Sextus Valerius - Michael Kuhn - E-Book
SONDERANGEBOT

Sextus Valerius E-Book

Michael Kuhn

4,6
18,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

9 n. Chr. Varus ist tot, seine Legionen sind vernichtet. Nur Wenige entgehen dem Tod auf dem Schlachtfeld. Einer von ihnen ist der junge Optio Sextus Valerius. Es gelingt ihm, auf die andere Rheinseite zurückzukehren, um einen Neuanfang zu wagen. Doch die Vergangenheit lässt ihn nicht los: Er verstrickt sich in die Machenschaften seines Freundes Lucius Poblicius, der als Kriegsgewinnler und Waffenschieber von der Niederlage profitiert. Selbst findet er sich inmitten der Parteigänger des von den Truppen geliebten Feldherrn Germanicus wieder, der das verlorene Prestige und die rechtrheinischen Gebiete zurückgewinnen will. Tiberius, der Nachfolger des Augustus, will das aus politischer Selbstbehauptung unter allen Umständen verhindern … Eine packende Story um Freundschaft, Pflichterfüllung und die großen politischen Fragen zu Beginn unserer Zeitrechnung. Der Romanhandlung ist der Reiseführer-Anhang "Spurensuche" angegliedert, der die Leser an die Truppenstandorte und Schauplätze im "wilden" Nordwesten des Imperiums diesseits und jenseits des Rheins führt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 586

Bewertungen
4,6 (18 Bewertungen)
11
7
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ammianus-Verlag

Der Autor

Michael Kuhn, Jahrgang 1955, studierte in Aachen Geschichte und Politische Wissenschaften. Im Anschluss war er in unterschiedliche historische Projekten involviert, arbeitete in der Archäologie und organisierte im eigenen Unternehmen geschichtliche Events.

Das Anliegen, bei seinen Mitmenschen Interesse und Verständnis für die faszinierende Welt der Geschichte zu wecken, durchzieht seine bisherige Vita wie ein roter Faden.

2008 gründete er den Ammianus-Verlag und veröffentlichte seine spätrömische Trilogie um »Marcus – Soldat Roms«. 2010 folgte dann die Trilogie »Marcellus«, die im Frühmittelalter angesiedelt ist. Mit dem Zweiteiler »Sextus Valerius« kehrt Kuhn in die Antike zurück.

Auch diesem Roman ist eine umfangreiche Spurensuche angegliedert, die die Leser an die Truppenstandorte und Schauplätze im »wilden« Nordwesten des Imperiums diesseits und jenseits des Rheins führt.

www.ammianus.eu

Michael Kuhn

Sextus Valerius

Varusgold

HistorischerRoman

Impressum

Erste Auflage November 2015

© 2015 Ammianus GbR Aachen

Alle Rechte vorbehalten. Der Druck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und Verbreitung des Werks in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf digitalem oder sonstigem Wege sowie die Verbreitung und Nutzung im Internet dürfen nur mit ausdrücklicher und schriftlicher Genehmigung des Verlags erfolgen. Jede unerlaubte Verwertung ist unzulässig und strafbar.

Umschlaggestaltung: Thomas Kuhn, unter Verwendung eines Fotos der Legio XXI Rapax Lektorat: Martin Wagner Korrektorat: Philipp Mattes Karten: Hilâl Hansen-AmpahFotos im Innenteil: Michael Kuhn und Peter Bongartz Satz: Michael Mingers Druck: tz-verlag

Printausgabe-ISBN: 978-3-945025-07-9

Widmung

In Erinnerung an Dr. Imke Ristow

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich allen danken, die zum Gelingen des Buches beigetragen haben.

Dr. Cliff A. Jost, Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Landesarchäologie, Außenstelle Koblenz,

Dr. Gerd Rupprecht, Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Landesarchäologie, Mainz,

Dr. Mario Becker, Usingen,

Dr. Tobias Schubert, Köln,

Dr. Mark Schrader, Stadtmuseum Bergkamen,

Dr. Jörg Fündling, Historisches Institut RWTH Aachen,

Dr. Rudolf Aßkamp, LWL Römermuseum Haltern,

Lukas Czerwinski MA, Legio Rapax,

Judith Vogt, Jenny Riemek, Juliana Polsterer, Andreas Schulte und Rainer Schulz haben als Testleser wertvolle Tipps und Anregungen beigesteuert.

Thomas Kuhn gab dem Cover seine künstlerische Gestalt.

Hilâl Hansen-Ampah erstellte die Karten.

Peter Bongartz erstellte und bearbeitete das Fotomaterial.

Sollte ich jemanden an dieser Stelle nicht bedacht haben, so bitte ich dies zu entschuldigen.

Prolog

»Türe zu!«, rief der grauhaarige Legionär. Ehe die Neuankömmlinge dem Begehren nachkamen, fegte ein zweiter Windstoß in die Baracke.

»Bei Pluto«, fluchte der untersetzte Tavernenwirt und wischte einige Blätter und Regenspritzer mit der Hand vom Tisch. »Wollt ihr uns umbringen?«

Grölen und empörte Rufe schlugen dem Signifer1und seinen Begleitern, offenbar jungen Rekruten, entgegen.

Mit fahrigen Bewegungen stemmte sich der Größte der Jungen mit der Schulter gegen die Brettertür und legte den Riegel vor. Erst dann schlug er die Kapuze der Paenula2zurück, fuhr sich mit dem Schweißtuch durch das feuchte Antlitz und suchte den Blick seines Vorgesetzten. Das aufgeweckte, offene Gesicht mit den stahlblauen Augen und dem dunklen Haar der Südländer war von der Anstrengung des Marsches gezeichnet. Er mochte vielleicht siebzehn Jahre zählen, das Mindestalter für den Eintritt in die Legion.

»Gut gemacht, Sextus.« Der Signifer nickte ihm kurz zu und schaute sich nach einem freien Tisch um.

Sextus rieb sich die Schulter, die leicht schmerzte.

»Warum hast du nicht gewartet?«, sprach ihn einer der Rekruten an. »Ich hätte dir geholfen.«

»Nicht nötig, Lucius. Die Tür hat nur geklemmt. Es war der Wind.«

»Trotzdem«, widersprach Lucius. »Wir sind Freunde. Wir haben uns geschworen, immer zusammenzuhalten. Die Legion ist kein Ort für Einzelkämpfer.«

Ein dumpfer Aufprall, begleitet von einem leisen Klirren, lenkte die Blicke des Signifers und seiner Rekruten an den Tisch des Grauhaarigen. »Zwei, drei, vier, sechs«, murmelte der Legionär. »Nichts.« Er schob den Würfelbecher seinem Sitznachbarn zu. »Du bist dran.« Mit einer raschen Bewegung nahm der Mann das lederne Gefäß, schüttelte es kurz und schlug es auf die rohen Bohlen der Tischplatte.

»Eins«, lachte der Graue. »Da ist eine Eins bei. Geld auf den Tisch.«

Der Würfler schüttelte ungläubig den Kopf. Dann fingerte er eine Münze aus seinem Beutel und legte sie auf den stattlichen Haufen in der Mitte des Tisches. »Fortuna ist nicht mit mir.«

»Was wollt ihr?«, fuhr der Tavernenwirt die Neuankömmlinge an. »Nehmt den Tisch dahinten oder macht, dass ihr wieder rauskommt. Er wies auf einen freien Tisch im Hintergrund der Schänke. »Lucilla! Bring ihnen Cervisia3oder was sie sonst wollen.«

»Ja, Vater.« Ein dunkelhaariges, schlankes Mädchen, vielleicht siebzehn Jahre alt, erhob sich vom Tisch der Spieler und geleitete die Männer durch den Raum an ihre Plätze. Sie schenkte den neuen Gästen einen Blick aus ihren leicht schräggestellten braunen Augen, lächelte und streckte den Rücken, was ihre festen Brüste unter der wollenen Tunika zur Geltung brachte. Ein schönes Mädchen, das gelernt hatte, ihre Reize einzusetzen. Während der Signifer ihrem Augenaufschlag anerkennend begegnete, schauten die Rekruten verlegen zur Seite.

»Wein für alle«, verlangte der Offizier und streckte seine Beine unter dem Tisch, nachdem sie ihre Mäntel ausgezogen und Platz genommen hatten.

Mit seiner Körpergröße von sechs Fuß war der Signifer Kaeso eine beeindruckende Erscheinung, dazu breitschultrig und das wettergegerbte Gesicht mit dem energischen Kinn von Narben gezeichnet. So wie es sich für einen Feldzeichenträger und Geldverwalter einer Centurie gehörte – weshalb ihn der Centurio auch ausgewählt hatte, das schwierige Geschäft der Anwerbung zu übernehmen.

Mehr als sieben Stunden waren seit ihrem Aufbruch im Straßenposten Bodobriga4vergangen, viel zu lange für die wenigen Meilen bis nach Confluentes5. Ein kleines, mit einer Holz-Erde-Mauer und einem Spitzgraben gesichertes Kastell am Zusammenfluss von Rhenus6und Mosella7. Die wenigen Hütten des dazugehörigen Vicus8gehörten Fischern und Handwerkern. Dazu kamen noch ein Bordell und die heruntergekommene Taverne, in der die Legionäre und Auxiliare9ihren kargen Sold vertranken. Insgesamt hatten sie vier Tage von Mogontiacum10bis hierhin gebraucht, es hatte die meiste Zeit wie aus Eimern geschüttet, und sie würden noch einmal so lange unterwegs sein, bis sie das Ziel ihres Marsches, das Legionslager Vetera11, erreichten. Aber nur dann, wenn es nicht weiter von morgens bis abends regnen würde. Und es war, so früh im Oktober, viel zu kalt für die Jahreszeit. Die Caligae12schmerzten Kaeso an den Füßen. Obwohl er das Leder vor dem Aufbruch ausgiebig eingefettet hatte, würde es durch die Witterung bald brüchig werden. Und er hatte keine Lust, sich schon wieder ein neues Paar zuzulegen. Es dauerte, bis das Schuhwerk eingelaufen war und nicht mehr schmerzte.

»Keinen Wein, Signifer«, antwortete das Mädchen mit Bedauern. »Es gibt nur noch Cervisia. Der Patron hat es frisch angesetzt. Es schäumt noch.«

»Dann eben Cervisia«, murrte der Offizier. »Was gibt es zu essen?«

»Puls13. Mit Speck und frischen Kräutern.« Ein schalkhaftes Lächeln umspielte Lucillas Lippen. Sie wusste, dass die Gäste keine andere Wahl hatten. Es gab im Umkreis von mehreren Meilen keine andere Taverne. Der Offizier und die Rekruten mussten mit dem Vorlieb nehmen, was ihre karge Küche hergab. Soldatenkost gegen den Hunger und Cervisia für angenehme Träume. Sie schlug die Bestellung kurz im Kopf durch. »Das macht zwei Denare14und fünf Asse15für alle.«

»Bei Merkur, dem Gott der Händler und Diebe«, entfuhr es dem Signifer. »Habe ich Schweinebraten in Honig, Liquamen16und Pinienkernen bestellt?«

»Das Leben ist teuer, Dominus«, entgegnete Lucilla. »Ihr könnt auch wieder gehen. Bis zur nächsten Taverne sind es fünf Meilen. Auch dort werdet ihr nichts anderes bekommen. Es gibt erst neue Ware, wenn das Wetter sich bessert.«

»Habt ihr denn einen Schlafplatz für mich und meine Rekruten?«

»Im Schuppen. Heu und Decken für zwei Denare. Wenn ihr sofort zahlt, habt ihr die Plätze sicher. Wer weiß, wer heute noch kommt.« Sie hielt dem Offizier die Handfläche der Rechten hin.

Der Signifer Kaeso verzog das breite Gesicht zu einer Grimasse, griff aber in seinen Beutel und zählte dem Mädchen die Münzen in die Hand. Dann besah er sich den Rest seiner Barschaft. »Rekruten«, begann er gedehnt. »Das Geld reicht nicht bis nach Vetera. Ich brauche von jedem noch einmal fünf Denare.«

»Dann bleiben mir nur noch zehn Denare von meinem Handgeld«, empörte sich der Rekrut Sextus, der die Türe zugestemmt hatte.

»Wie du willst, Sextus«, entgegnete der Signifer. »Bezahle deinen Teil selber. Es wird dann aber teurer.«

Der Rekrut Sextus schaute Lucilla an, die zustimmend nickte.

»Da«. Er knallte seine fünf Denare auf den Tisch und wandte sich ab. Der Junge war empört. Für fünf Denare, den halben Monatslohn eines Handwerkers, bekam man ein Paar genagelte Caligae, eine wollene Tunica und einen warmen Mantel.

Als Kaeso den Obulus seiner Rekruten im Beutel verstaut hatte, rief er das Mädchen wieder zu sich. »Lucilla, eine Runde Cervisia für meine Freunde.«

Bis auf Sextus stimmten die Rekruten begeistert zu. Er nahm den Becher, den Lucilla vor ihm abgestellt hatte und nahm einen Schluck.

In was für eine Gesellschaft war er da geraten? Er hatte sich alles ganz anders vorgestellt. Mit einem Empfehlungsschreiben seines Vaters versehen, hatte er den weiten Weg von seinem Dorf in Etrurien17bis nach Mediolanum18zu Fuß oder auf einem Ochsenkarren zurückgelegt. Dort war er auf Lucius getroffen, der wie er zur Legion wollte. Gemeinsam setzten sie ihren Weg ins ferne Germanien fort, wo neue Rekruten gesucht wurden.

Er hatte den älteren, untersetzten Jungen mit den ausdrucksstarken Augen und der vorspringenden Nase vom ersten Augenblick an gemocht. Das aschblonde Haar, auf dem ein rötlicher Schimmer lag, ließ auf eine gallische Herkunft schließen. Vielleicht war sein Vater den Reizen einer cisalpinischen Schönheit erlegen. Lucius stammte aus der Tribus Terentina19in der Campania und hatte ebenfalls einen Onkel, der in der Legion gedient hatte. Sextus und Lucius hatten sich schnell angefreundet. Was Sextus an seinem neuen Freund missfiel, war dessen Hang zum Leichtsinn und die Leidenschaft für das Glücksspiel.

Nach einem beschwerlichen Marsch über die Alpen und dann weiter den Rhenus hinab gelangten sie schließlich nach Mogontiacum. Sie meldeten sich im Legionslager, wo sie vom Signifer Kaeso von der XVIII. Legion gemustert wurden. Nach einem kurzen Gespräch und einem flüchtigen Blick auf sein Empfehlungsschreiben hatte er sein Handgeld erhalten. Zwanzig Denare, mit denen er auch seine Reisekosten zu seinem Stationierungsort begleichen musste. Danach waren er und Lucius mit den anderen Neuankömmlingen, Bauernsöhne aus der Gallia Cisalpina20, in aller Eile vereidigt worden. Kaeso hatte einen Teil des Handgeldes direkt einbehalten; ein übliches Vorgehen, was eine sichere Ankunft der Neuen gewährleisten sollte. Mit Befremden hatte Sextus die Annäherung zwischen seinem Freund und dem Signifer aufgenommen. Je länger sie unterwegs waren, desto häufiger hockten die beiden zusammen. Zuweilen hatte Sextus das Gefühl, dass seine Anwesenheit den Freund und den Offizier störte. Er zog sich zurück und legte auch keinen Wert auf die Gesellschaft der Cisalpiner. Ungehobelte Gesellen, die, wer weiß wie, in den Besitz des römischen Bürgerrechts gekommen waren.

Ein Ausruf der Enttäuschung folgte dem Aufprall des Würfelbechers. »Hund«, jubelte der Graue. »Er hat den Hund geworfen. Merkur ist mit mir. Her mit dem Geld.«

»Ich habe genug«, stammelte der Verlierer, erhob sich von seinem Platz und wankte zur Tür.

»Was ist mit euch? Mut für ein Spielchen?« Der Graue wiegte den Würfelbecher in der Hand und schaute herausfordernd zum Tisch der Neuankömmlinge.

Kaeso lachte und gab Lucius einen Klaps auf die Schulter. »Zeig ihm, wem Fortuna gewogen ist.«

»Komm mit«, forderte Lucius seinen Freund Sextus auf und erhob sich.

Wie zufällig suchte er den Augenkontakt mit Lucilla, die ihn mit einer Geste aufforderte, zu folgen. Die anderen Gäste murmelten erwartungsvoll und bildeten einen Kreis um die neue Spielrunde.

»Was spielen wir?«, fragte Lucius.

»Das Venusspiel mit vier Würfeln«, antwortete der Herausforderer. »Bei einer Eins wandert eine Münze in den Topf.« Er wies auf die Mitte des Tisches. »Wer vier unterschiedliche Werte ohne die Eins und die Sechs wirft, bekommt das Geld. Desgleichen für den Venuswurf, das sind drei Sechsen.«

»Und was ist der Hund?«, fragte Sextus vorsichtig.

»Drei Einser, Junge. Wer den Hund würfelt scheidet aus.«

»Worum spielen wir?« Lucius holte seinen Beutel hervor. »As oder Doppelas21?«

»Sesterz22, wenn du dich traust.« Der Graue grinste und gewährte dabei einen Ausblick auf seine Zahnlücken.

»Gut«, bestätigte Lucius, während Sextus abwehrend die Hände hob.

»Lass dich nicht unterkriegen.« Lucilla war mit einem vollen Becher Cervisia hinter Sextus getreten. Dann beugte sie sich zu ihm herunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Rekrut wurde rot und es durchlief ihn heiß, als er die Brüste des Mädchens durch seine Tunika spürte.

»Ich bin dabei«, bestätigte er leise. »Aber nur ein Spiel.«

Der Graue streifte ihn mit einem verächtlichen Blick. »Dann lass es, bevor du dir in die Tunika machst.« Die Umstehenden lachten und Lucilla trat einen Schritt zurück.

»Wir werden sehen.« Sextus eilte sich, sein angeschlagenes Ansehen wieder herzustellen.

»Na also«, brummte Lucius, und Sextus spürte Lucillas Hand auf der Schulter.

Lucius begann.

»Sechs, drei, zwei, zwei«, zählte der Graue die Augen. »Nichts«.

Sextus und Lucius hatten jeweils eine Eins in ihrem Wurf und legten einen Sesterz in die Mitte. Sie spielten eine ganze Weile, und der Haufen der Münzen wuchs. Schließlich war es Lucius, dem der Gewinnwurf gelang.

»Zwei, Drei, Vier, Fünf«, rief Kaeso. »Gut gemacht. Das sind meine Rekruten.«

»Bei den Schwänzen des Höllenhundes«, fluchte der Graue, während Lucius seinem Freund zuzwinkerte.

Die beiden nächsten Spielrunden gingen ohne einen nennenswerten Gewinn an Lucius und den Grauen.

»Du bist ein würdiger Gegner«, lockte Lucius den Grauen. »Wollen wir den Einsatz nicht erhöhen? Denar?«

Sextus lehnte sofort entrüstet ab, was Lucilla mit einem Ausruf der Enttäuschung quittierte. Sie verließ ihren Platz und drängelte sich hinter Lucius. Alle Augen wandten sich nun dem Grauen zu, der nach einem Blick in die Runde zustimmte. Was nun folgte, sollte noch Wochen später für Gesprächsstoff in der Taverne sorgen.

Als hätten alle bösen Mächte ihre Hände im Spiel, gelang es keinem, den erlösenden Wurf zu machen. Der Haufen der Denare wuchs immer mehr an, bis den Zuschauern der Atem stockte. In der Mitte des Tisches lag der halbe Jahressold eines Gregarius23. Unbemerkt von den Zuschauern, deren Augen gebannt an den Münzen und den Würfeln hingen, hatten Lucius und der Signifer begonnen, flüchtige Blicke auszutauschen. Nur Sextus war die Zwiesprache der Gefährten nicht entgangen.

Wieder fluchte der Graue und warf einen Denar in die Mitte. Dann war die Reihe an Lucius, der ebenfalls zum wiederholten Mal hintereinander eine Eins in seinem Wurf hatte. Er griff in seinen Beutel und schaute verzweifelt hoch.

»Sextus«, wandte er sich hilfesuchend an den Freund. »Du musst mir aushelfen. Das war mein letzter Denar.«

»Dein Pech«, triumphierte der Graue. »Dann gehört alles mir.« Seine Hände zuckten nach vorn, bereit, das Silber zu sich herüberzuziehen.

»Sextus!«, rief Lucius vorwurfsvoll. »Lass mich nicht im Stich!«

»Hilf deinem Freund!« Lucilla stemmte beide Hände in die Hüften und fixierte den jungen Rekruten aus zusammengekniffenen Augen.

Widerwillig holte Sextus seinen Beutel hervor und warf Lucius einen Denar zu.

»Bei Venus«, rief eine spöttische Stimme. »Jetzt hat der Junge seinen ganzen Gewinn verloren. Lucilla muss ihn gleich trösten.« Ein dröhnendes Gelächter erschütterte die Taverne.

Dann hielten alle den Atem an, als der Graue seinen nächsten Wurf machte.

»Zwei Drei, Vier und Eins«, schrie Lucilla mit heller Stimme.

Lucius wischte sich den Schweiß von der Stirn, während sein Gegner ein besorgtes Gesicht machte. Sein Vorrat an Denaren schien ebenfalls zur Neige zu gehen. Dann fing sich der Graue wieder, und er schob Lucius den Becher zu. In diesem Augenblick machte Lucius eine ungeschickte Bewegung und wischte den Becher mitsamt den Würfeln vom Tisch.

»Bleib sitzen. Ich mach das.« Der Signifer schob die Umstehenden zur Seite und ließ sich auf die Knie herab. Dann klaubte er umständlich die Würfel zusammen, erhob sich und reichte seinem Rekruten das Spielgerät. Der lächelte und wog den Becher lange in der Rechten. Das Publikum hielt den Atem an, als er den Arm hob und den Becher in weitem Schwung auf den Tisch knallte.

»Venus«, kreischte Lucilla. »Der Venuswurf.« Sie fiel dem Gewinner um den Hals und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Alles drängte an den Tisch, um die drei Sechser zu sehen.

»Betrug«, schrie der Graue, sprang auf und riss den Pugio24aus der Scheide. Sofort fielen ihm die Umstehenden in die Arme und entwanden ihm den scharfkantigen Dolch.

Sextus sah aus den Augenwinkeln, wie Kaeso den Becher und die Würfel an sich nahm und wieder auf den Tisch stellte.

»Überprüfe die Würfel. Da!« Er schob dem Grauen, der sich immer noch nicht beruhigt hatte, den Becher zu. Der langte hinein und wog die Würfel lange in den Händen. Dann machte er einige Probewürfe, von denen nur einer eine Sechs hergab. Schließlich schleuderte er Becher und Würfel durch die Taverne, riss die Tür auf und stürzte ins Freie.

»Cervisia für alle«, rief Lucius im Freudentaumel. Dann drückte er Sextus zwei Denare in die Hand. »Für deine Hilfe, Freund.«

»Sag mir«, raunte Sextus ihm zu, »ist das mit rechten Dingen zugegangen? Was hat Kaeso mit den Würfeln gemacht?«

Lucius lachte schallend. Dann legte er ihm den Arm um die Schulter und zog seinen Kopf zu sich heran. »Man muss sein Glück schon mal erzwingen, Sextus.«

Lange bevor der Signifer seine Rekruten aufforderte, sich in den Schuppen zur Nachtruhe zu begeben, hatten Lucius und Lucilla die Taverne verlassen. Als die beiden, eng umschlungen an Sextus‘ Platz vorbeikamen, warf das Mädchen ihm einen bedauernden Blick zu und zuckte leicht mit den Schultern. Dann hatten die beiden auch schon den Raum verlassen.

Zurück blieb ein nachdenklicher Rekrut, der den schalen Geschmack der Enttäuschung mit einem Schluck Cervisia hinunterspülte.

1 Feldzeichenträger in der römischen Legion

2 römischer Kapuzenmantel

3 Bier

4 Boppard

5 Koblenz

6 Rhein

7 Mosel

8 Dorf

9 Angehöriger der römischen Hilfstruppen

10 Mainz

11 Xanten

12 Sandalen

13 römischer Eintopf

14 Silbermünze

15 kleinste Bronzemünze

16 Fischsauce

17 die Toskana

18 Mailand

19 Verwaltungsbezirk in Kampanien (Süditalien)

20Norditalien

21kleinwertige Münzen

22Bronzemünze

23niedrigster Dienstgrad

24Dolch

Clades Variana25

Mein Name ist Sextus Valerius, geboren im 743. Jahr nach der Gründung der Stadt Rom oder in dem Jahr, als Africanus Fabius Maximus und Jullus Antonius Konsuln waren.

Mein Vaterhaus steht in einem kleinen Dorf in der Nähe der Stadt Arretinum.26Dort betreibt meine Familie noch heute eine gut gehende Töpferei, deren rotglänzende Produkte bis in die nördlichen Provinzen vertrieben werden. Noch heute kommt es zuweilen vor, dass ein Teller meinen Weg kreuzt, in dessen Boden das Herstellungszeichen VAL eingeprägt ist. Wenn ich einen solchen Gruß aus der Heimat in den Händen halte, wird es mir schwer ums Herz, und ich denke an die glücklichen Tage meiner Kindheit.

Es ging uns so gut, dass mein Vater zwei feste Bedienstete und je nach Auftragslage mehrere Tagelöhner beschäftigte. Dazu kam ein germanischer Sklave, den er auf dem Markt in Ariminum ersteigert hatte. Oft saß ich an den Abenden mit dem alten Mann vor dessen Behausung und lauschte seinen Geschichten. Er erzählte von unendlich tiefen Wäldern und bodenlosen Mooren, in denen die absonderlichsten Wesen hausten. Mich gruselte vor Donar, dem Blitzeschleuderer, dem listenreichen Loki und Hel, der Herrin des Todes. Wie der Alte begann ich den Tag zu fürchten, an dem alles in einem gewaltigen Schlachten enden würde. Weil der Alte die Klänge seiner Heimat vermisste, begann er bald, mir die Worte seiner Sprache beizubringen. Ein Kind lernt schnell und so dauerte es nicht lange, bis ich das Cheruskische leidlich beherrschte. Ein Umstand, der mir später noch viel nutzen sollte.

Den Gebrauch der lateinischen Schrift und die ersten Einblicke in Kunst und Wissenschaften verdanke ich dem Hauslehrer, den mein Vater an vier Vormittagen in der Woche kommen ließ. Gemeinsam mit den Jungen und Mädchen der Nachbarschaft wetteiferten wir darin, eine Unmenge von Schreibtäfelchen mit unseren Schreibgriffeln zu ruinieren. Am liebsten lauschte ich dem Magister27, wenn er die unerhörten Taten und ruchlosen Verbrechen der Altvorderen rezitierte. Ich träumte des Nachts, wie Hannibals Elefanten unsere Legionäre zertrampelten, die Gallier Rom niederbrannten und Cäsar die Völker des Nordens bezwang.

Selbst unsere Spiele kreisten um die Ruhmestaten der Helden. Wir kämpften mit Octavian gegen Marcus Antonius und sperrten die Schwester eines Spielkameraden als Kleopatra in einen alten Töpferofen, dessen Öffnung wir bis auf einen kleinen Spalt verschlossen. Weder das Mädchen noch der erboste Vater wussten, dass es nur eine harmlose Äskulapnatter war, die wir zum Schluss hineinwarfen. Es setzte eine gewaltige Tracht Prügel. Danach wandten wir uns dem göttlichen Drusus zu und stellten seine Züge gegen die wilden Germanen nach. Er wurde zum Heros meiner Jugend und ich träumte davon, es ihm eines Tages gleichzutun. Und das geschah früher, als ich zu träumen gewagt hätte.

Eines Tages rief mein Vater mich zu sich und eröffnete mir, dass wir über meine Zukunft sprechen müssten. Ich ahnte, was er von mir wollte und mir war nicht wohl bei dem Gedanken, mein Auskommen als Töpfer im väterlichen Betrieb verbringen zu müssen. Von Kind an hatte ich ihm und meinem älteren Bruder helfen müssen, hatte aber keinen Spaß an der harten Arbeit gehabt.

Aber es kam anders. Er eröffnete mir, dass das Unternehmen für meinen Bruder und mich zu wenig abwerfen würde und dass es besser wäre, wenn ich mir einen anderen Lebensunterhalt suchte. Er überreichte mir einen auf Pergament geschriebenen Brief meines Oheims, der bei der Legion gedient hatte. Er hatte es dort bis zum Optio gebracht und seinen Dienst bei der XIV. Legion Gemina in Mogontiacum beendet. Mit der Abfindung hatte er in Borbetomagus28einen gut gehenden Steinmetzbetrieb gegründet. Ich las das Schreiben und begriff, dass es sich um ein Empfehlungsschreiben an den ehemaligen Centurio seiner alten Einheit handelte. Mein Vater hatte ihn gebeten, ihm diesen Gefallen zu tun.

Ich war begeistert und trotz der Widerstände meiner Mutter bereit, das große Abenteuer zu wagen.

Zu Fuß oder für ein paar Quadrans29auf der Ladefläche eines Karrens begann ich den Weg in das große Abenteuer. In Mediolanum traf ich in einer Mansio30einen Jungen, der das gleiche Ziel hatte. Er hieß Lucius Poblicius und war an den Hängen des Vesuvius aufgewachsen. Gemeinsam zogen wir los, die verschneiten Alpen zu überwinden. Mehr als einmal mussten wir uns gegen räuberische Weggenossen und hungrige Wölfe verteidigen. Dass es sich dabei wohl eher um verwilderte Hunde und lahme Invaliden handelte, schmälerte unseren Triumph in keinster Weise.

Was als Schicksalsgemeinschaft begann, entwickelte sich in den nächsten Wochen zu einer tiefen Freundschaft. Wir teilten uns Geld, Essen, Unterkunft und auch die Mädchen, denen wir unterwegs in den Tavernen und Herbergen begegneten. Am Abend saßen wir lange bei einem Krug mit saurem Wein zusammen, solange es unsere Mittel zuließen. Als unser Geld verbraucht war, machten wir für einige Tage auf einem Gehöft Halt und halfen dem Patronus bei der Arbeit, was uns einige Tage weiterbrachte. Am liebsten waren mir die anregenden Gespräche, die wir an den Abenden führten. Wir träumten von Heldentaten und großen Reichtümern, die wir gemeinsam erringen wollten. Wir beschlossen sogar, nach unserer Dienstzeit zusammenzubleiben und ein florierendes Geschäft zu eröffnen. Lucius schwelgte von den Möglichkeiten, die sich einem tatkräftigen Mann in den nördlichen Provinzen bieten würden.

Nach vielen Wochen erreichten wir schließlich den Rhenus und nahmen die Uferstraße bis nach Mogontiacum, dem vermeintlichen Ziel unserer Reise. Eigentlich sollte mir das Empfehlungsschreiben meines Oheims einen Platz in der XIV. Legion Gemina sichern, aber es kam anders. Die in Niedergermanien stationierten Truppen suchten dringend Verstärkungen und ich wurde an den Signifer Kaeso verwiesen, der im Auftrag der XVIII. Legion neue Mannschaften anwarb. Nach einem kurzen Blick in mein Schreiben und einer knappen Musterung meiner körperlichen Voraussetzungen, wurde ich vereidigt und erhielt das mir zustehende Handgeld von zwanzig Denaren. Ich platzte regelrecht vor Stolz, weil dieser schier unermessliche Reichtum das erste selbst verdiente Geld meines neuen Lebens war. Man hätte damit eine Kuh und zwei Schweine oder einen kräftigen Sklaven kaufen können. Dass bei der Legion der Wert des Geldes anders bemessen wurde, sollte ich bald erfahren.

Am nächsten Tag brachen wir noch in Zivil zu dem beschwerlichen Marsch in den Norden nach Vetera auf. Kaeso stellte es als Vorteil dar, dass wir erst dort eingekleidet werden sollten. Wir könnten so unsere alten Sachen auftragen und würden den Dienst mit neuen Tuniken, Mänteln und Caligae beginnen.

Von meinem Handgeld blieben mir leider nur wenige Denare. Das meiste musste ich dem Signifer aushändigen, der damit meinen Anteil an den Reisekosten beglich. Eine lange geübte Praxis der Anwerber, die sich auf diese Weise einen ansehnlichen Nebenverdienst zuschanzten.

Lucius hatte dagegen mehr Glück. Er hatte zum einen eine Vorliebe für das Glücksspiel und zum anderen hatte er es von Anfang an verstanden, sich der Kumpanei des Signifers Kaeso zu versichern. Diese Kombination führte zu einem erheblichen Zuwachs seiner Barschaft. Als wir Vetera erreichten, hatte er schon den Jahresverdienst eines Immunis31erwirtschaftet. Obwohl mich seine berechnende Art zuweilen verstörte, neidete ich ihm sein Glück nicht. Nur sein Erfolg bei der schönen Lucilla hatte meinem Selbstbewusstsein einen Schlag versetzt.

Wir erhielten direkt nach der Ankunft unsere Grundausrüstung und wurden der zweiten Centurie der fünften Kohorte zugeteilt. Ich zerbarst förmlich vor Stolz, als ich meinen ersten Gladius32in der Hand hielt. Leider hatte das Auswirkungen auf den ersten Abschlag, den ich auf meinen Sold erhielt. Ich bekam sehr viel weniger, als ich mir ausgerechnet hatte, weil ich die Ausrüstung in Raten abstottern musste. Meine erste Erfahrung, dass einem, außer dem Handgeld, nichts geschenkt wurde.

Das betraf auch den Dienst, den ich mir wesentlich heroischer und weniger strapaziös vorgestellt hatte. Als »Germanenfutter«, beschrieb beim Latrinendienst ein altgedienter Legionär unsere vorläufige Verwendung. »Beim Marsch vorne und im Gefecht in der ersten Reihe. Sieh zu, dass du voran kommst, sonst wirst du hier nicht alt.«

Zum Glück für Lucius und mich wies uns der Centurio, ein Freund Kaesos, dem gleichen Contubernium33zu. Somit blieb uns die weitere Gesellschaft der Cisalpiner erspart. Unsere sechs Stubengenossen waren eine weitaus angenehmere Gesellschaft, zumal Lucius von Anfang an darauf verzichtete, sie beim Würfelspiel um ihren hart verdienten Sold zu bringen.

Die ersten Wochen der Grundausbildung waren eine einzige Tortur. Unser Optio34, ein bärbeißiger Lehrmeister schlug mir gleich am ersten Tag mit dem hölzernen Übungsschwert beide Unterarme und die Finger blutig. Bei den Übungswürfen mit dem klobigen Pilum35zerrte ich mir die Schulter, und ein Stoß mit der eisenbeschlagenen Kante eines Scutums36traf mich so unglücklich am Kopf, dass ich einen Tag im Lazarett verbringen musste. Zu allem Überfluss mussten wir gerade dann, wenn wir am wenigsten damit rechneten, zu einem Übungsmarsch in voller Montur aufbrechen. Wundgescheuert von Kettenpanzer und Caligae schleppten wir uns die letzten Meilen zum Lager zurück. Am schlimmsten waren die mehrtägigen Märsche. Hatten wir die Plackerei des Tages endlich überstanden, mussten wir am Abend noch einen Graben ausheben und den entstandenen Wall mit ausgestochenen Grassoden und hölzernen Übungspila befestigen.

Meine Freundschaft zu Lucius half mir, die ersten Wochen relativ unbeschadet zu überstehen. Wir unterstützten und halfen uns bei jeder Gelegenheit. Hatte er einen wundgescheuerten Rücken, übernahm ich einen Teil seines Gepäcks und umgekehrt. Es sprach sich unter den anderen Rekruten bald herum, dass man besser mit keinem von uns Streit suchte. Der Erste, der das versuchte, landete beim Latrinendienst in der Kloake. Wir passten einen günstigen Augenblick ab, stellten ihm ein Bein und warfen ihn in die Abortgrube. Von diesem Zeitpunkt an ließ man uns in Ruhe.

Nach zwei Monaten hatte die Schinderei endlich ein Ende und wir konnten zum geregelten Lagerdienst übergehen. Wir waren jetzt Gregarii, gemeine Soldaten, und hatten damit die erste Stufe der Legionshierarchie erklommen.

Nicht einmal ein Jahr sollte vergehen, bis ich es zum »Immunis« brachte. Ich hatte dies weder meinem Empfehlungsschreiben noch meinem Geschick im Umgang mit den Waffen zu verdanken. Einzig und alleine die Tatsache, dass ich lesen und schreiben konnte und Kaeso auf Veranlassung von Lucius ein gutes Wort für mich einlegte, ließ mich mit meinem Freund gleichziehen. Lucius war bereits einige Monate vorher dem Signifer als Unterstützung zugeteilt worden. Ich erhielt einen Posten als Librarius37in der Schreibstube und tauschte den staubigen Exerzierplatz gegen die weiß getünchte Principia38.

Ein weiteres Jahr später stiegen Lucius und ich in den Rang des Optio auf, weil die Götter bestimmt hatten, zwei Planstellen freizumachen. Unseren fechtwütigen Ausbilder brachte ein entzündeter Zahn zu Fall. Der Mann hatte sich geweigert, wegen dieser scheinbaren Lappalie den Medicus zu konsultieren. Lucius verdankte seine Beförderung dem Missgeschick des Optios der 1. Centurie. Ein völlig überflüssiger Streit mit einem Auxiliaren endete damit, dass der Mann sein Leben mit einem Pugio im Bauch aushauchte. Neider behaupteten, dass Lucius bei der Vergabe der Posten entscheidend nachgeholfen hatte. Die betreffenden Centurionen sollen ihm wegen ihrer Spielschulden einen Gefallen schuldig gewesen sein.

Als Optiones tauschten wir die Enge unserer Unterkunft mit einem komfortablen Raum im Wohnhaus unseres Centurios. Unsere ruhigen Tage waren aber gezählt. Uns oblagen jetzt auch die Ausbildung der Rekruten und die Führung von Erkundungsmärschen. Bei einem dieser Unternehmen erlebte ich das erste Gefecht meines Lebens.

Wir folgten einem Trupp Plünderer auf die andere Seite des Rhenus und gerieten in einen Hinterhalt. Mit Mühe behaupteten wir uns gegen die Übermacht und kehrten mit zwei Verwundeten nach Vetera zurück. Ich war überrascht, wie kühl und abgeklärt ich auf die Situation reagiert hatte. Der Drill der vergangenen Jahre hatte sich ausgezahlt.

Wenige Wochen nach diesem Vorfall rückten wir mit Varus, dem Statthalter und Befehlshaber der niedergermanischen Legionen, ins Innere Germaniens vor. Grund dieses Vorstoßes waren Schwierigkeiten bei der Schaffung römischer Strukturen in den von Tiberius unterworfenen Gebieten. Es gab sogar Gerüchte, dass illoyale Stammesführer einen Aufstand vorbereiten würden.

Wir durchzogen die Wildnis vom Rhenus bis zur Visurgis39ohne auf nennenswerte Widerstände zu stoßen. Als der Sommer zu Ende ging, gab Varus den Befehl, in die Winterquartiere zurückzukehren. Bis heute kann ich nicht verstehen, dass er dabei nicht den direkten Weg wählte. Es waren nur unbestätigte Gerüchte einer bevorstehenden Revolte, die ihn zu einer Änderung der Marschroute bewogen hatten.

Seit vier Tagen regnete und stürmte es ohne Unterlass. Und seit drei Tagen lagen wir im Gefecht.

Ich kann mir bis heute keinen Reim darauf machen, warum ein missgünstiger Gott den Kopf unseres Feldherrn so vernebelt hatte. Allen Regeln der Kriegskunst zum Trotz hatte er uns in den Hinterhalt dieser erbärmlichen Barbaren geführt.

»Bei den Mächten der Unterwelt. Wir sind verloren!«

Ich schaute in die Richtung, in die die zittrige Hand des Legionärs wies. Wenige hundert Schritte entfernt zogen flatternde Raben ihre Kreise. Das Krächzen war bis zu uns zu hören.

»Das gilt nicht uns«, antwortete Lucius sarkastisch. »Das war die fünfte Kohorte. Die haben es hinter sich.«

»Zusammenschließen«, schrie ich die Männer an. Ich riss einen Legionär hoch, der mit seinem Pugio im Dreck wühlte. »Lass das. Du brauchst dein Geld noch.«

Der Mann schüttelte mich mit einer Bewegung seines Oberkörpers ab und drückte eine Handvoll Münzen in das Loch. »Das kriegen sie nicht, Optio.« Er richtete sich auf, scharrte mit den Füssen Erde über das Loch und nahm seinen Platz in unserer zusammengeschmolzenen Stellung wieder ein.

Nur einige Dutzend Legionäre unseres Manipels40hatten den Vormittag überlebt. Eine Handvoll von der ersten und vielleicht dreißig von der zweiten Centurie. Fünfunddreißig Mann von einhundertsechzig.

Die meisten hatten am Vormittag bei diesem unsinnigen Sturm auf die Hangbefestigung ihr Leben gelassen. Drei Mal hatte uns der Primus Pilus41Marcus Caelius von der ersten Kohorte gegen die Verschanzungen des Feindes anrennen lassen. Wer es unter dem Beschuss von Pfeilen und Speeren bis zum Hang geschafft hatte, fand in dem matschigen Untergrund keinen festen Stand. Der Feind brauchte mit seinen primitiven Framen42nur nach unten zu stechen um in dem Gewirr der keuchenden, vom Gewicht der Rüstung niedergedrückten Körper ein Opfer zu finden. Dann hatten sie ihre Deckung verlassen und waren mit Geheul unter uns gesprungen. Drei oder vier von ihnen kamen auf einen von uns. Sie rissen die Männer zu Boden und machten sie mit Knüppeln und Messern nieder. Das war nicht der Kampf, für den wir ausgebildet waren. Die Pila hatten wir beim Ansturm ohne Wirkung verbraucht. Und unsere Ketten- und Schienenpanzer hinderten mehr, als dass sie nutzten. Die Schilde hatten die meisten an der Hangsohle weggeworfen. Wozu hätten sie auch noch nützlich sein sollen. Vollgesogen mit Wasser hinderten sie beim Hinaufklettern. Selbst der tödliche Gladius verfehlte seine Wirkung. Zu kurz gegen die primitiven Speere, angespitzte Stöcke, die im Feuer gehärtet waren. Und zu unhandlich im Ringen Mann gegen Mann. Hier half nur der Pugio, um sich etwas Luft zu verschaffen.

Ein letztes Mal hatte Mars uns seine Gunst geschenkt. Er gestattete es mir und einigen meiner Männer uns aus der Umklammerung der Feinde zu befreien. Trotzdem hatten wir einen fürchterlichen Blutzoll entrichtet, als wir die Enge zwischen Hang und Moor endlich passiert hatten.

Es war ein Fehler gewesen, unser letztes Lager, das wir auf einer einigermaßen freien Fläche angelegt hatten, zu verlassen. Legaten43, Tribune44und die Centurionen der ersten Ordnung45hatten auf Varus eingeredet, den Feind aus dieser sicheren Stellung zu bekämpfen. Kopfschüttelnd und ohnmächtig vor Wut mussten sie die Weisungen des Statthalters umsetzen, die meisten Wagen und die unhandlichen Pfeil- und Wurfgeschütze zu zerstören. Wie ein verzweifelter Spieler setzte der Befehlshaber der niedergermanischen Legionen alles auf seinen letzten Wurf. Ein törichtes Unterfangen. Als ob man sich in den dichten Wäldern mit den ausgedünnten Verbänden vom Feind hätte lösen und vor ihm davonlaufen können. Mit Mühe hatten wir uns bis zu dieser Lichtung durchgekämpft, in deren Mitte die Leibwachen des Varus aus wenigen umgehackten Bäumen und ausgerissenem Gestrüpp eine kümmerliche Deckung errichtet hatten.

Zweimal hatte meine Gruppe hier den Feind abgewehrt, der sich immer wieder sammelte und an vielen anderen Stellen zugleich zuschlug. Die Centurionen waren längst gefallen, der eine am Vormittag beim Sturm auf den Sperrwall und der zweite beim letzten Angriff. Als ihre Stellvertreter waren Lucius und ich an ihre Stelle gerückt. Eine Ehre, auf die ich gerne verzichtet hätte. Vielleicht zehn Schritte von den ersten Bäumen entfernt hatten wir die Männer antreten lassen, um die nächste Angriffswelle zu erwarten.

»Sie kommen«, kreischte ein Rekrut und starrte, ohne den Schild zu heben, in das Unterholz. Im nächsten Augenblick kippte er ohne einen weiteren Laut mit einem Pfeil im Hals nach vorne. In diesem Augenblick öffneten sich wieder die Pforten des Himmels und das Prasseln des Schauers übertönte das Schreien der Angreifer.

»Die Schilde hoch«, schrie ich, obwohl ich wusste, dass man mich nicht hören würde. Dann brachen die ersten Feinde aus dem Wald, schleuderten ihre Speere und sprangen uns an. Aber jetzt im eingeübten Verband, Mann neben Mann, konnten wir uns wehren. Wir stemmten uns gegen die Angreifer, brachten sie zum Stehen und stießen mit unseren Gladii nach vorne. Ich achtete nicht darauf, dass mir Blut ins Gesicht spritzte. Immer wieder stieß ich zu und spürte, wie meine Klinge sich in zuckendes Fleisch bohrte. Ich keuchte vor Anstrengung und spürte wie mein Schildarm sich verkrampfte, weil er das Gewicht des vollgesogenen Holzes kaum noch halten konnte. Etwas krachte gegen die Stirnverstärkung meines Helmes und ich riss mit letzter Kraft das Scutum hoch, um dem Angreifer den bronzenen Schildbuckel ins Gesicht zu stoßen. Dann stach ich nach und hatte das Gefühl, mich vor Anstrengung übergeben zu müssen. Ich rutschte in dem Morast aus Schlamm und Blut aus, fing mich im letzten Augenblick und fand wieder einen festen Stand. Aber der Gegner drängte nicht weiter nach. Die Angreifer zogen sich zurück und ließen mehr als zwanzig Gefallene und Schwerverwundete zurück. Wir hatten nicht einmal mehr die Kraft, sie zu erstechen und zogen uns stattdessen mehrere Schritte zurück. Wir waren nur noch achtundzwanzig Legionäre, von denen keiner unverwundet geblieben war.

»Das nächste Mal ist es vorbei«, keuchte der Soldat, der mich eben auf die Raben hingewiesen hatte. Er stützte sich auf seinen Schild und erbrach sich.

»Lucius!«, hörte ich eine Stimme. »Lucius, komm! Es ist soweit.«

»Ich komme«, sagte mein Freund und drückte seinem Nebenmann sein Scutum in die Hand.

»Was …?«, stammelte ich konsterniert und wollte meinen Freund zurückhalten. »Du haust ab? Das kannst du nicht machen!«

»Das ist ein Befehl«, schrie Kaeso mich an. Statt des Feldzeichens hielt er den Gladius in der Hand. Den Bärenfellumhang hatte er abgelegt und stattdessen eine lederne Schultertasche umgehängt.

»Du hast uns als Signifer nichts zu befehlen«, erwiderte ich wütend. »Wo ist das Feldzeichen?«

Kaeso winkte ab. »Lucius und ich müssen zum Zelt des Feldherrn. Der Primus Pilus will es.« Zieht euch weiter auf die Lichtung zurück. Ihr seid viel zu dicht am Wald.«

Wie um seine Worte zu unterstreichen zischten einige Pfeile aus dem Dickicht, die zwei unserer Legionäre niederstreckten.

»Zurück«, befahl ich.

»Ich komme wieder«, versicherte Lucius. »Ich lass dich nicht im Stich.«

Ich sah noch, wie Kaeso grinste, als er sich abwandte. Ich blickte dem Freund und dem Signifer hinterher, die mit großen Schritten zum Verhau und dem dahinter sichtbaren Feldherrenzelt eilten. Dann hatte ich die beiden in dem Gewimmel der herumeilenden Legionäre aus den Augen verloren. Was ich aber sah, war ein großer Scheiterhaufen, der aus den Resten der letzten Wagen und Zeltstangen errichtet worden war. An einigen Stellen stieg dunkler Rauch auf, der entsteht, wenn nasses Holz mit Öl entzündet wird.

Überall um die Lichtung ertönte Geschrei und die Angreifer strömten aus dem Wald und setzten zum Sturm an. Immer weiter wurden wir zurückgedrängt und die ersten entnervten Männer, die seit Tagen im Gefecht standen, warfen ihre Waffen fort. Sie knieten nieder, hoben die Hände und flehten um Gnade. Vergeblich, sie wurden an Ort und Stelle niedergemacht und von der Flut verschluckt. Bis auf einige Stellungen, wie der unsrigen, löste sich die Ordnung auf und die Feinde drangen rechts und links von mir zum Verhau vor.

Das musste das Ende sein. Mit grimmiger Verzweiflung erwartete ich jeden Augenblick den Stoß, der mich von hinten oder von der Seite zu meinen Ahnen befördern würde. Nur nicht in Gefangenschaft geraten und von den grässlichen Priestern der Cherusker bestialisch zu Tode gequält werden. Jeder von uns wusste, wie der Feind mit Gefangenen umging. Entweder schnitt man ihnen den Kopf ab, um sie an die Bäume zu nageln oder stach ihnen die Augen aus und schnitt die Zunge ab, ehe man sie qualvoll am nächsten Ast aufhängte. Ein Opfer für ihren Gott Wodan, wie sie es nannten.

»Sextus«, hörte ich es rufen. »Sextus!«

Lucius hielt im Galopp auf einem Rappen auf mich zu, ein anderes Pferd am Zügel hinter sich herzerrend. »Spring auf und rette dich. Wir brechen durch.« Hinter ihm sah ich Kaeso und einige Reiter, die auf bepackten Pferden saßen.

»Halt dich nicht auf«, brüllte Kaeso. »Nicht anhalten.«

»Nein«, stöhnte ein verwundeter Centurio. »Das ist Fahnenflucht im Angesicht des Feldherrn.«

»Varus ist selber desertiert«, schrie Lucius den Offizier an. »Zu den Göttern und seinen Ahnen. Er wird gerade verbrannt.«

Schon wollte ich nach dem hingehaltenen Zügel greifen, aber ich ließ die Hand wieder sinken. Ich sah meine Männer, die mit leeren Blicken zu mir herüberstarrten. Hatte ich das Recht, sie ihrem Schicksal zu überlassen? Zu desertieren?

»Überleben«, schoss es mir durch den Kopf. Ich wollte nicht sterben. Varus hatte seinen Eid gebrochen, nicht ich. Der Selbstmord des Statthalters hatte mich von meinen Pflichten entbunden. Es konnte nur noch gelten, sich selbst zu retten.

»Sextus«, schrie Lucius mich an und duckte sich tief im Sattel. Eine Lanze fuhr zischend über ihn hinweg.

Voller Panik, dass ich zu lange gezögert hatte, griff ich nach dem Zügel. Ich warf einen letzten Blick auf den rauchenden Scheiterhaufen, schwang mich auf den Gaul und jagte hinter Lucius und den anderen her. Mir war, als wenn es in den Lederbeuteln klirrte, die an die Lastsattel der Packpferde gebunden waren.

Fortuna war mit uns. Der Feind schien es nur noch darauf anzulegen zu plündern oder wehrlose Gegner niederzumachen. Sie sprangen zur Seite und ließen uns kampflos ziehen. Sie hatten selber tagelang gekämpft und wollten sich nicht im Angesicht der lockenden Reichtümer an Wodans Tafel wiederfinden. Nur einige wenige Pfeile schwirrten hinter uns her und holten einen Reiter aus dem Sattel.

Es ging in den Wald hinein, vorbei an verlassenen Verhauen und Baumsperren. Dann trat das Unterholz zurück und wir galoppierten durch einen lichter werdenden Hochwald die nächste Anhöhe hinauf. Die Pferde keuchten und stöhnten vor Anstrengung. Oben verhielten wir und ließen die Gäule zu Atem kommen. Dann orientierten wir uns am Lärm des Schlachtfeldes, änderten die Richtung und kämpften uns weiter durch Unterholz und Buschwerk. Wir duckten uns unter Äste, glitten aus den Sätteln, um die Tiere über Hindernisse zu führen, sprangen wieder auf und jagten ein Stück über Wildwechsel weiter, bis es wieder nur im Schritt weiter ging.

Langsam verklang das Getöse des Massakers in unserem Rücken, aber wir wagten erst dann eine längere Pause einzulegen, als wir mehrere Stunden zwischen uns und den Feind gelegt hatten. Wir sanken auf die Kruppen unserer Tiere und ließen uns zu Boden gleiten, wo wir ausgepumpt liegen blieben.

Ich brauchte einige Zeit, bis ich mich erholt hatte und mein Atem ruhiger ging. Dann wandte ich mich an den Signifer: »Das halten die Tiere nicht aus, Kaeso.«

»Was sagst du?« Der Signifer starrte mich verständnislos an.

»Sie sind viel zu schwer beladen. Die Germanen holen uns ein, wenn die Tiere zusammenbrechen.«

»Sextus hat Recht«, sagte einer der Reiter. Er erhob sich, ging zu seinem Pferd und machte sich an der Verschnürung eines der Lederbeutel zu schaffen.

»Finger weg«, brüllte Kaeso. Er schnellte hoch und hielt ihm die Spitze des gezückten Gladius an den Hals. »Wer die Beutel anrührt, ist tot.«

»Was ist da drin?«, fragte ein anderer.

»Das geht euch nichts an«, herrschte Kaeso ihn an. »Weg mit den Kettenhemden, Schilden und Helmen. Dann haben die Gäule weniger zu tragen. Das Zeug ist bloß hinderlich.«

»Der Signifer hat Recht«, mischte sich Lucius ein. »In die Büsche mit dem Zeug und dann weiter. Wir wollen überleben und keinen Krieg führen.«

Ehe ein Wort des Widerspruchs erhoben werden konnte, schnallte er das Cingulum46ab, streifte das Kettenhemd herunter und warf alles mitsamt dem Helm ins nächste Gebüsch. Dann legte er den Gürtel wieder an. Die Männer blickten sich an, murrten verhalten und taten es ihm gleich. Auch ich fügte mich, weil ich mir eingestehen musste, dass Kaeso im Recht war. Unsere schwere Bewaffnung hätte uns im Kampf wenig genutzt, dafür waren wir zu Wenige. Es kam eher darauf an, eine Begegnung mit den Feinden unter allen Umständen zu vermeiden.

Wir ließen die Pferde etwas grasen und an einem der zahlreichen Wasserlöcher saufen, bevor wir wieder aufbrachen. Bei dieser Gelegenheit trat Kaeso zu mir und zog seine Umhängetasche von der Schulter. »Schau rein, Optio.« Ich warf einen Blick hinein und erkannte die Phalerae47und die anderen Embleme unseres Feldzeichens. »Damit du später nicht rumerzählst, dass ich unser Signum weggeworfen hätte.«

Um die Tiere zu schonen, führten wir sie eine Weile am Zügel. Als sie sich erholt hatten, saßen wir auf und ritten im Schritt weiter.

Mir ging Kaesos angriffslustiges Verhalten nicht aus dem Kopf. Was hatte es mit dem Inhalt der Beutel auf sich? Als ich mich einige Augenblicke unbeobachtet wähnte – wir ritten gerade in einer auseinandergezogenen Reihe durch ein steiniges Bachtal – nutzte ich die günstige Gelegenheit. Möglichst unauffällig beugte ich mich nach vorn und führte meine Handfläche unter einen der Ledersäcke. Es kostete mich einige Anstrengung, ihn anzuheben, wobei meine Finger kleine Metallplättchen fühlten. Ich war mir sofort sicher, dass es Münzen waren, viele Münzen. Ein Schatz, den der Signifer offenbar wie seinen Augapfel hütete.

Es klirrte leise, als ich den Beutel fahren ließ. Kaeso drehte sich sofort im Sattel um, aber ich hatte meine vorherige Sitzposition wieder eingenommen und bemühte mich, eine unbeteiligte Miene aufzusetzen. Der Blick des Signifers glitt prüfend über mich hinweg und wandte sich meinem Hintermann zu, ehe er sich wieder nach vorne orientierte. Ich atmete durch und beschloss, Lucius auf meine Beobachtung anzusprechen.

Danach kreisten meine Gedanken um den Albtraum, den ich erlebt hatte. Ich hatte Mühe, die wirkliche Welt von den Schemen meiner Vorstellung zu unterscheiden. Als würde ich sie durch einen Schleier betrachten ... Vielleicht war ich längst tot und bewegte mich zwischen den Schatten der Unterwelt, oder würde gleich im Toben der Schlacht wieder aufwachen. Ich kniff mir in den Arm und stellte mit Erleichterung fest, dass es kein Traum war.

Etwas knackte in den Büschen, und ich schreckte auf. Meine Hand krallte sich sofort um den Griff des Gladius, was mich beruhigte. Lebend würden sie mich nicht bekommen. Es waren aber keine Cherusker oder Brukterer48, die durch die Büsche brachen. Ein Rotte Schwarzwild kreuzte den Pfad und verschwand auf der anderen Seite im Unterholz.

Ich rieb mir die Schläfen und hing wieder meinen Gedanken nach. Das einzig Gute war, dass ich überlebt hatte, wobei mir aber das »Wie« zunehmend zu schaffen machte. Wäre es nicht besser gewesen zu bleiben? Meine Nachkommen würden sich an einen Mann von Ehre erinnern, der für das Imperium in den Tod gegangen war. Sie hätten mir einen Grabstein errichtet und mich geehrt. Ich musste mir ein Lächeln verkneifen, weil es natürlich noch keine Nachkommen gab, die mir den alljährlichen Totenschmaus hätten ausrichten können. Dann übermannte mich wieder die Scham, versagt zu haben. Ich war feige weggelaufen, als das Vaterland das höchste Opfer von mir forderte. Ich war ehrlos und durfte mich bei den Meinen nicht mehr blicken lassen. Und wenn mich dereinst der Fährmann über den Totenfluss ruderte, würden sich die Ahnen mit Scham von mir abwenden. Ich hatte die Schande gewählt und ritt einem ungewissen Schicksal entgegen.

Als es dunkel wurde, passierten wir ein kleines Seitental. Der Zugang war durch Gestrüpp und eine umgestürzte Eiche halb verborgen. Dahinter erhoben sich steile Felswände. Ein sicherer Lagerplatz, der leicht zu verteidigen war. Wir saßen ab und führten die Pferde ein Stück in die feuchte, finstere Klamm hinein. Bevor wir lagerten, ging Kaeso mit Flavus, einem der Reiter, von Pferd zu Pferd und nahm die Beutel an sich. Sie trugen sie zu einer Felspalte, und der Signifer breitete eine Decke darüber, um sie unseren Blicken zu entziehen. Wir anderen pflockten die Pferde hinter einem Gebüsch an und suchten uns einen halbwegs trockenen Platz, den wir mit belaubten Ästen gegen den herabrieselnden Regen schützten. Kaum waren wir fertig, als, begleitet von Donner und Blitzen, ein kräftiger Schauer niederging.

»Gut so«, brummte der Signifer. »Das verwischt unsere Spuren.«

Wir hüllten uns fröstelnd in dieMäntel und kauten etwas von dem Proviant, den wir untereinander aufteilten: aufgeweichtes Brot, etwas Speck und ranzigen Käse. Als einer der Männer sich daran machte, mit Feuerstein und Zunder ein Feuer zu entzünden, wurde er sogleich von Kaeso angefahren. »Bist du von allen Göttern verlassen? Das riecht man meilenweit.«

Eingeschüchtert steckte der Mann seine Utensilien wieder weg. »Ich hatte gedacht, wir …«

»Du sollst nicht denken, sondern gehorchen.«

Der Mann, ein Immunis namens Titus, nickte ergeben.

Wir anderen waren dem Disput wortlos gefolgt. Jetzt, einen halben Tag nach unserer dramatischen Flucht und dem stundenlangen Ritt, brüteten wir teilnahmslos vor uns hin. Wie sollte es weitergehen?

»Lucius.« Der Angesprochene hob den Kopf, erhob sich und ging die wenigen Schritte zum Signifer, neben dem er sich niederließ. Es war offenbar, dass Kaeso eine Aussprache mit meinem Freund suchte. Es versetzte mir einen Stich, weil ich als Unteroffizier eigentlich dazu gehört hätte. Kaeso schien jedoch keinen Wert auf meine Meinung zu legen.

Die beiden tuschelten eine Weile miteinander, bis Lucius zurück kam und seine Sachen vom Boden aufraffte. Den Gladius und seine Decke in den Händen trat er zu mir.

»Sextus, wir haben die erste Wache. Komm mit.« Ich folgte meinem Freund zum Zugang unseres Verstecks, wo wir uns hinter dem umgestürzten Baum niederließen. Es hatte aufgehört zu regnen und einige wenige Sterne blinkten aus den Wolkenlücken zu uns herab. Es würde noch einige Stunden dauern, bis der Mond aufgehen und etwas Licht verbreiten würde. Wir hüllten uns in die Decken und lauschten in die Nacht, aus der hin und wieder das Rascheln eines Waldbewohners zu uns drang. Dort draußen vollzog sich der immerwährende Kampf um das alltägliche Überleben. Fressen und gefressen werden, und wir waren ein Teil davon.

»Sextus.« Mein Freund brach zuerst das Schweigen. »Du denkst darüber nach, ob es richtig war, sich zu retten?«

»War es das?«, erwiderte ich.

»Was mich betrifft, ja«, antwortete Lucius. »Ich pfeife auf Ehre und Heldentod.«

»Aber unser Eid, Lucius. Wir haben geschworen, unsere Pflicht zu erfüllen und, wenn es notwendig ist, unser Leben zu geben. Und was haben wir getan? Unsere Legionäre und die Zivilisten des Trosses im Stich gelassen! Frauen und Kinder, Lucius, die den Wilden auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Vielleicht sind sie jetzt alle tot! «

»Ich halte einen Eid«, antwortete Lucius schroff. »Aber nur dann, wenn es nötig ist. Das war es aber nicht. Es war sowieso alles verloren.«

Ich zuckte mit den Schultern und scharrte mit der Spitze des Gladius im Laub herum. »Du hast dich mit Kaeso besprochen, wie es weiter geht?«

»Wir werden versuchen, uns nach Süden an die Lupia durchzuschlagen. Im Lager Aliso stehen zwei Kohorten unter Caedicius. Das ist der einzige sichere Platz zwischen hier und dem Rhenus.«

»Warum hat Kaeso mich übergangen?«, begehrte ich auf. »Ich bin schließlich Optio. Wie du.«

»Weil ich mich schon gestern mit dem Signifer abgesprochen hatte«, antwortete Lucius kurz angebunden.

»Warum hast du nicht mit mir geredet?«

»Sextus.« In der Stimme des Freundes schwang ein Vorwurf mit. »Ich wollte mit dir nicht über Pflicht und Ehre diskutieren. Es galt, einen Entschluss zu fassen, unser Leben zu retten. Und du kannst mir nicht vorwerfen, dich vergessen zu haben.«

»Habe ich das, Lucius?«

»Nein, aber du hast es auch bisher nicht für nötig befunden, dem Signifer und mir zu danken.«

Ich schwieg und stocherte weiter mit dem Schwert im Waldboden.

»Wenn uns einer im Stich gelassen hat, dann war es Varus«, fuhr Lucius bitter fort. »Er hat diesem Arminius vertraut, trotz aller Warnungen. Dann hat er Fehler gemacht, furchtbare Fehler. Es war dumm, das feste Lager zu verlassen. Wir hätten uns so lange halten können, bis den Cheruskern die Lust vergangen wäre. Was hätten sie gegen die Befestigungen und die Geschütze ausrichten können? Wir hätten sie zu Tausenden weggeschossen, ehe sie den Wall erreicht hätten. Varus war es, der uns dem Feind ausgeliefert hat.

Und was hat er dann getan? Er hat sich mitsamt seinen hohen Offizieren zu Pluto verdrückt und uns gezwungen, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.«

»Hat Varus sich wirklich umgebracht?« unterbrach ich Lucius. »Hast du seine Leiche gesehen?«

Lucius lachte auf. »Als wir zum Feldherrnzelt kamen, trug man ihn gerade hinaus. Du hast doch den brennenden Scheiterhaufen gesehen, oder?«

Ich nickte.

Lucius schwieg eine Weile, bevor er fortfuhr. »Kaeso ist einer, der sich nicht dem Schicksal beugt. Du kennst ihn. Hart gegen sich und andere, aber voller Tatkraft. Als er von der Absicht des Selbstmordes erfuhr, hat er gehandelt. Er hat Proviant und Decken von seinen Gehilfen Titus und Flavus beiseiteschaffen lassen. Claudius hat sich um die Pferde gekümmert. Die drei anderen, Quintus, Marcus und Decimus haben sich uns zufällig angeschlossen. Sie waren zur rechten Zeit am richtigen Ort. Wir verdanken Kaeso unser Leben. Und«, er hob den Zeigefinger, »das Imperium kann froh über jeden Legionär sein, der es über den Rhenus schafft. Drei Legionen, Sextus, drei Legionen sind ausgelöscht. Niedergermanien ist dem Feind schutzlos ausgeliefert. Wer anders als wir, die Überlebenden, kann den Feind noch darin hindern, die Grenzen zu überschreiten und in Gallien einzufallen?«

In diesem Fall musste ich meinem Freund zustimmen.

»Vielleicht hast du Recht, Lucius. Aber …« Ich wechselte das Thema: «Was ist mit den Lederbeuteln?

»Das hat dich nicht zu interessieren, Sextus.«

»Sie sind voller Münzen«, fuhr ich unbeirrt fort. »Ich habe einen in die Hand genommen und es genau gefühlt. Viele und wertvolle Münzen. Dem Gewicht und der Größe nach viel Gold und Silber. Was habt ihr damit vor?«

»Sollten wir das alles dem Arminius und seinen vertierten Kriegern überlassen?« Die Augen meines Freundes funkelten.

»Ihr habt euch an den Geldern der Toten vergriffen«, hielt ich Lucius vor. »Das ist Frevel an den Göttern!«

»Mach dir keine Sorgen um unsere Seelen«, lächelte Lucius. Er hatte sich wieder in der Gewalt.

»Gib es zurück, wenn wir durchkommen!«, bedrängte ich ihn.

»Sextus!«, unterbrach er mich. »Halte dich da raus. Du hast nichts damit zu tun. Kaeso ist schon misstrauisch. Du bist nicht sein Freund. Er hat dich nur mitgenommen, weil ich es wollte. Sei froh, dass du überlebt hast.«

»Vielen Dank«, murmelte ich und starrte in die Dunkelheit.

Das waren die letzten Worte, die wir während unserer Wache wechselten. Nach zwei Stunden wurden wir von Titus und Flavus abgewechselt. Ich lag noch lange wach, ehe ich in einen unruhigen Schlaf fiel.

Bevor es hell wurde, brachen wir das Lager ab und verwischten unsere Spuren. Wie am Vortag schlugen wir uns mühsam durch den Wald. Die Himmelsrichtung bestimmten wir mit Hilfe der Sonne und hofften, uns einigermaßen südlich zu halten.

Beim Aufbruch waren die Beutel mit den Münzen wieder auf die Pferde verteilt worden. Nur bei mir hatte Kaeso eine Ausnahme gemacht. Lucius hatte ihm wohl gesteckt, dass ich mir zu viele Gedanken um die Herkunft der Gelder machte.

Als sich eine Gelegenheit ergab, mit Lucius zu sprechen, sagte er mir, dass Claudius einige Monate mit einer Vexillation49in Aliso stationiert war. Als Reiter hatte er einige Erkundungsritte in die weitere Umgebung gemacht. Wir hofften, dass er, je weiter wir nach Süden vorankämen, das eine oder andere wiedererkennen würde. Damit war aber erst in einigen Tagen zu rechnen.

Erst jetzt, am zweiten Tag unserer Flucht, begannen sich die Blessuren der Schlacht unangenehm bemerkbar zu machen. Keiner von uns war von Abschürfungen, Prellungen oder leichten Stichverletzungen verschont geblieben. Über meinen Unterarm zog sich eine verkrustete Schramme, die aber nicht eitern würde. Schlimmer hatte es meine Schulter erwischt, die von einem Speerstoß geprellt war. Ich hatte es meinen Schutzgöttern zu danken, dass die Spitze den Kettenpanzer nicht durchschlagen hatte. Ich nahm mir vor, den Laren50meiner Familie und auch den Manen51bei nächster Gelegenheit ein Opfer darzubringen.

Am Ende des Tages lichtete sich der Wald. Von den Strahlen der tief stehenden Sonne beschienen, breitete sich die Ebene vor uns aus. Bevor es dunkelte, hatten wir die Ausläufer der Berge hinter uns gelassen. Wir versteckten uns in einem Wäldchen und warteten mit Wachen und Schlafen den nächsten Morgen ab. Die Unwetter, die sich während der drei Schlachttage mit dem Feind gegen uns verbündet hatten, waren einem milden Spätsommer gewichen. Die Wassermassen, die unablässig vom Himmel geströmt waren, hatten jedoch als letzten Fluch Heerscharen von summenden Plagegeistern zum Leben erweckt. Es gab nichts, was wir gegen die Mückenplage tun konnten, da wir uns scheuten, ein Feuer zu entzünden.

Der folgende Tag brachte keine erwähnenswerten Vorkommnisse, bis wir am späten Nachmittag auf einer Anhöhe rasteten.

»Da. Seht ihr sie?« Claudius wies mit der Hand nach Westen, wo sich gegen die tiefstehende Sonne ein langer Reiterzug abzeichnete. Wir verbargen uns hinter einigen Büschen und betrachteten stumm das furchteinflößende Schauspiel. Es mussten Hunderte sein, die in einer Entfernung von einer Meile an uns vorüber zogen. Zwischen ihnen waren deutlich mehrere Wagen zu erkennen; schwer beladen mit der Beute, die sie in der Schlacht gemacht hatten. Gefangene waren nicht auszumachen.

»Die werden uns nicht gefährlich«, murmelte Kaeso. »Die wollen nach Westen.«

»Das sehe ich auch so«, bestätigte mein Freund. »Aber wir sind nicht mehr alleine. Wir werden uns in den nächsten Tagen noch mehr vorsehen müssen.«

Die Männer nickten und blickten auf den Signifer.

»Wir werden hier die Nacht verbringen«, entschied Kaeso. »Morgen geht es in aller Frühe weiter.«

Mittlerweile war es mir gleichgültig geworden, dass ich niemals nach meiner Meinung gefragt wurde. Lucius und Kaeso stimmten in ihren Einschätzungen immer überein und ein Konflikt hätte nur den Frieden der Gruppe gestört und das gemeinsame Ziel zu überleben gefährdet. Ich hoffte nur, dass dies alles bald ein Ende finden und ich wohlbehalten nach Aliso gelangen würde. Dann, und auch nur dann wollte ich einige Dinge zur Sprache bringen, wobei die Frage nach den Geldern an oberster Stelle stand.

So, wie unser Proviant täglich schrumpfte, verringerte sich auch die Entfernung zu unserem Ziel. Am fünften Tag zog sich vor uns ein dunkler Streifen durch das sumpfige Land, der Claudius einen Jubelruf entlockte. »Pontes Longi52! Das sind die Pontes Longi! Noch zwei Tage bis zur Lupia.«

Instinktiv trieben wir unsere Tiere an. Jeder wollte der erste sein, den von Ahenobarbus53erbauten Knüppeldamm zu erreichen. Wir waren es satt, uns durch sumpfige Wiesen und dichtes Gehölz voran zu quälen. Seit Tagen sehnten wir uns danach, endlich wieder festen Boden unter den Hufen zu haben und die Pferde ausgreifen zu lassen.

»Halt, ihr Dummköpfe!«, brüllte Kaeso uns hinterher. »Wollt ihr kurz vor dem Ziel dem Feind in die Arme laufen? Der Damm ist nicht zerstört. Also wird er benutzt. Germanen sind einfältig, aber nicht dumm!«

Wir zügelten unsere Tiere und schauten uns beschämt an. Kaeso hatte Recht und wieder einmal seine Qualitäten als Anführer unter Beweis gestellt. Lucius blickte mich an und wies rechthaberisch auf den Signifer.

»Wir sollten in Reichweite des Dammes bleiben. Er gibt uns die Richtung an.« Ich hatte eher Lucius als die Gruppe gemeint.

»Ich habe unseren Optio nicht nach seiner Meinung gefragt«, spottete Kaeso. »Vorhin konntest du es nicht erwarten, vorzupreschen.«

Ich schluckte meinen aufwallenden Ärger herunter und hielt mich für den Rest des Tages am Ende des Zuges. Die schadenfrohen Blicke der anderen ignorierte ich. Ich hatte mich damit abgefunden, die Rolle des Außenseiters bis zum Ende unseres Weges zu übernehmen. Sollten sie doch denken, was sie wollten. Mit etwas Glück würden sich unsere Wege in wenigen Tagen hoffentlich trennen.

Ich ahnte nicht, dass unser Glück am folgenden Tag aufgebraucht war. Die Schuld daran hatten wir uns selber zuzuschreiben.

Zuerst rochen wir den Rauch, der von einem abgelegenen Gehöft aufstieg. Ohne die Genehmigung des Signifers einzuholen, ließen sich Marcus und Decimus, die am Ende des Zuges ritten, zurückfallen. Eine halbe Stunde später hatten sie uns wieder eingeholt. Decimus hielt einen prall gefüllten Sack in die Höhe, während sein Begleiter dem Blick Kaesos unsicher auswich.

»Was habt ihr angestellt?«

Marcus blickte zu Boden, während Decimus den Inhalt des Raubzuges vor uns ausbreitete. Schinken, Eier, ein gutes Scheffel Getreide, Mohrrüben und ein Dutzend Äpfel ließen uns das Wasser im Mund zusammenlaufen.

»Wo habt ihr das her?« Die Stimme des Signifers ließ nichts Gutes erwarten.

»Von dem Bauernhof eine halbe Stunde hinter uns«, antwortete Decimus.

»Hat man euch gesehen?«

»Ja«, druckste Marcus herum. »Den Bauern haben wir getötet. Aber …«

»Was, aber?« Das Gesicht unseres Anführers verfärbte sich vor Wut.

»Die Frau ist weggelaufen«, gab Decimus kleinlaut zu. »Wir haben sie nicht gefunden. Sie ist in den Wald gerannt und hat sich dort versteckt. Aber sonst war keiner in der Nähe. Wir …«

»Idioten«, fuhr Kaeso die beiden an. »Habe ich nicht gesagt, dass wir auf keinen Fall auffallen dürfen? In wenigen Stunden haben wir eine Horde rachedurstiger Wilder auf unserer Spur.«

Dann hatte er sich wieder in der Gewalt und gab die notwendigen Befehle. »Sextus, Flavus, ihr bleibt hier.« Er sah sich um. »Dort auf die Anhöhe. Ihr wartet, bis sich die ersten Verfolger zeigen. Dann folgt uns, so schnell ihr könnt.«

»Und wenn bis zum Abend nichts geschieht?«, fragte Flavus. »Es war ein einsamer Hof! Vielleicht braucht die Frau Tage, bis sie Hilfe holen kann.«

»Ihr bleibt bis zum Morgen«, entschied Kaeso. »Wenn sich bis dahin keiner sehen lässt, ist unser Vorsprung groß genug.«

»Bist du sicher, dass wir euch dann noch erreichen?« Ich wollte sicherstellen, mich nicht dem Vorwurf der Desertion auszusetzen, wenn wir unsere Gefährten nicht mehr einholen sollten. Kaeso musste einen Grund haben, mich für diese Aufgabe eingeteilt zu haben. Ich blickte auf Lucius, der mir aufmunternd zunickte.

»Keine Sorge, Sextus. Du hast mein Wort.«

»Gib endlich Ruhe«, herrschte mich der Signifer an. »Wer sollte es sonst machen? Die beiden da?« Er wies auf Marcus und Decimus. »Zur Not findet ihr den Weg nach Aliso auch ohne uns. Es sind höchstens zwei Tage.«

Kaeso ließ uns etwas Proviant aushändigen und trieb dann die Männer zum Aufbruch an. Nach wenigen Augenblicken waren sie unseren Blicken entschwunden.

»Wir könnten uns in die Büsche schlagen und uns verstecken«, schlug Flavus vor. »Wenn die Luft rein ist, schlagen wir einen Bogen und gelangen sicher nach Aliso. Sollen die sich doch mit den Wilden herumschlagen. Ich habe keinen Bauern getötet.«