Märchen für die Jugend - Heinrich Pröhle - E-Book

Märchen für die Jugend E-Book

Heinrich Pröhle

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Beschreibung

Erleben Sie die Märchen und Sagen aus aller Welt in dieser Serie "Märchen der Welt". Von den Ländern Europas über die Kontinente bis zu vergangenen Kulturen und noch heute existierenden Völkern: "Märchen der Welt" bietet Ihnen stundenlange Abwechslung. Ein Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis dieses Buches: 1. Dank ist der Welt Lohn. 2. Undank ist der Welt Lohn. 3. Der Fuchs und die Gans. 4. Das goldene Salzfaß, der goldene Haspel und der Tannenzweig. 5. Die Goldtochter und die Hörnertochter. 6. Die Zwergmännchen. 7. Bienchens Haus. 8. Von der Stadt Sedelfia und dem Vogel Fabian. 9. Von dem Schaaf, das eine Königstochter trug. 10. Das Rauhthier. 11. Wache, Wache, Ronde raus! 12. Der Husar und der Hirschwagen. 13. Der lustige Zaunigel. 14. Der alte Dudelsackspfeifer. 15. Der bunte Bauer. 16. Böse werden. 17. Das Ohrläppchen. 18. Von den ungetreuen Wirthstöchtern und von der Prinzessin mit goldnen Haaren. 19. Die beiden Oberjägermeister. 20. Horle-Horle-Wip. 21. Grafs-Heinrich. 22. Der gute und der böse Geist. 23. Die Uhr, die Flöte, das Rohr und der Hut. 24. Der große Peter. 25. Das Kirmes-Mädchen 26. Zauber-Wettkampf. 27. Halt fest. 28. Der Schraubstock, der Spannstuhl und die Tabackspfeife. 29. Johannes der Bär. 30. Sim-sim-seliger Berg. 31. Die gebleichte Hand. 32. Der Reiter in Seiden. 33. Die Räuberbraut. 34. Der Scharfrichter und die Handwerksburschen. 35. Der Fleischerknecht. 36. Der Edelmannssohn. 37. Räuber mahlen. 38. Der Maurerlehrling. 39. Das Mondenlicht. 40. Die Länder Knötchenbach, Kuhreibtsich, Katzenklapperich und Lammfälltsich. 41. Der Bettelmann, der Tod und der Teufel. 42. Der Jäger und die drei Brüder. 43. Die Sonne bringt es an den Tag. 44. Der böse Arzt. 45. Die geizige Schwiegertochter. 46. Wer todt ist, läßt sein Gucken. 47. Das Hündlein Angst. 48.

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Märchen für die Jugend

Heinrich Pröhle

Inhalt:

Heinrich Pröhle – Biografie und Bibliografie

Geschichte des Märchens

Vorwort.

1. Dank ist der Welt Lohn.

2. Undank ist der Welt Lohn.

3. Der Fuchs und die Gans.

4. Das goldene Salzfaß, der goldene Haspel und der Tannenzweig.

5. Die Goldtochter und die Hörnertochter.

6. Die Zwergmännchen.

7. Bienchens Haus.

8. Von der Stadt Sedelfia und dem Vogel Fabian.

9. Von dem Schaaf, das eine Königstochter trug.

10. Das Rauhthier.

11. Wache, Wache, Ronde raus!

12. Der Husar und der Hirschwagen.

13. Der lustige Zaunigel.

14. Der alte Dudelsackspfeifer.

15. Der bunte Bauer.

16. Böse werden.

17. Das Ohrläppchen.

18. Von den ungetreuen Wirthstöchtern und von der Prinzessin mit goldnen Haaren.

19. Die beiden Oberjägermeister.

20. Horle-Horle-Wip.

21. Grafs-Heinrich.

22. Der gute und der böse Geist.

23. Die Uhr, die Flöte, das Rohr und der Hut.

24. Der große Peter.

25. Das Kirmes-Mädchen

26. Zauber-Wettkampf.

27. Halt fest.

28. Der Schraubstock, der Spannstuhl und die Tabackspfeife.

29. Johannes der Bär.

30. Sim-sim-seliger Berg.

31. Die gebleichte Hand.

32. Der Reiter in Seiden.

33. Die Räuberbraut.

34. Der Scharfrichter und die Handwerksburschen.

35. Der Fleischerknecht.

36. Der Edelmannssohn.

37. Räuber mahlen.

38. Der Maurerlehrling.

39. Das Mondenlicht.

40. Die Länder Knötchenbach, Kuhreibtsich, Katzenklapperich und Lammfälltsich.

41. Der Bettelmann, der Tod und der Teufel.

42. Der Jäger und die drei Brüder.

43. Die Sonne bringt es an den Tag.

44. Der böse Arzt.

45. Die geizige Schwiegertochter.

46. Wer todt ist, läßt sein Gucken.

47. Das Hündlein Angst.

48. Der Hund Lilla.

49. Die kluge Hirtentochter.

50. Die Massachte.

51. Piep, piep.

52. Der Altgesell und der Schneiderlehrling.

53. Der beschämte Bäckermeister.

54. Es ist schon gut.

55. Hans-stich-den-Bock.

56. Die gesottenen Eier.

57. Ich diente dem Bauer wohl ein Jahr.

58. Der Nußbaum.

59. Der Bief auf dem Eichbaum.

60. Den Wind vergessen.

61. Den Segen vergessen.

62. Josef, wandere aus!

63. Barrabas.

64. Von dem Hirsch, dem Fisch und dem Schwan, die auf Gottes Wort horchen sollten.

Anhang.

A. Über den ethischen Gehalt der Märchen, mit besonderer Rücksicht auf die vorliegende Sammlung.1

B. Literarische und mythologische Anmerkungen zu den Märchen der vorliegenden Sammlung.

Märchen für die Jugend, H. Pröhle

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849603359

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Sweet Angel - Fotolia.com

Heinrich Pröhle – Biografie und Bibliografie

Schriftsteller, geb. 4 Juni 1822 in Satuelle bei Neuhaldensleben, gest. 28. Mai 1895 in Steglitz bei Berlin, Sohn des durch die Schrift »Kirchliche Sitten« (Berl. 1858) bekannten Pfarrers Heinrich Andreas P. (gest. 1875 in Hornhausen bei Oschersleben), studierte in Halle und Berlin Geschichte und Philologie, beschäftigte sich hierauf einige Zeit journalistisch und wirkte seit 1859 als Lehrer an der Louisenstädtischen Realschule in Berlin. Er hat sich besonders durch seine Schriften zur Volkskunde des Harzes bekannt gemacht: »Aus dem Harz« (Leipz. 1851, 2. Aufl. 1857), »Harzsagen« (das. 1853–56, 2 Bde.; 2. Aufl. in 1 Bd., 1886), »Unterharzische Sagen« (Aschersl. 1856), »Erzählungen aus dem Harzgebirge« (Berl. 1862) u. a. Ferner veröffentlichte er: »Kinder- und Volksmärchen« (Leipz. 1853), »Deutsche Sagen« (Berl. 1863, 2. Aufl. 1879), »Die Reformationssagen« (das. 1867); die Biographien von Friedr. Ludw. Jahn (das. 1855; neu bearbeitet von Euler, Stuttg. 1878–80), Bürger (Leipz. 1856); »Der Pfarrer von Grünrode«, ein Lebensbild (das. 1852); »Gedichte« (das. 1859); »Feldgarben«, Beiträge zur Kirchen-, Literatur- und Kulturgeschichte (das. 1859); »Patriotische Erinnerungen« (Berl. 1874); »Neue Lieder aus Wittenberg gegen Rom« (Wittenb. 1875); »Friedrich d. Gr. und die deutsche Literatur« (2. Ausg., Berl. 1878); »Lessing, Wieland, Heinse, nach den handschriftlichen Quellen in Gleims Nachlaß« (das. 1877); »Heinrich Heine und der Harz« (Harzb. 1888); »Die Lehninische Weissagung« (Berl. 1888); »Abhandlungen über Goethe, Schiller, Bürger und einige ihrer Freunde« (Potsd. 1889). Auch gab er »Volkslieder und Volksschauspiele« (Aschersl. 1855) und Wielands Werke in Kürschners »Deutscher Nationalliteratur« heraus.

Geschichte des Märchens

Ein Märchenist diejenige Art der erzählenden Dichtung, in der sich die Überlebnisse des mythologischen Denkens in einer der Bewußtseinsstufe des Kindes angepaßten Form erhalten haben. Wenn die primitiven Vorstellungen des Dämonenglaubens und des Naturmythus einer gereiftern Anschauung haben weichen müssen, kann sich doch das menschliche Gemüt noch nicht ganz von ihnen trennen; der alte Glaube ist erloschen, aber er übt doch noch eine starke ästhetische Gefühlswirkung aus. Sie wird ausgekostet von dem erwachsenen Erzähler, der sich mit Bewußtsein in das Dunkel phantastischer Vorstellungen zurückversetzt und sich, vielfach anknüpfend an altüberlieferte Mythen, an launenhafter Übertreibung des Wunderbaren ergötzt. So ist das Volksmärchen (und dieses ist das echte und eigentliche M.) das Produkt einer bestimmten Bewußtseinsstufe, das sich anlehnt an den Mythus und von Erwachsenen für das Kindergemüt mit übertreibender Betonung des Wunderbaren gepflegt und fortgebildet wird. Es ist dabei, wie in seinem Ursprung, so in seiner Weiterbildung durchaus ein Erzeugnis des Gesamtbewußtseins und ist nicht auf einzelne Schöpfer zurückzuführen: das M. gehört dem großen Kreis einer Volksgemeinschaft an, pflanzt sich von Mund zu Munde fort, wandert auch von Volk zu Volk und erfährt dabei mannigfache Veränderungen; aber es entspringt niemals der individuellen Erfindungskraft eines Einzelnen. Dies ist dagegen der Fall bei dem Kunstmärchen, das sich aber auch zumeist eben wegen dieses Ursprungs sowohl in den konkreten Zügen der Darstellung als auch durch allerlei abstrakte Nebengedanken nicht vorteilhaft von dem Volksmärchen unterscheidet. Das Wort M. stammt von dem altdeutschen maere, das zuerst die gewöhnlichste Benennung für erzählende Poesien überhaupt war, während der Begriff unsers Märchens im Mittelalter gewöhnlich mit dem Ausdruck spel bezeichnet wurde. Als die Heimat der M. kann man den Orient ansehen; Volkscharakter und Lebensweise der Völker im Osten bringen es mit sich, daß das M. bei ihnen noch heute besonders gepflegt wird. Irrtümlich hat man lange gemeint, ins Abendland sei das M. erst durch die Kreuzzüge gelangt; vielmehr treffen wir Spuren von ihm im Okzident in weit früherer Zeit. Das klassische Altertum besaß, was sich bei dem mythologischen Ursprung des Märchens von selbst versteht, Anklänge an das M. in Hülle und Fülle, aber noch nicht das M. selbst als Kunstgattung. Dagegen taucht in der Zeit des Neuplatonismus, der als ein Übergang des antiken Bewußtseins zur Romantik bezeichnet werden kann, eine Dichtung des Altertums auf, die technisch ein M. genannt werden kann, die reizvolle Episode von »Amor und Psyche« in Apulejus' »Goldenem Esel«. Gleicherweise hat sich auch an die deutsche Heldensage frühzeitig das M. angeschlossen. Gesammelt begegnen uns M. am frühesten in den »Tredeci piacevoli notti« des Straparola (Vened. 1550), im »Pentamerone« des Giambattista Basile (gest. um 1637 in Neapel), in den »Gesta Romanorum« (Mitte des 14. Jahrh.) etc. In Frankreich beginnen die eigentlichen Märchensammlungen erst zu Ende des 17. Jahrh.; Perrault eröffnete sie mit den als echte Volksmärchen zu betrachtenden »Contes de ma mère l'Oye«; 1704 folgte Gallands gute Übersetzung von »Tausendundeiner Nacht« (s. d.), jener berühmten, in der Mitte des 16. Jahrh. im Orient zusammengestellten Sammlung arabischer M. Besondern Märchenreichtum haben England, Schottland und Irland aufzuweisen, vorzüglich die dortigen Nachkommen der keltischen Urbewohner. Die M. der skandinavischen Reiche zeigen nahe Verwandtschaft mit den deutschen. Reiche Fülle von M. findet sich bei den Slawen. In Deutschland treten Sammlungen von M. seit der Mitte des 18. Jahrh. auf. Die »Volksmärchen« von Musäus (1782) und Benedikte Naubert sind allerdings nur novellistisch und romantisch verarbeitete Volkssagen. Die erste wahrhaft bedeutende, in Darstellung und Fassung vollkommen echte Sammlung deutscher M. sind die »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm (zuerst 1812–13, 2 Bde.; ein 3. Band, 1822, enthält literarische Nachweise bezüglich der M.). Unter den sonstigen deutschen Sammlungen steht der Grimmschen am nächsten die von L. Bechstein (zuerst 1845); außerdem sind als die bessern zu nennen: die von E. M. Arndt (1818), Löhr (1818), J. W. Wolf (1845 u. 1851), Zingerle (1852–54), E. Meier (1852), H. Pröhle (1853) u. a. Mit M. des Auslandes machten uns durch Übertragungen bekannt: die Brüder Grimm (Irland, 1826), Graf Mailath (Ungarn, 1825), Vogl (Slawonien, 1837), Schott (Walachei, 1845), Asbjörnson (Norwegen), Bade (Bretagne, 1847), Iken (Persien, 1847), Gaal (Ungarn, 1858), Schleicher (Litauen, 1857), Waldau (Böhmen, 1860), Hahn (Griechenland u. Albanien, 1863), Schneller (Welschtirol, 1867), Kreutzwald (Esthland, 1869), Wenzig (Westslawen, 1869), Knortz (Indianermärchen, 1870, 1879, 1887), Gonzenbach (Sizilien, 1870), Österley (Orient, 1873), Carmen Sylva (Rumänien, 1882), Leskien und Brugman (Litauen, 1882), Goldschmidt (Rußland, 1882), Veckenstedt (Litauen, 1883), Krauß (Südslawen, 1883–84), Brauns (Japan, 1884), Poestion (Island, 1884; Lappland, 1885), Schreck (Finnland, 1887), Chalatanz (Armenien, 1887), Jannsen (Esthen, 1888), Mitsotakis (Griechenland, 1889), Kallas (Esthen, 1900) u. a. Unter den Kunstpoeten haben sich im M. mit dem meisten Glück versucht: Goethe, L. Tieck, Chamisso, E. T. A. Hoffmann, Fouqué, Kl. Brentano, der Däne Andersen, R. Leander (Volkmann) u. a. Vgl. Maaß, Das deutsche M. (Hamb. 1887); Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, 2. Bd., 1. Abt. (2. Aufl., Straßb. 1901); Benfey, Kleinere Schriften zu Märchenforschung (Berl. 1890); Reinh. Köhler, Aufsätze über M. und Volkslieder (das. 1894) und Kleine Schriften, Bd. 1: Zur Märchenforschung (hrsg. von Bolte, das. 1898); R. Petsch, Formelhafte Schlüsse im Volksmärchen (das. 1900).

Vorwort.

Bei den großen Anregungen, die wir in dieser Zeit dauernd durch die Herausgabe des deutschen Wörterbuches empfangen, welches Jakob Grimm mit seinen von mühsamer Forschung in unsern alten Schriften nicht getrübten, sondern nur glänzender gewordenen Seherauge schon als ein Familienbuch bezeichnet hat, ist es schwer sich den Träumen zu entschlagen, daß die germanistischen Forschungen in längerer oder kürzerer Zeit auch auf die Pädagogik den nachhaltigsten Einfluß üben und die Mittel, deren sich der Jugendunterricht bedient, gar sehr erweitern werden. Zwar meinte noch letzthin Gervinus, daß über die Frage, ob unsere eigne nationale Literatur beim Unterricht vor den classischen Literaturen zu bevorzugen oder ihnen auch nur einigermaßen gleichzustellen sei, mitzusprechen nur Wenige berufen seien und ohnehin liegt es uns sehr fern, z.B. unsre Heldendichtung auf Kosten der Wahrheit der griechischen gleichstellen zu wollen. Aber dies vorausgeschickt wie billig – sollte nicht Einem, der den Reichthum dieser gesammten deutschen Forschungen vor Augen hat, der Wunsch das Herz abdrücken, diese Schätze auch auf die jeder Wissenschaft zukommende Weise nutzbar gemacht zu sehen? So vielfache National- haben Griechen und Römer niemals vor sich erblickt und niemals ist ihnen ein solches Verständniß ihrer eignen Literatur und ihres Wesens geöffnet gewesen, wie uns jetzt durch Grammatik, Wörterbücher und viele andere reiche Untersuchungen, die hier und da von Tage zu Tage (wie die Ausgrabungen unsrer Alterthumsvereine durch die Zuziehung der Sagen) noch belebt und einer scheinbaren Unfruchtbarkeit enthoben werden können. Es greift hier zu Vieles ineinander und die Frage ist schon ganz zu trennen von der Frage nach dem Werth einzelner älteren deutschen Dichtungen.

Das Märchen nimmt inmitten dieser Studien einen sehr bescheidenen Platz ein, aber es darf am Wenigsten fehlen, wo es sich darum handelt dieselben zu Schule und Haus in die rechte Beziehung zu setzen, denn es ist der Jugend schon von Alters her lieb und werth.

Zwei arme Kinder, Brüderchen und Schwesterchen, die den Kinderschuhen noch jetzt kaum entwachsen sind, erzählten dem Herausgeber dieses Buches, wie sie sich jeden Abend, wenn sie sich zu Bett legten, an einem einzigen Märchen, das sie wußten, ergötzten. Sie erzählten sich nämlich die bekannte Geschichte von den Bremer Stadtmusikanten, und zwar so, daß die darin auftretenden Thiere alle von bestimmten, den Kindern bekannten Orten auf dem Oberharze herkamen und sich an einer ihnen gleichfalls wohlbekannten Stelle trafen. »So kiet's wemmer alt werd!« (so geht's wenn man alt wird) sagte jedes der weggejagten Thiere, die sich nun als Musikanten auf die Reise machten, beim Zusammentreffen zum andern, und schon aus der allerdings im Munde der Thiere, noch mehr im Munde der ihnen nachsprechenden Kleinen selbst, hinlänglich komischen Rede allein sogen diese jeden Tag ein neues und unerschöpfliches Vergnügen. Wenn nun auch ein rechter Pädagoge den Kindern empfehlen wird, statt solches Märchenerzählens beim Schlafengehen lieber sogleich frisch und fröhlich die Augen zu schließen und einzuschlafen, so wird doch in anderer Art Aehnliches von der Wirkung des Volksmärchens auf das kindliche Gemüth ein Jeder auch aus seiner eignen Jugend anführen können, denn noch ist wohl kein Haus bei uns so armselig, daß darin nicht zur Freude der Kinder ein oder das andre Hausmärchen von Eltern und Großeltern her forterbte, mag es auch in den gebildeten Häusern oft nur noch als Schwank fortzuleben wagen.

Mehr und mehr werden auch diese Märchen als eine sehr wesentliche Nahrung erkannt, welche man dem jugendlichen Geiste keineswegs entziehen dürfe. Zwar erschien vor einigen Jahren von einem nicht unbekannten Pädagogen eine Art von Programm für die Pädagogik der Zukunft, worin unter Anderm das Märchen seines phantastischen Charakters wegen geächtet wurde. Allein dies beruhte zum guten Theil nur auf einem Mißverständniß. Im Märchen wird allerdings der gewöhnliche Lauf der Dinge sehr oft durch wunderbare Vorfälle unterbrochen; wie aber schon Wilhelm Grimm gesagt hat, daß es eine Anhäufung des Wunderbaren nicht vertrage, sondern eine angemessene Verbindung des Gewöhnlichen mit dem Wunderbaren verlange: so glauben wir sagen zu können, daß für diejenigen, für welche das Märchen zunächst vorhanden ist, die Grenze zwischen dem Natürlichen und dem Wunderbaren gar nicht scharf genug gezogen ist, um da, wo sie überschritten wird, sogleich einen feindlichen Angriff auf den menschlichen Verstand wittern zu können.

So wie das Wunderbare im Märchen nicht willkührlich ersonnen ist, sondern auf sehr alten großentheils noch aus dem Heidenthume fortgepflanzten, ursprünglich religiösen und erst im Zeitlaufe verweltlichten Vorstellungen beruht, so sind wir auch, wenn wir blos vom poetischen Standpuncte aus die Zusammensetzung zunächst nicht zusammengehöriger Dinge betrachten, wie sie im Märchen stattfindet, doch auch keineswegs auf das Gebiet der Willkühr versetzt. Auch wenn wir von dem ersten Ursprung dieser Erzählungen im grauen Alterthume absehen, werden wir doch hier oft an Layard erinnert, der die geflügelten Löwen mit Menschenköpfen vor einem von ihm ausgegrabenen Tempel in Ninive betrachtet und ausruft: »Konnten edlere Gestalten das Volk an der Pforte der Tempel seiner Götter empfangen? Welch erhabnere Züge konnte er nur auf die Nachahmung der Natur angewiesene Mensch für die Weisheit, die Macht und die Allgegenwart des höchsten Wesens wählen? Er konnte keinen bessern Typus für Geist und Wissen finden als den Kopf des Menschen, keinen bessern Typus für die Stärke als den Körper des Löwen, und für die Schnelligkeit der Bewegung die Schwingen des Vogels. Diese geflügelten Löwen mit Menschenköpfen waren keine bloße Ausgeburt einer üppigen Phantasie; ihre Bedeutung stand ihnen auf der Stirn geschrieben.« –

Wir Deutschen aber sollten am Wenigsten der Kindheit die unschuldige Märchenlust verkümmern. Unser Volk erzeugt diese unschuldigen Spiele der Phantasie mit jener wahren und echten Naivität, mit jenem reinen kindlichen Sinne, der wenigstens den leider in neuerer Zeit gerade in Deutschland gewaltsam für die Jugend zugestutzten orientalischen Märchen, und auch den italienischen durchaus abzugehen scheint. Wenn wir auch selbst unsrer reiferen Jugend, wir meinen der gebildeten, etwas weniger träumerischen Sinn wünschen müssen, so können wir doch bei der Entdeckung der Engländer, daß die Kinderspielsachen, die grünen Bäume, Schäfer, Schäferinnen, Holzhauer, Bauern, Landmädchen und Hausthiere, mit denen das deutsche Gemüth selbst das Ausland versieht, nicht mehr in die Zeit passe, weil ihnen die Bewegung fehle, Altengland wegen seiner frühreifen Jugend nur aufrichtig bemitleiden und unsre Collegen, die »großen Kinder« in Nürnberg, aus deren Händen diese Waare kommt, werden den Rath1, mehr auf die materielle Denkungsart der Engländer zu speculiren, eben so wenig berücksichtigen können, als ihre Kameraden, welche Volksmärchen herausgeben, etwa im Stande waren, ähnliche Rathschläge zu befolgen.

Außer jener vollkommen unberechtigten Einwendung gegen Märchen als Kinderschriften hat man nun auch darauf hingedeutet, daß die deutschen Volksmärchen manche Züge (sie erwachsen aus dem Conflict der Cultur des Volkes und derjenigen der gebildeten Stände, oder werden vielmehr nur durch ihn bemerklich) enthalten, welche für Kinder nicht passen. Ja, eine als besondere Schrift erschienene Musterung von Jugendschriften will alle diese Sammlungen nur als Volksschriften betrachtet wissen und nur die Auswahl aus der Grimm'schen Sammlung, aus der allerdings alles weniger für Kinder geeignete entfernt ist, wird dort den Jugendschriften eingereiht, während die Brüder Grimm selbst auch die große Ausgabe ihrer Sammlung als Kinderschrift bezeichnet haben. Auch eine von mir selbst herausgegebene und von der Kritik mit Beifall aufgenommene Sammlung wird dort mit den übrigen nur unter die Volksschriften verwiesen.

Ohne auf jene Bedenken weiter einzugehen, bemerke ich nur, wie ich es als eine mir widerfahrene hohe Ehre betrachte, daß Eltern und Erzieher in der letzten Zeit mich wiederholt aufforderten, ein Märchenbuch als eigentliche und vollständige Kinderschrift herauszugeben. Ich komme derselben in der vorliegenden Schrift nach, indem ich von den neuerdings von mir gesammelten Märchen nicht allein 1) alle diejenigen Märchen ausscheide, welche nicht vollständig für Kinder geeignet sind, 2) auch lückenhafte und weniger anziehende Märchen (welche wohl sonst in wissenschaftlichem Interesse mitzutheilen gewesen wären) zurücklege, was jedoch natürlich die Aufnahme an und für sich kürzerer Stücke nicht hinderte. Auch den Styl habe ich 3) eigens für die Jugend berechnet und nicht allgemein volksmäßig halten wollen. Die Erläuterungen, welche ich diesmal zu einzelnen Märchen geben will, sollen den Leser zunächst von der ethischen und poetischen Seite her (man sehe die erste Abtheilung des Anhangs) in das Verständniß der Märchen einführen. Schon liest ja sogar mancher Lehrer seinen Schülern und Schülerinnen hin und wieder während der Schulstunden ein Märchen vor, selbst in Dorfschulen, welche ohnehin beginnen die sogenannte deutsche Grammatik, womit sie die Kinder bisher plagten, durch Vorlesung guter poetischer und prosaischer kleiner Stücke zu ersetzen. Die Auswahl ist, besonders wenn man das Augenmerk vorzugsweise auf Gedichte richtet, höchst schwierig. Dahingegen ist außer Anderm das Märchen für diesen Zweck wie geschaffen, auch wenn an die Vorlesung noch Besprechungen und Erörterungen geknüpft werden sollen, wie man denn auch, oft seltsam genug, das Volk über den Gang der Vegebenheiten in seinen Märchen reflectiren hört. So sprach sich denn unter Anderm in einer Lehrerconferenz der Wunsch aus nach einer Sammlung erzählender Stücke mit Erläuterungen, welche ein für Lehrer brauchbares Material enthielten. Solchen Regungen kommt unsre Schrift entgegen und solchem Bedürfniß wünscht sie mit der ersten Abtheilung des Anhangs auf eine zweckmäßige Weise abzuhelfen.

Möchte das Buch den Jungen und den Alten, deren ich bei seiner Ausarbeitung fortwährend freundlich gedachte, lieb werden.

Wernigerode, am Michaelistage 1854.

Heinrich Pröhle.

Fußnoten

1 Vergl. »Deutsche Kinderspielsachen in England« (Morgenblatt, 1853, Nr. 30.).

1. Dank ist der Welt Lohn.

Es waren einmal zwei Brüder, die hatten beide das nämliche Handwerk gelernt, theilten ihr väterliches Erbe und zogen mit einander in die weite Welt. Als sie nun einmal sich unterwegs mit einander unterhielten, sagte der älteste: »Undank ist der Welt Lohn;« der jüngste aber sagte: »Dank ist der Welt Lohn;« und weil sie sich nicht einigen konnten, so wetteten sie, setzten jeder sein Erbtheil ein und machten aus, wer mit seiner Meinung auf ihrer Wanderschaft Recht behielte, dem solle der Andre sein Erbtheil hingeben.

Sie hatten aber dies Gespräch geführt vor den Thoren einer Stadt und gingen nun mit einander auf einem Spazierwege fort, der sie alsbald in einen anmuthigen Wald führte. Da spazierte ein Brautpaar an ihnen vorbei, das gerieth vor ihren Augen mit einander in Streit, so daß Braut und Bräutigam auf einander losschlugen und mit einander rauften. Weil nun aber die Braut von Natur schwächer war, so erging es ihr am Uebelsten dabei und sogleich sprang der jüngere Bruder auf das Paar los, um der Braut zu helfen und prügelte den Bräutigam. Da schlug aber die Braut schnell auf ihren Retter los und endlich mußte der älteste Bruder herbei springen um ihn selbst von der Wuth des Brautpaars zu erretten. Danach aber sprach der Älteste: »Siehst Du nun, mein Bruder, daß mir Dein Erbtheil gebühret? Denn wahrlich, nichts als Undank ist der Welt Lohn.« Der jüngere Bruder aber bat um Aufschub wegen der Herausgabe seines Erbtheils und sprach wieder: »Nein, mein Bruder, Dank ist der Welt Lohn.«

Da gewährte ihm der ältere Bruder noch einen Aufschub und sie zogen mit einander weiter in den Wald hinein. Der Spaziergang aber war nun zu Ende und der Wald wurde immer einsamer und wilder. Da rief plötzlich wehklagend in der Einsamkeit des Waldes eine Stimme jämmerlich um Hülfe. Zugleich eilte der Jüngste zur Stelle und fand zwei Köhler, die sich mit einander schlugen; er sprang dem schwächern bei, der um Hülfe gerufen hatte, als er sie aber von einander getrennt und den stärkeren tüchtig durchgeprügelt hatte, sprangen beide Köhler auf ihn los und schlugen gemeinsam auf ihn, denn die Köhler waren auch Brüder. Endlich mußte der älteste von den beiden Reisenden herbei kommen und ihn aus den Händen der Köhler befreien. Da sprach der Älteste wieder: »Undank ist der Welt Lohn;« der Jüngste aber sprach auch jetzt noch: »Nein, Dank ist der Welt Lohn,« und bat seinen Bruder um Aufschub, auf daß er ihn noch nicht seines Erbtheils beraubte.

Sie zogen also weiter mit einander, und der Wald, in dem sie gingen, wurde immer schauriger und wilder. Da kamen sie zu einem Bären und einer Schlange, die balgten sich mit einander, der Bär aber hatte die Schlange schon bewältigt und zugleich sprang der jüngste Bruder hinzu, ihr zu helfen. Das gelang ihm denn auch, aber kaum war es geschehen, als die Schlange sich um ihren Retter schlang und ihn erwürgen wollte. Da mußte der älteste Bruder ihn auch von den Thieren befreien. Nachdem dies aber geschehen war, sprach er zu ihm: »Es ist nicht anders, Undank ist der Welt Lohn, Dein Erbtheil aber ist mir jetzt verfallen, ich gebe Dir keinen Aufschub mehr.« Da rief der jüngste noch einmal: »Nein, Bruder, Dank ist der Welt Lohn, gewiß, es muß sich bald zeigen, schenke mir nur noch eine kurze Frist.« Allein der ältere Bruder hatte kein Erbarmen mehr, er stach dem jüngeren die Augen aus, und beraubte ihn seines Erbtheils an Gelde, zog ihn aus bis aufs Hemd und ging fort.

Es ist aber dies bei einem Galgen geschehen und da hat sich der jüngere Bruder auf ein paar Holzkloben gesetzt, die da von den Waldarbeitern aufgeschichtet gewesen sind. Dort ist die Nacht über ihn hereingebrochen und weil er die wilden Thiere fürchtete, stieg er in der Angst auf den nächsten Baum. Er hatte noch nicht lange gesessen, als ein Bär, ein Löwe und ein Fuchs unter den Baum kamen und sich mit einander unterhielten. Der Bär fing nämlich an: »Ich weiß ein Geheimniß.« »Was weißt Du denn?« fragte der Löwe. Der Bär antwortete. »Morgen früh fällt ein Thau, von dem die Blinden sehend werden, wenn sie sich die Augen dreimal damit bestreichen.« Da sprach der Löwe: »Ich weiß auch ein Geheimniß. In der und der Stadt liegt ein Reicher krank durch die Schuld seiner Frau; hinter der Kommode liegt eine Brodrinde, davon muß eine Suppe gekocht werden und die Suppe muß der Reiche in drei Malen essen, dann wird er gesund.« Danach fragte der Löwe den Fuchs: »Nun, Reineke, weiß Er denn nichts?« »Freilich,« antwortete der Fuchs. »Auf dem Königshofe ist der Königsbrunnen versiegt, das liegt daran, daß ein Lork auf dem Quell sitzt und das Wasser auffängt. Darum muß der Lork gespießt werden und dann wird ein Wasserstrahl so dick wie ein Braukessel aus der Erde hervorspringen.«

So unterhielten sich die drei Thiere bis an den Morgen, dann gingen sie auseinander, nachdem sie beschlossen hatten über sieben Jahre in derselben Nacht hier wieder zusammenzukommen. Nun stieg der Blinde vom Baume, wusch sich die Augen dreimal mit dem Morgenthau und sogleich war er sehend. Dann sammelte er von dem Thau so viel als ihm möglich war in seine hohlen Hände und ging seines Weges weiter zu der nächsten Stadt. Dort fand er noch das Thor verschlossen und weil er ganz nackt war, so hielt die Thorwache ihn anfangs für einen Geist und wollte vor seinem Anblicke entfliehen. Er aber rief ihr zu, daß sie sich nicht fürchten solle; dann offenbarte er dem Soldaten wie es ihm ergangen wäre und der gab ihm ein Gefäß, darein er den kostbaren Thau aus der hohlen Hand schüttete und verschaffte ihm Kleidung, womit er sich bedecken konnte.

So ging er denn also in die Stadt hinein mit dem Gefäß, und suchte alle Blinden auf, die er nur finden konnte, und bestrich ihr Angesicht mit dem Thau, und ein jeder der durch ihn sein Gesicht wieder erhalten hatte, beschenkte ihn so reichlich als er nur vermochte, ja, er mußte ihnen noch wehren, denn die Armen, die durch ihn sehend geworden waren, wollten ihm Alles geben was sie hatten und er bekam reichlich sein Erbtheil wieder und Alles was sein Bruder ihm genommen hatte, und sprach: »Dank ist der Welt Lohn.«

Als nun die Blinden in der Stadt durch ihn sehend geworden waren, zog er weiter und suchte den reichen Mann auf, der da krank lag, und von dem die Thiere unter dem Galgen sich unterhalten hatten. In dessen Hause trat ihm gleich die böse Frau des Reichen entgegen, die an seiner Krankheit schuld war, und wollte ihn von dem Krankenbette abwehren, und sprach: Ihrem Manne könne kein Arzt helfen. Er aber sagte: Dann wolle er ihn wenigstens in seiner Krankheit besuchen. Da mußte sie ihn einlassen. So wie aber der reiche Mann ihn nur sah und vernahm, daß er ein Arzt sei, ward er voller Freuden, ob auch schon viele Aerzte vergeblich bei ihm gewesen waren und gelobte ihm mehr als tausend Reichsgülden, wenn er ihm helfen könne. Er suchte die verschimmelte Rinde hinter der Kommode hervor, kochte eine Brodsuppe davon und nachdem der reiche Mann dreimal davon gegessen hatte, war er gesund. Da hielt der getreulich sein Versprechen und gab seinem Helfer mehr als tausend Reichsgülden. Der aber sprach abermals: »Dank ist der Welt Lohn« und zog hoch erfreut von dannen.

Er richtete jetzt seinen Weg nach dem Königshofe, darauf der Königsbrunnen versiegt war, da hatten auch schon viele Leute versucht, zu machen daß das Wasser wieder hervorquelle, und ob auch Alles vergeblich gewesen war, so war doch der König voll Freude, als sich abermals einer meldete, der den Brunnen wieder quellen machen wollte, und gelobte ihm, wenn ihm das gelänge, so solle er seine Krone haben.

Darauf nahm der jüngste Bruder einen Degen und stieg damit in den Brunnen, und da saß in einer Ecke ein dicker Lork und spie Feuer gegen ihn aus. Den spießte er mit seinem Degen und da drang das Wasser mit aller Kraft hinter dem Lork hervor und brauste ordentlich auf und stieg so rasch und hoch empor, daß der jüngste Bruder kaum schnell genug aus dem Brunnen kommen konnte. Als er heraus war, wurde er von dem König und dem ganzen Hofgesinde mit Jubel aufgenommen, und der König hielt Wort und gab ihm die Krone und das ganze Reich. Der junge König aber sprach abermals: »Dank ist der Welt Lohn.« Er selbst aber blieb mildthätig wie er bisher gewesen war, und erbaute neben dem Königshofe, auf dem er mit dem alten Könige zusammen wohnte, eine große Herberge für arme Reisende, die durch sein Reich zogen, und dies Haus und die Herberge besuchte er alle Tage und sprach gar freundlich und leutselig mit den Armen, die dort auf seine Kosten verpflegt wurden. Eines Tages aber begab es sich, daß er seinen Bruder unter den armen Reisenden sitzen sah, der war ganz zerlumpt, denn er hatte in der Welt sein eigenes Erbtheil und dazu alles Hab und Gut, was er seinem Bruder abgewonnen hatte, verloren. Wie nun der älteste Bruder sich an der warmen Suppe erquickte, die ihm in der Herberge gereicht wurde, setzte der König sich zu ihm und fragte ihn aus, woher er sei und ob er noch Geschwister habe. Da antwortete der: Er habe nur einen Bruder gehabt, der aber sei gewiß längst todt. Darauf hieß der König ihn mitgehen auf sein Zimmer, und gab sich zu erkennen; sogleich aber fiel der älteste Bruder vor ihm nieder auf sein Angesicht und bat um Gnade. Da begnadigte ihn der junge König, und gestattete ihm, daß er bei ihm auf dem Königshofe bliebe, erzählte ihm, was er erlebt hatte, seit sein Bruder von ihm gegangen war und sprach: »Siehst Du nun, mein Bruder, daß Dank der Welt Lohn ist? hat nicht der Dank der Menschen mir eine Krone und viele Schätze eingetragen?«

Einst erzählte der König von den drei Thieren, welche sich nun bald wieder unter dem Baume treffen mußten, um sich zu sagen was sie wüßten, weil in einigen Tagen die sieben Jahre wieder herum wären.

Als der älteste Bruder dies erfahren hatte, machte er sich heimlich auf und suchte die Stelle, an der er seinen Bruder einst geblendet hatte, und stieg auf den Baum. Wie nun die Zeit herankam, ging's unten im Laube: patsch, patsch, patsch; damit kam der Bär und setzte sich verdrießlich brummend unter den Baum. Bald darauf kam auch der Löwe und setzte sich neben den Bären. Da sagte der Bär zum Löwen: »Denke Dir, Bruder, alle unsre Geheimnisse sind verrathen. Gewiß hat es der Fuchs gethan.« »Das sollte man kaum glauben,« antwortete der Löwe, »Reineke ist doch sonst nicht so dumm.« »Es kann aber Niemand anders gewesen sein,« erwiederte der Bär wieder.

Tripp, tripp, tripp kam der Fuchs an und setzte sich freundlich grüßend zwischen den Löwen und den Bären. »Reineke,« sagte der Bär mürrisch, »warum hast Du unsre Geheimnisse verrathen?« Und damit gab er ihm gleich eine Maulschelle, daß er auf den Rücken hinfiel. Da schrie Reineke: »Jetzt seh ich ihn, der es verrathen hat! Da oben lauscht er im Baum!« Danach stand er wieder auf; der Bär aber kletterte hinauf, holte den ältesten Bruder herunter und Bär und Löwe zerrissen ihn. Der jüngste der Brüder aber erreichte auf seinem Throne ein gar hohes Alter in Glückseligkeit, Tugend und Frömmigkeit.

2. Undank ist der Welt Lohn.

Es war einmal ein Bauer, dem lag beim Fahren ein Stein im Wege, den hob er auf und da zischte eine Schlange darunter hervor, die unter dem Steine eingeklemmt gewesen war. Sie fuhr sogleich auf ihn los und wollte ihren Retter ermorden, und sagte, daß Undank der Welt Lohn wäre. Der Bauer sagte aber: Dank sei der Welt Lohn, und so beschlossen sie drei Stimmen darüber zu hören, und wenn alle sagen würden, daß Undank der Welt Lohn sei, so solle die Schlange den Bauersmann tödten.

Da sie noch so sprachen, kam ein altes und gedientes Roß daher, das war von seinem Herrn verstoßen und sagte, Undank sei der Welt Lohn. Darauf kam ein alter blinder Hund in der Furche herab gegangen, der war auch von seinem Herrn verstoßen und sagte wieder, Undank sei der Welt Lohn. Da triumphirte die Schlange schon, aber es kam jetzt ein Fuchs, der sagte: Nach Beschaffenheit der Umstände sei Dank und Undank der Welt Lohn, und ehe er darüber urtheilen könne, ob für diesmal die Schlange dem Bauer Dank schuldig sei, müßte diese sich nochmals unter den Stein legen, den der Bauer von ihr abgewälzt habe. Das that die Schlange auch und als sie wieder unter dem Steine lag, drückte ihr sogleich der Bauer und der Fuchs mit dem Steine den Kopf ein.

Da war der Bauer über seine Rettung hoch erfreut, dankte dem Fuchs vielmals und sprach, er solle sich von ihm eine Gnade ausbitten. Da sprach der Fuchs: »Nun denn, so erlaube, daß ich einmal auf Deinen Hühnerhof komme und gestatte mir, daß ich dort ein paar Hühner, Tauben und Gänse verzehre.« Das war der Bauer zufrieden und der Fuchs stellte sich richtig ein.

Als nun aber die Söhne des Bauern sahen, wie der Fuchs unter ihrem Federvieh wirthschaftete, sprachen sie nach einer Weile: »Das geht doch nicht an, daß der Fuchs unsere ganzen Hühner, Tauben und Gänse tödtet und wir stehen ruhig dabei und sehen ihm zu.« Während der Fuchs seine Jagd auf dem Bauerhofe fortsetzte und von dem Taubenschlage nach dem Hühnerstall rannte, bereiteten sie ihm Hinterlist im Gänsestalle, steckten eine fette Gans in einen Sack und banden sie darin fest. Als der Fuchs an den Gänsestall kam und in dem Sacke recht verlockend die fette Gans ihr: »Pile! Pile!« rufen hörte, kroch er zu ihr in den Sack, sogleich aber drangen die Söhne des Bauern herein, banden den Sack zu, worin eben der Fuchs erst der Gans den Kopf abgebissen hatte, schlugen den Fuchs in dem Sacke todt, verzehrten die fette Gans selbst zum Abendbrode und da hatte der Fuchs zuletzt doch erfahren, daß Undank der Welt Lohn sei.

3. Der Fuchs und die Gans.

Es fing einmal ein Fuchs eine Gans und wollte sie eben verzehren. Da bat sie, daß er ihr doch gestatten möchte vor ihrem Ende noch einmal zu tanzen. Der Fuchs dachte: »Das kann ich ihr wohl gewähren, sie soll mir nachher um so besser schmecken, wenn ich ihr dabei zugesehen habe.«

Als nun die Gans die Erlaubniß hatte, hob sie sich mit den Füßen mehrmals ein wenig vom Boden auf, machte dabei auch die Flügel aus einander und begann vor dem Fuchs recht artig zu tanzen, wie die Gänse thun bevor sie anfangen zu fliegen. Nachdem sie aber so eine Weile zum großen Vergnügen des Fuchses getanzt hatte, flog sie davon. Da hatte der Fuchs nichts als das Nachsehen und weil dies bei einem Gänsebraten, wie Du weißt, nicht viel sagen will, so sprach er: »Wie diesmal soll es mir gewiß nicht wieder ergehen: vor dem Essen ist kein Tanzen wieder.«

4. Das goldene Salzfaß, der goldene Haspel und der Tannenzweig.

Es war einmal ein König, der wollte eine Reise machen und fragte seine drei Töchter, was er ihnen mitbringen solle. Die älteste sprach: »Bring mir ein goldenes Salzfaß mit;« die zweite sagte: »Mir, Vater, einen goldenen Haspel;« und die jüngste: »Mir bring das mit, was Dich auf dem Wege an den Kopf stößt.« Darnach reiste der König ab. Als er seine Reise fast vollendet hatte, ging er in eine Stadt und kaufte hier seinen beiden ältesten Töchtern das goldene Salzfaß und den goldenen Haspel, an den Kopf aber hatte ihn noch nichts gestoßen, und er dachte: was wird nun mein jüngstes Kind sagen, wenn ich ihm nichts mitbringe? Ehe der König jedoch nach seinem Schlosse kam, führte ihn sein Weg noch durch einen großen Wald. Als er mitten darin war, stieß ihn ein Tannenzweig an den Kopf. Den brach er ab und dachte: ich will ihn meiner jüngsten Tochter mitnehmen. Da stand auf einmal ein Löwe neben ihm und sprach: »Gib mir Deine jüngste Tochter.« »Nein, die gebe ich Dir nicht,« sagte der König. »So mußt Du sterben,« entgegnete der Löwe. Da versprach der König dem Löwen seine jüngste Tochter, und der sprach: »Setze Dich auf meinen Schwanz.« Da setzte sich der König auf den Schwanz des Löwen und so jagte der wie im Fluge dem Schlosse zu. Aber der König war nun sehr betrübt über das Geschick seiner jüngsten Tochter, sann hin und her und ließ endlich des Kuhhirten Tochter holen, zog ihr schöne Kleider an und gab sie dem Löwen und sprach: »Hier, Löwe, hast Du meine jüngste Tochter.« Da mußte sich das Mädchen auf den Schwanz des Löwen setzen und so jagten sie fort. Als sie im Walde waren, sagte der Löwe: »Steig ab.« Nach einer Weile fragte der Löwe: »Nun sage mir, was es an der Zeit ist.« Das Mädchen sprach: »Es ist nun die Zeit, da mein Vater mit den Kühen in der Ruhe liegt.« Da merkte der Löwe, daß er betrogen war und sagte: »Du bist die Rechte nicht, setze Dich auf meinen Schwanz.« Da setzte sich das Mädchen wieder auf den Schwanz des Löwen und jagte nach dem Schlosse. Er klopfte höflich an die Thür im Schlosse und sagte zum Könige: »Gib mir das rechte Kind.« Da schickte der König hin und ließ des Schweinehirten Tochter holen, zog ihr noch viele schöne Kleider an und sagte zum Löwen: »Nun hast Du die Rechte.« »Setze Dich auf meinen Schwanz,« sprach der Löwe zu ihr, und lief so dem Walde zu. Im Walde sagte er: »Steig ab,« und nach einer Weile sprach er: »Sage mir, wie es an der Zeit ist.« Das Mädchen sprach: »Es ist nun die Zeit, daß mein Vater mit den Schweinen in der Ruhe liegt.« Da merkte der Löwe, daß er abermals betrogen war und sprach: »Mein Kind, Du bist die Rechte nicht, setze Dich auf meinen Schwanz.« Da setzte sich das Mädchen auf und der Löwe rannte davon. Im Schloßhofe brüllte er so fürchterlich, daß Alles zitterte. Der König aber kam ängstlich herbei und fragte: »Was fehlt Dir denn, lieber Löwe?« Der sagte: »Du hast mich wieder betrogen und die Rechte nicht hergegeben, gibst Du mir nun nicht das rechte Kind, so mußt Du sterben.« Da wurde der König bange und holte seine jüngste Tochter herbei, und gab sie dem Löwen. Das Mädchen mußte sich auf den Schwanz des Löwen setzen und so rannte er fort. Im Walde sagte der Löwe: »Steig ab,« und nach einer Weile fragte er, wie es an der Zeit sei. Da sprach das Mädchen: »Es ist nun die Zeit, daß mein Vater und meine Mutter am Tische sitzen und essen mit goldenen Messern und Gabeln.« Da freute sich der Löwe, daß er die Rechte hatte, und sagte: »Nun steig auf, mein Kind.« Das Mädchen stieg wieder auf und der Löwe lief mit ihr weit, weit hin.

Endlich kamen sie vor ein Schloß, das stand schon lange, lange leer, da gingen sie hinein. In dem Schlosse hingen viele Säbel und andere Waffen, davon nahm der Löwe einen Säbel und gab ihn dem Mädchen in die Hand und sagte: »Hau mir den Kopf ab.« »Nein,« sagte das Mädchen, »das thue ich nicht.« »So mußt Du sterben,« sprach der Löwe. Da hieb ihm das Mädchen den Kopf ab. Auf einmal war die Gestalt des Löwen verschwunden und statt dessen stand ein junger schöner Prinz vor ihr und warb um ihre Hand. Sie gab sie ihm und dann reisten sie beide zu des Mädchens Vater. Der gab ihnen seinen Segen und nun ging der junge Prinz mit seiner Frau nach seinem Schlosse. Da lebten sie lange und glücklich.

5. Die Goldtochter und die Hörnertochter.