Marcellus - Der Merowinger - Michael Kuhn - E-Book
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Marcellus - Der Merowinger E-Book

Michael Kuhn

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Beschreibung

Germanien und der westen Europas im Jahre 486 nach Christus. Die Strukturen des römischen Imperiums haben dem Druck von Völkerwanderung und inneren Krisen nicht standgehalten. An die Stelle der Imperatoren, Armeeführer und Statthalter sind wilde Kriegsherren getreten, die sich einen gnadenlosen Kampf um die Vorherrschaft liefern. Die Welt der Antike ist in Auflösung begriffen und das Mittelalter hat begonnen. In diesen Jahren wächst Marcellus, ein junger Romane, am Hofe des Rheinfranken Sigibert heran. Mit seinen Freunden, Provinzialen und Franken, erlernt er das Handwerk des Kriegers, das ihm nach dem Willen seines Vaters einen Platz im Leben sichern soll. Die unbeschwerten Tage der Jugend enden, als die Krieger der Alamannen an den Grenzen aufmarschieren, um den Franken die Ländern an Rhein und Mosel zu entreißen. Gemeinsam mit seinen Freunden erhält er angesichts des drohenden Krieges den Auftrag, eine burgundische Prinzessin ihrem Bräutigam, dem ihm verhassen Thronfolger zuzuführen. Das riskante Unternehmen, die ausbrechenden Kämpfe, eine ruchlose Verschwörung gegen das Leben des Merowingers Chlodwig und die Wirrungen der Liebe lassen ihn früh zum Mann heranreifen, der sich auf dem Schlachtfeld von Zülpich beweisen muss. Wie in Michael Kuhns Erstlingswerk, der Trilogie um den römischen Tribun Marcus Junius Maximus, ist der Handlung eine Spurensuche angegliedert. Der Leser ist gleichsam eingeladen, die Handlungsorte des Romans aufzusuchen und viel Wissenswertes über die Zeit des frühen Mittelalters aufzunehmen.

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Seitenzahl: 476

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Ammianus-Verlag

Der Autor

Michael Kuhn M.A., Jahrgang 1955, studierte in Aachen Geschichte und Politische Wissenschaften. Im Anschluss war er in unterschiedlichen historischen Projekten involviert und organisierte in eigenen Unternehmen geschichtliche Events. Zurzeit arbeitet er neben seiner Tätigkeit als Autor in der Archöologie.

Das Anliegen, bei seinen Mitmenschen Interesse und Verständnis für die faszinierende Welt der Geschichte zu wecken, durchzieht seine bisherige Vita wie ein roter Faden.

So steht der vorliegende Band am Beginn einer Buchreihe, die den Leser mit Spannung und Information auf eine Zeitreise in die aufregendsten Epochen unserer Vergangenheit mitnimmt.

Zurzeit schreibt Michael Kúhn an der Fortsetzung der abenteurerlichen Lebensgeschichte des römischen Offiziers Marcus Junius Maximus.

Michael Kuhn

Marcellus - Der Merowinger

Band I

Impressum

Ebook basiert auf erster Auflage von 2011

Copyright © by Michael Kuhn Ammianus Verlag, Aachen Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, Tonträger jeder Art, fotomechanische Wiedergabe und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten. Soweit durch Hinweis oder Verlinkung auf andere Websites zusätzliche Informationen zugänglich gemacht werden, erfolgt hiermit der Hinweis darauf, dass keine Inhaltskontrolle stattfindet und jegliche Haftung für den Inhalt dieser Seiten ausgeschlossen ist. Umschlaggestaltung und Bildbearbeitung: Thomas Kuhn (Helmabbildung Cover: Bügelhelm aus dem Fürstengrab von Planig. Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Landesmuseums Mainz, Inv. Nr. 39/9) Zeichnungen und Kartenmaterial: Tatjana Lehnen Fotos:wenn nicht anders angegeben, Michael Kuhn und Lars Neger Kartenerstellung: Till StoletzkiE-Book-Gestaltung: Michael Mingers

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich all denen Dank sagen, die am Gelingen des Buches ihren Anteil hatten.

Thomas Kuhn bearbeitete das Fotomaterial und gab dem Cover seine künstlerische Gestalt.

Heike Breimes, Sabine und Torsten Goesch, Rainer Schulz, Hannelore Kuhn, Lars Neger, Susanne Birkner und Tatjana Lehnen wurden nicht müde, durch unermüdliches Lesen des gerade vorliegenden Materials viel zur dramaturgischen Dichte und Spannung der Romanhandlung beizutragen.

Tanja Baumgart M.A. für ihre Mithilfe an der Spurensuche.

Tatjana Lehnen für ihr künstlerisches Engagement bei der Erstellung von Zeichnungen und Karten.

Danken möchte ich zum Schluss all denen, die mich wissenschaftlich beraten und mit wertvollem Material zur frühmittelalterlichen Geschichte unterstützt haben:

Frau Dr. Imke Ristow, Köln, für Informationen zum spätantiken Vicus Marcomagus

Dr. Salvatore Ortisi, Köln, für Informationen zum spätantiken Vicus Marcomagus

Dr. Sebastian Ristow, Köln, für Informationen zum spätantiken und frühmittelalterlichen Köln

Dr. Cliff A. Jost, Generaldirektion kulturelles Erbe Rheinland – Pfalz,

Direktion Landesarchäologie, Außenstelle Koblenz

Frank Brünninghaus, Direktion kulturelles Erbe Rheinland – Pfalz,

Direktion Landesarchäologie, Außenstelle Koblenz zur Grabung in Andernach

Dr. Lutz Grunwald, VAT Mayen Für Informationen zum frühmittelalterlichen Leben am Mittelrhein

Andreas Schaub, Stadtarchäologie Aachen, für Informationen zum frühmittelalterlichen Aachen

Marcell Perse, Stadtgeschichtliches Museum Jülich, für Informationen zum spätantik - frühmittelalterlichen Jülich

Gilbert G. C. Soeters, Stadtarchäologie Maastricht, für Informationen zum spätantik – frühmittelalterlichen Maastricht.

Frau Dr. Iris Hofmann – Kastner, Thermenmuseum Zülpich, für Informationen zu spätantik – frühmittelalterlichen Zülpich

Sollte ich jemanden an dieser Stelle nicht bedacht haben, so bitte ich dieses zu entschuldigen.

Wimdung

Für

Heike und Juliana

Dramatis Personae

Die Gefährten am Hofe Sigiberts

Marcellus: Romane aus Arduena an der Mosel

Folmar: Franke und bester Freund des Marcellus’

Pippin: fränkischer Jungkrieger

Sebastianus: Romane aus der Treveris

Quirinus: Romane aus Bodobriga

Das Königshaus der Merowinger

Chlodwig*: der Merowinger

Klothilde: Chlodwigs Gemahlin, Tochter Chilperichs (Chrotichilde)* von Burgund

Theuderich*: ältester Sohn des Merowingers

Remigius*: Bischof von Reims und Berater am Hofe Chlodwigs

Hortarius: Chlodwigs erster Militär und Ratgeber

Hilka: Vertraute Klothildes

Die fränkischen Kleinkönige und ihr Gefolge

Sigibert*: König der Rheinfranken, Marcellus’ Gefolgsherr

Kloderich: „der Parasit“, Sigiberts Sohn und (Chloderich)* Thronfolger

Hinkmar:„die Ratte“, Kloderichs rechte Hand

Hatto: Krieger und Gefolgsmann Hinkmars

Hagen: Gefolgsmann Sigiberts und älterer Bruder Hinkmars

Bertha: „Verhältnis“ wider Willen

Ragnachar*: König von Cameracum

Chararich*: König von Bononia

Die Gesandtschaft der burgundischen Prinzessin

Silinga: Nichte König Gundobads von Burgund

Rotrudis: Silingas Begleiterin

Wulfram: Beschützer Silingas

Die Alamannen

Vadomar: alamanischer König

Chnodomar: Führer einer alamannischen Streifschar

Griso: alter Krieger im Dienste Chnodomars

* Historische Persönlichkeiten

Zum besseren Verständnis der handelnden Personen ist eine Genealogie der fränkischen und burgundischen Königshäuser beigefügt (siehe Seite 316 - 317).

Prolog

Es geschah wenige Tage nach den Kalenden des März.

Die Sonne hatte den ganzen Morgen vergeblich versucht, die tief hängende Wolkendecke aufzulösen, aus der es in kurzen Abständen kalt herabrieselte. Ein einziges Mal hatte sich eine Lücke aufgetan, aus der die wärmenden Strahlen eine Ahnung von Frühling über die erdbraune Ebene warfen.

In ihre Wollmäntel oder Filzüberzüge gehüllt warteten einige hundert Krieger auf das Erscheinen ihres Königs, der zur alljährlichen Versammlung des Heeres aufgerufen hatte.

Viele hatten gemurrt, sich aber schließlich kopfschüttelnd gefügt, dass die Wahl Chlodwigs auf Tungrus und nicht auf die neue Residenz Suessonis oder die alte Hauptstadt Turnacum gefallen war. Eine mit Bedacht getroffene Entscheidung des jungen Königs, die den östlichsten Verwaltungsbezirk seines Reiches hervorheben sollte. Was wiederum Sigibert, den König der Rheinfranken in der Colonia, in Unruhe versetzt hatte. Dieser Truppenaufmarsch seines Vetters, dem man Gelüste an einer Machterweiterung auf Kosten der anderen fränkischen Teilreiche nachsagte, musste seinen Argwohn erregen. Weshalb er auch nicht gezögert hatte, eine Delegation mit kostbaren Geschenken an den Ort der Heeresversammlung zu entsenden.

Eilfertige Knechte hatten die schlammigsten Stellen des Ackers mit Fuhren voller Stroh bedeckt, um ein halbwegs trockenes Verweilen zu ermöglichen. Aber es waren zu viele Füße in derben Stiefeln oder Schuhen, die herbeigeeilt waren, einen guten Platz zu ergattern. Bei jedem Schritt quoll braunes Wasser blasig durch die Schüttung und spritzte hoch bis zu den mit Lederstreifen umwickelten Unterschenkeln.

Ein knappes Jahr war vergangen, seit der Merowinger einen seiner größten Widersacher, den Rex Romanorum Syagrius, den König der Römer, und seine Scharen bei Suessonis geschlagenhatte. Die meisten der hier auf dem Feld vor der Stadt Tungrus versammelten Männer waren dabei gewesen, als der Widerstand der verzweifelt kämpfenden Bucellarier des letzten römischen Generals auf gallischem Boden gebrochen wurde.

Sie hatten sich erst dann ergeben, als Syagrius verstört das Schlachtfeld verlassen hatte, um sich zu Alarich II., den König der Westgoten zu flüchten. Ein sinnloses Unterfangen, denn der Arm des Franken war stark genug, ihn aus seinem Asyl hervorzuzerren. Alarich lieferte den Schutzbefohlenen aus, dem die Häscher darauf in einem moderigen Verlies den Kopf von den Schultern hieben.

Viele ehemalige Söldner des Syagrius, zumeist Franken wie ihre Bezwinger, hatten sich ebenfalls hier eingefunden. Nach der Niederlage hatte sie der Merowinger in sein Heer eingereiht und als wäre es nie anders gewesen, scherzten und schwatzten sie mit ihren neuen Waffenbrüdern.

„Pass doch auf, Marcellus“, herrschte ein untersetzter, zur Dicklichkeit neigender Halbwüchsiger seinen um einen halben Kopf größeren Kameraden an. Der hatte, seiner klammen Füße wegen, begonnen unwillkürlich auf der Stelle zu treten, was erdige Spritzer auf den Mänteln der Umstehenden hinterließ.

„Jetzt hab dich nicht so, Kloderich“, gab der Gescholtene unbeeindruckt zurück, und wischte sich eine Strähne seines aschblonden Haares von der nassen Stirn.

Wegen seiner blauen Augen und der blassen Haut sah man dem elf-jährigen Jungen seine romanische Herkunft nicht an. Er war auch größer gewachsen und kräftiger gebaut, als man es von einem typischen Mosellaner erwarten konnte. Auffällig waren seine sich andeutenden energischen Gesichtszüge und eine leichte Schrägstellung des Nasenrückens, die von einem kräftigen Schlag ins Gesicht herrührte, den er bei einer Rauferei eingesteckt hatte.

Ein Jahr hielt er sich nun am Hofe König Sigiberts auf, wohin sein Vater ihn auf Anraten des Familienrates gegeben hatte. Als ältester Sohn und zukünftiger Stammhalter sollte er sich zum Wohle seines Geschlechtes frühzeitig die Gunst der neuen Herren sichern, die seit zehn Jahren die Geschicke an Rhein und Mosel bestimmten. König Sigibert hatte Gefallen an dem aufgeweckten Jungen gefunden und ihn bald in sein Herz geschlossen.

Ein Umstand, der seinem Sohn Kloderich nicht entgangen war. Eifersüchtig beäugte der untersetzte Rotschopf die Fortschritte, die der junge Mosellaner machte, dessen vordringliche Aufgabe darin bestand, ihm Sprache und Kultur der Romanen nahezubringen. Trotz aller Bemühungen war es dem Thronfolger bisher nur un-zureichend gelungen, sich das Lesen und Schreiben des ihm un-gewohnten Idioms anzueignen.

Eines Tages hatte er sich dann dazu hinreißen lassen seinem Kumpan Hinkmar einen Solidus zu versprechen, fallsdieser dem Marcellus eine Tracht Prügel verabreichte. Hinkmar, von vielen die Ratte genannt, nahm die Goldmünze und führte seinen Auftrag so gewissenhaft aus, dass dem Gesicht des Mosellaners ein bleibendes Andenken verblieb. Trotz aller Bemühungen des Medicus hatte die Nase ihre ursprüngliche Gestalt nicht zurückerhalten.

„Willst du deine Freundschaft zu Hinkmar auffrischen?“, warnte Kloderich mit tückischem Grinsen. „Wenn er noch einmal zuschlägt, wächst deine Nase vielleicht wieder gerade zusammen.“

„Er hat dir nichts getan“, fiel der kleine Theuderich seinem Vetter zweiten Grades ins Wort. „Wenn du das tust, sage ich es deinem Vater.“

Der siebenjährige Sohn Chlodwigs, ein zierliches, hübsches Kind mit hellblonden Locken hatte sich zu den beiden Jungen gesellt, die er anlässlich eines Besuches in der Colonia im letzten Herbst kennen gelernt hatte. Seine Mutter, die aktuelle Geliebte Chlodwigs hatte ihn mitgenommen, als sie Verwandte in ihrer Heimatstadt besucht hatte. Dass die Königshäuser der Merowinger und Rheinfranken miteinander verwandt waren, hatte dem Besuch einen offiziellen Charakter verliehen, weshalb sie von Sigibert mit allen Ehren empfangen wurden.

„Das wagst du nicht, du hässliche Kröte“, hob Kloderich die Hand und ließ sie augenblicklich wieder sinken. Theuderich war zwar ein Bastard, aber der älteste Sohn Chlodwigs, den dieser abgöttisch liebte.

„Ich habe nur gescherzt“, beschwichtigte er den Kleinen und gab ihm einen holzigen Apfel, den er im Zelt seines Vaters hatte mitgehen lassen.

„Mit so was werden bei uns nicht einmal die Pferde gefüttert“, empörte sich Theuderich und schlug nach der Hand des Vetters, so dass die kümmerliche Frucht zu Boden fiel. Der wütende Kloderich trat nach dem Apfel, der in weitem Bogen davonflog und an den Schild eines Kriegers krachte,der sich irritiert zu den Jungen umdrehte. Dann bückte sich der bärtige Soldat kopfschüttelnd, wischte den Apfel an seiner Hose sauber und biss herzhaft hinein.

Das schrille Wiehern eines Pferdes lenkte die Aufmerksamkeit der Jungen auf eine Gruppe gepanzerter Männer, die sich zwanzig Schritte entfernt angeregt unterhielten.

„Das sind die Könige Ragnachar und Chararich und mein Vater Sigibert, der mächtigste von allen“, plusterte sich Kloderich beim Anblick der Gewappneten auf.

„Aber keiner ist so mächtig wie mein Vater“, trotzte Theuderich ungehalten. „Er wird sie alle davonjagen, wenn sie es wagen sich gegen ihn zu stellen.“

„So, so“, spottete Kloderich. „Hat er das gesagt, dein Vater?“ Argwöhnisch blinzelte er das Kind Chlodwigs an, das ängstlich einen Schritt zurückwich, sich umdrehte und zurück zu seiner Mutter stürmte, die auf der Suche nach ihm, den Rand des wüsten Ackers abschritt.

Ohne sich um den ihm aufgezwungenen Gefährten zu kümmern, schaute Marcellus zur Seite, wo die grauen Mauern in den verregneten Morgen ragten. Er seufzte leise bei dem Gedanken an ihr Quartier, das sie am frühen Morgen verlassen hatten.

Man hatte König Sigibert und seinem engsten Gefolge ein leer stehendes, geräumiges Steinhaus überlassen, dessen schadhaftes Ziegeldach mit Strohbündeln ausgebessert worden war. Es roch muffig in den Hallen und Zimmern des einstigen Palastes, von dessen Wänden die Stuckbemalung herabbröckelte. Der Geruch kam aus den Hohlräumen der stillgelegten Boden- und Wandheizung, deren Hohlziegel an einigen Stellen aufgeplatzt waren. Trotzdem war es warm, sauber und vor allem trocken. Marcellus taten die nicht so hochgestellten Teilnehmer der Heeresversammlung leid, die entweder in zugigen Schuppen oder noch schlimmer in klammen Zelten vor den Mauern der Stadt hausen mussten.

„Gibt es einen Grund, warum uns der Merowinger so lange warten lässt?“

„Vielleicht ist es gestern Abend spät geworden und er schläft noch seinen Rausch aus, Chararich“, mutmaßte der hochgewachsene Mann mit dem dunklen Schnauzbart, der buschig bis auf das Kinn herabhing.

Ragnachar, König von Cameracum, trug einen dunklen Pelzmantel, der über dem sorgfältig geputzten Schuppenpanzer von einer protzigen Zwiebelkopffibel zusammen gehalten wurde. Seinen aufwändig gearbeiteten Spangenhelm, an dessen Spitze ein rostroter Pferdeschweif befestigt war, trug er wie seine Begleiter lässig unter dem Arm. Den Aufzug des als Schlemmer undWeiberhelden berüchtigten Hünen vervollständigte eine wollene Hose und Halbstiefel, deren Schäfte unter den Wadenwickeln endeten. Die typische Ausrüstung eines fränkischen Edlen. Auffällig war der Sax, der in einer almadinbesetzten Scheide steckte und die Goldgriffspatha, vermutlich die Arbeit eines alamannischen Waffenschmiedes.

Der neben ihm stehende Sigibert, König der Rheinfranken, war ähnlich gekleidet und gewappnet, trug aber an Stelle eines wärmenden Pelzes einen elegant geschnittenen Mantel aus dunkelblauer Wolle. Mehr als fünf Jahre älter als seine königlichen Kollegen, durchsetzten graue Strähnen das volle Bart- und Haupthaar. Ein gut aussehender Mann mit feinen Gesichtszügen, die anders als bei seinem Sohn Kloderich, keine Spuren von Hinterlist und Verschlagenheit trugen.

Der letzte im Bunde, Chararich von Bononia, der Hafenstadt gegenüber von Britannien, wirkte eher klein und untersetzt. Auf den ersten Blick ein eher gemütlicher Zeitgenosse mit Bauch und Doppelkinn. Auf den zweiten Blick aber ein Mann von rastloser Energie und wilder Entschlossenheit.

„Dass du dich heute hierher getraut hast, wundert mich“, wandte sich Sigibert an Chararich. „Deine Weigerung vom letzten Sommer, Chlodwigs Zug gegen Syagrius zu unterstützen, hat den Merowinger rasend gemacht. Er hat dich nicht vergessen. Mein Gefolgsmann Hagen hat mir berichtet, dass er ein Auge auf deine Ländereien geworfen hat.“

„Auf eure etwa nicht?“ Mit hochrotem Kopf und vorgeschobenem Kinn hatte der Angesprochene die Frage ausgestoßen. „Wenn wir gegen diesen Ehrgeizling zusammenstehen, kann er uns nichts anhaben.“

„Nicht so hastig“, entgegnete Sigibert und ließ seinen gedankenschweren Blick über das Feld schweifen. „Selbst Alarich, König der Westgoten, fürchtet den Zorn des Merowingers. Warum glaubt ihr, hat er den Syagrius ausgeliefert?“

„Diese Goten“, entrüstete sich Chararich. „Allesamt Zauderer und Feiglinge.“

„Was man von Theoderich und seinen Ostgoten nicht behaupten kann“, ergriff erstmalig Ragnachar das Wort. „Dieser überall gepriesene Held, der im Auftrag des Imperators mit Odoaker um den Besitz Italiens streitet, soll ein Auge auf die kleine Audofleda, Chlodwigs Schwester, geworfen haben. Und nicht nur wegen ihrer schönen Augen. Er scheint den Merowinger an sich binden zu wollen, weil er in ihm die neue Großmacht im Norden seines Reiches sieht.“

„Was wir verhindern können, wenn wir nur wollen“, hetzte Chararich weiter.

„Schluss mit diesen Intrigen“, stöhnte Ragnachar auf. „Ich kann es nicht mehr hören. Wir sind nicht hier, um ein Komplott gegen Chlodwig zu schmieden. Ich jedenfalls bin gekommen, weil ichwissen will, was der Merowinger als nächstes vorhat. Geht es jetzt gegen Alarich und die Westgoten, gegen die Burgunder oder hat er ganz andere Pläne?“

„Das glaube ich nicht“, schüttelte Sigibert sein Haupt. „Bevor er weitere Ziele ins Auge fasst, wird er zuerst das Erreichte sichern. Ich denke, dass es heute an das Verteilen der Beute geht. Er wird seine Vertrauten reichhaltig mit Besitztümern aus den Fiskalgütern des Syagrius ausstatten und somit ein Sicherungsnetz über das eroberte Gebiet legen. Bis die Verhältnisse geordnet sind und sich neue Strukturen herausgebildet haben, werden Jahre vergehen, in denen wir unsere Ruhe haben werden.“

„Bei Thyr und Wodan“, entfuhr es Ragnachar. „Mögen die Götter bewirken, dass du Recht hast. Oder hast du gesicherte Informationen?“

„Herr“, wurde das Gespräch von einem Krieger unterbrochen, der zu ihnen getreten war.

„Was gibt es, Hagen?“, wandte sich Sigibert an den Neuankömmling, einen seiner Gefolgsleute.

„Es wird Ärger geben, Herr“, sprach der bärbeißige Mann im dunklen Lederkoller und bis auf die Schultern herabwallendem Schwarzhaar seinen König an.

„Nun rede schon“, entfuhr es Sigibert.

„Es betrifft nicht dich, Herr, sondern König Ragnachar“, wand-te sich Hagen dem Hünen zu. „Dein Gefolgsmann Ebbo hat sich am Morgen im Quartier damit gebrüstet, Chlodwig vor allen Anwesenden eine Lektion zu erteilen.“

„Ist dein Mann von allen Göttern verlassen“, erstaunte sich Sigibert. „Ebbo kann froh sein, dass er die letzte Auseinandersetzung mit dem Merowinger überlebt hat. Was hat er vor?“

„Er will dem König die Stirn bieten und von ihm Ersatz für den Silberkrug fordern, den Chlodwig im letzten Jahr dem Bischof von Suessonis ausgehändigt hat.“

„Das Gefäß, das Ebbo vor aller Augen eigenhändig mit einem Axthieb beschädigt hat, weil es Chlodwig nicht zustand?“, ergänz-te Chararich, dessen Blick lauernd auf Hagens Gesichtszügen lag.

„Ja“, bestätigte der Befragte. „Ebbo glaubt, im Namen Vieler zu sprechen, die der Überzeugung sind, dass Chlodwig damals seine Befugnisse überschritten hat. Er hätte sich mit seinem Anteil an der gemeinsamen Kriegsbeute zufrieden geben müssen und dem Gejammer des Christen auf keinen Fall nachgeben dürfen.

„Was von der Mehrheit der Anwesenden aber gebilligt wurde“,widersprach Sigibert.

„Weil die Memmen eingeschüchtert waren und Angst vor dem Jähzorn ihres Königs hatten“, polterte Chararich los.

„Eine erneute Konfrontation um die königliche Autorität wird Ebbo mit seinem Blut sühnen“, suchte Sigibert nach einer Lösung. „Du musst ihn zurückhalten, Ragnachar.“

Bis auf einen Schritt trat der Rheinfranke an den Hünen heran. „Das wird auf dich zurückfallen, Ebbo ist dein Mann.“

Ragnachar zuckte nur mit den Schultern, während Chararich seiner Wut jetzt freien Lauf ließ.

„Soll er den Merowinger doch wie einen tollwütigen Hund totschlagen“, hetzte er, dass die in Hörweite postierten Krieger irritiert zur Gruppe der Könige herüberblickten.

„Bist du von Sinnen?“, fauchte Sigibert ihn an. „Willst du uns alle in Gefahr bringen? Chlodwig wartet doch nur auf einen Anlass, um bei Zeiten gegen uns vorzugehen.“

Bis zur Gruppe der Jungen war das Geschrei gedrungen, die mit weit aufgerissenen Augen herüberstarrten.

In diesem Augenblick ertönte ein hundertstimmiges Brausen von der ihnen abgewandten Seite des Feldes. Chlodwig und sein Gefolge hatten den Ort der Heeresversammlung betreten und wurden mit lautem Zuruf und dem aneinander Schlagen der Waffen begrüßt.

Ganz nahe schritt Chlodwig an der Gruppe der Jungen vorbei und zum ersten Mal trafen sich die Blicke des Merowingers und des jungen Mosellaners. Eine Begegnung, die Marcellus sein ganzes Leben nicht mehr vergessen sollte.

Das ins Grün spielende Grau der Augen, denen Warmherzigkeit und Güte fremd schienen, war das Erste, was er wahrnahm. Darunter die Partie von Kinn und Mund, aus der Entschlusskraft und Rücksichtslosigkeit sprachen. Das nach romanischer Sitte glatt rasierte Antlitz konnte man als gut aussehend bezeichnen. Eingefasst war es von einem sorgfältig gekämmten, dunkelblonden Haarschopf, der nach Sitte der merowingischen Herrscher bis über die Schultern hinabwallte. Ein junger Mann am Beginn der Zwanziger, dessen Gesichtszüge viel gelebte Erfahrung, Strapazen und Klugheit offenbarten.

Angetan in Wollhose und Tunika trug Chlodwig auffällig rote Halbstiefel. Den kostbaren Mantel, der in dunklem Blau erstrahlte, schmückten angenähte Stierembleme aus purem Gold, die auf den ersten Blick an Bienen erinnerten. Den reich verzierten Gürtel schmückte eine mit Almadine besetzte Tasche, die wohl seine Barschaft enthielt. Chlodwig war dafür bekannt, ihm erwiesene Dienste gerne und sofort in klingender Münze zu entlohnen. Auf Helm und Panzer hatte er verzichtet und seine einzige Wehr bestand aus einer Franziska, die er im Gürtel trug. Eine Waffe, die er meisterlich beherrschte.

Um sein rechtes Handgelenk wand sich ein Reif in Form einer Schlange, was Marcellus eine lange zurückliegende Erzählung des Großvaters ins Bewusstsein zurückrief.

Vor seiner Reise in die ferne Colonia hatte der Alte ihn zur Seite genommen und war mit ihm zum Ufer der Mosel gegangenwo er, auf einer Bank am Anleger sitzend, die Geschichte von Clodius erzählte. Dieser Ziehsohn und Vetter eines Ururgroßvaters war wie er in die Metropole am Rhein gegangen und hatte dort eine Fränkin aus vornehmem Geschlecht geheiratet. Bald siedelte sich das Paar auf der anderen Seite des Flusses an, worauf sich ihre Spur im Dunkel verlor. Man munkelte aber, dass er es als Chlodio zu einem Großen des fränkischen Volkes gebracht und viele Nachkommen gezeugt habe. Als einziges Andenken an seine Familie war ihm ein Armreif in Form einer sich windenden Schlange mitgegeben worden, mit der es eine besondere, längst vergessene Bewandtnis hatte.

Was, durchzuckte es den Mosellaner, wenn es dieser Armreif war und er und der Merowinger einen gemeinsamen Vorfahren hatten? Sofort verwarf er diesen Gedanken, hatte er doch am Hofe Sigiberts vor allem gelernt, mit derlei Dingen vorsichtig zu sein. Er wäre nicht der Erste, der auf Grund einer nebulösen Geschichte an Gift oder dem Stahl eines Dolches zugrunde gegangen wäre. Chlodwig und Sigibert waren, obwohl Vettern, keine Freunde, sondern erbitterte Rivalen um die Vorherrschaft über das Volk der Franken.

Ebbo durchzuckte ein Gefühl der Beklemmung, als er Chlodwig kommen sah. Als würde sein Erscheinen alleine ihm gelten, ging der Merowinger energischen Schrittes direkt auf ihn zu.

Kurz schloss er die Augen und griff nach dem Heft seiner Spatha. Das Gefühl der Waffe gab ihm das Selbstvertrauen zurück, das ihn zu verlassen gedroht hatte. Tief atmete er durch und schaute dem Herannahenden fest in die Augen.

Im vergangenen Sommer war es, das sich ihre Wege das letzte Mal gekreuzt hatten. Syagrius war geschlagen und Chlodwig hatte seinen Kriegern erlaubt, die sehnlich erwartete Beute einzuholen. An der Spitze eines kleinen Reitertrupps, alles Ragnachars Männer, war auch er durch die Umgebung der Stadt Suessonis gestreift, bis sie auf den kleinen Wagenzug stießen, der den Kirchenschatz des Bischofs in Sicherheit bringen sollte.

Bevor sich die überraschten Knechte und der sie begleitende Wachschutz gefasst hatten, lag die Hälfte tot am Boden, worauf der Rest die Waffen fortwarf und sich ergab. Prunkstück ihres Fangs war ein mit Goldsolidi und Silbermünzen zur Hälfte gefüllter Kessel aus Silber, überreich mit getriebenen Figuren reliefiert. Zur Vorsicht steckte er sich einige Solidi in die Taschen seinerBundhose, da es nicht sicher war, dass ihm die Beute zuerkannt werden würde. Es gab althergebrachte Regeln, nach denen alle Wertsachen aufgeteilt wurden. Ein Teil für den Hort des Königs, weitere Teile für die verbündeten Heerführer, dann die Krieger, die sich besonders hervorgetan hatten und schließlich die Masse derer, die am Kampf teilgenommen hatten.

Es lief alles zu seiner Zufriedenheit. Die Münzen wurden zwischen dem Merowinger und Ragnachar aufgeteilt, während ihm das wertvolle Gefäß zugesprochen wurde. Schon wollte er sein Eigentum in eine Decke schlagen, als der Bischof von Suessonis in Begleitung eines weiteren Klerikers erschien und ein großes Geschrei wegen des Kruges anstimmte. Es folgte ein hitziger Wortwechsel zwischen Chlodwig und dem anderen Bischof, einem gewissen Remigius, worauf ihm die Beute genommen und er mit wenigen Münzen abgefunden wurde.

Ein klarer Rechtsbruch. Und keiner der Anwesenden, weder Ragnachar noch die anderen Heerführer und Krieger, waren Manns genug es zu verhindern. Voller Zorn hatte er seine Franziska aus dem Gürtel gerissen und dem auf der Erde liegenden Krug einen derben Hieb verpasst, der eine mächtige Delle und einen klaffenden Spalt hinterließ. Wenn er ihn nicht haben durfte, sollte sich keiner mehr daran erfreuen.

Ein Aufschrei aller versammelten Männer war die Folge und der König konnte nur mit Mühe daran gehindert werden, sich auf ihn zu stürzen.

Seine Kameraden hatten ihn daraufhin gepackt und aus dem direkten Umfeld Chlodwigs zur Seite gezerrt. Verborgen in einemZelt hatte er die Nacht abgewartet bis die Dunkelheit kam und er ungesehen aus dem Lager heraus, auf seinen Hof zurückkehren konnte.

Und jetzt war er hier, Genugtuung für die erlittene Schmach zu fordern. Und keiner würde ihn daran hindern, Chlodwig die Stirn zu bieten, selbst wenn er seine Waffen gebrauchen müsste.

Es versetzte ihm einen Stich, als er sah, wer zum Gefolge des Merowingers zählte. Direkt hinter Chlodwig gewahrte er Remigius, Bischof von Remis, der mit der Rechten auf ihn wies und dem König etwas einflüsterte.

Was hatte der Merowinger bloß an diesem Christen? Er opferte doch Thyr und Wodan, wie sein Vater Childerich und dessen Vorväter es seit alters getan hatten. Er war nicht nur ein Gesetzesbrecher, der die überlieferten Sitten und Gebräuche mit Füßen trat, sondern auch ein Verräter an den eigenen Göttern.

„Ebbo“, schnitt die klare, eigentlich zu hohe Stimme des Merowingers durch den Morgendunst. „Kleidet sich so ein Krieger, der vor einen König tritt? Hose und Kittel fleckig und der Mantel eingerissen.“

Ehe der aus seinen Gedanken gerissene Krieger etwas erwidern konnte trat Chlodwig bis auf Ellenlänge an ihn heran und nestelte an der Scheide von Ebbos Spatha.

„Keiner pflegt seine Waffen so schlecht wie du“, setzte er nach. „Dein Speer, dein Schwert und dein Beil sind zu nichts nütze.“ Er zerrte ihm die Franziska aus dem Gürtel und warf sie zu Boden.

Der Zorn wallte in Ebbo auf. Mit der Linken stieß er den König zurück und bückte sich nach seinem Beil, worauf Chlodwig nur gewartet hatte.

Als er im Bücken nach dem Schaft seines Beiles griff, hatte der Merowinger längst seine Franziska hervorgerissen und diese mit aller Kraft auf Ebbo niedersausen lassen. Es krachte dumpf als die Schneide der Streitaxt den Schädel spaltete und der Mann schwer getroffen einknickte. Aus schreckgeweiteten Augen starrend, zerwühlten seine Füße den lehmigen Grund, bis er in der Bewegung erstarrte und röchelnd wie ein Schlachttier verendete.

„So wie du vor einem Jahr den Krug geschlagen, so habe ich dich heute geschlagen“, brüllte Chlodwig mit sich überschlagender Stimme.

Ein Aufschrei raste über das Feld, unter den sich Murren und Applaus mischten.

Entsetzt starrten die Jungen auf das blutige Bündel, das einst Ebbo gewesen war, während die Gruppe um Sigibert mit versteinerten Mienen auf den Merowinger schaute.

Chlodwig trat bis auf wenige Schritte an sie heran und ließ seinen Blick von einem zum anderen wandern, bis er bei Ragnachar verweilte.

„Denke daran, dass es dein Mann war, der mich herausgefordert hat.“

Wetterleuchten

Mein Name ist Marcellus und ich bin der jüngste Spross eines alten Geschlechts, das seit mehr als dreihundert Jahren an der Mosel ansässig ist. Den vergilbten Pergamenten einer alten Familienchronik zufolge, die mein Ururgroßvater verfasst hatte, stammten meine Ahnen aus der Toskana im fernen Italien.

Dem Bespiel meines Ahnen folgend, habe ich mir Schreibstift und Pergament kommen lassen, um das niederzuschreiben, was nicht in Vergessenheit geraten darf. Beginnen möchte ich dort, wo alles seinen Anfang nahm.

Im Jahre meiner Geburt setzte der Skire Odoaker mit Romulus Augustulus, den letzten Imperator des Westens ab und machte sich zum König von Italien.

Ein Jahr zuvor, einige Gelehrte bezeichnen es als das vierhunderfünfundsiebzigste nach der Geburt unseres Herrn Jesus Christus, hatte Sigismerus, König der Rheinfranken, den in der Treveris residierenden Comes Arbogast entmachtet und hinter die Mauern eines Klosters verbannt. Viele Edle des fränkischen Volkes waren daraufhin mit Kriegsgefolge und ihren Familien aufgebrochen, das Land entlang der Mosel für ihren König in Besitz zu nehmen. Die Palastaula der Treveris machten sie zu ihrem Königssitz, in der fortan ein Comes, von ihnen Graf genannt, residierte. Andere Edle nahmen in den Kastellen von Beda und Noviomagus sowie anderen festen Häusern entlang des Stromes ihren ständigen Wohnsitz. Ereignisse, die meine Familie entzweiten und für jahrelangen Zwist sorgten.

Mein Großvater Lucius hatte noch unter dem großen Feldherrn Aetius gegen die Hunnen gekämpft und an der Schlacht auf den katalaunischen Feldern teilgenommen, die Attilas Siegeszug ein blutiges Ende setzte. Später verschanzte er sich unter dem Vorgänger des Arbogast mit den letzten Milizen in den Ruinen des Amphitheaters und verteidigte diese letzte Bastion der Treveris gegen die anstürmenden Franken. In seinen letzten Jahren hatte er sich verbittert in die zugigen Zimmerfluchten unseres Stadtpalastes zurückgezogen, wo er bis zu seinem Tode von den glorreichen Zeiten der Kaiserstadt träumte.

Mein Vater Sidonius hingegen hielt es schon früh mit den neuen Herren, die er mir immer als das kraftvollste Volk unter den germanischen Stämmen schilderte. Ihm hatte ich zu verdanken, dass ich in jungen Jahren an den Hof Sigiberts geschickt wurde. Nicht als Geisel trat ich diesen Weg an, sondern als hoffnungsvoller Repräsentant einer vornehmen romanischen Familie, die auf die Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern setzte.

Zuvor hatte ich glückliche und behütete Kindertage im beschaulichen Arduena, dem Ort meiner Geburt, verlebt. Unweit des Steinhauses, das einst mein Ururgroßvater erworben hatte, ließ mein Vater ein neues Gehöft nach Art der Franken errichten, in dem es so herrlich nach frisch geschlagenem Holz und den jährlich erneuerten Strohbündeln der Dachbedeckung roch. Die muffigen Gemäuer des alten Herrenhauses, in dem wir häufig spielten, schwanden mit der Zeit dahin, da die Steine und Balken zum Bau des Bootsanlegers und neuer Nebengebäude gebraucht wurden.

Vergoss ich nach meiner Ankunft in der Metropole am Rhein noch bittere Tränen des Heimwehs, so fügte ich mich bald in mein Schicksal und begann Gefallen am höfischen Leben zu finden. Ausgelassen tollte ich mit meinen neuen Freunden durch die dunklen Gänge und Zimmerfluchten von Prätorium und Aula Regia. Am Kieselstrand des breiten Stromes schlugen wir in wildem Spiel verwegene Schlachten gegen Alamannen und Burgunden und träumten von Eroberungszügen an die warmen Gestade des Meeres im Süden. Wenn es gegen die Römer ging musste ich allerdings die Seiten wechseln und bezog regelmäßig Prügel.

König Sigibert kam oft aus seinen Gemächern, um unserem Treiben aus sicherer Entfernung beizuwohnen. Trieb ich es zu wild und schlug einem meiner Kontrahenten eine blutige Nase, lachte er laut auf und drohte mir mit dem Zeigefinger der rechten Hand. Er hatte mich schnell lieb gewonnen, obwohl ich seine Erwartungen so ganz und gar nicht erfüllte. Eigentlich war ich unter vielen Bewerbern ausgewählt worden, seinem Sohn Kloderich Lebensart und Wissen der Romanen zu vermitteln. Stattdessen entwickelte sich der zierliche Mosellaner zu einem verwegenen Raufbold, der es mit den kräftigsten Sprösslingen der Franken aufnahm. Ein herrliches Leben, wie geschaffen für einen Jungen, der körperliche Betätigung und Herausforderung liebte.

Mit mir waren noch zwei weitere Romanen an den Hof geholt worden: Sebastianus aus der Treveris und Quirinus, der in Baudobriga das Licht der Welt erblickt hatte. Zusammen bildeten wir eine verschworene Gemeinschaft, in der jeder für den anderen eintrat.

Mädchen hatten in unserem Leben vorerst keinen Platz. Hin und wieder fingen wir eines dieser blond bezopften Wesen und banden sie am Rheinufer als Futter für Meeresungeheuer an einen Pfahl, bis die heulenden Rotznasen von einer empörten Magd gerettet wurden.

Wenn nur Kloderich nicht gewesen wäre, der uns und besonders mir das Leben schwer machte. Sigiberts Sohn hasste mich, weil ich ihm häufig als Vorbild vorangestellt wurde. Er rächte sich, indem er seine übelsten Kumpane auf mich hetzte. Vor allem diesen widerlichen Hinkmar, der mir sogar die Nase gebrochen hatte. Als Sigibert erfahren hatte, wie ich an meine Verletzung gekommen war, schlug er seinen Sohn vor der versammelten Schar seiner Gefolgsleute. Eine harte Strafe, die mir Kloderich nie verzieh. Also mied ich von diesem Tag an die enge Gemeinschaft zum Thronfolger, was sein Vater mit Bedauern, aber schweigend zur Kenntnis nahm.

„Hüte dich vor dem Bastard“, hatte mir Folmar, mein bester Freund unter den Franken, zugeraunt. „Und bring dich in Sicherheit, wenn Sigibert einmal tot und Kloderich König sein wird.“

Was Folmar mit `Bastard` meinte, sollte ich bald erfahren. Man erzählte sich, dass Brunhilde, eine thüringische Prinzessin und erste Frau des Königs, ihren Gemahl mit einem sächsischen Sklavenhändler betrogen hätte. Der Sachse hütete sich, jemals zurückzukehren und Brunhilde versicherte Zeit ihres Lebens, dass Kloderich Sigiberts leiblicher Sohn sei.

Im Alter von vierzehn Jahren überreichte mir Sigibert meine erste Spatha. Eine schöne und trotz der breiten Klinge handliche Waffe, an deren Griffende im Knauf ein silberner Ring eingelassen war. Alle engen Gefolgsleute und die Palastwache trugen diese Schwerter, die eine besonders enge Verbundenheit zum Herr-scherhaus symbolisierten. Am gleichen Tag schwor ich einen heiligen Eid auf Thyr und Wodan, den König und seine Familie mit meinem Blut zu unterstützen. Von diesem Tag an zählte ich zur Gefolgschaft des Königs der Rheinfranken.

Ich war von nun an berechtigt, an den Ratssitzungen und Empfängen Sigiberts teilzunehmen, die im großen Saal der Aula Regia stattfanden. Gelangweilt ließen wir die endlosen Reden von Edlen und Gesandten der anderen Königreiche über uns ergehen, bis endlich Tische und Bänke hereingeschafft und der Boden mit einer neuen Strohschüttung versehen wurde. Es folgten Fässer mit frisch gebrautem Bier und sorgfältig gekeltertem Wein, der aus meiner Heimat stammte. Die Tische bogen sich unter der Last der klobigen, aus Holzdauben gefertigten Humpen und gedrechselten Schüsseln mit dampfendem Fleisch. Bis in die Morgenstunden wurden derbe Zoten zum Besten gegeben, wurde gezecht und von zurückliegenden Heldentaten berichtet.

Am Tage unterrichteten uns die Offiziere der Leibwache im Gebrauch der Waffen.Keiner der Gefährten tat es mir im Gebrauch der Spatha gleich, während ich Speer und Ango nur leidlich beherrschte. Ich brauchte lange, ehe ich die Kraft von Arm und Schulter in eine akzeptable Wurfweite umsetzen konnte. Als ich den Bewegungsablauf endlich verinnerlicht hatte, konnte ich auf kurze und mittlere Entfernungen mit meinen Freunden gleichziehen. Dafür stellte ich mich geschickter mit dem Schlachtbeil, der gefürchteten Franziska, an.

Eine willkommene Abwechslung im Einerlei der Tage stellten die regelmäßigen Jagdausflüge in die Waldberge jenseits des Rheines dar. Bis zu einer Woche waren wir unterwegs, ehe wir Trophäen und Beute beladen zurückkehrten. Das von uns erlegte Wild stellte eine willkommene Abwechslung zur üblichen Kost dar. Einmal geriet ich bei der Verfolgung einer waidwunden Hirschkuh an einen Bären, den ich mir nur unter Mithilfe Folmars vom Leib halten konnte. Eine tiefe Schramme am rechten Schienbein hatte ich einem Keiler zu verdanken, der mich rücklings umgeworfen und mit einem seiner Hauer erwischt hatte.

An einem regelrechten Kriegszug hatte ich bisher noch nicht teilgenommen. Sigibert hatte es lange verstanden, sich aus allen Händeln geschickt herauszuhalten. Einmal nahm ich an einem Vergeltungszug ins alamannische Grenzgebiet teil. Als Antwort auf die unausgesetzten Raubzüge dieses wilden Volkes verbrannten wir einige verlassene Dörfer und zogen uns schließlich unverrichteter Dinge zurück.

Die Liebe hatte mich, bis auf erste Erfahrungen mit den Mägden des königlichen Umfeldes und einer deutlich missglückten Affäre mit der Frau eines Glashändlers, noch nicht ereilt.

Ich hatte das zwanzigste Lebensjahr erreicht und das Leben war schön. Trotzdem stellte ich mir immer öfter die Frage, was ich mit meinen erworbenen Fähigkeiten anstellen könnte. Im Stillen erwog icheine Rückkehr in die Heimat, während Sigibert mich drängte, eine verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen.

Die nun folgenden Ereignisse, die niederzuschreiben ich mich entschlossen habe, rissen mich unvermittelt aus meiner gewohnten Welt und stellten alles in Frage, woran ich bisher geglaubt hatte. Ich streifte es ab, das Kleid meiner Jugend, und wurde zum Mann.

Den Blick fest auf das Ziel gerichtet holte ich weit mit dem rechten Arm aus und schnellte ihn hoch über dem Kopf nach vorne. Im richtigen Augenblick ließ ich den Schaft der Franziska fahren, die mit der Schneide voran ihrem Ziel zusauste. Ich hatte den Wurf richtig, das heißt aus einer fließenden Bewegung heraus, ausgeführt. Ein leichtes Rucken beim Loslassen oder ein zu lockerer Griff hätten die Waffe weit vorbeifliegen lassen. Genau in die Mitte der Stirn des Alamannen, dessen Gesicht auf der uns zugewandten, abgeflachten Seite eines Holzpfahles aufgemalt war, krachte die Schneide des Wurfbeiles.

„Der ist hin“, jubelte Sebastianus auf und schlug mir mit seiner Rechten auf die Schulter. „Wie machst du das bloß? Jeder Wurf ein voller Treffer.“

„Der Teufel führt seine Hand“, stöhnte Quirinus in gespieltem Entsetzen auf, während Folmar ungläubig den Kopf schüttelte.

„Langweile mich nicht mit den Göttern der Christen“, erwiderte Pippin, der mit der Franziska in der Hand zu uns getreten war. Er hatte vor mir geworfen und sein Versuch war so gründlich misslungen, dass er sein Beil im hohen Gras der Rheinaue hatte suchen müssen.

„Wir haben keine Götter“, verbesserte ihn Sebastianus. „Nur die Arianer unterscheiden zwischen der Person Gottes und der seines Sohnes. Wir Rechtgläubige glauben daran, dass Vater, Sohn und heiliger Geist eins sind.“

„Wer soll denn das verstehen?“, begehrte Folmar auf. „Hast du zuviel Wein getrunken?“

Ehe Sebastianus antworten konnte, ergriff Pippin wieder das Wort.

„Gib doch zu, dass eure Priester sich während des Gottesdienstes volllaufen lassen und deshalb nur dummes Zeug reden. Ich verstehe nicht“, fuhr er mit schneidender Stimme fort, „warum Sigibert diesen Unsinn duldet.“

Inzwischen war ich an den Pfahl getreten, hatte das fest sitzende Beil mit einem Ruck herausgerissen und war zu meinen Gefährten zurückgekehrt.

„Hört endlich mit diesem dummen Streit auf. Es ist immer das Gleiche und endet mit blutigen Nasen.“

Breit grinsend streckte ich den Gefährten die Innenfläche meiner geöffneten Hand entgegen, um den vereinbarten Wetteinsatz einzufordern. Mich mit verachtenden Blicken strafend griffen die Freunde in ihre Beutel und Taschen und zahlten mir die abgesprochene Summe aus. Vier Siliquen, minderwertige Silbermünzen, wie sie unter dem Comes Arbogast in der Treveris geschlagen worden waren. Kurz rechnete ich im Kopf nach und kam zu dem Ergebnis, dass ich dafür ein Huhn oder zwei Krüge Wein bekommen würde, falls sie überhaupt angenommen würden.

„Habt ihr keine Münzen mit dem Bild des Kaisers Zenon oder des Anastasius?“, wog ich die Geldstücke unschlüssig in der Hand.

„Eine Silique von jedem Verlierer für den Sieger“, brummte Sebastianus. „Abgemacht ist abgemacht.“

„He, ihr da“, tönte eine Stimme zu uns herüber, die mir nur allzu bekannt war. Ich wandte den Kopf und sah Hinkmar, die Kreatur Kloderichs, auf uns zukommen. Als er bis auf dreißig Schritte herangekommen war, verhielt er seinen Gang und legte, um besser verstanden zu werden, beide Hände an den Mund.

„Ihr sollt sofort zu Sigibert ins Prätorium kommen. Es gibt Neuigkeiten.“

Dann drehte sich die Ratte, wie wir ihn zu nennen pflegten, auf den Absätzen herum und hastete zum Südtor zurück, aus dem er gekommen war.

„Das hat nichts Gutes zu bedeuten“, murmelte Sebastianus. Der Reihe nach blickte der Romane mit dem hübschen Gesicht und dem schwarzen Haar seine Kameraden an. Mit seinen siebzehnJahren war er der jüngste und um mindestens einen halben Kopf kleiner als seine Freunde.

„Da hast du Recht“, pflichtete ihm der hoch gewachsene und blond gelockte Folmar bei. „Hat jemand etwas gehört?“

„Es soll Ärger mit den Alamannen geben“, mutmaßte Pippin. Bedächtig strich sich der untersetzte Franke aus den Waldbergen jenseits des Flusses durch seinen rotblonden Bart. Er trug einen kurzärmeligen Kittel über seiner rehledernen Hose, was seine muskulösen Oberarme zur vollen Geltung brachte. „Heute Morgen habe ich ein Gespräch zwischen zwei Männern der Leibwache mitbekommen. König Chararich und König Ragnachar sollen in der Nacht angekommen sein. Die nehmen den weiten Weg nicht ohne Grund auf sich.“

„Ich weiß von der Magd Prudentia…“, setzte der dunkelblonde Quirinus an, wurde aber sofort von Pippin unterbrochen.

„Du meinst Prudentia mit den großen Brüsten? Ist da was zwischen euch? Ihr hängt die ganze Zeit zusammen.“

Das Gelächter der Gruppe ließ das Gesicht des Kameraden aus Bodobriga in dunklem rot erglühen. Verlegen blickte er auf die Spitzen seiner ledernen Bundschuhe und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Die ist doch viel zu alt für dich“, rief Sebastianus dazwischen. „Mindestens fünfundzwanzig. Und sie hat ein hässliches Muttermal auf dem Rücken.“

„Woher weißt du das denn?“, stammelte Quirinus verblüfft. „Hast du ihr heimlich beim Baden zugeschaut?“

Jetzt hatte Quirinus die Lacher auf seiner Seite.

„Hört mit dem Unsinn auf“, ging ich dazwischen, worauf sich mir alle Köpfe zudrehten.

„Ach“, spottete Pippin, „hat unser Meisterwerfer auch etwas zu sagen?“

„Und hört mit euren Vermutungen auf“, ignorierte ich den Einwurf. „Je eher wir bei Sigibert sind, desto schneller erfahren wir, warum er nach uns geschickt hat.“

„Was du nicht sagst“, entgegnete Folmar, der neben mir als Führer der Gruppe angesehen wurde. Es bestand eine wohlwollende Rivalität zwischen uns beiden Zwanzigjährigen. Noch vor Sebastianus war er mein bester Freund, dem ich in allem vertraute, was auch umgekehrt galt. Er wandte sich dem Südtor zu, in demHinkmar seit einiger Zeit verschwunden war. Ohne ein weiteres Wort folgten ich und der Rest der Gruppe nach.

Bevor wir den Audienzsaal im Prätorium aufsuchten, eilten wir in unsere Kammern, die sich in einem Anbau des Prätoriums befanden.

In aller Eile wechselte ich die Hose und schlüpfte in meine beste Tunika. Ein der Jahreszeit angemessenes, leichtes Gewebe aus blauem Leinen, das mit aufgestickten Weinranken verziert war. Meine Mutter Faustina hatte sie bei einem Händler in der Treveris besorgt und mir zum Todestag meines Namensheiligen schicken lassen. Dazu trug ich halbhohe Schuhe aus rot eingefärbtem Hirschleder, deren gleichfarbige Bänder ich sorgfältig um die Waden wickelte. Ein Mantel aus dunkelblauem Loden, den eine goldene Zwiebelkopffibel verschloss, vollendete meinen prächtigen Aufzug. Gegürtet war ich mit einem schönen Stück aus braunem Leder, das eine Schnalle verschloss, auf der zwei Schlangen abgebildet waren. Beides, Gürtelschnalle und Fibel, waren alte Familienerbstücke, die mein Vater mir bei meiner Abreise mitgegeben hatte.

Derart herausgeputzt griff ich nach einem silbernen Spiegel, dessen polierte Oberfläche mein Konterfei ohne Verzerrungen wiedergab. Ich hatte es einem Krieger der Wachmannschaft für einige Humpen Wein abgeschwatzt, der das Toilettenutensil bei der Ausräumung eines alten Frauengrabes an sich genommen hatte.

Ein junger Mann um die Zwanzig, an dem eine leichte Schrägstellung des Nasenrückens ins Auge stach, blickte mich aus dem Spiegel an. Hatte ich mich als Junge noch dafür geschämt und jedem erklärt, wie es dazu gekommen war, brachte dieser Makel viele Vorteile mit sich. Gerade die Mädchen waren hingerissen, erregte es doch ihre Phantasie, weil sie eine Laune des Schicksals dahinter vermuteten. Das Kinn war nicht so ausgeprägt wie das von Folmar, aber es verriet doch Behauptungswillen und Ent-schlossenheit. Dafür hatte mich das Schicksal mit vollen Lippen, strahlend blauen Augen und einer hochgewölbten Stirn über leicht nach außen geneigten Wangenknochen gesegnet. Alles in allem ein recht gut und vor allem brauchbar aussehender Kerl, dem man den Romanen, wegen des bis zu den Schultern herabfallenden dunkelblonden Haupthaares, nicht unbedingt ansah.

Gemeinsam eilten wir zum Eingang des vorgelagerten Torgebäudes und verlangsamten unseren Gang, als wir den Innenhof betraten. Gemessenen Schrittes stiegen wir die Stufen zur Vorhalle empor, deren Säulen die Giebel gekrönte Fassade trugen. In ihrem Schutz hatten sich die Wachen postiert, die uns passieren ließen, als sie uns erkannt hatten. Bereitwillig wies uns ihr Anführer, ein gewisser Bauto, den Weg zu Sigibert.

Wie seine Kameraden trug er einen schwarz eingefärbten,bis auf die Oberschenkel herabreichenden Lederkoller, der mit silbern schimmernden Metallschuppen besetzt war. Ausnahmslos trugen sie vergoldete Spangenhelme, wie sie in den Waffenfabriken von Byzanz hergestellt wurden. Sigibert wurde nicht müde zu betonen, dass ihn die Ausstattung seiner persönlichen Leibgarde ein Vermögen gekostet hatte. Bewaffnet waren sie mit der Spatha, einem mächtigen Speer, und jeder trug eine Franziska in den mit Bronzeplatten verzierten Leibgürteln.

Wir nahmen nicht die Stufen, die nach oben zur Rundhalle des Oktogons führten. Stattdessen hielten wir uns links, bis wir über marmorverkleidete Flure und vorbei an weiteren Wachen zum nördlichen Apsidensaal gelangten. Die weit geöffneten Flügeltüren wurden hinter uns geschlossen, als wir als letzte Erwartete den Raum betreten hatten.

Vor der den Raum abschließenden Apsis waren im Halbkreis Holzbänke platziert worden. Sigiberts hölzerner Sessel thronte dagegen auf einem handbreit hohen Podest. Neben ihm saßen Chararich und Ragnachar, während sich die anwesenden Militärs und Ratgeber auf den Sitzbänken verteilten.

Misstrauisch von Kloderich und Hinkmar beäugt, besetzten wir die letzten noch freien Plätze auf der ihnen gegenüber liegenden Seite des Halbkreises. Neben den beiden erkannte ich Hagen, Hinkmars Bruder, der uns mit einem knappen Augenaufschlag grüßte.

Schon bei meiner Ankunft in der Colonia hatte mich das Respekt einflößende Äußere des Hünen befangen gemacht. Die zehn Jahre, die seitdem vergangen waren, hatten daran nichts geändert. Graue Strähnen durchzogen mittlerweile sein Haar, aber seiner Spannkraft und Körperkraft hatten die Jahre nichts anhaben können, obwohl er die Vierzig bereits überschritten hatte.

Mit seinem intriganten Bruder hatte er nur die kalt blitzenden, grauen Augen und den dreimal verheirateten Vater gemein. Hinkmar war der Nachzügler, achtzehn Jahre jünger als Hagen und von bedrückender Hässlichkeit. Schräg stehende Augen, eine zu lange Nase, dünnes, fransiges Haar und ein fliehendes Kinn gaben dem Gesicht einen verschlagenen Ausdruck. Geradezu Ekel empfand ich vor seinen Händen, mit denen er einst mein Gesicht gezeichnet hatte. Lange, knotige Finger mit kurzen Nagelbetten. Trotz seiner scheinbaren Körperschwäche ein nicht zu unterschätzender, bissiger und zäher Kämpfer, der Freude am Töten hatte. Eher einer Schlange ähnlich als einem Fuchs.

Die übrigen Edlen konnte ich an den Fingern beider Hände abzählen. Die Zusammenkunft war kurzfristig angesetzt worden, was für die Dringlichkeit des Anlasses sprach.

Ich vermutete einen Zusammenhang mit der Ankunft Chararichs und Ragnachars. Sigibert hatte sich offensichtlich keine Zeit genommen, Boten auszusenden, um alle Edlen des Reiches zu benachrichtigen. Vertreten waren die Würdenträger, die sich gerade in der Colonia aufhielten oder ihren Wohnsitz in unmittelbarer Nähe hatten. Ich erkannte die Comes, auch Grafen genannt, von Antunacum, Tolbiacum und Juliacum sowie Florinus, den Bischof der Colonia, neben seinem fetten Amtsbruder aus der Treveris.

Sigibert hatte bei unserem Eintreffen nur kurz den Kopf gehoben und sich dann wieder dem neben ihm sitzenden Ragnachar zugewandt, mit dem er in ein wichtiges Gespräch vertieft schien.

Da es nicht angebracht war, mit einem meiner Sitznachbarn zu plaudern, ließ ich, um die Wartezeit zu überbrücken, die Augen umherschweifen.

Von den an einigen Stellen beschädigten und durch den Auftrag von Zement geflickten Bodenmosaiken wehte es mir feucht entgegen. Sie waren wohl kurzfristig mit Wasser und Sand gescheuert worden. Die Marmorverkleidung der Wände hatte man ebenfalls bis über Kopfhöhe feucht abgewischt. Der Stuck der Kassettendecke war rissig und an einigen Stellen geplatzt, so dass immer wieder Stücke herausbröckelten, die am nächsten Morgen aufgelesen werden mussten. Da es kaum noch Handwerker gab, die mit der Bearbeitung dieses Werkstoffes vertraut waren, würde man sie eines Tages entfernen und durch eine abgehängte Balkendecke ersetzen müssen. Die schadhaften Scheiben der hoch liegenden Fenster waren mit minderwertigem Glas ausgebessert oder noch einfacher durch Holzbrettchen ersetzt worden. Weil das den Einfall des Lichtes stark minderte, waren Öllampen indie dafür vorgesehenen Wandhalterungen eingehängt und eiserne Becken im Raum verteilt worden, in denen Feuer brannten.

„Seid gegrüßt, Edle des Reiches und Angehörige meines Hofes“, wurde ich aus meinen Betrachtungen gerissen, als Sigibert das Wort an die Versammelten richtete.

„Beunruhigende Nachrichten sind aus dem Süden des Reiches zu uns gedrungen. Nichts Gutes verheißend, überschatten sie wie ein drohendes Unwetter die Wälder und Fluren unserer Heimat.“

Die Antwort der Anwesenden äußerte sich in einem unterdrückten Murmeln, unter das sich besorgte Fragen und trotzige Ausrufe mischten.

„Muss Sigibert immer wie ein römischer Rhetor lamentieren, wenn er uns etwas Ernstes mitzuteilen hat?“, murmelte Folmar neben mir.

„Komm zur Sache, Vetter“, kleidete König Chararich den Unmut vieler Anwesender in Worte.

„Es ist nicht dein Reich, das in seinem Bestand bedroht ist“, warf Sigibert ihm einen tadelnden Blick zu.

„Es gibt verlässliche Nachrichten aus Antunacum“, fuhr er fort, „dass sich jenseits des Stromes die Alamannen sammeln.“

„Ich dachte“, fuhr der sichtlich konsternierte Ragnachar von seinem Sessel hoch, „dass du uns wegen der beabsichtigten burgundischen Hochzeit zusammengerufen hast. Und jetzt das.“

„Hatte ich auch“, antwortete Sigibert in ruhigem Tonfall. „Aber die Dinge haben sich geändert. Ich erhielt die Nachricht erst vor wenigen Stunden.“

„Beim allmächtigen Gott“, stöhnte Florinus auf. „Ich habe immer gesagt, dass es ein Fehler war, ihnen zu erlauben, sich bei uns niederzulassen. Es sind blutgierige Heiden, die Menschen opfern und dafür in der Hölle brennen werden.“

„Es sind auch meine Götter, die sie anbeten“, entgegnete Chararich harsch. „Und von Menschenopfern habe ich noch nichts vernommen. Ihr Christen bemüht diese Märchen doch nur, um die Alten und die Kinder zu erschrecken.“

„Wieso erlaubst du dem Bischof solche Reden, Sigibert?“ Mit hochrotem Kopf war Merobaudes, der Comes von Juliacum aufgesprungen. „Außerdem“, fuhr er den Bischof an, „handelt es sich nur um wenige Familien, die keinen Schaden anrichten. Sie haben um Aufnahme bei ihren Verwandten gebeten, die hier seit mehreren Generationen siedeln. Ehemalige Foederaten der römischen Armee.“

„Alamanne bleibt Alamanne“, verteidigte sich Florinus. „Und was mein Rederecht betrifft, ich vertrete die große Zahl der Romanen in Sigiberts Reich.“

„Hört auf zu streiten“, ging Ragnachar dazwischen. „Lasst uns beraten, wie Sigibert der Gefahr trotzen kann.“

„Was für eine Hochzeit? Wieso weiß ich nichts davon?“ Ansgar, der Graf von Antunacum hatte sich erhoben und blickte sich nach Zustimmung heischend um.

„Setzt euch wieder“, donnerte Sigibert seine Gefolgsmänner und den Bischof an. „Was ist das für ein Benehmen? Ich lasse jeden hinauswerfen, der mir und den anderen Königen den Respekt verweigert.“

Knurrend, wie ein Rudel junger Wölfe vor ihrem Leittier, duckten sich die Männer und nahmen wieder Platz.

In Augenblicken wie diesen bewunderte ich Sigibert. Bei aller Verbindlichkeit und gesetzter Freundlichkeit verstand es der König meisterhaft, seine Autorität dann einzusetzen, wenn diese gefordert war.

Ein rascher Blick zu beiden Seiten zeigte mir, dass meine Freunde ähnlich empfanden. Einzig Quirinus, der Romane aus Bodobriga, schien sich kräftig zu amüsieren und besonders dem Bischof die Zurechtweisung zu gönnen.

„Wie viele Alamannen hat man gesichtet?“, unterbrach Hagen die eingetretene Stille. Er beugte sich vor und blickte Sigibert gespannt an.

„Unser Gewährsmann spricht von mehreren tausend Kriegern“, antwortete Sigibert. „Sie sammeln sich nördlich der Lahnmündung und erhalten täglich neuen Zuzug.“

„Welcher Stamm ist es und wer führt sie an?“, stellte Merobaudes die nächste Frage.

„Es sind Krieger aller Stämme ausgemacht worden.“ Sigibert hob die rechte Hand und ließ bei jedem Namen einen Finger hochschnellen.

„Lentienser, Bukinobanten und Raetovarier aus dem Süden. Es wurden auch auffallend viele Familien gesichtet, die dem Tross auf Karren und Planwagen folgen. Angeführt werden sie von Vadomar, dem König der Brisigaver, die mehr als tausend Köpfe zählen.“

„Wenn Vadomar so viele Krieger nach Norden führt, handelt es sich nicht um einen begrenzten Raubzug.“ Hagen rieb sich das Kinn und legte die Stirn in Falten.

„Das sieht nach einem gezielten Einfall und einer geplanten Landnahme aus.“

„Du musst sofort alle verfügbaren Krieger in die alten Römerfestungen an Rhein und Mosel werfen, damit sie nicht bis vor die Tore der Treveris und der Colonia ziehen“, entsetzte sich Modestus, der Bischof der Treveris, mit sich überschlagender Stimme.

„Bei Thyr und Wodan, nein“, entrüstete sich der Comes von Juliacum. „Wie viele Krieger bleiben uns dann noch, dem Feind in offener Feldschlacht die Stirn zu bieten? Zweitausend, oder weniger?“

„Der Mann hat Recht“, entschied Sigibert zum Verdruss von Modestus, der wieder laut zu lamentieren begann und zur Ordnung gerufen werden musste.

„Selbst wenn wir alle Männer von beiden Seiten des Rheines zusammenziehen und die Festungen dem Schutz der ansässigen Milizen überlassen, werden wir zuwenig sein, die Alamannen zu besiegen. Wir brauchen dringend Verstärkungen.“

Die letzten Worte Sigiberts drohten beinahe in dem jetzt losbrechenden Tumult unterzugehen, wenn der König nicht aufgesprungen wäre und mit erhobenen Armen um Mäßigung nachgesucht hätte.

„Ragnachar“, sprach er nur dieses eine Wort und blickte seinem königlichen Vetter tief in die Augen.

„Du kannst meine hundertfünfzig Krieger haben, die mich zu dir geleitet haben. Das ist leider alles. Ich schicke zwar umgehend nach Verstärkungen, aber bis die hier sind, ist alles vorbei. Keiner hat mit einem Einfall gerechnet und die Männer befinden sich überall im Land auf ihren Höfen. Es dauert Wochen, sie zu sammeln und in Marsch zu setzen.“

„Und ich habe nur fünfzig Mann, die ich zu meinem eigenen Schutz brauche, um sicher nach Bononia zurückzukehren“, kamChararich der Aufforderung Sigiberts zuvor. „Mein Königreich liegt noch weiter im Westen als das von Ragnachar. Du musst dir selber helfen.“

Empörung ob der schroffen Zurückweisung Chararichs, aufkeimende Verzweiflung und Trotz lagen auf den Gesichtern aller Anwesenden.

Auch ich hatte jetzt den Ernst der Lage erkannt und begann mir auszumalen, was von meiner Heimat an der Mosel bleiben würde, wenn die Alamannen dort durchgezogen waren. Nur zu gut erinnerte ich mich an die Verwüstungen, die der Feind bei seinem letzten Vorstoß über die Lahn hinweg angerichtet hatte. Und es waren nur ein paar hundert Alamannen gewesen, die vor unserem Vergeltungszug davongelaufen waren.

Ich hatte wieder den Gestank des abgestochenen und verwesenden Viehs in der Nase und schmeckte den rußigen Staub der niedergebrannten Ackerfluren. Was die Mordbrenner nicht mitnehmen konnten, hatten sie in wilder Zerstörungswut vernichtet.

Was auch die Menschen betraf: Alte und Kranke lagen tot in ihren Hütten, während die Jungen und die Kinder den Weg in die Gefangenschaft antreten mussten. Nur wenige hatten das Glück, von uns befreit oder später freigekauft zu werden. Die Spur der übrigen verlor sich auf den Sklavenmärkten der Ostgoten und Byzantiner.

„Du musst Chlodwig um Hilfe bitten“, verschaffte sich Modestus Gehör. „Er steht am weitesten im Westen und hat dort einige tausend Mann zu einem möglichen Angriff gegen die Westgoten versammelt.“

„Chlodwig, niemals!“, keuchte der nach Fassung ringende Chararich. „Der Merowinger hat es auf uns alle abgesehen, wenn er mit den Westgoten fertig ist. Ein Erfolg gegen die Alamannen würde nicht nur seine Machtbasis stärken, sondern ihm auch die Herzen unserer Bauern und Krieger gewinnen.“ Er schnaufte kurz durch, ehe er fortfuhr.

„Der Merowinger als der Erretter vor Vadomars Scharen, das ist undenkbar.“

„Hast du einen besseren Einfall?“, zischte Sigibert, dessen Gesicht eine zornige Röte angenommen hatte.

Ich hatte unseren König selten so verärgert und wütend gesehen. Noch ein weiteres falsches Wort von Chararich und die Situation wäre eskaliert. Es war Ragnachar, der die Lage entspannte.

„Das gefällt keinem von uns, aber es scheint der letzte Ausweg zu sein.“

Chararich vermied es, Sigibert oder Ragnachar anzuschauen, als er sich von seinem Platz erhob. Auf einen Wink hin standen seine Begleiter ebenfalls auf und geleiteten ihn aus dem Saal.

Sigibert, der sich wieder in der Gewalt hatte, übersah denAffront und ließ ihn stillschweigend gewähren. Ich sah noch, wie der Herr von Bononia Kloderich einen vielsagenden Blick zuwarf, ehe sich die Eichenflügel der Türe hinter ihm schlossen.

„Hört meine Entscheidung“, erhob der König der Rheinfranken seine Stimme und trat an den Rand des Podestes. „Wir versperren dem Feind bei Rigomagus den Weg über die Limesstraße nach Norden. Es ist die engste Stelle auf dem Weg in die Colonia und er kann dort trotz seiner Überlegenheit nicht durchbrechen. Vadomar wird in die Silva Arduenna ausweichen, um die große Straße zu erreichen, welche die Treveris mit der Colonia verbindet. Die Alamannen werden dann die Waldberge bei Tolbiacum wieder verlassen, wenn die Colonia ihr Ziel ist. Alles andere macht keinen Sinn.“

Mehrere Minuten ließ Sigibert seine Worte auf uns wirken. Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah einem nach dem anderen ins Antlitz.

„Es kommt darauf an…“, fuhr er endlich so leise fort, dass jeder gezwungen war, angestrengt zu lauschen. „Vadomar muss viel Zeit verlieren. Wir müssen ihn bis Tolbiacum so lange hinhalten, dass unsere Verstärkung rechtzeitig eintreffen kann. Dann, und nur dann können wir den Alamannen die Schlacht liefern, die sie wollen.

„Hagen“, fuhr er fort und wies mit der Rechten auf den mir gegenübersitzenden Bruder Hinkmars. „Du bist einer meiner tapfersten Gefolgsmänner. Du wirst Chararich nach Westen begleiten und Chlodwig suchen. Versprich ihm, falls nötig, die Hälfte meines Schatzes, der wohlverwahrt in den Gewölben des Prätoriums ruht.“

Die Blicke aller Anwesenden richteten sich auf den Boden, unter dem seit Jahrzehnten die sagenhaften Reichtümer des Königtums der Rheinfranken lagerten.

„Geht jetzt“, schlug er einen rauen Befehlston an, „sammelt eure Männer und kommt so schnell wie möglich zurück. Vadomar wartet nicht, bis wir alle Vorbereitungen in Ruhe abgeschlossen haben. Eine Woche oder vielleicht zwei, dann hat er genügend Krieger beisammen, den Strom zu überqueren.“

„Wir werden kämpfen, Marcellus“, stammelte Sebastianus, während Pippin trotzig das Kinn vorschob und die Muskeln seiner Oberarme spielen ließ. Mit den Augen suchte ich einen Blick Folmars aufzufangen, der aber auf Kloderich und Hinkmar starrte, die einige Worte mit Ragnachar wechselten. Quirinus brütete dagegen stumm vor sich hin und kaute an den Nägeln seiner rechten Hand.

„Kloderich“, schnitt die Stimme Sigiberts durch den Raum, als sich sein Sohn zum Gehen wandte. „Ich habe dir und deinen Freunden nicht gestattet, euch zurückzuziehen. Wir müssen noch über deine Hochzeit mit der burgundischen Prinzessin sprechen.“

„Vater“, widersprach Kloderich heftig. „Das ist jetzt nicht der Zeitpunkt um…“

„Es ist alles mit Gundobad, dem König der Burgunden, abgesprochen. Du heiratest seine Nichte Silinga, ob es dir gefällt oder nicht.“

„Es gefällt mir nicht, Vater“, trotzte Kloderich energisch.

„Wir brauchen das Bündnis mit dem Burgunden, wenn wir uns dereinst gegen Chlodwig behaupten wollen.“ Sigiberts Stimme hatte wieder ihren drohenden Unterton angenommen.

„Es ist gut“, wiegelte Kloderich ab. „Aber warum müssen wir jetzt darüber reden?“

„Weil das Mädchen vor zwei Wochen nach der Colonia aufgebrochen ist. Kannst du dir vorstellen, was geschieht, wenn sie und ihr Gefolge Vadomar in die Hände fallen? Er wird sie irgendeinem seiner Teilkönige zur Frau geben und uns Gundobad damit zum Feind machen. Willst du das?“

Bis auf wenige Handbreit war Sigibert an seinen Sohn herangetreten, der einen Schritt zurückwich.

„Du wirst ihr morgen entgegenreiten, das Mädchen suchen und sie hierher in Sicherheit bringen.“

„Vater“, jammerte Kloderich. „Und was ist, wenn die Alamannen mich kriegen und als Geisel gegen dich verwenden?“

„Feigling“, murmelte Folmar so leise, dass nur ich es verstehen konnte.

„Dein Sohn hat recht“, mischte sich Ragnachar ein. „Das Wagnis ist zu groß. Schick jemand anderen nach dem Mädchen.“

Kloderich streifte seinen Fürsprecher mit einem dankbaren Blick, während Sigibert sich bedachte.

„Marcellus und Folmar“, wandte sich der König unvermittelt unserer Gruppe zu. „Ihr brecht morgen mit euren Freunden und einigen Kriegern auf.“

„Wo sollen wir nach Kloderichs Braut suchen?“ Alle Augen richteten sich auf mich, nachdem ich diese berechtigte Frage gestellt hatte. „Nehmen sie den Wasserweg oder die große Straße durch die Silva Arduenna?“

„Sie werden kein Schiff finden“, unterbrach mich Modestus, „das geeignet wäre, eine große Reisegruppe zu befördern. Sie wird sicherlich in Begleitung mehrerer Diener und Krieger unterwegs sein. Es war ein trockenes Frühjahr und die Sommerhitze setzte schon vor Wochen ein. Die Mosel führt zu wenig Wasser und kann an vielen Stellen zu Fuß durchquert werden. Ein geeignetes Boot, das sie den Rhein hinab in die Colonia bringt, werden sie frühestens in Confluentes finden.

Selbst ich musste den beschwerlichen Weg über die Uferstraßenehmen, da die Straße durch die Silva Arduenna zwischen Beda und Icorigium unpassierbar ist. Die Winterstürme und das danach einsetzende Tauwetter haben ganze Teilstücke weggeschwemmt oder unter Erdrutschen begraben.

Wenn überhaupt etwas geschieht“, warf der Bischof dem König einen vorwurfsvollen Blick zu, „wird es Wochen dauern, bis sie wieder zu benutzen ist. Außerdem sollen dort immer noch versprengte Söldnertruppen des Arbogast ihr Unwesen treiben.“

„Reitet nach Confluentes“, ignorierte Sigibert den stummen Vorwurf des Bischofs. „Verliert dabei den Fluss nicht aus den Augen und erkundigt euch in jedem Hafen nach der Burgundin. Dann reitet die Mosel hinauf, bis ihr die Gesuchten gefunden habt. Und wagt es nicht, mir ohne das Mädchen unter die Augen zu treten.“