner letzten Unterhaltung ausgeklinkt, es mir stattdessen auf dem großen, grauen, gemütlichen Kord Sofa gemütlich gemacht. Langsam streiche ich über die Fasern, fühle den flauschigen Stoff. Wieder und wieder fahre ich mit den Fingern an den Rillen entlang. Das beruhigt mich irgendwie.

Ich bin betrunken. Mal wieder, würden böse Zungen behaupten.

Ich hingegen behaupte, dass das am Wochenende vertretbar ist.

Heute war die Eröffnung unserer kleinen, exklusiven Modeboutique "MBM". Der Name des Ladens gefällt mir nicht besonders. Es ist das Ergebnis eines hitzigen Wortgefechts. MBM war quasi die letzte Kompromisslösung, bevor wir uns gegenseitig die Köpfe eingeschlagen hätten. Mandy, Barbara, Melanie. Völlig phantasielos wurden die Anfangsbuchstaben unser Vornamen aneinandergereiht. Tja, das klingt nach Zickenterror, ist es aber nicht. Wir sind gleichberechtigte Geschäftsinhaber mit unterschiedlichen Geschmäckern, die ein gemeinsames Ziel verfolgen.

In einem alten Fachwerkhaus im Zentrum der historischen Altstadt von Celle haben wir die perfekte Lokation für unseren Traum gefunden. Unsere unbeschwerte Schulzeit ist allerdings vorbei. Mit einem Paukenschlag sind wir mündig, voller Verantwortung und Schulden.

Es ist an der Zeit, erwachsen zu werden! Alles hat sich verändert.

Unser Alltag wird von nun an bestimmt von langen Öffnungszeiten, Warenwirtschaft, Rechnungen, dem Steuerberater und dem Finanzamt.

Als selbsternannte Meisterinnen der Meinungsmanipulation hatten wir Im Vorfeld ordentlich die Werbetrommel gerührt, ein Bedürfnis, bzw. Neugierde geweckt, wiederholt Werbeanzeigen gestartet, Flyer verteilt, waren präsent in den sozialen Medien.

Nur heute wurden den zahlreichen Kundinnen Sekt for free ausgeschenkt, und ein einmaliger Sonderrabatt von zwanzig Prozent eingeräumt. Der Aufwand hatte sich gelohnt. Als Konsequenz wurden uns die Teile praktisch aus den Händen gerissen. Eine lange Schlange angeheiterter, teils hysterischer Weiber hatte sich an der Kasse gebildet. Unfassbar, wie gut es geklappt hat. Alle wollten noch etwas erstehen. Es war wie ein Kaufrausch.

Der erste Tag war also ungemein zufriedenstellend und lukrativ verlaufen. Alles traf genau unsere Erwartungen, also lassen wir es mit einer standesgemäßen After Work Party ausklingen. Für genug Getränke und Snacks hatten wir vorab gesorgt. Es sind wirklich sehr viele Leute hier. Mandys kleine Wohnung ist völlig überfüllt.

Ich kenne die Wenigsten von ihnen. Ausnahmslos alle haben sich schick gemacht, tragen Anzüge, Hemden mit Krawatten, edle Abendkleider. Es passt einfach in das Ambiente, und zu unserer Lebenseinstellung. Billig war gestern. Die ganze Welt steht uns offen. Zukünftig wird sich alles um Wohlstand, Exklusivität und Etikette drehen. Wir lassen das Gesinde hinter uns. Wir werden uns nur noch auf der Ebene der Upper Class bewegen.

Jupp, der Plan ist gut!

„Na, wovon träumst du? Du siehst so nachdenklich aus!"

Ich bleibe nicht lange alleine. Ein blonder Typ hat sich mit seinem Drink zu mir gesellt, sitzt nun direkt neben mir. Er lächelt mich freundlich an. Alle Achtung, die Natur hat es gut mit ihm gemeint.

Was für ein Schönling! Mit geschätzt siebenundzwanzig Jahren aber deutlich älter als ich. Er war mir, und sicherlich auch allen anderen, schon vorher aufgefallen. Durch seine lässige Art, seine Größe, das gute Aussehen sticht er einfach aus der Menge hervor.

Nein, er trägt keinen Anzug, auch keine Krawatte. Sein dunkelblaues Hemd ist schlicht, schimmert leicht silbrig, sitzt perfekt, ist eventuell maßgeschneidert. Auch seine dunkelblaue Jeans sieht teuer aus, ist sicherlich ebenfalls ein Markenprodukt.

„Keine Ahnung. Einem Lottogewinn, Sonne, Urlaub, Strand. Such dir etwas aus."

„Ehrlich jetzt?", fragt er, „Die Klassiker?" „Hey Kleine!“ Mandy erscheint auf der Bildfläche. „Rutsch mal!“

Ungefragt zwängt sie ihren wohlgeratenen Körper zwischen uns auf die Sitzgelegenheit. Das passt nicht wirklich. Wie die Ölsardinen sitzen wir nun eng an eng zusammengequetscht.

„Hier Mäuschen, nur für dich!“ Unaufgefordert landet ein gefülltes Glas in meiner Hand. Na toll. Meine angestrebte Ruhepause war also nur von kurzer Dauer.

„Prost!" Ihr Glas scheppert gegen meins.

„Ja, Prost", sage ich, setze artig das Glas an, nehme etwas lustlos einen Schluck. Für einige Sekunden belasse ich die Flüssigkeit in meinem Mund, bevor ich ihr den Weg in meine Kehle freigebe.

„Was ist das?", frage ich neugierig.

„Gin Tonic."

„Hm, nicht schlecht."

Tja, das Zeug ist schon lecker, frisch, sogar gekühlt, dennoch sagt mir mein gesunder Menschenverstand, dass jetzt ein guter Moment wäre, die Reißleine zu ziehen. Objektiv gesehen trinke ich schon seit heute Morgen. Wenn ich mich jetzt am Riemen reiße, bin ich morgen vielleicht noch halbwegs ansprechbar.

Eigentlich wäre heute eine gute Gelegenheit sich nicht abzuschießen! Diese Wahl habe ich aber wohl nicht. Mandy beobachtet mich. Ihre braunen Augen funkeln. Skeptisch verfolgt sie jede meiner Bewegungen, zieht ihre linke Augenbraue hoch, tadelt mich mit dieser Geste.

„Melli! Weißt du, welcher Tag heute ist?“, fragt sie.

„Sicher. Samstag.“

„Genau. Samstag.“

„Ja und?“

„Der Samstag, an dem wir eine Party feiern. Und damit meine ich keinen Kindergeburtstag! Eine Party! Unsere Party!“ Ungnädig landet ihr Ellenbogen in meiner Rippe - Aua.

„Mensch, Mandy, zum Geier! Du stresst!" Mein Ton ist nun genervt, aber sie kennt keine Gnade. Hartnäckig bleibt sie am Ball!

„Prost jetzt, oder es wird ungemütlich!"

Ich halte ihrem Blick stand, Rachegelüste flackern auf. Zu gerne würde ich ihr jetzt in Zeitlupe den kompletten Inhalt meines Getränks über den Kopf gießen. Das Szenario wäre bestimmt urkomisch! Nach kurzer Überlegung verwerfe ich diese hirnrissige Idee aber wieder, trinke den Drink stattdessen dann doch ganz aus. Dieses Mal in ganzen Zügen.

Bei Mandy wird immer gefeiert bis der Arzt kommt. Das Spielchen kenne ich schon zur Genüge. Die alte Nervensäge hätte eh keine Ruhe gegeben, mir gleich wieder eine verpasst.

„Zufrieden?“, frage ich trocken.

„Ja, einigermaßen. Genau genommen ist einer aber keiner!"

Sie grinst fies, hat die Pulle noch in der Hand. Süffisant füllt sie mein Glas mit der durchsichtigen Mixtur gleich wieder auf. Das von meinem Nachbarn auch. Das war vorhersehbar, leider. Die Chancen, dass ich diesen Abend katerlos überstehe, schwinden von Minute zu Minute.

„Wollen wir nächste Woche ins Kino gehen? Das haben wir ewig nicht gemacht“, sage ich versöhnlich.

„Ja, vielleicht. Lass uns später darüber reden.“

Sie wendet sich zu ihrer Linken.

„Tobi, ich habe nicht mit dir gerechnet. Du hättest anrufen können!“

Zu meiner Überraschung bin ich nicht mehr das Ziel ihrer Aufmerksamkeit. Stattdessen hat sie das Wort an den Typen gerichtet. Ihre Tonlage ist nunmehr allerdings äußerst unterkühlt.

Mir war nicht bewusst, dass sie sich kennen. Ich zumindest habe ihn noch nie gesehen. Daran würde ich mich sicherlich erinnern.

„So förmlich heute?“ Er lächelt belustig.

Sie schaut ihn verkniffen an. Scheinbar hatte sie auf eine andere Reaktion gehofft.

„Welche Form der Zusage wäre denn angemessen gewesen?

Schriftlich oder mündlich?“, spricht er weiter.

„Du stellst Fragen“, antwortet sie grantig.

„Hör mal, ich habe etliche Termine kurzfristig umdisponiert, nur um Eure Feier nicht zu verpassen. Ich hatte mit etwas mehr Euphorie deinerseits gerechnet.“

„Du hast dir wegen mir Umstände gemacht? Termine umorganisiert?“, fragt sie erstaunt.

„Sicher“, sagt er liebenswürdig.

Ihr grimmiger Ausdruck verschwindet. Seine charmante Art lassen ihre Wut merklich verrauchen. Sie wird weich, ganz weich. Ihre Abwehrhaltung wandelt sich.

„Gut, eventuell war ich etwas ungerecht zu dir. Vielleicht war eine formelle Zusage nicht zwingend notwendig. Natürlich haben wir mit vielen Gästen gerechnet.“

„Dann ist ja gut“, sagt er lapidar.

„Wie stehen die Aktien? Wie läuft es?“

„Ja, ganz gut, danke der Nachfrage."

„Und?", fragt sie weiter.

„Was und? Willst du jetzt über meine Arbeit reden? Das wäre ja ein ganz neuer Zug an dir."

„Natürlich nicht! Ich habe eher an SW gedacht."

Das war wohl das Tüpfelchen auf dem I! Von Sekunde zu Sekunde hatte man seinen ansteigenden Unmut erkennen können. Nun hat sich sein Lächeln endgültig verabschiedet.

„Mandy, ich wusste, dass das jetzt kommt. Ich bin noch keine zehn Minuten hier. Es ist immer die gleiche Leier mit dir."

Keine Ahnung, was zwischen den beiden geht, aber sie wirkt von seiner Reaktion verletzt, wirft ihm einen bitter bösen Blick zu, fixiert ihn förmlich.

„Wann gedenkst du, etwas zu ändern?"

Er bemüht sich um Fassung, bleibt relativ bestimmt:

„Du kennst die Antwort! Ich finde das Thema jetzt eher deplatziert. Bitte nicht schon wieder diese endlosen Debatten.

Nicht heute – ok?!"

Das war keine Bitte. Es gab einen gewissen Ansatz einer Drohung in seiner Stimme.

Der Gesprächsinhalt gibt mir Rätsel auf. Innerhalb kürzester Zeit hatten sich die Emotionen hochgeschaukelt, es in einen handfesten Streit ausarten lassen. Was ist denn SW?

Schwarz/Weiß?

„Weißt du – mir reicht es. Eigentlich schon seit Ewigkeiten. Fick dich! Oder besser - hau gleich wieder ab! Tschüss!" Unverzüglich springt Mandy auf, ohne etwas von ihrem bis zum Rand gefüllten Glas zu verschütten. Sie ist aufbrausend, dabei aber beneidenswert geschickt. Respekt!

Er hält sie an der Hand zurück. „Hey, ich bin doch hier. Es ist doch alles in Ordnung. Nun fahr wieder runter!", sagt er beschwichtigend.

„Es ist alles in Ordnung? Du bleibst also für länger?", fragt sie erleichtert.

„Wonach sieht es denn aus?"

„Gut, ich nehme dich beim Wort. Genaugenommen hatte ich das sowieso erwartet!“ Sie strafft ihre Haltung, bemüht sich um ein Lächeln. „Möchtest du noch etwas zu trinken? Warte, ich hole dir ein Bier. Oder nein, warte. Vielleicht eher etwas mit Koffein.

Damit du heute lange durchhältst.“ Nun grinst sie breit, zwinkert ihm noch einmal zu, begibt sich unmittelbar in Richtung Küche.

Ich schaue ihr hinterher, bin etwas verwirrt. Geht da etwas zwischen den beiden? Hat sie sich etwa verliebt? Ihr Verhalten ist ungewöhnlich. Selten zeigt sie Emotionen, ist mit ihren wechselnden Partnern so flatterhaft. Niemand aus ihrem engen Umfeld wird sagen können, wer oder was ihr wirklich etwas bedeutet, ausgenommen wir. Wir drei Mädels sind uns wirklich sehr vertraut. Wir sind wie eine Familie. Genau genommen stehen meine Freundinnen mir sogar näher als meine Blutsverwandten, sind de facto die wichtigsten Menschen in meinem Leben.

Mandy bleibt in unserem Blickfeld. Entgegen ihres Versprechens, macht sie keine Anstalten, ihm ein Getränk zu organisieren.

Entgegen seiner Erwartung, ist sie nun in ein sicherlich nur unbedeutendes Gespräch mit unserem Vermieter vertieft.

In diesem Punkt bin ich ganz anders. Eine Frau, ein Wort. Ein gegebenes Versprechen ist wie ein Vertrag. Wenn ich eine Zusage mache, halte ich diese auch ein. Um jeden Preis. Sie nicht!

Das Gespräch dauert an. Sie dreht uns betont ihre Kehrseite zu.

Der Anblick lohnt sich. Als Mann wäre ich jetzt hin und futsch. Ihr rotes Kleid ist raffiniert, der absolute Hammer, stammt aus unserem Sortiment. Ihre Gestik vollführt sie so ungemein kokett, ihre platinblonden Haare tanzen bei der kleinsten Bewegung hin und her, sehen so seidig aus. Sie ist wirklich eine Erscheinung. Rot ist sowieso meine Lieblingsfarbe.

Er widmet sich wieder mir zu. „Und? Du hast meine Frage noch nicht beantwortet."

„Welche Frage?"

Er lacht auf. „Du bist gerade in einer Parallelwelt - oder? Aber egal. Ich bin Tobias." Freundlich schüttelt er meine Hand.

„Melanie! Nett dich kennen zu lernen."

„Melanie, die Frau mit den großen Träumen!“, sagt er.

„Machst du dich jetzt über mich lustig?“

„Nein, gar nicht. Die Nummer mit dem Urlaub kaufe ich dir aber nicht ab. Du hast eher wie zehn Tage Regenwetter ausgeschaut.“

„Warum interessiert dich das überhaupt?“

„Keine Ahnung. Dein Gesichtsausdruck wirkte so tiefgründig. Es wäre schon interessant, welches akute Thema eine so schöne Frau so faszinieren kann!"

„Ja, genau!“ Schallend lache ich los. Das war echt zu dämlich.

Irritiert schaut er mich an. Sicherlich hatte er mit einer positiven Resonanz auf sein plattes Kompliment gerechnet.

„Also, woran denkst du wirklich?", fragt er.

„Du willst wissen, was mich beschäftigt. Ehrlich jetzt? Ein Mann möchte Hintergrunddetails aus der überaus komplexen Gefühlswelt einer Frau? Willst du dir das wirklich antun?"

„Sicher, ich kann das vertragen!"

Ich muss lachen. „Meine Antwort wird dich enttäuschen. Ich denke an nichts, wirklich an rein gar nichts. Mein Kopf ist total leer. Der Tag war einfach zu anstrengend. Ehrlich, ich bin seit fünf Uhr auf den Beinen. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal so kaputt war. Ich bin einfach nur noch ein hirnloser Zombie, ein Lückenfüller, eine Deko. Für den restlichen Abend glänze ich hier leider nur noch durch meine Anwesenheit."

Ja, in der Tat. Neben der Tatsache, dass ich betrunken bin, bin ich total erledigt. Das Arbeitsvolumen vor der Eröffnung hatte ich komplett unterschätzt. Hinzu kam mein Umzug in meine erste eigene Bude. Über drei Wochen haben wir geschuftet wie die Tiere. Nun ja, zumindest das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Meine beiden Zimmer wurden liebevoll eingerichtet, sind fast fertig. Mit der Raumaufteilung hatte ich mich von Feng Shui inspirieren lassen, habe das aber nicht in allen Punkten berücksichtigt. Das ist wirklich eine Wissenschaft für sich. Wichtig war für mich der Harmoniegedanke. Meine Wohnung soll im Einklang sein, für mich ein Rückzugsort werden, meine feste Burg!

Der Typ stößt mich an, bringt mich wieder in die Realität zurück.

„Das kann ich verstehen. Möchtest du alleine sein?"

„Nein, ist schon gut. Ich war wohl etwas in Gedanken."

Ach ja, er nervt mich. Jeder der hier Anwesenden nervt mich, aber ich muss wohl wieder meinen Pflichten nachkommen. Ich darf die Gäste nicht vernachlässigen. Die Party ist wichtig. Als eine von drei Gastgeberinnen, sollte ich für Entertainment sorgen. Das bin ich dem Team schuldig. Immerhin sind viele finanzstarke, neue potentielle Kundinnen mit ihren Partnern anwesend. Also straffe ich meine Erscheinung. Im Gegensatz zu meiner Freundin will ich aber hier und heute nicht sexy, sondern eher souverän und weltgewandt rüberkommen. Ich setze also meinen intellektuellen Gesichtsausdruck auf, lächele freundlich, täusche echtes Interesse vor.

„Du kannst mir ja etwas von dir erzählen. Ich denke, es wäre eine nette Idee, wenn du mich in meiner Lethargie mit Worten berieselst.“

Er lächelt. „Klar, sehr gerne. Ich habe gestern eine interessante Doku gesehen. Es war sehr aufschlussreich. Es hat mich ziemlich gefesselt. Also, es begann folgendermaßen: es war einmal ein Mann, der hatte sieben Kinder und die sieben Kinder sprachen:

„Vater erzähl uns eine Geschichte. Da fing der Vater an: „Es war einmal ein Mann, der hatte sieben Kinder, und die sieben Kinder sprachen: „Vater, erzähl uns eine Geschichte.“. Da fing der Vater an: „Es war...“

„Ja, schon klar“, unterbreche ich ihn. „Sag mal, willst du mich verarschen?“

Er lacht. „Niemals! Ich wollte nur mal sehen, wie lethargisch Du wirklich bist“

„Okay. Ganz so schlimm ist es wohl doch nicht. Etwas anspruchsvoller könnten unsere Themen schon sein. Wie lange kennst du denn Mandy schon? Du hast deine Einladung also von ihr bekommen?“

Sein Ausdruck wandelt sich. Sein Gesicht spricht Bände. Er hasst dieses Thema, zumindest im Moment. Dennoch antwortet er freundlich. „Eine Weile, keine Ahnung.“

„Wo habt Ihr Euch kennen gelernt? Wohl nicht bei der Arbeit“, frage ich ungerührt weiter.

„Keine Ahnung. Wie gesagt, ist schon etwas her.“

„Wie oft lügst du so am Tag?“

„Bitte was?“ fragt er gespielt empört.

„Du musstest etliche Termine verschieben, um hier um Mitternacht aufzuschlagen? Das kannst du deiner Großmutter erzählen. Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum Mandy dir diese armselige Nummer so anstandslos abgekauft hat!“

Er lacht, findet meinen Einwand scheinbar eher witzig, als dass er ein schlechtes Gewissen hat.

„Vielleicht, weil es stimmt. Ich arbeite hart. Auch am Wochenende.“

„Nun gut, was machst du denn beruflich? Aktien?"

Er grinst leicht amüsiert. „Nein, keine Aktien! Eine ganz andere Branche. Ich bin Ingenieur. Ich arbeite hier an einer lokalen Firma an einem speziellen Projekt."

„Interessant. Was denn für ein Projekt?"

„Im Bereich Energieeffizienz. Nähere Details wären aber sicherlich Fachchinesisch für dich."

„So, meinst du? Liegt es an meiner Haarfarbe, dass du das denkst?"

Ich bin etwas pikiert. Ich finde seine Antwort eher unpassend.

Er prustet los. „Möchtest du jetzt fachsimpeln? Kennst du dich mit Elektrotechnik aus?"

„Eher nicht. Aber es hätte ja sein können. Du hast mich einfach als Blondine abgestempelt. Das ist nicht okay!", sage ich ernst.

Er lacht wieder. „Das war nicht persönlich gemeint. Du bist blond.

Damit hat es aber nichts zu tun. In der Regel interessieren sich Frauen nicht für meine Arbeit! Es gab gerade mal ein Mädchen in meinem Studiengang. Das sind einfach die Fakten! Wenn du möchtest kann ich dich gerne in die Materie einführen. Könnte aber langweilig werden."

Puh, dazu fällt mir jetzt nichts mehr ein. Wieso ist er so nett?

Meine Ignoranz, mein Desinteresse an seiner Person sind so offensichtlich. Jeder andere hätte diese fruchtlose Unterhaltung bereits entnervt aufgegeben.

Bis jetzt hatte ich es vermieden, nun aber schaue ihm direkt ins Gesicht. Er hat wirklich strahlend blaue Augen. Eisblau oder Himmelblau - keine Ahnung? Vielleicht ist das schönste Blau, das ich je gesehen habe. Sein Blick ist intensiv, aufgeschlossen, trifft meinen. Unfassbar! Das geht mir irgendwie durch und durch. Es fühlt sich an, als wäre er in der Lage in mein Hirn einzudringen, als könnte er meine unzulänglichen Gedanken lesen. Hilfe, damit verunsichert er mich zutiefst.

Lieber wende ich mich ab, trinke stattdessen mein zweites Glas zügig aus. Der Alkohol ist jetzt doch sehr wohltuend, tröstet mich, rauscht im Sinkflug durch meine Adern, wärmt mich wie ein Heizkissen von innen. Leider kann auch das die Tatsache nicht vertreiben, dass ich jetzt hier eigentlich nur noch weg will - in meine neue, total gemütliche Wohnung, mit der coolen gemusterten, blauen Tapete, mit dem riesigen Himmelbett, das mich schon zu rufen scheint.

„Melanie!"

„Hm, was denn?"

„Hast du Kummer? Ich glaube, du bist die traurigste Person im ganzen Raum."

Irritiert schüttele ich den Kopf. „Nein, wie kommst du darauf? Es gibt kein Problem! Ich bin nur einfach müde."

„Ja, das sehe ich. Soll ich dich nach Hause bringen?", fragt er zögernd.

„Nein! Auf keinen Fall" Ich besinne mich. Warum bin ich so unhöflich zu ihm? Großes Rätsel! Tendenziell ist sein Benehmen tadellos. Ich muss versuchen, ihn nicht weiter vor den Kopf zu stoßen, bemühe mich jetzt, etwas freundlicher zu klingen, spreche extra einfühlsam.

„Das würde sich aber auch nicht lohnen. Meine Wohnung liegt hier direkt unter der von Mandy. Ich muss also nur zweimal die Treppe runterfallen, dann bin ich im Bett!"

„Na dann. Soll ich dir noch etwas zu trinken holen?"

Seine Stirn hat sich in fragende Falten gezogen, was ihn irgendwie noch männlicher und attraktiver macht. Verflixt! Dieser Kerl, unser Gespräch verunsichern mich, entsprechen definitiv nicht dem üblichen, oberflächlichen Small Talk, der hier angemessen wäre. Irgendwie kommt er mir zu nah, oder baggert mich an.

Keine Ahnung, worauf das hinauslaufen könnte. Es ist sicherlich besser, sich aus der Affäre zu ziehen. Ein Schönling bleibt immer ein Schönling. Auf solche Typen hatte ich noch nie Lust. Seine nächste Frage warte ich nicht ab, stehe lieber auf, nicke freundlich.

„Danke, aber ich gehe schnell selbst. Du entschuldigst mich".

Somit lasse ich ihn mit sich selbst zurück. Im Western würde ich jetzt eine riesige Staubwolke hinterlassen. Hier in der Wohnung nur leere Luft. Vielleicht kann Barbara mich aufheitern?

Sie steht mit ihrem Gesprächspartner am Fenster, raucht, nimmt gerade den letzten Zug, inhaliert das Zeug genüsslich, schnippt die Kippe dann mit einer lässigen Bewegung hinaus. Der glühende Stummel hüpft im Zickzack über die pechschwarzen Ziegel, landet nach einigen Metern in der Dachrinne, ertrinkt dort jämmerlich in einer Pfütze. Ich muss grinsen. Das ist sicher nicht ganz nach den Vorschriften, war vielleicht auch ein Joint, aber egal.

Überrascht schaut sie auf als ich ihre Hand nehme. Sofort unterbricht sie ihren Dialog. Es ist nicht zu übersehen, dass sie sich über mein Auftauchen freut. Spontan küsst sie mich auf meine Stirn. Das ist für Außenstehende vielleicht etwas abstrus, aber wir sind uns einfach ziemlich vertraut. Busenfreundinnen?

Nein, wir sind hetero. Soweit geht das dann doch nicht.

„Na Kleine, gefällt dir die Party? Amüsierst du dich?", fragt sie.

„Ja, ist ok!"

Sie nickt zu ihrem aktuellen Gesprächspartner. „Das ist Frank Fuhrberg. Ihm gehört das große Fuhrberg Autohaus im Gewerbegebiet."

Ich lächele, bemühe mich aufrichtig um einen freundlichen Gesichtsausdruck, reiche die Hand.

„Melanie, nett dich kennen zu lernen."

„Die Freude ist ganz meinerseits!", sagt er, nickt mir ebenso wohlwollend zu, spricht dann weiter: „Kennen wir uns? Dein Gesicht kommt mir so bekannt vor. Habe ich dich letztes Jahr bei einem Neuwagen beraten?“

Ich muss ein Seufzen unterdrücken. „Eher nicht“, sage ich, finde seine Anmerkung ganz absurd. Natürlich kann ich mir keinen Neuwagen leisten. Davon bin ich wirklich Meilenweit entfernt!

„Den Kontakt sollten wir auf jeden Fall vertiefen“, sagt Barbara.

„Ja, wir Unternehmer sollten zusammenhalten“, sage ich, finde meine Antwort aber plötzlich eher wenig geistreich. Himmel, wie mich dieser Spruch und diese ganze Förmlichkeit inzwischen ankotzen. Mein einstudiertes Lächeln gefriert, wird zu einer Maske. Gefühlt habe ich heute schon tausend Hände geschüttelt, deutlich mehr Leute kennen gelernt, als mir lieb ist.

Ich bin kreativ, eine Künstlerin. Wohl nicht der Typ, der gerne Türklinken putzt, oder der high Society den Hintern abwischt. Tja, aber genau das gehört jetzt wohl zu meinem Job. Zum Einstieg werden wir alles Erdenkliche anstellen. Zu Kreuze kriechen, wenn das erforderlich wird, damit wir schnellstmöglich einen Fuß in die Tür bekommen.

Mein Blick fällt auf Frank. Die beiden hatten ihre Unterhaltung fortgesetzt. Ungeniert mustere ich ihn von oben bis unten.

Zugegeben, er sieht gut aus, wie die meisten Anwesenden. Im Vergleich zu den Anderen ist er mir aber von Anfang an unsympathisch, warum auch immer. Sein Äußeres ist auf jeden Fall zu perfekt, fast spießig. Jedes seiner dunkelbraunen Haare sitzt am rechten Fleck. Sein grauer Anzug ist frisch gebügelt, oder neu. Die gestreifte Krawatte perfektioniert das Erscheinungsbild.

Falten, mein Gott, er hat Falten um die Augen. Er ist bestimmt schon an die vierzig. Für mich hat das schon Rentnerniveau.

Das Gespräch macht es auch nicht besser, dreht sich jetzt um Absatzmärkte und den aktuellen Skandal von VW. Ich muss ein Gähnen unterdrücken. Herrje, ist das langweilig. Lieber lasse ich die beiden alleine. „Bis später!"

Mein soziales Kontingent habe ich für heute ausgeschöpft, wirklich komplett ausgeschöpft!

Es klingelt an der Tür. Hm, wer könnte das sein? Es ist bestimmt schon weit nach Null Uhr! Erneut tönt die Klingel. Energisch!

Dieses Mal gleich mehrfach. Egal, wer das ist – er verlangt nach unverzüglichem Einlass. Hoffentlich ist das nicht die Polizei. Unser Geräuschpegel sprengt ohne jeden Zweifel das erlaubte Maß um einiges. Da Mandy nicht reagiert, bin ich nun diejenige, die sich durch die Massen drängelt, um dem Besucher Zutritt zu gewähren. Das Unterfangen gestaltet sich schwierig. Penetrant bleiben die Personen stehen. Massige Körper wollen sich einfach nicht vom Fleck bewegen. Jemand tippt mir auf die Schulter.

„Melanie!"

„Ja, was ist denn?"

„Kann ich eventuell Ihre Telefonnummer bekommen?"

Oje, mit dem Gast hatte ich mich vorhin schon unterhalten. Den Namen habe ich schon wieder vergessen, oder verdrängt.

Scheinbar ist er wohlhabend. Er trägt einen schnieken schwarzen Designeranzug, eine dicke Rolex ziert sein Handgelenk. Trotzdem, in keinster Weise entspricht er meinem Geschmack. Seine Statur ist klein, untersetzt, leicht dicklich. Wieder klingelt es.

„Einen Moment, bitte. Ich muss eben zur Tür."

Geschickt ziehe ich mich aus der misslichen Lage, öffne etwas verspätet. Schaue etwas perplex unserem Nachbarn Norbert ins Antlitz.

„Hi Melli!"

„Hi, ewig nicht gesehen. Das ist ja schön! Komm rein!", begrüße ich ihn fröhlich. Den Kerl kenne ich schon seit Ewigkeiten. Er kommt aus meinem Heimatdorf. Spontan drücke ich ihm einen Kuss auf die Wange. Das ist ja mal eine freudige Überraschung. Er ist meine Rettung. Norbert ist wirklich ein ganz netter. Er ist vielleicht einer der nettesten Männer, die ich kenne.

„Lieber nicht. Ich komme gerade vom Lernen. Ich wollte jetzt eigentlich schlafen. Ihr seid ganz schön laut! Könnt ihr eventuell etwas leiser sein?" Er spricht verhalten, sieht wirklich geschafft aus.

„Tja, das wird schwierig. Schau dich um. Wir können aufgrund eines Einzelschicksals jetzt ja wohl nicht alle nach Hause schicken.

Ich denke, da hast Du wohl keine Wahl. Da musst du eben mitfeiern!"

„Aufgrund eines unbedeutenden Einzelschicksals? Wolltest du das damit ausdrücken? Du bist eiskalt!“

„Dreh mir nicht immer die Worte im Mund herum!“, sage ich drohend. „Feiern oder nicht Feiern! Das ist hier die Frage!“

Er lacht, lässt sich breitschlagen, betritt den Raum, zieht seine Jacke aus, und hängt sie an die eh schon überfüllte Garderobe.

„Na schön, meinetwegen. Ich habe wohl eh keine Wahl. Habt Ihr Bier?"

„Ja, klar. In der Küche! Du kennst dich ja aus."

Norbert ist attraktiv, großgewachsen, hat dunkle, kurze Haare, trägt eine verschlissene, schwarze Jeans und ein braunes, bedrucktes Shirt - LIVE YOUR DREAM - OR DIE. Optisch passt er heute so gar nicht in den Rahmen. Er wirkt wie ein Fremdkörper, aber das ist egal, tut seiner Stimmung keinen Abbruch.

Ohne Umschweife hat er sich ein Getränk besorgt, dreht entspannt eine Runde, schaut nach bekannten Gesichtern, ist aber schon nach zwei Minuten wieder bei mir gelandet.

„Was sind denn das für Leute? Wie habt ihr es geschafft, so viele langweilige Spießer auf einen Haufen zusammen zu bekommen?

Ist hier irgendwo ein Nest?"

Ich wollte es eigentlich nicht, aber ich lache laut auf, zucke dann unschuldig mit den Schultern: „Alles Bekannte von Barbara!"

„Tatsächlich? Na dann Prost!" Er setzt die Flasche an, schaut dann aber skeptisch. „Trinkst du gar nichts? Bist du krank?"

„Nein, nicht krank. Keine Ahnung! Es ist ein Desaster, aber gerade heute bin ich nicht in Stimmung!"

„Alles klar. Ich bewundere deine Professionalität. Ich könnte das hier keine fünf Minuten nüchtern aushalten!"

„Business. Ist eben so." Meine Antwort war eher gedämpft.

„Möchtest du etwas essen? Es gibt auch noch Süßes?", frage ich betont charmant.

„Nein, danke. Mir ist der Appetit vergangen. Hast du gehört, dass schon wieder ein Mädchen verschwunden ist? Das ist nun schon die Dritte!", sagt er.

„Ja, so am Rand. Ich schaffe die Nachrichten eher selten."

„All diese Frauen sehen sich so ähnlich. Sie sind wie vom Erdboden verschluckt. Meinst du, dass sie noch am Leben sind?", fragt er.

„Keine Ahnung. Ehrlich gesagt, hasse ich diese Sache. Das zieht mich nur runter."

„Na gut, dann wechseln wir das Thema. Du siehst heute sehr hübsch aus", sagt er, grinst schelmisch.

„Ehrlich jetzt? Du machst mir Komplimente?", frage ich zweifelnd.

Er lacht. „Ja, ich kann nicht anders. Dein Kleid ist der Hammer.

Eigentlich kenne ich dich nur in Hosen. Früher bist du immer wie ein Junge herumgelaufen!"

Ja früher, früher war alles anders. Ich habe meine Lektion inzwischen gelernt. Die alte Melanie gibt es nicht mehr. Sie wurde von der Perfektion, der Reinkarnation von Barbie ausgetauscht.

Ich quetsche mich in unbequemes Schuhwerk, trage enganliegende, raffinierte Outfits, erwecke Männerphantasien, vielleicht auch Hoffnungen. Gutes Aussehen erleichtert alles, eröffnet so viele Möglichkeiten.

„Tja, früher gab es auch noch keine beschissenen Attentate oder genmanipulierten Mais!" Mist, das ist mir so raus gerutscht. Der Stress der letzten Wochen hat mich irgendwie in eine unausstehliche Ziege verwandelt. Schon wieder bin ich unhöflich.

Bei Norbert will ich das eigentlich unbedingt vermeiden. Ich mag ihn wirklich. Unser Blick fällt auf seine Flasche. Er hatte sie in der Zwischenzeit geleert.

„Ich hole mir noch eins. Bis gleich!", sagt er, und verschwindet in der Küche.

Ist er beleidigt? Mein Ton war schroff. Soll ich mich jetzt bei ihm entschuldigen? Geht leider nicht. Der Zwerg mit der Rolex hatte wohl auf diese Gelegenheit gewartet. Nun steht er direkt neben mir, zupft an meinem Kleid. Mist, meine Antwort steht noch im Raum. Er glotzt mich erwartungsvoll an.

„Melanie, Sie sind wirklich heiß begehrt. Soll ich Ihnen etwas zu trinken holen? Gerne würde ich noch etwas mit Ihnen besprechen!"

Seine Ausdauer ist bewundernswert. So ein Pech! Etwas konsterniert schaue ich auf ihn runter, betrachte das Elend. Es ist inzwischen doch ziemlich warm im Raum. Er hat deutlich zu viel an. Seine Wangen sind schon rot verfärbt, kleine Schweißtropfen sind über das ganze kleine, dicke Gesicht verteilt, ein leichter Schweißgeruch umhüllt seine Statur.

Ach ja, fraglos wird das wohl eine verdammt lange Nacht werden.

Vielleicht sollte ich es Norbert gleichtun, doch mehr trinken. Das könnte mir den Abend deutlich versüßen, damit ich das öde Geschwafel hier ertragen kann. Aber nicht mit Bier!

„Einen Moment, bitte!" Unverzüglich schiebe ich meinen Hintern rüber zu Mandy, die die Flasche immer noch verwaltet.

„Na, flirtest du wieder mit deinem Zukünftigen? Habt Ihr Spaß?", neckt sie mich gleich.

Zur Strafe kneife ich sie in den Po.

„Du sollst das nicht immer sagen! Ich bin wie eine Schwester für ihn. Er findet mich nicht einmal annähernd attraktiv!"

Sie grinst blöd, zeigt zu ihm rüber. „Du hast ja keine Ahnung.

Siehst du denn nicht, wie Norbert um dich herumschwänzelt, wie er dich immer beobachtet?"

Ich schaue mich um. Tatsächlich hat sich sein Blick auf mich geheftet, wirkt etwas verträumt. Scheinbar ist er nicht sauer auf mich. Das ist gut. Trotzdem will ich das nicht thematisieren. Mein Liebesleben geht sie nichts an.

„Nein, weil es nicht so ist!" Provokativ halte ich ihr mein Glas hin.

„Los, diskutiere nicht, rück rüber die Scheiße!"

Sie lacht. „Endlich erkenne ich meine kleine Barbie wieder - yeah."

Sie schenkt großzügig ein. „Los, ex und hopp!"

Jetzt lassen wir es krachen, mein innerer Schweinehund übernimmt die Führung. Mir ist alles egal.

Party hard - die young! Schlafen wird überbewertet.

Morgen ist frei, dann kann ich mich auch volllaufen lassen.

Jeder, der will oder nicht, wird abgefüllt, inkl. Zwerg. Alle Zweifel und Skrupel werden über Bord geworfen. Wir drehen die Musik auf, saufen, tanzen, feiern exzessiv, bis sich alles dreht. Bis ich nicht mehr weiß, wo oben oder unten ist. Egal, einer geht noch…

KAPITEL 2 VERBOTENE VERSUCHUNG

Etwas streicht über meinen Arm. Die Berührung ist warm, kitzelt, ist aber nicht unangenehm. Das ist merkwürdig, sehr merkwürdig.

Eigentlich kann ich mich nicht wirklich an gestern erinnern. Ich war auf der Party, und dann? Eigentlich schlafe ich immer alleine!

„Hey aufwachen!" Jemand rüttelt mich sanft. „Hallo! Mach die Augen auf! Es ist schon zehn Uhr."

Ich folge dem Befehl, und wäre fast aus dem Bett gefallen vor Schreck. Ach du meine Güte! Etwas ernüchtert scanne ich meine Umgebung. Die gute Nachricht ist, dass ich meine blumige Tapete erkenne. Ich habe es also in mein eigenes Bett geschafft. Die schlechte, wirklich überaus schlechte ist, dass ich nicht alleine bin.

Offensichtlich habe ich gestern doch tatsächlich den Schönling mit nach Hause genommen.

Unsicher hebe ich meine Decke hoch, schaue darunter, sehe nur Haut. Scheiße! Ich bin nackt! Er sitzt direkt neben mir auf dem Bett, trägt ebenfalls wenig. Eigentlich nur Shorts und Socken, aber wohl nur, weil er frischen Kaffee gekocht hat. Gerade hält er mir einen dampfenden Becher vor die Nase. Zweifelsohne fühlt er sich hier schon ganz wie zu Hause. Zumindest hat er keine Skrupel sich in meiner Küche zu bedienen.

"Hm, du freust dich wohl nicht, mich zu sehen. Das ist schade.

Nach solch einer außerordentlich exzessiven Nacht hatte ich mit etwas mehr Enthusiasmus deinerseits gerechnet!", sagt er, grinst breit.

„Oh Gott!" Hilfe, nein, wie peinlich ist das denn? Eher aus Reflex ziehe ich mir mein Oberbett über den Kopf. Am liebsten würde ich im Erdboden versinken, oder mich in Luft auflösen.

Nun ist es dunkel, warm, stickig. Ich weiß, mein Verhalten ist lächerlich. Sicherlich wird er mich für eine komplette Idiotin, oder für eine Verrückte halten. Wenigsten für eine kleinen Moment hätte ich noch gerne die Illusion, dass das alles nicht passiert ist.

Wenigstens noch für eine Minute! Langsam zähle ich die Sekunden: sechzig, neunundfünfzig, achtundfünfzig, siebenundfünfzig..............drei, ........zwei.......eins!

Ich entblöße wieder meinen Kopf, setze mich auf. Meine Decke benutze ich wie ein Schutzschild, verhülle akribisch meinen Körper. Außer dem Kopf und Hals lasse ich keine zusätzliche Haut aufblitzen.

Etwas ratlos schaue ich zu ihm rüber. Zweifellos habe ich mit ihm geschlafen. Alle Indizien sprechen dafür, aber ich kann mich wirklich an nichts erinnern. Nicht an ein verfluchtes Detail. Verdammt!

Er sieht niedlich aus, wirkt etwas verschlafen, ist ohne Klamotten nicht weniger ansehnlich. Seine blonden Haare sehen zerzaust aus, stehen in alle Richtungen ab.

„Na also. Es ist doch allen in Ordnung“, sagt er lieb.

Wie selbstverständlich berührt er mich, streicht mir sanft eine Haarsträhne aus meinem Gesicht. Schiebt diese hinter mein Ohr.

Eine zärtliche Geste, irgendwie schön.

„Vielleicht hätte ich dich nicht wecken sollen“, fährt er fort. „Das ist sicherlich unverzeihlich.“ spricht er weiter.

Seine Stimme hat fürwahr einen beruhigenden Effekt auf mich.

Tatsächlich entspanne ich mich etwas, aber nur kurz. Seine Hand wandert weiter, fährt tiefer, streicht nur mit der Fingerkuppe an meinem Hals entlang, dann über mein Schlüsselbein. Jetzt hat sie den Rand der Decke erreicht.

Hilfe, was ist nur los mit mir. Warum lasse ich diese Berührung zu? Endlich löse ich mich aus meiner Starre. Betont abweisend drehe ich meinen Oberkörper weg, entziehe mich ihm, spreche halbwegs gefasst: „Hör mal, keine Ahnung, was gestern passiert ist, aber wir vergessen das hier einfach - okay? Wie war noch einmal dein Name? Torsten, oder Thomas oder was?"

Sein Grinsen wird noch breiter. „Ja, gerne, Maria, oder, ach nee, war es Marianne?" Schallend lacht er los, als er mein bedröppeltes Gesicht sieht. Das ist echt ein Scherzbold. „Vielleicht trinkst du erst einmal deinen Kaffee. Dann sieht die Welt bestimmt gleich wieder besser aus. Hier, ich habe dir dazu ein Brot gemacht. Brauchst du vielleicht eine Kopfschmerztablette?

Ich habe welche dabei." Demonstrativ nickt er zu seiner Jacke.

Er versucht jetzt lieb zu sein. Eigentlich ist die Aktion mit dem Frühstück überaus freundlich. Er hätte sich auch einfach davonschleichen können.

„Nein danke, geht schon", antworte ich matt.

Gut, ich mache dann eben das Beste aus dieser Situation.

Zurückhaltend nehme ich den Becher entgegen, nippe nur einen Schluck. Der Kaffee ist noch heiß, schwarz und total stark. In dieser Form vertrage ich den überhaupt nicht. Das ist eklig.

Angewidert stelle ich das Gefäß weg, beiße stattdessen von meinem Brot ab. Es ist frisch getoastet, also warm und knusprig, mit Butter und fruchtiger Erdbeermarmelade beschmiert. Der Zucker geht sofort ins Blut. Ich fühle mich gleich besser. Wer hätte das gedacht? Ich schaue zur Seite. Er beobachtet mich, unsere Augen treffen sich. Sofort bin ich wieder verstört. Hilfe, was habe ich nur getan? Warum, zum Geier, habe ich ihn mit in meine Wohnung genommen?

Er ist die Ruhe selbst. Er ist wirklich total entspannt. Isst selbst ein Brot, grinst mich zwischendurch an, wirkt von der Situation ziemlich belustigt während ich von alle dem komplett überfordert bin. Noch nie bin ich in solch einer kompromittierenden Lage gewesen. Für solche Momente fehlt mir jegliche Erfahrung. Haben wir uns gestern auch unterhalten? Was weiß er von mir?

Hoffentlich haut er bald ab.

„Deine Wohnung ist sehr gemütlich. Du bist gerade erst eingezogen – oder? Hast du die Bilder selbst gemalt?“

Scheinbar will er die Stimmung auflockern, oder interessiert er sich etwa tatsächlich für Kunst? Das ist wirklich ein Steckenpferd von mir. Ich folge seinem Blick. Die ganze Wohnung ist übersät mit meinen Gemälden. Ich hatte gelernt, meine Gefühle durch Bilder auszudrücken, mich damit zu beruhigen, auf andere Gedanken zu kommen. Inzwischen habe ich schon viele Varianten und Materialien getestet. Mit Kohle zeichne ich am liebsten. Die Ergebnisse sind in schwarz/weiß gehalten. Leider, oder gewollt.

Sie sind sehr düster, nicht wirklich ein Augenschmaus, zumindest nicht für Laien. Diese Werke liegen allesamt im Keller. In der Wohnung habe ich nur meine Ölgemälde aufgehängt. Einige sind abstrakt. Dicke, bunte Farbschichten stapeln sich übereinander, die Resultate meiner Exzesse sind wirklich sehr speziell.

„Du redest morgens wohl nicht viel?", fragt er enttäuscht.

Scheinbar hatte ich noch nicht geantwortet. Egal, ich bin müde, verkatert, habe Kopfschmerzen. Sowieso wächst mein Unmut von Minute zu Minute. Er soll endlich abhauen! Tut er aber nicht.

Seelenruhig trinkt er seinen Kaffee, bleibt eisern sitzen. Ich beiße wieder von meinem Toast ab, starre etwas missmutig die Wand gegenüber an.

„Melanie, du bist wunderschön wenn du verschlafen bist."

Nun gut, er kennt meinen richtigen Namen wohl doch.

„Du kannst dich tatsächlich an nichts erinnern?", fragt er.

„Nein, gar nicht. Zweifellos war das eine schlaffe Nummer mit dir, sonst hätte es bei mir wohl einen bleibenden Eindruck hinterlassen!"

Er lacht, lässt sich mal wieder von meiner unhöflichen Art nicht beeindrucken, spricht gelassen weiter: „In der Tat. Wir waren zusammen im Bett. Wir haben uns geküsst, und du bist dabei einfach eingeschlafen. Das war hart. Das hat meine Männerehre schon ein wenig angekratzt!"

„Ehrlich jetzt? Ich bin eingeschlafen? Es war gar nichts zwischen uns?“, frage ich erstaunt.

Meine Laune bessert sich. Ein Stein fällt mir vom Herzen. Wirklich ein riesen Brocken. Er hat mich also auf den Arm genommen. Die Nacht war also weder außerordentlich, noch exzessiv gewesen.

Wir waren gar nicht intim. Das ist gut! Dieses Mal hatte ich alles richtig gemacht. Ausnahmsweise Mal alles richtig gemacht - yeah!

„Bist du satt?“

„Ja, danke“, antworte ich höflich.

Er nimmt mir den Teller ab, stellt ihn weg. Wieder setzt er sich zu mir auf das Bett. Seine Augen blitzen, als er spricht. „Nein, es war nichts! Gestern warst du gar nicht mehr in der Lage dafür. Heute stehen die Chancen wohl ein wenig besser." Sein hübsches Gesicht kommt mir sehr nahe, seine Lippen berühren meine, sind sehr weich und samtig. Der Kuss ist vorsichtig und zurückhaltend.

Ich zucke zusammen als sich kurz darauf seine Zunge in meinen Mund drängt, auf meine trifft. Das war wie ein elektrischer Stoß. Ich zucke zurück.

„Sorry Mr. T., das haut nicht hin. Ehrlich, du musst jetzt gehen!"

„Hey, es ist ok, du kannst mir vertrauen! Lass es einfach zu!“ Seine Stimme ist leise und sanft. Seine Lippen senken sich wieder auf meine, mit beiden Händen umfasst er meinen Hals.

Nein, er würgt mich nicht. Mit sanftem Druck sorgt er dafür, dass ich mich dem nicht entziehen kann. Nun ist er auch nicht mehr vorsichtig, sondern fordernd und leidenschaftlich.

Tja, sicherlich sollte ich ihm jetzt eine knallen, ihn von mir stoßen, ihn verprügeln, aber ich kann nicht. Es fühlt sich gut an. Sein Kuss nimmt mir die Luft zum Atmen, entfacht eine Hitze in meinem Unterleib, ein Feuer, das mir bis jetzt unbekannt war. Will ich das?

Will ich das nicht? Seine Hand fährt unter meine Decke, streicht gemächlich, Zentimeter für Zentimeter über meinen Bauch, meine Taille, lässt mich erschauern und jagt dutzende Hitzewellen durch meinen Körper. Wieso bin ich dabei gestern eingeschlafen?

Er geht weiter, kommt mit unter meine Decke, fängt an, den Rest auch noch zu erforschen, mich überall zu berühren. Ich wünschte, dass ich mich seiner Magie entziehen könnte. Ich wünschte, dass ich überhaupt noch Macht über meine Körper und meine Handlungen hätte. Es geht leider nicht. Es ist verrückt.

Es fühlt sich gut an, er fühlt sich gut an! Ich kann nicht anders! Ich erwidere seine Küsse. Das hier ist wirklich süßer als jede Sahnetorte oder Schokolade, einfach total aufregend. Seine Aktionen sind impulsiv, unkonventionell, unbeschwert. Er küsst meinen Bauch, meinen Hals, mein Ohr, bringt mich zum Lachen.

„Warte einen Moment!" Er löst sich aus meiner Umarmung, entledigt sich seiner Hose. Ok, der Anblick ist schon beeindruckend. Er ist wirklich ausgesprochen gut gebaut. Da kann das beste Stück von mein Ex nicht annähernd mithalten.

Er lässt mir nicht viel Zeit zum Nachdenken, legt sich auf mich, lächelt. Seine Vorfreude ist ihm förmlich ins Gesicht geschrieben.

"Hast du einen speziellen Wunsch?", haucht er in mein Ohr.

Verwirrt schüttele ich den Kopf.

„Ok", seine Stimme ist rauchig.

Dann habe ich ihn in mir. Er beobachtet mich dabei, ist absolut gefühlvoll. Ich hatte so lange keinen Freund. Das Gefühl lässt sich kaum beschreiben, zerreißt mich fast. Ich schließe meine Augen, habe dem sowieso so gar nichts entgegen zu setzen. Ich tauche ab in diese dunkle Sinnlichkeit, lasse mich tragen von diesen gewaltigen Emotionen. Er hört nicht auf, liebt mich kraftvoll, total ungezügelt. Mein Herz rast, das ist so überwältigend, unfassbar intensiv. Als er sich dann auch noch runterbeugt, um mich heftig auf den Mund zu küssen, überrennt mich der Orgasmus. Die Glut wird zu einer Explosion. Heiße Wellen durchfluten meinen Körper.

Ich habe keine Ahnung, wie lange es dauert, ob ich geschrien oder gestöhnt habe. Ich bin einfach total weg. Mir war nicht klar, dass man so etwas fühlen kann.

Scheinbar war er in der Zwischenzeit auch gekommen. Der ganze Akt war wie ein kurzes, heftiges Gewitter gewesen. „Du bist ganz anders, als ich erwartet habe! Ehrlich, das war unbeschreiblich!“,

sagt er, gibt mir einen Stirnkuss. „Hast du Cola?“

„Ähm, ja sicher. Im Kühlschrank.“

Er löst sich von mir, steht auf, zieht sich etwas über und verschwindet im Nebenraum. Mit zwei gefüllten Gläsern kommt er wieder, drückt mir meins in die Hand, legt sich wieder entspannt neben mich.

Na toll. Er hat wirklich keine Hemmungen sich auch noch aus meinem Kühlschrank zu bedienen. Er ist unmöglich. Ich kann aber nicht mit ihm schimpfen. Für den Moment nehme ich das anstandslos hin. Ich liege noch auf dem Rücken, und schließe wieder meine Augen. Es ist schwer, wieder durchzukommen.

Mein Herz rast immer noch wie verrückt. Ich fühle mich total befriedigt und frei. Ja, ich schwebe förmlich. Das war mein erster Orgasmus. Die Erfahrung ist so neu für mich, war so unbeschreiblich aufregend. Ich wusste nicht, wie es sein würde. Er ist ein Fremder. Wie hat er es geschafft, dieses magische Tor bei mir zu öffnen? Das Gefühl war total schön. Kein Wunder, dass die Leute so verrückt danach sind. Es ist schade, dass ich das vorher noch nie erlebt habe. So sollte es immer sein.

„Möchtest du vielleicht etwas anderes trinken? Soll ich uns noch einen Kaffee kochen?", fragt er liebenswürdig, reißt mich aus meinen Gedanken. „Nein, danke, ist schon ok." Ich richte mich auf, nehme einen Schluck. Ja, tatsächlich, das ist jetzt eine Wohltat, überaus erfrischend.

Er liegt neben mir auf der Seite, hat lässig seinen Kopf auf seiner Hand abgestützt, trinkt seine Cola und schaut mich zufrieden aber auch etwas belustigt an. Das ist schon komisch. Er verunsichert mich damit. Da ist wieder dieser einschneidende Blick. Kann er etwa tatsächlich meine Gedanken lesen? Spürt er, meine innere Gemütsbewegung? Es hat den Anschein, leider. Wäre auf jeden Fall peinlich, wenn dem so wäre.

Okay, es wird definitiv Zeit, meine Hirnmasse zu reanimieren. Ich muss meinen Verstand wieder einschalten! Sofort!

Abstand wird helfen. Ich setze mich endgültig auf, stelle mein Glas ab. Halbwegs würdevoll hülle ich mich in meine Decke und stehe auf, begebe mich bemüht hoheitsvoll in mein Badezimmer. Ich hatte schon einmal eine Blasenentzündung. Nach dem Sex sollte jede Frau aufs Klo gehen - bloß nicht gleich einschlafen und liegen bleiben.

Auf dem stillen Örtchen lasse ich mir Zeit, viel Zeit. Ich putze mir die Zähne bis es sich anfühlt, als würde mein Zahlfleisch bluten.

Ich kämme meine Haare mit hundert Strichen, mache irgendetwas, muss das Geschehene immer noch verarbeiten.

Zwischendurch starre ich unentwegt mein Spiegelbild an. Heute bin ich mir selbst ein Stückchen näher gekommen. Das ist doch gut - oder?

Nach meiner Rückkehr bin ich enttäuscht. Er liegt immer noch im Bett. Er hat meine Abwesenheit genutzt, und sich zwischenzeitlich meine Wolldecke vom Sofa geklaut. Nun döst er friedlich vor sich hin. Na toll. Insgeheim hatte ich gehofft, dass er die Gelegenheit nutzen würde, um sich zu verkrümeln. Sein Plan ist anstandslos aufgegangen. Er hat seine lädierte Männerehre wieder aufpoliert.

Der Held hat sein Ziel letztendlich doch noch erreicht. Warum ist er immer noch hier? Verflixt! Hat er denn gar keine Manieren? Er müsste doch schon lange weg sein. Schließlich hatte ich ihm mehr als genug Zeit dafür eingeräumt, hatte deutliche Zeichen gesetzt!

Demonstrativ gehe ich zu meiner Kommode, entnehme einige Teile, ziehe mich etwas umständlich sofort an. Es ist lächerlich, aber ich möchte nicht, dass er mich nackt sieht. Ich schaue mich um. Nein, Dreck noch Mal! Offensichtlich schläft er jetzt richtig.

Das dumme Theater war gar nicht nötig gewesen.

Das geht gar nicht! Sofort trete ich in Aktion, gehe zu ihm rüber.

Unsacht bis grob rüttele ich an seiner Schulter. Relativ schnell wird er wieder wach, öffnet seine Augen, schaut etwas verwirrt und will nach meiner Hand greifen. Verschreckt weiche ich zurück, schaffe bewusst eine Distanz,

„Mr. T., du wirst jetzt bitte meine Wohnung verlassen. Der Spaß ist vorbei!"

Sein Blick ist urkomisch. Damit hatte er jetzt nicht gerechnet.

„Raus! Ich will, dass Du jetzt gehst!", rede ich ungerührt weiter.

Er starrt mich immer noch an, kann es nicht glauben.

„Ich werde gleich sowas von rumschreien wenn du nicht sofort verschwindest!"

„Ok, schon gut. Ganz ruhig." Er kommt in Wallung, schlägt die Decke zur Seite, steht auf, sammelt seine sieben Sachen zusammen und zieht sich ebenfalls an - endlich!

Ich wende meinen Blick ab, schaue stattdessen aus dem Fenster.

Von meinem Zimmer habe ich eine direkte Aussicht auf die Celler Fußgängerzone mit den vielen Geschäften. Die Lage ist wirklich super. Ich mag die urigen kleinen, historischen Fachwerkhäuser.

Einige dieser prächtigen Gebäude wurden schon im fünfzehnten Jahrhundert errichtet. Sie sind dementsprechend mit prunkvollen Holzverschnitzungen verziert und mit altdeutscher Schrift, teils mit echtem Gold, verschnörkelt. Da die Shops heute geschlossen sind, gibt es nur wenige Fußgänger. Mit einer Ausnahme. Ein Mann geht mit seinem Hund Gassi. Das kleine braune, zottelige Vieh hebt gerade das Bein und pinkelt gegen die antike Laterne direkt vor dem Haus. Na toll. Das zum Thema gute Aussicht.

„Melanie?"

„Was denn?" Verwirrt schaue ich mich um. Er knöpft gerade den letzten Knopf von seinem Hemd zu, begibt sich leider nicht zur Haustür sondern kommt geradewegs zu mir rüber. Seinen Gesichtsausdruck kann ich nicht ganz deuten. Verärgert wirkt er nicht, eher besorgt. Das ist jetzt ganz schlecht. Meine Stimmung hat sich in der Zwischenzeit gewandelt. Die ganze Euphorie ist vergessen. Ich fühle mich jetzt nur noch ernüchtert. Ich komme mir so billig vor. Verdammt, warum habe ich mit dem Typen geschlafen? Gefühlt hatten wir während unseres Zusammenseins keine zehn Sätze gewechselt. Warum hatte er so ein leichtes Spiel mit mir? Und überhaupt, hat er verhütet? Ich kann mich gar nicht an ein Kondom erinnern. Sicherlich hat er angenommen, dass ich die Pille nehme. Tue ich aber nicht! Warum auch? Ich hatte seit mehr als drei Jahren keinen Kerl mehr in der Kiste.

„Ist alles ok? Habe ich dir weh getan?", fragt er vorsichtig.

„Nein, ist schon gut. Ich will jetzt einfach alleine sein!" Ich wende mich von ihm ab, gehe zur Tür, halte sie auf und setze damit ein eindeutiges Zeichen. Er scheint zu resignieren, schnappt sich seine Jacke, folgt mir auch brav. Vor der Tür stockt er, dreht sich zu mir um. Nachdenklich betrachtet er mich, steht direkt vor mir und ist mir total nah. Es ist schlimm. Zärtlich streicht er mir über das Gesicht, beugt sich zu mir herunter und küsst mich erneut auf den Mund. Dabei ist er so liebevoll, lässt mit seiner Berührung sofort mein Blut kochen, wieder hunderte Schmetterlinge aufsteigen.

Dann unterbricht er die Liebkosung, spricht etwas matt.

„Das war sehr schön mit dir." Seine Stirn hat sich in viele fragende Falten geworfen. „Keine Ahnung, was ich falsch gemacht habe.

Wir könnten darüber reden!"

„Oder nicht! Vielleicht redest du lieber mit Mandy, und beichtest ihr unseren Betrug. Genieße deine letzten Minuten. Sie wird uns beide umbringen!“

„Mandy?“, fragt er überrascht.

„Ja, Mandy, wer denn sonst.“

„Eine Beichte? Das wird nicht nötig sein. Dachtest du, dass sie mit mir liiert ist?“ Er schaut ernst, spricht weiter: „Nein, ist sie ganz sicher nicht. Davon sind wir weit entfernt! Mach dir über Mandy keine Gedanken.“

„Tatsächlich? Das klang gestern aber ganz anders.“ Verwirrt schaue ich ihn an, fange mich aber wieder schnell. „Ist aber auch nicht wichtig! Mach bitte die Tür von außen zu!"

Ich bin unhöflich, lasse ihn stehen, schließe die Tür hinter mir ab und gehe wieder ins Bad. Ich versuche mich zu beruhigen, lehne mich gegen die Wand, starre ins Leere. Ich hatte versucht, mir nichts anmerken zu lassen, aber mein Puls rast erneut. Mein Herz pocht wie wild, mir ist immer noch heiß. Verdammt, warum hat mich sein Kuss jetzt wieder so aus der Fassung gebracht? Wer ist der Kerl überhaupt? Was für eine Fehlentscheidung! Scheiß Alkohol! Warum bin ich gestern nicht meiner Intuition gefolgt, und einfach zur Geisterstunde nach Hause gegangen? Himmel, ich erkenne mich selbst nicht wieder. Es ging alles so schnell. Wie konnte er mich so leicht überrumpeln? Mein Fleisch ist so schwach. Damit hätte ich nie gerechnet.

Es klopft vorsichtig von draußen. Scheiße! Steht er etwa noch vor meiner Tür?

„Melanie? Bist du schon wach?"

Nein, nicht der Typ, aber auch nicht besser. Wirklich nicht!

Erschüttert vernehme ich die Stimme von Mandy. Ist das nun das kleinere oder größere Übel? Keine Ahnung!

„Ja klar, einen Moment!" Ich eile zur Tür, lasse meine aufgebrachte Freundin herein und bin überrascht von ihrem Zustand. Es ist, als hätte es keine Party und kein Besäufnis gegeben. Sie ist gestylt, topfit und trägt ihre rosa Sportsachen.

Prüfend lässt sie ihren Blick über mich wandern, schaut sich in meinem Zimmer um. Die Tür zum Schlafzimmer steht auf, gibt den Blick auf das zerwühlte Bett frei. Zwei Gläser, zwei Becher bestätigen ihren Verdacht. „Sag mal, hat Tobias bei dir geschlafen? Ich bin ihm gerade im Flur begegnet!"

Na super, meine Sünde ist also aufgeflogen. Das hat ja nicht lange gedauert! Wenigstens kenne ich jetzt seinen Namen.

„Ja, irgendwie schon." Genervt lasse ich mich auf mein Sofa fallen.

„Ich weiß gar nicht, wie das passieren konnte. Ich kann mich an nichts erinnern. Heute Morgen war er in meinem Bett!"

Schallend lacht sie los. „Mädel, du verträgst aber auch überhaupt nichts. Das ist echt ein Trauerspiel mit dir."

„Das ist mir so unangenehm. Ist er dein Freund? Bist du jetzt sauer?", frage ich.

Sie beruhigt sich etwas, setzt sich neben mich. „Nein, keine Sorge.

Er gehört mir nicht, auch wenn ich mir das wünschen würde."

„Ward ihr Mal zusammen?"

„Ja, nein, ach ich weiß nicht. Objektiv war es wohl nur eine Bettgeschichte. Es ist einfach die unendliche Geschichte mit seiner Ex Susanna Wollenstein."

Aha, es kommt Licht ins Dunkel. SW ist also seine Ex.

Freundschaftlich nimmt sie mich in den Arm. Das tut gut. Ich kann jetzt dringend eine Freundin gebrauchen, lehne meinen Kopf an ihre Schulter, spreche leise. „Ich komme mir so billig vor. Ich weiß gar nicht, wie das passieren konnte. Es tut mir leid."

„Ach Kleines, muss es nicht. Er gehört mir ja nicht." Sie schweigt einen Moment. Ich auch. Dann spricht sie weiter: „Tobias ist ein Jäger, Casanovas direkter Nachkomme, die gleiche Blutlinie.

Dieses Mal hatte er Erfolg. Du warst betrunken, er hat das niederträchtig einfach ausgenutzt. Ich hätte besser auf dich aufpassen müssen. Oder besser - den Idioten erst gar nicht zur Party einladen sollen. Das war ein Fehler.“

„Casanovas direkter Nachkomme?“, frage ich skeptisch. „War der nicht Italiener?“

Sie lacht. „War doch nur ein Spruch. Egal! Schwamm drüber.

Vergessen wir die Angelegenheit. Ich habe einen Fehler gemacht.“

„Nein ich!“, sage ich entschlossen.

„Lassen wir das!“ Sie steht auf, küsst mich auf die Haare. „Mach das einfach nie wieder! Betrunken oder auf Stoff! Fass nie wieder meine Typen an!“ Ein fieser Unterton in ihrer Stimme lässt sich nicht verleugnen, leider. Die Fronten sind somit geklärt. Dieses Mal bin ich noch mit einer Bewährungsstrafe durchgekommen.

„So, ich gehe jetzt joggen, Ich habe meiner Cellulite den Kampf angesagt. Wir sehen uns später!"

„Ja, ich komme dann hoch und helfe dir beim Aufräumen", sage ich zurückhaltend. Fröhlich zwinkert sie mir zu und verlässt das Zimmer, zieht die Tür hinter sich zu.

Ich bin jetzt stark ernüchtert. Nette Theorie! Alles eine nette Theorie. Leider kann ich mich in keinster Weise rausreden. Heute Morgen war ich mit dem Schlimmsten schon durch, eher nüchtern als betrunken, und habe mich trotzdem auf diese billige Nummer eingelassen. Diese Entschuldigung zieht nicht!

Nun ja, glücklich ist, der vergisst, was nicht zu ändern ist. Ich werde mich ablenken, versuchen nicht zu grübeln und diese Nacht aus meinen Gedanken streichen. Ich gehe unter die Dusche, stelle das Wasser an. Lasse es auf meinen Kopf rieseln.

Lange, sehr lange, sehr heiß. Meine Haut ist schon aufgeweicht und knallrot; das kleine Badezimmer schon zu einer Römischen Sauna mutiert. Irgendwann schaffe ich es, den Hahn abzudrehen, ziehe mir frische Wäsche an, wähle eine unauffällige Kleidung, lege mein Lieblingsparfüm auf und verlasse das Haus.

Sonntags besuche ich immer meine Eltern. Das wird mich von meiner Schandtat ablenken und meinen Vitaminhaushalt aufbessern. Die warme Mahlzeit dort ist vielleicht die einzige gesunde der ganzen Woche. Ich habe mir ein strenges, wöchentliches Budget von fünfzehn Euro für Essen auferlegt.

Getränke gehen extra. Die Ausstattung für den Laden und für meine Möbel haben einfach Unsummen verschlungen. Am Geld für Lebensmitteln zu sparen, fällt mir leicht. Essen war mir noch nie wichtig. Haferschleim, ein Brot mit Käse oder Marmelade, ein Apfel oder ein gekochtes Ei tun es auch. Das muss einfach reichen! Nun freue ich mich aber doch auf ein deftiges Gericht.

Darauf hatte ich mich schon die ganze Woche gefreut.

Mein altes Zuhause liegt nicht allzu weit entfernt auf dem platten Land. Nach zwanzig Minuten erreiche ich das Ziel. Das Haus ist von außen wie ein verwunschener Bauernhof, mit rotem Backstein und schweren alten Holztüren. Vor dem Gebäude stehen riesige alte Eichen, bei denen die Blätter im Sommer lustig im Wind flattern. Dazu gibt es großflächige Weiden, eine Scheune und einen Stall. Wir haben auch eigene Hühner und zwei Pferde.

Die jüngere Stute gehört meinem Vater, der mit ihr züchtet. Sie ist ein schmucker Hannoveraner Rappe, wurde von einem vielversprechenden Beschäler gedeckt, ist im sechsten Monat tragend. Ihre Abstammung ist erstklassig, somit wird das Fohlen später einen guten Preis erzielen. Die andere Stute ist ein Holsteiner, ein Fuchs mit einer kleinen Blesse. Sie wurde mir von meiner Tante geschenkt als sie zu alt wurde, ihr Pferd selbst zu reiten. Meine Melodie ist mit ihrem 1,72 Stockmaß riesig, inzwischen ein wenig grau, jetzt auch schon über zwanzig Jahre alt aber trotzdem immer noch topfit. Wir verbringen bei langen Ausritten eine schöne Zeit.

Trotz der Eiseskälte stehen die Pferde draußen. Unsere Erfahrung hatte uns gelehrt, dass sie auf den Stall pfeifen. Sie lieben einfach die frische Luft. Ich besuche die beiden noch schnell auf der Koppel. Als sie mich bemerken, stellen sie gleich die Ohren auf und kommen erfreut angetrabt. Melodie gewinnt. Natürlich habe ich zwei Möhren eingesteckt, die sie dankbar zerkauen.

„Na Ihr großen Racker“. Melodie stupst mich mit der Nase an und möchte noch Nachschub. Ihre Nüstern sind ganz weich. Ich liebe den Pferdegeruch. Sie tragen keine Decken. Ein Pferd ist ein Pferd. Sie können auch schlechtes Wetter vertragen. Ihr Winterfell ist so kuschelig, flauschig und warm. Es ist so dicht, dass man es fast als Teppich bezeichnen könnte. Da sie so artgerecht gehalten werden, sind sie fast nie krank. Ich kraule noch ein wenig Melodies Hals und sie durchforstet konsequent meine Taschen, kann aber leider keine weiteren Leckereien mehr finden. Dann ist das Heu doch verlockender als ich und sie trabt wieder davon.

Ich betrete das Wohnhaus. Ein Schlüssel ist nicht nötig. Wir sind hier in unserer eigenen kleinen Welt. Kriminalität gibt es nicht.

Die Dorfbewohner stehen füreinander ein, passen aufeinander auf.

Eher zurückhaltend wandere ich durch den Flur. Helle, gemusterte Teppiche bedecken den abgetretenen Dielenboden, dämpfen meine Schritte als ich langsam weitergehe. Wie habe ich als Winzling diesen Ort früher geliebt. Die Luft erschien mir reiner, das Essen leckerer, die Leute netter. Wie stolz war ich auf unsere Ländereien. Wie hohl!

Der gute Frank Fuhrberg würde bei dieser Ansammlung von antiken Geschmacklosigkeiten sicherlich rückwärts aus der Tür fallen.

Das gestreifte Muster der Tapete ist bestimmt noch aus den Siebzigern, inzwischen schon etwas vergilbt. Die mit Holz gerahmten Ölgemälde zeigen überwiegend Landschaften, sind konservativ. Die wuchtigen Eichenmöbel sind antiquiert, funktionell, standen sicherlich schon bei meinen Urgroßeltern an ihrem Platz. Hier verändert sich eigentlich nie etwas. Das Leben auf dem Bauernhof ist real, bietet keinen Platz für Träume, Illusionen oder Schnick Schnack. Romantik ist nicht angebracht.

Alles muss pragmatisch sein. Die einzigen fröhlichen Farbtupfer kommen von den grün-karierten Vorhängen, die einst liebevoll von meiner Omi genäht wurden. Die hängen dort bestimmt auch schon seit einem Jahrzehnt. Der Anblick macht mich immer ein wenig sentimental, ist eine der wenigen Erinnerungen, die ich an meine geliebte Großmutter habe. Davon werde ich mich nie trennen! Oder vielleicht doch?

Meine Mutter finde ich mit unserer Nachbarin Martha am Esstisch in der Küche. Sie reden leise, haben die Köpfe zusammen gesteckt. Dem Inhalt der Schüsseln nach zu urteilen sind sie fast fertig mit dem Mittag. Wie üblich haben sie nicht mit dem Essen auf mich gewartet. Unwillkürlich muss ich schmunzeln.

Pünktlichkeit ist eine Zier. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, so einfach ist das. Ungeachtet ihrer Leibesfülle stapelt Martha gerade den letzten Rosenkohl auf ihren Teller, stellt die leere Schüssel beiseite. Wie hat Mandy sie neulich noch betitelt?

Medizinball? Vielleicht trifft es das.

Seit geraumer Zeit hat sie deutlich zu viel auf den Rippen. Sie ist wirklich kugelrund. Täglich zelebriert sie ihr Frustessen wie ein Fest. Grund für dieses Übel ist natürlich ein Kerl. Was denn sonst.

Ihr selbstverliebter Mann Wolfgang hat sie doch tatsächlich nach dreißig Jahren einfach gegen ein jüngeres Modell ausgetauscht hat. Im Grunde genommen kann ich ihre Verbitterung ungeteilt nachvollziehen. Ihre Ehe blieb kinderlos. Sie muss sich jetzt sehr einsam fühlen. Dennoch wünschte ich, dass sie etwas mehr auf ihre Gesundheit achten, abnehmen würde, aber das kann ich ihr wohl kaum sagen.

Meine Mutter blickt sich um. Ihre Augen weiten sich für einen Moment, sie wirkt fast erschrocken.

„Na, habt Ihr Geheimnisse?“, frage ich skeptisch.

„Natürlich nicht!“, sagt sie, schüttelt verständnislos mit dem Kopf.

„Was für ein Unsinn.“ Sie steht auf, nimmt mich kurz in den Arm.

Das ist unsere Standardbegrüßung, schon seit meiner Schulzeit.

Ich lege meinen Arm um ihre Schultern, fühle ihren mageren, gepflegten Körper an meinem, rieche den für sie typischen Duft.