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Maria Theresia war volksnahe Landesherrin, unerbittliche Erzieherin und Regentin, feinfühlige Ehefrau und Mutter. Abseits von Protokoll und Etikett zeigte sie sich erfreut, verärgert, gerührt, betrübt - mit Einwänden, Rücksichten, Bedenken und Zweifeln, wie sie auch uns manchmal zu schaffen machen. Sie war eine außerordentlich fleißige Briefschreiberin - neben der beruflichen Korrespondenz stand sie auch in regem Kontakt mit ihren Töchtern und Söhnen und mit Damen der Gesellschaft, denen sie bisweilen ihr Herz ausschüttete. Hannes Etzlstorfer, profunder Kenner der Geschichte des Hauses Habsburg, erzählt, thematisch gegliedert, von den Freuden und Leiden der Kaiserin und vom Leben bei Hofe im 18. Jahrhundert. Ihre Briefe, Meinungen von Zeitgenossen und Zitate aus der damaligen Tagespresse sind das Material, mit dem er ein vielseitiges Bild der Zeit und der Persönlichkeit Maria Theresias zeichnet.
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Seitenzahl: 297
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ISBN 978-3-218-00963-8 Copyright © 2008/2014 by Verlag Kremayr & Scheriau GmbH & Co. KG, Wien Alle Rechte vorbehalten Schutzumschlaggestaltung: Ebeling/Visuelle Kommunikation, Wien unter Verwendung eines Fotos von Imagno/Schloss Schönbrunn Kultur- und Betriebsges.m.b.H. Typografische Gestaltung, Satz: Ekke Wolf, typic.at Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien
Eine Kaiserin? DIE Kaiserin!
»Sehen Sie mir dieses ganze Gekritzel nach«
Maria Theresia als Briefschreiberin Oder: Die Kunst der Korrespondenz
Schwangerschaften, Wochenbett und Kindersegen
Schwangerschaften
Geburt und Taufe
Dynastische Sorgen
Medizinische Versorgung
Heiß ersehnte Enkelkinder
Die Erziehung ihrer Kinder
Die Erzieher Maria Theresias
Die Ajas und Ajos
Sorgenkinder, Lieblingskinder
Benimmregeln für alles und jedes
Ein strenges Règlement für Marie Antoinette
Die Söhne, für Politik und Kirche bestimmt
Liebe, Ehe, Familie
Maria Theresia und Franz Stephan – eine Liebesgeschichte
Ehealltag
Die Verehelichung der Kinder
Ratschläge fürs Eheleben
Ausflüge und Reisen
Krönungsreisen
Vergnügen und Beschwerlichkeiten
Essen & Trinken
Nicht nur Brot und Wasser
Kaffee, Tee und Schokolade
Theater, Tanz und adelige Vergnügungen
Theater und Oper
Musik
Tanzvergnügen
Private Vergnügen und adeliger Zeitvertreib
Kunst und Kunstgewerbe
Handwerkliche Meisterstücke
Porträtkunst
Schönheit, Mode, Schmuck und Tand
Kosmetik
Mode
Frisur und Schmuck
Altwerden, Krankheit, Tod und Trauer
Die Kunst des Altwerdens
Die Last der Krankheit
Todesleid und Trauerflor
Religion, Konfession und Philosophie
Glaubenspflichten
Die Angst vor der Aufklärung
Der Tod der Kaiserin
Danksagung
Anmerkungen
Literatur (Auswahl)
Namenregister
Stichwortregister
»Wer keine üblen Gewohnheiten hat, hat wahrscheinlich keine Persönlichkeit« – William Faulkners Bonmot klingt fast wie eine Entschuldigung für die derzeit florierende Boulevardberichterstattung. Die Lust am Nebensächlichen, Anekdotischen wie eben auch am Tratsch beschert uns täglich aus der ganzen Welt Details über Schönheitsoperationen, Marotten, Partys oder modische Accessoires von wirklich Prominenten und selbsternannten Eliten aus Kunst, Kultur, Wirtschaft und Politik. Radio und Fernsehen bedienen uns damit zumeist zur »Primetime«, als handle es sich um hochbrisante Tagesthemen. Dabei ist es im besten Falle Unterhaltung. Und weil es so ist, scheint das tägliche Angebot an Einblicken in die vorgebliche Privatsphäre des Jetsets noch weiter zu wachsen. Liegt der Grund im offenbaren Desinteresse an der zunehmend inflationären Berichterstattung über (Partei-)Politik, über historische, sozialkritische oder sonstige Bildungsthemen? Ist es nur der berühmte Blick durch das Schlüsselloch, der uns verständlichere, versöhnlichere und oft auch entlarvende Einblicke in das Leben der Prominenten verspricht? In der Öffentlichkeit betreiben diese üblicherweise ja nur Imagepflege – egal, ob es sich um die Politur einer aalglatten Fassade oder um inszenierte Volksnähe handelt.
Das gab es allerdings schon immer und oft genug hatte auch Maria Theresia jenseits allen Hofzeremoniells um den Erhalt des schönen Scheins zu kämpfen. So schreibt sie etwa über die konfliktreiche Beziehung zu ihrem reformwütigen Sohn Joseph (seit 1765 Kaiser und Mitregent), am 10. Januar 1771 an Marquise de Herzelle:
»Lediglich um den Anschein aufrecht zu erhalten, speisen wir noch gemeinsam. Sogar die Amtsgeschäfte werden getrennt erledigt. […] Ich habe mehrmals darüber Beschwerde erhoben, aber nichts erreicht.«1
Den schönsten und zudem dauerhaftesten Schein verbreitet aber auch ihr Titel als Kaiserin, den sie ab 1745 in offiziellen Dekreten verwendete, nachdem ihr Gemahl am 4. Oktober 1745 in der Frankfurter Bartholomäuskirche zum römisch-deutschen Kaiser Franz I. gekrönt wurde. Dabei war sie so wenig Kaiserin des römisch-deutschen Reiches wie Beethoven und Mozart Österreicher waren. Die Puristen unter den Historikern haben daher völlig Recht, denn sie war Königin von Ungarn und Böhmen und mehrfache Erzherzogin, Markgräfin etc., Kaiser war ihr Gemahl Franz Stephan von Lothringen und nach dessen Tod 1765 ihr Sohn Joseph. Aber jeder in Europa wusste um die wahren Verhältnisse am Wiener Hof Bescheid, an dem Franz Stephan eine ähnliche Rolle zukam wie sie derzeit Prinz Philipp in England innehat. Und wohl hätte auch Joseph das Schicksal des ewig im Schatten seiner Mutter stehenden Prinzen Charles geblüht, wäre er nicht zuvor Kaiser geworden. Die vox populi, die Stimme des Volkes, sah sie hingegen stets als Kaiserin – und das blieb sie ungeachtet aller Einwände bis heute.
Als beherzte Politikerin, Erzieherin und Mutter hat sie ein markantes Profil entwickelt und im Bedarfsfall auch ihre Meinungen mit Hartnäckigkeit verteidigt. Sie zeigte sich auf vielen Ebenen als resolute Persönlichkeit. Dabei kam ihr wohl jener Hang zur Gründlichkeit zugute, mit dem sie ihr eigenes Leben und das ihrer Familie managte. Dies zeigt ein eigenhändig geschriebenes Zettelchen, das sich nach ihrem Tod in einem ihrer Gebetbücher fand und auf dem sie ihr Leben an der Seite des geliebten Gemahls kurz, liebevoll und akribisch erfasste:
»Kayser franciscus mein gemahl hat gelebt 56 jahr, 8 Monat, 10 tage, ist den 18 augusti 1765 gestorben halb 10 Uhr Abends. Hat also gelebt monate 680, wochen 2958 ½, täge 20778, stunden 496992. mein glickhlicher ehestand ware 29 jahr, 6 monath, 6 täghe, umb die nembliche stund, als ihme die hand gegeben, auch an einem Sonntag, ist er mir plötzlich entrissen worden, macht also jähr 29, monat 335, wochen 1540, täge 10781, stunden 258744 […] So ville pater noster, ave, requiem, gloria zu betten oder so vill almosen geben.«2
Es sind, um mit Oscar Wilde zu sprechen, »Persönlichkeiten, nicht Prinzipien«, die »die Zeit in Bewegung bringen«. Ins gleiche Horn blies auch der Satiriker Karl Kraus: »Gute Ansichten sind wertlos. Es kommt darauf an, wer sie hat.« Bei vielen Regenten scheint es so, als würde das Amt oder die auferlegte Würde die Persönlichkeit des Menschen dahinter ersticken. Nicht so bei Maria Theresia – die uns durch ihre oft tief gehenden Briefe, ihre heiteren Anekdoten und ihr im Grunde schnörkelloses Naturell wie kaum eine andere historische Persönlichkeit der österreichischen Geschichte präsent geblieben ist. So sah sie etwa die Dichterin Gertrud Fussenegger, deren eigene Wurzeln noch in dieses habsburgische Altösterreich zurückreichen (geb. 1912), als »eine in helles Licht getauchte Gestalt, eine Frau, bald in goldenen Prunkgewändern, bald in fahler, grauer oder schwärzlicher Witwentracht, Maria Theresia, uns immer noch nah, unserer Vorstellung greifbar, beinahe gegenwärtig, ein Mensch wie wir. Wieso kommt es, daß sie sich nicht wie ihre Vorfahren, wie noch ihr Vater und die meisten ihrer Zeitgenossen von uns entfernt hat? Was hält sie noch immer in unserer Vorstellungswelt fest? Ihr Schicksal, ihre Menschlichkeit, ihre Mütterlichkeit? Oder ihre Tapferkeit, ihr unbeugsames mütterliches Herz?«3
Das mag unter anderem an den vielen überlieferten Briefen Maria Theresias liegen, in denen nicht nur die große Weltpolitik des Hauses Habsburg anklingt, die sich über weite Strecken u. a. als fein gesponnene Heiratspolitik liest, sondern in denen sich auch die kleinen Humoresken und Dramolette des Alltags abbilden – wenn Maria Theresia z. B. angesichts größeren Familienbesuchs bereits etwas in Panik gerät:
»Ich finde es überaus nett und amüsant, wenn alle zwei Paare gemeinsam hier eintreffen, muss aber zugeben, dass dies für mein Herz fast zuviel auf einmal ist, die Mimerl und ihr Liebster werden eben den Kürzeren ziehen. Ich habe alle Hände voll damit zu tun, Euch alle einzuquartieren, und es wird Euch in meinen Zimmern besser gefallen als letztes Jahr, zudem gleich daneben, da ich für mich die Zimmer unten beibehalten habe. Ich freue mich schon jetzt sehr, Euch beim Reiten zuzusehen.« (Aus einem Brief an ihre Lieblingstochter Marie Christine vom 13. Juni 1776)
So stehen uns denn viele Facetten Maria Theresias vor Augen: als behäbige, leutselige Landesherrin im Zuckerguss, als unerbittliche Erzieherin und Regentin, die mit ihren konservativen Ansichten bereits bei ihren eigenen Kindern scheitern musste, oder als empfindsame Gattin und Mutter, die sich abseits von Protokoll und Etikett als feinfühlende, verletzliche und zuweilen larmoyante Frau präsentiert – mit Einwänden, Rücksichten, Bedenken und Zweifeln, wie sie auch uns bisweilen zu schaffen machen. Vielleicht liegt gerade darin das Geheimnis ihrer ungebrochenen Popularität, vor allem auch, weil sie dabei mit Selbstkritik und Selbstironie nicht hinterm Berg hält und uns so menschlich nahe kommt. Sie selbst hat es einmal in einem Brief in deftig-österreichischer Manier auf den Punkt gebracht, als sie über sich selbst meinte:
»Unkraut verdirbt nicht.« (Brief an Feldmarschall Lacy vom 27. 1. 1771)
Maria Theresias Profil ist bis heute kaum verblasst, wie ihr ungebrochener Nachruhm über mehr als 230 Jahre eindrucksvoll bestätigt, wenn sich auch die Gewichtungen ein wenig verlagert haben. Die vorwiegend männliche Geschichtsschreibung hat sie über Jahrhunderte als Ausnahmetalent gefeiert, aber eben auch an der Männerwelt gemessen, wie dies u. a. aus Anton Zieglers Eloge in seiner 1838 erschienenen »Gallerie aus der Österreichischen Vaterlandsgeschichte« hervorgeht: »Maria Theresia, von ihrer tugendhaften Mutter unterrichtet, zeigte schon in ihrer frühesten Jugend solch’ erhabene Eigenschaften, wodurch sich nur große Männer auszeichnen. […] So war Maria Theresia eine der größten Frauen, deren Häupter Kronen geschmückt hatten. Unter Stürmen und Drangsalen hatte sie ihre Regierung begonnen; die folgende lange Reihe der Jahre verfloss – den siebenjährigen Krieg mit Preußen ausgenommen – unter den wohlthätigen segnenden Beschäftigungen des Friedens […]«4
Trotz all der zeitbezogenen Widersprüche und Brüche, an denen auch wir heute – wenngleich unter anderen gesellschaftlichen Vorzeichen – laborieren, schimmert gerade in den Briefen ihr bodenständiges Naturell durch, das auch noch in Zeiten politischer und menschlicher Bedrängnisse Würde ausstrahlt und so exemplarische Züge erhält. »Man muss Opfer bringen«, ließ daher Michaela Ronzoni die Darstellerin der Maria Theresia im 2007 in Wien uraufgeführten Musical »Die Habsburgischen« lamentieren. Dazu war sie tatsächlich als Landesherrin, aber auch als Gattin, Mutter und Erzieherin oft genug gezwungen. Als größtes Opfer müssen wir wohl ihre Bereitschaft sehen, das schwere Erbe nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters Karl VI. anzutreten, der am 20. Oktober 1740 viel zu früh mit 55 Jahren gestorben ist, ohne für männlichen Nachwuchs zu sorgen. Maria Theresias einziger Bruder, der am 13. April 1716 geborene Leopold Johann, war nach wenigen Monaten, am 4. November 1716, gestorben.
»Man hat’s nicht leicht mit dem Zeugungsdruck«, stöhnt daher auch der derart in Bedrängnis geratene Kaiser Karl VI. im erwähnten Musical, um dann diesem Problem ein eigenes Lied mit der schrillen Intro zu widmen: »Oh Spermien habt doch Erbarmen / mit einem König, einem armen / und schenkt mir noch einen Sohn […]« Doch woher sollte der kommen, wird doch glaubhaft überliefert, dass er das Beilager mit seiner Gemahlin zu sehr verschmähte. Mit der Pragmatischen Sanktion von 1713 war die weibliche Erbfolge in den habsburgischen Landen gesichert, wenn dies auch nicht alle Fürsten Europas akzeptieren wollten, wie sich beim Regierungsantritt der jungen Frau sogleich bewies.
Am Beispiel ihrer Eltern und ihrer eigenen Not hatte Maria Theresia erlebt, wie stark der Fortbestand einer jahrhundertealten Dynastie gefährdet war, wenn der (männliche) Nachwuchs ausblieb. Sie wollte es anders machen – der reiche Kindersegen gab ihr Recht. Mit Genugtuung vermerkte sie stets auch den Erfolg ihrer Überredungskünste und ihrer Hartnäckigkeit, die sie bezüglich der Notwendigkeit des Kinderkriegens bei ihren Töchtern und Schwiegertöchtern an den Tag legte:
»Welches Entzücken bereitete uns doch die Geburt des vierten Erzherzogs! Nun leben sechs; wie viele Dankgebete müssen wir noch zum Himmel schicken! Seit zwei Jahrhunderten, so vermute ich, verfügte unser Haus über nicht so viele Erzherzöge, und trotzdem war es mit mir ausgestorben. Ich sehe es, dass dieses Haus wieder floriert. Möge es der hochheiligen Religion, der Kirche und dem Wohl seiner Völker ebenso nutzbringend sein wie das einstige, das sich aus lauter braven, gütigen Fürsten, guten Christen, guten Ehegatten, guten Vätern, treuen Freunden ihrer Freunde rekrutierte.« (Brief an Erzherzog Ferdinand vom 20. August 1772)
Ihre Mutter Elisabeth Christine, die Kaiser Karl VI. am 1. August 1708 in Barcelona noch als designierter König von Spanien (in dieser Funktion als Karl III. von Spanien5) geheiratet hatte, gebar nach Leopold Johann »nur mehr« drei Mädchen: Maria Theresia (1717–1780), Maria Anna (1718–1744) und Maria Amalia (1724–1730). Erstere erblickte am 13. Mai 1717 um 7.30 Uhr in der Wiener Hofburg das Licht der Welt. Sie wurde noch am selben Tag auf Wunsch ihres Vaters in der Ritterstube auf die Namen Maria Theresia Walburga Amalia Christina getauft. Und mit der Wiener Hofburg sollte ihr weiteres Schicksal eng verbunden bleiben: In der benachbarten Augustinerkirche fand am 12. Februar 1736 ihre Hochzeit mit Franz Stephan von Lothringen statt, im Komödien- und Opernsaal ging um 9 Uhr abends desselben Tages das Hochzeitsmahl über die Bühne. Hier schenkte sie einigen ihrer 16 Kinder das Leben, und hier beschloss sie ihr Dasein am Mittwoch, den 29. November 1780 gegen 9 Uhr abends.
Dazwischen liegt ein bewegtes Leben, in das wir durch ihre oft sehr persönlichen Briefen Einblick erhalten – ob es nun um die zahlreichen Schwangerschaften, die Erziehung der Kinder, die höfische Unterhaltung und Mode oder die ungebrochene Treue zur Kirche dreht. Kaum ein zwischenmenschlicher Bereich, der dabei nicht zur Sprache kommt. Manche Briefe der Kaiserin – wie jener, den sie am 26. Juni ihres letzten Lebensjahres (1780) an ihre Schwiegertochter Erzherzogin Marie Beatrix d’Este schreibt – lesen sich daher fast wie ein Society-Report:
»Meine liebe Frau Tochter! Ich habe gerade einen Brief vom Kaiser vom 14. [Juni] aus Smolensk erhalten. Er wollte am 15. nach Moskau, und die Kaiserin nach St. Petersburg aufbrechen, wo er sich ausrechnet, in vierzehn Tagen zu sein, um dort vierzehn Tage oder drei Wochen zu bleiben und über Riga und Litauen in Galizien zurückzureisen, ohne dabei weder Warschau noch Transsylvanien, den Banat, Ungarn zu berühren, um in den ersten Augusttagen wieder hier einzutreffen. Ich gebe zu, dass ich, solange ich ihn nicht sehe, nicht beruhigt sein werde. Er reiste zwei Tage mit der Kaiserin in einem Wagen zu sechst, sie, er und Romanzow hinten, die Hofdame, Tochter und sehr hübsche Nichte von Potemkin, Engelhard, Cobenzl und ein Adjutant gegenüber.6 In jeder Stadt werden sie vom Magistrat und vom Klerus empfangen, Ansprachen ohne Ende, Abendessen für 80 Gedecke, Abendessen (bzw. Festmahle) und Nachtmahle, Bälle, allabendliche Spektakel, auch auf der Reise. Ich gebe zu, dass mir die Leute auf schelmische Weise gefallen […]«
Breiten Raum nehmen in diesen Briefen erwartungsgemäß die 16 Kinder ein, die aus der Ehe mit dem neun Jahre älteren Herzog Franz Stephan von Lothringen hervorgingen: elf Mädchen und fünf Buben7, die alle einen individuellen, unverwechselbaren Charakter entwickelten, aber aufgrund schicksalhafter Ereignisse und regulierender Eingriffe der Mutter auch Gemeinsamkeiten aufwiesen, die sehr oft negativ, ja letal endeten. So wurden vier von ihnen von den Pocken befallen, die drei nicht überlebten (Karl Joseph 1761, Johanna Gabriela 1762 und Maria Josepha 1767). Als vierte traf die Krankheit Maria Elisabeth, die als hübschestes von allen Mädchen für ihr ganzes Leben entstellt wurde, was sie an ihre gleichfalls durch grobe Pockennarben verunstaltete Schwester Maria Anna (= Marianne) band. Johanna Gabriela und Maria Josepha hingegen ersparte der frühe Tod eine ungeliebte Ehe, die nun Maria Karolina an ihrer Stelle vollziehen musste. Ehe und Tod lagen eng beieinander, denn während der Hochzeit Leopolds mit der Infantin Maria Ludovica von Spanien starb der von allen geliebte Vater 1765 in Innsbruck. Die erstgeborene Maria Elisabeth I. (1740), Maria Karolina I. (1741) und Karolina (1748) starben bereits bei der Geburt oder als Kleinkind. Das Leben des Nesthäkchens Maria Antonia (Antoinette) beendete die Guillotine von Paris. Eine Tochter (Maria Karolina) übertraf beim Kindersegen die Mutter mit 18 Nachkommen, von denen aber nur 7 überlebten. Ihr Sohn Leopold kam ebenfalls auf 16 Kinder. Er und zuerst sein Bruder Joseph wurden Kaiser. Zum besseren Verständnis der Briefe sollen hier die Charakterprofile der einzelnen Kinder Maria Theresias kurz anklingen:
1) Maria Elisabeth (1737–1740)
2) Maria Anna (1738–1789) wurde von ihrer Mutter am meisten vernachlässigt und zog sich daher später nach Klagenfurt zurück, wo sie enge Freundschaft mit dem Konvent der Elisabethinen schloss. Dort wurde sie auch beigesetzt. Bereits 1757 erkrankte die am Hof Marianna gerufene Tochter so schwer an Lungenentzündung, dass man ihr die Sterbesakramente verabreichte. Durch ihre verkrümmte Wirbelsäule (»Buckel«) war sie vermehrt Spott ausgesetzt.8 Mit zunehmender Eifersucht reagierte sie auf Mimi, ihre Schwester und Lieblingstochter Maria Theresias, sowie auf die charmante erste Frau Kaiser Josephs II., Isabella von Parma. Mit ihrem Vater teilte sie ihre naturwissenschaftlichen Interessen. Sein früher Tod stieß sie in eine tiefe Krise:
»Gott […] nahm mir plötzlich und erschrecklich meinen vielgeliebten Vater weg, jenen, so meine einzige Stütze war, mein einziges Vergnügen. Dieser Tod schlug mich zu Boden […] Ich gestehe, ich war so heftig, so übertrieben in meiner Betrübnis, als ich es leider in allem war […] Ich fand keinen Menschen, so mir helfen konnte und bearbeitete es allein.«9
3) Maria Karolina (1740–1741)
4) Joseph (1741–1790) wurde in erster Ehe (1760) mit Prinzessin Isabella von Bourbon-Parma (1741–1763) verheiratet und 1765 zum römisch-deutschen Kaiser gewählt. Der frühe Tod seiner geliebten Frau (1763) und der seiner Tochter Maria Theresia im Jahr 1770 verdüsterten sein Gemüt. Joseph II. ging zwar auf Wunsch der Mutter eine zweite Ehe (1765) mit Prinzessin Maria Josepha von Bayern ein, über die er sich im Vorfeld dieser Ehe jedoch unmissverständlich negativ äußerte: »Ihr Alter ist sechsundzwanzig Jahre […] der Umstand, dass sie die Blattern noch nicht gehabt, eine kleine und dicke Gestalt ohne jugendlichen Reiz, Bläschen und rote Flecken im Gesicht, hässliche Zähne, alles das konnte mich nicht versuchen, zu einem Ehestande zurückzukehren […]«10 Er hielt zu ihr nicht nur zeitlebens Distanz, sondern wohnte nicht einmal ihrem Begräbnis bei.
5) Marie Christine (1742–1798) war die Lieblingstochter (Mimi, Mimerl) Maria Theresias und durfte daher eine Liebesheirat (1766) mit Herzog Albert Kasimir von Sachsen-Teschen eingehen, der ihr nach dem Tode in der Wiener Augustinerkirche das berühmte Grabmal Antonio Canovas errichten ließ. Zeitlebens wurde ihre Vorrangstellung bei der Mutter argwöhnisch beäugt, wie etwa ihr Bruder und spätere Kaiser Leopold II. in seinem geheimen Tagebuch notierte: »Für [Mimi und Albert] hegt [die Kaiserin] die größte Zärtlichkeit […] Diese machen mit der Kaiserin, was sie wollen […] [Mimi] kann zu jeder Stunde zu ihr gehen, wenn sie will, und nur in sie von allen ihren Kindern setzt sie ihr ganzes Vertrauen […] [Mimi] rühmt sich dessen öffentlich und vergibt großartig ihre Protektion, so sehr, dass sich die Kaiserin vor ihr fürchtet und es nicht einmal wagt, aus Angst vor ihr und um nicht ihre Eifersucht zu erregen, den anderen Schwestern irgendeine Aufmerksamkeit zu erweisen, außer mit ihrer Erlaubnis oder hinter ihrem Rücken.«11
6) Maria Elisabeth II. (1743–1808) galt als die hübscheste Tochter Maria Theresias und wurde bereits im Alter von zwölf Jahren mit Heiratsanträgen umworben. In dieser Schönheit sah ihre Mutter eine große Chance, sie prominent zu verheiraten – und zwar mit dem französischen König. Die vierundzwanzigjährige Erzherzogin »Liesl« (wie sie die Kaiserin rief) wurde jedoch drei Tage vor ihrer Hochzeit von den Pocken befallen. Deswegen verzichtete Ludwig XV. auf die Eheschließung. Maria Elisabeth zog sich daraufhin ins Adelige Damenstift in Innsbruck zurück und verblieb dort als Äbtissin bis zu ihrem Tod. Mit ihrer leicht behinderten Schwester Maria Anna verband sie vor allem die Abneigung gegen die Lieblingstochter der Kaiserin, wie ihr Bruder Leopold in seinem Tagebuch verrät: »Mit der Marianna ist [Liesl] oft befreundet und vereinigt sich mit ihr, um sich über die Kaiserin zu beklagen und gegen Maria [Mimi] zu arbeiten, aber wenn sie allein sind, sind sie verfeindet, und [Liesl] redet schlecht von der Maria Anna und erzählt von ihr schreckliche Dinge.«12
7) Karl Joseph (1745–1761) entpuppte sich bald als Lieblingssohn seiner Eltern, wodurch er in Rivalität zu seinem erstgeborenen Bruder Joseph II. geriet, der ihn ob seines Charmes und seiner Intelligenz beneidete. Auch seine steile Karriere wurde grausam durch die Pocken durchkreuzt, denen er sechzehnjährig erlag.
8) Maria Amalia (1746–1804) galt als widerspenstige Tochter. Sie zeigte zeitlebens größten Widerstand gegen ihre Mutter, die sie ihrerseits als hochmütig, eingebildet und lebhaft diffamierte:
»Hört mit jener herrischen Art und Überheblichkeit auf, die Euch die Herzen entfremdet […]«13
Nach dem Vorbild der Liebesheirat ihrer Schwester Marie Christine wollte sie den gut aussehenden Prinzen Karl II. August von Zweibrücken heiraten, doch bestimmte sie Maria Theresia als 23-Jährige zur Gattin des Herzogs Ferdinand von Parma, worauf sie Schrei- und Trotzanfälle bekam. Trotzdem wurde sie mit ihm 1769 in Parma verheiratet. Maria Amalia entzog sich in der Folge dem Einfluss ihrer Mutter. Nach dem Tod ihres Mannes wurde sie gezwungen, von Parma nach Prag umzusiedeln.
9) Leopold (1747–1792) heiratete 1765 in Innsbruck die Infantin Maria Ludovica von Spanien, Tochter König Karls III. Die Hochzeitsfeierlichkeiten überschattete der Tod seines Vaters, der während der Festlichkeiten verstarb. Nach dessen Tod wurde sein Sohn Joseph Universalerbe des Vermögens (allein über zwanzig Millionen Gulden in bar), während zur fassungslosen Bestürzung Maria Theresias alle anderen Kinder – bis auf Leopold – leer ausgingen.14 Als Großherzog der Toskana wie auch als römisch-deutscher Kaiser Leopold II. (ab 1790) und somit Nachfolger seines früh verstorbenen Bruders Josephs II. blieb er dessen Reformfreudigkeit treu, die er jedoch behutsamer als Joseph betrieb. Aus seiner Ehe mit der gebürtigen Madrilenin Maria Ludovica gingen – wie aus der Ehe seiner Mutter – insgesamt 16 Kinder hervor.
10) Karolina (*/† 1748)
11) Johanna Gabriela (1750–1762) war ursprünglich mit König Ferdinand I. von Bourbon-Sizilien verlobt worden und galt als gutmütig und liebenswürdig. Mit ihrer um ein Jahr jüngeren Schwester Maria Josepha teilte sie Kinderzimmer und Erzieherin. Da sie an den Pocken starb, kam es nicht zu der von Maria Theresia eingefädelten Hochzeit.
12) Maria Josepha (1751–1767) wurde nach dem frühen Tod ihrer Schwester Johanna Gabriela, den sie nächtelang beweinte, ebenfalls mit König Ferdinand I. von Bourbon-Sizilien verlobt, um so der Allianzpolitik des Hauses Habsburg Genüge zu tun. Als man ihr Anfang Oktober 1767 ein mit Diamanten geschmücktes Porträt ihres Verlobten zukommen ließ, stieg ihre Abneigung gegen diese Heirat und ihre innere Betrübnis. Nicht einmal die Aussicht, später Königin von Neapel-Sizilien zu werden, konnte ihre Laune aufhellen. Als sie am 4. Oktober 1767 nach einem Besuch der Kaisergruft plötzlich an den Pocken erkrankte, war auch diese für den 15. Oktober angesetzte Heirat gefährdet. Ihr Hochzeitstag wurde zugleich ihr Sterbetag. Auf dem Totenbett schenkte sie noch ihrer Mutter mit dem Hinweis Trost, dass sie an diesem Tag ohnehin Maria Theresia verlassen hätte müssen, nun aber in den Himmel käme, wo sie viel besser aufgehoben sei. Wie ihre geliebte Schwester Johanna Gabriela und zehn weitere Geschwister fand auch sie in der Wiener Kaisergruft ihre letzte Ruhestätte.
13) Maria Karolina II. (1752–1814) war es schließlich, die am 12. Mai 1768 König Ferdinand I. von Bourbon-Sizilien, Sohn König Karls III. von Spanien, im Palais von Caserta bei Neapel ehelichte, nachdem ihre beiden Schwestern als bereits mit ihm Verlobte kurz davor an den Pocken verstorben waren. Sie galt schon am Wiener Hof als ungezogenes Kind bzw. wilde Rebellin, die oft genug Konflikte mit ihrer Mutter heraufbeschwor, der sie jedoch in manchen Charakterzügen, wie etwa in ihrer Ungeduld oder ihrem mäßigen diplomatischem Geschick, ähnlich war. Ihre gewissenhafte Vorbereitung zur Königin an der Seite König Ferdinands I. sollte ihr bei der Bewältigung ihrer schwierigen politischen Missionen helfen. So erwies sie sich in der Folge als politisch höchst aktiv. Obgleich sie kein Liebesverhältnis mit dem König verband, schenkte sie ihm doch 18 Kinder (elf Töchter und sieben Söhne) und übertraf so noch ihre Mutter Maria Theresia.
14) Ferdinand Karl Anton (1754–1806) genoss eine eher unbekümmerte Jugend, da er in der Thronfolge als vierter Sohn Maria Theresias weit hinten lag. So wurde er schon sehr früh als Gatte der Herzogin Maria Beatrix d’Este, der einzigen Tochter Herzog Herkules’ III. von Modena-d’Este, auserkoren und mit ihr am 15. Oktober 1771 verheiratet. Durch diesen Schachzug wollte Maria Theresia in den Besitz des Herzogtums Modena gelangen. Neun Kinder sollten aus dieser Verbindung hervorgehen, die so den Grundstein für die Linie Habsburg-Este legte. Napoleon zwang jedoch Ferdinand Karl, der 1780 zum Statthalter der Lombardei ernannt wurde, mit seiner Familie 1796 zur Flucht. Über Triest und Brünn gelangten sie nach Wiener Neustadt, wo sich die Herzogin mit einigen Kindern niederließ, bzw. nach Wien, wo Ferdinand Karl mit den älteren Söhnen im Schloss Belvedere sein neues Domizil fand.
15) Marie Antoinette (Maria Antonia) (1755–1793) gilt neben Joseph II. als eines der bekanntesten Kinder Maria Theresias. Bei ihrer Geburt am Allerseelentag (2. November) kam es zu ernsthaften Komplikationen und einer massiven Gefährdung der Mutter. Dies und die Tatsache, dass einen Tag davor Lissabon durch ein schweres Erdbeben zerstört wurde, galt im Nachhinein als erstes böses Omen. Maria Theresia bestimmte sie in der Folge zur Gattin für König Ludwig XVI. von Frankreich, um so auch die politische Achse zwischen Habsburgern und Bourbonen zu stärken. Als noch nicht Fünfzehnjährige trat sie im April 1770 die Reise zu ihrem zukünftigen Gemahl nach Frankreich an, wobei der aus zahllosen Kutschen bestehende Brautzug von überwältigend vielen Festlichkeiten begleitet wurde. Am 16. Mai 1770 fand schließlich die Heirat im Schloss Versailles statt. Sie gebar dem König in der Folge zwei Knaben und zwei Mädchen. Ihr Luxusleben, das in wachsenden Kontrast zu den Hungersnöten in Frankreich geriet, machte sie zunehmend zur Zielscheibe der Kritik. Im Zuge der Französischen Revolution sollte sie daher auch der Volkszorn treffen: Nachdem man ihren Gemahl bereits im Januar 1793 öffentlich enthauptet hatte, folgte ihm Marie Antoinette am 16. Oktober 1793 aufs Schafott.
16) Maximilian Franz (1756–1801) ist der jüngste Spross Maria Theresias, die ihn Max Franz nannte und zum Generalstatthalter von Ungarn bestimmte. Aus diesem Grunde erhielt er eine umfassende militärische Ausbildung. Nachdem er aber beim kurzen Feldzug im bayerischen Erbfolgekrieg schwer erkrankte (er bekam Geschwülste an den Beinen), schwand damit auch die Hoffnung der Mutter auf eine militärische Karriere. Deshalb bestimmte ihn Maria Theresia für eine geistliche Laufbahn. Nach einer anfänglichen Abneigung gegen den geistlichen Stand vertiefte er sich bald in theologische Studien. Schließlich stieg er zum Kurfürsten und Erzbischof von Köln auf. Dabei erwies er sich als bescheidener Kirchenmann, der sich der Aufklärung verbunden fühlte und damit mit dem Papst in Konflikt geriet. Der Einfall der Franzosen zwang ihn 1794 zur Flucht von seiner Wirkungsstätte. Er starb schließlich in Schloss Hetzendorf in Wien.
Für ein durchschnittliches Leben wären das mehr Schicksalsschläge, als ein einzelner Mensch ertragen kann. Wir müssen aber noch das Leben der insgesamt vier Schwiegertöchter und vier Schwiegersöhne mit einrechnen und der 30 Enkel, deren Geburt die Großmutter noch bejubeln konnte. Die fünf erstgeborenen Mädchen davon wurden Maria Theresia getauft, nur die widerspenstige Maria Amalia nannte ihr Kind Karoline. Insgesamt sollten es 57 Nachkommen werden, von denen aber nur 36 länger überlebten. Doch erst beim Tod ihres geliebten Gemahls brach für sie das Leben zusammen. Sie trug fortan, bis zu ihrem Tod, nur mehr Trauerkleidung und schien sich zunehmend dem Leben zu verweigern:
»Ich bin mir selbst fremd. Wie ein Tier vegetiere ich vor mich hin, gefühllos und ohne Vernunft, vergesse alles. Um 5 Uhr früh stehe ich auf, gehe spät zu Bett und tue den ganzen Tag nichts. Ich denke nicht einmal.« (Aus einem Neujahrsbrief an Graf Silva-Tarouca)
In traurige Resignation versetzten sie neben diesem nie mehr verwundenen Verlust und den politischen Krisen auch die immer öfter zutage tretenden Konflikte mit einzelnen Kindern. Vor allem die Spannungen, die sich zwischen ihr und ihrem Sohn Joseph zunehmend auftaten, vergällten der Kaiserin die Regierungsgeschäfte an seiner Seite15:
»Tagtäglich verhärtet sich die Stimmung und es fehlt nicht an Schikanen […] Ich bitte Sie, diesen Brief dem Feuer zu überantworten […] und kein Wort dem Kaiser [ihrem Sohn Joseph II.] gegenüber fallen zu lassen […] obgleich die Öffentlichkeit schon mehr weiß, als sie sollte.« (Aus dem bereits eingangs erwähnten Brief Maria Theresias vom 10. Januar 1771 an Marquise de Herzelle)
Der als Reformkaiser angetretene Joseph II., dessen eigenes Naturell sich nach dem Tod seiner geliebten ersten Frau wie auch seiner Kinder nachhaltig verdüsterte16, bereitete seiner Mutter vor allem durch seine unbeirrbare, kalte Art des Regierens zunehmend Schmerz, wie aus ihrem resignierenden Schreiben vom Weihnachtsabend 1775 hervorgeht:
»Zu sehr demonstrierst Du Deine Aversion gegen die althergebrachten Traditionen und gegen den Klerus, allzu deutlich zeigst du freizügige Ansichten über Benehmen und Sittlichkeit. Du beunruhigst mich zu Recht – und machst mir vor der Zukunft bange. Glaub mir, mein Herz ist in großer Unruhe, beobachte ich doch, wie wenig Du mit mir übereinstimmst und wie Du auf Deinen alten Vorurteilen beharrst. Ich hoffe, dass sie Dich glücklicher werden lassen, als sie es mich machen.«
Maria Theresia sparte nicht mit Kritik am oberflächlichen und kapriziösen Lebensstil ihrer Kinder. So schärft sie ihrer jüngsten Tochter Marie Antoinette geradezu monoton ein, dem Dauphin Nachkommen zu schenken und daher jede diesbezügliche Gefährdung des Körpers zu meiden (Brief vom 2. August 1780):
»Selbst die mäßige Bewegung am Pferd finde ich nicht guth, zudem ist das lange Aufbleiben an den Abenden sicherlich das Abträglichste für diese Sache. Ruhe ist vonnöten, nicht Müdigkeit. Dies ist notwendig, um Dein Glück und jenes Frankreichs zu bekräftigen. Mir kann dies nicht gleichgültig sein.«
Selbst in die Ernährungsgewohnheiten ihrer Kinder schaltet sich Maria Theresia mit mütterlicher Entschlossenheit ein, wenn sie etwa der Erzieherin der kleinen Erzherzoginnen Johanna und Josepha die Maßregeln einbläut. So steht in der Instruktion für die Gräfin Maria Walburga Lerchenfeld, die Aja der Erzherzoginnen Johanna und Josepha, vom November 1756:
»Ich verlange, daß sie von Allem essen sollen und keine Ausstellungen oder Aussuchung im Essen machen von einem besseren Bissen oder Speise, auch keine Discurs vom Essen selbe halten lassen. Fische essen selbe alle Freitage, Samstage und alle anderen Fasttage. Obwohl die Johanna besonders einen Ekel für selbe bezeigt, so wäre es ihr nicht angehen zu lassen und sie zu animiren, daß sie sich nicht zu lang dabei aufhalte, indem alle meine Kinder die nämliche Aversion dagegen gezeigt.«17
Aus diesen Briefen wie auch aus den überlieferten Anekdoten und den damaligen Zeitungsberichten speist sich ein Charakterbild voller faszinierender Einblicke in eine Umbruchzeit, deren weit reichende politische, religiöse, gesellschaftliche oder auch künstlerische Folgen sich bereits in den persönlichen Stellungnahmen Maria Theresias wie auch ihren Abneigungen abzeichnen.
Schicksalsschläge und das Gefühl, selbst in der Erziehung der eigenen Kinder vielfach gescheitert zu sein, machten aus der impulsiven, lebenslustigen Frau allmählich eine empfindsame, melancholische und pessimistische Mutter. Man kommt nicht umhin, ihr dabei in vielem die Schuld zu geben. Wie kaum ein Mensch aus ihrem näheren Umfeld erkannte dies ihre vom Sohn abgöttisch geliebte Schwiegertochter Isabella von Parma, die zu ihrer Schwägerin Marie Christine eine schwärmerische, sogar erotisch gefärbte Neigung entwickelte, wie Gertrud Fussenegger18 meint.19 In einem Brief kurz vor ihrem frühen Tod schreibt Isabella an Marie Christine: »In dem ersten Augenblicke musst Du vor ihr [Maria Theresia] Dich gehen lassen; sie wird in Deinem Charakter eine Aehnlichkeit mit dem meinigen finden, die sie an Dich fesselt […] Aber Du kennst ja ihre Weise, ihre Kinder zu lieben; jederzeit ist sie mit einer Art Mißtrauen und anscheinender Kälte gemischt […].«20
Viele persönliche Briefe Maria Theresias offenbaren schicksalhafte Momente, die uns trotz des großen zeitlichen Abstandes und des uns heute fremden sozialen Milieus berühren. Vielleicht liegt gerade in ihrer manchmal offenherzig bekundeten Schwäche, Ratlosigkeit oder Unbeirrbarkeit auch der Grund für die ungebrochene Faszination, die sie bereits auf mehrere Generationen ausübt und die auch fallweise in historischen Würdigungen aufblitzt: »Insbesondere steht Maria Theresia unserem Empfinden überaus nahe, da sie, die schwache, hilflose Frau, von der ganzen Welt bekämpft wurde. Ihre Gegner sahen Österreich als herrenloses Gut an und teilten frohlockend schon die Beute. Doch seltsam, die schwache, hilflose Frau konnte man zwar beugen, aber nicht brechen, Maria entwickelte eine erstaunliche Seelengröße.«21
Und in so manchem Ratschlag oder Bedauern liegt eine Zeitlosigkeit, die erstaunen mag:
»Meine Lage ist trostloser, als man sich vorstellen kann. Brächten sie mich meinem Ende näher und trügen sie zu meiner Besserung bei, wäre alles noch zu ertragen, aber ich bemerke leider, dass ich selbst mein Beten ohne Gefühle absolviere und dass ich meinen Aufgaben nur mehr schlampig nachkomme. Dies alles deprimiert mich und letztendlich lasse ich den Dingen ihren Lauf.« (Brief vom 22. Juni 1768)
Selbst allzu Menschliches bleibt nicht ausgespart, wenn sie etwa in einem Brief an Gräfin Enzenberg anmerkt:
»Er wird Euch berichten, wie dick und fett ich geworden bin. Mein Inneres ist ausgetrocknet, ich fühle mich übermäßig gealtert, schwach bei Kräften und heruntergekommen.«
Hugo von Hofmannsthal legt seiner Marschallin im Opernlibretto zum Rosenkavalier des Richard Strauss die Frage in den Mund: »Wie macht denn das der liebe Gott? Wo ich doch immer die gleiche bin. Und wenn er’s schon so machen muß, warum laßt er mich zuschaun dabei mit gar so klarem Sinn? Warum versteckt er’s nicht vor mir? Das alles ist geheim, so viel geheim. Und man ist dazu da, daß man’s ertragt. Und in dem ›Wie‹, da liegt der ganze Unterschied […]«
Es ist wohl auch dieses Wie der kostbaren Briefe Maria Theresias, weshalb sie uns heute in ihrer Direktheit, ihrer Spontaneität oder auch wegen ihrer mütterlichen Verzagtheit so berühren bzw. treffen und eine herausragende Persönlichkeit mit menschlicher Wärme erfüllen. Damit trifft wohl auf Maria Theresia und ihre Briefe besonders zu, was der österreichische Dramatiker Robert Musil in einem anderen Zusammenhang attestierte: »Eine Persönlichkeit ist der Ausgangspunkt und Fluchtpunkt alles dessen, was gesagt wird, und dessen, wie es gesagt wird.«
»Wie willst Du Dich einem so geistreichen, gebildeten Prinzen wie Deinem Gemahl gegenüber verhalten? Womit möchtest Du ihn unterhalten? Mit Tratsch von hier und aus Deinen Kindertagen? Mit Deiner Reise? Mit meiner Krankheit? Mit Abenteuern von Leuten, die er überhaupt nicht kennt, die ihn nicht interessieren können und an sich kaum Wert haben? […]«
Brief an Tochter Maria Amalia, die am 27. Juni 1769 mit Herzog Ferdinand von Parma vermählt wurde und am 1. Juli 1769 nach Parma abreiste
Als Quelle für unsere Zwecke eignen sich vorrangig die persönlichen Briefe, die sie zumeist an ihre Kinder und Freundinnen richtete und in denen Maria Theresias Gedanken, Gefühle und Wünsche offenherzig anklingen. Manchmal verhüllt sie darin zwar ihre Absichten, zumeist findet sie aber einen eindringlichen Tonfall – manchmal mütterlich besorgt und zärtlich, in manchen Fällen allerdings auch energisch und unmissverständlich. Dabei ist ihr nicht nur der Inhalt ihres Schreibens wichtig, sondern auch die richtige, dem Anlass entsprechende Form oder die individuelle Note, wenn sie etwa in die den damaligen Hofgepflogenheiten zufolge zumeist auf Französisch verfassten Briefe deutsche Floskeln bzw. Wienerisches einbaut.
Wie wichtig ihr die Form bzw. das Schriftbild war, spricht auch aus ihren selbstkritischen, entschuldigenden Anmerkungen, wenn ihr etwa bei einem an die sächsische Kurprinzessin Maria Antonia adressierten Schreiben das enge Korsett fast die Luft beim Briefschreiben raubt (vom 8. Dezember 1761) und in der Folge ein kleiner Fauxpas passiert:
»Ich bitte um Entschuldigung für mein Versehen am Anfang des Briefes. [M. T. hatte den Brief auf der falschen Seite begonnen] Ich ersuche Sie umso mehr, diesen fauxpas nachzusehen, zumal ich mich am Namensfest des Kaisers in meinen höchsten Staat [Staatskleid] gezwängt habe und mich daher beim Schreiben kaum noch rühren kann; überdies begehen wir heute einen hohen Feiertag und daher ist die Zeit kostbar […].«
Erst mit zunehmendem Alter wurde der Regentin auch das Briefeschreiben immer mehr zur Last, weshalb sie manchmal auf fremde Hilfe angewiesen war:
»Sehen Sie mir dieses ganze Gekritzel nach; ich habe tatsächlich in meiner rechten Schulter einen rasenden Rheumatismus, weshalb mir das Schreiben zunehmend schwerer fiel […] Verzeihen Sie, dass dieser Brief von einer anderen Hand stammt; aber ein Reißen im rechten Arm erlaubt es mir nicht, dieser Aufgabe selbst nachzukommen.« (Brief an Maria Antonia von Sachsen vom 10. Oktober 1763)
Dieses Lamento findet sich dann auch in einem weiteren Brief an die sächsische Kurprinzessin vom 9. Februar 1764:
»Als Petzold den Kurier wegen der polnischen Angelegenheiten übernahm, fühlte ich mich nicht imstande, zur Feder zu greifen, da mich schon seit vier Wochen ein Reißen im Kopf und eine Art Erkältung im Hals und Rheumatismus plagt, die mich zwar nicht gerade krank machen, mich jedoch in meinen Beschäftigungen, besonders am Schreiben, häufig hindern.«
Diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen manifestierten sich zunehmend auch im Schriftbild, wofür sich Maria Theresia etwa in einem Schreiben an Marie Antoinette entschuldigt und hier auch auf eine zunehmende Sehschwäche als Ursache hinweist: