Die Sozialwissenschaft der Bürgergesellschaft - Michael Kuhn - E-Book

Die Sozialwissenschaft der Bürgergesellschaft E-Book

Michael Kuhn

0,0
22,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts entdecken die Sozial- und Geisteswissenschaften weltweit die Notwendigkeit, ihre Theoriebildung selbstkritisch umgestalten zu müssen. Die erste Kritik sozialwissenschaftlicher Theoriebildung fordert eine „Globalisierung“, die zweite, parallel geführte Kritik, ihre „De-Kolonialisierung“. Michael Kuhn diskutiert in seinem hochaktuellen Buch, - warum und wie die “Globalisierung“ sozialwissenschaftlicher Theoriebildung nationalstaatliches Denken hoffähig macht; - wie die „De-Kolonialisierung“ sozialwissenschaftlicher Theoriebildung mit der Kritik eines Eurozentrismus der weltweiten Durchsetzung nationalstaatlichen Denkens den Weg bereitet; - mit welchen widersinnigen Argumentationen die „Indigenisierung“ des Denkens Beiträge zur ideologischen Aufrüstung von Staaten produziert; - wie diese den Diskurs unter den de-kolonialisierten Theorien verunmöglichen und der wissenschaftliche Diskurs über Theorien zu einer Frage politischer Macht uminterpretiert wird; - wie die global denkende de-kolonialisierte Wissenschaftselite imperiales Gedankengut zu Leittheorien für das Denken weltweit macht und - welche Folgen all dies für die Sozialwissenschaften hat sowie welche Vorlagen für ihr anti-kritisches Denken der Historische Materialismus geliefert hat.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 366

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



ibidem-Verlag, Stuttgart

Vorwort

200 Jahre kritische sozialwissenschaftliche Theorien, zweihundert Jahre Armut, zweihundert Jahre Krieg, 200 Jahre Kolonialismus und Imperialismus, immerzu kritisiert von den professionellen Denkern der Sozialwissenschaften – wie geht diese zweihundert Jahre andauernde Koexistenz von Kritik und Kritisiertem zusammen?

Diese beiden Bücher über die „Sozialwissenschaft der Bürgergesellschaft“ werfen diesen vor, was nach Auffassung sozialwissenschaftlichen Theoretisierens gar nicht geht, dass sie nicht nur gelegentlich voreingenommene, also falsche Theorien über die Welt produzieren – falsch, weil sie die Welt als Scheitern an der ihr unterstellten Ideale kritisieren, diese dadurch kritisch affirmieren und so die Koexistenz von Kritik und Kritisiertem betreiben. Im ersten Buch über die „Kritik der Globalisierung und De-Kolonialisierung der Sozialwissenschaften“ wird gezeigt, dass die Argumente, mit denen sie sowohl das, was Globalisierung wie die De-Kolonialisierung ihrer Wissenschaften sein soll, begründen, lauter falsche Begründungen sind, die das Anliegen nationalstaatlicher Sichtweisen auf die Welt legitimieren sollen. Das zweite Buch über „Die Natur der Sozialwissenschaft der Bürgergesellschaft – Skizzen einer Theorie“ zeigt an der Art und Weise, wie die disziplinäre Sozialwissenschaft ihre Theorien sehr grundsätzlich durch den Blick der praktischen Anliegen der Bürgergesellschaft kreiert, wie sie damit ebenso voreingenommene, also falsche Theorien über sich und die Bürgergesellschaft hervorbringt – mit dem Ergebnis dieser Koexistenz von Kritik und Kritisiertem.

Und ein Projekt, das sich anschickt, sozialwissenschaftliches Denken dafür zu kritisieren, dass es nicht nur gelegentlich falsche Theorien produziert, sondern dass es Wesen diese Art über das Soziale zu denken ist, dass es falsche Theorien produziert, falsche Theorien, die dank ihrer Denkfehler kritisch affirmative Legenden über die diese Welt regierenden Ziele und Zwecke verbreiten, dieses Projekt ist von vorn herein zum Scheitern verurteilt – jedenfalls aus der Sicht dieses sozialwissenschaftlichen Denkens. Dank seines Konzeptes von Kritik ist sozialwissenschaftliches Denken nämlich immun gegen eine Kritik, die falsche Gedanken kritisiert. Da Sozialwissenschaften ganz genau wissen, dass das Denken über das Soziale – und seit der Interpretation des Buches von T. Kuhn durch die Sozialwissenschaften auch das Denken der Naturwissenschaften über die Natur – kein richtiges Wissen produzieren kann, kann es keine Kritik geben, die Theorien als falsche Theorien kritisiert. Sozialwissenschaftliche Theorien kann man sehr wohl kritisieren, aber diese Kritik kann keine Kritik einer falschen Theorie sein, sondern eine Kritik, die gegen all die ex-ante-Definitionen argumentiert, ethische, wissenschaftstheoretische und methodische Annahmen, ex-ante-Entscheidungen über den Gegenstand einer Theorie sowie über die Art und Weise, wie das Denken diesem zu Leibe zu rücken gedenkt, ex-ante-Entscheidungen, die sozialwissenschaftliches Denken machen und deren Begründungen es offenlegen muss. Keineswegs argumentieren die sozialwissenschaftlichen Auffassungen über die Natur des wissenschaftlichen Denkens gegen die Kritik von Theorien, sondern gegen eine Kritik die meint, richtige von falschen Theorien unterscheiden zu können. Sozialwissenschaftliches Denken eröffnet das weite Feld einer Kritik, die sich auf all die ex-ante-Annahmen, Entscheidungen und Definitionen richtet; die Kritik, dass eine Theorie falsche Gedanken kreiert, ist im sozialwissenschaftlichen Denken keine Option, weil Theorien immer nur relativ falsche oder richtige Theorien gemessen an ihren Annahmen und Definitionen sein können. Nichtdestotrotz, da selbst all die daraus folgenden tautologischen gedanklichen Operationen einer Kritik von in diesem relationalen Sinne falschen Theorien, wie jedes wissenschaftliche Argumentieren deren Plausibilisierung verlangen, weil auch sie Operationen wissenschaftlichen Denkens sind, kommen auch diese tautologischen Operationen relationaler Kritik nicht ohne Begründungen aus. Und obwohl es inzwischen Sozialwissenschaften gibt, die die bloße Vorstellung von „Daten“ für eine Theorie halten, wissenschaftliche Gedanken können nicht auf ihre Begründungen verzichten, die darlegen, warum eine Theorie denkt was sie sagt. Und dieses, die Unentrinnbarkeit von Theorien von der Begründung von wissenschaftlichen Gedanken, mögen sie in den tautologischen Gedanken einer relationalen Kritik gefangen bleiben, ist der Schwachpunkt in dem sozialwissenschaftlichen Immunsystem gegenüber Kritik an falschen Theorien, weil nicht zuletzt auch dieses kritikimmune Kritikkonzept, immun gegen die Kritik von falschen Theorien, selbst begründen muss, warum es keine richtigen und falschen Theorien geben kann und warum diese Theorie über die Unmöglichkeit der Kritik von falschen Gedanken, die sozialwissenschaftliches Denken immun gegenüber Kritik macht, ihrerseits eine richtige Theorie ist. Dies, die Unvermeidlichkeit des Begründens von Theorien, von wissenschaftlichen Gedanken, auch der Begründung dessen, warum es richtig ist, dass Theorien immer nur relativ richtig sein können, ist der Grund, warum es daher trotzdem den Versuch wert ist, sozialwissenschaftliche Theorien dafür zu kritisieren, dass sie falsche Theorien kreieren, obwohl falsche Theorien – folgt man den sozialwissenschaftlichen Theorien über das sozialwissenschaftliche Denken – im sozialwissenschaftlichen Denken gar nicht existieren.

 

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung: Die „Globalisierung“ und „De-Kolonialisierung“ der Sozialwissenschaften

Globalisierung der Sozialwissenschaften

De-Kolonialisierung der Sozialwissenschaften

1. Die „Globalisierung“ der Sozialwissenschaften – die Einführung nationalistischen Denkens in das sozialwissenschaftliche Denken

1.1 Nicht-globalisierte Theorien

1.2 Globalisierte Theorien

1.3 Über das Leben in der Welt nationaler Bürgergesellschaften und seine sozialwissenschaftlichen Verklärungen

2. Die weltweite Durchsetzung der Sozialwissenschaft der Bürgergesellschaft durch ihre „De-Kolonialisierung“

2.1 Die Übernahme des Wissenskonzepts der Sozialwissenschaften in der ehemaligen kolonialisierten Welt durch die Kritik des „Eurozentrismus“

2.2 Der Ort des Denkens als „kontextuelle“ Quelle von Erkenntnis

2.3 Von der Selbstkritik der Kritiker von Kapitalismus zur Wissenschaft als Stifter nationaler Identität

3. Nationale Identität stiftendes Wissen – Beiträge zur ideologischen Aufrüstung von Staaten

3.1 Staatliche Selbstbildnisse indigenisierten Wissens

3.2 Indigenisiertes Wissen im globalen Diskurs

3.3 Wie die de-kolonialisierten Sozialwissenschaften die Welt der Wissenschaft sehen – und ihre ideologischen Erträge

4. In der global denkenden post-kolonialen sozial-wissenschaftlichen Wissenschaftswelt

4.1 Imperialismen als methodisches Instrument sozialwissenschaftlicher Theoriebildung

4.2 Imperiale Theorien – für moralisch saubere Kriege

5. Alte und neue Fehler und ihre Quellen: Theoretische Hinterlassenschaften der Globalisierungs- und De-Kolonialisierungsdebatten unter der Vorarbeit des HistoMat

Einleitung: Die „Globalisierung“ und „De-Kolonialisierung“ der Sozialwissenschaften

Ungefähr 50 Jahre nach dem Ende von Weltkrieg II beginnen die Sozialwissenschaften neben der Kreierung ihrer Theorien eine neue Runde über sich selber zu reflektieren. Die Diskurse, die die Sozialwissenschaften um das Ende des 20. Jahrhunderts quer durch alle Disziplinen und ebenso weltweit unter dem Titel einer „Globalisierung“ der Sozialwissenschaften führen, konterkariert mit einem ebenso weltweiten wie disziplinübergreifenden Diskurs über ihre „De-Kolonialisierung“, könnten paradoxer nicht sein, bedenkt man alleine nur den Umstand, dass es 50 Jahre nach dem Ende der Kolonialzeit brauchte, um zu entdecken, dass die Welt eine Welt von Staaten geworden war, nachdem der kolonialisierte Teil der Welt das Gesellschaftsmodell Kapitalismus der alten Kolonialisten adaptiert hat und dann auch noch die alternativen Gesellschaftsmodelle namens Sozialismus diese ganz unspektakulär für beendet erklärt hatten und auch ihre Gesellschaften wieder unter das Regime des Kapitalismus gestellt hatten.

Mit diesen Diskursen über das, was ihre wesentlichen Aufgaben und Herausforderungen in einer Welt von kapitalistischen Gesellschaften sind, vor allem dann, wenn diese Diskurse in den Sozialwissenschaften rund um die Welt und über alle sozialwissenschaftlichen Disziplinen hinweg diskutiert werden, geben diese Wissenschaften dank all der Paradoxien dieser Diskurse und ihrer Theorien Einblick in das, was das sozialwissenschaftliche Denken heutzutage weltweit bewegt.

Globalisierung der Sozialwissenschaften

„Globalisierung“ nennen Sozialwissenschaften diese Welt aus Staaten und Marktwirtschaft und spätestens zu Beginn des neuen Jahrhunderts, kommt es mit dieser Entdeckung einer „Globalisierung“ zur einer umfassenden Selbstkritik und das sozialwissenschaftliche Denken macht, folgt man den weltweiten Debatten sozialwissenschaftlichen Denkens, eine Entdeckung und bezichtigt sich, in ihrer bisherigen Geschichte eine „Zombie-Wissenschaft“1 gewesen zu sein, weil sie sich dem Denken über das „globalisierte“ Soziale verschlossen hat und propagiert, wie sie es nennen würde, einen „Paradigmenwechsel“ ihres Denkens, sozusagen eine komplette Revolution ihrer Theoriebildung. ‚Globalisierung‘ heißt das Stichwort, das den Umsturz auch in der sozialwissenschaftlichen Theorieproduktion signalisiert und diese ‚Globalisierung‘ ist – nach Auffassung der Sozialwissenschaften – nicht nur das bisher fälschlich ignorierte, alles gestaltende Merkmal des Sozialen, sondern auch der Grund für die Notwendigkeit, das sozialwissenschaftliche Denken selbst ganz grundsätzlich umzugestalten und die Sozialwissenschaften selber zu ‚globalisieren‘, um endlich anstatt ihrer bisherigen „zombie-science“ Theorien über die Welt zu produzieren.

Dieses selbstkritische Urteil über die Sozialwissenschaften und ihre damit angekündigte „paradigmatische“ Umgestaltung wirft schon mit seiner Titulierung als der einer Globalisierung ihrer Theoriebildung ein paar Fragen über dieses Umgestaltungsprogramm auf, noch bevor man sich dieses Projekt einer globalisierten Wissenschaft näher anschaut, enthält es doch zumindest zwei Denkfehler und ein vielsagendes Bekenntnis – erkauft mit einer diskreten Lebenslüge – ein Bekenntnis, das ein paar Einsichten über das Wesen des Denkens in den Sozialwissenschaften erlaubt.

Um mit dem letzteren zu beginnen: Die Tatsache, dass die Sozialwissenschaften aktuell höchst engagiert über die Notwendigkeit einer „Globalisierung“ des Denkens streiten, ist ebenso seltsam wie auskunftsreich, weil es bekennt, dass das Denken über alles Soziale jenseits staatlich konstruierter Gesellschaften für sozialwissenschaftliches Denken keinen Gegenstand sozialwissenschaftlichen Denkens konstituiert, also für sozialwissenschaftliches Denken alle staatlich konstruierten Gesellschaften und das Soziale identisch sind. Denn dieses selbstkritische Bekenntnis geht nicht ohne den Fehler, dass die heutige Entdeckung einer „Globalisierung“ behauptet, dass das Soziale vor der beobachteten „Globalisierung“ nicht global, sprich weltweit konstruiert war. Ganz so als hätte es ein „globales“ Soziales in der der „Globalisierung“ vorangegangen Periode – dem Kolonialismus – nicht gegeben, macht die Entdeckung eines „globalisierten“ Sozialen nur aus der Sicht eines Denkens Sinn, wenn dieses Denken alle staatlich konstruierten Gesellschaften mit der Natur von Gesellschaft gleichsetzt, eine Entdeckung, weil es jenseits der staatlich konstruierten Gesellschaften, mit denen sich Sozialwissenschaften offensichtlich quasi naturgemäß beschäftigen, für dieses Denken offensichtlich überhaupt erst mit der De-Kolonialisierung, also erst mit der weltweiten Etablierung staatlich verfasster Gesellschaften, ein weltweites Soziales gibt, mit dem sich theoretisch befassen zu müssen sozialwissenschaftliches Denken als neue Aufgabe der Sozialwissenschaften erst dann entdeckt, wenn die Welt eine Welt von staatlichen Gesellschaften ist.

Offensichtlich bedurfte es also der weltweiten Durchsetzung des Modells staatlicher Gesellschaften, damit sozialwissenschaftliches Denken überhaupt die Existenz einer sozialen Welt entdecken konnte. Eine soziale Welt, die nicht eine Welt von nationalstaatlichen Gesellschaften ist, so muss man aus der aktuellen Entdeckung von Gesellschaften neben der eignen nationalen Gesellschaft schließen, ist für die Sozialwissenschaften keine „globale“ Welt. So seltsam es also klingen mag, erst die postkoloniale Umgestaltung der Welt in eine Welt von Nationalstaaten, erlaubt es dem sozialwissenschaftlichen Denken zu entdecken, dass es eine Welt jenseits der eigenen nationalen Gesellschaft gibt, alles Gesellschaftliche also für das sozialwissenschaftliche Denken mit den staatlichen Gesellschaften beginnt.

Und dies, die abstruse Erkenntnis, dass es Gesellschaftlichkeit erst geben soll, nachdem die Welt eine Welt von Nationalstaaten geworden ist, enthält obendrein eine kleine ebenso paradoxe Lüge der Sozialwissenschaften über sich selbst: die Sozialwissenschaften kannten und kennen nämlich sehr wohl eine soziale Welt jenseits nationalstaatlicher Gesellschaften vor der De-Kolonialisierung der Welt. Das sozialwissenschaftliche Denken hat sogar eine besondere sozialwissenschaftliche Disziplin hervorgebracht, Anthropologie, eine Disziplin, die für das Denken über das „un-zivilisierte Soziale“, also für das Denken über alles Soziale, das keine nationalstaatlich Gesellschaften ist, zuständig war und die nun, da die Welt aus staatlichen Gesellschaften besteht, auf der Suche nach einer neuen disziplinären Aufgabe mit der Etablierung der Kulturwissenschaft fündig geworden ist. Und es ist ebenso paradox wie vielsagend, dass mit der Ausnahme von Anthropologie, die für das Denken über das nicht staatliche Soziale reserviert war und heute, nach der weltweiten „Zivilisierung“ der Welt als staatlich konstruierte Gesellschaften darüber rätselt, was ihr Gegenstand sein könnte, für das sozialwissenschaftliche Denken aller übrigen sozialwissenschaftlichen Disziplinen eine soziale Welt nicht existent war, bis diese zu einer Welt, die aus nationalstaatlich konstruierten Gesellschaften besteht, umgewandelt war, um dann die „Globalisierung“ ihres Denkens einzufordern.

Dieser Begriff einer „Globalisierung“ kennzeichnet dieses Bild einer seltsamen Entdeckung weltweit existierender Gesellschaften durch die Sozialwissenschaften nach der Herstellung einer Welt aus nationalstaatlichen Gesellschaften, ganz als ob es bis dato keine Welt gegeben hätte, also die Entdeckung einer Welt, die aus staatlichen Gesellschaften besteht, gerade so als ob dies, die Welt als Welt von Staaten die finale Fertigstellung der sozialen Natur der Welt wäre und dem sozialwissenschaftlichen Denken mit dieser Staatenwelt das Denken als Denken über die Welt seinen Gegenstand offeriert, die Welt gewissermaßen von ihren nicht theoretisierbaren unsozialen Flecken befreit: „Globalisierung“, diese weltweite räumliche Verbreitung von etwas, das weder ein Subjekt kennt, das diese globale Verbreitung betreibt, noch ein Objekt benennen will, ein etwas, das global verbreitet wird, und ein Begriff, der nicht verrät, welche Subjekte aus welchen Gründen zu welchen Zwecken für die mysteriöse globale Verbreitung dieses subjekt- und objektlosen Etwas verantwortlich sind, ist deswegen das passende Synonym des sozialwissenschaftlichen Denkens für die Entdeckung einer Welt, unter der Voraussetzung, dass sie eine Welt von Nationalstaaten ist, weil so für dieses Denken die Welt quasi von selbst endlich zu dem geworden ist, was sie dem sozialwissenschaftlichen Denken zufolge ihrer Natur nach schon immer sein musste: alles Gesellschaftliche der Welt ist also zu seiner Natur als staatlichen Gesellschaften quasi natürlich herangereift, irgendwie zu sich gekommen. Deswegen braucht die Idee einer „Globalisierung“ des Sozialen weder ein Subjekt, das diese Globalisierung betreibt, noch ein Objekt, was dieses Subjekt bewirken will. Es, so soll man sich das mit diesem Begriffsungetüm einer „Globalisierung“ vorstellen, das Soziale, als staatlich gemachtes Soziales, entwickelt sich quasi natürlich zu dem, was es seiner Natur nach schon immer sein wollte.

Man muss also aus der Tatsache, dass die Sozialwissenschaften heutzutage die Notwendigkeit einer Globalisierung proklamieren, schließen, dass es 200 Jahre sozialwissenschaftlichen Denkens in der imperialen Welt brauchte, um dann mit der De-Kolonialisierung und der Verwandlung der kolonialisierten Gesellschaften in staatlich konstruierte Gesellschaften eine soziale Welt jenseits der imperialen Staatenwelt zu entdecken.

Und diese Entdeckung verrät auch gleich mit, was sozialwissenschaftliches Denken sich über die Natur der Bildung von staatlichen Gesellschaften in der imperialen Staatenwelt zurechtlegt. Als wäre die Entstehung der imperialen Staaten nicht das Ergebnis ihrer kolonialen Unterdrückung und Ausbeutung der Welt, einer Ausbeutung der kolonialisierten Welt, die die ökonomischen Grundlagen für den ökonomischen Reichtum und die politische Macht der imperialen Welt erst geschaffen haben, als wäre die Schaffung einer Welt von Staaten und ihres Imperialismus, sich die soziale Welt unter ihre Herrschaftszwecke zu unterwerfen, nicht die Art die Welt aus Nationalstaaten zu bauen und zu leben, bemerken die Sozialwissenschaften, genauer die Sozialwissenschaften in der imperialen Welt, die Existenz einer sozialen Welt jenseits ihrer eigenen nationalen Gesellschaften, auch überhaupt nur dann und weil und nachdem die Wissenschaftspolitik ihrer imperialen Staaten Wissenschaft als neuen Hebel für den globalen Wettbewerb um wirtschaftliches Wachstum und um globale politische Macht entdeckt hat und deswegen auch die Sozialwissenschaften dazu antreiben, ihre Aktivitäten auf die soziale Welt jenseits ihrer nationalen Gesellschaften auszuweiten. Die Tatsache, dass es in der Tat die nationalen Wissenschaftspolitiken in den imperialen Staaten waren, die, mit der Wissenschaft als Ganzes, auch die Sozialwissenschaften zu mehr internationaler Arbeit motivieren mussten, sagt alles über das Denken über die soziale Welt der Sozialwissenschaften in den imperialen Staaten der Welt. Es brauchte und braucht offensichtlich solche politischen Vorgaben, damit sozialwissenschaftliches Denken nach 200 Jahren Sozialwissenschaften eine Ära der „Globalisierung“ entdeckt, geradezu als ob bis dahin die Welt aus gegeneinander abgeschotteten nationalen sozialen Biotope bestanden hätte, die nichts miteinander zu tun haben.2

Für die Sozialwissenschaften, namentlich in den imperialen Staaten, ist ihre Entdeckung der Existenz einer sozialen Welt jenseits ihrer nationalen Gesellschaften, nachdem ihre Politik sie dort hingeschoben hat, daher nach wie vor ein Ausflug in ein in diesem Sinne kategorisch exotisches Anderswo. Trotz all der Debatten über die Notwendigkeit sozialwissenschaftliches Denken zu globalisieren oder zu internationalisieren, der wesentliche Teil der sozialwissenschaftlichen Theorieproduktion produziert weiterhin Wissen, das nicht nur weiterhin die weltfremde Vorstellung von Theorien über national isolierte Gesellschaften als Basis ihres Theoretisierens pflegt, sondern der auch weiterhin sozialwissenschaftliches Wissen produziert, das durch Sichtweisen entsteht, die alles Soziale durch die besonderen, meist historischen, Formen der Konstruktion von Nationalstaatlichkeit der imperialen Staatenwelt interpretiert und, wie später gezeigt werden wird, diese national konstruierten Theorien aus den imperialen Gesellschaften als Beitrag zu ihrer Globalisierung einbringen. Theorien, die auf der Suche nach Erklärungen für soziale Phänomene der nationalen Gesellschaften auf die Notwendigkeit stoßen, dafür die Staatenwelt studieren zu müssen, oder die gar die mit der staatlichen Souveränität praktisch definierten Phänomene als Praktiken nationaler Politik erkennen und deswegen ihr sozialwissenschaftliches Denken auf die Staatenwelt als Ganzes richten, anderswo auch Imperialismus genannt, bleiben nach wie vor eine Ausnahme und genießen eher den Ruf wissenschaftlichen Exotismus, trotz, oder besser wegen all der Debatten über eine „Globalisierung“ der Sozialwissenschaften. Und dass dies, die Nationalisierung von sozialwissenschaftlichem Denken dank seiner Globalisierung, das ist, was ihre „Globalisierung“ ausmacht, das wird später an den Produkten ihrer „globalisierten“ Theoriebildung gezeigt werden.

Weniger inspiriert durch ihre intellektuelle Neugier darüber, was in der Welt passiert, ganz zu schweigen von der Entdeckung theoretischer Notwendigkeiten, soziale Phänomene nur durch das Denken über sie als in einer imperial gemachten Welt verstehen zu können, Sozialwissenschaften, die von ihren nationalen politischen Eliten aufgefordert und gedrängt werden, natürlich nicht dazu, die soziale Welt als Ganzes jenseits der nationalen Inseln zu analysieren, sondern dazu, sich daran zu beteiligen, die nationalen Wissensressourcen als attraktive Ressource für nach Anlagen suchendes globales Kapital zu präsentieren, diese ziemlich profane Aufgabe, Wissenschaft als Quelle für internationale Geschäftsanlage zu präparieren, als neue Herausforderung einer diskreten „Globalisierung“ als ein von allen politischen und ökonomischen Kalkulationen bereinigtes, quasi zweckfreies, rein wissenschaftliches, selbstkritisch präsentiertes Gebot einer Globalisierung der Sozialwissenschaften zu präsentieren, verrät gleichwohl, dass die theoretische Beschäftigung mit einer nationalstaatlich konstruierten Welt jenseits der individuellen nationalstaatlichen Gesellschaften für Sozialwissenschaften offenkundig ein bisher unbekanntes Phänomen und Betätigungsfeld ist, insbesondere für die Sozialwissenschaften in der imperialen Staatenwelt jenseits der USA.

Konsequenter Weise, und dies ist das nächste Paradoxon „globalisierten Denkens“ besteht das internationalisierte oder globalisierte sozialwissenschaftliche Wissen, das sich mit dem neu entdeckten Staatenwelt beschäftigt, wie bisher aus immer national konstruiertem Wissen: Die geläufigste Art und Weise über das neu entdeckte globale Soziale zu reflektieren, die sozialwissenschaftlichem Denken in den Sinn kommt, besteht im Vergleich von national konstruierten Wissenseinheiten über immer a priori strikt national definierte soziale Phänomene. Man muss dem wohl entnehmen, dass den Sozialwissenschaften, mit der Aufgabe konfrontiert, sich mit der Welt jenseits ihrer theoretischen Konstrukte einer Welt staatlich abgeschotteter sozialer Phänomene zu befassen, einfach nichts anderes in den Sinn kommt, anders über die Welt zu reflektieren, als einer Vervielfältigung dessen, was sie schon immer gemacht haben, nämlich nun über die Multiplizität von immer national vorgestellten Gesellschaften zu theoretisieren, dass dieses Denken über die Welt von staatlichen Gesellschaften sich diese Vergleiche also immer nur als das bloße Nebeneinander national konstruierter Theorien vorzustellen imstande ist. Geradeso als ob es nicht das Verhältnis der Staaten zueinander wäre, das die Gesellschaften in den Staaten zu dem macht was sie wesentlich ausmacht, scheint den Sozialwissenschaften beim vergleichenden Blick auf die Welt von Staaten nichts anderes in den Sinn zu kommen, als Theorien über individuelle staatliche Phänomene additiv nebeneinanderzustellen, ganz so als hätten diese staatlichen Gesellschaften der Staatenwelt nichts miteinander zu tun.

De-Kolonialisierung der Sozialwissenschaften

Neben dem Diskurs über eine „Globalisierung“ der Sozialwissenschaft gibt es ebenso mit 50jähriger Verspätung gegenüber der Verwandlung der kolonialisierten Teile der Welt in Nationalstaaten und Marktwirtschaften einen weiteren weltweiten Diskurs, den über die „De-Kolonialisierung“ der Sozialwissenschaften, der von Sozialwissenschaftlern aus den sogenannten Entwicklungsländern dem Diskurs über eine „Globalisierung“ entgegengestellt wird und in dem diese Wissenschaftler darauf insistieren, dass sozialwissenschaftliches Denken, das seine Theorien über die soziale Welt aus der Perspektive der imperialen Welt kreiere, ein Bild von der Welt ist, das sich nur Sozialwissenschaften in der imperialen Welt zurechtlegen können.

In der Tat muss es für Sozialwissenschaften in Ländern, in denen es nicht ein einziges soziales Phänomen gibt, das seine Eigenarten nicht durch die Abhängigkeit dieser Ländern von der imperialen Welt bezieht, eine seltsame Idee jener „zombie“-Wissenschaft sein, die davon ausgeht das Soziale in einem Land könnte als von der Staatenwelt unberührte Größe gedacht werden und die die soziale Welt jenseits ihrer national definierten Gesellschaften überhaupt erst dann zu registrieren imstande ist, nachdem diese ihrerseits staatliche Gesellschaften geworden sind.

Aus der Sicht des Denkens über die Gesellschaften in diesen Ländern, die zwar in formeller Hinsicht ihrerseits auch nationalstaatliche Gesellschaften sind, die aber nationalstaatliche Gesellschaften darstellen, in denen die politische wie ökonomische Substanz ihrer Gesellschaften unter dem Kommando imperialer Staaten steht und zum Dienste der imperialen Staaten hergerichtet sind, muss es, so möchte man jedenfalls meinen, als eine seltsam illusionäre Vorstellung anmuten, sich ihre Gesellschaften als von einem individuellen Staat exklusiv gestaltete und von anderen Staaten unberührte Gesellschaft vorstellen zu wollen, so wie es das sozialwissenschaftliche globalisierte Denken in der imperialen Welt es sich in seinem Nebeneinander von vergleichenden Theorien, die nichts vergleichen, zurechtlegen will.

Gleichwohl, anstatt irgendwelche Irritationen über die Erklärungskraft von sozialwissenschaftlichen Theorien auszulösen, die solche illusionären Bilder von der sozialen Welt kreieren, und anstatt dann deren Theorien zu überprüfen, fällt den Verfechtern einer De-Kolonialisierung des sozialwissenschaftlichen Denken nicht nur nicht ein, die Theorien der Wissenschaften aus der imperialen Welt zu widerlegen, sondern sie reklamieren ihrerseits Theorien zu entwickeln, die auf ihre Weise ebenso national inspirierte Sichtweisen ihrer Gesellschaften jenen Theorien über die nationalen Gesellschaften der imperialen Ländern entgegenstellen.

Es muss wohl so sein, dass sozialwissenschaftliches Denken selbst in diesen Ländern einfach nicht zu wissen scheint, wie sozialwissenschaftliches Wissen, das nicht durch die Sicht staatlicher Definitionen dessen, was nationalstaatliche Gesellschaften sind, bestimmt ist, was solches Denken über die Welt staatlicher Gesellschaften eigentlich sonst sein könnte. Es scheint wohl so zu sein, dass das es die Natur sozialwissenschaftlichen Denkens mit sich bringt, das Denken über nationalstaatliche Gesellschaften mit einem Denken durch die Sichtweise der sozialen Konstrukte, vornehmlich durch die des Staates selbst, solcher nationalstaatlichen Gesellschaften gleichzusetzen und dass die einzige Form dieser Sorte Denkens über diese Welt von staatlichen Gesellschaften die ist, sich eine Welt von nationalstaatlich gebauten Gesellschaften nicht anders als die bloße Addition von Theorien über solche sozialen Biotope vorstellen zu können.

Die postkolonialen Debatten, machen mit ihren Beiträgen und Anliegen diese Diskurse noch paradoxer. Führt man sich nämlich die kritischen Debattenbeiträge aus den „de-kolonialisierten“ Sozialwissenschaften, die aus den ehemaligen kolonialisierten Ländern kommen, vor Augen, dann muss man feststellen, dass deren wortradikalen Einwände wie die über „scientific power“, über wissenschaftliche „inequalities“, einen „scientific imperialism“ und ähnliche Einlassungen, dass all diese kritischen Beiträge ihrerseits nicht nur immer mit national konstruierten Wissenschaftssubjekten operieren, sei es die Idee einer Wissenschaftswelt, die aus einem „North“ gegen ein „South“ besteht, oder aus einem „local versus global“, oder aus einem Eurozentrismus, respektive einem Occidentalismus, alle diese von den post-kolonialen Debatten konstruierten Subjekte und Gegenstände ihrer Theoriebildung erweisen sich ihrerseits als Konstruktionen desselben sozialwissenschaftlich geschulten Denkens jener Globalisierungsdebatten, die wie dort aus einer Agglomeration einzelstaatlicher Gesellschaften bestehen – anstatt irgendwelche Zweifel daran zu artikulieren, dass die sozialwissenschaftlichen Theorien über die Welt von staatlichen Gesellschaften mit ihrer a priori Unterstellung operieren, diese als von der Welt der Nationalstaaten abgetrennten, biotopischen Gesellschaften glauben verstehen zu können, um solche Theorien als offenkundige Trugbilder imperialer Weltsichten zurückzuweisen.

Noch ohne sich die Argumente der Debatten über das, was die De-Kolonialisierung der Sozialwissenschaften sein soll, anzuschauen, zeigen schon die in den Vorwürfen gegenüber dem „globalisierten“ Denken zentralen Kategorien, dass das Gegenteil der Fall ist: Engagiert in dem Anliegen, der neu entdeckten wissenschaftlichen Herausforderung jener „Globalisierung“ sozialwissenschaftlichen Denkens ihren Diskurs einer De-Kolonialisierung entgegenzustellen, interpretieren diese kritischen Einwände mit ihrer De-Kolonialisierungsdebatte ihre Einwände als ein Plädoyer für mehr „lokale“ Theorien, für ein mehr national konturierten Denkens als kongeniale Beiträge aus den ehemaligen kolonialisierten Ländern, und reklamieren mit dieser seltsamen Kritik, an der Kreation und an den Debatten über ein neues globales Denken mit so als gleichwertig anerkannten Beiträgen mit ihrerseits national konstruierten Theorien über ihre immer national gefassten Gesellschaften mitwirken zu können.

Die alternative Debatte zur „Globalisierung“ der Sozialwissenschaften, die dieser ihre „De-Kolonialisierungsdebatte“ gegenüberstellt, weiß diese Abgrenzung der Sozialwissenschaften in der ehemals kolonialisierten Welt mit ihrem Vorwurf des „Eurozentrismus“ gegenüber den Theorien aus der imperialen Welt dann auch nicht anders als die Befreiung ihres Denkens von Theorien darzustellen, denen erstmal ausdrücklich die Erklärungskraft für die europäischen Gesellschaften zugesprochen wird, und die dann für die Erklärung der nationalen Gesellschaften der ehemaligen kolonialen Welt aber auf ihre nationalen Gesellschaften zugeschnittene Theorien einfordert, also das Prinzip der Betrachtung der Welt als individuelle nationale Gesellschaften, die im „globalisierten“ Denken durch nationalstaatliche Sichtweisen betrachtet werden, nicht als Hirngespinst oder gar Fehler der Sozialwissenschaften der imperialen Welt zurückweist, sondern ausdrücklich weiterentwickelt und so diese nationalspezifische Sichtweise mit ihrer Kritik, die keine dieser national inspirierten Theorien kritisieren wollen, bestätigt.

Damit aber nicht genug: Um ihre post-kolonialen sozialwissenschaftliche Theorien zu produzieren, hypostasieren diese selber wie das „globalisierte“ sozialwissenschaftliche Denken nicht nur ihrerseits national konturierte Untersuchungsfragestellungen beim Denken über ihre Gesellschaften, das de-kolonialisierte sozialwissenschaftliche Denken, das Denken in der ehemaligen kolonialisierten Welt, das nach ihrer Verwandlung in Staaten allen Grund hätte, die Welt der Staaten und ihren Imperialismus in Augenschein zu nehmen, weil ihre Gesellschaften allzu offensichtlich nur durch die imperialen Staaten sind was sie sind, gehen die Verfechter einer De-Kolonialisierung sozialwissenschaftlichen Denkens noch eine Schritt weiter in Richtung eines national vorbestimmten Denkens, indem sie dieses Denken über national konturierte Gegenstände und Forschungsfragestellungen als ein Denken propagieren, das seine Theorien nur durch theoretisch exklusive „lokale“ Perspektiven konstruieren können soll, „lokale“ Betrachtungsweisen, die sich nur denjenigen erschließen, die diese exklusive, nationale Sichtweise dank ihrer Zugehörigkeit zu diesen nationalen Gesellschaften teilen – mit dem Ergebnis, dass diese Sorte lokal exklusiver Theorieproduktion, vom post-kolonialen Denken indigene Wissenschaften genannt, über national präkonfigurierte und durch national voreigenommenes Denken interpretierte soziale Phänomene, mit solchen explizit national inspirierten Theorien ihren Beitrag zu jener globalisierten Wissenschaftswelt als darin post-kolonialisierten theoretischen Beitrag zur Theoriebildung macht – und damit dieses post-koloniale Denken endgültig zu einer fragwürdigen theoretischen Angelegenheit macht.

Wenn dann auch noch namhafte Vordenker dieses De-Kolonialisierungsprojektes aus den ehemaligen Kolonialstaaten, wie etwa Aimé Césaire in seinem „Discourse on Colonialism“3,die imperialen Staaten für ihre Untaten moralisch geißeln, um sich über diese moralische Verurteilung zu den hartnäckigsten Verfechtern der humanistischen Ideale der Staatsidee vorzuarbeiten, ganz so als wären je die moralischen Selbstbildnisse von Staaten, die sozialwissenschaftliche Denker und Dichter wie Césaire diesen gerne anhängen, die Maßstäbe für irgendeine Staatsräson, dann gehören diese Produkte post-kolonialen Denkens sicher zu den trostlosen Höhepunkten der Geschichte sozialwissenschaftlicher Denkleistungen und werfen die Frage auf, was es mit diesem de-kolonialisierten Denken auf sich hat, das sich den Staatsideen jener Staaten verschrieben hat, die unter dem Titel dieser Staatsideale mit ihrem alten Kolonialismus und ihrem neuen Imperialismus für das Elend in diesen Staaten verantwortlich sind und die mit ihren Kriegen die Aufrechterhaltung ihrer Oberhoheit über diesen de-kolonialisierten Teil der Staatenwelt sicherstellen.

Alle diese Merkwürdigkeiten des „globalisierten“ und „postkolonialen“ Theoretisierens in den Sozialwissenschaften sind Grund genug, sich nicht nur diese Debatten einmal näher anzuschauen und zu fragen, was die Theorien, die unter den Maximen dieser beiden Nachkriegsdebatten produziert worden sind, kennzeichnet, sondern darüber hinaus die Frage aufzuwerfen, was eigentlich die Natur des sozialwissenschaftlichen Denkens ist, das nicht nur solche Debatten hervorbringt, sondern das auch die Notwenigkeit, sein Denken auf die Welt richten zu müssen erst dann entdeckt, wenn die Welt eine Welt von Staaten geworden ist; und ein Denken ist, das dann über die Welt staatlicher Gesellschaften offensichtlich nicht anders zu denken imstande zu sein scheint, als sich die Welt dieser staatlichen Gesellschaften wider aller alltäglichen Erfahrung als voneinander unberührte nationale Biotope zurechtzulegen, um über diese so vor-konstruierten Gesellschaften dann in diesem „globalisierten“ ebenso wie im „postkolonialen“ Denken mit nationalistischen Perspektiven zu reflektieren.

Die Ergebnisse dieser Reflektionen werden in zwei Bänden unter dem Titel „Die Sozialwissenschaft der Bürgergesellschaft“ vorgestellt.

Im ersten Buch über die „Kritik der Globalisierung- und De-Kolonialisierung der Sozialwissenschaften“ werden diese zentralen Nachkriegsdiskurse sozialwissenschaftlichen Denkens und ihre Hinterlassenschaften für die Wissenschaft in den folgenden fünf Kapiteln diskutiert:

1. Die „Globalisierung“ der Sozialwissenschaften – die Einführung nationalistischen Denkens in das sozialwissenschaftliche Denken

2. Die weltweite Durchsetzung der Sozialwissenschaft der Bürgergesellschaft durch ihre „De-Kolonialisierung“

3. Vom Leben in einer Welt aus Bürgergesellschaften und seine sozialwissenschaftlichen Idealisierungen

4. Nationale Identität stiftendes Wissen – Beiträge zur ideologischen Aufrüstung von Staaten

5. In der global denkenden post-kolonialen Wissenschaftswelt

6. Alte und neue Fehler und ihre Quellen: Theoretische Hinterlassenschaften der Globalisierungs- und De-Kolonialisierungsdebatten unter der Vorarbeit des HistoMat

Buch 2 mit dem Titel „Die Natur der Sozialwissenschaft der Bürgergesellschaft – Skizzen einer Theorie“ analysiert dann die Eigenarten der Natur sozialwissenschaftlichen Denkens in vier Kapiteln

1. Architektur und begriffliche Grundlagen des disziplinären Denkens

2. Denkformen des telelogischen Denkens – Fortschritte des sozialwissenschaftlichen Theoretisierens über sich selbst

3. Der Diskurs über und der Fortschritt von sozialwissenschaftlichem Wissen

4. Jenseits des sozialwissenschaftlichen Denkens

1 Eine „zombie science“ ist das sozialwissenschaftliche Denken nach Beck, weil es einen „methodischen Nationalismus“ praktiziert. Dieser Vorwurf eines „methodischen Nationalismus“ kritisiert wohlgemerkt nicht nationalistisches Denken, sondern will sagen, dass das Denken „kosmopolitisch“, also sich auf die Welt jenseits individueller nationaler Gesellschaften richten müsse und dieser Kosmopolitanismus verträgt sich bestens mit nationalistischem Denken, ja ist, wie man später sehen wird, der von Beck gepriesene clevere Nationalismus. (Siehe hierzu auch Kapitel 4 in diesem Buch) http://www.ulrichbeck.net-build.net/index.php?page=cosmopolitan, zuletzt aufgerufen am 16.06.2018.

2 Nicht zufällig machen die Sozialwissenschaften in dem imperialen Staat, der die Oberaufsicht über die imperiale Staatenwelt innehat, den USA, hier eine Ausnahme. Lange vor den Diskussionen über die Notwendigkeit einer Globalisierung der Sozialwissenschaften wussten die Sozialwissenschaften in den USA mit dem Aufstieg ihres Landes zur globalen Weltmacht von der Welt jenseits ihrer nationalen Gesellschaft und entwickelten die Idee von „area studies“, die aus ihren imperialen Missionen kein großes Aufheben machen. Die weltfremde Idee einer sozialen Welt, die als Staatenwelt eingerichtet worden war, sich als eine soziale Welt von voneinander unberührten sozialen Einheiten vorstellen zu wollen, ist das Privileg der Sozialwissenschaften in den imperialen Staaten, die unter der globalen Oberhoheit der USA ihre imperiale Politik vor Allem als globale Wirtschaftspolitik praktizieren und die daher von ihrer nationalen Wissenschaftspolitik, den Weckruf erhalten müssen, ihre Wissenschaft zu „internationalisieren“, nachdem deren Wirtschaftspolitik bemerkt hatte, dass Wissenschaft zu einem neuen Hebel im globalen Kampf des Kapitals um Märkte geworden war.

3 Aimé Césaire, Discourse on Colonialism, Monthly Review Press, New York 1972

1. Die „Globalisierung“ der Sozialwissenschaften – die Einführung nationalistischen Denkens in das sozialwissenschaftliche Denken

Für das sozialwissenschaftliche Denken ist eine theoretische Herausforderung, wenn ihm abverlangt wird, jenseits seiner nationalen Gesellschaften zu theoretisieren, insbesondere für die Sozialwissenschaften in den Ländern, in denen sie entstanden sind. Nach einer mehrere Jahrhunderte dauernden Periode der Kolonialisierung der Welt, mit der Ausbeutung der kolonialisierten Welt als ökonomische Basis für die politische und ökonomische Machtbasis der Herrschaft der kapitalistischer Staaten Europas, mehr als ein weiteres halbes Jahrhundert nach Einrichtung des US-Modells von Imperialismus, unter dessen Regime die ehemaligen Kolonien nun zu Teilnehmern an dem globalen Kampf von Nationalstaaten um politische und ökonomische Macht umgestaltet wurden, das Nachkriegsmodell von Imperialismus mit einer Welt, die nun aus einer Welt aus Staaten besteht, die, von wenigen Ausnahmen abgesehen, alle nach dem Muster der Staatsräson des amerikanischen Konzepts von Nationalstaaten konstruiert sind, eine Welt, unterschieden in imperiale Staaten und Staaten, die unter dem Kommando der imperialen Staaten stehen, darunter viele, wie die ehemaligen Kolonien, die eher nur in einem formalen Sinn souveräne Staaten sind, alle unter der Oberaufsicht der amerikanischen Weltmacht stehend dazu verpflichtet, einer global agierenden Geschäftswelt als Anlagesphäre zu dienen und ihre politischen Machtmittel aus diesem Dienst am globalen Wachstums des Kapitals zu beziehen und diese Machtmittel nach Innen und Außen an nichts anderem als an diesem Dienst auszurichten, braucht es gleichwohl eine weiteres halbes Jahrhundert, damit die Sozialwissenschaften in der imperialen Welt darauf stoßen, dass es eine soziale Welt jenseits ihrer nationalstaatlichen Gesellschaften gibt, eine soziale Welt, die sie nun, selbstkritisch meinen nicht weiterhin ignorieren zu dürfen.

Insbesondere die Sozialwissenschaften in den imperialen Staaten Europas entdeckten so die Notwendigkeit einer – wie sie es selber nennen – Internationalisierung oder Globalisierung der Sozialwissenschaften – eine Internationalisierung, die sie fortan als Vergleich von Theorien über nationalstaatliche Gesellschaften in die Tat umsetzen.

Dass diese „Globalisierung“ sozialwissenschaftlicher Theoriebildung nicht als Schlussfolgerung aus irgendwelchen Mängeln in der Theoriebildung begründet wird, sondern wie ein wissenschaftliches Gebot daherkommt, hat seinen Grund darin, dass diese als Selbstkritik vorgetragene Notwendigkeit einer „Globalisierung“ sozialwissenschaftlicher Theoriebildung auch nur die beschönigende Umschreibung dessen ist, dass es gar nicht die Sozialwissenschaften waren, die die Existenz einer sozialen Welt jenseits ihrer individuellen nationalen Gesellschaften im Denken über ihre Gegenstände herausgefunden hatten. Es waren die Wissenschaftspolitiken in den imperialen Ländern, namentlich in Europa, später gefolgt von denen in den übrigen Ländern der imperialen Welt, wie in auch in einigen ökonomisch gewichtigeren „Schwellenländern“, die die von ihnen beaufsichtigten Wissenschaften dazu veranlasst haben, ihr Theorieproduktion auch auf die soziale Welt jenseits ihrer nationalen Hoheitsgebiete auszurichten und sozialwissenschaftliches Wissen auch über andere Nationalstaaten und ihre Gesellschaften zu kreieren, insbesondere über jene, an denen diese Wissenschaftspolitiken ein politisches oder ökonomisches Interesse für angezeigt gehalten hatten.

In der Tat, die Auswahl von Gesellschaften und Staaten, auf die sich dann dieses wissenschaftliche Interesse an „globalisiertem“ Wissen richtet, kann man unschwer als Auswahl der Staaten erkennen, auf die diese nicht durch ein wissenschaftliches Interesse gestoßen sind, sondern an denen Staaten der imperialen Staatenwelt ein besonderes politisches oder wirtschaftliches Interesse haben, wie etwa der aus der Sicht der Europäischen Union missliche Umstand, dass bestimmte Staaten unter dem ausschließlichen Zugriff eines konkurrierenden imperialen Staates stehen, den USA, den zu bestreiten andere imperial ambitionierte Mächte angetreten sind, wie etwa die besagte Europäische Union, und diese nicht wegen eines wissenschaftlichen Interesses, sondern aus politischen und ökonomischen Gründen. Dabei ein bisschen mithelfen, dazu dürfen auch die Sozialwissenschaften ihren Beitrag leisten. Das neu entdeckte wissenschaftliche Interesse der Europäer an Latein Amerika, mit dem diese, wie in ihren Förderprogrammen nicht verschwiegen wird, das Zugriffsmonopol der USA nicht nur in Angelegenheiten der Wissenschaft infrage zu stellen versuchen, oder das Interesse der Japanischen Sozialwissenschaft an Südostasien, seinerseits in die richtige Richtung durch entsprechend ausgerichtete Förderprogramme gelenkt, sprechen Bände und mögen hier nur als zwei Beispiele dafür dienen, warum die Selbstkritik der Sozialwissenschaften nur das politisch gesteuerte Interesse ist, das von ihr zu einem wissenschaftlichen Auftrag, der ohnehin seltsamen Entdeckung der Existenz einer sozialen Welt jenseits der imperialistischen Staatenwelt, überhöht wird.

Und auch dieses ist noch nicht die ganze Wahrheit über die Gründe, warum Sozialwissenschaften eine neue Epoche internationalisierten sozialwissenschaftlichen Denkens ausgerufen haben. Denn es waren eigentlich nicht mal die Wissenschaftspolitiken in den imperialen Ländern, die ihre Wissenschaften auf die globale Entdeckungsreise über die soziale Welt jenseits ihrer nationalen Hoheitsgebiete gedrängt haben. Tatsächlich war es die global agierende Geschäftswelt, die schon immer die begrenzten Territorien von Nationalstaaten als Behinderung ihrer Geschäftsaktivitäten betrachtet hat und schon immer daran gearbeitet hat, zur Beseitigung der Einschränkungen ihrer Geschäfte auf die Märkte ihrer Nationalstaaten in den nationalstaatlichen Obrigkeiten und in dem Interesse dieser imperialen Staaten an der Ausweitung ihrer politischen Macht über andere Staaten ihren kongenialen Mitstreiter gefunden haben, mit dem Ergebnis, dass die heutige Welt zu einer Welt für die Geschäftswelt hergerichtet worden ist. Sodass, seitdem dieses globale Kapital, das den Globus wie seine Bewohner als seine Mittel für dessen Wachstum behandelt, mit der Entwicklung von neuen Technologien, bei denen die Natur- und Ingenieurwissenschaften für ihre Wettbewerbsfähigkeit eine maßgebliche Rollen spielen, diese globale Geschäftswelt die Wissenschaft insgesamt als Geschäftsmittel, und damit auch nolens volens die Dienstleistungen der Sozialwissenschaften, schätzen gelernt hat. Und erst in Folge der Entdeckung des Interesses der globalen Geschäftswelt an der Wissenschaft als wichtigem Hebel für ihre Geschäftsinteressen, haben die Wissenschaftspolitiken damit begonnen, ihre Hoheit über die Wissenschaften dazu zu benutzen, diese als Mittel der imperialen Staaten im Kampf untereinander um ihre Attraktivität für diese globalen Geschäftsinteressen auf dieses Ziel neu auszurichten. In diesem Sinne bemerken die Wissenschaftspolitiken das neue Interesse der „Märkte“ an der Wissenschaft, bedienen diese, erwecken diese aus dem nur dafür neu interpretierten Vorwurf vom Dasein im „Elfenbeinturm“, der die Ziele der bisherige Wissenschaftspolitik und deren Wissenschaftskonzept der Wissenschaft als Vorwurf an deren Weltfremdheit reinreibt, und krempelt die gesamte Wissenschaft und ihre Form der Institutionalisierung in Einrichtungen für den markmäßigen Wettbewerb um für die Geschäftswelt nützliches Wissen auf einem globalen Wissensmarkt um. Nur seitdem und nur weil die internationale Geschäftswelt ihr Interesse an Wissenschaft als Hebel für ihre weltweiten Geschäftsinteressen eingerichtet wissen will, haben die von der Wissenschaftspolitik initiierten Reformen der Wissenschaftsszene diese auf diese Interessen des globalen Kapitals an Wissenschaft neu ausgepeilt und im Sinne dieser Interessen reformiert.

Um diese Neuausrichtung der Wissenschaft zu gewährleisten, haben die nationalen Wissenschaftspolitiken in den imperialen Staaten, unter fachkundiger Beratung durch die Geschäftswelt, ihre Wissenschaftsszenen in eine politisch kontrollierte nationale ökonomische Ressource nach Maßgaben der Geschäftswelt und ihrer Denke umgestaltet und ihre Wissenschaften durch entsprechende Angebote dazu genötigt, Wissenschaft als Beitrag der Staaten für ihre Herrichtung als attraktiver Standort für die globale Geschäftswelt als nationalen Wissensmarkt umzugestalten, ein nationaler Wissensmarkt, den soziologisches Denken emphatisch und im fashionable global-deutsch zum eingebildeten Subjekt einer „national science community“ hochstilisiert. Für dieses Projekt eines nationalen Wissensmarktes als „Player“ auf dem globalen Markt um Wissen als Hebel der globalen Geschäftswelt, hat die Wissenschaftspolitik nicht nur den institutionellen Rahmen des Wissenschafts„geschäfts“(!) umgekrempelt, diesem gleich marktmäßige Organisationsstrukturen aufgedrückt und dem wissenschaftlichen Wissen selber die Maßgaben einer marktfähigen Ware versucht aufzuzwingen (siehe alle einschlägigen Debatten und Maßnahmen unter dem Titel Eigentumsrechte an Wissen); als eher diskrete Folgeerscheinung dieser Neuausrichtung der Wissenschaft als Ware, hat sich die gesamte Begriffswelt der sozialwissenschaftlichen Debatten, keineswegs nur über die Wissenschaftspolitik, die bis dahin auf ihrer Unabhängigkeit von Geschäft und Politik insistierte, sondern auch über davon eher unberührte soziale Bereiche in einer Sprache runderneuert, die das Soziale insgesamt bespricht, als wäre nicht nur der Bereich des Wissenschafts- und Erziehungswesens eine Geschäftssphäre, sondern als wäre jeder Bürger eine Art „global player“.1

Wie im sozialwissenschaftlichen Denken üblich, die von der Politik kreierten sozialen Probleme der Bürger in Hilfen für die Probleme von Bürgern zu verwandeln, veredelt es seine ihm von der Politik aufgetragenen neuen ökonomischen Missionen in der globalen Wissenschaftswelt, als Weiterentwicklung sozialwissenschaftlichen Denkens hin zum „globalisierten“ Denken, das sich endlich selbstkritisch zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Welt durchgerungen hat.

1.1 Nicht-globalisierte Theorien

Sozialwissenschaftliches Denken vor seiner „Globalisierung“ besteht in der Idealisierung staatlicher Gesellschaften und ihrer politischen Gewalt. Was nicht „globalisiertes Denken“ als staatsidealistisches Denken, also ein Denken, das eine staatlichen Gesellschaften angedichtete Staatsräson zur Grundlage seiner Theorien macht, jenseits eines nationalistischen, wissenschaftlichen Denkens, also einem Denken, das sich die Selbstdarstellungen individueller nationalstaatlicher Gesellschaften zu eigen macht, vor diesem methodischen Übergang zum „Globalisierten“ Denken auszeichnet, soll an einigen Beispielen dargestellt werden.

Denken aus der Sicht der Bürger – Theorien als Rezeptur für den domestizierten Materialismus

Auf die sozialwissenschaftliche Sicht auf die staatlichen Gesellschaften durch die Sicht der Untertanen dieser Gesellschaften sind, neben der Psychologie, Erziehungswissenschaftler spezialisiert.

Als sozialwissenschaftliche Denker ganz der „concrete reality“ (Weber) verpflichtet und mit der Vergewisserung, sich nicht mit einer erfundenen, sondern dem Pleonasmus einer wirklichen Wirklichkeit zu befassen, sich also die wirklichen sozialen Anliegen als Anliegen ihres Theoretisierens über sie zu eigen zu machen, verpflichtet sich das sozialwissenschaftliche Theoretisieren dazu, die praktischen Anliegen der sozialen Subjekte zur Leitlinie seines Denkens zu machen und damit Fragen nach dem warum, wieso, weshalb als mythologisch spekulative theoretische Anliegen einer nicht-wirklichen Wirklichkeit von sich zu weisen, die nichts mit der so propagierten Sorte Wissenschaft über das wirklich Wirkliche zu tun haben.

Theorien als Reproduktion der darin wirklichen Wirklichkeit, dass diese sich ihrer Anliegen annimmt und sich untersagt, zu fragen, warum wer diese eigentlich hat, formuliert ein Sorte sozialwissenschaftliches Denken, in dem nicht nur die staatlich konstruierte Welt den Gegenstand, das Untersuchungsobjekt, sozialwissenschaftlichen Denkens konstituiert, sondern dieses ist ein Denken, das mit seiner Programmatik der Selbstverpflichtung auf die gegebene Realität, also seines methodischen Affirmatismus, sich auch darauf festlegen möchte, sich die wirkliche Wirklichkeit, also diese gegebene soziale Realität als analytische Betrachtungsweise, also sich den Blick auf diese Realität durch die in dieser Realität gegebenen Sichtweisen dieser Realität zu eigen zu machen. Kein Wunder, dass ein Denken, das solche Selbstvergewisserung und Selbstversicherung seines methodischen Affirmatismus sich nicht nur den Idealismus seiner Theoriebildung einhandelt, den sie mit ihrem Pleonasmus, sich nur mit der wirklichen Wirklichkeit zu befassen so entschieden dementiert – und damit als die dieses Denken umtreibende Sorge bekundet, sondern auch einen Begriff von Realität, den sie Empirie nennt, einführt, der einem ziemlich mystischen Konzept von Realität, wie dem ihrer tatsächlichen Akteure entspringt.

Kinder, Studenten, Rentner, Arbeitnehmer, Steuerzahler, Arbeitslose, Unternehmer, Politiker, Familien, Wissenschaftler, all diese Subjekte sind nicht nur staatlich kreierte und regulierte Subjekte, sondern ihrer ganzen Natur nach Kreaturen staatlicher Definitionsgewalt. Auch wenn die individuelle Interpretation dieser Kreaturen im Rahmen dessen, als was sie definiert sind, der Interpretationsfreiheit dieser Kreaturen überantwortet ist, ihre Freiheit ist eben nicht mehr, als diese zu interpretieren und eine Theoriebildung, die sich auf die durch diese Interpretationsfreiheit entstehenden Betrachtungsperspektiven der sozialen Welt durch diese Subjekte verpflichtet, ist eine Theoriebildung, die sich damit vor allem Denken für das Denken diese Anliegen als Sichtweise ihres Denkens zu eigen macht.

Und es bedarf keiner wer weiß wie genialen Denkanstrengungen, der Verpflichtung, die Verwirklichung aller Lebensprojekte von der Verfügung über Geld abhängig zu machen, zu entnehmen, dass diese Verpflichtung nicht darauf abzielt, diesen Lebensprojekten zur Verwirklichung zu verhelfen. Der Umstand, dass man ohne Geld nichts bekommt, rechtfertigt nämlich nicht den Schluss, den der alltagspraktische Verstand gerne zieht und den diesem auch Ökonomen gerne als wissenschaftliche fundierte Einsicht bestätigen, dass es der Zweck des Geldes sein, die Bürger für ihre Lebensprojekte mit den dafür nötigen Dingen zu versorgen. Wenn dem so wäre, könnte man ja gleich die nützlichen Dinge des Lebens an die Leute verteilen und nichts wäre dafür überflüssiger als Geld. Dieselbe Erfahrung im Umgang mit Geld genügt nämlich auch, um wissen zu können, dass das ganze Gerenne nach Geld nur sicher stellt, dass das Geld sich dort vermehrt, wo schon mehr als genug – aus der Sicht solcher Lebensprojekte – da ist und von daher der Sinn und Zweck solcher auf Geld geeichten Gesellschaften, nicht die Versorgung mit Geld zum Zwecke der Realisierung von irgendwelchen Lebensprojekten ist, sondern die Vermehrung dieses komischen nutzenfreien Reichtums, der sich im von jedem Nutzen befreiten Zuwachs seiner selbst bemisst und nicht nur nicht daran, was man damit anfangen könnte, sondern diese Anliegen, durch Geld an die Dinge des Lebens zu gelangen, benützt, um den Geldreichtum selber zu vermehren.

Schwieriger als das aus der bloßen Erfahrung zu erschließen, ist es da schon, Tag auf Tag entgegen aller Erfahrungen darauf insistieren zu wollen, dass das Gerenne und Geacker für Geld doch dafür taugen muss, zu erreichen, was man sich im Leben so vornimmt, sei es auch nur dadurch, dass man sich diese Erfolgsrechnung dadurch beweist, dass man seine Lebensprojekte auf das begrenzt, wofür das Geld eben reicht, also sich sein Wissen genauso zurechtlegt, wie es die Verpflichtung auf den Erwerb von Geld als einzig erlaubte Form sein Leben zu leben verlangt. Das kann jeder mit sich selber ausmachen, ob und wie man sich vormacht, wofür die Marktwirtschaft und seine politischen Aufpasser eigentlich da sind und wofür nicht, wenn man damit konfrontiert ist, dass andere Ansichten als bloße Meckerei erlaubt, aber als praktische Alternative verboten sind.

Für das sozialwissenschaftliche Denken gelten solche ganz praktisch wirksamen Zwänge, sich die Welt im Sinne dessen was vorgeschrieben ist, zurechtzulegen nicht und ein wissenschaftliches Denken, das seine Theoriebildung dennoch auf dieselben, aus dem Nachdruck der praktischen Erpressung durch die eingerichteten Zwänge zurechtgelegten Betrachtungsweisen jener staatlichen Kreaturen gründen will, ohne dass es diesen Zwängen ausgesetzt wäre, ist ein Denken, das sich ganz ohne Zwang bevor es über irgendwas nachdenkt, auferlegt, das Denken auf das auszurichten, was die sozialen Definitionen der staatlichen Subjekte als im Sinne ihrer Zwecke formulierte Fragestellungen festlegen, also mit diesen Einlassungen auf die Sichtweisen der aus der Verfolgung dieser Zwecke geborenen Fragestellungen vorab auf solche Erkenntnisse zu verzichten, die sich auf keine vorab gewählte Sichtweise der Dinge verpflichten lassen.

Eine für diese Sorte Denken über die „concrete reality“ höchst gewöhnliche Gedankenfolge mag illustrieren, wie dieses Denken durch seine Adaption an die gültigen soziale Zwecke und seine Anliegen Theorien produziert, die die Betrachtungen der in diese sozialen Zwecke eingeschlossenen Subjekte staatlicher Provenienz reproduzieren und damit nicht nur all ihre falschen Überlegungen als wissenschaftliche Erkenntnis über sie wiederholen, sondern diesen mit dieser Reproduktion als wissenschaftliche Theorien ihrer Logik der erzwungenen Selbsttäuschung und Unterwürfigkeit die Weihe wohl begründeter Einsichten attestiert.

“If skill requirements increase, low skilled workers will be under increasing pressure, in the industrial sector and in some service sector. Demographic evolutions could reinforce this tendency.”2

„Wenn der Anspruch an Qualifikationen steigt, geraten gering qualifizierte Arbeitnehmer unter zunehmenden Druck, in den industriellen Wirtschaftssektoren und in einigen Dienstleistungssektoren. Demografische Entwicklungen können diese Tendenz verstärken.“ (MK)