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What happens in Vegas, stays in Vegas – oder etwa nicht?
Ich hätte dieses Kleid niemals anziehen dürfen, denn es hat mir immer nur Ärger eingebracht. Und wer war Zeuge meiner Blamage? Natürlich wieder er – Camden Cox. Er war der Schrecken meiner Kindheit und hat damals keine Gelegenheit ausgelassen, mich zu ärgern. Heute ist er reich und wahnsinnig gut aussehend. Aber ich kenne diese Typen, die nichts anderes im Sinn haben, als jede Frau ins Bett zu kriegen. Camden hat bei mir keine Chance, da kann er so charmant sein, wie er will. Ich wäre jedoch nicht Sophie Abbott, wenn ich nicht wieder das absolute Chaos verursachen würde. Denn nach einer wilden Nacht in Vegas wache ich nackt in einem Hotelzimmer auf – neben Camden, und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir geheiratet haben …
Ein turbulenter Roman über die Katastrophen, die nur die Liebe anrichten kann.
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Seitenzahl: 447
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Ich hätte dieses Kleid niemals anziehen dürfen, denn es hat mir immer nur Ärger eingebracht. Und wer war Zeuge meiner Blamage? Natürlich wieder er. Camden Cox. Er war der Schrecken meiner Kindheit und hat keine Gelegenheit ausgelassen mich zu ärgern. Heute ist er reich und wahnsinnig gutaussehend. Aber ich kenne diese Typen, die nichts anderes im Sinn haben, als jede ins Bett zu kriegen. Camden hat bei mir keine Chance, da kann er so charmant sein, wie er will.
Ich wäre aber nicht Sophie Abbott, wenn ich nicht wieder das absolute Chaos verursachen würde. Denn nach einer wilden Nacht in Vegas, wache ich nackt in seinem Hotelzimmer auf. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir geheiratet haben …
Claire Kingsley schreibt Liebesgeschichten mit starken, eigensinnigen Frauen, sexy Helden und großen Gefühlen. Ein Leben ohne Kaffee, E-Reader und neu erfundene Geschichten ist für sie nicht vorstellbar. Claire Kingsley lebt mit ihrer Familie im pazifischen Nordwesten der USA.
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Claire Kingsley
Marrying Mr. Wrong
Übersetzt von Madita Elbe aus dem amerikanischen Englisch
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Inhaltsverzeichnis
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1: SOPHIE
2: COX
3: SOPHIE
4: SOPHIE
5: COX
6: SOPHIE
7: COX
8: SOPHIE
9: SOPHIE
10: COX
11: SOPHIE
12: SOPHIE
13: COX
14: SOPHIE
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17: SOPHIE
18: SOPHIE
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20: COX
21: SOPHIE
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23: SOPHIE
24: COX
25: COX
26: SOPHIE
27: COX
28: SOPHIE
29: COX
30: COX
31: SOPHIE
32: COX
33: COX
34: SOPHIE
35: COX
36: SOPHIE
EPILOG — SOPHIE
Impressum
Lust auf more?
1
Bei diesem Kleid hätte ich unbedingt ein Höschen anziehen sollen.
Männer und Frauen in eleganter Abendgarderobe liefen um mich herum, und währenddessen spürte ich deutlich eine kühle Brise meine Beine hochwandern und meine Hinterpartie streifen. Stand ich womöglich an einem Lüftungsschlitz oder so was?
Für die Benefizgala war der Ballsaal des Hotels prächtig geschmückt. Die Veranstaltung diente einem besonders guten Zweck, denn es wurden Spenden für Big Brothers, Big Sisters gesammelt. Auf langen Tischen waren Gegenstände für eine stille Auktion ausgestellt, und es würde eine weitere Live-Auktion auf einer Bühne stattfinden, die eigens für diesen Tag vor einem Panoramafenster errichtet worden war. Es gab Tafeln mit edlen Tischdecken und zwei Bars, an denen Drinks für die gut gekleideten Gäste ausgeschenkt wurden.
Mein Problem war, dass ich fast vergessen hatte, zu diesem Event zu erscheinen. Eigentlich hätten mein Chef, Shepherd Calloway, und seine Frau Everly – die eine meiner besten Freundinnen war – hier sein sollen. Als Mr. Calloways Assistentin kümmerte ich mich normalerweise um alles Organisatorische, und die beiden besuchten dann die Veranstaltungen.
Aber Everly war schwanger und ihre Knöchel waren gestern ein wenig geschwollen gewesen. Sie selbst – und auch ihr Arzt – war nicht sonderlich besorgt darüber gewesen, allerdings hatte Mr. Calloway einen beeindruckend paranoiden Beschützerinstinkt entwickelt, wenn es um seine schwangere Frau ging. Er hatte sämtliche Termine für die nächsten Tage abgesagt, um für Everly da sein zu können.
Ehrlich gesagt war es ziemlich süß.
Leider hieß das, dass ich an ihrer Stelle auf dieser Gala erscheinen musste.
Was mir erst im letzten Moment wieder eingefallen war.
Ich hatte mich beeilt, in kürzester Zeit präsentabel genug für eine Galaveranstaltung in Abendgarderobe zu sein, nicht zu spät zu kommen, mir dabei keinen Fingernagel abzubrechen und Schuhe zu finden, die zwar chic genug waren, in denen ich aber trotzdem noch laufen konnte. Und weil ich Sophie Abbott war, eine wandelnde Katastrophe, hatte ich in der Eile ganz vergessen, Unterwäsche anzuziehen.
Wer vergaß denn bitte schön seine Unterwäsche?
Die Antwort war: Ich.
Zumindest hatte ich an den BH gedacht. Der war wichtig, wenn man Kurven hatte – und davon hatte ich ausreichend.
Hier stand ich nun also, meine Brüste wurden vom BH vorbildlich in Schach gehalten und meine dunkelblonden Locken ringelten sich brav, aber weiter unten bedeckte mich nichts als der dünne Stoff meines roten Kleides.
Meines eher kurzen, leichten roten Kleides.
War es durchsichtig? Konnte man meine Gesäßfalte sehen?
Das war in diesem Moment wahrscheinlich meine größte Sorge. Ich warf einen Blick über die Schulter und fragte mich, ob ich jemanden dabei erwischen würde, wie er an mir herabsah, und überlegte, was sich unter meinem Zu kurz und zu leicht für keine Unterwäsche-Kleid verbarg.
In der Nähe stand ein Mann im schwarzen Smoking, seine Augen ruhten auf meinem Hintern.
Er wusste Bescheid.
Seufzend bewegte ich mich zum anderen Ende der Tische mit der stillen Auktion. Jetzt musste ich mich entweder möglichst bald aus dem Staub machen oder mich mit der Tatsache abfinden, dass eine Handvoll Leute in diesem Raum es bemerken und mich anstarren würden.
Was würden meine drei besten Freundinnen tun? Anders als ich wussten sie anscheinend in jeder Situation, was zu tun war.
Everly hätte Mr. Calloway, um sie vor Blicken zu schützen. Seine eisige Miene würde jeden Mann zum Erstarren bringen, der auch nur darüber nachdachte, Everly anzusehen. Hazel hätte ein Kleid wie dieses erst gar nicht angezogen. Sie würde etwas deutlich Praktischeres tragen, und es wäre doppellagig.
Und Nora? Sie würde einfach dazu stehen.
Das war vielleicht meine Antwort. Meine innere Nora heraufzubeschwören. Zumindest konnte der Abend nicht mehr schlimmer werden. Ich war ja schon ohne Date auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung, auf der ich niemanden kannte – zumindest nicht persönlich –, und trug ein Kleid, in dem ich mich wie in einem dieser Alpträume fühlte, in denen man nackt vor Publikum auf einer Bühne stand.
Und dann, wie auf Kommando, wurde der Abend doch noch schlimmer.
Von der anderen Seite des Raumes begegnete mir der Blick eines Mannes in einem dunklen Anzug. Ich holte erschrocken Luft und drehte mich weg. O nein. Das war Dr. Handgreiflich.
Mein Vater hatte sich auf seine alten Tage zum Heiratsvermittler ernannt und war auf der Suche nach einem Ehemann für mich. Was bedeutete, dass er versuchte, mich mit quasi jedem alleinstehenden Mann zu verkuppeln, der zwischen zwanzig und fünfzig war.
Dem Briefträger. Dem Typen, der im Supermarkt die Regale einräumte. Dem Kellner in unserem Lieblingsrestaurant. Seinem Augenarzt. Seinem Steuerberater.
Bei diesem hier, Dr. Shilling, handelte es sich um den Chirurgen, der kürzlich einen kleinen Eingriff an seinem Handgelenk durchgeführt hatte. Als Dad zur Nachuntersuchung da gewesen war, hatte er den Doktor irgendwie dazu überredet, auf ein Date mit seiner Tochter zu gehen.
Um meinen Vater milde zu stimmen, hatte ich mich darauf eingelassen, aber mir sehr bald gewünscht, ich hätte es nicht getan. Dr. Shilling hatte den ganzen Abend über Gründe gefunden, mich anzufassen. Allerdings nicht auf eine angenehme Art und Weise, so dass ich mir gewünscht hätte, er würde mich noch mehr berühren. Er fummelte rum und warf mir anzügliche Blicke zu, und ich fühlte mich alles in allem so unwohl, dass ich einen akuten Fall von Lebensmittelvergiftung vortäuschte und Hals über Kopf aufbrach. Als ich später bei ein paar Gläsern Martini meinen Freundinnen davon erzählte, gaben wir ihm den Spitznamen Dr. Handgreiflich.
Und dort stand er nun, bloß einige Meter entfernt auf der anderen Seite der Auktionstische.
Ich riskierte einen kurzen Blick. Er sprach mit jemandem, aber sah immer wieder zu mir rüber. Es war so unangenehm. Also drehte ich mich um, stieß dabei jedoch fast mit einem silberhaarigen Mann im schwarzen Smoking zusammen, der gerade noch geschickt sein Glas mitsamt Inhalt außerhalb meiner Reichweite bringen konnte.
»Verzeihung.«
Er antwortete nicht, sah nur genervt über seine Brillengläser hinweg und machte einen Bogen um mich herum.
Mein Herz schlug schneller, und ich warf noch einen Blick in die Richtung, wo Dr. Handgreiflich stand. Oder wo Dr. Handgreiflich noch vor ein paar Sekunden gestanden hatte. Wohin war er verschwunden?
»Sophie.« Ich spürte seine Hand an meinem Ellbogen und machte gewissermaßen einen Satz heraus aus meinen High Heels.
Sofort trat ich einen Schritt zurück und zog meinen Arm von ihm weg. »Dr. Shilling.«
»Aber wir sind doch nicht in meiner Praxis, kein Grund für Förmlichkeiten. Nenn mich Randall.«
»Natürlich, klar. Randall.«
Er kam mir wieder näher und strich über meinen Arm. »Freut mich zu sehen, dass du dich erholt hast.«
Du meine Güte, warum war er so zudringlich? Seine Hände waren kalt und feucht. Widerlich. »Ja, danke, es geht mir viel besser.«
Er sah mich von oben bis unten auf eine Weise an, die meinen Magen zusammenkrampfen ließ. Nicht verführerisch oder verheißungsvoll, sondern einfach gruselig. Als wenn er Maß nehmen würde, um zu sehen, ob ich in seinen Kofferraum passte.
»Entschuldige mich, ich muss – «
»Randall!«
Er wurde gerufen, und ich ergriff die Gelegenheit zur Flucht, während er abgelenkt war. Zwar hatte die Live-Auktion noch nicht begonnen, aber ich würde nicht darauf warten können. Ich musste hier weg, bevor Dr. Handgreiflich mir zu sehr auf die Pelle rückte.
Mit schnellen Schritten ging ich zurück zu dem Tisch, wo ich meinen Mantel gelassen hatte, und konzentrierte mich darauf, mit den hohen Absätzen nicht zu stolpern, während ich gleichzeitig den schmalen Riemen meiner kleinen schwarzen Handtasche entwirrte. Glücklicherweise erreichte ich mein Ziel ohne weitere Pannen. Ich gratulierte mir selbst zum erfolgreichen Durchschreiten des Raumes – kein besonders großer Triumph, aber auch kleine Erfolge durften gefeiert werden –, schnappte mir meinen Mantel und wandte mich zum Gehen um.
Und stieß mit jemanden zusammen. Schon wieder.
Dieses Mal war es eine Frau in einem tief ausgeschnittenen schwarz schimmernden Abendkleid.
»Es tut mir leid.« Ich wollte schon nach ihrem Glas greifen und sichergehen, dass nichts verschüttet wurde, doch im letzten Moment hielt ich mich davon ab, denn ich ahnte, dass ich es damit aller Wahrscheinlichkeit nach nur noch schlimmer machen würde.
Sie erholte sich schnell. Zuerst wirkte sie überrascht, lächelte dann aber. Sie war vermutlich Mitte dreißig, hatte ihre dunklen Haare hochgesteckt und trug tiefroten Lippenstift.
»Nichts passiert. Sind Sie okay?«
»Ja, danke.« Meine Augen suchten den Raum ab. Dr. Handgreiflich war immer noch im Gespräch mit dem Mann, der ihn gerufen hatte, doch er sah die ganze Zeit zu mir her. Ich schauderte.
Die Frau folgte meinem Blick. »Lassen Sie mich raten. Ihr Ex-Freund?«
»O nein. Wir hatten bloß eine Verabredung. Oder sogar nur eine halbe? Jedenfalls war es total furchtbar.«
»Ich kann es mir vorstellen. Das haben wir alle schon erlebt.« Sie nippte an ihrem Drink. »Ihr Kleid gefällt mir. Schmeichelt Ihnen.«
Ich sah an mir hinab. »Danke, Ihres ist auch schön.«
Sie lächelte. »Danke.«
Dr. Handgreiflich hatte sein Gespräch beendet und kam in unsere Richtung.
»Keine Sorge.« Die Frau stellte ihr Glas ab und hakte sich bei mir unter. »Wir Mädels müssen zusammenhalten. Ich bringe Sie heil hier raus.«
Nebeneinander liefen wir auf den Ausgang des Saales zu.
»Vielen Dank.« Ich warf einen Blick zurück. »O mein Gott, er kommt hinterher.«
»Ganz schön hartnäckig, oder? Ich bin übrigens Ruby.«
»Sophie.«
Sie drückte aufmunternd meinen Arm, und wir verließen den Saal durch die breite Flügeltür.
»Manche Männer kapieren nicht, dass sie es besser aufgeben sollten. Lass uns in den Damentoiletten verschwinden.«
Die Toiletten waren direkt gegenüber auf dem Flur, und wir gingen hinein. Erleichtert atmete ich aus, während Ruby ihr Haar im Spiegel begutachtete. Sie holte ihr Handy aus ihrer schwarzen Clutch hervor und begann zu tippen.
»Bist du allein hier?«, fragte sie mich.
Ich strich über mein Kleid und ordnete meinen Mantel ein wenig, der immer noch über meinem Arm hing. »Ja, leider. Und du?«
»Mein Mann ist hier, allerdings schon wieder auf unserem Zimmer.«
»Warum habt ihr ein Zimmer gebucht? Seid ihr nicht aus der Stadt?«
»Doch, schon. Wir zelebrieren solche Events einfach gern. In Hotels fühlt sich alles gleich ein bisschen aufregender an.« Sie ließ ihr Handy wieder in ihrer schwarzen Clutch verschwinden. »Ich schau mal, ob die Luft rein ist.«
»Ich danke dir.«
»Nicht dafür.« Sie öffnete die Tür und sah hinaus, schloss sie aber gleich wieder.
»Er ist noch da, oder?«, fragte ich.
»Ist er, und er steht in der Mitte vom Flur und blockiert den Weg zum Ballsaal und zur Lobby.«
Ich schauderte noch einmal. So ein unheimlicher Typ. »Ich mach mir wirklich Sorgen, dass er eine Spritze in seiner Tasche hat und mich unter Drogen setzt.«
»Zuzutrauen wär’s ihm, nicht wahr? Wie wär’s, wenn wir nach oben auf mein Zimmer gehen? Da können wir entspannt was trinken und warten, bis er es aufgibt und abhaut.«
»Ich will mich nicht aufdrängen – «
»Quatsch.« Sie hakte sich wieder bei mir unter. »Wir freuen uns über Besuch.«
Ich dankte dem Schicksal, dass ich ausgerechnet mit Ruby zusammengestoßen war, und ließ mich von ihr aus der Toilette führen. Wir bogen scharf nach rechts ab, direkt zu den Fahrstühlen, und sie drückte den Knopf.
»Sophie!«, hörte ich Dr. Handgreiflich hinter mir.
»Tu so, als würdest du ihn nicht hören«, flüsterte Ruby.
Mach schon, Fahrstuhl, öffne dich endlich.
»Sophie, wohin – «
Der Aufzug klingelte, und die Tür ging auf. Ruby und ich sprangen hinein, und ich presste meinen Finger auf den Knopf zum Türenschließen.
Dr. Handgreiflich joggte den Flur herab auf uns zu, aber im letzten Moment schloss die Tür sich hinter uns.
Erleichtert atmete ich aus.
»Wow, der hat ja echt einen Narren an dir gefressen.«
Als der Fahrstuhl sich in Bewegung setzte, spürte ich ein leichtes Kribbeln in der Magengegend. »Ich weiß nicht, ob mir jemals jemand mehr Unwohlsein bereitet hat als dieser Kerl.«
»Dann bin ich froh, dass wir uns getroffen haben. Niemand sollte so etwas aushalten müssen.«
Die Aufzugtür öffnete sich im ersten Stockwerk, und ich folgte Ruby den Flur entlang.
»Danke noch mal«, sagte ich mit Nachdruck. »Du hättest das echt nicht tun müssen. Jetzt verpasst du die Auktion.«
Sie winkte ab. »Glaub mir, das macht mir nichts aus. Das hier macht deutlich mehr Spaß. Und außerdem hatte ich selbst ein paar Grusel-Dates, bevor ich meinen Mann kennengelernt habe. Ich weiß genau, wie furchtbar das ist.«
Vor einer Tür hielt sie an und zog die Schlüsselkarte durch, dann schob sie die Tür auf.
Ich zögerte kurz. Mittlerweile hatte Dr. Handgreiflich es sicher aufgegeben und war weg. Ich könnte einfach einen anderen Aufzug nehmen, zurück in die Lobby fahren und verschwinden. Wahrscheinlich sollte ich keiner Fremden in ihr Hotelzimmer folgen, auch wenn sie noch so nett war.
»Ich glaube, ich gehe jetzt besser«, sagte ich. »Ich bin dir wirklich dankbar, aber – «
»Es ist echt kein Problem, versprochen.«
In der Tür erschien ein Mann in einem Anzughemd mit offener Krawatte. Er war groß, hatte glatte dunkle Haare und ein markantes Kinn.
Die beiden gaben das perfekte Paar ab.
»Da bist du ja.« Er schlang einen Arm um sie und gab ihr einen Kuss auf den Mund, bevor er mich bemerkte. »Hast du wieder eine neue Freundin gefunden?«
»Das ist Sophie. Ist sie nicht zauberhaft? Ich habe sie auf einen Drink eingeladen.« Sie sah mich an. »Das hier ist Marcus, mein Mann.«
»Hi«, sagte ich.
Sein Blick wanderte auf und ab, und er lächelte mich freundlich an. »Schön, dich kennenzulernen. Komm rein.«
Ruby packte mich am Arm und führte mich hinein.
Die Suite war schön, es gab eine Sitzgruppe, eine Bar mit Wasseranschluss und große Fenster. Durch eine weitere Tür konnte ich ein geräumiges Schlafzimmer mit Kingsize-Bett erkennen. Ruby ließ meinen Arm los, und ich ging im Raum umher, betrachtete die opulenten Möbel und die prächtigen Gemälde an den Wänden.
»Von uns beiden ist Ruby die Gesellige. Sie findet immer neue Freunde, egal wo wir sind.« Marcus war zur Bar gegangen. »Was kann ich dir anbieten?«
Ehe ich antworten konnte, war Ruby bereits an ihn herangetreten und hatte seine Hand ergriffen. »Schatz, ich hatte eine Idee. Wir hatten ja unten schon Drinks. Sollten wir nicht etwas tun, was mehr Spaß macht?«
Erneut musterte Marcus mich von oben bis unten, dann lächelte er. »Du hast recht. Das sollten wir.«
Ruby drehte sich zu mir und biss sich auf die Unterlippe. »Was meinst du, Sophie? Hast du Lust auf ein bisschen Spaß?«
Ich war wie angewurzelt stehen geblieben, nicht sicher, was ich antworten sollte. Plötzlich war die Stimmung im Raum umgeschlagen. Es fühlte sich seltsam an. Was zum Geier meinte sie damit?
»Ähm …«
Überrascht sah Marcus Ruby an. »Du hast sie noch gar nicht gefragt?«
»Ich wollte euch erst vorstellen.«
»Du weißt doch, ich vertraue dir.« Er warf einen kurzen Blick in meine Richtung. »Aber sie ist perfekt.«
»Nicht wahr?«
»Ähm, perfekt wofür genau?«, wollte ich wissen.
Ruby machte einen Schritt auf mich zu und nahm meine Hand. »Hin und wieder peppen Marcus und ich gern unsere Beziehung auf, indem wir eine Freundin dazu holen.«
Mit großen Augen sah ich sie an. Meinte sie etwa …?
»Oh, ich bin nicht … Ich mache das nicht …«
Sie strich mit dem Daumen über meine Fingerknöchel. »Ich weiß, du hast so was vermutlich noch nie getan. Du strahlst so eine gewisse Unschuld aus, deshalb habe ich dich hierher eingeladen. Ich glaube, wir drei könnten eine schöne Zeit zusammen haben.«
Von Marcus kamen Klopfgeräusche, dann hielt er Ruby ein Silbertablett hin.
Meine Augen wurden noch größer.
Auf dem Tablett waren drei Lines weißes Pulver gezogen.
Oh, verdammter Mist.
Mein Herz schlug wie wild. O mein Gott, sie hatte mich auf eine Runde Kokain und einen Dreier mit ihrem Ehemann eingeladen.
»Magst du?« Ruby deutete auf das Tablett. »Das macht die ganze Erfahrung wirklich noch spektakulärer.«
Und auf einmal war mein Hirn von aufsteigender Panik wie leer gefegt. Statt das Naheliegende zu tun, also höflich abzulehnen und auf direktem Wege durch die Tür zu verschwinden, tat ich etwas, was ganz typisch für mich war.
Ich sorgte für Chaos.
Mit einem Schritt nach hinten befreite ich mich aus Rubys Griff. Ich schwankte auf meinen Absätzen – verdammt, ich hatte mich bisher so gut darauf gehalten – und riss meine Arme hoch, um die Balance zu finden. Dabei traf meine Hand das Tablett mit den Drogen – Drogen! – und ließ es in hohem Bogen durch die Luft fliegen, so dass ein weißer Puderregen auf Marcus herabrieselte.
O mein Gott, die Luft voller Kokain. Nicht einatmen, Sophie! Lass es nicht in deine Nase kommen!
Ruby rief etwas, und Marcus taumelte rückwärts. Ich sprang ins Schlafzimmer und knallte die Tür hinter mir zu.
Dann schloss ich mich schnell ein und lehnte mich mit dem Rücken an die Tür, mein Atem musste sich erst einmal beruhigen.
Na super, ich war wie das dumme Mädchen in jedem Horrorfilm, das nach oben rannte statt nach draußen und sich so dem Killer erst recht auslieferte.
Hektisch sah ich mich nach einem Ausweg um, während Ruby und Marcus draußen meinen Namen riefen. Wo war ich hier hineingeraten? Selbst Dr. Handgreiflich wäre besser gewesen als das hier.
Na ja, vielleicht.
Einer der beiden rüttelte am Türgriff. Vielleicht musste jemand vom Hotel kommen, um das Schloss zu öffnen. Bis dahin könnte ich mich einfach im Bad verstecken. Nein, das war kein guter Plan. Nicht, dass mich hier drinnen einzuschließen unbedingt besser war, aber nun musste ich eben das Beste draus machen.
Es gab noch eine andere Tür im Zimmer, die auf den Balkon führte.
Was mich auf eine Idee brachte.
Denn eigentlich befanden wir uns ja nur im ersten Stock.
Während mein Herz noch immer wie wild hämmerte und Ruby und Marcus auf der anderen Seite der Tür versuchten, auf mich einzureden, durchsuchte ich den Schrank. Zuerst sah ich bloß weiße Handtücher und ein paar dicke Kissen, doch schließlich fand ich auf dem oberen Regalbrett, wonach ich gesucht hatte.
Reserve-Bettlaken.
Ich griff nach dem Stapel ordentlich gefalteter weicher Baumwolllaken und schüttelte sie, auf dem Weg zum Balkon, wie besessen aus.
Mir schlug kalte Luft entgegen, und erst jetzt bemerkte ich, dass ich irgendwo im Eifer des Gefechts meinen Mantel hatte liegen lassen. Allerdings war es nun zu spät, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Wie durch ein kleines Wunder hing zumindest meine Tasche noch von meiner Schulter, das war schon mal etwas. Ich zog den Riemen über meinen Kopf auf die andere Seite, damit ich sie auf dem Weg nach unten nicht doch noch verlieren würde.
Ich spähte über die Balkonbrüstung. Unter mir befand sich ein Innenhof mit gepflasterten Wegen und üppiger Bepflanzung. Ein beleuchteter Springbrunnen plätscherte vor sich hin.
Jetzt oder nie.
Ich knotete die Laken zusammen, befestigte das Ganze am Geländer und hoffte inständig, dass es halten würde. Obwohl ich nicht gerade eine Bohnenstange war, störten mich meine weiblichen Rundungen normalerweise nicht. Aber in diesem Moment wünschte ich, ich wäre etwas weniger kurvig.
Tja, nun war’s zu spät für eine Diät. Es würde schon schiefgehen.
Ich ließ das lose Ende der Bettlaken hinab und rollte mich über die Brüstung. Meine Schuhe rutschten mir von den Füßen, und ich hörte sie unten aufschlagen.
Genau in diesem Augenblick bauschte eine Windböe mein dünnes rotes Kleid auf. Gott, ganz schön kalt. Beinahe als trüge ich keinen –
Slip.
Was der Wahrheit entsprach.
Zum Glück war da unten niemand.
»Hey, was machen Sie da?«
Falsch gedacht. Da war doch jemand.
Ich stöhnte. Natürlich war da jemand. Es war schließlich mein Leben. Wenn irgendetwas schiefgehen konnte, dann tat es das auch.
»Vorsichtig«, sagte der Mann von unten. Er hatte einen leichten Südstaaten-Akzent und zog seine Silben etwas länger. »Sie sollten – waaow.«
Ein weiterer Windstoß fuhr durch mein Kleid und sauste hinauf in Richtung meiner –
Egal.
»Hören Sie auf, mir unter den Rock zu schauen. Ich versuch hier gerade heil runterzukommen.«
»Ich hab nicht – «, begann er und räusperte sich. »Ehrlich gesagt, schwer zu ignorieren.«
Mit den Füßen klammerte ich mich ans Balkongeländer, und meine Hände krampften mittlerweile vom Griff an den Laken. Vermutlich waren die phantastisch, um in ihnen zu schlafen, aber als Rettungsseil gänzlich ungeeignet, da sie furchtbar rutschig waren.
»Hängen Sie fest?«
Einen Augenblick zögerte ich. »Vielleicht?«
»Okay, dann hören Sie zu.« Seine Stimme klang ruhig, und wenn ich nicht an einem Balkongeländer gehangen hätte, kurz davor, in den Tod zu stürzen, hätte ich seinen Akzent wohl äußerst anziehend gefunden. Er klang ein wenig wie Matthew McConaughey. »Halten Sie sich gut an den Laken fest, und dann lösen Sie Ihre Füße und rutschen herunter. Ich bin hier unten und fange Sie auf. Und nicht runterschauen.«
Ich schaute runter und quiekte.
»Ich hab gesagt, nicht runterschauen.«
»Sie können nicht sagen, nicht runterschauen. Ganz offensichtlich schaue ich dann.«
»Nun machen Sie schon«, sagte er bestimmt. »Rutschen Sie runter. Ich bin hier und halte Sie.«
»Okay.« Zur Bestärkung holte ich tief Luft, dann ließ ich meine Füße vom Balkon gleiten.
Beim Runterrutschen quietschte ich noch mal und biss die Zähne zusammen, um das Brennen der rutschigen Laken in meinen Handinnenflächen nicht so sehr zu spüren. Zu schnell. Ich rutschte viel zu schnell. Ich würde –
Kräftige Arme packten mich um die Taille und stoppten meine Rutschpartie. Erleichtert atmete ich auf und ließ die Laken los, während er mich vorsichtig auf dem Boden absetzte.
»O Gott. Ich habe überlebt.«
»Warum zum Teufel sind Sie mit Bettlaken von diesem Balkon geflohen?«
Ich strich mir die unordentlichen Locken aus dem Gesicht, hob meine Schuhe auf und machte mich barfuß auf den Weg. »Die haben mir Koks angeboten und wollten einen Dreier. Ich habe einfach Panik gekriegt. Danke, dass Sie mir geholfen haben. Ich muss jetzt los.«
»Moment mal, was?« Er joggte ein paar Schritte, um zu mir aufzuholen.
»Vergessen Sie’s. Ich kann verstehen, wenn Sie mir nicht glauben.«
»Nein, ich glaube Ihnen. Sind Sie in Ordnung? Soll ich Sie irgendwohin fahren?«
Ich ging einfach weiter, obwohl ich nicht genau wusste, ob es die richtige Richtung war. Zumindest weg von dem gruseligen Kokspärchen – und dem Typen, der gerade freie Sicht unter mein Kleid gehabt hatte. »Nein danke, nach dieser Nacht ist das Letzte, was ich tun werde, in das Auto von jemandem zu steigen, den ich nicht kenne. Okay, wenn ich ein Uber rufen würde, würde ich den Fahrer auch nicht kennen, aber das zählt nicht. Wahrscheinlich frage ich eine meiner Freundinnen, ob sie mich abholt, denn ganz offensichtlich liegt ein Fluch auf meiner Abendplanung und mein Fahrer würde sich als psychotischer Axtmörder entpuppen.«
»Wohin gehen Sie?«
»Zur Lobby?«
»In die Richtung geht’s nicht zur Lobby.«
Ich blieb stehen und atmete aus, musste innehalten und nachdenken. Als ich aufsah und seinem Blick begegnete, verschluckte ich mich vor Überraschung.
Das war ja er.
In den letzten zwanzig Jahren hatte ich ihn nicht mehr gesehen – seit unserer Kindheit –, aber er war mittlerweile eine kleine Berühmtheit, vor allem in Seattle. Abgesehen davon würde ich dieses Gesicht niemals vergessen.
Camden Cox.
»Du bist das.«
Er lächelte und war offensichtlich nicht überrascht, erkannt zu werden – zeigte jedoch keinerlei Anzeichen, dass er wusste, wer ich war.
Arschloch.
Dann wurde sein Gesichtsausdruck weicher, und einen kurzen Augenblick fragte ich mich, ob mein schnelles Urteil falsch gewesen war und er sich doch an mich erinnerte. Er blinzelte, ein Mundwinkel zog sich leicht nach oben.
Sein verschmitztes Grinsen sandte ein Prickeln meinen Rücken hinunter, und plötzlich hatte ich Schmetterlinge im Bauch.
Camden Cox war nicht bloß zu einem sehr attraktiven Mann herangewachsen. Er war zum Niederknien. Dichtes, dunkles Haar. Eindringliche graue Augen. Markante Gesichtszüge. Der dunkle Anzug inklusive Weste und Krawatte setzten dem Ganzen die Krone auf.
»Wie heißen Sie?«, fragte er.
Wie bei einem Sprung in einer alten Platte wurde ich zurück in die Realität katapultiert, nicht mehr gefangen im hypnotischen Zauber eines atemberaubenden Mannes – oder seines Südstaatenakzents. Er erinnerte sich tatsächlich nicht. Echt, so ein Idiot!
»Sophia.« Das war mein Taufname, keine Ahnung, warum ich den sagte. Niemand hatte mich je so genannt, nicht mal als Baby. Aber nach allem, was jetzt vorgefallen war, wollte ich auf keinen Fall, dass er doch noch begriff, wer ich war.
»Schön, Sie kennenzulernen, Sophia. Ich bin Camden Cox, aber alle nennen mich Cox. Sind Sie sicher, dass ich Sie nicht fahren soll, oder – «
»Nein, danke«, sagte ich schnell, »ich finde schon nach Hause. Vielen Dank, dass Sie mir vom Balkon geholfen haben.«
Dann sah ich mich um und fand ein Schild, das den Weg zur Lobby auswies. Bevor er noch etwas sagen konnte, entfernte ich mich, die High Heels in den Händen, und die kühle Nachtluft umspielte immer noch mein luftiges Kleidchen.
2
Sophia.
Sie ging davon – diesmal in Richtung Lobby –, und ihr Hüftschwung war wahrhaft hypnotisch. Ich stand wie angewurzelt da und konnte ihr nur hinterhersehen. Noch immer hatte ich ihren Duft in der Nase und konnte ihr weiches Haar an meinem Gesicht spüren.
Niemals zuvor hatte eine Frau auf Anhieb einen solchen Eindruck bei mir hinterlassen.
Nicht, weil ich ihr unters Kleid hatte sehen können – und freie Sicht auf alles gehabt hatte. Keine Frage, das war unerwartet gewesen. Wer würde beim Blick nach oben damit rechnen, eine Frau zu sehen, die vom Balkon im ersten Stock kletterte, und das auch noch ohne Unterwäsche? Ohne Zweifel war mir das heute zum ersten Mal passiert.
Nein, da war noch etwas anderes gewesen. Mit dem Klang ihrer Stimme und dem Geruch ihres Haares. Wie es sich angefühlt hatte, als ich sie auffing und sie an mir herunterglitt.
Sophia.
Sie hatte mir nicht mal ihren Nachnamen gesagt. Einen Moment lang hatte ich ihr folgen wollen. Immerhin war ich Camden Cox, und wenn ich etwas haben wollte, dann bekam ich es auch.
Aber dann war sie bereits nach drinnen verschwunden. Und der Umstand, dass mich ein so kurzes – wenn auch recht ungewöhnliches – Aufeinandertreffen so durcheinandergebracht hatte, ließ mich zögern.
Also sortierte ich mich erst einmal und zog mir die Hemdsärmel zurecht. Wer immer sie war, nun war sie fort. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde ich sie nie wiedersehen.
Was okay war. Schließlich gab es noch andere Frauen auf der Welt. Ich würde mich nicht damit aufhalten, ausgerechnet nach dieser hier zu suchen.
* * *
Das entpuppte sich als eine Lüge. Montagnachmittag bei der Arbeit dachte ich immer noch an Sophia. Ihre weichen Locken. Die Kurven unter dem Kleid.
Andere Dinge unter dem Kleid.
Es war nervig. Ich bewegte mich in meinem Stuhl, versuchte, mir in der Hose mehr Platz zu schaffen. Mit Sicherheit war sie gar nicht so toll gewesen. Meine Erinnerung spielte Spielchen mit mir und wollte mir einreden, dass sie etwas Besonderes war. Oder vielleicht hatte ich in jener Nacht auch einfach mehr getrunken, als ich dachte.
Egal. Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf den Computerbildschirm. Es gab genug zu tun, um mich auf andere Gedanken zu bringen.
Mein Assistent klopfte an und steckte den Kopf durch die Tür.
»Es ist drei Uhr«, erklang sein feiner britischer Akzent.
»Komm rein.«
Oliver Carrington kam hereingetänzelt, wie immer wie aus dem Ei gepellt. Eine Tweedweste über einem hochgeknöpften Hemd. Maßgeschneiderte Hose. Kein einziges goldbraunes Härchen stand ab, und seine teuren Schuhe glänzten makellos. Er arbeitete schon seit Jahren für mich und machte einen ausgezeichneten Job. Es mit mir auszuhalten, war nicht leicht, also bezahlte ich ihn entsprechend gut dafür.
Er stellte ein silbernes Tablett mit Teekanne, zwei Tassen und einem Teller mit Häppchen vor mir ab. Irgendwie hatte er einen Nachmittagstee in meine tägliche Routine integriert. Nach einer Weile hatte ich aufgehört, zu protestieren. Ich musste sogar zugeben, dass es mir gefiel. Im Herzen war ich ein Junge aus Texas – als Kind war ich häufig umgezogen, hatte sogar einige Jahre in Seattle verbracht, aber die meiste Zeit war ich in meiner Heimat gewesen. Doch selbst dieser Junge aus Texas hatte nichts gegen eine heiße Tasse Tee und ein paar Häppchen einzuwenden.
Obwohl ich manchmal etwas Whiskey hinzufügte.
Er schenkte uns ein und nahm dann mir gegenüber am Schreibtisch Platz. »Willst du die guten oder die schlechten Neuigkeiten?«
»Die schlechten.«
»Gut, weil ich nur schlechte habe. Thiago Santos ist raus.«
»Shit.« Ich ließ den Tee stehen und lehnte mich im Stuhl zurück. Thiago war bereits der dritte Investor, der aus dem Skyline-Projekt ausstieg, seit mein – jetzt ehemaliger – Geschäftspartner, Dominic Coates, uns mit einem öffentlichen Sexskandal in Teufels Küche gebracht hatte. Daraufhin hatte er gekündigt und mir erspart, ihn rauszuschmeißen. Allerdings musste ich nun alles so weit es ging in Ordnung bringen und das Projekt am Laufen halten.
Oliver rückte seine Brille zurecht. »Wir wussten, dass das kommen würde.«
»Ich weiß. Aber dieses Projekt ist kurz davor zu kollabieren.«
»Tja, wen kennen wir, der vielleicht Interesse hätte?«
Genau darüber hatte ich den ganzen Tag nachgedacht. »Jackson Bennett vielleicht, aber der ist schwer erreichbar in letzter Zeit.«
»Hat jetzt Familie. Was ist mit Richard Calloway?«
»Ich würde sofort mit Richard zusammenarbeiten, aber er ist um einiges konservativer bei seinen Investitionen geworden.« Mit aneinandergelegten Fingerspitzen überlegte ich weiter. »Aber vielleicht Shepherd Calloway.«
Oliver sah mich zweifelnd an. »Rufst du ihn selbst an? Ein Termin mit Shepherd Calloway ist nicht leicht zu bekommen.«
Ich sah ihn finster an. »Er wird sich mit mir treffen.«
Er räusperte sich, war nicht überzeugt.
Die Tür flog auf. Althea marschierte ins Büro, die Hände in die Hüften gestemmt. »Thiago Santos?«
»Ist raus«, sagte ich.
Sie presste die Lippen aufeinander. Althea McLellan, meine Anwältin, hätte als Frau in ihren Dreißigern durchgehen können, obwohl sie jenseits der fünfzig war. Vermutlich spielte auch Botox eine nicht unerhebliche Rolle dabei. Ihre hochgewachsene, schmale Gestalt war in Bluse und Hose gekleidet, und sie trug ihr blondes Haar in einem tief sitzenden Knoten am Hinterkopf.
»Das ist ein Problem.«
»Das ist mir klar, aber – «
»Ach ja?«
Mein Blick brachte sie zum Schweigen. »Ich arbeite daran.«
Ihr Ausdruck wurde sanfter. »Weiß ich doch. Ich bin nur etwas in Panik, weil wir Gefahr laufen, den Deal vollständig zu verlieren.«
»Wir verlieren ihn nicht. Ich habe überlegt, Shepherd Calloway ins Boot zu holen.«
Zustimmend sah sie mich an. »Gute Wahl. Er hat auf jeden Fall die finanziellen Mittel. Soll ich ein paar Leute für dich anrufen?«
Geräuschvoll setzte Oliver seine Teetasse ab. »Das ist nicht nötig. Ich werde ein Treffen organisieren.«
»Sagtest du nicht gerade, dass ein Termin mit Calloway nicht leicht zu kriegen ist?«, fragte ich.
Er sah mich böse an. »Ich verschaffe dir dieses Meeting.«
Althea hatte dem Wortwechsel mit einiger Skepsis zugehört, widersprach ihm aber nicht – was einem kleinen Wunder glich. Oliver und Althea tolerierten einander bloß, weil sie es mussten.
»Haltet mich auf dem Laufenden.« Sie sah kurz zu Oliver, dann war sie weg.
»Das war’s, du böse Hexe!«, murmelte Oliver. »Und nun zisch ab.«
Ich lachte leise und nahm dann einen Schluck von meinem Tee. »Offensichtlich brauche ich noch einen Plan B, falls Calloway Nein sagt, aber lass uns das jetzt erst mal probieren.«
Er sah auf die Uhr. »Wo wir gerade von Investoren sprechen, dein Treffen mit Irene Prager ist in weniger als einer halben Stunde bei ihr im Büro.«
Ich nickte, schnappte mir ein Häppchen und steckte es in den Mund. Irene Prager war eine der verbliebenen Skyline-Investoren. Dass sie sich persönlich mit mir treffen wollte, war ein gutes Zeichen. Es bedeutete, dass ich eine Chance haben würde, sie vom Gelingen des Projekts zu überzeugen.
Dies hier war der größte Meilenstein meiner Karriere. Ich würde bestimmt nicht mittendrin aufgeben.
»Soll ich mitkommen?«
»Ja, komm mit. Irene hat einen Narren an dir gefressen.«
Er grinste. »Das liegt an meinem Akzent.«
»Der macht die Damenwelt ganz verrückt. Und wenn Irene dadurch in Ich bleib bei Cox Development-Stimmung kommt, umso besser.«
»Ich werde mein Bestes tun, angemessen verführerisch zu klingen.«
Oliver und ich tranken unseren Tee aus, und danach räumte er ab. Irenes Büro war nur zwei Blocks entfernt, und da es für März schon angenehm warm draußen war, beschloss ich zu laufen. Ich zog das Anzugjackett über und wartete auf Oliver.
Mit dem Fahrstuhl fuhren wir in die Lobby und verließen das Gebäude durch den gläsernen Haupteingang. Zwischen den Wolkenkratzern war blauer Himmel zu sehen, in der Luft hing das Brummen der Motoren. Bereits der allererste Job, den ich hier in Seattle hatte, war in diesem Gebäude gewesen, bei einem Unternehmen für Geschäftsimmobilien. Lediglich drei Jahre später hatte ich die Firma aufgekauft.
Inzwischen gehörte mir das gesamte Gebäude.
Essensduft waberte durch eine offene Restauranttür, und ich war froh, nicht mit leerem Magen zu diesem Treffen zu gehen. Gepriesen seien Oliver und der Nachmittagstee.
Nachdem wir die Straße überquert hatten, blieb Oliver unvermittelt stehen. Er neigte den Kopf und sah in Richtung eines Geschäfts an der Ecke.
»Was ist los?«, fragte ich.
»Pssst.«
»Hast du gerade pssst zu mir gesagt?«
Er gab mir ein Zeichen, still zu sein, und machte einen vorsichtigen Schritt nach vorn, sein Kopf war noch immer in einem komischen Winkel geneigt. »Warte kurz.«
Es war ein Teeladen mit dem bezeichnenden Namen Tee-Punkt. Aber ich hatte keinen Schimmer, warum Oliver durchs Fenster starrte.
»Du magst Tee mehr, als ich dachte. Das macht mir ehrlich gesagt ein wenig Sorgen.«
»Es ist nicht der Tee, es ist – « Er unterbrach sich und machte ein Geräusch, das nur als Seufzen beschrieben werden konnte. »Sie.«
Ich kam näher, um die Frau hinter der Theke zu sehen. Sie hatte langes hellbraunes Haar und trug eine weiße Schürze über ihrem blauen Shirt. »Wer ist das?«
»Ich weiß es nicht. Sie tragen hier keine Namensschilder. Aber ich glaube, ich werde sie heiraten.«
Ich prustete los. »Sie heiraten? Womöglich überspringst du gerade ein paar Schritte, wenn du nicht mal weißt, wie sie heißt.«
Er rückte seine Brille zurecht. »Ich weiß. Ich arbeite daran.«
»Okay, entweder gehst du jetzt da rein und fragst sie nach einem Date, oder wir gehen weiter. Wir haben einen Geschäftstermin, und du blockierst den Bürgersteig.«
Er schnaubte, löste jedoch seinen Blick von ihr. »Na schön. Aber das ist mein voller Ernst. Wir sind füreinander bestimmt.«
Ich setzte den Weg fort, und Oliver holte auf.
»Seit wann willst du denn eigentlich heiraten?«
»Ich will nicht heiraten, nur um zu heiraten. Obwohl meine Mutter durchaus in diese Richtung denkt. Man könnte meinen, sie sei die Matriarchin einer reichen Familie und auf der verzweifelten Suche nach einem Erben.«
»Davon kann ich ein Lied singen.« Meine Mutter war davon besessen, dass ich heiraten sollte. Zu ihrem Verdruss war ich allerdings nicht der Typ dafür.
»Aber wäre es nicht schön, jeden Abend zu dieser einen, besonderen Frau nach Hause zu kommen?«, fragte Oliver.
»Eigentlich nicht.«
Er lachte. »Man könnte meinen, du wärst ein eingefleischter Junggeselle kurz vor der Rente, kein attraktiver, reicher Mann in den Dreißigern.«
»Womöglich bin ich meiner Zeit voraus. Eingefleischter Junggeselle kurz vor der Rente hört sich doch gut an!«
Oliver lachte erneut, aber ich hatte keinen Witz gemacht. Die Ehe meiner Eltern war ein andauernder Kampf gewesen, und ich hatte bereits vor Jahren beschlossen, dass ich niemals heiraten würde. Natürlich hatte ich jede Menge Verabredungen, ließ es allerdings nie zu ernst werden. Und es funktionierte perfekt für mich. Ich hatte mir alles selbst erarbeitet und konnte nun ernten, was ich gesät hatte: viel Arbeit, viel Vergnügen – und niemand, vor dem ich Rechenschaft ablegen musste.
Warum in aller Welt hätte ich mein Leben jemals ändern sollen?
Wir erreichten Irene Pragers Büro, und als wir es wieder verließen, hatten Oliver und ich sie mit unserer Charmeoffensive davon überzeugt, dem Skyline-Projekt weiterhin die Treue zu halten. Auf dem Rückweg schrieb ich Althea eine Nachricht, dass wir eine Investorin gesichert hatten. Gott sei Dank.
Jetzt brauchte ich nur noch das Meeting mit Shepherd Calloway.
3
Als ich vom Büro zum Bistro spazierte, war die Luft frühlingshaft mild. Ich wollte meine Freundinnen zum Lunch treffen und war nicht mal spät dran. Super, Sophie!
Von der samstäglichen Katastrophen-Gala hatte ich mich mit Wein und der tausendsten Wiederholung von Stolz und Vorurteil kuriert. Dr. Handgreiflich hatte seitdem zum Glück nicht versucht, mich zu kontaktieren. Es schien so, als hätte die Flucht vor ihm, mitsamt dem Sprung in den Fahrstuhl mit einer Fremden, meinen Standpunkt endlich deutlich gemacht. Das war alles in allem kein schlechter Ausgang meines Samstagnacht-Debakels.
Vor dem Bistro blieb ich stehen und musterte mich im Fensterglas eines geparkten Wagens. Es fühlte sich so an, als hätte ich etwas zwischen den Zähnen, also beugte ich mich hinunter und benutzte die Scheibe als meinen Spiegel.
Als ich zähnefletschend begann, meinen Mundinnenraum zu untersuchen, wurde das Fenster heruntergelassen und ein junger Mann sah mich vom Fahrersitz aus an.
Ich erstarrte, mit dem Gesicht zur Grimasse verzerrt. »’tschuldigung.«
Er schüttelte langsam den Kopf und ließ das Fenster wieder hochfahren.
Wunderbar.
Ich richtete mich auf, seufzte und machte mich auf den Weg zum Eingang des Restaurants. Wie durch ein Wunder stolperte ich weder, noch stieß ich mit jemandem zusammen, als ich den Fußweg überquerte. Das entlockte mir ein Lächeln. Eine von zwei Situationen bravourös gemeistert, nicht schlecht.
Im Bistro spielte beschwingte italienische Musik im Hintergrund, und auf den Tischen lagen karierte Deckchen. Nora, Hazel und Everly waren schon da, im hinteren Teil des Restaurants. Vorsichtig bahnte ich mir einen Weg durch die anderen Gäste und achtete darauf, mit niemandem zusammenzustoßen oder aus Versehen jemanden mit meiner Handtasche zu treffen.
Ich hatte Everly einige Jahre zuvor kennengelernt, als sie mich einstellte, um ihre Stelle als Mr. Calloways Assistentin zu übernehmen, weil sie selbst einen neuen Job als Geschäftsführerin bei einer gemeinnützigen Stiftung begann. Damals hatte sie mich zu einer Laufrunde – mit anschließenden Drinks – eingeladen, bei der ich auch Nora und Hazel kennengelernt hatte. Und weil manchmal sogar ich großes Glück haben konnte, war ich mit offenen Armen in der Gruppe aufgenommen worden. Nun war ich also hier, mit drei der besten Freundinnen, die man sich wünschen konnte.
»Hey, Sophie.« Nora winkte mir zu. Sie trug ihr dunkles Haar offen in leichten Wellen und dazu ein tiefrotes T-Shirt über einer Jeans.
»Hallo, Ladys«, begrüßte ich sie mit einem Lächeln, zog vorsichtig meine leichte Jacke aus und hängte sie über die Stuhllehne. Dann setzte ich mich.
Neben Nora saß Everly, in einem gelben Kleid, ihre blonden Haare hochgesteckt. Man konnte bereits einen kleinen Babybauch erkennen, was hinreißend aussah. Daneben hatte Hazel Platz genommen, sie hatte eine hellbraune Strickjacke über einer weißen Bluse an. An ihrer linken Hand funkelte der neue Ehering. Sie und ihr Mann Corban hatten sich für eine kurze Verlobungszeit und eine kleine Hochzeit entschieden und waren vor Kurzem aus ihren Flitterwochen zurückgekehrt.
»Wie fühlst du dich?«, fragte ich Everly. »Sind die Schwellungen zurückgegangen?«
»Sind sie. Ich darf nur nicht vergessen, abends die Beine hochzulegen. Abgesehen davon fühle ich mich phantastisch.«
»Du bist wirklich eine zauberhafte Schwangere«, sagte Nora. »Dein Teint strahlt jetzt richtig.«
Everly fasste sich an die Wangen. »Danke. Apropos Baby, es gibt Neuigkeiten. Seit heute Morgen wissen wir, dass es ein Mädchen wird.«
Mit auf die Brust gelegten Händen lächelte ich in Everlys Richtung und ignorierte entschieden meine Eierstöcke, die auf- und absprangen und versuchten, meine Aufmerksamkeit zu bekommen.
Wann sind wir dran, Sophie?
Nora griff über den Tisch Everlys Hände. »O Süße, ich freu mich so für euch.«
»Ich kann mir vorstellen, dass Shepherd bei dieser Nachricht einen für seine Begriffe ungewöhnlichen Gefühlsausbruch hatte«, sagte Hazel.
»Meine Lieben, ihr werdet es nicht glauben, aber er hat sich laut und deutlich geräuspert«, sagte Everly mit einem kleinen theatralischen Seufzer.
Das war allerdings ein für Mr. Calloways Begriffe ungewöhnlicher Gefühlsausbruch. Er war kein besonders herzlicher Mensch, doch das machte mir nichts aus. Er war fair, und das war mir wichtiger als Freundlichkeit. Und er liebte seine Frau wie verrückt, also musste er tief drinnen auch ein Herz haben.
»Kein Wunder, dass er so gut drauf war, als er ins Büro kam«, sagte ich. »Er hat mir zugenickt, als er an meinem Schreibtisch vorbeiging.«
»Das war nett von ihm«, sagte Everly grinsend, dann wandte sie sich an Hazel. »Wie ist das neue Haus? Habt ihr euch inzwischen eingelebt?«
Hazel setzte ihre Brille zurecht. »Es ist durchaus befriedigend.«
»Habt ihr bereits den Esszimmertisch eingeweiht?«, fragte Nora mit neckischem Unterton.
»Wir haben schon häufig daran gegessen, ja.«
Nora grinste. »Das habe ich nicht gemeint.«
»Nora.« Everly wurde rot.
»Was? Das ist eine durchaus angebrachte Frage. Wir wissen alle, was unter Corbans nerdigem Äußeren steckt.«
»Sie hat recht«, pflichtete ich ihr bei.
»Ich möchte einfach wissen, ob er sie in letzter Zeit auf irgendwelchen Tischen flachgelegt hat.«
Hazel schien ein Lächeln verbergen zu wollen. »Wir genießen unser neues Heim in vollen Zügen. Inklusive des Esstischs.«
Nora grinste. »Das ist mein Mädchen.«
»Sophie, wie war der Galaabend am Samstag?«, fragte Everly. »Danke, dass du für uns eingesprungen bist.«
»Es war eine einzige Katastrophe, aber dafür kannst du ja nichts.«
»O nein, was ist passiert?«
Ich holte tief Luft und gab meine Geschichte zum Besten, von dem vergessenen Höschen über Dr. Handgreiflich bis zu Ruby und Marcus und deren Angebot zu einem durch Kokain befeuerten Dreier.
»Ach du meine Güte«, sagte Nora. »Was für ein Alptraum.«
»Du bist tatsächlich mit Bettlaken vom Balkon im ersten Stock geklettert?«, fragte Hazel. »Du musst Wahnsinnsoberarmmuskeln haben.«
Ich spannte meinen Bizeps an. »Ich mache regelmäßig Workouts. Und ich hatte Hilfe beim Runterkommen. Wobei …«
»Wobei, was?«, fragte Everly.
Ich holte noch einmal tief Luft. »Kreis des Vertrauens?«
Meine Freundinnen nickten, und wir griffen uns an den Händen, schlossen den Kreis. Wir drückten gleichzeitig zu, dann ließen wir uns wieder los. Unser Kreis des Vertrauens war heilig. Was hier gesagt wurde, drang nicht nach außen.
Einer der vielen Gründe, warum ich meine Mädels so gernhatte.
»Zuerst dachte ich, es wäre niemand unten im Hof, aber natürlich war doch jemand da. Und weil wir ja hier von mir sprechen und ich der größte Pechvogel aller Zeiten bin, war es nicht irgendjemand. Es war Camden Cox.«
»Von dem habe ich, glaube ich, schon gehört«, meinte Hazel.
»Ich auch. Ein echter Leckerbissen von einem Mann, umwickelt mit Designeranzug«, ließ Nora verlauten. »Und du hattest keinen Slip an. Bitte sag, dass die Geschichte mit einem heißen Aufriss endet.«
Ich zog eine Grimasse. »O Gott, nein. Niemals. Ihr müsst wissen – ich kenne ihn. Oder kannte ihn, besser gesagt. Nicht, dass er sich an mich erinnern würde, dieser Riesenidiot.«
»Woher kennst du ihn?«, wollte Hazel wissen.
»Als wir Kinder waren, wohnte er in meiner Straße, und wir sind zusammen zur Schule gegangen. In die fünfte Klasse, glaube ich. Ein paar Jahre später ist er weggezogen, aber ich werde Camden Cox nie vergessen. Er hat mich schikaniert. Ich war ein pummeliges kleines Mädchen mit blonden Locken, also hat er mich natürlich Miss Piggy genannt. Er hat immer seine Nase hochgereckt, wie eine Schweineschnauze, und oink-oink in meine Richtung gemacht. Er hat mich sogar von hinten an den Zöpfen gezogen.«
»So ein Arschloch«, sagte Nora.
»Nicht wahr? Und mal ganz ehrlich – warum passiert so was immer mir? Nicht genug, dass ich vergesse, ein Höschen anzuziehen. Es muss natürlich so weit kommen, dass ich vom Balkon im ersten Stock hänge, meine Hüftpartie freigelegt und vom Wind umspielt, und der Tyrann meiner Schulzeit kann mir von unten unter den Rock sehen.«
»Es war allerdings nett von ihm, dir zu helfen«, gab Everly zu bedenken.
Ich presste die Lippen zusammen. Er war tatsächlich ein Gentleman gewesen, doch das wollte ich nicht zugeben.
»Aber nicht nett genug, um ihm zu vergeben, dass er unsere Sophie früher furchtbar behandelt hat«, hielt Nora dagegen. »Oder dass er ihr unter den Rock geschaut hat.«
»Danke.« Ich nickte. »Obwohl ja das Unter-den-Rock-Schauen eigentlich nicht seine Schuld war.«
»Ich bin nur froh, dass du dir nichts getan hast«, sagte Hazel. »Und deine Entscheidung, Sex unter Drogeneinfluss mit einem verheirateten Paar auszuschlagen, war goldrichtig. Das wäre nicht gut ausgegangen.«
Es schüttelte mich. »Das ist wirklich nicht mein Ding.«
»Und außerdem können wir uns noch auf Las Vegas freuen, vergesst das nicht«, warf Nora ein.
Wir konnten uns in der Tat auf Las Vegas freuen. Nächstes Wochenende hatte Mr. Calloway geschäftlich dort zu tun, und Everly wollte Gesellschaft haben, also hatte sie den Rest von uns eingeladen, mitzukommen. Ich würde wahrscheinlich zwischendurch arbeiten müssen, aber das war kein Problem für mich. Wir würden viel Spaß zusammen haben.
»Las Vegas mit einer Schwangeren ist nicht ganz das Gleiche, ich weiß«, sagte Everly und legte eine Hand auf ihr Bäuchlein.
»Wir werden superviel Spaß haben«, sagte Nora. »Wir müssen ja nicht wie ein Haufen Einundzwanzigjähriger feiern, um ein grandioses Las-Vegas-Wochenende zu haben.«
»Es wird phantastisch«, stimmte ich ihr zu.
Wir sprachen noch ein wenig über das kommende Wochenende. Wellness im Spa, am Pool liegen, vielleicht ein wenig Glücksspiel und jede Menge gutes Essen. Ich konnte es kaum erwarten.
Nach dem Lunch verabschiedete ich mich von meinen Freundinnen und ging zurück ins Büro. Ich setzte mich an den Schreibtisch, es war Zeit, die E-Mails zu checken.
Einer meiner Kollegen, Steve, kam aus der Mittagspause zurück und stellte die Tüte einer Zoohandlung auf seinen Schreibtisch. Er saß mir direkt gegenüber und war einer meiner Lieblingskollegen. Als ich anfing, hier zu arbeiten, war er eine enorme Hilfe gewesen und hatte mir alles gezeigt, was ich wissen musste, und mittlerweile quatschten wir ständig über Gott und die Welt. Heute trug er ein braunes Hemd mit Pullunder zu einer ebenfalls braunen Hose. Eine Menge Braun, aber so war Steve. Was ihm an Modeverständnis fehlte, machte er durch Nettigkeit und seine überraschend humorvolle Art wieder wett.
»Hast du Millie ein Geschenk gekauft?«, fragte ich ihn und zeigte auf die Tüte. Steve war eine Art verrückte Katzenfrau, nur dass er ein Mann war und auch bloß eine Katze besaß. Doch Millie war ihm sehr wichtig, obwohl sie die wahrscheinlich fieseste Katze war, von der ich je gehört hatte.
»Ja. Ich hoffe, die neuen Spielzeuge lenken sie dann ab, wenn ich versuche, zu Abend zu essen.«
»Hat sie versucht, dein Essen zu stehlen?«
»Nein, sie mag kein Menschenfutter. Aber sie springt mir auf die Schulter und streicht mit ihrem Schwanz durch mein Gesicht.«
Bei seiner Beschreibung stellte ich mir das Hinterteil der Katze direkt an seiner Nase vor. Ekelhaft. »Wiegt Millie nicht zehn Kilo?«
Er zuckte mit den Schultern. »Mehr oder weniger.«
»Tut das nicht weh?«
»Ihre Krallen sind recht scharf, ja.« Er sagte das im gleichen entspannten Tonfall, als habe er das milde Wetter kommentiert, das zurzeit herrschte.
»Na, dann hoffe ich, dass die neuen Spielzeuge funktionieren.«
Das Telefon auf meinem Schreibtisch klingelte, also ging ich ran. »Shepherd Calloways Büro. Hier spricht Sophie.«
»Guten Tag, Sophie. Hier ist Oliver Carrington«, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung, und ich musste über den charmanten britischen Akzent schmunzeln. »Ich rufe im Namen von Camden Cox an.«
Das Lächeln erstarb auf meinen Lippen, und mein Magen zog sich zusammen. Camden Cox? Warum rief jemand aus seinem Büro hier an?
»Hi, Oliver. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich hatte gehofft, Sie würden das fragen. Es gibt etwas von großer Wichtigkeit, was Sie für mich tun können. Mr. Cox würde sich gern mit Mr. Calloway treffen, sobald dessen Programmplan es zulässt.«
Ich unterdrückte ein Kichern beim Wort Programmplan. Eigentümliche Wortwahl. »Worum geht es denn?«
»Eine Investitionsmöglichkeit.«
Leider hatte ich schlechte Nachrichten für ihn. Mr. Calloway stimmte äußerst selten Meetings zu, die er nicht selbst angesetzt hatte, und er hatte mich zudem gebeten, seinen Kalender möglichst frei zu halten, falls Everly ihn brauchen würde. »Es tut mir leid, Oliver, aber Mr. Calloways Terminplan ist sehr voll. Ich glaube, ich kann wirklich kein weiteres Meeting reinquetschen.«
»Das ist ja schade. Sind Sie sicher?«
»Ich fürchte, ja.«
»Hm, warten Sie einen Augenblick, meine Beste. Ich denke über eine angemessene Bestechung nach.«
Ich musste lachen. »Wen wollen Sie bestechen? Mr. Calloway oder mich?«
»Sie natürlich.«
»Na, in dem Fall: Ich liebe Erdbeeren mit Schokoladenüberzug.«
»Betrachten Sie es als erledigt.«
Ich lachte erneut. »Ich wünschte, es wäre so einfach, aber ich kann wirklich nicht viel tun. Er ist vollständig ausgebucht.«
»Sie sind eine harte Nuss, Sophie. Ich bin leicht eingeschüchtert, weil Sie es mir sehr schwer machen, zu Ihrem Chef vorzudringen.«
»Das macht einen großen Teil meines Jobs aus.«
»Ich verstehe. Aber so leicht werde ich nicht aufgeben. Dann noch einen schönen Nachmittag, meine Beste. Ich melde mich wieder.«
»Aber, Oliver, ich kann wirklich – «
Aufgelegt.
Mit verwundertem Lachen tat ich das auch.
* * *
Etwa eine Stunde später brachte Nina, unsere Rezeptionistin, ein Paket an meinen Schreibtisch. Es war eine kleine schwarze Box mit roter Schleife.
»Was ist das?«, fragte ich, und sie stellte die Schachtel ab.
»Keine Ahnung. Jemand hat das abgegeben. Da ist ein Umschlag mit deinem Namen.«
»Danke, Nina.«
Sie ging zurück zu ihrem Platz, und ich zog das Kuvert unter dem Schleifenband hervor. Auf der Rückseite stand einfach Sophie. Ich klappte die Nachricht auf und las:
Beste Sophie,
ich hoffe sehr, diese kleine Aufmerksamkeit ermuntert Sie dazu, doch noch ein freies Zeitfenster im zweifelsohne vollgepackten Programmplan Ihres Chefs zu finden. Für Nachschub kann gesorgt werden.
Mit den herzlichsten Grüßen
Oliver Carrington
Ich öffnete die Box und fand eine verschwenderische Menge an frischen, in Schokolade getauchten Erdbeeren – und zwar in allen möglichen Variationen. Es sah verführerisch aus.
»Sophie, hast du einen Verehrer?«, fragte Steve, der die Schachtel von der anderen Seite des Raumes beäugte.
»Nein, nichts dergleichen. Willst du eine?«
Er grinste. »Wenn du bereit bist zu teilen.«
»Natürlich.«
Er kam rüber und wählte eine Erdbeere mit Milchschokolade und Kokosflocken.
Nachdem er gegangen war, schaute ich die verbliebenen Erdbeeren an und überlegte, was ich tun sollte. Einerseits wollte ich Camden Cox nicht unbedingt einen Gefallen tun. Obwohl er mir ja andererseits von diesem Balkon geholfen hatte und es wahrscheinlich idiotisch war, immer noch wütend über etwas zu sein, was er vor zwanzig Jahren getan hatte, als wir noch Kinder waren.
Und die Tatsache, dass Oliver mir wirklich schokoladenüberzogene Erdbeeren geschickt hatte, war … tja. Es war im wahrsten Sinne des Wortes köstlich und gleichzeitig ziemlich frech – und definitiv der Höhepunkt meines Nachmittags.
Ich würde sehen, was ich tun konnte. Ich erwartete nicht, Erfolg zu haben, aber zumindest konnte ich Oliver zurückrufen und ihm sagen, dass ich alles versucht hatte.
Mr. Calloway war in seinem Büro – die Tür angelehnt, nicht geschlossen –, also stand ich auf und steckte den Kopf durch die Tür.
Er blickte auf und sah mich fragend an.
Das bedeutete, es war in Ordnung, wenn ich hereinkam, und so trat ich ein.
Die Beziehung zu meinem Chef war ein bisschen seltsam. Da ich so gut mit Everly befreundet war, traf ich ihn auch manchmal außerhalb des Büros. Der Mann war stoisch, und obwohl ich ihn nicht als freundlich bezeichnen würde, war er doch umgänglich genug, um mit ihm auszukommen. Bei der Arbeit allerdings ging es für ihn nur ums Geschäft. Er sprach nicht viel mit mir, erwartete bloß, dass ich meinen Job machte, und vor allem, dass ich ihn gut machte. Ich erfüllte diese Erwartung, und alles lief prima.
»Entschuldigen Sie die Störung, aber Camden Cox’ Büro hat vorhin angerufen. Mr. Cox würde Sie gern treffen.«
»Um worüber zu sprechen?«
Von seiner Antwort überrascht verhaspelte ich mich ein wenig. Ich hatte ein direktes Nein erwartet, ohne weitere Fragen. »Ähm … es ging um … ah ja, eine Investitionsmöglichkeit.«
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