Marattha König Zweier Welten Gesamtausgabe - Peter Urban - E-Book

Marattha König Zweier Welten Gesamtausgabe E-Book

Peter Urban

0,0

Beschreibung

Juni 1796: Arthur Wellesley, ein junger Offizier, befindet sich in einer prekären Lage: Er ist völlig mittellos, mit seiner Familie zerstritten und ohne Zukunft in Irland. In dieser Situation bleibt ihm nur ein Ausweg: Die Heimat verlassen und nach Indien fahren. In der Kronkolonie kann er sich bewähren, militärische Ehren erlangen und vielleicht sogar zu ein bisschen Geld kommen. Der Subkontinent ist weit und unerforscht. Blutige Machtkämpfe zwischen der britischen Ostindischen Kompanie und den lokalen Machthabern sind entbrannt. Es geht um Einfluss, Macht, Handelskonzessionen und sehr viel Geld. Die Gefahren sind vielfältig, doch Arthur weiß sich zu behaupten. Als er sich in Charlotte, die Tochter eines hohen, britischen Beamten in Kalkutta verliebt, gewinnt das Leben in Indien sogar ganz neue Facetten. Dann wird Arthur vom Generalgouverneur mit einer gefährlichen Mission betraut. Tippu Sultan, der berüchtigte "Tiger von Mysore" probt den Aufstand gegen die Briten. Der Erfolg gegen den "Tiger" bleibt nicht aus und festigt Arthurs Ruf als Soldat, doch der Preis für den Ruhm ist hoch. Tippus bester General –Dhoondia Wao – schwört dem Bezwinger seines Sultans blutige Rache. Unter dem Namen "König Zweier Welten" bricht zusammen mit den Anhängern der blutrünstigen "Thugee-Sekte" einen grausamen Krieg im Herzen Indiens vom Zaun, dem nicht nur unzählige Unschuldige zum Opfer fallen, sondern auch Arthurs junge Verlobte und ihr ungeborenes Kind. Der britische Offizier verfolgt den "König Zweier Welten" bis ans Ende des Maharastra und zerstört den berüchtigten Khali-Tempel von Aymangala, in dem die "Thugee" ihre schrecklichen Rituale zelebrieren. Doch auch dieser Sieg bringt weder den Menschen in Mysore noch Arthur Wellesley den ersehnten Frieden. Als Lohn für seine Erfolge zum General befördert, muss Arthur nun die gewaltige Übermacht der rebellischen Marattha-Konföderation besiegen, die sich nicht nur gegen den Generalgouverneur in Kalkutta, sondern auch gegen die Ostindische Kompanie verschworen hat. Der gefährliche Feldzug führt ihn tief ins Herz des Subkontinents. In einer grauenhaften, blutigen Schlacht stehen sich schließlich seine Männer und die gewaltige Armee der der Marattha, unterstützt von den revolutionären Franzosen und hoch-professionellen europäischen Söldnern gegenüber.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 928

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Peter Urban

Marattha König Zweier Welten Gesamtausgabe

Band 1 der Warlord-Serie

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Erster Teil Kanonenfutter

Kapitel 1 Farewell Thee, Erin And Albion!

Kapitel 2 Henriettas Hoffnung

Kapitel 3 Geheimnisvolles Indien

Kapitel 4 Nur ein grosses Spiel

Kapitel 5 Das Rad des Lebens

Kapitel 6 Zu fernen Ufern

Kapitel 7 Für Englands Ruhm zu streiten ...

Kapitel 8 Alle Düfte des Orients

Zweiter Teil Nimmukwallah

Kapitel 1 Kriegstreiben

Kapitel 2 Erste Gefechte

Kapitel 3 Die Belagerung von Seringapatam

Kapitel 4 Armageddon

Kapitel 5 König zweier Welten

Kapitel 6 Kalis Fluch

Kapitel 7 Die Ehre eines Soldaten

Kapitel 8 Des Königs Salz

Dritter Teil Bahadour

Kapitel 1 Der Zauberlehrling

Kapitel 2 Sepoy-General

Kapitel 3 Ahmednuggur

Kapitel 4 Der Schrecken unserer Waffen

Kapitel 5 Ein Hauch von Unbesiegbarkeit

Kapitel 6 Blutiges Assaye

Kapitel 7 Bis zum bitteren Ende

Kapitel 8 Aufsteigende Sterne

Kapitel 9 Eine endlos lange Zeit

Epilog

Glossar

Historische Anmerkungen zum Band I Der Warlord-Serie – Marattha König Zweier Welten

Leseprobe Band 2 der Warlord Serie - „Adler und Leopard“

Impressum neobooks

Erster Teil Kanonenfutter

Kapitel 1 Farewell Thee, Erin And Albion!

Über den tiefschwarzen Wassern des Nordatlantiks lag ein bedrohliches, unheimliches Grau, das die Insel unter sich zu erdrücken schien, als in den frühen Morgenstunden des 21. Juni 1796 die Fregatte Caroline aus dem Hafen von Portsmouth auslief. Und mit jeder Seemeile, die das Schiff sich von den schützenden Ufern Englands entfernte, wurde der Nebel dichter und undurchdringlicher. Der unangenehme Nieselregen verwandelte sich plötzlich in eine wahre Flut und stürzte unbarmherzig auf die Männer an Deck hinunter, während diese noch dabei waren, die Segel zu setzen.

Fast alle Passagiere der Caroline hatten sich bereits unter Deck geflüchtet, um dem Regensturm zu entkommen. Sollten der Wind und Neptun es gut mit ihnen meinen, würde ihre Reise von England ans Kap der Guten Hoffnung, am anderen Ende der Welt, zwei oder drei Monate dauern. Sollten die Naturgewalten sich entfesseln oder die Caroline auf französische oder amerikanische Kaperschiffe stoßen, konnte das Wagnis nie zu einem glücklichen Ende kommen, weil Schiff, Besatzung und Passagiere irgendwo in den unberechenbaren Fluten vom Schicksal ereilt würden. In diesen Tagen war eine lange Seereise eine gefährliche und anstrengende Sache.

Aus diesem Grunde versuchte man, es sich in den engen, dunklen Kabinen oder in den Gemeinschaftsunterkünften so gemütlich wie möglich zu machen und zu vergessen, auf welches Abenteuer man sich – aus Not oder Neigung – eingelassen hatte. Die Seeleute waren erleichtert, dass die Landratten so widerspruchslos das Deck räumten und ihnen bei ihrer schwierigen Aufgabe nicht im Weg standen, denn der Ärmelkanal, diese enge maritime Verbindungsstraße zwischen Großbritannien und Frankreich, war ein unberechenbares Fahrwasser: Außer großen, schweren Handelsschiffen aus aller Herren Länder und schnellen Seglern, die Passagiere beförderten, kreuzten zahllose Kriegsschiffe, Fischerboote und die Postfähren zwischen den Inseln und dem Kontinent. Wer nicht teuflisch aufpasste, konnte leicht ein anderes Schiff rammen und die lange Fahrt bereits vor Irland oder an der Ausfahrt in den Nordatlantik beenden.

Kapitän Edward Page stand neben seinem Steuermann Dobbs und wachte über die Sicherheit der Caroline und über die korrekte Ausführung jedes seiner Befehle. Und obwohl ihn diese Aufgabe eigentlich ganz und gar in Anspruch nehmen sollte, konnte er es doch nicht lassen, von Zeit zu Zeit diesen Verrückten zu betrachten: Seit sie den Hafen von Portsmouth verlassen hatten, stand er wie festgewachsen am Bug und starrte aufs Meer hinaus, während alle anderen Passagiere am Heck gestanden hatten, um sehnsüchtig ihrer alten Heimat nachzuwinken. Manch einer hatte Tränen vergossen, als die letzten Umrisse der Küstenlinie aus dem Blickfeld und im Nebel verschwanden, denn nur der Allmächtige wusste, wem es bestimmt war, eines Tages die Inseln und die Menschen wiederzusehen, an denen sein Herz hing. Wer nicht der unbarmherzigen See zum Opfer fiel, den erwarteten am anderen Ende der Welt zahllose Krankheiten, ein mörderisches Klima, wilde Tiere und streitlustige Eingeborene.

Der junge Soldat in der abgetragenen roten Uniform war der einzige gewesen, der sofort nach dem Lichten des Ankers nach vorn geeilt war, ganz so, als hätte er sich fest vorgenommen, Albion nicht Lebewohl zu sagen. Da stand er, genau dort, wo die beiden Seiten der Caroline eine Spitze formten, über der Gallionsfigur, und rührte sich schon seit Stunden nicht von der Stelle. Er hatte sich noch nicht einmal beim Quartiermeister des Schiffes blicken lassen, um sich zu erkundigen, wo denn seine Unterkunft war und wie man sein Gepäck verstaut hatte.

Gepäck! Edward Page schüttelte den Kopf, während er den Verrückten beobachtete. Seine Vorgesetzten bei den Horse Guards hatten ihn offenbar nach Indien geschickt, obwohl die Passage nur bis zum Kap bezahlt war. Er hatte irgendetwas von seinem Regiment, einem Truppentransportschiff und Irland vor sich hin gemurmelt, und Page nahm an, dass er versuchen wollte, den Transporter einzuholen, den er in Cork verpasst hatte, um dann auf Kosten König Georgs den längeren Teil der Reise zu machen. Gepäck hatte der Kapitän kaum gesehen. Zwei große Kisten voller Bücher, ein uralter Sattel, ein Kandarenzaum, ein sonderbares Musikinstrument, das wie eine übergroße Fiedel aussah, und die Sachen, die er am Leibe trug, schienen seine einzigen Reichtümer zu sein. Die Schulterstücke eines Obersten waren zwar an seinen roten Rock genäht und sahen ziemlich neu aus; trotzdem hatte der Verrückte nur eine Überfahrt dritter Klasse bezahlt. Das waren die Passagiere, die man dort unterbrachte, wo gerade noch Platz war. Im schlimmsten Fall mussten sie sich eine Hängematte mit einem Seemann teilen oder mit einem harten Nachtlager zwischen den Taurollen vorliebnehmen. Außerdem mussten sie sich selbst um ihre Verpflegung kümmern.

Page fragte sich, was der Verrückte an Lebensnotwendigem eingeplant hatte, denn außer den großen Kisten mit seinen Büchern und dem Instrument hatte er nichts mit an Bord gebracht. Soldaten hatten die Kisten von einem Versorgungswagen abgeladen, und der junge Offizier war zu Fuß und alleine im Hafen erschienen. Keine besorgten Verwandten hatten sich hinter ihm an Bord gedrängt, um ein paar Käfige mit lebenden Hühnern, ein paar Säcke mit Brot und Obst und einige Räder Käse unter Deck zu verstauen.

Irgendwie hatte der Kapitän das Gefühl, dass es am besten wäre, ihn gleich an seinen Tisch einzuladen, um nicht irgendwo zwischen der Küste Portugals und der Straße von Gibraltar ins Logbuch eintragen zu müssen, dass einer seiner Passagiere verhungert sei, weil er festgestellt habe, dass man Papier nicht essen könne. Der Junge war vielleicht fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig Jahre alt und so mager, dass sein roter Rock wie ein alter Lumpen an einer Vogelscheuche an ihm hing. Nicht einmal eine ordentliche Perücke schien er zu besitzen, denn seine schwarzbraunen Haare waren – entgegen der Vorschriften der Landstreitkräfte – kurz geschnitten und ungepudert. »Wie eine Krähe, kurz bevor sie flügge wird«, dachte Page. Der Verrückte am Bug schien dergleichen Gedanken zu haben, denn plötzlich breitete er die Arme aus, als wollte er seinen ersten Flugversuch unternehmen. Der Regen musste ihn inzwischen bis auf die Knochen durchnässt haben.

Mit jeder Seemeile, die die Caroline sich von den Britischen Inseln entfernte, fühlte Arthur sich freier. Er war tropfnass und völlig durchgefroren, und sein Magen knurrte, denn er hatte seit zwei Tagen vor lauter Aufregung nicht mehr daran gedacht, irgendetwas zu essen. Das Wetter war grauenhaft, und die See bedrohte die Caroline mit jeder Welle, schien das Schiff unter Wasser drücken zu wollen, um es wie ein hungriges Raubtier zu verschlingen. Trotzdem war alles phantastisch: der weite Ozean vor ihm und am Ende der langen Reise: Indien! Indien – sagenumwobener Orient, fremd und aufregend! Indien, unendlich, unbekannt und unerforscht mit seinen riesigen Wäldern und den mächtigen Gebirgsketten, die den nördlichen Teil durchschnitten wie große, tiefe Wunden. Indien, mit seinen mächtigen Strömen, die Tausende von Meilen den Subkontinent durchquerten und Ozean mit Ozean verbanden. Indien – Freiheit und ein wundervolles, großes Abenteuer.

Er konnte es kaum noch erwarten, in dieses ferne Land zu kommen. Wie gleichgültig es ihm war, was ihn dort erwartete: Reichtum und Ruhm oder Untergang und Tod. Endlich hatte er Dublin hinter sich gelassen und Irland und seine Schulden und seine Geige und sein gebrochenes Herz und seinen Pessimismus und den Alkohol und den Spielteufel und all die anderen Übel seiner missratenen, unglücklichen Jugend. Vor allem aber hatte er Richard hinter sich gelassen und den ganzen Rest seiner gottverdammten Familie, die immer nur von ihm forderte, aber nie etwas gab, und die ihn behandelt hatte wie einen Aussätzigen oder – schlimmer noch – einen Dienstboten, den man herumkommandieren konnte. Sie hatten ihn ins irische Parlament gezwungen, damit er die Interessen der Familie und das County Trim vertrat, während Richard in London ein feines Leben führte. Sie hatten ihn an die Seite des Vizekönigs gezwungen, damit er – während Richard intrigierte und lavierte – die Ohren offen hielt und vor dem alten Westmorland und dann vor Camden katzbuckelte. Sie hatten ihn vor zehn Jahren sogar in die Armee gezwungen, obwohl er nie hatte Soldat werden wollen, nur damit er ihnen nicht auf der Tasche lag, während Richard mit seinen unzähligen Mätressen am Arm sechsspännig vorfuhr, um in teuren Lokalen zu speisen.

Seit er sich erinnern konnte, hatten sie über sein Leben verfügt, als wäre er ein Gegenstand und kein menschliches Wesen mit Gefühlen und einer Seele, die man verletzen und kränken konnte. Seit er sich erinnern konnte, war er fügsam gewesen und hatte, wie ein alter Hund, mit gesenkten Augen jeden Tritt und jede Demütigung schweigend hingenommen. Er war schließlich nur ein nutzloser, vierter Sohn! Ein dummer, überflüssiger vierter Sohn, wie seine Mutter immer zu sagen pflegte, der gut daran täte, sich irgendwo am anderen Ende der Welt für König und Vaterland totschießen zu lassen. Sie hätten ihr übles Spiel sicher noch weiter mit ihm treiben können, wäre da nicht dieses Mädchen gewesen: Kitty! Katherine Dorothea Sarah Pakenham, die zweite Tochter von Robert Lord Longford. Mit neunzehn Jahren hatte er sich hoffnungslos in sie verliebt, mit vierundzwanzig hatte er sie heiraten wollen. Doch die Longfords hatten ihn fortgejagt wie einen räudigen Straßenköter, denn außer den Schulden seines Vaters und seinem Offizierspatent hatte er ihrer geliebten Tochter nichts zu bieten. An dem Tag, als sein Traum vor seinen Augen zerplatzt war, hatte er beschlossen, dem Rat seiner Mutter zu folgen: Er hatte sich zum ersten Mal nicht fügsam und schweigend in sein Schicksal ergeben, sondern die Augen gehoben und ... nein gesagt. Er hatte sie alle zur Hölle geschickt und sich geschworen, nie wieder eine Frau zu lieben, sein eigenes Leben zu leben und seinen eigenen Weg zu gehen.

So hatte er sich freiwillig für den ersten Truppentransport gemeldet, der die Inseln verließ. Er hatte sich nicht für ein bestimmtes Kommando gemeldet oder für irgendeinen Posten. Das revolutionäre Frankreich begann sich wieder in Indien einzumischen. Aus diesem Grund hatte die Regierung in Whitehall beschlossen, ihre Truppenstärke am anderen Ende der Welt drastisch zu erhöhen. Es gab nur eine einzige Richtung, in die das 33. Infanterieregiment Seiner Majestät, König Georg III., geschickt werden konnte. Arthur hatte bloß genickt und dem Sekretär des Oberkommandierenden dann bestimmt und mit überraschend fester Stimme erklärt, er wäre hundert Prozent sicher.

Der Sekretär hatte lange versucht, ihm die Sache auszureden, und dabei dauernd mit seinen kurzsichtigen Augen in seine leere Teetasse gestarrt, als hätte er in den Teeblättern Arthurs Zukunft lesen können. Nur einer von sechs Briten, die sie nach Indien schickten, erklärte er, kehrte lebend zurück, meist von einem unheilbaren Fieber befallen und am Rande des Todes.

Arthur hatte ihm nur geantwortet: »Umso besser! Hoffen wir, dass ich zu den fünf Glücklichen zähle, die nicht zurückkehren! « Der Sekretär hatte mit den Schultern gezuckt und ihn und das 33. Infanterieregiment auf die Liste gesetzt. Es gab sicher zwanzig Obristen, die erfreut darüber waren, dass ein Verrückter sie von der Aussicht auf ein Himmelfahrtskommando befreite, und die sich darum schlagen würden, dass man ihren Marschbefehl nach Indien annullierte.

Arthur verließ das düstere Gebäude der Horse Guards unweit von Whitehall mit einem Glücksgefühl, wie er es bisher nur einmal in seinem jungen Leben verspürt hatte: in dem Augenblick, als er die

Regimentsfahnen des 33. Infanterieregiments über den Schanzen von Boxtel, irgendwo in den Niederlanden, hatte wehen sehen. Boxtel war seine erste Begegnung mit dem Krieg gewesen und gleichzeitig eine der wenigen geglückten militärischen Aktionen in einem missratenen Winterfeldzug gegen die französischen Truppen. Boxtel, sein eigener kleiner Sieg – über den Feind und über die Angst vor dem Soldatenhandwerk. Sie hatten ihm dafür die Schulterstücke eines Oberstleutnant in die Hand gedrückt und ein bisschen Preisgeld! Das Preisgeld hatte er zwei Jahre lang gehütet wie einen Schatz und in der Annahme, es würde ihm noch von Nutzen sein.

An dem Tag, als er Torrens und die Horse Guards verließ, hatte er sich mit den Sterling in der Tasche auf den Weg gemacht, um zwei große Kisten mit Büchern zu füllen. Man hatte ihn in die Armee hineingezwungen, doch in diesem Augenblick hatte der junge Offizier den eigenen Entschluss gefasst, den Weg des Schwertes bis ans Ende zu gehen. Und nun wollte er nicht unvorbereitet in Indien eintreffen. Torrens hatte es sicher nicht gehört, doch als er das 33. Infanterieregiment auf seine Liste schrieb, hatte neben ihm jemand ganz laut gerufen: »Sieg oder Tod! « und »Fahrt zur Hölle, Erin und Albion! «

Arthur schüttelte sich wie ein Hund. Er war tropfnass und hatte vorerst genug von der weiten Welt und vom Nordatlantik gesehen. Er hatte noch so viel zu tun: Irgendwo dort unten im Schlund der Caroline standen zwei große Truhen. Er hatte sich vorgenommen, die sieben oder acht Monate auf See sinnvoll zu verbringen: Er musste alles über Indien lernen, was in seinen Büchern geschrieben stand. Und ein bisschen Hindi musste er sich aneignen sowie Tamil, die beiden verbreitetsten Dialekte in Bengalen und Madras. Ein Offizier musste seinen Kriegsschauplatz kennen, wenn er seine Arbeit ordentlich machen und seinen Weg gehen wollte – und genau das hatte Arthur sich vorgenommen. Auf den blutigen Schanzen von Boxtel hatte er endlich einen Gott gefunden. Und Indien würde der Altar sein, auf dem Oberst Wesley Mars seine Blutopfer zu bringen gedachte.

Kapitän Edward Page schüttelte den Kopf, als er den Verrückten beobachtete, wie dieser über die nassen, rutschigen Planken zurück ins Innere des Schiffes stolperte. Diese kleine, zerzauste Krähe strahlte übers ganze Gesicht, als wäre die Seereise über diesen verdammten, trostlosen Nordatlantik ein großes Fest oder ein weltbewegendes Ereignis. Das Lachen würde ihr schon noch vergehen, wenn die Caroline sich durch den ersten Sturm hindurchkämpfen musste und alle Landratten an Bord vor Angst und Übelkeit nur noch darum beteten, der Allmächtige möge sie von ihren Qualen erlösen. Er warf einen kurzen Blick zu seinem Ersten Offizier hinüber: »Mister Briggs, wären Sie so freundlich, unseren jungen Freund im roten Rock zum Quartiermeister zu geleiten, damit man ihm seine Unterkunft zeigt? Und fragen Sie den ehrenwerten Oberst Wesley auch gleich, ob er mich heute beim Abendessen mit seiner Gesellschaft beehrt!«

Briggs legte die Hand an den Hut und grinste. »Ay, ay, Sir!« Ihm war die magere kleine Krähe ebenfalls aufgefallen, und er hätte selbst gern gewusst, welch sonderbares Exemplar der Gattung Landratte sie bis ans Kap befördern sollten.

Pünktlich um acht Uhr am Abend stand Arthur vor der Tür der Offiziersmesse der Caroline. Er hatte sich redlich bemüht, den roten Rock zu trocknen und auszubürsten. Es war der einzige, den er besaß. Und er hatte versucht, die streichholzkurzen Borsten auf seinem Kopf ordentlich in eine Richtung zu zwingen. Doch weder das eine noch das andere war ihm gelungen, und weil sein Magen so hingebungsvoll knurrte, hatte er beschlossen, dass Kapitän Page und seine Herren Offiziere mit einem etwas zerfledderten Vertreter der britischen Landstreitkräfte vorliebnehmen mussten. Dafür hatte er glänzende Laune und ein königliches Selbstbewusstsein: Mit den Morningtons und Wesleys in weiter Ferne und der nachmittäglichen Lektüre einer großen Landkarte, die detailliert den Süden Indiens darstellte, schien es nichts mehr auf dieser Welt zu geben, das den jungen Offizier aus dem Gleichgewicht bringen konnte.

Als er sich den Herren in der Messe vorstellte, senkte er nicht die Augen, wie er es ansonsten stets zu tun pflegte, sondern blickte Kapitän Page fest an. »Ich danke Ihnen für die Einladung zum Abendessen, Sir! Ich hab nämlich im ganzen Trubel um die Reise vollkommen verschwitzt, irgendetwas einzupacken! « schwindelte er unverfroren, als er sich auf seinen Platz zur Linken von Edward Page fallen ließ. Seine graublauen Augen funkelten vergnügt. Natürlich hatte er's nicht vergessen! Aber er hatte sich entscheiden müssen: entweder vierundzwanzig Bände von Jonathan Swift für zwei Shilling und zehn Pence in seine großen Kisten zu packen oder Proviant für die Überfahrt. Arthur hatte sich für Swift entschieden und auf den Allmächtigen vertraut, der sich schon darum kümmern würde, dass man seinen leeren Magen füllte.

»Die Tür meiner Offiziersmesse steht Ihnen selbstverständlich jederzeit offen, Oberst Wesley! « antwortete Page ergeben. Er hatte es sich fast gedacht: Die zerfledderte kleine Krähe war abgebrannt bis auf den letzten Farthing und fuhr nach Indien, um ihr Glück zu machen. Trotzdem hatte dieser komische Vogel irgendetwas an sich, das ihn sympathisch machte.

Bereits am nächsten Morgen – die Caroline hatte die Küste Irlands weit hinter sich gelassen – klarte das Wetter auf, und eine strahlende Sonne löste den penetranten Regen des Vortages ab. Trotzdem legte der Wind sich nicht, sondern trieb das Schiff energisch voran. Die weißen Segel flatterten munter im Wind. Möwen zogen ihre Kreise, und von Zeit zu Zeit tauchten am Horizont andere Schiffe auf.

Arthur hatte die Nacht zwar auf einer etwas unbequemen Taurolle irgendwo am Bug des Schiffes verbracht, aber der freundliche Kapitän Page und seine Offiziere hatten gleich am Morgen dafür gesorgt, dass er ein ordentliches Frühstück und eine große Tasse heißen, süßen Tees vorgesetzt bekam. Anschließend hatte Mr. Briggs ihn zur Seite genommen. Der alte Seemann hatte ihn eingehend von Kopf bis Fuß betrachtet und schließlich erklärt: »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, können Sie von nun an die Kabine mit mir teilen!«

Zuerst war Arthur ein bisschen verlegen gewesen und feuerrot angelaufen. Normalerweise leisteten Obristen sich eine Passage erster Klasse und eine hübsche, gemütliche Kabine. Der dritten Klasse vertrauten sie höchstens ihre Bediensteten an. Natürlich hatte er Briggs' Angebot angenommen. Er hätte seine Überfahrt aus der Kasse des 33. Infanterieregiments bezahlen können. Doch irgendwie widerstrebte es Arthur, das Geld des Königs für den eigenen Komfort aufzuwenden. Er wollte das Geld für die Ausrüstung seiner Männer in Indien aufheben, denn er hatte das Gefühl, dass sie nicht lange tatenlos in Kalkutta ausharren mussten, sondern schon bald ins Feld geschickt würden.

Bereits im Regen des ersten Reisetages hatte der junge Oberst seinen Erkundungsgang über die rutschigen Planken der Caroline unternommen. Nun, im strahlenden Sonnenschein eines schönen Sommertages, begab er sich zielstrebig an die Stelle, die seinem Zweck des ungestörten Lesens und Lernens am besten dienen würde.

Kapitän Edward Page beobachtete ihn wieder einmal kopfschüttelnd von seinem Kommandoposten aus. Die zerfledderte kleine Krähe hatte sich ein dickes Buch unter den linken Arm geklemmt. Mit der Rechten hangelte sie sich – recht geschickt – über die Reling bis in die große Schaluppe, die am Heck des Schiffes aufgehängt war.

Arthur fand diesen Platz wunderbar bequem. Er zog ein kleines, in Leder gebundenes Notizbuch und einen Bleistift aus der Jackentasche, faltete den roten Rock ordentlich zusammen und lehnte sich, die Uniform als Kissen benutzend, gegen die hölzernen Planken. Das Büchlein für die Notizen und der Bleistift lagen griffbereit neben ihm. Entschlossen öffnete er den ersten Band eines seiner wertvollsten Besitztümer und begann zu lesen. Bald schon war er so in Oberst Mark Wilks' »Historical Sketches of the South of India« vertieft, dass er die Welt um sich herum vergaß.

Die meisten Passagiere der Caroline litten derweil an körperlichem Unwohlsein, das der heftige Wellengang bei Landratten verursachte. Viele wagten es nicht, ihre Kabinen zu verlassen, einige wenige trieb ihr vom Frühstück in Aufruhr gebrachter Magen an die Reling.

Während Arthur sich in seiner engen, steilen Handschrift winzige Notizen in den Lederband machte – Papier in gebundener Form war unbezahlbar; er musste mit den hellgelben und malvenfarbenen Seiten sparsam umgehen –, hatten bereits Delphine zu der Caroline aufgeschlossen und sprangen verspielt neben den Heckwellen durch das tiefblaue Wasser. Die Reisenden, die am wenigsten unter dem Seegang litten, beobachteten die geschmeidigen, eleganten Tiere ausgiebig. Der Erste Offizier, Mr. Briggs, erklärte ihnen, dass es ein seltenes Ereignis sei, Delphinen schon an der Ausfahrt aus dem Ärmelkanal in den Nordatlantik zu begegnen. Üblicherweise begleiteten sie die Schiffe erst ab der portugiesischen Küste. Doch Delphine brachten Glück. Also freute man sich und schaute dem munteren Treiben weiter zu, bis ein Seemann zum Mittagessen läutete.

Die meisten Passagiere zogen es vor, dem Ruf der großen Messingglocke auf der Brücke nicht zu folgen. Arthur verpasste die Aufforderung schlichtweg, denn die Geschichte des Fürstentums Mysore, die Oberst Wilks in seinem dreibändigen Werk bereits auf den ersten Seiten des ersten Bandes ausführlich niedergelegt hatte, zog ihn so in ihren Bann, dass er die Alarmsignale seines Magens einfach ignorierte. Erst am Abend, pünktlich um acht Uhr, tauchte er in seiner abgetragenen, aber sauber ausgebürsteten Uniform vor der Tür der Offiziersmesse auf und schielte erwartungsvoll nach den großen Terrinen, die soeben ein Gehilfe des Kombüsenmaates auftrug. Mr. Briggs legte ihm von hinten die Hand auf die Schulter. »Für eine Landratte von der Infanterie macht Ihnen das Meer erstaunlich wenig aus, Oberst! «

Arthurs Antwort war nur ein breites Grinsen. In den letzten zehn Jahren seiner Dienstzeit war er immer so knapp bei Kasse gewesen, dass er sich kaum regelmäßige Mahlzeiten hatte leisten können. Wenn man ihm einen warmen, wohlgefüllten Teller hinstellte, konnte die Erde beben oder der Nordatlantik haushohe Wellen schlagen, er war der letzte, der sich von solchen Lappalien den Appetit verderben ließ.

Die Offiziere der Caroline waren ein munteres Völkchen, ihr grauhaariger und wettergegerbter Kapitän ein Spaßvogel. Nach der anstrengenden Lektüre des Tages freute der junge Offizier sich über ihre angenehme Gesellschaft. Alle schienen sie über einen unerschöpflichen Vorrat an Anekdoten und Geschichten über ihre weiten Reisen auf den Meeren der Welt zu verfügen. Im Vergleich mit dem steifen Speisesaal des Vizekönigs von Irland oder der mageren Messe seines eigenen Regiments, ging es bei Kapitän Page lebhaft zu.

Obwohl Arthur von Natur aus eher scheu und verschlossen war und sich schüchtern hinter seinem Glas und seinem Abendessen versteckte, wirkte die Reise sich doch sehr positiv auf ihn aus: Mit jeder Seemeile und jedem Tag, den das Schiff sich weiter von England entfernte, wurde er lebhafter und umgänglicher. Nachdem er Europa hinter sich gelassen hatte, wurde der junge Oberst sogar gesprächig. Seine Tage waren mit Lesen und Lernen ausgefüllt, seine Abende verbrachte er mit den Seeleuten. Die Reise verlief erstaunlich ruhig, und der Wettergott verschonte die Caroline vor Stürmen und ungünstigen Winden.

Als das Schiff nur noch zwei oder drei Tage vom Kap der Guten Hoffnung entfernt war, konnte Kapitän Edward Page es sich nicht verkneifen, seinem Ersten Offizier etwas zuzuflüstern, während er die zerzauste kleine Krähe am Heck beobachtete. »Wissen Sie, mein Freund, ich glaube, der Junge wird seinen Weg in Indien machen. «

Bei den gemeinsamen Abendessen in der Offiziersmesse hatte Oberst Wesley, obwohl er sich standhaft weigerte, auch nur ein Wort über sich selbst zu erzählen, sehr vernünftige Dinge von sich gegeben, die darauf schließen ließen, dass er ein kluger Kopf war. Außerdem verfügte er, wenn man ihn richtig zu nehmen vermochte, über eine gehörige Portion Humor.

Genauso, wie er im Hafen von Portsmouth einen Platz am Bug gewählt hatte, um England nicht Lebewohl zu sagen, besetzte Arthur nun schon seit achtundvierzig Stunden die Schnittstelle über der Galionsfigur der Caroline. Er war ungeduldig und aufgeregt wie ein Schuljunge am letzten Tag vor den Ferien. Er hatte sich fest vorgenommen, der erste an Bord zu sein, der die Küstenlinie Südafrikas und das Kap der Guten Hoffnung ausmachte.

Die See vor seinen Augen war strahlend blau. Die Wellen, die gegen die Planken des Schiffskörpers schlugen, trugen hübsche, weiße Schaumkronen. Hoch oben im wolkenlosen Sommerhimmel kreisten laut schreiende Möwen. Ab und an erblickte man bereits die ersten Landvögel oder einen abenteuerlustigen Albatros. Die Segel der Caroline flatterten nicht, sondern waren von einer steifen Brise voll aufgebläht und trugen das Schiff schnell voran. Delphine sprangen hoch aus dem Wasser. Mit jedem eleganten, geschmeidigen Sprung kam der junge Oberst dem Ziel seiner Reise näher. Ein kurzer Aufenthalt in Kapstadt, das 33. Infanterieregiment eingesammelt und dann – vorwärts in den sagenumwobenen Osten.

Die Bücher aus einer der großen Kisten hatte er bereits gelesen. Vor seinem inneren Auge sah er jede Nacht, bevor er einschlief, exotische Tiere, unendliche, grüne Dschungellandschaften, mächtige Bergketten mit phantastischen Namen und prunkvolle orientalische Bauwerke aus strahlend weißem Stein. Manchmal glaubte er in seiner kleinen Kabine sämtliche Düfte des Orients riechen zu können: Sandelholz, Kardamom, Ingwer, Safran, Curry und Bergamotte.

Dem großen Clive war es in diesem Märchenland gelungen, binnen weniger Jahre vom schlechtbezahlten Schreiber zu einem reichen Pair von England aufzusteigen. Aus einem schlichten irischen Seemann hatte Indien einen Prinzen gemacht. Ein Offizier in einem königlichen Regiment, der daheim bestenfalls mit 300 Pfund Sterling Sold pro Jahr rechnen konnte, erhielt in Indien Zehntausende Pfund aus den prall gefüllten Kassen von »John Company«, der alten und ehrwürdigen Ostindischen Kompanie. Preisgelder schienen wie Milch und Honig im Schlaraffenland zu fließen.

Mit jeder Seemeile auf Kapstadt zu schwanden Arthurs Sorgen, was die Schulden anbetraf, die er in Irland zurückgelassen hatte. Er war jung, er war gesund, und er war voller Enthusiasmus und Tatendrang. Es musste auch für ihn ein leichtes sein, sein Glück zu machen. Und dann würde er dem leidigen John Page in Dublin einen Wechsel über 955 Pfund Sterling, 14 Shilling und achteinhalb Dime schicken, seinem Bruder Mornington die letzten Goldstücke für sein Offizierspatent vor die Füße werfen und endlich ein freier Mann sein.

Bis ins kleinste Detail malte er sich am Bug der Caroline aus, wie er eines Tages nach Irland zurückkehren würde – überhäuft mit Orden, die König Georg ihm für seine militärischen Verdienste aufgedrängt hatte. Die Taschen seines roten Rocks quollen über vor schweren, goldenen »Mohurs« und silbernen »Pagodas«, und die Truhen waren gefüllt mit den Schätzen des Orients. Er sah sich bereits auf einem stolzen Schimmel durch die Straßen von Dublin reiten. Die feine Gesellschaft der Stadt, die ihn immer nur als Lord Morningtons dummen, kleinen Bruder belächelt hatte, würde den Hut vor ihm ziehen und sich darum streiten, ihn zu einer Abendgesellschaft einladen zu dürfen. Natürlich würde er hoch erhobenen Hauptes ablehnen und sie kalt lächelnd genauso vor den Kopf stoßen, wie sie ihn vor den Kopf gestoßen hatten.

Doch den höchsten Genuss bereitete es ihm, in seiner Tagträumerei an Kitty zu denken: Die ehrenwerte Miss Pakenham! Das Herz hatte sie ihm gebrochen und mit seinen Gefühlen gespielt, und dann hatte sie es einfach geschehen lassen, dass man ihn aus dem Haus vertrieb. Während er in Indien sein Glück machte, würde sie gewiss irgendeinen langweiligen Burschen heiraten, der genug Geld hatte, um ihren Bruder zu überzeugen. Unglücklich würde sie mit ihm werden und vergrämt und alt und bitter. Mit grauen Strähnen im Haar und einer Schar schreiender Kinder am Rockzipfel, den fetten, bleichen Gatten am Arm, würde sie sich gelangweilt durch die Gärten von Phönix Park schleppen. Seinen stolzen Schimmel würde er vor dieser Chimäre seiner verlorenen Jugend zügeln. Nicht einmal aus dem Sattel steigen würde er, und ein »Guten Tag! Wie geht es dir? « sollte sie auch nicht bekommen. Er würde ihr sagen, dass ein Mann kein Pferd ist, nur weil er in einem Stall auf die Welt gekommen ist. Und dann würde er fortreiten und sie mit ihren Bälgern, ihrem fetten Ehemann und ihrem Gram allein lassen.

Arthur breitete die Arme aus, als wollte er sich in die Lüfte erheben. Die Küstenlinie des Kaps und die Gebirgskette der »Apostel« tauchten aus den strahlend blauen Wassern des Ozeans am Horizont auf. Sein Herz schlug wild vor Glück und Aufregung. Er hatte das Gefühl, als ob er die ganze Welt umarmen könnte. Oben auf der Brücke schüttelte Kapitän Edward Page verzweifelt den Kopf und grinste seinen Ersten Offizier an.

Als die Caroline in der Tafelbucht, dem Hafen vor Kapstadt, nach siebenwöchiger Reise endlich Anker warf, kam Arthur als erstes eine schmerzhafte Erinnerung in den Sinn. Vor den imposanten Tafelbergen, die diese Stadt am südlichsten Zipfel Afrikas überschatteten wie eine bedrohliche Festung aus alter Zeit, durchlebte er einen grauenvollen Winterfeldzug in Nordholland und Flandern: Diese missglückte Expedition der britischen Landstreitkräfte in den Jahren 1793 bis 1795 unter ihrem Oberkommandierenden Prinz Frederick Augustus Herzog von York und Albany war seine erste Erfahrung mit der Realität des Krieges gewesen.

Die Männer hatten tapfer gekämpft, doch ihr nobler Anführer und seine unfähige Bande von speichelleckenden und katzbuckelnden Handlangern hatten jeden Fehler begangen, den ein Offizier nur begehen konnte. Nicht der Feind hatte die stolze Streitmacht dezimiert, sondern ein Mangel an Proviant, warmer Kleidung, medizinischer Versorgung und vor allem – vernünftiger Führung. Nachdem sie einen schrecklichen Winter mit eisigen Schneestürmen durchlitten hatten, konnte Frederick Augustus nichts anderes tun, als die dezimierten Truppen von Bremen aus nach England zu evakuieren.

Manchmal, wenn er die Augen schloss, sah Arthur die tapferen Soldaten seines 33. Regiments vor sich: Auf dem Rückzug über die Leck, die Ems, die Weser und die Alle waren sie erfroren, in den eisigen Wassern der vier Flüsse ertrunken, an Wundbrand krepiert – oder einfach vor Erschöpfung tot umgefallen. An dem Tag, an dem er gemeinsam mit dem Skelett seines Regiments wieder Fuß auf irischen Boden gesetzt hatte, hatte er sich geschworen, die Fehler dieser alten, verkalkten Militärhierarchie unter keinen Umständen zu kopieren, sollte man ihm jemals ein eigenständiges Kommando anvertrauen. Er wollte es anders machen und vor allem besser.

Dass er an diesem ersten Tag der zweiten Septemberwoche des Jahres 1796 seinen Fuß in Kapstadt an Land setzte und nicht auf einer vom Sturm gepeitschten, unwirtlichen kleinen Insel im Nordatlantik, verdankte der junge Offizier dennoch indirekt den Fehlern des zweiten Sohns seines Königs, Georg III. Wenn sie nicht so gut wie jede Auseinandersetzung mit den französischen Truppen in Europa verloren hätten, wären die Herren in Whitehall und St. James – verzweifelt und gedemütigt – vermutlich nie auf die Idee gekommen, Commodore Elphistone von der Königlichen Kriegsmarine zu beauftragen, General Clarke und jeden einzelnen Rotrock, der auf der britischen Besitzung St. Helena im Nordatlantik abkömmlich war, zu verschiffen und nach Südafrika zu bringen.

Bis zur britischen Niederlage im Flandernfeldzug war die von Batavia abhängige, kontinentale holländische Besitzung den Briten freundlich gesinnt gewesen. Mit der Niederlage des Herzogs von York sah die Krone sich auf der Seestraße nach Indien plötzlich mit den französischen Revolutionstruppen konfrontiert. Nicht mehr nur von Mauritius aus bedrohten Freibeuter unter der Trikolore die Konvois der britischen Ostindischen Kompanie. Die großen, sicheren und sorgfältig ausgebauten Hafenanlagen in der Tafelbucht und in der Simon's Bay hatten es dem Direktorium in Paris ermöglicht, Dutzende von schnellen Kaperschiffen loszuschicken und den lebensnotwendigen Warenaustausch zwischen zwei kleinen Inseln im Atlantik und den Kolonien am anderen Ende der Welt zu unterbrechen.

Zunächst hatten Commodore Elphistone und General Clarke den Franzosen und den zweitausendachthundert holländischen Soldaten in Kapstadt ein Ultimatum gestellt und einen Brief des Prinzen von Oranien an seine treuen Untertanen verlesen lassen. Als die Männer unter der Trikolore und ihre neuen Freunde nur spöttisch gelacht und abgewinkt hatten, waren die Rotröcke bis nach Simonstown am anderen Ende des Kaps der Guten Hoffnung gesegelt, in einer spektakulären Operation an Land gegangen und über die Mujzenberge, Wynberg und die Tafelberge auf Kapstadt marschiert. Sie hatten sich mit Waffengewalt genommen, was man ihnen freiwillig nicht hatte geben wollen.

General Alured Clarke war es gelungen, seine vier Bataillone in eine schlagkräftige Miniaturarmee zu verwandeln und einen zahlenmäßig weit überlegenen Feind so geschickt auszumanövrieren, dass bei diesem waghalsigen Handstreich nur ein britischer Soldat getötet und siebzehn Soldaten verletzt worden waren.

Auf der Überfahrt hatte der junge Oberst des 33. Regiments die Meisterleistung Clarkes eingehend studiert. Sofort nach dem Fall und der Besetzung von Kapstadt hatte die Krone Verstärkung ins südliche Afrika geschickt, wohl wissend, dass Frankreich und sein holländischer Verbündeter von Batavia und Mauritius aus versuchen würden, den strategisch wichtigen Hafen zurückzuerobern. Bereits sechs Monate nach Sir Alureds Glanzleistung waren holländische Kriegsschiffe in der Tafelbucht aufgetaucht. Doch zur See war niemand Großbritannien gewachsen.

Während Kapitän Page Befehl gab, die Passagiere der Caroline mit Schaluppen an Land zu bringen, betrachtete Arthur nachdenklich die Wracks der Holländer in der Rade.

Kaum hatte der Offizier seinen Fuß an Land gesetzt, verflog seine ernste Stimmung zusammen mit den trüben Gedanken über den Flandernfeldzug. Als er in Portsmouth an Bord der Caroline gegangen war, hatte niemand sich die Mühe gemacht, ihn zu begleiten. Doch am Kai des Hafens von Kapstadt erwartete ihn ein ganzes Empfangskomitee: Nicht nur Oberstleutnant John Sherbrooke, Major West, Major Shee und alle jüngeren Offiziere des 33. Regiments begrüßten den leicht irritierten Neuankömmling, auch ein alter Freund aus irischen Kindertagen hatte den weiten Weg aus der Stadt bis zur Festung und den Landestegen nicht gescheut: Oberst Henry Harvey Ashton vom 12. Infanterieregiment umarmte Wesley herzlich.

»Arthur, du siehst aus, als wärst du schon auf dem Rückweg von Indien nach England! « sagte Ashton und grinste. Die meisten der Passagiere der Caroline hatten sich bleich, erschöpft und abgemagert aus den Schaluppen auf den festen afrikanischen Boden geschleppt. Der Ire hatte einen munteren Sprung in sein neues, freies Leben gemacht. Die sieben Wochen auf See hatten ihn schwarzbraun gefärbt, und dank der ungewohnt reichlichen und regelmäßigen Mahlzeiten, die der zuvorkommende Kapitän ihm Tag für Tag hatte auftischen lassen, saß sein schäbiger Waffenrock auf Fleisch und nicht mehr auf Knochen.

»Seit wann seid ihr in Kapstadt? « war seine erste Frage nach der

Begrüßungszeremonie. Arthur hatte Ashton den Arm um die Schulter gelegt und strebte forsch vom Kai weg zu einer Gruppe von Pferden, die ein Mann im unverkennbaren roten Waffenrock, mit den roten und silbernen Aufschlägen seines Regiments, festhielt.

»Die Truppentransporter sind erst vor drei Tagen eingelaufen, Sir! « war John Sherbrookes Antwort. » Und die Männer sind alle gesund und wohlauf! Wir haben niemanden auf den Krankenlisten stehen! Außerdem hat ein guter Geist dafür gesorgt, dass des Königs Shillings vor dem 33. Regiment in Südafrika eingetroffen sind! «

Wesley warf seinem Kameraden einen erleichterten Blick zu. Die Konten seines Regiments waren schon seit Jahren ein Thema, das ihn ständig in Unruhe versetzte. Der nominelle Oberst des 33. Regiments, Lord Charles Cornwallis, hatte sich bis zur faktischen Übernahme der Einheit durch Arthur in finanziellen Dingen so sorglos gezeigt, dass ein Schuldenberg von 3039 Pfund Sterling bei verschiedenen Lieferanten in Irland aufgetürmt worden war. Den Shilling des Königs hatte der gute Lord lieber in die eigene Tasche anstatt in die Ausrüstung und Versorgung seiner Männer gesteckt.

Durch geschicktes Balancieren mit den Konten und beruhigende Gespräche mit den wütenden Gläubigern war es dem jungen Oberst Wesley innerhalb von drei Jahren gelungen, einen Waffenstillstand auszuhandeln und zu erreichen, dass die Lieferanten nicht bereits an der Quelle abzogen, was für seine Rotröcke lebensnotwendig war. Dann hatte er den alten Cornwallis mühsam davon überzeugt, dass es für die Ehre des Regiments und für seinen eigenen Ruf besser wäre, wenn man vor der Verschickung in die Kronkolonie Ordnung schuf. Sir Charles hatte es schließlich vorgezogen, den lästigen, drängelnden jungen Offizier mittels eines Wechsels auf seine Londoner Bank loszuwerden. Damit war das 33. Regiment schuldenfrei auf dem Weg in sein großes Abenteuer, und Arthur konnte endlich seine so sehnsüchtig erwarteten Rückstände von drei Jahren Sold einstreichen. Alle Abzüge, die Cornwallis vorgenommen hatte, waren von Arthur mit seinem eigenen Sold ausgeglichen worden. Er hatte eher die Zähne zusammengebissen, als zuzulassen, dass seine Soldaten in schäbigen Uniformen herumliefen oder am Hungertuch nagten.

John Sherbrooke zwinkerte seinem Freund und Kommandeur munter zu. Er kam aus einer sehr wohlhabenden Familie und war durch Einkünfte aus Grund und Boden unabhängig, doch er wusste nur zu gut um die missliche finanzielle Situation von Oberst Wesley und seine geradezu krankhafte Sorge, was das 33. Regiment betraf.

»Ihr werdet frühestens in vierzehn Tagen wieder in See stechen, Arthur! « mischte Ashton sich in das Zwiegespräch seiner Kameraden ein. »Ich bin hier ganz nett untergekommen, und man kann sich in dieser hübschen Stadt sehr angenehm die Zeit vertreiben! Heute abend werden die Herren des West Riding eine Einladung des East Suffolk doch sicher nicht ablehnen?«

Wesleys junge Offiziere und Oberstleutnant Sherbrooke warfen ihrem Kommandeur flehende Blicke zu. Sie hatten noch nicht die Gelegenheit gehabt, sich in Kapstadt zu amüsieren. Wegen der langsamen Truppentransporter war das 33. Regiment fünfzehn Wochen auf See gewesen, und alle sehnten sich nach einem kräftigen Schluck in guter Gesellschaft.

Arthur runzelte nachdenklich die Stirn. Einerseits hatte er sich bei seiner Abreise aus England vorgenommen, nächtliche Saufgelage und andere Ausschweifungen zu vermeiden, um sich ernsthaft dem Soldatenhandwerk zu widmen. Andererseits wäre es ein Affront, die Einladung von Oberst Ashton ohne guten Grund abzulehnen. »Wir kommen, Harvey! Lasse mir nur ein wenig Zeit, nach meinen Soldaten zu sehen und dafür zu sorgen, dass es ihnen an nichts fehlt.«

»Ich schicke meinen Adjutanten, Hauptmann Elers, pünktlich um sieben Uhr zu euren Frachtkähnen, Arthur! Und keine faulen Ausreden ... Wenn ihr heute Abend nicht aufkreuzt, dann kannst du morgen früh gleich mit deinem Sekundanten zu mir kommen!« scherzte der Kommandeur des 12. Infanterieregiments. Er war ein netter, umgänglicher Kerl, aber irgendwie geriet er ständig aus unerfindlichen Gründen in Duelle oder gar Wirtshausschlägereien. Nun war er bereits seit zehn Tagen am Kap der Guten Hoffnung und hatte immer noch nicht die Klingen gekreuzt. Diese Ruhe stimmte den heißblütigen Offizier so misstrauisch, dass er sogar seinen gerade erst dem Meer entstiegenen Freund aus Kindertagen ärgern musste. Arthur schüttelte verzweifelt den Kopf.

Kapitel 2 Henriettas Hoffnung

Pünktlich um sieben Uhr standen ein Oberst, ein Oberstleutnant, zwei Majore, drei Hauptleute und mehrere blutjunge Leutnants und Fähnriche sauber herausgeputzt und mit blitzblanken Reitstiefeln vor einem großen, im holländischen Kolonialstil gehaltenen Gebäude in der Stadtmitte von Capetown.

»Gludenstackstraaten?« erkundigte Arthur sich bei einem halbnackten, dunkelhäutigen Mann, der müßig auf einer hölzernen Treppe vor einer geräumigen Veranda lungerte. Die Antwort war unverständlich und schien nur aus Umlauten zu bestehen.

»Das ist Holländisch, Sir!« erklärte der muntere Major West seinem gestrengen Vorgesetzten.

Arthurs düstere Mine hellte sich auf: »Sie verstehen diesen Menschen, Francis?«

»Kein einziges Wort, Sir! Aber als wir damals in Flandern waren, da klang es so ähnlich!«

Während Major West sich für seine vorlaute Äußerung einen missmutigen Blick von Oberst Wesley gefallen lassen musste, wurde die beeindruckende Pforte, die die Veranda mit dem Inneren des luxuriösen Gebäudes verband, wie von Geisterhand geöffnet, und ein Farbiger in aufwendiger Livree, die in der schwülen Hitze von Kapstadt denkbar ungeeignet sein musste, verbeugte sich tief vor den Offizieren des 33. Infanterieregiments des Königs.

»Mylord Ashton und die Damen erwarten Sie bereits!« hörte man nun in einem leidlich guten Englisch. Der Dunkelhäutige verbeugte sich erneut und wies ihnen dann den Weg ins Innere des prachtvollen Hauses.

Schließlich fanden sich alle in einem riesigen, feudal möblierten Raum wieder, in dem die Damen und Herren der vornehmen Gesellschaft sich bereits zusammengefunden hatten. Ein Tisch aus exotischem Holz zog sich wie eine lange Straße von einem Ende des Speisezimmers bis zum anderen. Britische Uniformen mischten sich bunt mit Abendgarderoben, und Oberst Ashton selbst stand der Gesellschaft am Kopfende des Tisches vor. Er wirkte ziemlich angeheitert. Zu seiner Linken saß ein unirdisches Geschöpf mit blondem, zu einer komplizierten Frisur hochgestecktem Haar und schneeweißer Haut. Ein Gebilde aus hellblauer und cremefarbener Seide, das Arthur so filigran erschien, dass er es auf den ersten Blick nicht als Kleid zu identifizieren vermochte, wogte zwischen Stuhl, Tisch und Boden, wie die Wellen des Nordatlantiks. Ein Paar strahlend blauer Augen blickte verzückt zu Henry und einem großen Kristallgefäß, das offenbar mit einem alkoholischen Getränk gefüllt war.

Der junge Oberst des 33. Regiments kannte die Regeln: Zwei Pint Claret oder Champagner auf einen Zug, ohne abzusetzen! Es war ein idiotisches kleines Spiel, mit dem die Herren Offiziere zu beweisen versuchten, dass sie richtige Männer waren. Er hatte es oft genug selbst gespielt ...

Rechts neben Ashton saß ein weiteres Geschöpf in üppiger Abendgarderobe. Die Dame war brünett und kreidebleich. Auch in ihren blauen Augen lag ein Ausdruck der Bewunderung.

»Weiber!« fuhr es Arthur durch den Kopf, während er sich missmutig auf einen wenig exponierten Platz an einer Ecke des Tisches fallen ließ. Oberstleutnant Sherbrooke hatte derweil schon mindestens zehn breite Schultern in einem Anfall überschwänglicher Wiedersehensfreude blau geschlagen. Major Shee umarmte hingebungsvoll einen großen Kristallkelch mit einer hellgelben Flüssigkeit. Der Lärmpegel im Raum konnte nur mit einem Schlachtfeld verglichen werden. Wild klangen Stimmen aus dem 33. und 12. Regiment durcheinander. Ab und an wurden diese Stimmen von hohen, schrillen Tönen durchbrochen.

»Weiber!« fuhr es Arthur wieder durch den Kopf. Doch gleichzeitig hörte er die innere Stimme der Vernunft rufen: »Kitty! Du meinst Kitty, du Narr!«

Irgendwie gelang es dem jungen Oberst in dem ganzen Trubel, den Krug mit dem Wasser zu sich zu ziehen und sein großes Kristallglas bis zum Rand zu füllen. Während die anderen in einem angeheiterten Zustand Flasche um Flasche entkorkten und in unendlich weite Soldatenkehlen schütteten, nippte er nachdenklich an seinem Glas und versteckte sich hinter einer unüberwindlichen Mauer aus verbohrtem Schweigen und schlechter Laune.

Plötzlich legte sich von hinten eine Hand auf seine Schulter, und eine vertraute Stimme flüsterte ihm durch den Lärm zu: »Was soll diese griesgrämige Trauermiene?« Henry Ashton hatte sich von seinem großen Glas und den beiden Schönen an seiner Seite losgerissen, einen jungen Offizier vom Platz neben Wesley vertrieben und sich selbst zu seinem Freund gesetzt. Obwohl er seit der Eröffnung des fröhlichen Saufgelages, die wohl zwei oder drei Stunden vor der Ankunft der Kameraden des 33. Regiments gelegen haben musste, vollauf damit beschäftigt gewesen war, seine jungen Herren bei Laune zu halten, und sicher schon weitaus mehr getrunken hatte, als ein vernünftiger Soldat es in einem solch heißen und ungesunden Klima tun sollte, war ihm doch nicht entgangen, dass Arthur an der ganzen Abendgesellschaft nicht teilnahm, sondern nur – fast wie ein armer Sünder – die Zeit absaß, zu der er verdammt worden war. Was für ein Unterschied zwischen den gemeinsamen Jugendtagen in Dublin und London und dieser Vorstellung am Tisch des Kommandeurs des 12. Regiments! Henry wusste nicht, was er davon halten sollte. Und Wesley wollte ihm die Sache nicht leichter machen: Er hatte beschlossen, sein Leben zu ändern, doch diese Entscheidung ging keinen Menschen auf der Welt etwas an.

»Laß gut sein, Henry! Eine lange Seereise ist nichts für die Infanterie! Ich hab das Meer noch nie richtig vertragen!« schwindelte er. »Du hast mir die beiden Ladys an deiner Seite noch gar nicht vorgestellt«, lenkte er dann vom leidigen Thema der Ausschweifungen in britischen Offiziersmessen ab.

»Das reizende blonde Geschöpf ist Jemima Smith, die älteste Tochter von Sir Charles Smith, dem Orientalisten. Und die Dunkelhaarige ist ihre jüngere Schwester Henrietta. Ich soll die beiden in Madras abliefern. Sie haben vor einiger Zeit das Pensionat verlassen und fahren zu ihrem Vater. Übrigens, weder die eine noch die andere kleine Lady ist verheiratet!«

Ashton zog den Oberst von seinem bequemen Platz und in Richtung Jemima und Henrietta.

Die nächsten Tage am Kap verliefen angenehm und ruhig. Zuerst hatte Arthur dafür gesorgt, dass die Männer des 33. Infanterieregiments ihre Transportschiffe zumindest tagsüber verlassen konnten. Damit sie nicht wild wurden und aus dem Ruder liefen, beschäftigte man sie mit Waffendrill, ein paar Märschen hinauf in die Tafelberge und Schießübungen. »John Company« hatte genug Geld in den Kassen, um die paar hundert Schuss Munition zu verkraften, die das 33. Regiment außer der Reihe verbrauchte. Schließlich sollten die Rotröcke in Indien sofort einsatzfähig sein.

Doch entgegen seiner sonstigen Gewohnheit überließ Arthur die Männer den Majoren Shee und West. Er hatte für sich und seine Nummer zwei, John Sherbrooke, ein anderes Arbeitsprogramm zusammengestellt: Seit Kapstadt sich fest in britischer Hand befand, war es nicht nur zu einer obligatorischen Zwischenstation auf dem Rückweg von Indien nach Europa geworden, sondern auch zu einem Ort, an dem die Beamten Seiner Majestät und der Ostindischen Kompanie Erholung vom krankheitserregenden Klima des Subkontinents suchten. Wenn man seine Ohren aufsperrte und an den Stellen herumlungerte, wo diese Heimkehrer und Erholungssuchenden sich aufhielten, dann konnte man – so vermutete der junge Offizier – sicher eine ganze Menge wertvoller Informationen aufschnappen. John Sherbrooke widersprach seinem gestrengen Vorgesetzten natürlich nicht. Es war viel angenehmer, mit der hübschen Jemima Smith am Arm durch Kapstadt zu ziehen, als oben in den Tafelbergen herumzurennen und auf imaginäre Feinde zu feuern. Wesley hatte sich die jüngere Henrietta von Oberst Ashton »ausgeliehen«, wie er es zynisch zu nennen pflegte. Doch John Sherbrooke konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass die zynische Bemerkung seines Chefs nur eine Schutzbehauptung war. Er und Arthur waren gerade einmal sechsundzwanzig Jahre alt, und bei aller Ernsthaftigkeit, die sie in ihrem Soldatenberuf an den Tag legten, waren sie doch nicht viel mehr als große, verspielte Kinder, die sich amüsieren und austoben mussten.

Bei ihrem gemeinsamen Spaziergang durch den hübschen botanischen Garten am Fuß der Tafelberge waren die vier jungen Leute natürlich auch anderen Spaziergängern aus gutem Hause begegnet. Jemima und Henrietta waren mit Henry Harvey Ashton schon vor einiger Zeit am Kap angekommen und wohlbekannt mit den Mitgliedern der kleinen britischen Kolonie. Natürlich hatte eine der vornehmen Damen Sir Charles’ Töchter sofort gefragt, wer denn ihre Begleiter in den schmucken roten Uniformen des Königs seien. Als man feststellte, dass auch die Herren Offiziere aus guten Familien kamen, ließ die Einladung zum Tee nicht lange auf sich warten.

Während Arthur Henrietta den Stuhl hinschob, konnte er sich nicht mehr zurückhalten und ließ die Augen dezent über ihre hübschen Schultern und ihren Nacken gleiten. Ohne ihre opulente Abendgarderobe, in einem einfachen Musselinkleid und das dunkle Haar locker hochgesteckt, sah die Kleine hinreißend aus. Außerdem hatte sie strahlend blaue Augen, denen man kaum widerstehen konnte.

Zufrieden ließ der Oberst sich an ihrer Seite nieder. Ihre Gastgeber waren auf dem Rückweg aus Fort St. George nach England und machten drei Monate Station am Kap, um sich zu erholen. Sir Marmaduke Orford war lange Jahre der Surveyor-General of the Ordonances von Lord Hobart, dem Gouverneur von Madras, gewesen. Nun hatte er seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert und befunden, dass zwanzig Jahre Dienst in Indien ausreichend seien. Die Orfords wollten nach Kent, wo ihre beiden Töchter mit einem Leutnant zur See, Wentworth, und einem Geographen, Hauptmann Philip Morgan, verheiratet waren. Sir Marmaduke hatte auf dem Subkontinent sein Glück gemacht und fuhr mit prall gefüllten Taschen nach Europa.

»So, so, Sie sind also einer der jüngeren Brüder von Lord Mornington! Wir haben viel miteinander zu tun gehabt, Ihr werter Bruder und ich. Seitdem er in den Aufsichtsrat der Kompanie berufen wurde, hat sich einiges verändert. Ein bemerkenswerter Mann, Mornington. Und ein enger Vertrauter des Premierministers. Sie werden es mit eigenen Augen sehen, junger Freund. All diese Unarten und Ausschweifungen, für die unsere überseeischen Besitzungen inzwischen berüchtigt sind, werden bald ein Ende haben. Keine dubashery mehr. Und wer dabei erwischt wird, Schmiergeld zu nehmen, der wandert ins Gefängnis.«

»Korruption!« übersetzte Arthur leise für John Sherbrooke, der seine Passage ans Kap der Guten Hoffnung nicht mit Studien der Landessprachen Indiens ausgefüllt hatte. Dann blickte der Oberst entschuldigend die Damen am Tisch an. »Ich möchte Ihnen diesen Nachmittag nicht verderben, Lady Julia, Miss Henrietta, Miss Jemima, aber Sir Marmaduke berichtet so interessante Dinge, dass ich ihm gerne einige Fragen stellen würde, wenn Sie gestatten!«

Lady Orford nickte dem Offizier freundlich zu, die beiden Töchter von Sir Charles Smith ergaben sich in ihr Schicksal. Obwohl Henrietta diese politischen Gespräche ausgesprochen langweilig fand, setzte sie doch ihr gewinnendstes Lächeln auf. Im Vergleich zu der Abendgesellschaft in Henry Ashtons Haus, bei der Wesley ihr ausgesprochen trübselig und fade vorgekommen war, schien er ihr außerhalb der alkohol- und tabakgeschwängerten Offiziersmesse ein ganz bemerkenswerter Vertreter des stärkeren Geschlechts zu sein. Er sprühte über vor Leben, seine graublauen Augen funkelten munter, während er den alten Sir Marmaduke über seine Adlernase hinweg ins Kreuzverhör nahm. Seine abgetragene Uniform fiel der jungen Frau an diesem sonnigen Nachmittag in einem blühenden Garten gar nicht mehr auf, denn im Gegensatz zu vielen Offizieren, denen sie zu Hause in England vorgestellt worden war, legte er großen Wert darauf, dass alles ordentlich und sauber war, und irgendwie verschwand seine so offensichtliche pekuniäre Not hinter einem freundlichen und umgänglichen Wesen und einem wachen Verstand. Sie bedauerte ein wenig, dass der hübsche junge Offizier in diesem Augenblick seine ganze Aufmerksamkeit nur Sir Marmaduke schenkte und keinen Blick für sie übrig hatte.

Der alte General hatte dazu angesetzt, die Lage im Karnatik zu schildern, der indischen Provinz, die sich wie eine Schlange entlang der Coramandel-Küste zog und mit vier britischen Besitzungen auf dem Subkontinent gemeinsame Grenzlinien hatte.

Henrietta verstand, dass es an diesen Grenzen nicht immer ruhig zuging. Jenseits des Karnatik lag Mysore, dessen Herrscher mit den revolutionären Franzosen verbündet war. Immer wieder stieß er mit seinen bewaffneten Räubern gegen die Handelsposten der Ostindischen Kompanie auf britischem Gebiet vor und raubte der ehrenwerten Gesellschaft die Früchte ihrer Arbeit. Lord Clive war bereits einmal gegen ihn gezogen und hatte die befestigte Hauptstadt Seringapatam belagert. Doch die Vorräte waren im Verlauf eines endlosen Tauziehens vor den starken Mauern ausgegangen, und die Soldaten starben im grausamen Klima Südindiens wie die Fliegen. Clive hatte seine Geschütze zerstört und sich dann mit gesenktem Haupt vor dem Vater Tippu-Sultans zurückgezogen.

Während Sir Marmaduke berichtete, zog sich auch Oberstleutnant John Sherbrooke zurück, allerdings nicht gedemütigt wie der große Clive, sondern am Arm der schönen Jemima.

Die älteste Tochter von Sir Charles Smith war eine leidenschaftliche Herzensbrecherin. Aus diesem Grunde begleitete Lady Julia Orford die beiden jungen Leute auf ihrem Spaziergang durch den Garten. Doch sie war anständig genug, ein wenig Abstand zu halten und so das sanfte Turteln der Tauben nicht zu stören.

Während Sherbrooke Jemima kleine Komplimente machte und unablässig mit ihr plauderte, lauschte Arthur gebannt den Worten von Sir Marmaduke. Erst als der Tag zum Abend wurde und der Anstand es gebot, sich zurückzuziehen, um der Dame und dem Herrn des Hauses zu gestatten, sich zum Dinner umzukleiden, bemerkte Wesley, dass die kleine Lady immer noch brav neben ihm saß. Er legte den Kopf schief und sah sie an wie ein trauriger Cockerspaniel. »Miss Henrietta, es tut mir leid, Ihnen den ganzen Nachmittag mit diesem endlosen Gespräch über Indien verdorben zu haben. Sie müssen mich für einen ungehobelten irischen Bauerntölpel halten!«

Orford schmunzelte, während die junge Frau beschwichtigend ihre Hand auf den Arm des Offiziers legte. »Nicht doch, Oberst Wesley! Ich fand es sehr anregend, Ihnen und Sir Marmaduke zuzuhören! Als mein Vater seine persische Grammatik verfasst hat, da habe ich ihm auch immer gerne zugehört, wenn er von Indien erzählte. Es muss ein faszinierendes Land sein! Ich kann es kaum noch erwarten, in Fort St. George anzukommen und mit eigenen Augen zu sehen, was man mir in meinen Kindertagen immer so lebhaft beschrieben hat!«

Orford räusperte sich. »Wesley, ich werde Ihnen natürlich ein Empfehlungsschreiben für Sir Charles mitgeben. Ich glaube, Sie sollten ihn unbedingt sehen und sich ausführlich mit ihm unterhalten. Er ist ein intimer Kenner der gesamten politischen Lage in den unabhängigen Gebieten, und er kann Ihnen sicher viele Dinge über Tippu, den Rajah von Bullum oder den Peshwa erklären, die mir als einfachem Finanzbeamten Seiner Majestät verschlossen geblieben sind.«

Henrietta lächelte Sir Marmaduke wie eine Verschwörerin an. Sie war der Idee, den jungen Oberst des 33. Regiments als Gast ihres Vaters in seinem Haus in Poonamallee zu sehen, nicht abgeneigt. Schließlich hatte Sir Charles seine Töchter zu sich nach Indien geholt, um sie zu verheiraten.

Arthur hatte seine Enttäuschung mit Miss Pakenham zwar noch nicht überwunden, aber dieser Schmerz machte ihn nicht blind. Der Blick war seinem wachsamen Augenpaar nicht entgangen, und noch weniger entgingen ihm die vielen anderen Blicke, die Miss Henrietta ihm ganz unverfroren und selbstbewusst zuwarf. Wie alt mochte die Kleine sein? Achtzehn, vielleicht neunzehn Jahre. Er würde Ashton fragen. Diskret natürlich. Er hatte keinesfalls vor, auf das Fohlen hereinzufallen. Aber nichts sprach dagegen, sich im Rahmen des Anstands und der Ehre eines Gentlemans mit ihr zu vergnügen.

Als er sie aus dem Augenwinkel betrachtete, ging ihm durch den Kopf: »Du bist viel zu gut für einen Soldaten, bei dem du nicht weißt, ob er zurückkommt, oder ob er dich an deinem zwanzigsten Geburtstag bereits zur Witwe macht.« Er zog seine Uhr aus der Tasche und ließ den Deckel aufschnappen. Es war bereits nach fünf am Nachmittag, und es ziemte sich nicht, Sir Marmaduke und Lady Julia weiter zu belästigen. »Mit Ihrer Erlaubnis«, er verbeugte sich leicht vor Orford, »werden Oberstleutnant Sherbrooke und ich die Ladys jetzt nach Hause geleiten. Oberst Ashton hat Sir Charles versprochen, gut auf Miss Henrietta und Miss Jemima aufzupassen, und wir möchten nicht, dass er sich um seine beiden Schutzbefohlenen sorgt!«

Henrietta konnte ihre Enttäuschung über Wesleys vernünftigen Entschluss nur mit Mühe verbergen. Sir Marmaduke erwiderte die Verbeugung mit einem Augenzwinkern. »Kommen Sie morgen zum Dinner, Oberst! Ich würde mich freuen, wenn ich Ihnen ein paar Freunde vorstellen dürfte, die Ihren Wissensdurst über Indien besser zu befriedigen verstehen als ich! Um sieben Uhr also, und selbstverständlich sind Oberst Ashton, Oberstleutnant Sherbrooke und die beiden jungen Damen ebenfalls eingeladen. Lady Julia und ich genießen es, in geselliger Runde zu speisen.«

»Zu gütig von Ihnen, Sir. Sherbrooke und ich nehmen Ihre Einladung mit Freuden an, und was Miss Henrietta und Miss Jemima betrifft, werden wir Oberst Ashton um seine Zustimmung bitten!« Arthur bot der jüngeren der beiden Smith-Töchter seinen Arm an. Dann ging er mit ihr zu Lady Julia, um sich für die Einladung zu bedanken und sich zu verabschieden.

John Sherbrooke verstand ohne Worte, dass sein Kommandeur beschlossen hatte, den vergnüglichen Teil des Tages zu beenden. Er verbeugte sich galant vor der alten Dame und folgte Arthur durch den Garten der Orfords.

Kapstadt war eine reiche und europäisch geprägte Stadt. Es bereitete zu dieser Tageszeit keine Schwierigkeiten, eine Droschke zu bekommen. Noch vor sechs Uhr abends befanden Jemima und Henrietta sich wieder in Henry Harvey Ashtons Obhut, die Einladung für den folgenden Tag war abgestimmt worden, und die beiden Offiziere des 33. Infanterieregiments machten sich auf den Weg zu ihren eigenen Quartieren am Hafen, unweit des Kais, an dem die Transportschiffe der Soldaten festgemacht waren.

Arthur hatte sich für diese bescheideneren und weniger eleganten Unterkünfte entschieden, um näher bei seinen Männern zu sein.

Während die jungen Offiziere Sherbrooke, West und Shee das muntere Nachtleben von Kapstadt genießen durften, zog er es vor, gemeinsam mit dem Zahlmeister des Regiments, Sergeant-Major John Dunn, zu arbeiten. Viele Dinge mussten besorgt werden, bevor die riesigen Schiffe wieder in See stachen. Auf der Überfahrt von England nach Afrika hatten sich einige Nachlässigkeiten eingeschlichen, die Wesley missfielen und derer er für das längere Stück der Reise Herr zu werden gedachte.

Der Teil des Regiments, der Major West anvertraut und auf drei Schiffen untergebracht worden war, befand sich in Bestform. Die Männer sahen ausgeruht und gesund aus und besaßen eine glänzende Moral. Die, die unter Shee nach Kapstadt gekommen waren, machten einen anderen Eindruck auf den Offizier. Er kannte jeden seiner 733 Soldaten mit Namen. Er wusste um die Vergangenheit seiner Männer, um ihre Vorzüge und um ihre Charakterschwächen. Wenn er sich ein bisschen anstrengte, gelang es ihm sogar, fast wörtlich die Einträge auf den 733 Blättern des Regimentsbuches aufzusagen: Größe, Gewicht, Physiognomie, Bestrafungen und Auszeichnungen, Dienstjahre und Familienstand. Arthur hing mit derselben Leidenschaft und Liebe an seinem West Riding, die ein Mann in seinem Alter normalerweise der Dame seines Herzens zuteilwerden ließ. Nachdem er sicher war, dass all seine Offiziere fort waren und die Soldaten sich vollständig auf den Transportschiffen befanden, gab er Sergeant-Major Dunn ein Zeichen, ihm zu folgen.

John war der dienstälteste Unteroffizier des Regiments und ein Mann mit makelloser Vergangenheit. Bevor er den Rock des Königs angezogen hatte, war er ein wohlhabender Bauer in den schottischen Bergen gewesen. Nur der Tod seiner Frau und seiner drei Kinder, die von einer schlimmen Pockenepidemie dahingerafft worden waren, hatte ihn dazu bewogen, in die Armee einzutreten. Er war nicht aus Not oder wegen eines kriminellen Aktes den Trommeln des Anwerbungssergeanten gefolgt, sondern weil er – aus Trauer – mit seiner Heimat und seiner Vergangenheit brechen wollte. Als Arthur zum 33. Regiment gekommen war, hatte Dunn dem jungen, unerfahrenen und linkischen Offizier oft diskret geholfen. Im Verlauf der letzten drei Jahre waren aus dem Vertrauensverhältnis gegenseitige Wertschätzung und Respekt geworden. Arthur und Dunn hatten sich auf eine für die britischen Landstreitkräfte ungewöhnliche, ja gefährliche

Gratwanderung begeben: Wenn niemand in der Nähe war, gestanden sie sich ein, dass sie eigentlich gute Freunde waren!

Der Oberst schloss sorgfältig die Tür seines Zimmers, während der Sergeant-Major sich aufmachte, Kerzen in dem kleinen Raum anzuzünden. »Sir, ich glaube, die Männer verstehen nicht, dass es in diesem warmen, schwülen Klima notwendig ist, sich täglich mit Seewasser gründlich zu waschen und mindestens einmal pro Woche die Hängematten zu säubern. Sie schlafen so dicht gedrängt, dass der kleinste Floh, den der eine hat, sofort auf die restlichen 149 Rotröcke überspringt. Major Shee versteht es auch nicht. Er war die ganze Überfahrt nur damit beschäftigt ...« Er stockte und warf Arthur einen gequälten Blick zu, während dieser seinen Uniformrock auszog und sich bequem in einen Sessel fallen ließ.

»Sprechen Sie es doch einfach aus, John! Wir beide wissen es, und jeder bis hinunter zum jüngsten Trommlerjungen weiß es: Shee hat seine Tage mit Kartenspielen und seine Nächte mit Saufen zugebracht.« Der Oberst wies mit der Hand auf den zweiten Sessel im Raum und gebot seinem Zahlmeister, Platz zu nehmen.

Dunns Reaktion auf die harte und geradlinige Aussage seines Kommandeurs war nur ein leichtes, trauriges Lächeln.

»Sie sollten mir alles erzählen, mein Freund. Ich war diese fünfzehn langen Wochen nicht mit dem Regiment auf See, deswegen werde ich Major Shee gegenüber nicht mit der Faust auf den Tisch schlagen ... noch nicht.«

Dunn fuhr sich müde mit der Hand über die Augen und schüttelte den Kopf. »Sir, wenn Rob Seward weiterhin in einer von Shees Kompanien bleibt, wird der junge Mann bald keine Sergeantenstreifen mehr auf dem Ärmel tragen, sondern die Striemen der Neunschwänzigen auf dem Rücken!«

»Zwischen Shee und einem Tanz mit der Katze stehe immer noch ich, John. So leicht bindet man mir Seward nicht zwischen die Hellebarden.«

»Rob wird Shee in den nächsten Tagen den Schädel einschlagen, wenn dieser nicht aufhört, Miss Mary zu belästigen. Die Soldatenfrauen müssen Sewards Frau schon vor dem Major verstecken. Er macht dem Mädchen gegenüber bei jeder Gelegenheit anzügliche Bemerkungen, oder er versucht gar, sie zu betatschen.«

»Gütiger Himmel, die Kleine ist kaum achtzehn Jahre alt und stammt aus einer strengen, katholischen Familie. In der Klosterschule hat man sie unterrichtet und dann dem guten Rob zur Frau gegeben. Und der wacht über sie wie ein Zerberus. Warten Sie, John, bis wir in Indien sind. Ich will Shee in flagranti erwischen, und dann reiße ich ihm die Epauletten von der Schulter. Sagen Sie, mein Freund, brauchen Sie nicht dringend einen Stellvertreter? Ich habe das Gefühl, dieser ganze Papierkrieg ist ein bisschen viel für einen einzelnen Mann.« Oberst Wesley verzog das Gesicht zu einem hinterhältigen Grinsen. Er wollte Ruhe und Ordnung in seinem Regiment. Doch Major Shee hatte es schon seit langer Zeit darauf angelegt, die Harmonie zwischen Kommandeur und Soldaten zu stören. Da es keine legalen Mittel gab, den ständig betrunkenen und bösartigen Offizier loszuwerden, beschloss Arthur, ihn einfach auszumanövrieren.

John Dunn nickte zustimmend. »In diesem Fall muss Robin – zusammen mit Miss Mary – aber von der Warwick auf die Argonaut überwechseln, damit ich die lange Fahrt nach Kalkutta nutzen kann, meinen Assistenten mit der Buchführung und dem ganzen administrativen Kram vertraut zu machen.«

»Unbedingt, John! Ich glaube nicht, dass wir vor Ort viel Zeit haben werden, uns mit solchen Dinge zu beschäftigen. Sie werden als erstes gemeinsam losziehen und die Versorgung der Männer sicherstellen. Sir Marmaduke Orford, der gerade aus Fort St. George angekommen ist, hat mir berichtet, wie unruhig die Lage im Dekkan ist, und ich nehme an, dass wir sofort ins Feld geschickt werden.«