Marked Men: In seinen Armen - Jay Crownover - E-Book

Marked Men: In seinen Armen E-Book

Jay Crownover

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Beschreibung

Saint hat alles dafür gegeben, ihren Traum zu leben und endlich Krankenschwester zu sein. Doch eines Tages steht sie im Krankenhausflur plötzlich Nash gegenüber - ihrer Highschool-Liebe. Er hat sie damals zutiefst verletzt ... und jetzt droht die Geschichte sich zu wiederholen. Aber als Nash die Wahrheit über ihre gemeinsame Vergangenheit erfährt, wird ihm klar, dass er Saint womöglich für immer verloren hat - bevor er überhaupt um ihre Liebe kämpfen konnte. Saint muss sich entscheiden: Kann sie Nash verzeihen und ihm eine neue Chance geben?

Die perfekte Mischung aus Drama und prickelnder Erotik - Die New-York-Times-Bestseller-Reihe "Marked Men".

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.

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Seitenzahl: 518

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin:

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Einleitung

Zitate

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Epilog

Nashs und Saints Playlist

Danksagung

Weitere Titel der Autorin:

Marked Men: In seinen Augen

Marked Men: In seiner Stimme

Marked Men: In seinem Herzen

Über dieses Buch

Saint hat alles dafür gegeben, ihren Traum zu leben und endlich Krankenschwester zu sein. Doch eines Tages steht sie im Krankenhausflur plötzlich Nash gegenüber – ihrer Highschool-Liebe. Er hat sie damals zutiefst verletzt … und jetzt droht die Geschichte sich zu wiederholen. Aber als Nash die Wahrheit über ihre gemeinsame Vergangenheit erfährt, wird ihm klar, dass er Saint womöglich für immer verloren hat – bevor er überhaupt um ihre Liebe kämpfen konnte. Saint muss sich entscheiden: Kann sie Nash verzeihen und ihm eine neue Chance geben?

Über die Autorin

Jay Crownover lebt in Colorado, wo auch ihre Romane spielen. Sie liebt Tattoos und Körperschmuck, und so ist es kein Wunder, dass ihre Helden allesamt tätowierte und gepiercte Bad Boys sind. Ihre Leidenschaft galt schon immer dem Lesen und Schreiben, und mit dem Erfolg ihrer Serie Marked Men ist ein Traum für sie wahr geworden. Mehr Informationen unter: www.jaycrownover.com

JAY CROWNOVER

MarkedMen

IN SEINEN ARMEN

Aus dem Amerikanischenvon Michaela Link

beHEARTBEAT

Deutsche Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2014 by Jennifer M. Voorhees

Titel der amerikanischen Originalausgabe: „Nash“

Originalverlag: William Morrow Paperbacks, an imprint of HarperCollins Publishers, LLC.

Published by arrangement with William Morrow Paperbacks, an imprint of HarperCollins Publishers, LLC.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: © Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven von © Getty Images: YekoPhotoStudio | natthanim

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-8217-4

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Gewidmet all denen unter euch, die vielleicht eine kleine Erinnerung daran brauchen, dass sie fantastisch sind – genau so, wie sie sind!

Einleitung

Ich bin in einem ziemlich kleinen Ort hier in den Bergen in Colorado aufgewachsen. Es war ein hübsches Fleckchen, aber ich fiel auf, was nicht gerade leicht für mich war. Ich hatte schon immer meinen eigenen Stil, tat, was ich für richtig hielt, bestimmte meine eigenen Regeln und bahnte mir selbst meinen Weg. Ich entwickelte schon früh ein dickes Fell und ein verlässliches Gefühl dafür, wer ich war und was mir wichtig war. Das musste ich tun, denn sonst wäre ich dem Glauben zum Opfer gefallen, dass das, was andere über mich sagten oder dachten, irgendwie stimmte. Das ist alles lange, lange her, und doch hängen mir diese Zeiten und diese Gefühle immer noch nach.

Das trifft, wie ich weiß, nicht auf jeden zu – manche Menschen wurden noch nie unfair beurteilt. Aber viele wurden es, und sie wissen, dass gemeine Worte und Taten heutzutage so viel folgenschwerer sein können, da die ganze Welt über Tastaturen und Displays verknüpft ist. Es wird immer schwieriger, Negativität und Pessimismus zu ignorieren.

Sich selbst zu lieben, seinen eigenen Wert zu kennen, ist etwas, womit viele junge Mädchen zu kämpfen haben, und das kann sich definitiv bis in ihr Erwachsenenleben hinziehen. Wir alle haben Eigenschaften, die uns von anderen unterscheiden, die uns zu etwas Besonderem machen, die uns zu dem machen, wer wir sind, und ich würde liebend gern sehen, dass diese Eigenschaften auf ganzer Linie gefeiert und geschätzt werden. Hisst die Freak-Flagge! (Oder das, was immer ihr passend findet.)

Ich denke, bei der Suche nach der Liebe, die wir uns wünschen, der Liebe, die wir wirklich verdienen, muss der erste Schritt darin bestehen, sich selbst zu lieben. Das ist eine Liebe, die niemals verloren gehen kann und die nur wachsen und erstarken kann, je mehr sie genährt und entwickelt wird. Wisst zu schätzen, wer ihr seid. Liebt das, was euch anders macht. Erzählt eure Geschichte auf eure eigene Weise. Heißt die Dinge willkommen, die euch innerlich und äußerlich schön machen, und wisst, sobald ihr das tut, kann niemand diese Eigenschaften ignorieren. Genießt die Eigenheiten, die euch zu euch machen, und tut es voller Stolz.

Du kannst im gesamten Universum nach jemandem suchen, der deine Liebe und Zuneigung mehr verdient als du selbst, und dieser Mensch ist nirgendwo zu finden. Du selbst, wie jeder andere im gesamten Universum, verdienst deine Liebe und Zuneigung.

Buddha

Niemand kann dir ohne deine Zustimmung das Gefühl geben, minderwertig zu sein.

Eleanor Roosevelt

Oft zeigt sich, dass der Mensch wird, was er glaubt. Wenn ich mir dauernd einrede, ich könne dies oder das nicht, dann werde ich in der Tat dazu unfähig. Wenn ich hingegen fest glaube, ich werde es können, dann bekomme ich sicher die Fähigkeit dazu, selbst wenn sie mir anfangs nicht eigen war.

Mahatma Gandhi

Die Augen der anderen sind unsere Gefängnisse, ihre Gedanken sind unsere Käfige.

Virginia Woolf

Sich selbst zu lieben ist der Beginn einer lebenslangen Romanze.

Oscar Wilde

Ich feiere mich selbst und singe mich selbst …

Walt Whitman

Liebe dich selbst, dann ergibt sich alles andere wie von selbst. Man muss sich wirklich selbst lieben, um in dieser Welt etwas zu erreichen.

Lucille Ball

Prolog

Saint

Highschool – nicht die besten Jahre meines Lebens

Es gibt einen Moment im Leben eines jeden Menschen, einen Punkt, der den Weg, auf dem er sich befindet, den Pfad, den er entlanggeht, auf ewig verändert. Für mich war dieser Moment an dem Abend von Ashley Maxwells Geburtstagsparty in meinem letzten Jahr an der Highschool.

Ich war nicht der Typ Teenager, der auf wilde Partys ging. Ich trank nicht und nahm keine Drogen und machte nicht mit Jungen herum, also hatte es für mich eigentlich gar keinen Sinn hinzugehen. Ich war außerdem schrecklich schüchtern, übergewichtig, und ich fühlte mich unwohl in meiner Haut, einer Haut, die hässliche Pickel bekam und leuchtend rot anlief, wann immer jemand versuchte, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Die Korridore der Highschool waren für ein Mädchen wie mich reine Folter, aber ich überstand das meiste unbeschadet, weil ich wusste, wann ich den Kopf einziehen musste und dass ich keine Freunde oder Jungen in Betracht ziehen durfte, die völlig unerreichbar für mich waren. Zumindest handhabte ich das so bis zu meinem Abschlussjahr, als mein Schließfach sich direkt neben dem von Nash Donovan befand.

Während der ersten Schulwochen blieb ich für mich und ignorierte ihn, genau wie ich alle beliebten Kids ignorierte, alle schönen Menschen. Wenn ich mich auf keinen Kontakt einließ, konnte er sich nicht über mich lustig machen oder, schlimmer noch, mich mit Mitleid in seinen spektakulären veilchenblauen Augen ansehen, die in seinem attraktiven Gesicht leuchteten. Das funktionierte bis zu dem Tag, an dem ich ein Mathebuch auf seinen Fuß fallen ließ und er es aufhob und mir überreichte. Ich werde nie vergessen, wie ich mich fühlte, als mein Herz stehen blieb und dann in der nächsten Sekunde anfing loszurasen, als diese spektakulären Augen mich anstrahlten. Ich hatte noch nie so etwas erlebt.

Nash lächelte mich an, sagte irgendetwas Sarkastisches und Unerwartetes, und mein armes einsames Herz schlug einen Purzelbaum. Er ging mit einem Augenzwinkern davon … und ich war verliebt. Verzehrend, verschlingend verliebt, und es wurde von Tag zu Tag schlimmer, denn nach diesem peinlichen Zwischenfall sagte Nash immer Hallo, wenn wir an unseren Schließfächern standen, und er ging immer mit einem Lächeln oder einem Nicken davon. Jeden Tag war ich mehr verzaubert, verliebte mich ein wenig heftiger und entwickelte die Fantasie, dass wir dazu bestimmt waren, mehr füreinander zu sein als flüchtige Bekannte, und dass zwischen uns etwas Großartiges und Romantisches entstehen konnte.

Ich war ein kluges Mädchen, daher wusste ich, dass meine Zugneigung einseitig war, aber er wirkte nett und charmant, und mir wurde ganz warm ums Herz, weil er mich niemals aufzog oder irgendetwas sagte, bei dem ich mich wegen meines Gewichts oder meines Aussehens schämte, wie so viele unserer Mitschüler das regelmäßig taten. Unser simpler Austausch tat meiner Selbstachtung gut, half mir dabei, mich so zu fühlen wie die übrigen Mädchen, die durch die Flure streiften und über ihn und seine Clique von Unruhestiftern in Verzückung gerieten. Nach einem Monat oder so brachte ich sogar den Mut auf, seine Begrüßungen zu erwidern, ohne dass meine helle Haut in Flammen aufging. Ich stammelte oder verstummte nicht mehr, wenn er mit mir sprach, und gelegentlich brachte ich es sogar fertig, mir als Erwiderung ein Lächeln abzuringen. Ich war ziemlich stolz auf mich, und als er mich dann eines Freitags fragte, ob ich vorhätte, zu Ashley Maxwells Party zu gehen, war ich verblüfft und begeistert zugleich. Mich überlief ein erwartungsvoller Schauer, der mir durch Mark und Bein ging, und ich konnte nicht verhindern, dass ich mich kopfüber in einen Tagtraum stürzte, in dem dies der Anfang von mehr war als nur dem Austausch von Nettigkeiten im Flur. Ich konnte es mir nur mit Mühe verkneifen, einen Freudentanz zu vollführen und in die Hände zu klatschen wie eine Irre.

Es war mehr, als er normalerweise mit mir sprach, und er war einfach so freundlich und sympathisch, dass ich antwortete, ich würde versuchen zu kommen. Ich wollte nicht zu eifrig klingen. Als er mich anlächelte und sagte, dass sei großartig und wir könnten zusammen abhängen, konnte ich nicht gegen das Gefühl ankämpfen, dass der Besuch einer unbeaufsichtigten wilden Highschoolparty das Wichtigste sein würde, was ich in meinem ganzen jungen Leben je getan hatte.

Faith, meine ältere Schwester, hübsch und beliebt, fügte sich in dem gesellschaftlichen Leben der Jugendlichen, das für mich einem Haifischbecken ähnelte, perfekt ein. Sie stellte mir schier endlose Fragen wegen meines plötzlichen Verlangens, mich unter meine Altersgenossen zu mischen, ermahnte mich, dass Jungen und Mädchen, die schon im normalen Alltag gemein und unfreundlich waren, grausam und bösartig werden konnten, wenn gesellschaftlicher Status und Alkohol im Spiel waren – aber ich beschloss, nicht auf sie zu hören. Ich dachte, das Schlimmste, was passieren konnte, war, dass ich auftauchen, Nash nicht sehen oder er mich nicht finden würde, und ich mich dann einfach umdrehen, nach Hause gehen und es mir mit einem Buch gemütlich machen würde, wie ich es an den meisten Wochenenden tat. Ich stellte mich blind. Denn meine Sehnsucht danach, dass dieser Junge mehr in mir sah, als es der Fall war, beherrschte mich vollkommen. Sie veranlasste mich dazu, allen gesunden Menschenverstand und meinen eigentlich sonst so geschärften Sinn für Selbstschutz zu ignorieren.

Ich erlaubte Faith, stundenlang ein Theater um mich zu veranstalten. Sie spielte mit meinem feuerroten Haar, bis es lockig und hübsch und feminin gestylt war. Ich ließ sie ein Outfit aussuchen, in dem ich zwar niemals ausgesehen hätte wie eine Cheerleaderin mit Kleidergröße 34, das aber modisch und hübsch war, und ich ließ es sogar zu, dass sie mir einen Haufen Zeugs ins Gesicht schmierte, von dem ich am Ende noch mehr Pickel bekommen würde. Das Ergebnis war tatsächlich ganz nett. Ich sah besser aus als sonst. Ich dachte, ich würde einfach in der Menge untertauchen können, was ich okay fand, solange diese atemberaubenden, veilchenblauen Augen mich fanden. Ich fühlte mich selbstbewusster und sicherer, als ich mich jemals zuvor gefühlt hatte.

Faith schärfte mir ein, erst nach elf auf der Party aufzutauchen, also wartete ich ängstlich ab, fummelte an meinem Haar herum und spielte im Geiste jedes Szenario durch, das meine übereifrige Fantasie entwarf. Vielleicht würde er mich zum Tanzen auffordern. Vielleicht würde er mich nach draußen führen und mir meinen ersten Kuss geben. Vielleicht würde er mir sagen, dass er all die wunderbaren Dinge sehen könne, die unter meiner Oberfläche versteckt waren, und dass ich seine feste Freundin werden solle. Rückblickend war natürlich klar, dass nichts von alledem geschehen würde und dass ich überhaupt nicht wusste, was für ein Typ Nash tatsächlich war, aber verliebt war verliebt.

Und so tauchte ich bei Ashley Maxwells großer Party auf, mit angemessener Verspätung und bewaffnet mit Faith’ Make-up und einem rasenden Herzen voller Erwartungen.

Als ich das Haus betrat, schlug mir laute Musik entgegen, und mein Optimismus geriet ins Wanken. Drei Jungen, die ich aus Chemie kannte, drängten sich an mir vorbei, um sich in das Chaos im Wohnzimmer zu stürzen. Ich konnte keine unverfängliche Stelle finden, auf die ich den Blick heften konnte; wohin ich auch schaute, schien jemand etwas zu tun, das mir die Röte ins Gesicht trieb. Ich tat mein Bestes, um niemanden anzustarren, spürte aber, wie mir eine verräterische Hitze den Hals hinaufkroch, während ich mich durch das Meer von Leibern kämpfte. Es war verstörend, und mir ging langsam auf, dass eine neue Frisur und etwas Mascara niemals ausreichen würden, damit ich an einem Ort wie diesem dazugehörte.

Die Küche sah etwas weniger überfüllt aus, also ging ich in diese Richtung und hielt dabei nach Nash Ausschau. Ich war mir sicher, wenn ich ihn nur finden könnte, würde dieser Abend eine Wendung zum Guten nehmen. In meinem Magen flatterten wieder Schmetterlinge, als ich mir vorstellte, quer durch den Raum diesem wundervollen Blick zu begegnen. Ich stellte mir vor, dass seine Augen glänzten und von Fältchen umgeben waren, wie immer, wenn er lächelte, und ich malte mir aus, wie ich plötzlich ganz entspannt neben ihm stand, während das Chaos ringsherum verblasste. Er würde dafür sorgen, dass all das Unbehagen verschwand.

Als ich um eine Ecke bog, stieß jemand gegen mich und kippte mir eine klebrige rote Flüssigkeit über die gesamte Vorderseite meines sorgfältig ausgewählten Tops. Ich schnappte überrascht nach Luft, und der Blödmann ging einfach weiter, ohne sich auch nur zu entschuldigen. Ich bebte und drehte innerlich förmlich durch. Es war nur allzu klar, dass ich nicht hierhergehörte, ganz gleich, wie süß Nash Donovan war. Meine Hände begannen zu zittern, und es kostete mich jedes bisschen Selbstbeherrschung, die ich hatte, die Tränen in Schach zu halten.

Wie sich herausstellte, war die Party in der Küche genauso schlimm wie im vorderen Teil des Hauses. Eigentlich noch schlimmer, denn hier wurde anscheinend der Alkohol gelagert, und die Gruppe in diesem Raum schien die betrunkenste der Betrunkenen zu sein. Es war, als müsste ich durch ein Minenfeld hässlicher Bemerkungen und schmutziger Blicke gehen, um zur Spüle zu gelangen. Ich hörte Gekicher und bemerkte einige getrübte Blicke in meine Richtung, und das war genug. Ich beschloss, den Fleck auszuwaschen und nach Hause zu gehen. Dieser Ort und diese Menschen waren nichts für mich.

»Wer hat dich denn eingeladen?«

Die Frage wurde gelallt, und eine schwere Hand landete auf meiner Schulter. Die Stimme – und die Hand – gehörten niemand anderem als dem Geburtstagskind selbst, Ashley, und sie war betrunken – sehr betrunken. Ashley und ich waren keine Freundinnen, aber sie hatte in all den Jahren, die wir zusammen zur Schule gegangen waren, nie etwas Gemeines zu mir gesagt oder mich unfreundlich behandelt … Ich fühlte mich, als würde ich mich gleich übergeben.

»Was?«

»Wer hat dich eingeladen?« Ein höhnisches Grinsen umspielte ihre hübschen Lippen, ihre großen braunen Augen waren glasig. »Warum bist du hier?«

Ich wollte sagen, dass Nash mich gebeten hatte herzukommen, dass er mir gesagt hatte, dass wir heute Abend hier zusammen abhängen würden, aber ich bekam die Worte nicht heraus … denn genau in diesem Moment tauchte er auf.

Er kam in die Küche, gefolgt von den Archer-Zwillingen und Jet Keller. Es war unübersehbar: Diese Jungen brachten die Party mit sich, wo immer sie hingingen. Nash sah wie gewohnt lässig aus in seiner zerrissenen Jeans, den Skaterschuhen und einem T-Shirt mit Bandlogo. Außerdem hatte er sich eine Baseballkappe tief über die Stirn gezogen, die allerdings nicht die Röte in seinem Gesicht verbergen konnte oder den trüben Schleier über seinen Augen. Es war offensichtlich, dass er bereits betrunken war oder sogar high, und die Enttäuschung versetzte meinem Herz einen ersten Stich. Sein Blick schweifte einmal durch die Küche, landete auf mir und zog weiter. Ich schnappte gequält nach Luft und biss die Zähne zusammen, um nicht in Tränen auszubrechen.

Er sah mich überhaupt nicht an. Er lächelte nicht, zwinkerte mir nicht zu, neigte nicht einmal den Kopf in meine Richtung. Es war, als existierte ich überhaupt nicht. Ich erstarrte innerlich. Es war ein Gefühl, als wäre mein Blut gefroren und als hätte mein Herz aufgehört zu schlagen. Meine zitternden Hände waren zu Fäusten geballt, und ich versuchte hektisch, eine Fluchtroute zu finden, die mich vor weiteren Peinlichkeiten und weiterem Kummer retten würde.

Ashley schien vergessen zu haben, dass meine fette und hässliche Präsenz ihre Party verschandelte, denn sie hüpfte zu den Neuankömmlingen hinüber. Wenn mein Herz schon wegen Nashs Missachtung litt, dann brach es vollends, als er sie in seine Arme riss und ihr erlaubte, ihn abzuknutschen, während er ihren Hintern begrapschte. Ich stolperte gedemütigt rückwärts aus der Küche. Ich verspürte ein verzweifeltes, dringendes Verlangen, so weit von dieser Party wegzukommen wie möglich – aber vor allem weg von Nash.

Glücklicherweise fielen die Tränen erst, als ich sicher in meinem Auto saß. In dem Moment, als ich auf dem Fahrersitz zusammensackte, erkannte ich die Wahrheit: Die schönen Menschen hielten zusammen, und es spielte keine Rolle, wie ein Mensch im Innern beschaffen war. Nash mochte nett sein, wenn nur er und ich an unseren Schließfächern standen, aber steckte man ihn in einen Raum voller Menschen und setzte ihm ein mageres, hübsches Mädchen vor, das bereit war, die Beine breitzumachen, dann war ich unsichtbar. Ich war so blöd gewesen zu denken, dass da mehr gewesen war.

Also errichtete ich von Neuem einen Schutzschild um mein Herz. Von da an ignorierte ich Nash jedes Mal, wenn er versuchte, mir Hallo zu sagen. Ich wandte den Blick ab, wenn er mich anlächelte. Ich mied mein Schließfach, so gut es ging, wenn ich wusste, dass er dort sein würde, und versuchte, mich darauf zu konzentrieren, dass der Abschluss kurz bevorstand und ich diese kleine Stadt in den Bergen hinter mir lassen würde, zusammen mit diesem ahnungslosen Jungen, der meine Gefühle so tief verletzt hatte. Vom Verstand her war mir klar, dass Nash nicht wusste, was ich empfand, und keinen Schimmer hatte, dass ich gedacht hatte, er wäre anders und etwas Besonderes, aber dadurch schmerzten seine Ignoranz und die Demütigung nicht weniger.

Meine College-Immatrikulation war für den Herbst vorgesehen, meine Unsicherheiten hatte ich sorgsam versteckt, und der Schmerz meiner gescheiterten Verliebtheit verheilte endlich. In der Wärme des Frühlingsanfangs stolperte ich nach der Schule über Nash und seine Freunde, als sie draußen rauchten. Mein Herz machte einen Sprung, aber keiner von ihnen sah mich, also huschte ich vorbei und hoffte, zu meinem Auto eilen und ihn ignorieren zu können, wie ich das seit der Party getan hatte. Aber dann drang seine tiefe Stimme an meine Ohren.

»Sie sieht scheiße aus. Wenn sie je flachgelegt werden will, muss sie in den Spiegel schauen und vielleicht mal was aus sich machen.«

Einer der anderen Jungen gluckste über die gemeine Bemerkung, und ich dachte, ich würde vor Entsetzen zur Salzsäule erstarren. Bestimmt hatte er über mich gesprochen, und als ich seine Worte hörte, konnte ich mich erst nicht bewegen.

Nash schnaubte. Ich versuchte, mich vorbeizuschleichen, damit sie weder mich noch meine Tränen bemerkten. Noch nie hatte ich wegen irgendjemandem so viel geweint, und ich hasste ihn ein wenig dafür – oder sogar sehr –, als er weiterredete.

»Ich meine, ich bin nicht wählerisch, ich würde mit ihr ins Bett gehen. Ich müsste ihr bloß vorher einen Sack über den Kopf ziehen.«

Bei diesen Worten brachen die übrigen Jungen in johlendes Gelächter aus, während der Boden sich unter mir auftat und ein Schluchzen in meiner Kehle mich fast erstickte. Wie hatte ich mich so unglaublich in jemandem täuschen können? Jede Hoffnung, er wäre anders – oder dass irgendein gut aussehender Junge anders sein konnte –, wurde von diesen abscheulichen Worten ausgelöscht. Worte, die für immer veränderten, wie ich das andere Geschlecht betrachtete.

Nash Donovan war wie eine wunderschöne, heiße Flamme, die mich verbrannte, wenn ich zu nah herankam. Er war jedoch nur der erste Halt auf einer Reise voller Enttäuschungen. Aber irgendwo entlang des Weges fand ich Halt, fand meine Bestimmung. Ich wusste bloß nicht, dass Nash es schaffen würde, meine Welt ganz von Neuem auf den Kopf zu stellen. Nur ein Narr verbrennt sich zweimal die Finger am selben Feuer.

Kapitel 1

Nash

Thanksgiving – acht Jahre später

Mein rundum restaurierter 73er Dodge Charger raste durch die kalte Nacht über Colorados Highway. Der gewaltige Motor brüllte zornig im Rhythmus meines donnernden Herzens. Schnee sprenkelte die Windschutzscheibe. Deshalb konnte ich mein hektisches Blinzeln auf den Versuch schieben, bei diesen grässlichen Straßenverhältnissen etwas zu erkennen, statt auf die Gefühle, die mich zu überwältigen drohten. Nichts von alledem war mir bewusst, auch nicht die Tatsache, dass ich fast hundertzwanzig Meilen pro Stunde fuhr und sich die entsetzten anderen Verkehrsteilnehmer an diesem Feiertag panisch vor mir in Sicherheit zu bringen versuchten.

Ich war wie erstarrt und nahm kaum wahr, was um mich herum geschah. Ich hatte gerade meinen Onkel Phil, die einzige Elternfigur, die ich in meinem Leben hatte, bewusstlos auf dem Boden seiner Anglerhütte gefunden. Er hatte kalt und reglos dagelegen, die Haut straff über die Knochen gespannt, die viel zu zerbrechlich aussahen. Ich war dabei, mir ein Rennen mit dem »Flight for Life« zu liefern, den die Ranger angefordert hatten, um Phil zur Notaufnahme nach Denver zu fliegen.

Ich war auf alles andere konzentriert als auf die Straße vor mir und fuhr zudem viel zu schnell. Panisch rief ich Cora Lewis an, meine Arbeitskollegin und enge Freundin. Sie kümmerte sich immer um alles. Sie würde auch jetzt alle mit den nötigen Informationen versorgen, ohne dass ich mich darum kümmern musste. Sie würde sich auch um mich kümmern, denn das hatte sie immer getan.

Ich schaffte es in Rekordzeit zum Krankenhaus und stürmte voller Angst und Sorge in die Notaufnahme. Mir waren diese seelenlosen, sterilen Wände vertrauter, als mir lieb war. Einer meiner engsten Freunde, mein großer Ersatzbruder Rome Archer, hatte sich vor nicht allzu langer Zeit mit zu vielen Motorradfahrern und zu vielen Pistolenkugeln eingelassen, und ich war stundenlang nervös durch genau diese Flure getigert und hatte darauf gewartet, ob er durchkommen würde. Aber jetzt fühlte sich mein Besuch an, als könne er mein gesamtes Leben verändern. Der Securityposten warf mir einen besorgten Blick zu. Ich war daran gewöhnt. Wenn man auf beiden Seiten des Schädels gelbes, orangefarbenes und rotes Feuer tätowiert hatte, außerdem Tätowierungen vom Kragen bis zu den Handgelenken beider Arme trug, dann dachten die Leute leicht, dass man kein besonders netter Typ war. Das Komische war, dass ich normalerweise viel netter war als die meisten meiner Freunde, die ich wie Brüder liebte, bloß jetzt nicht … Und wenn die Krankenschwester, die hinter der Anmeldung saß, mir nicht sofort sagte, wo mein Onkel war, würde ich wirklich durchdrehen.

Ich wollte gerade Feuer speien, das heißer war als die Tätowierungen überall auf meinem Körper, als ich sie auf mich zukommen sah. Sie sah aus wie ein Engel, obwohl ihr Name Saint war. Er passte zu ihr, Saint Ford, Heilerin der Kranken und Hasserin von allem, was etwas mit Nash Donovan zu tun hatte. Sie war wunderschön und atemberaubend, und sie verabscheute mich. Sie machte kein Hehl daraus. Mehr als einmal war ich ihr während meiner leider häufigen Ausflüge in diese Notaufnahme begegnet, wo sie als eine der diensthabenden Krankenschwestern zum Inventar zu gehören schien.

Vor Jahren waren wir zusammen zur Highschool gegangen, und während ich ganz dafür war, eine Art Wiedersehen zu feiern, wollte sie davon nichts wissen. Sie ging mir aus dem Weg oder sah mich nervös von der Seite an, als würde sie mir nicht trauen und wäre gezwungen, meine Gesellschaft zu ertragen. Doch in diesem Moment schaute sie mich zugleich mitfühlend und ernst aus ihren sanften taubengrauen Augen an. Das ließ nicht den geringsten Zweifel daran, dass es wirklich, wirklich schlimm um Phil stand.

Sie legte mir eine Hand auf die Schulter, und ich hatte das Gefühl, als würde ich unter dieser behutsamen Berührung zerbrechen.

»Nash …« Ihre Stimme war hell, und ich hörte darin die schlechte Nachricht. »Kommen Sie hier herüber und lassen Sie uns kurz reden.«

Ich wollte nicht reden. Ich wollte nicht hören, was immer sie mir an schrecklichen Worten zu sagen hatte, aber weil sie so hübsch war, weil sie die schönsten Augen hatte, die ich je gesehen hatte, tat ich benommen einfach das, worum sie bat. Es gab schlimmere Menschen, von denen man schlechte Nachrichten hören konnte.

Wir entfernten uns einige Schritte von der Anmeldung, und ich schaute sie furchtsam an. Sie war ziemlich groß für eine Frau, sodass wir uns Auge in Auge gegenüberstanden, als sie mit zarter Stimme die knallharten Worte aussprach.

»Haben Sie gewusst, dass Phil so krank ist?«

Ich hatte das Gefühl, als würde sie mich das als Freundin oder als jemand fragen, der tatsächlich Anteil daran nahm, was geschah, und nicht als medizinische Angestellte. Vom Verstand her wusste ich, dass sie nur ihren Job machte, aber ich fühlte mich besser, wenn ich so tat, als wäre es anders.

Ich fand keine Worte, die sich richtig anfühlten oder richtig klangen, um ihr zu antworten, daher schüttelte ich nur den Kopf.

»Ich habe den Namen auf den Einweisungspapieren erkannt, und Sie beide sehen sich furchtbar ähnlich. Ich dachte mir schon, dass ich Sie hier draußen finden würde.«

Ich versuchte meinen rasenden Herzschlag zu beruhigen. Dann nickte ich steif. »Er ist alles, was ich an Familie habe.« Das stimmte nicht ganz, aber er war der Einzige in der Familie, der mir wirklich etwas bedeutete.

Sie seufzte, und ich versuchte, nicht zusammenzuzucken, als sie mir eine Hand an die Wange legte. Ich wusste, dass sie mich nicht mochte, deshalb wurde dadurch, dass sie so rücksichtsvoll und fürsorglich war, nur umso klarer, dass das kommende Gespräch viel schlimmer sein würde als alles, was ich mir vorgestellt hatte.

»Er hat Lungenkrebs … Die Ärzte denken, dass er im vierten Stadium ist. Er hat eine umfangreiche Krankenakte und ist schon seit einer Weile in Behandlung. Wir haben es ihm bequem gemacht und ihn mit Flüssigkeit versorgt. Er könnte eine Lungenentzündung haben, deshalb fällt ihm wahrscheinlich das Atmen schwer, und seine Sauerstoffwerte sind gefährlich niedrig. Wir sind uns nicht zu hundert Prozent sicher, warum er im Moment nicht ansprechbar ist, aber wir versuchen, ihn zu wecken. Der diensthabende Arzt hat den Onkologen angerufen, der in Phils Akte aufgeführt ist. Die Situation ist ernst, Nash. Ich kann kaum glauben, dass er Ihnen nicht erzählt hat, wie krank er ist.«

Ich ließ den Kopf hängen, als wäre er plötzlich zu schwer, und ihre sanften Finger strichen dabei über meine Wange. Es war verblüffend tröstlich.

»Er ist mir seit einiger Zeit aus dem Weg gegangen.« Das klang armselig, selbst in meinen eigenen Ohren.

Sie wollte noch etwas hinzufügen, als eine zierliche, schwangere Elfe und ein massiger Riese in den Flur der Station gepoltert kamen, in dem wir standen. Ich erkannte den älteren Mann nicht, der sie begleitete. Er hatte einen entschlossenen Ausdruck auf dem Gesicht, der beinahe Furcht einflößend war. Er warf einen Blick auf den leeren Wartebereich und machte auf dem Absatz kehrt. Es schien, als wäre er auf der Jagd nach irgendjemandem, der Informationen hatte.

Saint wollte die Hand zurückziehen, und ich griff instinktiv nach ihrem Handgelenk. Ich brauchte meine Freunde, diese Bande von Außenseitern, aber im Moment brauchte ich Saint mehr. Ich konnte es nicht erklären.

Sie schenkte mir ein mattes Lächeln und entzog mir ihren Arm. »Ich gehe mal nachsehen, ob es uns gelungen ist, ihn wach zu bekommen. Dann können Sie ihn besuchen. Nash … Sie sollten mit dem Rauchen aufhören.«

Sie ging, und ihre letzten Worte verklangen, als eine Punkrockelfe mich innig umarmte, was ich wirklich brauchte. Ich ließ Cora ihre tröstende Magie wirken. Ich ließ außerdem die stille Kraft des Mannes auf mich einwirken, der für mich wie ein älterer Bruder war und der mich immer erdete. Rome Archer war ein Fels in der Brandung, und ich brauchte diese Art von Stabilität, weil meine Welt gerade in Stücke zerbrach.

Wir redeten kurz über Phil. Ich riss mich zusammen und hatte die Gefühle, die in mir tobten, gerade unter Kontrolle gebracht, als sie auftauchten. Es war schlimm genug, dass meine Mom da war, aber sie hatte die Unverschämtheit, dieses Arschloch mitzubringen, das sie geheiratet hatte, und das sprengte einfach meine bereits geschwächte Selbstbeherrschung.

Und dann musste sie mich auch noch Nashville nennen … Niemand nannte mich Nashville und überlebte es … na ja, niemand außer Cora. Meinen richtigen Namen aus dem Mund meiner Mom zu hören war wohl der Auslöser für meinen unberechenbaren, glühenden Zorn.

Warum war sie hier?

Phil hatte sie zu seiner nächsten Angehörigen erklärt, seiner Bevollmächtigten, als wäre sie ihm irgendwie wichtiger als ich.

Warum?

Sie antwortete nicht.

Hatte sie gewusst, dass er krank war, und wenn ja, seit wann?

Sie hatte es gewusst. Phil habe nicht gewollt, dass ich mir Sorgen mache.

Sie versuchte, mich davon zu überzeugen, dass das alles in meinem Interesse geschehen sei. Mir drohte mit jeder beißenden Frage, die ich auf sie abfeuerte, der Kragen zu platzen.

Doch dann tauchte mein bester Freund Rule mit seiner Verlobten auf. Und ich erlebte einen Moment der Klarheit – ohne die Wut und das Grauen. Plötzlich kam Saints kupferfarbener Kopf zum Vorschein. Ihre Worte hatten mein Leben heute Abend schon einmal verändert.

Ich hatte keine Ahnung, dass sie noch nicht einmal ansatzweise damit fertig war.

Sie legte den Kopf schief und blinzelte mich mit diesen grauen Augen an, als würde sie nicht gleich die Grundfesten von allem niederreißen, was ich zu wissen glaubte. »Er ist wach und fragt nach Ihnen.«

»Nach mir?«

»Er fragte nach seinem Sohn. Das können doch nur Sie sein, oder? Ich meine, Sie beide sehen sich schließlich zum Verwechseln ähnlich.«

Die Welt um mich herum verschwand. Ich hörte auf zu atmen, hörte auf zu fühlen und hörte auf zu leben. Ich stand einfach wie angewurzelt da, gefangen in dem Moment, in dem mein geliebter Onkel sich plötzlich in meinen Vater verwandelt hatte. Die Lügen, die Geheimnisse, die verschwendete Zeit, das Gefühl, unerwünscht zu sein, das ich immer mit mir herumgetragen hatte, nicht nur von einer oberflächlichen und lieblosen Mutter, sondern auch von einem gesichts- und namenlosen Vater – das alles schwirrte in meinem Kopf herum, bis ich das Gefühl hatte, ich würde von dem Schwindel ohnmächtig werden, den das verursachte.

»Verdammte Scheiße!« Typisch Rule, er holte mich lautstark zurück in diesen Raum, und mir schoss das Blut ins Gesicht und in die Ohren. Ich war kurz davor, die Fassung zu verlieren, aber dann war Cora plötzlich da, als wüsste sie es, stand direkt vor mir, immer die Stimme der Vernunft. Immer kümmerte sie sich um ihre Jungs.

»Nash.« Coras Ton war streng und nüchtern. »Das ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Mit den Einzelheiten können wir uns später auseinandersetzen. Sie sind jetzt nicht wichtig. Jetzt musst du froh und dankbar sein, dass er noch da ist, und dich auf das Hier und Jetzt konzentrieren.« Sie sah mit blitzenden Augen zu ihrem Freund hinüber und dann wieder zu mir. »Außerdem kannst du nicht über deine Mutter herfallen und damit davonkommen. Ich schon.« Sie neigte ihren Kopf mit den stachligen blonden Haaren in die Richtung, wo meine Mom in geduckter Haltung neben ihrem Mann stand. Ich hätte es ihr zugetraut, meiner Mom tatsächlich eine zu verpassen. Darum liebte ich sie auch so sehr.

Cora machte Platz, als Saint an meine Seite trat und mir eine Hand auf die Armbeuge legte.

»Ich verstehe Sie, Nash.« Ihre Augen waren wie eine Gewitterwolke, in die ich ewig hineinstarren wollte, wie ein Sturm, bei dem ich mich nie darüber beschweren würde, hineingeraten zu sein.

»Ach ja?« Ich hoffte entgegen jeder Wahrscheinlichkeit, dass sie als Einzige hörte, wie meine Stimme brach. Ich wünschte außerdem, dass Cora meine verlogene, ränkeschmiedende Mutter wirklich auf den Boden des Wartebereichs befördern würde.

»Ja.« Sie flüsterte das Wort beinahe, und ich wollte sie fragen, wie lange sie bei mir bleiben würde. Würde sie da sein, während ich damit fertigwurde, den einzigen Menschen zu beerdigen, der mir seine Zeit und seine Liebe geschenkt hatte, der mir geholfen hatte, zu einem Mann zu werden, auf den ich stolz war? Und während der Zeit, in der ich damit klarkommen musste, dass derselbe Mann mich mein ganzes verdammtes Leben lang angelogen hatte? Ich hatte keine Ahnung, wer Phil Donovan war. Und ich fragte mich, ob ich überhaupt wusste, wer Nash Donovan war. Ich konnte ihr das nicht erklären, ich kannte sie ja nicht. Ich erinnerte mich von früher kaum an sie und hatte wirklich keine Ahnung, was für ein Mensch sie war, abgesehen von ihrer sympathischen und kompetenten Art Patienten gegenüber, aber ich wollte, dass sie da war, hatte das Gefühl, als bräuchte ich sie an meiner Seite … Es war wirklich schade, dass sie mich hasste.

Es mochte Thanksgiving sein, aber es fiel mir wirklich schwer, auch nur eine einzige Sache zu finden, für die ich dankbar war.

Kapitel 2

Saint

Eine Woche später …

Während der ganzen kurzen Fahrt vom Krankenhaus zu seiner Wohnung rang ich mit mir. Ich wusste es besser. Ich arbeitete noch nicht sehr lange als Krankenschwester, erst seit drei Jahren, aber lange genug, um zu wissen, dass es dumm war, mich auf Patienten so einzulassen und ihre Probleme zu einer persönlichen Angelegenheit zu machen. Man sollte keine persönlichen Bindungen eingehen, keinen Fall ernster nehmen als andere, niemanden, der von der Krankheit oder dem Unfall eines Familienmitglieds betroffen war, anders behandeln als andere … Aber weder Vernunft noch professionelle Ausbildung zählten in diesem Moment. Ich wollte unbedingt erfahren, warum Nash seit Thanksgiving kein einziges Mal im Krankenhaus gewesen war, um seinen Dad zu besuchen.

Phil Donovan war fast sofort von der Notaufnahme in die oberste Etage des Krankenhauses verlegt worden, wo sich die onkologische Station befand, daher war er nicht einmal mehr mein Patient. Das hatte mich nicht daran gehindert, am Ende meiner Schicht bei ihm vorbeizugehen, um zu schauen, wie es ihm ging. Der ältere Mann, dessen Sohn ihm wie aus dem Gesicht geschnitten war, ging mit seiner Prognose überraschend gut um, und ich freute mich immer über den unkomplizierten Umgang mit ihm. Es sah nicht gut aus, er sah nicht gut aus. Aber mir war aufgefallen, dass er nie allein war. Es war immer jemand bei ihm, wenn ich den Kopf ins Zimmer steckte. Er schien eine schier endlose Reihe von tätowierten und gepiercten Männern und Frauen zu kennen. Sie alle nahmen es auf sich, jemanden zu besuchen, der so krank war, leisteten ihm Gesellschaft und unterstützten ihn. Nur sein eigen Fleisch und Blut zählte nicht dazu. Ich hatte kein Recht zu hinterfragen, warum sein einziges Kind nie auftauchte, und ich wäre nicht losgefahren, um etwas so Untypisches zu tun, wenn Phil nicht so enttäuscht geklungen hätte, als er Nashs ausbleibende Besuche erwähnte.

Es war nicht so, als wäre ich übermäßig versessen auf eine weitere Begegnung mit dem grüblerischen, tätowierten, heißen Typen gewesen, aber als ich am Abend den Kopf in den Raum gesteckt hatte, hatte Cora mit dem älteren Mann gestritten. Ich wusste noch von der Zeit, als ihr Freund angeschossen wurde und in meiner Notaufnahme beinahe gestorben wäre, dass sie laut und offenherzig war. Vorhin hatte sie sehr stimmgewaltig ihre Meinung über Nashs derzeitiges Benehmen geäußert. Phil hatte ihr gesagt, dass sie Nash in Ruhe lassen solle, dass er seine Zeit brauche, um die Dinge zu verarbeiten, und dass er seinem Sohn keine Vorwürfe mache, dass er seit dem Feiertag kein einziges Mal im Krankenhaus gewesen war. Sie hatte sich ziemlich aufgeregt und geschrien, dass es nicht richtig sei, dass Nash sich benehme wie ein großes Baby und dass er es bereuen werde, diese Zeit verschwendet zu haben, die sie noch zusammen hätten, wenn man bedachte, dass Phils Prognose nicht gut war. Sie mochte ein wenig verrückt aussehen und irgendwie ruppig klingen, aber ich musste zugeben, dass sie da nicht ganz unrecht hatte.

Ich fühlte mich mies, weil ich gelauscht hatte, und hatte mich gerade aus dem Raum zurückziehen und nach Hause fahren wollen, als ihre nächste Bemerkung mir einen Schauer über den Rücken jagte.

»Er will nicht mal mit Rule sprechen. Er geht nicht an sein Telefon. Er hat die ganze Woche bei der Arbeit gefehlt. Rome ist zu seiner Wohnung gefahren und hat an die Tür geklopft, bis eine Nachbarin herauskam und drohte, die Cops zu rufen. Ich habe ihm gesagt, er hätte die Tür einfach eintreten sollen. Ich glaube, er hat sich ernsthaft versucht gefühlt, weil er keinerlei Antwort bekam. Die Vorstellung, dass Nash allein in dieser Wohnung hockt und leidet, während er versucht, all das allein zu verarbeiten, bricht mir das Herz, Phil. Ich weiß nicht, was ich noch tun soll.«

Phil murmelte eine Antwort, die zu leise war, als dass ich sie hätte verstehen können, und ich zuckte zusammen, als eine andere Krankenschwester um die Ecke kam. Sie warf mir einen seltsamen Blick zu, weil dies nicht meine Etage war und ich nur selten andere Stationen als die Notaufnahme besuchte.

Bevor ich mir die Sache wieder ausreden konnte, kehrte ich in mein eigenes Stockwerk zurück und warf einen schnellen Blick in die Akte, die wir über Phil Donovan hatten. Darin waren Nashs Daten als Notfallkontakt aufgelistet – nach denen einer Frau namens Ruby Loften. Also brach ich zu einer Mission auf, um überhaupt irgendetwas zu tun, allerdings wusste ich selbst nicht genau, was das sein sollte. Ich war mir nicht sicher, warum ich so angespannt war, warum ich mir solche Gedanken um diese Donovan-Männer machte, vor allem, da meine Geschichte mit Nash bei mir einen so bitteren Nachgeschmack hinterlassen hatte.

Ich liebte meinen Job. Ich hatte Krankenschwester werden wollen, seit ich mich erinnern konnte. Als ich klein war, hatte ich am liebsten gespielt, dass ich all die Krankheiten und Verletzungen meiner Puppen kurierte, und meine große Schwester dazu überredet, dass ich sie in Verbände einwickeln durfte. Ich hatte hart gearbeitet, um die beste Krankenschwester zu sein, die ich sein konnte. Mit fünfundzwanzig war ich zertifizierte Krankenschwester in der Notaufnahme, und ich überlegte, bald meinen Master in Krankenpflege zu machen, damit ich verschreibungsberechtigt unter der Lizenz eines Arztes arbeiten konnte. Ich hatte an der California State University in L.A. als eine der Besten meines Jahrgangs bestanden und die Tätigkeit in der Notaufnahme als Herausforderung angesehen – des schnellen Tempos wegen und weil ich Menschen helfen wollte, wenn sie mich am dringendsten brauchten. Die Arbeit bedeutete täglich andere Patienten und Probleme. Ich war sehr geschickt auf meinem Gebiet, fest entschlossen, jeden Tag alles zu geben. Aber dieser seltsame Sog, den dieser Patient und alle Beteiligten auf mich ausübten, war etwas, das ich noch nie mit einem Patienten oder seinen Angehörigen erlebt hatte.

Ich hätte es wissen müssen, als mich diese unverkennbaren veilchenblauen Augen schon vor Monaten am vierten Juli, dem Independence Day, ins Visier genommen hatten … Ich hätte wissen müssen, dass Nash Donovan meine wohlgeordnete Welt einmal mehr auf den Kopf stellen würde. Selbst nach all der Zeit, die vergangen war, und selbst mit dem jahrzehntealten Groll und der Abneigung, die ich gegen den düsteren, aber gut aussehenden Mann hegte. Wenn man ehrlich war hatte er mit zunehmendem Alter nur gewonnen.

Er hatte immer noch etwas an sich, das mir unter die Haut ging. Ein einziger Blick von ihm, und mein Blut hatte gekocht. Ich hatte diese tief unterdrückten Gefühle der Sehnsucht und des Begehrens verspürt. Es schien, als würde ich immer in einem Kreislauf aus Lust und Hass stecken bleiben, wenn es um Nash ging, und es gefiel mir nicht, wie ausgeliefert und unkontrolliert ich mich dabei fühlte. Nach nur wenigen Wochen hatten diese Gefühle mich dazu gebracht, etwas für mich vollkommen Untypisches zu tun, was nicht nur gegen mein berufliches Regelwerk verstieß, sondern auch meinem eigenen Sinn für Selbsterhaltung zuwiderlief.

Der Verkehr in der Innenstadt war schrecklich. Es lag noch kein Schnee, aber es war kalt draußen, und das Gewusel der Stadt, die sich auf Weihnachten vorbereitete, führte zu einem üblen Stau. Außerdem war heute Samstagabend, und alle wollten ausgehen und ihre Freizeit genießen. So wurde aus einer Strecke von drei Meilen fast eine halbstündige Unternehmung.

Der Kontakt zu jemandem aus meiner Vergangenheit, jemandem, der sich an mein früheres Ich erinnerte, brachte wieder all die Unsicherheiten an die Oberfläche, mit denen ich jetzt nur noch selten zu kämpfen hatte. Vor allem, da es sich bei diesem Jemand um die erwachsene Version des Teenagers handelte, der für mich unerreichbar und in den ich insgeheim heftig verknallt gewesen war.

Dass andere mich verspotteten und gemeine Dinge über mich sagten, war nie leicht gewesen. Es hatte wehgetan und meine ohnehin wackelige Selbstachtung in Fetzen gerissen. Ich hatte gewusst, dass die Highschoolzeit nur eine Phase war und dass in wenigen Jahren keiner dieser Menschen noch eine Rolle für mich spielen würde – und dass Nash mit in diese Phase gehörte. Aber die Gefühle, die er in mir geweckt hatte, als er mich ignoriert hatte, und schlimmer noch, wie sehr es wehgetan hatte, ihn diese schrecklichen Dinge über mich sagen zu hören, hatten mir eine wertvolle Lektion erteilt. Eine, die ich mir bis heute gemerkt hatte: Andere Menschen konnten einen nur dann verletzen und enttäuschen, wenn man es zuließ. Sie hatten nur die Macht, einem wehzutun, wenn man dachte, sie wären etwas Besonderes. Ich ließ seitdem niemanden nah genug an mich heran, ließ niemanden mein Herz so sehr berühren, dass das Risiko bestand, so etwas könnte wieder passieren … nie wieder. Das hatte mir wahrscheinlich den Umgang mit meinem untreuen Freund auf dem College oder meinem Vater, der ein Schürzenjäger war, leichter gemacht. Die Männer in meinem Leben hatten mich immer enttäuscht, und Nash war einfach der Erste in einer langen Reihe gewesen.

Was dieses Verlangen, nach ihm zu sehen – meinem Feind, dem Albtraum meiner Jugend –, noch unverständlicher machte. Und doch lenkte ich, obwohl ich voller Furcht und Zweifel war, meinen neuen Jetta auf einen Parkplatz vor dem viktorianischen Gebäude, das offensichtlich zu einem Mehrfamilienhaus umgebaut worden war, und stieg aus. Kurz schaute ich zu dem Haus hoch und versuchte, mich selbst davon zu überzeugen, mich um meine eigenen Angelegenheiten zu kümmern und einfach nach Hause zu fahren. Ich trug noch immer meinen Schwesternkittel und meine hässlichen Arbeitsschuhe, und mein feuerrotes Haar war zu einem festen Zopf geflochten, der mir bis über den Rücken fiel. Nach einer Zehnstundenschicht war auf meinem Gesicht nur noch ein Hauch von Make-up verblieben. Ich wusste nicht, warum ich dachte, dass Nash mir überhaupt die Tür öffnen würde, wenn er die Menschen, die ihm am nächsten standen, ignorierte.

Ich zitterte, weil ich keinen Mantel anhatte, und entschied, dass ich entweder nach Hause fahren oder einfach hineingehen musste. Mein Blick fiel auf einen wunderschönen Dodge Charger, der vor dem Haus parkte. Ich seufzte. Tagein, tagaus hatte ich mit Tod und schrecklichen Verletzungen zu tun. Ich würde eine kurze Begegnung mit einem Geist aus meiner Vergangenheit überleben. Ich war inzwischen aus härterem Holz geschnitzt. Und da ich gesehen hatte, wie krank und traurig Phil war und wie traumatisiert Nash an Thanksgiving auf die Neuigkeiten reagiert hatte, sorgte ich mich um sie beide. Und mir war klar, meine Sorge würde nicht einfach so weggehen.

Ich betrat das wunderschöne alte Gebäude und sah mich nach den Zahlen an den Türen um. Anscheinend gab es im Erdgeschoss zwei Wohnungen, und Nashs befand sich auf der linken Seite. Ich wollte gerade anklopfen, als die Tür auf der rechten Seite aufschwang und eine junge Frau den Kopf herausstreckte. Sie musterte mich von oben bis unten und blickte schließlich auf mein erschrockenes Gesicht.

»Bist du seine Freundin?«

Ihr Tonfall war freundlich, beinahe übertrieben freundlich, und sie sah aus, als gehörte sie auf die Titelseite einer Sports Illustrated. Ich war zwar nicht mehr übergewichtig – jetzt war ich einfach normal und gesund –, aber diese Frau hatte Bauchmuskeln ohne Ende und Brüste, die einen Preis verdient hätten. Ich wäre an ihrer Stelle auch in dem eisigen Novemberwetter in Yogahosen und Sport-BH herumgelaufen.

»Ähm … nein.«

»Ich bin gerade hier eingezogen. Während der letzten Woche hat alle fünf Minuten jemand an diese Tür da gehämmert. Es macht mich wahnsinnig. Ich habe den Typen gesehen, der dort wohnt. Das ist ein total Süßer. Ich warte die ganze Zeit darauf, dass ein Mädchen auftaucht und sagt, sie wäre seine Freundin. Ich dachte, vielleicht wärst du das. Ich bin übrigens Royal.«

Ich nickte ihr zu und legte den Kopf schief. So viel Glück sollten alle Single-Männer mit ihren neuen Nachbarn haben. Ich hätte gewettet, dass Nash sie einfach umwerfend finden würde … na ja, sobald er seine Depri-Phase hinter sich gelassen hatte.

»Ich bin nur eine Freundin. Ich dachte, ich sehe mal nach ihm. Ich bin Saint.«

Sie lachte leise und schüttelte den Kopf, sodass ihr kastanienbraunes Haar auf ihren Schultern wippte, wie es das nur bei Models in Shampoo-Reklamen tat.

»Unsere Eltern haben offensichtlich das gleiche Zeug geraucht, als sie unsere Namen ausgesucht haben.« Sie deutete mit dem Kopf auf die geschlossene Tür, und ihre dunkelbraunen Augen blitzten amüsiert auf, während ich mich bemühte, mich so zu benehmen, als würde sie mich nicht gerade total einschüchtern. Wirklich hübsche Frauen wie sie machten es mir immer schwer, mich normal und natürlich zu benehmen. »Das scheint das Thema der Woche zu sein – nach dem sexy Nachbarn von nebenan zu sehen. Und nur superheiße Männer. All seine Freunde sind zum Anbeißen. Von denen, die ich gesehen habe, würde ich keinen Einzigen von meiner Bettkante schubsen. Selbst diesen riesigen Typen, der so breitbeinig läuft und die Narbe hat. Der war total unheimlich, aber auch verdammt sexy.«

Ich fühlte mich langsam unwohl. Mit Fremden kam ich großartig zurecht, wenn sie bluteten und meine Hilfe brauchten, aber diese Art von Interaktion gehörte nicht in den Bereich meiner Expertise, selbst wenn ich ihr zustimmen musste, dass Nashs Freunde heiß waren.

Der Typ mit der Narbe war Nashs früherer Mitbewohner, Rome Archer. Er war unglaublich sexy und hatte was von einem Krieger. Ich wusste das aus erster Hand, weil er vor nicht allzu langer Zeit mein Patient gewesen war. Neulich abends im Krankenhaus hatte ich außerdem einen Blick auf Rule Archer erhascht, der Nashs bester Freund war und der auf seine einzigartige Weise ungemein gefährlich und zugleich attraktiv aussah.

Später am Abend war Jet Keller aufgetaucht, zusammen mit einem blonden Typen, der aussah, als wäre er aus den Fünfzigerjahren entsprungen, und mit einem anderen Mann, der so attraktiv gewesen war, dass man ihn zweimal ansehen musste, nur um sich davon zu überzeugen, dass einem die Augen keine Streiche spielten. Alle drei waren heiß gewesen und hatten gleichzeitig Potenzial für Ärger ausgestrahlt. Ich kannte diese Frau hier aber nicht gut genug, um meine Einblicke mit ihr zu teilen. Ich hätte mich damit allerdings auch nicht besonders wohl gefühlt, wenn sie keine Fremde gewesen wäre.

Ich klopfte an die Tür – mehr aus dem verzweifelten Wunsch heraus, sie und ihren neugierigen Blick loszuwerden, als um festzustellen, ob Nash darauf reagieren würde.

Natürlich tat er das nicht, und ich kam mir vor wie eine Idiotin. Unruhig trat ich von einem Fuß auf den anderen.

»Viel Glück. Er hat niemandem die Tür geöffnet.« Sie klang erheitert, und ich lief dunkelrot an. Ich würde niemals das Gefühl loswerden, als würden sich alle über mich lustig machen. Ich fühlte mich verunsichert, auch weil sie so aussah, wie sie eben aussah.

Ich hob gerade die Hand, um ein letztes Mal anzuklopfen, als die Tür plötzlich aufgerissen wurde, und vor meinem Gesicht die Brust eines größtenteils nackten, zornig dreinblickenden und offensichtlich angetrunkenen Nash Donovan auftauchte. Diese umwerfenden Augen blinzelten mich langsam an, und ich keuchte erschrocken auf, als er die Hand ergriff, die ich immer noch zum Klopfen hochhielt, und mich an sich zog.

»Du musst ein glückliches Händchen haben, Saint. Schön für dich.« Die lachende Stimme der Nachbarin folgte mir in die Wohnung, als Nash unsicher rückwärts stolperte und mich mit sich zog.

Er knallte die Tür hinter mir zu und versuchte, seine blutunterlaufenen Augen auf mich scharfzustellen. Er roch nach Alkohol und Zigarettenrauch, und ich konnte es mir nicht verkneifen, angewidert die Nase zu rümpfen. Ich war körperlich in der Lage, mich zu wehren. Für den Job in der Notaufnahme war das wichtig. Aber er sah irgendwie wild aus, und ich musste zugeben, dass seine finstere, grimmige Ausstrahlung leicht bedrohlich war.

Er war überdurchschnittlich groß, aber das war ich auch. Er schüchterte mich nicht ein, weil er mich überragte, sondern weil er in seiner jetzigen Verfassung so fremd war. Ich hätte lügen müssen, wenn ich hätte behaupten wollen, mir wäre nicht aufgefallen, wie durchtrainiert er war. Er achtete offensichtlich ziemlich gut auf sich, wenn man mal davon absah, dass er seine Leber malträtierte und die schreckliche Angewohnheit hatte zu rauchen. Er war immer ein auf düstere Art gut aussehender Typ gewesen, mit den dramatischen schwarzen Brauen in seinem charaktervollen Gesicht, in dem die Andeutung einer unbekannten ethnischen Herkunft steckte. Seine veilchenblauen Augen waren nicht ganz von dieser Welt und unvergesslich. Eigentlich waren sie zu hübsch und sahen zu zart aus für ein solch maskulines Gesicht.

Mich machte wohl ein wenig nervös, dass er nichts am Leib trug als eine schwarze Boxershorts. Keine Stelle auf seiner olivfarbenen Haut war nicht irgendwie tätowiert. Ich mochte Tattoos und hatte selbst ein paar, aber Nashs Hingabe an die Gestaltung seines Körpers befand sich auf einem vollkommen anderen Level als meine. Wobei mich die Menge an Kunstwerken, die er zur Schau stellte, nicht überraschte, da er sich diese großartigen Flammen auf seinen Kopf hatte tätowieren lassen und außerdem einen Nasenring trug. Das war alles dazu da, ein Statement zu machen, zu verkünden, dass er nur nach seinen eigenen Regeln lebte.

Ich starrte ihn an und musterte ihn offensichtlich. Ich konnte nicht anders. Er hatte kaum Klamotten an, war gut gebaut und herrlich anzusehen, selbst mit all der Tinte.

»Ich hatte Pizza bestellt.«

Ich schaute zu ihm auf und fragte wie eine Idiotin: »Was?«

»Ich dachte, Sie wären der Pizzabote, aber das sind Sie nicht.«

Er stolperte einige Schritte rückwärts, hielt sich an der Rückenlehne des Sofas fest und schlitterte irgendwie daran hinunter, bis er auf dem Boden saß. Dann streckte er seine langen Beine vor sich aus und rieb sich mit den Fäusten über seine feuchten Augen. Was zum Teufel passierte hier gerade? Er war in sich zusammengesackt und wirkte abwesend.

»Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Nash? Viele Leute machen sich Sorgen um Sie.«

Er stieß ein Lachen aus, das so gebrochen klang, so zerrissen, dass ich spürte, wie es bei mir eine Gänsehaut verursachte.

»Nein.«

Ich konnte mich kaum auf seine genuschelten Worte konzentrieren, weil mich sein nackter Oberkörper total ablenkte. Ich hatte schon einige gut aussehende Männer in Unterwäsche gesehen, manche bei der Arbeit, manche privat. Keiner von ihnen konnte in meiner Erinnerung mit Nash mithalten. Irgendjemand hätte ihm sagen sollen, dass das, was er mit einer schwarzen Boxershorts anstellte, als tödlicher Waffeneinsatz gegen den gesunden Menschenverstand einer Frau betrachtet werden konnte.

»Nein was?« Ich musste mich richtig anstrengen, um unserem Gespräch zu folgen.

Er warf den Kopf in den Nacken, um zu mir aufzuschauen. Die tätowierten Flammen über seinen Ohren waren mit weiteren Flammen verbunden, die sich über seine gewaltigen Schultern und seine Brust zogen. Ich wünschte mir zu sehen, wie sie auf seinem Rücken weitergingen. Außerdem erstreckten sich ein paar kunstvoll tätowierte Flügel über seinen gesamten Brustkorb und seine ausgeprägten Bauchmuskeln, bis sie zu beiden Seiten seines Bauchnabels unter der Boxershorts verschwanden. Ich konnte mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie schlimm so etwas wehtun musste. Die Tattoos waren in ihrer Größe und Detailtreue beeindruckend, genau wie der steinharte Körper, auf dem sie sich befanden.

»Nein, mit mir ist nicht alles in Ordnung.«

Ich stieß den Atem aus und hockte mich neben ihn, damit ich mehr auf seiner Höhe war. Sein Blick folgte mir, als ich mich auf die Fersen setzte. Man sagte mir ständig, wie hübsch meine Augen seien, und ich fing dann jedes Mal an zu stammeln und zu erröten. Sie waren in Ordnung, grau und klar, und meine Patienten schienen sie beruhigend zu finden. Aber als ich jetzt in die Tiefen seiner traurigen Augen blickte, dachte ich, dass offensichtlich niemand, der meine Augen hübsch fand, je in die von Nash geschaut hatte. Ich hatte noch nie eine auffälligere oder einzigartigere Farbe gesehen als das Blau in seinen Augen. Unter den rabenschwarzen Brauen übten sie regelrecht eine magnetische Wirkung auf mich aus.

»Sie sollten mit jemandem reden, mit Ihrer Familie, Ihren Freunden oder vielleicht mit Ihrer Freundin. So was ist für niemanden eine leichte Situation, Nash, und Alkohol und eine Packung Zigaretten am Tag werden es nicht besser machen. Sie müssen stark sein für Ihren Dad, aber Sie müssen auch stark sein für sich selbst. Ich habe den Eindruck, Sie haben eine Menge Leute, auf die Sie sich stützen können. Sie waren die ganze Woche über ständig im Krankenhaus. Glauben Sie mir, das ist kein Kampf, den Sie allein ausfechten wollen.«

Er warf den Kopf wieder in den Nacken, bis er auf das dunkle Leder des Sofas knallte. Dann kniff er die Augen zusammen, zog seine langen Beine an und ballte die Fäuste auf seinen Knien. Er hatte sogar Kunstwerke auf der Haut, die unter dem Saum seiner Boxershorts hervor bis zu seinem Knie reichten und auf dem anderen Bein bis zu seinem Fuß. Es waren einfach zu viele, als dass ich all die verschiedenen Bilder und Entwürfe hätte einzeln betrachten können. Ich wusste nur, dass sie alle dynamisch und farbintensiv waren und er sie offensichtlich von jemandem hatte machen lassen, der unglaublich talentiert war.

»Bis vor einigen Tagen dachte ich, mein Vater hätte mich im Stich gelassen, als ich noch ein Baby war. Meine Mom hat mir erzählt, er sei ein Versager, der kein Interesse daran hatte, Ehemann oder Vater zu sein. Und jedes Mal, wenn dieses Arschloch Loften mir irgendwelche Scheiße erzählt oder gesagt hat, ich sei nichts wert, jedes Mal, wenn er mich fertiggemacht hat, habe ich mir gesagt, dass es in Ordnung sei, weil meine Mom einen Mann verdiente, der sich um sie kümmerte, da mein Dad ein Arschloch war. Nur dass Loften ein voreingenommener, oberflächlicher Drecksack ist und sie im Grunde dazu gezwungen hat, sich zwischen ihm und mir zu entscheiden. Sie hat sich für ihn entschieden, obwohl mein Dad die ganze Zeit über im selben verdammten Staat war wie ich und nie irgendjemanden im Stich gelassen hat.«

Er stieß wieder dieses Lachen aus, das mir einen schmerzhaften Stich versetzte, und ich konnte es mir nicht verkneifen, eine Hand auszustrecken und sie auf seine geballte Faust zu legen. Ich spürte die Anspannung, die ihn quälte.

»Der einzige Erwachsene, zu dem ich jemals aufgeschaut habe, der einzige Erwachsene, der mir je gezeigt hat, ich sei etwas wert, so wie ich bin, hat mich mein ganzes verdammtes Leben lang angelogen. Phil hat mich aufgenommen, als meine Mom mich rausgeworfen hat. Er hat mich mehr oder weniger großgezogen, mir das Tätowieren beigebracht, mir eine Zukunft gegeben und mir gezeigt, wie man ein Mann wird. Ich bin in dieses Krankenhauszimmer gegangen, habe einen einzigen Blick auf ihn geworfen und mich plötzlich gefragt, wie ich so lange übersehen konnte, was direkt vor meiner Nase war.«

Er stieß ein Ächzen aus und ließ die Augen wieder zufallen. Ich versuchte seiner Geschichte, so gut ich konnte, zu folgen, aber ich war etwas ratlos. Es fühlte sich an, als müsste es eigentlich jemand anderen geben, dem er all das erzählen sollte, aber aus irgendeinem Grund war ich diejenige, die er hereingelassen hatte, sowohl im übertragenen wie im wörtlichen Sinne. Er hatte bis zu dessen Einlieferung vor einer Woche nicht gewusst, dass Phil sein Vater war? Das war unglaublich und sicherlich ebenso schwer zu verarbeiten wie die Tatsache, dass dieser Mensch, den er liebte, todkrank war. Kein Wunder, dass er ein Wrack war. Ich konnte ihm keinen Vorwurf daraus machen.

»Er sieht aus, als würde er sterben … so verdammt krank, und er hat mich ›Sohn‹ genannt. Fünfundzwanzig Jahre lang habe ich ihn Onkel Phil genannt, und jetzt, da er vielleicht nicht mehr lange da sein wird, hat er den Nerv, mich Sohn zu nennen. Ich bin mit dem Gedanken aufgewachsen, dass ich für niemanden gut genug wäre. Nicht für meine Mom, nicht für diesen Scheißkerl, den sie geheiratet hat, nicht für meinen Dad, der sich nicht einmal die Mühe gemacht hat, herauszufinden, wie ich mich entwickeln würde … nur Phil hat mir das Gefühl gegeben, irgendetwas wert zu sein, und jetzt weiß ich gar nicht, was ich mit dieser ganzen Scheiße anfangen soll. Warum hat er es mir nicht einfach gesagt? Er war sowieso die ganze Zeit über mehr mein Dad als mein Onkel.«

Ich seufzte, weil er sich im Kreis drehte und sich offensichtlich immer mieser fühlte, je schneller er sich drehte. Ich legte meine andere Hand auf seine und beugte mich vor. »Ich weiß es nicht, Nash. Der einzige Mensch, der Ihnen diese Fragen beantworten kann, ist krank und leidet gerade genauso sehr wie Sie. Und ich weiß, dass Sie beide einander jetzt brauchen. Das hier ist verschwendete Zeit, die Sie nie zurückbekommen werden. Ich sehe so was jeden Tag, und Sie werden es bereuen, wenn Sie ihn nicht besuchen.«

Er war betrunken, offensichtlich verzweifelt und konnte nicht klar denken. Ich glaubte nicht, dass er sich in nüchternem Zustand noch an viel von diesem Gespräch erinnern würde. Aber etwas in mir gab einfach keine Ruhe, sondern wollte diese furchtbare Situation für ihn erträglicher machen. Ich hatte geglaubt, dass ich ihn immer noch hasste, dass ich ihn immer noch für all meine zerschmetterten Teenagerträume von Liebe und Romantik verantwortlich machte, aber in diesem Moment tat er mir einfach leid. Es spielte keine Rolle, wie groß und stark er war oder was für ein krasser Typ er äußerlich zu sein schien. Es war furchtbar, nicht in der Lage zu sein, gegen etwas so Vernichtendes wie Krebs ankämpfen zu können, vor allem wenn es jemanden betraf, den er offensichtlich lieb hatte. So etwas musste ihm ein Gefühl von Ohnmacht und Unzulänglichkeit bescheren, und im Moment machte es ihm offensichtlich so viel Angst, dass er dachte, es wäre das Beste, sich davor zu verstecken.

Ich keuchte vor Schreck leise auf, als er plötzlich mein Gesicht zwischen seine großen Hände nahm. Sie waren ein wenig rau, aber seine Berührung war sanft, und seine Augen wechselten plötzlich von Veilchenblau zu einem dunklen, satten Indigoblau. Sein Blick wurde schwer, und seine hektische Atmung verlangsamte sich mit einem Mal.

»Du bist wirklich schön, Saint.«

Ich musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen und ergriff seine beiden Unterarme. Meine Finger reichten nicht ganz um seine Handgelenke herum, und ich wollte nicht darüber nachdenken, wie sexy ich das fand. Es lag mir auf der Zunge, ihn daran zu erinnern, dass er nicht immer so gedacht hatte. Dass er tatsächlich, wenn mein Gedächtnis mich nicht trog, gesagt hatte, ich müsste was an meinem Äußeren machen oder ich bräuchte einen Sack über meinem Kopf, damit er Interesse daran hätte, mir näherzukommen. Ich spürte noch immer den Schmerz von damals.

»Ich will nur helfen.«

»Du hilfst mir doch.«

Nein, das tat ich nicht. Ich hätte nicht herkommen sollen. Er war nicht mein Problem. Womit er zu kämpfen und welch komplizierte Familiendynamik er zu verarbeiten hatte, ging mich nichts an. Aber es war, als wäre ich wieder siebzehn. Ich konnte nicht leugnen, dass mich etwas an ihm fesselte. Und es zerriss mir mein allzu empfindsames Herz.

Ich seufzte und schenkte ihm ein gepresstes Lächeln. »Nein, tue ich nicht. Sie müssen die Menschen, die Sie lieben, denen Sie etwas bedeuten, an sich heranlassen, damit sie Ihnen in dieser Zeit helfen. Es ist eine zu schwere Last, um sie allein zu tragen. Besonders zusätzlich zu allem anderen, was Ihre Eltern betrifft. Es wird okay sein, Nash. Sie werden schon sehen.«