Market Gardening & Agroforst - Leon Schleep - E-Book

Market Gardening & Agroforst E-Book

Leon Schleep

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Beschreibung

Mit Gemüsepower und Bäumen in eine nachhaltige Zukunft: die Welt braucht mehr Market Gardener Du liebst deinen Garten, das Anbauen, Pflegen und Ernten ist deine große Leidenschaft. Du freust dich über die Vielfalt, über jede krumme Gurke und unförmige Karotte, die du aus der Erde ziehst, weil du weißt: sie werden deine Geschmacksknospen förmlich zum Explodieren bringen. Und weil du sowieso immer zu viel von allem hast, teilst du das knackige Gemüse, die duftenden Kräuter und die süßen Beeren mit Freunden und Familie. In deinen Träumen siehst du dich selbst hinter einem Marktstand stehen oder quer durch die City, dein Dorf oder den Landkreis düsen, um deine Gemüsekisten zu verteilen. Oder bist du einfach nur neugierig und möchtest ganz locker etwas mehr über das Thema Market Gardening erfahren? Wo es herkommt und was genau dahintersteckt, was es mit biointensivem Gemüseanbau auf sich hat und wie ein Agroforstsystem aussieht? So oder so: Du bist hier genau richtig. Vogelgezwitscher und Grabegabel statt Motorengeheul und jede Menge Bäume Du siehst das Gemüse vor lauter Bäumen nicht mehr? Dann bist du schon mittendrin in der Agroforstlandwirtschaft. Ein weiterer Schritt in eine lebenswertere Zukunft ist diese Art der regenerativen Landwirtschaft. Leon Schleep integriert Bäume und Sträucher in den Gemüseanbau. Denn: Bäume sind die besten und natürlichsten CO2-Speicher, sie sind gut für den Klimaschutz, schützen den Boden besser vor Erosion und stärken die biologische Vielfalt. Und: Sie lassen sich perfekt mit Marktgärtner-Systemen verbinden. Bäume und Sträucher bieten dem Gemüse nicht nur Schutz vor Wind, sie sind auch eine willkommene Unterkunft für Nützlinge und erweitern zudem die Produktpalette der Gemüsekiste durch saftig-knackiges und süßes Obst. Wie du ein Agroforstsystem selbst anlegen kannst, was du dabei beachten musst und welche Bäume sich in deinem Garten eignen, findest du in diesem Buch heraus. Der Autor hat mittels Crowdfunding sein eigenes Market-Gardening-Business "Gemüseinsel" gestartet, das er nach und nach mit Bäumen und Sträuchern ausstattet. Er nimmt dich mit auf seine Reise und lässt dich an seinem Weg zur ersten Gemüsekiste teilhaben. Ärmel hochgekrempelt und rein ins Gemüsebeet und Gebüsch Du bist nun mit der Theorie vertraut? Dann steht deinem eigenen Marktgärtnerei-Betrieb nichts mehr im Weg. Mach deine Träume wahr, mach dich selbstständig und vor allem: unabhängig. Versorge die Menschen in deinem Umfeld Woche für Woche mit knackfrischem, saisonalen und mit Liebe aufgezogenen Lebensmitteln. Oder du schaust dir vorher noch an, wie es andere gemacht haben: Rund um die Welt gibt es noch so viele andere Vorbilder, die sich ihren Traum vom eigenen Gemüseunternehmen erfolgreich erfüllt haben, wie zum Beispiel Jean-Martin Fortier, hat der Autor einige von ihnen besucht und interviewt. Die Marktgärtner*innen erzählen von ihren Erfolgen und Misserfolgen, von Fehlern und unterschiedlichen großen Portionen Glück. Und jetzt? Schnapp dir Schaufel und Grabegabel und pflanz dein eigenes Bäumchen. Die Anleitungen dafür liefert dir Leon Schleep. - Wenig Platz, viel Gemüse: Hier lernst du die besten Anbaumethoden kennen (100 % bio, eh klar!), erfährst alles zum Thema Market Gardening und wie du richtig viel Ernte abstaubst. - Ready for change? Bye-bye Büroalltag – hallo Freiluft-Business! Planen, tüfteln, anpacken … raus aufs Feld, Gemüse anbauen – und: verkaufen. So startest du dein Unternehmen! - Sehnsucht nach Austausch und danach, mal in andere Projekte reinzuschnuppern? Lass' dich von Vorreiter*innen rund um die Marktgärtnerei inspirieren. - Mit 8 Pflanzanleitungen: Von simpel und schmal bis obstig und nussig – pflanz dir dein eigenes Bäumchen in deinen Garten mit 8 unterschiedlichen Beispielplanungen.

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Leon Schleep

Market Gardening & Agroforst

Von Gemüse und Bäumen, Grundlagen und

Vorbildern oder: Wie du mit Bäumen deinen

Gemüsebetrieb super resilient machst

mit Fotografien von Fabian Weiss

Einmal quer durchs Geäst und zurück: Was du in diesem Buch finden wirst

Auf der Suche nach zukunftsfähigen Alternativen für die Landwirtschaft: Vorwort

Von altem und neuem Wissen und überhaupt: Tauch ein in die vielfältige Welt der Marktgärtnerei

Der Beginn einer Reise

Die Landwirtschaft ist in der Krise

Komm mit auf die Gemüseinsel

Market Gardening: Alles auf Anfang

Die Marktgärtnerei und ich: Volltreffer!

Back to the roots: Zeitreise zu den Anfängen der Market-Gardening-Bewegung

Einer wie alle? Was verbindet Marktgärtnerei-Betriebe?

• Der biointensive 8-Punkte-Plan für mehr Produktivität

• Anbauphilosophie Clay Bottom Farm – von Ben Hartman

To dig or not to dig, das ist hier die Frage

Alles für den … Kompost

• Anbauphilosophie Rough Draft Farmstead – von Jesse Frost

Noch mehr „No-Till“-Systeme für den Boden

Nicht mit Zahlen geizen: Ich verdiene 100.000 $ auf einem Hektar!

Das, worum sich alles dreht: Bodenfruchtbarkeit

Marktgärtnerei ist, was du draus machst

Agroforstsysteme: ab durchs Geäst

Verzweigte Geschichte: Baum für Baum in die Zukunft

Zu Beginn ein bisschen Agroforstlatein: silvopastorale, silvoarable und agrosilvopastorale Systeme

Gut geplant ist halb gewonnen

Hoch hinaus: Reihenabstände und Höhe der Bäume

• Die sechs Arten von Agroforstsystemen in den gemäßigten Breiten

Alle für- oder gegeneinander: Konkurrenz auf dem Feld

Für die Pflanzen oder gegen Schädlinge: Pflanzenschutz

Eine bunte Mischung: Planung für mehr Biodiversität

Bei all dem Hype: Es gibt auch Nachteile

Agricultural change, not climate change!

Agroforst ist, was du draus machst

Geht’s ein bisschen konkreter? Agroforstsysteme im Marktgarten

Was muss ein Agroforstsystem im Marktgarten können?

Welcher Baum passt wohin?

Fruchtige Bäumchen: Obstgehölze

Süß und kugelig: Beerenobst

Kernige Sache: Nussbäume

Schnelles Wachstum: Biomasse

Alles verweht: Windstopper

Geradewegs nach oben: Wertholz

Self-made: Dünger selbst gemacht mit Stickstofffixierern

• Anbauphilosophie Gärtnerei Petersilie

Und jetzt: alles gut miteinander verbinden

Mit Hut und Stiel: Pilzanbau

Gut gebettet: Mulch und Frischholzhäcksel (Ramial Chipped Wood)

Alleskönner: Pflanzenkohle

Für Bienen und Co.: Nützlingsstauden

Alles eine Frage der richtigen Planung

Und jetzt: Ran an die Planung – vier Beispielplanungen Marktgarten – wie haben das andere gemacht?

Nicht adelig, aber regenerativ … und noch vieles mehr: Solidarische Landwirtschaft (CSA) Schloss Tempelhof (Baden-Württemberg, Deutschland)

Knackiges Gemüse und kunterbunte Blumenpracht: die Frith Farm (Maine, USA)

Regenerativ und permakulturell: Henbant Permaculture (Nordwales, GB)

Gemüse auf Terrassen: Azienda Agricola Iside (Lombardei, Italien)

Permakultur at its best: La Ferme du Bec Hellouin (Normandie, Frankreich)

Hier wird geforscht und gespeichert: Martin Crawford & Agroforestry Research Trust (Devon, GB)

Immer der Sonne entgegen: Singing Frogs Farm (Kalifornien, USA)

Große Ideen richtig umgesetzt: Triebwerk & Rote Rübe Niederkaufungen (Hessen, Deutschland)

Und nun zur Praxis: Agroforstsysteme im

Klein starten: simpel & schmal

Ein bisschen Geld für die Tasche: Marktertrag Obst

Bunt und vielfältig: Biodiversität

Alles untergebracht: dynamisches Agroforstsystem

Für alle, die nicht genug bekommen können

Zum Weiterschmökern und Nachlesen: Informationsquellen, Literaturempfehlungen, zum Tauschen, Leihen, Schenken oder Kaufen

Zum Fachsimpeln und Mitreden bei wichtigen Gartendiskussionen: das Glossar

Auf der Suche nach zukunftsfähigen Alternativen für die Landwirtschaft: Vorwort

Die Menschheit und somit die Landwirtschaft stehen vor großen Herausforderungen: Klimakrise, bedrohte Artenvielfalt, Höfesterben, Hungerkrisen uvm. Die Landwirtschaft ist davon am direktesten betroffen, da sie auf eine vielseitige und intakte Umwelt angewiesen ist, um ihre vielfältigen Funktionen auszubilden, die das (Über-) Leben der Menschen ermöglichen. Die aktuelle, seit Jahrzehnten vorherrschende industrielle Landwirtschaft trägt oft zur Verschärfung der genannten Krisen bei, indem sie versucht, durch wachstumsorientierte Kosteneffizienz und technischen Fortschritt diese Krisen beherrschbar zu machen. Den Landwirt*innen bleibt oft nur ein „Wachsen oder Weichen“. Dabei weiß die Landwirtschaft eigentlich besser als jeder andere Wirtschaftszweig, dass es kein Wachstum ohne Grenzen gibt: Wenn Getreide zu stark gedüngt wird und zu stark wächst, bricht es zusammen, die Ernte wird schlechter. Daher braucht es Alternativen.

Das vorliegende Buch versammelt viele innovative Ansätze, die zur Lösung der genannten Krisen beitragen können. Sie sind oft in der Erprobung und bieten viele Potentiale zur kreativen (Weiter-)Entwicklung. Leon hat aus seinem Studium der Ökologischen Agrarwissenschaften heraus seine vielen Interessengebiete aktiv weiterentwickelt, sodass mit diesem Buch wichtige Impulse zum Ausbau vielfältiger Strategien für eine klimagerechte, arten- und ertragreiche sowie lebensfrohe und sozial gerechtere Landwirtschaft gegeben werden.

Rüdiger GraßUniversität Kassel-Witzenhausen

Von altem und neuem Wissen und überhaupt: Tauch ein in die vielfältige Welt der Marktgärtnerei

Die Marktgärtnerei boomt. Kein Wunder. Die Menschen beginnen immer mehr ihr Konsumverhalten zu hinterfragen und wollen wissen, woher ihre Lebensmittel kommen, wie und unter welchen Bedingungen sie produziert werden. Deshalb ist das Market Gardening schon lange kein Nischenthema mehr. Woche für Woche für Woche werden bunt gefüllte Gemüsekisten ausgeliefert, abgeholt oder vor Haustüren abgestellt. Krumme Gurken, unförmige Karotten und maximale Vielfalt – die sich in dieser kleinen Kiste auf so vielen Ebenen widerspiegelt: in der Menge, in Aussehen und Geschmack. Die knallorange Snackpaprika ist an Süße nicht zu überbieten, der Rucola schmeckt so nussig, herb und intensiv, das haben deine Geschmacksknospen noch nie erlebt.

Und aktuell wird auch das Thema Agroforstwirtschaft immer präsenter. Besonders im Kontext der regenerativen Landwirtschaft wird sie immer bedeutsamer. Doch Informationen zur Kombination von Agroforstwirtschaft mit dem Gemüsebau sind leider spärlich gesät. Das wollen wir ändern. Denn: Ohne die Leistung der Bäume wäre unser globales Ökosystem kaum vorstellbar. Sie produzieren Sauerstoff und sind neben Ozeanen und Böden einer der größten CO2-Speicher. Kurz: Sie sind gut für den Umweltschutz und bremsen die Klimakrise. Und wie man nun Gemüseanbau und Agroforstwirtschaft miteinander kombiniert, um das Bestmögliche rauszuholen, erfährst du in diesem Buch. Bist du bereit, in die unglaubliche Welt von Gemüse und Bäumen einzutauchen? Dann los!

Der Beginn einer Reise

Was du gerade in deiner Hand hältst, ist das Ergebnis einer Reise – einer Recherche-Reise. Aber gleichzeitig ist es auch eine Zwischenstation meiner eigenen Reise. Themen wie Ökologie und Umweltschutz haben mich schon seit meiner Schulzeit begleitet und waren immer sehr wichtig für mich. Während meiner Abiturzeit war ich der festen Überzeugung, dass mich dieses Interesse in die Politik oder zu NGOs führt. Doch wie meistens im Leben kam alles anders. Die freie Zeit nach der Reifeprüfung nutzte ich für eine lange Reise. Zusammen mit einem Freund ging es ab in die Ferne. Wir reisten durch den Norden Amerikas und uns war klar, dass wir mit unserem Geld gut haushalten mussten. Wir hatten von dem Konzept des Wwoofens gelesen und sahen darin unsere Chance, sehr effizient Zeit an einem Ort zu verbringen, ohne viel Geld auszugeben. Wwoofen steht für World-Wide Opportunities on Organic Farms. Dabei handelt es sich um ein weltweites Netzwerk, bei dem freiwillige Helfer*innen auf Biobauernhöfen oder Selbstversorgerhöfen mitarbeiten können – also Freiwilligenarbeit gegen Kost und Logis. Genau so haben wir uns die Reise vorgestellt: mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen, zu erfahren, wie die Locals leben, kostenlos wohnen und essen und dafür mit anpacken. Und so schlossen wir auch recht schnell mit den Gärtner* innen eines kleinen Gemüsehofs Bekanntschaft.

Wir hatten beide keine Erfahrung im Gemüsebau und waren deshalb umso mehr begeistert von dem, was die kommenden Wochen zu bieten hatten. Täglich aßen wir nur das knackigste, frischeste und geschmacksintensivste Gemüse, das wir bisher in unserem Leben gekostet hatten. Viele junge Leute gingen ein und aus. Die beiden Hofgründer*innen waren selbst erst Mitte 20. Es war eine tolle Stimmung auf dem Hof und wir fühlten uns gleich super integriert. Wir säten, pflanzten, ernteten und hatten einfach eine fantastische Zeit. Nach einiger Zeit des Umherreisens kamen wir wieder und verbrachten noch einmal zwei Monate dort. In dieser intensiven Zeit wuchs in mir der Gedanke, dass so ein Leben auch in meiner Zukunft liegen könnte. Der Kontrast zwischen der reinen Vorstellung eines Gärtner* innenlebens und der puren, oft harten Realität war es, der mich so begeisterte. Denn obwohl ich vom Land komme, konnte ich mir bis dahin nicht viel unter einem landwirtschaftlichen Leben vorstellen.

Zocalo Organics in Kanada war der Hof, auf dem ich zum ersten Mal mit dem Gemüsebau in Kontakt gekommen bin … und der mir meinen zukünftigen Weg wies.

Nach der Reise begann ich dann ein Studium im Bereich der Geisteswissenschaften in Hamburg. Eine große, laute Stadt. Auch wenn ich meine Studienfächer mochte, schwelgte ich nach wie vor in Erinnerungen an die Zeit auf dem Hof. Bis ich einen Entschluss fasste: Ich packte meine Sachen und zog nach knapp einem Jahr von der zweitgrößten Universitätsstadt Deutschlands in die kleinste: Witzenhausen. Ein nettes Städtchen im Norden Hessens.

Jetzt hieß es: Bye-bye Geisteswissenschaften, hallo Ökologische Landwirtschaft. Ein starker Kontrast, aber auf jeden Fall die richtige Entscheidung zur richtigen Zeit.

Im zweiten Semester stieß ich auf das Buch „The Market Gardener“ von Jean-Martin Fortier und las es in einem Zug durch. Da wurde mir klar, dass auch der Gemüsehof, auf dem ich während meiner Reise gearbeitet habe, sehr viele dieser Praktiken umsetzte. In den kommenden Monaten und Jahren verschlang ich alle Bücher zum Thema, die mir zwischen die Finger kamen. Da wurde mir bewusst, dass das Thema Market Gardening immer größeren Anklang fand, auch im deutschsprachigen Raum. Die Marktgärtnerei rückte mehr und mehr in den Fokus der öko-gärtnerischen Öffentlichkeit. Und auch mich packte die Faszination.

Zu dieser Zeit gründeten ein paar Kommiliton*innen eine Arbeits- und Diskussionsgemeinschaft, die sich mit dem Thema regenerative Landwirtschaft auseinandersetzte. Der Gruppe bin ich auch beigetreten, und wir diskutierten über Anbaupraktiken im Speziellen, aber auch über die Zukunft der Landwirtschaft generell. Dort kam ich das erste Mal mit der Agroforstwirtschaft in Berührung. Wir waren uns alle einig: Diese Art der Landwirtschaft wird ein großer Teil der Agrarwende sein. Mich zogen beide Systeme gleichermaßen in ihren Bann – Marktgärtnerei und Agroforstwirtschaft. Das führte dann auch dazu, dass ich meine Abschlussarbeit der Symbiose dieser Themen widmete. Mein Dozent schlug mir damals vor, darüber ein Buch zu schreiben, da das Thema im deutschsprachigen Raum noch nicht sehr weit verbreitet war. Da ich zu dieser Zeit bereits mitten in der Planung unseres eigenen Gemüsebetriebs, der Gemüseinsel (dazu erzähle ich dir später ab S. 12 mehr), steckte, war ich zunächst einmal abgeneigt. Wie sollte ich denn einen Betrieb aufbauen und nebenbei ein Buch schreiben? Und als Nächstes stellte ich mir auch die Frage: Ist es überhaupt legitim, ein Buch über das Gärtnern zu schreiben, während ich selbst gerade erst dabei bin, meine eigenen Erfahrungen zu sammeln? Und dann erinnerte ich mich an ein Buch von Andrew Mefferd, „The Organic No-Till Farming Revolution“. Darin skizzierte er seine Recherche-Reise, die ihn zu verschiedenen Höfen führte, die bereits ein Anbausystem ohne Pflug und Fräse eingeführt hatten. Erst gab er einen theoretischen Unterbau und dann ließ er die Praktiker*innen sprechen, die schon all die Erfahrung gesammelt hatten, die er noch nicht hatte. Es war grandios, so viele Perspektiven zu diesem Thema so konzentriert präsentiert zu bekommen. Dieses Konzept erinnerte mich an meine eigene Situation. Ich hatte mich in den letzten Monaten durch allerlei Bücher, Studien und Berichte geackert und darüber sogar eine wissenschaftliche Arbeit geschrieben. Ich kannte mich also gut aus und wusste, wonach ich suchen musste. Und durch die Stimmen der Praktiker*innen konnte ich eine Bandbreite an Ideen, Wissen und Konzepten darstellen, die weit über das hinausgeht, was ich aus meiner Erfahrung berichten hätte können, selbst wenn ich schon zehn Jahre Agroforst betrieben hätte. Da stand für mich fest: Ja, ich kann dieses Buch schreiben! Also machte ich mich auf die Suche nach progressiven Betrieben und inspirierenden Gärtner*innen.

Und schon bald verschlug es mich nach England, Wales, Frankreich, Italien und natürlich auch auf Höfe innerhalb Deutschlands. Nur die Gärtner*innen aus Nordamerika konnte ich nicht persönlich besuchen, diese Interviews führte ich über Videotelefonie. Und was soll ich sagen: Bei meiner Recherche und durch die unglaublich inspirierenden Gärtner*innen habe ich so wahnsinnig viel (dazu) gelernt. Jeder Hof zog mich auf seine ganz eigene Art und Weise in den Bann. Nun, nach dieser langen Lernreise, werden wir bei der Gemüseinsel unsere Agroforstsysteme planen und anlegen.

Für mich wäre es die größte Freude, wenn einige der Erkenntnisse bzw. Erfahrungen aus diesem Buch auch dir dabei helfen, ein Agroforstsystem für deine Gemüseflächen zu planen und anzulegen. Die Reise zu diesem Buch ist für mich hier zu Ende. Aber natürlich ist das nur ein Zwischenstopp auf der großen Reise. Mit den ersten Bäumen, die wir pflanzen werden, geht es los zur nächsten Etappe. Denn der Weg ist das Ziel. Und jeder Baum ist ein Schritt nach vorne!

Baum für Baum zu mehr Biodiversität: Das war die erste, aber bestimmt nicht die letzte Baumpflanzung auf der Gemüseinsel.

Die Landwirtschaft ist in der Krise

Vermutlich hast du schon gehört, dass die Landwirtschaft einige große Probleme hat: Klimakrise, Biodiversitätsverlust, Landflucht …

Jedoch, ohne zu großen Optimismus verbreiten zu wollen, habe ich im Moment das Gefühl, dass sich etwas verändert. Die Neugründungen von Solawis gehen durch die Decke, überall entstehen Marktgärten, und Begriffe wie Agroforstwirtschaft oder regenerative Landwirtschaft sind zu öffentlichen sowie privaten Gesprächsthemen geworden.

Ich glaube, die „Fridays for Future“-Bewegung und all die anderen Aktivist*innen, die die Klimakrise ganz oben auf die Prioritätenliste packen, haben massiven Erfolg gehabt. Dieser schlägt sich leider nicht immer in Gesetzen nieder, aber große Teile der Bevölkerung haben erkannt, dass sich etwas tun muss, wenn wir eine lebenswerte Zukunft für unsere Kinder und Enkelkinder wollen. Deshalb bin ich mir sicher, dass gerade jetzt eine supergute Zeit wäre, um sich selbst nach einem Stückchen Garten umzusehen oder sogar einen Hof zu gründen. Ich glaube, wir brauchen vor allem mehr junge Menschen in der Landwirtschaft. Motivierte Menschen, die innovativ sind und sich voller Tatendrang hineinstürzen. Die Ideen sind da, setzen wir sie um!

Gemeinsam ernten und noch so viel mehr: Solidarische Landwirtschaft

Solawi steht für Solidarische Landwirtschaft. Das Konzept kommt ursprünglich aus Nordamerika und heißt dort CSA (= Community Supported Agriculture). Bei Solawis geht es darum, dass Verbraucher*innen und Gärtner* innen eine Allianz bilden. Die beiden Parteien treffen eine Vereinbarung, dass die Verbraucher*innen für die Länge einer Saison oder eines ganzen Jahres dem Gärtnereibetrieb eine Gemüsekiste abnehmen werden. Dadurch erhalten die Gärtner*innen mehr Planungssicherheit (und dadurch auch finanzielle Sicherheit), denn so wissen sie genau, wie viel Gemüse sie im Laufe der Saison anbauen müssen. Solawis gibt es in vielen Formen und Ausführungen. Manche liefern nur wenige Kisten, manche beliefern mehrere Großstädte. Auch die Betriebsform variiert. Am häufigsten sind Vereine, Genossenschaften und GbRs (Personengesellschaft).

Was für eine Veränderung in so kurzer Zeit: So sah die Fläche im August 2020 aus ...

Komm mit auf die Gemüseinsel

Und dann war das Ende des Studiums plötzlich da. Und jetzt? Mein Studienfreund Tim und ich hatten schon länger darüber gesprochen, einmal in die Mongolei zu reisen und mit der Transsibirischen Eisenbahn zu fahren. Dafür schien jetzt der perfekte Zeitpunkt: Keine Verpflichtungen, keine Uni und der Sommer stand kurz bevor. Nun kam uns zu der Zeit leider ein anderer Reisender in die Quere: Corona. Und machte somit unsere Pläne zunichte. Erst überlegten wir, vielleicht nur in Europa zu reisen, doch schneller als gedacht war nicht einmal mehr Reisen in Deutschland möglich. Was also tun mit all der Zeit?

Eines Abends, als wir in unserer Studi-WG zusammensaßen, kam die Idee auf, statt zu reisen Gemüse anzubauen. Und das war eigentlich gar nicht so abwegig, schließlich hatten wir uns beide beinahe unsere gesamte Studienzeit genau damit beschäftigt. Aus diesem Gedanken wurde ein handfester Plan. Wir begaben uns auf die Suche nach Flächen und wurden überraschend schnell fündig. In Dietzenrode, etwa 15 Kilometer von Witzenhausen entfernt, lud uns der Inselhof ein, um über die Verpachtung einer Fläche zu sprechen, auf der die beiden Betriebsleiter*innen vor wenigen Jahren selbst Gemüse angebaut, aber mittlerweile den Betriebsfokus verändert hatten. Umso passender schien es, dass wir mit unserer Solawi-Idee bei ihnen anklopften. Wir waren alle auf einer Wellenlänge und schon bald war alles unter Dach und Fach. Und nachdem der Roggen im August vom Acker geerntet worden war, konnten wir auch schon durchstarten. Wir säten Zwischenfrüchte aus und arbeiteten intensiv an der Gartenplanung.

... und das war die Fläche genau ein Jahr später.

Das erste Jahr war nicht immer einfach. Ein nasses und kaltes Frühjahr, gescheiterte Experimente und Unstimmigkeiten mit Ämtern und Behörden bescherten uns die ein oder andere Stirnfalte. Aber: Am Ende der ersten Saison waren wir sehr zufrieden und stolz auf uns. Was wir alles geschafft haben! Auch wenn hier und da mal eine Kultur ausgefallen ist, haben wir unglaublich tolles Gemüse angebaut. Und: Wir haben vor allem eine Menge gelernt. Mehr, als wir uns hätten vorstellen können. Und genau aus diesen Gründen haben wir große Lust, all das in den nächsten Saisons zu verfeinern. Genau das möchte ich dir auch mit diesem Buch vermitteln: Es geht nicht darum, immer gleich alles perfekt zu machen. Aber mit einer ordentlichen Portion Motivation und Tatendrang lässt sich vieles erreichen. Wenn das ganze Team anpackt und eine Idee in die Realität umsetzt – was für ein Gefühl. Und so soll es weitergehen, ich möchte jeden Tag dazulernen und Neues entdecken.

Market Gardening: Alles auf Anfang

Die Marktgärtnerei erlebt gerade einen ziemlichen Aufschwung. Ein neues Phänomen ist diese Anbauweise aber nicht: Schon vor über 150 Jahren haben Menschen nach diesem Prinzip gegärtnert und gewirtschaftet. Mit der fortschreitenden Technisierung und dem Siegeszug der industriellen Landwirtschaft ist sie aber im Laufe des 20. Jahrhunderts zunehmend in Vergessenheit geraten. Lass uns das Marktgärtnern wieder ganz neu entdecken – indem wir uns erst auf seine Wurzeln besinnen und uns dann ansehen, was daraus geworden ist.

Diese Ernte kann sich sehen lassen.

Die Arbeit auf dem Feld ist nicht immer einfach, aber das Ergebnis lohnt sich allemal.

Die Marktgärtnerei und ich: Volltreffer!

Falls du neu auf diesem Terrain bist und dich jetzt fragst, was der Unterschied zwischen Market Gardening und Marktgärtnerei ist, kann ich dich gleich beruhigen: Es gibt keinen. Ich verwende nur gerne die deutsche Übersetzung des Begriffs. Und was genau hinter dem Begriff „biointensiver Gemüsebau“ steckt und was er mit der Marktgärtnerei zu tun hat, das verrate ich dir in einem späteren Kapitel ab S. 20 noch ausführlicher. Hier kommt erst einmal ein kleiner Einstieg in die Theorie. Oder bist du schon ein absoluter Pro und kennst dich auf diesem Gebiet bestens aus? Auch gut, dann kannst du direkt weiterblättern auf S. 43 und im Kapitel Agroforstsysteme wieder einsteigen.

Im kommenden Abschnitt dieses Kapitels gehe ich nochmal ganz zurück an den Anfang der Marktgärtnerei. Aber zu Beginn habe ich mir zunächst eine Frage gestellt: Was begeistert mich eigentlich an der Marktgärtnerei? Zwei Dinge sind mir da sofort in den Sinn gekommen:

Marktgärten sind in der Regel einfach schöne Orte. Sie fühlen sich wirklich an wie Gärten und nicht bloß wie Produktionsstätten. Du kennst sicher auch die riesigen Felder, die uns alle umgeben. Dort gibt es oft wenig Strukturelemente wie zum Beispiel Hecken oder Blumenbeete. Aber sobald Sträucher, Bäumchen oder ein Bach einen Acker begrenzen, sieht er meist gleich viel schöner aus. Ein Garten hingegen beinhaltet solche Strukturen schon per Definition. Permanente Wege, Staudenbeete, eine Gartenhütte … all das gibt einem das Gefühl von Vertrautheit und Ruhe. Fast wie ein Stück Zuhause.

Um die verschiedenen Konzepte der Marktgärtnerei hat sich in den letzten Jahren eine sehr vitale Community gebildet. Auf beinahe allen Medienkanälen gibt es Inhalte für alle möglichen Erfahrungslevel. Von Grundlagenkursen bis zur Masterclass, mehreren Dutzend Büchern, Videokanälen, Chatgruppen, Social Media – es gibt für alle einen Einstieg in die Themen, egal welche Formate einen ansprechen. Im deutschsprachigen Raum existiert seit kurzem sogar ein Netzwerk für alle möglichen Themen rund um die Marktgärtnerei – das Kolibri-Netzwerk. Der Austausch macht einfach unglaublich viel Spaß und bringt uns alle weiter. Dadurch, dass Informationen mittlerweile nicht nur in einzelnen Regionen weitergegeben werden, sondern mit wenigen Klicks einmal quer über den Globus befördert werden können, haben sich in den letzten Jahren sehr viele Innovationen ergeben. Auch für meine Recherche für dieses Buch war es fantastisch, sich so unkompliziert mit Menschen aus der ganzen Welt unterhalten zu können.

Dass es sogar Reportage-Serien wie „The Farmers“ mit Jean-Martin Fortier gibt, freut mich sehr. Denn so gelangen diese Themen in eine breitere Öffentlichkeit. Dadurch, dass die Marktgärtnerei-Bewegung dem Gemüsebau eine popkulturelle Bedeutung gegeben hat, interessieren sich jetzt auch mehr und mehr junge Menschen aus den Städten für diese Arbeit auf dem Land. Wer hätte das noch vor einiger Zeit für möglich gehalten?

Back to the roots: Zeitreise zu den Anfängen der Market-Gardening-Bewegung

Der Beginn der Bewegung wird meist den Pariser Marktgärtner*innen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zugeschrieben. In den äußeren Bezirken von Paris herrschte zu dieser Zeit eine sehr lebendige Gärtner* innen-Kultur. Die Gärtner*innen waren ziemlich clever und so geschickt, dass sie mehr Gemüse produzierten, als die Pariser*innen benötigten. Angeblich exportierten sie ihre Waren sogar bis nach England. Aber was machte die Pariser Gärten so besonders? Zum einen war das ganz schön viel Mist: nämlich Pferdemist. Sie nutzten damit eine Ressource, die zur damaligen Zeit zuhauf verfügbar war. Täglich waren unzählige Kutschen in der Stadt unterwegs. Dabei fiel der Pferdemist ganz von selbst an. Mit Körben wurde dieser dann aus dem Zentrum zu den Gärten geschafft. In seinem Buch „The winter harvest handbook“ (deutsche Version: „Handbuch Wintergärtnerei“) hat Eliot Coleman einige Fotografien veröffentlicht, die dieses Prozedere dokumentieren. Der Mist diente als Fruchtbarkeitsinput. Laut Coleman wurden sogar bis zu 950 Tonnen pro Hektar eingearbeitet. Im Winter wurden Mistbeete aufgebaut, die mit ihrer Wärme eine ganzjährige Produktion ermöglichten. Nachdem die Mistbeete abgekühlt waren, wurde der kompostierte Mist auf die anderen Beete verteilt. Die Pariser Gärtner*innen fuhren so zwischen 4–8 Ernten pro Jahr ein. Ein weiterer Grund für den hohen Ertrag war auch die Mischkultur, der sie einen hohen Stellenwert einräumten.

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war zudem eine Zeit, in der die Anfänge der modernen Gewächshauskultur zu finden sind. Zwar gab es noch nicht flächendeckend Glashäuser, aber die Gärtner*innen nutzten beispielsweise Glasglocken, die sie über die Pflanzen stülpten, um Wärme zu speichern. Die Pariser Gärtner* innen erlangten auch außerhalb Frankreichs immer mehr Bekanntheit und um die Jahrhundertwende erschienen einige Publikationen im englischen Sprachraum. In seinem Buch stellt Coleman die These auf, dass es zu Beginn des 19. Jahrhunderts ähnliche Strukturen und Praktiken auch schon in London gab. Nur wurden all diese Betriebe durch den Ausbau der Stadt immer weiter in die Peripherie vertrieben und die Methoden gerieten in Vergessenheit. Ein ähnliches Schicksal ereilte nun auch die Pariser Gärtner*innen. Würdest du heute auf der Gemüsefläche von damals stehen, würden unzählige Autos und Busse an dir vorbeirauschen. Und anstatt der Beete und Salatköpfe würden heute Schaufensterfronten deine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Im 19. Jahrhundert bestimmten die Transportkosten die Lebensmittelpreise. Abgesehen davon, dass es logistisch einfach nicht möglich war, innerhalb weniger Tage Tomaten aus den Niederlanden bis zur österreichischen Grenze zu transportieren, waren es eben die hohen Transportkosten, die dieses Unterfangen unrentabel machten. Johann Heinrich von Thünen entwickelte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das sogenannte Modell der Thünenschen Ringe: Diese beschreiben, welche Form der Landwirtschaft in welcher Entfernung zur Stadt angesiedelt sein sollte. Der Gemüsebau nimmt dabei den ersten Ring, nahe am Zentrum, ein. Das Modell weist viele Parallelen zum Zonierungssystem in der Permakultur auf. Dabei würde beispielsweise direkt neben dem Wohnhaus das angebaut werden, was die meiste Pflege, Zeit und Aufmerksamkeit benötigt. Die Faktoren Pflegeintensität bzw. Transport bestimmten also den Ort des Anbaus.

Erinnern an die Zonierung in der Permakultur: die Thünenschen Ringe.

Mit der Jahrhundertwende kam auch das Automobil – und damit wurde der Transport günstiger und Entfernungen wurden kleiner. So wurde es deutlich attraktiver, Gemüse auch außerhalb der Stadt anzubauen. Allerdings stieg auf der einen Seite die Konkurrenz zu den „Stadtgärtner*innen“, auf der anderen Seite, und das war noch gravierender, verloren sie mehr und mehr ihre Fruchtbarkeitsgrundlage, denn es gab immer weniger Pferde und somit auch weniger Mist. Schon einige Jahrzehnte nach der Jahrhundertwende war wenig von den einstigen Gemüseparadiesen übrig. Populärer wurden die Ideen des Gemüsebaus auf kleiner Fläche wieder durch Alan Chadwick – einen Engländer, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach Kalifornien auswanderte. Er kombinierte die Ideen des „französischintensiven“ Systems mit jenen der biodynamischen Landwirtschaft und entwickelte daraus ein eigenes Konzept. Er nannte es folgerichtig die „biodynamischfranzösisch-intensive Methode“. Chadwick war für seine sehr detailreichen Ideen bekannt. Er schrieb sie nicht in Büchern nieder, sondern gab sein Wissen hauptsächlich in Workshops weiter. Die NGO Ecology Action um John Jeavons komprimierte die Ideen Chadwicks Anfang der 1970er-Jahre zum Konzept der „biointensiven“ Landwirtschaft. Dieses Konzept umfasst acht Punkte (schau dafür auf S. 20), die zusammen angewendet dazu führen sollen, dass die Bodenfruchtbarkeit und der Ertrag steigen. Ausführlich beschrieben ist das Konzept in Jeavons Buch „How to grow more vegetables“, für das ich eine absolute Leseempfehlung aussprechen möchte.

Ein weiterer Pionier auf dem Gebiet des Gemüsebaus, Eliot Coleman, begann Ende der 1960er-Jahre in Maine (USA) Gemüse anzubauen. Er verfolgte dabei den Ansatz, auf kleiner Fläche viel und vor allem gutes Gemüse zu produzieren. Zahlreiche Aspekte des biointensiven Konzepts hat er in seine Methoden eingearbeitet, auch wenn mir keine Textstellen oder Zitate bekannt sind, in denen er explizit auf Jeavons und Co. verweist. Er bezieht sich hingegen direkt auf die Pariser Marktgärtner* innen. Bei Besuchen in Europa lernte er viele ihrer Grundsätze bei Betrieben, die diese Art des Gärtnerns in das 20. Jahrhundert gerettet hatten, kennen.

Eliot Coleman: für einige einfach nur ein Autor und Gemüsebauer, für andere eine Legende.

Colemans Buch „The New Organic Grower“ bereitete dann den Weg für viele weitere Gärtner*innen. Besonders bekannt wurde einer, der der Marktgärtnerei ihren popkulturellen Stempel aufdrückte: Jean-Martin Fortier (Kanada). Mit seinem Buch „The Market Gardener“ und dem etwas später erschienenen Film „The Market Gardeners Toolkit“ erregte er viel Aufmerksamkeit. In den Jahren nach der Veröffentlichung schwappte die Popularität der Bewegung dann auch wieder vermehrt nach Europa zurück.

Aktuell erleben wir ein enormes Interesse an der Marktgärtnerei, das noch bis vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Es erscheinen Bücher darüber, überall werden Marktgärtnerei-Betriebe gegründet und das Thema ist nun sogar im Fernsehprogramm angekommen: „The Farmers“ mit Jean-Martin Fortier umfasst sogar schon zwei Staffeln. Die Szene ist zwar immer noch sehr nordamerikanisch geprägt, aber viele andere Regionen holen auf. Auf die vielfältigen Potentiale der Marktgärtnerei gehe ich in den folgenden Kapiteln (ab S. 28) ein.

Einen kritischen Aspekt möchte ich an dieser Stelle noch ansprechen: Schauen wir auf die Geschichte der Marktgärtnerei, auf die Sichtbarkeit und Publikationen, dann fällt auf, dass die überwältigende Mehrheit der medialen Protagonist*innen Cis-Männer sind. Aber in den meisten Betrieben, die ich in den letzten Jahren besucht habe, waren bestimmt mindestens die Hälfte FLINTA*-Personen. Da gibt es also eine große Disbalance in der Rollenverteilung. Eine Innovation, die dieser sonst so progressiven Szene gut stehen würde, wäre, wenn mehr FLINTA* sich mit ihren Perspektiven und Ideen zu Wort melden könnten und gehört werden würden. Zugegebenermaßen ist das kein alleiniges Problem der Marktgärtnerei, sondern der generellen Landwirtschaft und der Gesamtgesellschaft an sich. Und zur Wahrheit gehört natürlich, dass ich ebenso in die erstgenannte Kategorie falle. Was ich damit sagen möchte? Es mag Hürden und Schranken geben, aber das sollte nicht so sein, deshalb möchte ich alle Personen, die sich in dieser Kategorie nicht wiederfinden, ermutigen, Projekte zu starten, Bücher zu schreiben, einen Hof zu bewirtschaften oder einen Videokanal zu starten. Damit wir um viele Ideen reicher werden und gemeinsam Spaß daran haben können.

FLINTA*

F = Frauen

L = Lesben

I = Inter-Personen

N = nicht-binäre Menschen

T = Trans-Personen

A = Agender-Personen

* = für alle, die sich der Gruppe

zugehörig fühlen, aber nicht direkt angesprochen wurden.

Einer wie alle? Was verbindet Marktgärtnerei-Betriebe?

Aus den bisherigen Ausführungen zeigt sich gut, dass es nicht das „eine“ Market-Gardening-Konzept gibt. Es sind viele unterschiedliche. Natürlich lohnt es sich, die Konzepte genauer zu betrachten, die sich über viele Jahre als erfolgreich gezeigt haben. Aber noch wichtiger ist es, Aspekte der verschiedenen Herangehensweisen zu kombinieren. Denn keine Fläche ist wie die andere. Vielleicht liegt dein Garten windexponiert auf einer Hügelkuppe, vielleicht hast du 1.100 mm Niederschlag im Jahr – oder hat es dich etwa in den mediterranen Raum verschlagen und du genießt die sengende Sonne Andalusiens? Einfaches „Copy-and-Paste“ funktioniert hier deshalb leider nicht. Und darum zeige ich dir jetzt einmal genauer, welche Elemente man bei den meisten biointensiven Betrieben findet.

In Zusammenhang mit der Marktgärtnerei fällt oft das Stichwort „biointensiv“. Aber was genau bedeutet das, was steckt dahinter? Damit es zu keinem Missverständnis mehr kommt, möchte ich dir hier einen kleinen Überblick geben. Das Ziel des biointensiven Systems ist es, mehr Bodenfruchtbarkeit durch Kreislaufwirtschaft zu schaffen. Wie schaffen wir es, ein Stück Land jedes Jahr produktiver und vitaler zu machen, ohne dass wir große Mengen an Material von außen zuführen? John Jeavons und Ecology Action (schau auf S. 17 nach), die dieses Konzept entworfen haben, formulieren dieses System in acht Punkten aus.

Auf den nächsten Seiten gibt’s das biointensive Konzept im Überblick. Weiter im Text geht’s auf Seite 26.

Hier wird richtig viel auf kleiner Fläche angebaut.

Der biointensive 8-Punkte-Plan für mehr Produktivität

1Tiefes Bodenlockern

Die ursprüngliche Idee von Ecology Action war es, den Boden bis in eine Tiefe von 60 cm zu lockern. Das ist eine sehr zeit- und arbeitsaufwendige Tätigkeit, die in der Praxis bisher kaum jemand so umgesetzt hat. Eine Alternative ist, den Boden mit einer Doppelgrabegabel – auch bekannt unter dem französischen Begriff Grelinette oder dem englischen Broadfork – bis in ca. 30 cm Tiefe zu belüften, ohne ihn zu wenden. Voilà, und schon ist der Boden locker!

Mit der Broadfork (Doppelgrabegabel) kannst du den Boden ganz einfach belüften, ohne ihn wenden zu müssen, und schaffst dadurch auch Lockerheit.

2Kompostieren

Einer der wichtigsten Punkte im Konzept ist das Kompostieren. Alles, was an Biomasse (organische Substanzen) anfällt, soll kompostiert werden. Der Kompost dient als Dünger, Strukturbildner im Boden und Förderer des Bodenlebens.

Da wir nicht mehr auf die Maße der Hack-Anbaugeräte für den Schlepper angewiesen sind, können wir die Kulturen viel dichter stellen.

3Dichte Sä- und Pflanzabstände

Je dichter die Pflanzen beieinanderstehen, desto mehr Biomasse können wir generieren, da so mehr photosynthetisch aktive Oberfläche (Blätter) entsteht. Allerdings kann durch zu enge Pflanzabstände auch die Erntequalität leiden. Denn jede Pflanze braucht genug Platz, um sich zu entwickeln. Bei zu engen Abständen treten die Pflanzen in Konkurrenz zueinander.

Bringt Nährstoffe und fördert das Bodenleben: Kompost.

4Mischkultur

Damit der Wurzelraum bestmöglich ausgenutzt wird, sollen, wenn möglich, verschiedene Pflanzen auf einem Beet angebaut werden. Am besten solche, die sich gegenseitig nicht schaden, sondern bestenfalls sogar unterstützen.

Mais bildet viel Biomasse und schmeckt auch superlecker!

5Kohlenstoffeffizienz

Auf 60 % der Anbaufläche sollen Kulturen angebaut werden, die sowohl für die Nahrung genutzt werden können (Körner) als auch als Rohstoffe für die Kompostproduktion (Pflanzenreste) verwendet werden können. Das sind zum Beispiel Getreide wie Mais, Roggen oder Amaranth.

The more, the merrier: Gurken und Basilikum sorgen für mehr Unterstützung im Beet.

6Kalorieneffizienz

Auf ungefähr 30 % der Beetfläche sollen dann Kulturen angebaut werden, die eine hohe Kaloriendichte pro Fläche haben. Beispielsweise Kartoffeln, Knoblauch oder Pastinaken. Auf 10 % der Fläche könnten dann noch Kulturen wie Salate, Erbsen etc. wachsen – die richtigen Vitaminbomben.

Im deutschsprachigen Raum gibt es glücklicherweise einige Saatguthersteller* innen, die hochwertiges samenfestes Saatgut produzieren.

7Nutzung samenfesten Saatguts

Um die genetische Vielfalt und die Unabhängigkeit der Gärtner*innen zu erhalten, schlägt Ecology Action vor, samenfestes Saatgut zu nutzen. Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass die Gärtner*innen es selbst vermehren können. Bei Hybridsaatgut ist das nicht möglich, da sich dabei das Erbgut aufspaltet und man keine reine Sorte erhält.

Strotzt nur so vor Energie: die Pastinake.

8Ein ganzheitliches Anbausystem

Alle diese Methoden sollen zusammen angewendet werden, um den größtmöglichen Nutzen aus ihnen zu ziehen. Aber Vorsicht: Wenn einige der Praktiken, ohne die anderen genutzt werden, kann es vorkommen, dass dies dem Boden mehr schadet als nützt.

Mit der biointensiven Anbaumethode erhältst du richtig viel Ertrag auf kleiner Fläche.

Der „biointensive“ Gemüsebau: kurz und knackig zusammengefasst

Die biointensive Landwirtschaft ist ein 8-Punkte-Plan, der über mehrere Umwege von den Pariser Gärtner*innen des 19. Jahrhunderts abgeleitet wurde. Das Ziel des Systems, welches Ecology Action in den 1970er Jahren ausarbeitete, ist es, den Boden möglichst nur mit den Ressourcen, die vor Ort auf der Fläche zur Verfügung stehen, aufzubauen. Es geht also darum, Biomasse, die zwangsläufig anfällt, möglichst produktiv einzusetzen und dem Boden wieder zur Verfügung zu stellen. Der Kompostierungsprozess steht daher im Mittelpunkt des Systems. Denn dadurch wird aus Abfall ein herrlicher Bodenverbesserer. In seiner vollen Bandbreite kann das System meist bloß in der Bedarfslandwirtschaft oder im Hausgarten angewandt werden. Denn im kommerziellen Gemüseanbau verlassen durch die Ernteprodukte sehr viele Nährstoffe den Betrieb, sodass der angestrebte Stoffkreislauf nicht vollendet werden kann.

Und am Ende: kriegst du bis oben hin gefüllte Kisten mit knackigstem Gemüse, das deine Woche kulinarisch aufpeppt.

Dieser Grid Marker (Beetmarkierungsrolle) markiert in einem Arbeitsgang das ganze Beet.

Verglichen mit der Praxis wird dir vielleicht schon aufgefallen sein, dass moderne Marktgärtnerei-Betriebe in Wahrheit ganz anders funktionieren. Niemand baut Getreide an, um aus dem Stroh Kompost zu machen. Viele nutzen Hybridsaatgut, um größtmögliche Erträge zu erzielen. Und wir brauchen viel mehr Kompost, als wir selber produzieren könnten. Der Grund dafür ist, dass das biointensive Konzept für die Subsistenzwirtschaft, also die Selbstversorgung, konzipiert ist und nicht für Marktbetriebe. Man könnte also sagen, Marktgärtnereien sind eine moderne und angepasste Version dieses Selbstversorger*innen-Konzepts. Es ist nicht mehr möglich, einen geschlossenen Betriebskreislauf, wie er beim biointensiven Ansatz angestrebt wird, umzusetzen. Stoffkreisläufe werden nicht mehr innerhalb des Gartens gedacht, sondern auf kommunaler Ebene: Gemüse geht raus, Kompost kommt rein. Der Kompost wird mit dem Material der Biomüll-Sammlung oder durch kommunalen Grünschnitt produziert.

Ein weiterer Faktor, der viele Marktgärtnereien eint, ist der Fokus auf Arbeitseffizienz. Zugegeben: Wir verbinden Begriff der Effizienz wahrscheinlich schnell mit den Mühlen des Kapitalismus. Ist eine Maschine günstiger in der Wartung als ein Mensch, dann wird dieser ersetzt. Aber wir können den Begriff auch von der anderen Seite aus denken. Je weniger Zeit ich für bestimmte Gartenarbeiten brauche, desto früher kann ich Feierabend machen. Hört sich schon besser an, oder? Deshalb ist die Standardisierung eine wichtige Sache. Wenn alle Beete die gleiche Länge und die gleiche Breite haben, dann passt auch jedes Netz und jedes Vlies auf jedes Beet. Außerdem weiß ich, ohne nachzurechnen, immer, wie viel Kilogramm Spinat ich wohl von einem Beet ernte und wie viele Salatjungpflanzen ich für ein Beet brauche. Die meisten Betriebe haben Beete, die 75 bzw. 80 cm breit sind einen 40 bzw. 45 cm breiten Weg dazwischen haben. Für diese Beetbreite wurden in den letzten Jahren viele Geräte entwickelt, sodass ganze Beete oft in einem einzigen Arbeitsdurchgang bearbeitet werden können anstatt wie früher oft in zwei oder drei.

So können ganz easy ein oder sogar mehrere Wege gespart werden. Das hört sich nach nicht viel an. Aber: Wenn du bedenkst, dass das aufs Jahr gerechnet vielleicht viele hundert Wege sind, dann ist das schon beeindruckender. Der amerikanische Autor und Farmer Ben Hartman ist mit seinem Konzept des Lean-Farmings genau für solche Prozesse bekannt geworden. In seinen Büchern erklärt er, wie man es schafft, nur solche Arbeiten zu machen, die wirklich wertvoll sind.

Ein weiterer Pfeiler der Marktgärtnerei ist die Direktvermarktung. Alle Marktgärtnereien, die ich kenne, verkaufen ihr Gemüse direkt an die Kund*innen. Meistens über Wochenmärkte, Solawi-Modelle oder an Restaurants. Das ist in der Regel eine Win-win-Situation. Denn viele Menschen wollen sich wieder mit ihren Lebensmitteln auseinandersetzen und sich damit identifizieren können. Ich habe das Gefühl, dass ein neues Bewusstsein dafür entsteht, woher die Lebensmittel stammen, die auf den Tellern der Menschen landen, und unter welchen Bedingungen sie produziert wurden. Das deckt sich mit meiner eigenen Erfahrung in unserer Solawi: Die Leute haben wirklich Freude daran, Teil des Anbaus zu sein und abends an der selbstgeernteten Karotte zu knabbern. Wir Gärtner*innen ziehen daraus natürlich auch Vorteile, vor allem nämlich den, dass wir sofort direktes Feedback erhalten. Das Solawi-Modell hat in den letzten Jahren sehr starken Aufwind erfahren. Vor knapp einem Jahrzehnt gründete sich das Solawi-Netzwerk mit nicht einmal 20 Betrieben. Mittlerweile sind es fast 400 und die Zahl nimmt stetig zu.

Anbauphilosophie Clay Bottom Farm – von Ben Hartman