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Männer bauen nicht nur Raketen, sondern auch Brücken. Boris Halva spürt in diesem Buch die Lücken und Brüche auf, die das Leben eines jeden Mannes hat und haben muss - sei er noch so modern und frei und fortschrittlich. Und er lässt sich auf den Dialog ein, den die jungen Stimmen des Feminismus fordern.Dazu hat er den Männercoach konsultiert, mit dem Flirttrainer diskutiert, sich im Bekanntenkreis umgehört und die gesellschaftlichen Debatten über den Mann und die Welt verfolgt. Er fragt sich: Wie will ich sein, als Mann, Ehemann und Vater? Bin ich ein guter Freund und Kollege? Und gibt es das überhaupt: gute Männer, schlechte Männer?Eines ist jedenfalls sicher: Veränderung ist nur möglich, wenn Männer und Frauen sich gleichermaßen darauf einlassen.
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Seitenzahl: 239
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Originalausgabe
1. Auflage 2019
Verlag Komplett-Media GmbH
2019, München/Grünwald
www.komplett-media.de
ISBN e-book: 978-3-8312-7018-7
ISBN print: 978-3-8312-0544-8
Lektorat: Redaktionsbüro Julia Feldbaum, Augsburg
Korrektorat: Redaktionsbüro Diana Napolitano, Augsburg
Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO GbR, München
Satz & Layout: Daniel Förster, Belgern
Dieses Werk sowie alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrecht zugelassen ist, bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.
Der fragende MannEin Anfang und ein paar Zugeständnisse
Der empörte Mann Von schiefen Bildern und unglücklicher Werbung
Der problematische Mann Warum Männlichkeit so vieles bedeutet und sich so wenig verändert
Der entzauberte Mann#MeToo und die Frage: Was habe ich eigentlich damit zu tun?
Der dominante Mann Die Sägezahnkurve oder: #MeToo ist was für Loser
Der bewunderte Mann Alphatiere und andere Vorbilder
Der suchende Mann Unter vielen und trotzdem allein
Der unterschätzte Mann Angst essen Eltern(-zeit) auf
Der gelöste Mann Bei sich und vor allem: dranbleiben
Der dankbare Mann Kein Kapitel, aber trotzdem wichtig
Literaturliste und Quellennachweise
»Die Welt ist nicht schlechter geworden; wir haben nur ein besseres Kommunikationsnetz.«
Ken Hubbard (1868–1930), US-amerikanischer Humorist und Karikaturist
Wie sieht’s aus, Männer? Kann’s losgehen?
Oder dauert es noch, bis er beginnt, unser Aufbruch, von dem so oft die Rede ist? Weil unsere Mails noch nicht gecheckt sind, der Trainingsplan noch nicht absolviert und der Mähroboter noch nicht programmiert ist?
Klischee-Alarm im vierten Satz? Mag sein, aber: Zum einen lässt sich das mit den Klischees nicht immer vermeiden. Und zum anderen geht es nun mal nicht so schnell, diese neuen Männer zu werden, nach denen schon so lange gerufen wird – und zwar nicht nur von Frauen. Zumal es ja wirklich so sein könnte, dass sich der Aufbruch noch verzögert, weil wir tatsächlich in der gern heraufbeschworenen Krise der Männlichkeit stecken. Wir Männer, denen das alles zu viel ist. Und irgendwie auch zu schnell geht. Teilzeit, Elternzeit, Zeit für das Wesentliche? Wozu eigentlich, und: Wie soll das bitte gehen?
Andererseits: Die Zeichen der Zeit stehen auf Aufbruch. Noch nie hatten Männer so viele Möglichkeiten und Chancen, ihr Leben zu gestalten, noch nie war die Auswahl der Lebensentwürfe und Rollenbilder so groß wie gegenwärtig. Man könnte sagen: Es ist die beste Zeit, ein Mann zu sein. Also, was soll das Gerede von der Krise der Männlichkeit und vom Spagat, der den modernen Mann zu zerreißen droht? Das Leben ist nun mal kein Kindergeburtstag – und wer schon ein Piratenfest mit Schatzsuche vorbereitet und dann auch durchgezogen hat, der wird zustimmen, wenn ich jetzt sage: zum Glück. Also, wo ist das Problem, Mann? Und wer sagt überhaupt, dass es eines gibt?
Nicht erst #MeToo hat gezeigt, dass der Mann tatsächlich Probleme hat. Aber #MeToo war keine Krise der Männlichkeit, sondern eher ein Beleg dafür, dass mit den Männern, die mit ihrem Verhalten über Jahrzehnte Frauen erniedrigt haben, etwas nicht stimmt. Und auch mit den Strukturen, in denen sie sich bewegen, die sie zum Teil mit aufgebaut haben und die sie ungern aufbrechen wollten. Nicht nur im Showbiz. Und nicht nur, weil Wandel auch mit dem Verlust von Macht einhergeht, sondern weil Veränderung immer Mühe bereitet.
#MeToo hat in diesem Sinne also keine Krise der Männlichkeit ausgelöst, sondern eine Krise im Selbstverständnis von Männlichkeit. Und das war auch höchste Zeit. Denn wie jede Krise birgt auch die öffentliche Ächtung solcher Vorfälle die Chance, männliches Verhalten zu hinterfragen – und zu ändern.
Nicht jeder Mann ist ein Täter, aber jeder Mann konnte, nein, musste sich nach Bekanntwerden dieser Übergriffe fragen: Warum sind manche Männer so? Und was ist mein Anteil daran? Als Mann dieser Zeit?
Denn wenn wir anfangen, über strukturelle Probleme nachzudenken und inwieweit wir zu diesen beitragen, landen wir zwangsläufig bei uns selbst. Und bei Fragen wie: Bin ich glücklich, so, wie ich lebe? Oder bin ich in einem Leben gefangen, das ich so eigentlich nicht leben wollte? Und falls ja, warum ist das so? Ist das meine eigene Schuld? Habe ich zu lange einfach weitergemacht, obwohl ich doch schon früh zu zweifeln begonnen habe? Wann habe ich mich korrumpieren lassen? Wann habe ich kapituliert? War ich zu bequem? Oder gar zu ängstlich? Wann hätte ich sagen sollen: Schatz, ohne mich? Oder: Chef, ohne mich? Oder auch: Jungs, ohne mich?
Nicht mitzumachen kann unbequem sein, wohingegen Nicht-machen-Müssen meist sehr komfortabel ist. Da kann es schon mal vorkommen, dass wir nicht länger über die angenehme Leichtigkeit des Seins nachdenken, sondern sie halt einfach annehmen. Mag sein, dass es in meiner Generation – ich bin jetzt Anfang vierzig – nur wenige Männer gibt, die von ihren Frauen Hose und Hemd für den Tag rausgelegt bekommen. Aber es gibt immer noch einige, die ihre Hemden nicht selbst bügeln oder ihre Kinder nicht ins Bett bringen, obwohl sie schon Feierabend haben, zu Hause sind und Zeit dazu hätten. Manche von ihnen sagen dann gern: »Mit kleinen Kindern, das ist nicht so meins, das kann meine Frau besser. Außerdem – ich mache es ihr ja eh nicht recht.« Dieses »es der Frau eh nicht recht machen können« nennt sich in bestimmten Männerkreisen »Mutterchauvinismus« – und der ist, anders als sein männliches Pendant, das inzwischen eher gequält belächelt wird, offenbar ziemlich einschüchternd … Was dann zur Folge haben kann, dass der eingeschüchterte Mann sich sagt: »Bevor wir schon wieder diskutieren, soll sie sich mal lieber kümmern.«
Und er? Er wässert in der Zeit den Rasen. Ist auch wichtig. Win-win kann so einfach sein. Manchmal ist Win-win aber zu einfach, und vor allem: Manchmal ist das, was für den Mann Win-win ist, für die Frau ja wohl eher ein Win-lose.
Aber da müssen wir jetzt noch nicht drüber reden. Wir haben ja gerade erst angefangen, uns zu unterhalten. Und wir wollen hier auf den ersten Seiten nicht gleich schlechte Stimmung verbreiten, oder? Da draußen werden schon genügend Geschlechterscharmützel ausgetragen.
Hier drinnen jetzt also: Männerkram.
Und die Frage: Was will der Mann? Was soll er? Was ist er? Und natürlich auch: Was will und was kann er nicht? Und warum eigentlich nicht?
Das waren jetzt schon fünf Fragen zum Mann. Und es werden noch etliche folgen. Nicht alle werden in diesem Buch beantwortet. Aber es geht ja auch nicht nur darum, Antworten zu finden, sondern Fragen zu stellen, aus denen sich dann wieder neue Fragen ergeben können.
Fragen wie: Was will dieses Buch?
Inmitten all des Papiers sitzend, das ich über Monate zusammengetragen hatte, wurde mir nicht nur einmal schwindelig, wenn diese Frage auftauchte; wenn mir bewusst wurde, was schon alles über den Mann geschrieben worden ist. Eigentlich, dachte ich dann, ist doch schon alles gesagt. Alle Bezüge sind längst hergestellt. Bis heute hallt es durch die hohlen Gassen der Zeit, dass unser Land neue Männer braucht. Und beständig wird mit Bedauern oder Bestürzung wiederholt, dass Männer gewalttätiger sind als Frauen, zu viel Alkohol in sich reinschütten und sowieso nicht gut mit ihrem Körper, ihrem Geist, mit sich umgehen. »Ich war gestern beim Arzt, und der hat gesagt, wenn ich so weitermache, lebe ich vielleicht noch drei Jahre.« Das hat kürzlich ein guter Bekannter erzählt, Anfang fünfzig, geschieden, Lebemensch und Workaholic. Er wird so weitermachen. Er ist einer dieser Männer, die immer einfach weitermachen, obwohl sie wissen, dass nicht gut ist, was sie tun. Es scheint viele von diesen Männern zu geben. Männer sterben nicht nur früher, Männer nehmen sich dreimal häufiger das Leben als Frauen, unter Teenagern sind es sogar bis zu zehnmal mehr.
Und was tun wir? Offenbar nicht genug, denn diese Zahlen sind seit Jahren beunruhigend – und verändern sich kaum zum Besseren. Auch die Debatten verändern sich nicht wirklich. Immer wieder werden die Unterschiede der Geschlechter betont, immer wieder wird das Gemeinsame mit der Frau beschworen und sich dann wahlweise mit Schlichtungsversuchen, Quoten und genderdiversen Diskursen angenähert; es wird gespalten und geeint, gefragt und gebeten, appelliert und demonstriert. Und immer sind welche dabei, die das nicht wollen. Immer macht irgendjemand was kaputt, weil er – oder manchmal auch sie – Angst hat, etwas zu verlieren. Verlust will vermieden werden, ganz egal, ob es sich bei dem, was man aufgeben soll oder zu verlieren droht, um Reichtum, Macht, Bewunderung oder andere Annehmlichkeiten handelt. Oder eben um die Illusion, dass man selbst nichts für sein Unglück kann.
Dieses Buch und der nicht zu leugnende gesellschaftliche Wandel der vergangenen Jahrzehnte haben eines gemeinsam: Der Impuls kam vonseiten der Frau. Was dieses Buch betrifft von zwei Frauen, um genau zu sein. Die Verlegerinnen des Münchner Verlags, in dem dieses Buch nun erschienen ist, wussten: Sie wollen sich einmischen in die Diskussion um den sogenannten neuen Mann. Und als sie während eines Termins auf der Buchmesse 2018 von diesem Vorhaben erzählten, merkte ich: Das würde mich auch interessieren. Ich schickte ihnen also ein paar meiner Texte über den Mann und die Welt mit der Anmerkung, dass diese ja vielleicht in die Anthologie passen könnten. Sie wollten keine Textsammlung. Sie fragten, ob ich nicht einfach alles schreiben wolle.
Wollte ich.
Und jetzt sitze ich hier und schreibe. Manchmal stehe ich. Ist angenehmer für den Rücken. Aber einfach? Von wegen. Doch ich schreibe.
Und frage mich: Gibt es sie überhaupt, diese neue Männlichkeit? Was zeichnet sie aus? Heißt neu lediglich, dass das Alte ausgetauscht wird? Wie viel steckt in mir von jenem Typ Mann, den wir so nicht mehr haben wollen? Wo hänge auch ich an alten Rollenbildern und in alten Mustern fest, obwohl ich mich doch immer für so modern und frei und fortschrittlich gehalten habe? Was trage ich dazu bei, dass sich nicht wirklich was verändert? Und: Ist das wirklich so? Dass sich nichts verändert?
»In der Tat wird die Veränderung der Männer dadurch immens erschwert, daß keine gesellschaftlichen Vorbilder angeboten werden, an denen der Mann sich positiv abarbeiten könnte, das heißt, sich auseinandersetzen, sich formen, sich orientieren, um den eigenen und vielleicht neuen Weg zu finden.« Wie am »Daß« zu erkennen ist, hat der Soziologe und Männerforscher Walter Hollstein diesen Satz vor der Rechtschreibreform niedergeschrieben, und zwar 1999. Was das Thema Vorbilder angeht, ist dieser Satz gewissermaßen zeitlos. Aber immerhin: Die Diskussion über Fragen wie »Was ist der Mann, und was soll er sein?« läuft. Und das seit dreißig, vierzig Jahren! Und sie wird überwiegend ernsthafter und ausgewogener geführt als noch vor zehn Jahren. Hervorzuheben ist hier etwa »Die Zeit«, die schon 2016 mit ihrer Serie »Der neue Mann« einen Blick hinter die Fassaden der Männlichkeit wagte: Psychotherapie für Männer? Wie wichtig ist es, einen guten Freund zu haben, mit dem ein tiefes, ehrliches Gespräch möglich ist? Fragen wie diese wurden ohne den oftmals bedauernden Unterton oder den häufig auf die Defizite des Mannes gerichteten Blick behandelt.
Und auch wenn selbst jenen Männern, die sich als progressiv oder sogar feministisch bezeichnen, die Adern am Hals anschwellen, wenn sie den Namen Margarete Stokowski hören: Nicht alle feministischen Texte der letzten Jahre wettern eindimensional gegen den vermeintlich modernen Mann, der sich nur als Hipster verkleidet hat, aber in seinem tiefsten Inneren auf die Robustheit des Patriarchats vertraut und die alten Muster auf Kosten der Frau einfach weiterlebt. So muss man etwa bei der Britin Laurie Penny nicht zwischen den Zeilen lesen, um zu erkennen, dass auch sie, die die abgefuckten, aufmüpfigen Mädels feiert, dass es nur so kracht, den Mann nicht pauschal zum dunklen Herrscher macht.
Sie schreibt: »Fast die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch hat das Patriarchat Männer und Jungen ebenso unterdrückt wie Frauen.« Und Penny ist nicht die Einzige, die erkannt hat: Alle leiden unter diesem System; die einen mehr, die anderen weniger, aber alle leiden. Und wenn wir, so Penny, diesen Teufelskreis durchbrechen und »mehr kollektive Menschlichkeit erreichen wollen, müssen wir lernen, einander zuallererst als Menschen zu sehen«. Von wegen Jungs gegen Mädchen. Beziehungsweise: Mädchen gegen Jungs!
Und wenn nun also ein weiteres Mal von der Krise der Männlichkeit die Rede ist, dann muss doch auch die Frage gestellt werden: welche Männlichkeit? Und was soll das überhaupt sein? Und bewegen wir uns heute, im Jahr 2019, nicht schon jenseits solcher Kategorien? Zumindest in unserer, der sogenannten westlichen, modernen Welt? Und was ist mit der virtuellen Welt, die sich parallel zur sogenannten Realität entwickelt, sie immer mehr durchdringt und in vielen Lebensbereichen sogar auf besorgniserregende Weise beeinflusst? Und damit offenbart, was jene, die sich seit Jahrzehnten mit dem Mann als soziales und damit Gesellschaft prägendes Wesen befassen, immer wieder betonen: Dass es keine Männlichkeit an sich gibt, sondern viele Männlichkeiten, viele Ebenen des Mann-Seins. Und auch viele Ebenen des Nicht-Mann-sein-Wollens.
In diesem Buch wird es also nicht nur darum gehen, zusammenzutragen, was Männlichkeitsforscher und -forscherinnen bis heute über den Mann herausgefunden haben. Ich will versuchen, die Lücken und Brüche aufzuspüren, die ein Leben als Mann und mit dem Mann auch heute noch hat, ja, haben muss. Weil es eben nicht so funktioniert, dass wir heute Abend erkennen, was wir bisher falsch gemacht haben – und es von morgen an anders machen. Denn genauso wenig, wie sich ein Mensch über Nacht grundlegend verändern kann, wird sich eine Gesellschaft innerhalb weniger Jahre neu organisieren lassen, selbst wenn offensichtlich ist, dass es so nicht weitergehen kann. Die französische Philosophin Élisabeth Badinter schrieb schon Mitte der Achtzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts den Sturz des Patriarchats herbei. Dreißig Jahre später wurden dann von Margarete Stokowski die letzten Tage des Patriarchats angezählt. Und, wie sieht’s aus?
Eben.
Wir können also davon ausgehen, dass dieser letzter Tage Abend noch lange nicht angebrochen ist. Veränderungen brauchen Zeit. Das gilt für den Aufbruch des neuen Mannes genauso wie für den Sturz des Patriarchen.
Aber es sollte nicht zu viel Zeit vergehen, bis sich wirklich was tut. Wir sollten nicht auf den nächsten Skandal im Showbusiness oder die nächste Beratung im Kabinett warten, in der Hoffnung, dass danach nun aber wirklich alles anders wird. Aufbrüche werden gern aufgeschoben. Denn immer haben einige von denen, die gesagt haben, sie sind dabei, ihren Kram noch nicht gepackt, wenn es eigentlich losgehen soll. Und Umstürze haben nicht zwingend zur Folge, dass die fortschrittlichen Kräfte auch wirklich in dem Maße Einfluss bekommen, das nötig wäre, um den Wandel wirklich in Gang zu setzen. Oder am Laufen zu halten.
Dass es trotz der vielen Aufbruchsrufe offenbar doch nicht so richtig vorangeht mit dem Mann und dem Projekt einer gleichberechtigten Gesellschaft, ist natürlich beklagenswert. Trotzdem soll dieses Buch keine Klageschrift sein. Denn – auch wenn es viele kluge Beiträge gibt – es wird schon genug genörgelt da draußen. Und nicht erst, seit wir nahezu jeden noch so banalen Einwurf in den öffentlichen Plausch über den Mann und seine angebliche Diskriminierung in der Werbung kommentieren oder mit unserer ganz persönlichen Story verlinken, ist unser Zeitgeist so gesättigt mit Empörung, da muss ich nicht noch weitere Quengeleien in den Diskurs einspeisen.
Ich werde also nicht quengeln. Und ich bin auch nicht wütend. Jedenfalls nicht grundsätzlich. Und auch wenn ich froh bin, dass das Leben aus mir keinen wütenden Menschen gemacht hat, so gibt es doch Momente, in denen ich mir wünschte, ich wäre wütender. Wenigstens ein bisschen. Nicht nur, weil in unserer Welt tagtäglich Dinge passieren, die einen wütend machen müssen, sondern auch, weil Wut eine jener Kräfte ist, die Veränderung in Gang setzen können – in einem selbst und in der Welt. Wenn wir schauen, wo unsere Wut herkommt und wo sie hinsoll, dann kann sie uns dazu bringen, über uns hinauszuwachsen, andere mitzureißen – und zwar nicht in den Abgrund, sondern in die Bewegung nach vorn.
Und obwohl also etwas mehr Wut guttäte, ist dies dennoch kein wütendes Buch über die gegenwärtige Welt mitsamt ihren Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten, die von Männern gleichermaßen erzeugt und erlitten werden. Es ist aber auch keine ausgeruhte Erkundung der Befindlichkeiten des modernen Mannes, der natürlich von alten Machtstrukturen profitiert, auch wenn er sie nicht alle gutheißt, mitunter sogar unter ihnen leidet. Etwa weil ihn diese Strukturen dazu bringen, Dinge gegen seine Überzeugung oder gar gegen seinen Willen zu tun oder zu lassen – und er tief in seinem Inneren spürt, dass das auf Dauer nicht gut sein kann.
Es schimmert schon durch, nicht wahr? Ich bin mehr so der verständnisvolle, nach Harmonie strebende Typ. Selbst wenn ich wollte, ich könnte gar kein wütendes Buch schreiben über den Mann und seine Fehler, seine Ignoranz und seine alles unterdrückende Männlichkeit, ein Buch, so rotzig und kraftvoll wie Laurie Pennys »Unsagbare Dinge« oder Margarete Stokowskis »Die letzten Tage des Patriarchats«. So was hat ja eine ganz andere Energie, wie der gegenüber spirituellen Dingen aufgeschlossene Mann heute sagt.
Aber: Ich bin nun mal nicht wütend, jedenfalls nicht so. Vielleicht weil ich keine Angst habe vor Veränderung? Vielleicht auch, weil ich keine Angst habe, meine Macht zu teilen, von der ich als Mann ja mehr habe als die Frau (auch wenn ich nicht weiß, wo sich dieses Mehr gerade versteckt)? Vielleicht liegt es aber auch daran, dass es nicht nur wütend macht, sich mit dem Mann auseinanderzusetzen? Denn die Welt ist ja nicht nur voller Hartmut Mehdorns, denen im Jahr 2015, also acht Jahre nach Einführung des Elterngelds, zum Thema »Väter in Elternzeit« nichts Rückwärtsgewandteres einfällt als die Bemerkung, dass sich ein Mann, der Karriere machen will, nicht wundern darf, wenn er sich nach drei Monaten Elternzeit wieder hinten anstellen muss!
Und außerdem: Nicht alle Männer sind Schweine. Jedenfalls nicht in dem Sinne, in dem »Die Ärzte« diese Zeilen mit dem bräsigen Augenzwinkern der ausverkauften Punkerseele in die Mikros geträllert haben. Manche Männer haben einfach nur schlechten Stil. Oder geschmacklosen Humor, der mitunter als Provokation daherkommt – so wie bei den Jungs aus der Oberstufe, die damals auf der Heckscheibe von Papas Roadster den Schriftzug »Eure Armut kotzt mich an« spazieren fuhren, abends mit ihren neureichen Kumpels auf der Wohnlandschaft ihrer Edel-WG fläzten und ihren Freundinnen dabei zusahen, wie sie ihnen die Bude aufräumten. Dass die Mädels dafür Zehnerkarten fürs Solarium spendiert bekommen haben, ist auch eines dieser Szenarien, die zwischen Win-win und Chauvinismus changieren, je nachdem, durch welche Brille wir schauen. Aber ich will nicht gleich zu Anfang den Fehler begehen, solchen Typen, die inzwischen ja vielleicht zu wirklich netten, mittelalten weißen Männern herangewachsen sind, zu viel Platz einzuräumen – sie nehmen ohnehin schon genug öffentlichen Raum ein und verzerren in gewisser Hinsicht unseren Blick auf die Männer.
Denn nicht alle Männer sind Polterer. Überall gibt es Männer, die ihre ganz persönlichen Teufelskreise aus Sucht, Gewalt, Selbstzweifeln und dem beständigen Drang, sich wem auch immer beweisen zu müssen, nicht durchbrechen können – und nicht selten daran zerbrechen. Die Welt ist nicht nur voller Männer, die Kriege führen, Mitarbeiter schikanieren, sich nach Fußballspielen prügeln oder sich an Kindern vergehen. Männer sind nicht nur Täter. Überall gibt es Männer, die versuchen, ihre Kriegstraumata zu verarbeiten; Männer, die sich selbst ausbeuten, um den Erwartungen ihrer Vorgesetzten zu genügen. In jedem Stadion gibt es Fans, die friedlich ihre Vereinsfahnen schwenken, und überall versuchen Männer, die Fehler ihrer Väter nicht zu wiederholen. Und überall gelingt ihnen das mal schlecht, mal recht. Und manche von ihnen werden Täter, weil sie selbst Opfer waren. Oder sich als Opfer fühlen.
Wir müssen gar nicht so weit in die Geschichte zurückblicken, um zu erkennen: Männergeschichten sind nur selten Heldenstorys, in denen es um Erfolg und Erfüllung, um Macht und Maseratis geht. Viel zu häufig sind es beklemmende Geschichten, Geschichten vom Scheitern und Schönreden, von Ohnmacht und Orientierungslosigkeit. Geschichten, die manchmal so traurig sind, dass man vor Wut heulen möchte. Und manchmal könnte man heulen, weil Männer in Foren und auch so manche »Männer«-Autoren immer noch und immer wieder darauf rumreiten, dass der Mann ja nur so schlecht und sozial inkompetent ist, weil er von Frauen dazu gemacht wird. Ganz zu schweigen von Kinderserien wie »Wickie und die starken Männer«, die nach Ansicht manch besorgter Männlichkeitsexperten die Herren der Schöpfung bloß als tumbe Haudraufs durchs Leben stolpern lassen, während die Frauen immer genau wissen, was zu tun ist. »Was bitte ist das für ein Männerbild, das kleinen Jungs da gezeichnet wird?«, fragte etwa der Autor und Männercoach Bjørn Thorsten Leimbach während seines Vortrags auf der letzten Mann-Sein-Konferenz in Berlin. Dass das nicht so einfach ist, wie es sich anhört, darüber wird zu reden sein!
Was ebenfalls nicht im Rauschen untergehen darf: Gewalt und Missbrauch gehen – ob nun im Kleinen oder im Großen – noch immer vor allem vom Mann aus. Mehr als 90 Prozent aller Morde werden von Männern begangen, in mehr als 80 Prozent aller Verbrechen sind Männer die Täter. Das lässt sich evolutiv (Männchen sind aggressiver, weil sie ihr Revier verteidigen müssen) oder auch küchensoziologisch (Männer geraten leichter auf die schiefe Bahn) herleiten, entschuldigen lassen sich die Taten weder durch das eine noch durch das andere. Deshalb müssen diese Taten geächtet werden. Aber über all die Anstrengungen, immer neue Gewalt und immer wieder begangenen Missbrauch zu verhindern, darf nicht vergessen werden, ihren Ursprung zu erkunden. Denn nur wenn wir wissen, worin das Zerstörerische wurzelt, können wir den Traumatisierten helfen und künftige Generationen vor dem alten, sich immer wiederholenden Leid bewahren. Frauen und Männer, Mädchen und Jungen.
Denn auch wenn manche Aspekte der Diskussionen um Gleichberechtigung, den Mann im Wandel und wie wir künftig zusammenleben wollen, durchaus komisch, manchmal absurd und bisweilen grotesk sind – das Thema bleibt ein ernstes.
Von daher will ich mich eher als nachdenkliche, leise zweifelnde Stimme an diesem Gespräch über die Mannsbilder beteiligen. In dieser Tonlage ist auch die Gefahr nicht so groß, sich plötzlich in den Reihen der Mansplainer, Herrklärer und Mannologen wiederzufinden. Ich liebe diese Titel – aber tragen möchte ich sie nicht!
Dementsprechend lesen sich einige Passagen dieses Buches wie Berichte oder Reportagen von meinen Streifzügen durch die Männerwelten, andere eher wie Monologe. Wie Grübeleien eines Suchenden, der mal in längeren, mal in kürzeren Kapiteln den Mann und dessen Lebens- und Gedankenwelten umkreist.
Und da wir uns gerade schon im Kreis drehen: Was ist denn jetzt mit dem Mann? Befindet er sich im Aufbruch? Oder steckt er in der Krise? Weil er nach #MeToo nun gar nicht mehr weiß, was er noch darf, der Arme? Weil mal wieder alles drunter und drüber geht? Die Frauen machen Druck, die Gesellschaft fordert Wandel, die Kinder brauchen einen Vater. Und dann hat er ja noch nicht seine Kumpels getroffen. Und noch nichts gearbeitet.
Es ist ja nicht so, dass der Mann nichts tut. Für sich. Für sein inneres Kind. Und auch die leiblichen oder zur neuen Liebe dazugekommenen Kinder. Er macht Segeltörns zu sich selbst, er baut sich einen Bogen und macht Kurse, die »Fasten und Bonding« oder »Finde deinen inneren Krieger« heißen. Er bucht Vater-Kind-Wochenenden, um Wald und Wiese mit Flurkarten aus Papier zu durchstreifen, geführt von herzlich, aber rau um sich blaffenden Teamern, die in klobigen Wanderschuhen vorausstapfen. Abends zünden sie ein Lagerfeuer an, um das sich die Väter scharen, ein Fläschchen Bier in der Hand und ein mildes Lächeln auf den Lippen. Und die Kinder jagen juchzend über die Wiesen, ein bisschen klebrig, aber schön durchgelüftet. Wieder andere Männer arbeiten sich an der Seite eines Therapeuten durch ihre Kindheit und Jugend, um sich von den Erwartungen des eigenen Übervaters zu befreien. Und so mancher befreit sich vom Druck jahrzehntelang verdrängter Lüste, indem er sich alle vier Wochen am erotischen Stammtisch mit anderen Experimentierfreudigen über Vorlieben und Versäumnisse, Zwänge und Zerstreuungen austauscht.
Und es ist auch nicht so, dass sich keiner mit dem Mann befasst. Männlichkeitsforscher sind seit Jahrzehnten auf der Suche nach des Mannes Kern. Im deutschsprachigen Raum gehören Klaus Theweleit, Walter Hollstein und Volker Elis Pilgrim zu den Pionieren. Theweleits »Männerphantasien« von 1978 sind im Frühjahr 2019 neu aufgelegt worden und immer noch aktuell, Hollsteins Bücher sind feste Referenzpunkte im Männerdiskurs, und Pilgrim ist bis heute gleichermaßen umstritten und gefeiert für seine steilen Thesen. In den USA haben sich Robert Brannon, Herb Goldberg und Michael Kimmel den Mann ganz genau angesehen. Brannon bearbeitete 1976 die »Vier Regeln der traditionellen Männlichkeit« kritisch, Goldberg formulierte zehn Jahre später die selbstzerstörerischen »Maskulinen Imperative«, und Kimmel forscht seit Anfang der Neunzigerjahre an der Ostküste zu Masculinities, also Männlichkeiten im Plural. Und der »Eisenhans« von Robert Bly ist seit Jahrzehnten so etwas wie die Bibel jener Männer, die sich auf die Suche nach sich selbst machen.
Die Genannten sind nur eine kleine Gruppe all jener Männerforscher und -autoren (in dieser Sparte gibt es nicht so viele Frauen, es sei denn, die feministische Theologie kommt ins Spiel), die im Laufe der vergangenen vier Jahrzehnte herausgearbeitet haben, auf welche Glaubenssätze sich die sogenannte traditionelle Männlichkeit stützt – und warum es so lange dauert, bis Männer all das, was ihnen als männliches Verhalten präsentiert wurde, abzustreifen vermögen. Oder vermeintlich bewährte Anweisungen wie »Sei ein Mann!« und »Stell dich nicht so an!« zumindest so für sich umzuwandeln imstande sind, dass weder sie noch andere unter den Folgen jahrelang unterdrückter Gefühle leiden. Und auch wenn sich heute jenseits von überwiegend ausgewogen argumentierenden Autoren wie Björn Süfke, der zuletzt die wertvolle Unterscheidung von Männerkatastrophen und Männerkrisen etablierte, doch noch einige tummeln, die sagen, ein bisschen mehr steinzeitliche Rollenverteilung würde unserer matriarchal gelenkten Gesellschaft sicher ganz guttun, so lautet doch der Tenor vieler Bücher über den Mann heute: Alles ist möglich!
Also lasst uns drüber sprechen, wo wir anfangen können, alles möglich zu machen.
Ein Anfang ist auch deshalb möglich, weil immer mehr Männer erkennen und zu verstehen beginnen, dass Leid und Missverständnisse gar nicht erst entstehen, wenn Männer sich mitteilen. Also, nicht mitteilen im Sinne von: »Ich sag jetzt mal was, damit alle registrieren, ich bin da! Und damit das klar ist: Ich werde liefern!« Nein, mitteilen im Sinne von: Ängste und Sorgen ergründen und formulieren, Fragen stellen, Antworten auf sich wirken lassen. Nicht alle sind auf der Suche nach dem inneren Krieger, um den vielfältigen Erwartungen unserer nach Gleichberechtigung strebenden Gesellschaft genügen zu können, manche sind einfach nur auf der Suche nach innerem Frieden. Weil sie wissen, dass es ihnen auf diese Weise eher gelingt, einen Platz in dieser Welt und eine klare Haltung zu finden, ihre Männlichkeit betreffend – und wie sie diese leben wollen.
Dennoch: Während die Auseinandersetzung des Mannes mit sich selbst zwar verwirrend, aber doch ein Aufbruch sein kann, so bleibt das Vorhaben »Männlichkeit heute« zu ergründen ein Gang über dünnes Eis. Zumal als weißer, mittelalter, in einer immer noch wachsenden Region lebender Mann! Denn: Was habe ich schon für Probleme? Außer dass ich mich mit schlanken Haustarif-Verträgen abspeisen lasse und gern anderen meine Hilfe anbiete, auch wenn ich eigentlich genug zu tun habe? Wann erlebe ich im Alltag Diskriminierung? So gut wie nie! Ich bekomme sie manchmal mit, aber sie ist – abgesehen von vereinzelten Lügenpresserufen – eigentlich nie gegen mich gerichtet.
Und trotzdem darf ich beunruhigt sein, dass es anderen so geht. Und auch wenn ich weder wütend noch unzufrieden bin, so will ich doch ein paar Dinge anmerken zu den Fragen unserer Zeit, die an manchen Tagen so beängstigend angespannt und aufgeladen ist – nicht nur, weil der Meeresspiegel steigt und einige Menschen heute wieder bestimmte Dinge »sagen dürfen wollen«.
Und so, wie der Mann auf den folgenden Seiten immer auch zugleich als Mensch gedacht ist – im Sinne von Individuum und Persönlichkeit – so soll auch dieses Buch beides sein: ein Blick auf den gesellschaftlichen Diskurs, auf das, was auf der Hand liegt, und zugleich ein Versuch, die darunterliegenden Schichten zu ergründen. Die Zweifel des sogenannten modernen Mannes (die auch sicher die Männer anderer Zeiten kannten) oder die Ängste des »alten weißen Mannes« (die auch die jungen, in welcher Haut auch immer steckenden Männer kennen). Die Hoffnungen all jener Männer, denen es nicht in erster Linie darum geht, Mann zu sein oder wie ein Mann zu handeln, sondern darum, Mensch zu sein, ein im besten Falle anständiger; ein Mensch, der zuhört, wenn es hilft; ein Mensch, der handelt, wenn es geboten ist; ein Mensch, der nachfragt, auch wenn alles klar zu sein scheint.
Meine immer wiederkehrenden Zweifel, ob ich denn überhaupt berechtigt wäre, mich zu den Mannsbildern zu äußern und das weite Feld der Männerfragen und Männerplagen zu durchschreiten, wurden etwas abgemildert, als ich das Ende Mai erschienene Buch »Ja heißt ja und …« von Carolin Emcke las. Darin setzt sie sich vor dem Hintergrund der #MeToo-Debatte auch mit der Frage auseinander, ob sich Menschen, die selbst nie Opfer von Diskriminierung oder sexualisierter Gewalt geworden sind, überhaupt am gesellschaftlichen Diskurs über Schuld und Anstand beteiligen dürfen. Emcke schreibt, alle sollten sich äußern dürfen, auch wer nie selbst sexuell belästigt, gedemütigt oder herabgesetzt wurde, denn: »Strukturelle Ungleichheit und asymmetrische Machtverhältnisse lassen sich auch kritisieren, wenn man selbst nicht zu denen gehört, die dadurch benachteiligt werden. Auch wer mit Privilegien und Status bedacht wurde, qua Geburt, qua Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse, Kultur, Nation, kann diese Privilegien in Frage stellen.«