Massa Confusa und der Tote am Pulversee - Roland Geisler - E-Book

Massa Confusa und der Tote am Pulversee E-Book

Roland Geisler

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Beschreibung

Am Nürnberger Pulversee wird eine Leiche entdeckt. Die Todesursache gibt Rätsel auf. Die Brust des Mannes ziert eine geheimnisvolle Tätowierung, welche erst vom Bundesnachrichtendienst entschlüsselt werden kann. Die Spur führt zu ehemaligen Söldnern des Balkankrieges, die heute in der Prostitution in Franken und einer illegalen Pornoindustrie aktiv sind. Mord im Milieu? Kriminalhauptkommissar Schorsch Bachmeyer stößt auf eine geheime Internetplattform namens »Massa Confusa«. Als er sich Hinweisen dubioser Aktivitäten einiger Freimaurer gegenübersieht, ist Bachmeyer mit Haut und Haar gefordert …

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Roland Geisler und Sina Vogt

 

Dadord in Frangn

 

Band 1

 

Massa Confusa

und der Tote am Pulversee

 

Ein Franken-Krimi

 

 

 

Roland Geisler war 33 Jahre als Ermittler tätig, zuletzt mehrere Jahre für den Generalbundesanwalt in Karlsruhe.

Er liebt seine Heimat, das Frankenland. Er liebt seinen Beruf. So entstand die Idee zu diesem Frankenkrimi.

 

Sina Vogt ist Coach und Autorin. Sie hat jahrelang als Journalistin gearbeitet und ist Fachfrau für Kommunikation. Als Rheinländerin hat es ihr besonderen Spaß gemacht, fränkische Eigenarten kennenzulernen.

 

Mit Dadord in Frangn: Massa Confusa und der Tote am Pulversee will das Autorenteam nicht nur spannende Unterhaltung bieten, sondern den Lesern auch die fränkische Gemütlichkeit mit einigen kulinarischen Geheimtipps näher bringen.

 

www.dadord-frangn.com

Dadord in Frangn © by Roland Geisler

Veröffentlicht im Dadord in Frangn-Verlag, Josef-Bauer-Str.18, 90584 Allersberg

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Guter-Punkt, München

Abbildungen: Roland Geisler und Arnaldus de Villanova

Redaktion: www.krimi-lektorat.de

 

Erstausgabe 2014

ISBN 978-3-00-045665-7

Originalausgabe

www.dadord-frangn.com

 

Datenkonvertierung E-Book:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

 

 

 

„Wenn du etwas tust, tue es zur rechten Zeit,

und dann mit aller Entschlossenheit.“

 

– Epikur –

 

 

 

Dies ist ein Kriminalroman. Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

Frei erfunden sind der Club Coco, das Logenhaus der Freimaurer, der „Tempel” im Norikus-Hochhaus und alle privaten Häuser und Wohnungen. Alle anderen Orte der Handlung existieren.

Im Anhang finden Sie ein Glossar zu fränkischen und kriminalistischen Redewendungen.

 

 

 

Für Maria …

 

 

 

... und Lumbers

Prolog

 

Er zog den Knoten fester. Sie war ein unartiges Mädchen. Eine Schlampe. „Dir werde ich Gehorsam beibringen“, zischte er. Sie hatte ihre Augen weit aufgerissen. Die Angst darin brachte ihn zum Grinsen. So war es richtig. Auch der Knebel stand ihr außerordentlich gut. Er spürte, wie die Lust an seinen Lenden heraufwanderte. Er drehte den Kopf des Mädchens zur Seite, wie hieß sie noch, Hilda? Oder Larissa? Egal, nun war sie seine Sklavin und er ihr Master, und er würde das Spiel, für welches er teuer bezahlt hatte, auskosten bis zur letzten Sekunde.

„Knie dich nieder, du Schlampe“, befahl er, und Hilda, Larissa oder wie auch immer gehorchte, drehte sich um und wand sich auf die Knie, so gut das mit an den Fußknöcheln gefesselten Beinen und hinter dem Rücken zusammengebundenen Armen ging.

„Zeig deinen Arsch!“

Das Mädchen streckte sich nach oben. Er holte aus und ließ seine Gerte auf die schon blutende Haut ihres Gesäßes niedersausen. Sie wimmerte.

„Habe ich dir erlaubt, einen Laut von dir zu geben?!“

Sie schüttelte den Kopf, war still und schien ein wenig zusammenzuschrumpfen. Das Miststück meinte wohl, ihn damit beeindrucken zu können. Aber er war der Herr! Wieder ließ er die Gerte niedersausen, sie machte einen klatschenden Ton, als sie auf das geschundene Fleisch traf. Zwei-, drei-, viermal, bis wieder ein Wimmern erklang.

„Du Schlampe, du hast zu gehorchen!“, brüllte er. Das kleine Drecksstück gehörte bestraft. Er stand auf, nahm einen Schluck aus seinem Whiskyglas, als sein Blick auf den Swimmingpool, nur einen Meter vor ihm, fiel. Er lächelte. Wie schön es doch war, dass im Angebot, und immerhin kostete ihn das Vergnügen mit der Kleinen satte 5000 Euro, ein so edles Haus als Spielplatz inbegriffen war. Er befahl: „Vorwärts, auf deinen Knien!“ Sie blickte geradeaus, zuckte, er holte aus und ließ die Gerte sprechen. Sie rutschte auf den Knien voran.

„Los, weiter!“, das war ein Spaß, die Nutte würde schon merken, wer hier der Herr im Haus war! Doch da war es wieder, das Wimmern. Es machte ihn rasend: „Du dreckiges Stück Scheiße, los!“ Er trat zu.

Sie fiel kopfüber ins Becken.

1. Kapitel

 

Sonntag, 24. Mai 2009, Fürth

 

Georg Bachmeyer nahm noch einmal drei tiefe Atemzüge, dann stand er auf und verließ die Saunakabine. Die Luft draußen setzte sich kühl auf seine mit Schweißperlen übersäte Haut, die er im Eisbecken abkühlte. Er liebte dieses Sonntagmorgen-Ritual in seiner Stammsauna, die Fürthermare. Der erste Gang war geschafft, nun genehmigte er sich ein Weizen und las die Wochenend-Ausgabe der Abendzeitung. Der Alkohol nach dem Saunagang ließ ihn wohlig ermatten, und er war dabei, im Liegestuhl wegzudösen, als ihn ein kräftiger Händedruck auf die linke Schulter ins Hier und Jetzt zurückholte. „Du, Schorsch, der Horst rufd oh. Der will diech dringend sprechn!“, sagte Andreas Wolf, der Saunabesitzer.

„Oh je, wenn Horst sich am Sonntagmorgen meines dienstfreien Wochenendes meldet, dann ist entweder einer gestorben oder die Schwiegermutter zieht bei ihm ein.“

Andreas lachte und überreichte Bachmeyer, den alle nur Schorsch nannten, das Telefon.

„Servus, Horst, was gibt’s so Dringendes?“

„Unser Bereitschaftsdienst ist schon seit heute Morgen wegen eines Totschlags unterwegs. Wir sind deshalb unterbesetzt, der Schönbohm hat gesagt, ich soll dich anrufen“, begann Horst. Er klang gehetzt. „Am Pulversee draußen auf dem Parkplatz vom Freibad Bayern 07 habens eben einen gefunden. Du sollst dir das einmal anschauen. Na ja, und weil bei deinem Handy nur die Mailbox dran war, hab ich mir gedacht, dass ich dich mit Sicherheit beim Andreas in der Fürthermare erwisch.“

Schorsch machte einen Versuch, der Arbeit zu entkommen: „Könnt ihr das nicht alleine? Braucht ihr da unbedingt mich dabei? Wozu haben wir denn an Kriminaldauerdienst!“

„Ja Schorsch, des stimmt, aber du kennst ja unsern Schönbohm, der meint halt, dass du dir das unbedingt anschauen sollst.“

Bachmeyer ergab sich in sein Schicksal; wenn Kommissariatsleiter Schönbohm darum bat, konnte er nicht Nein sagen. „Also bis gleich, gib mir aber zwanzig Minuten, weil ich bin ja naggerd!“

Er bedauerte kurz die versäumten Saunagänge, dann schaute er auf seine Uhr, eine GMT-Master, sie zeigte 11.04 Uhr. Sein Faible für teure Uhren und Oldtimer machte ihn, wie er befürchtete, zu einem ziemlich durchschnittlichen Mann seines Alters, Mitte vierzig. Beim Ankleiden kam er schon wieder leicht ins Schwitzen, da er sich beeilte, es sollte ja schnell gehen.

Als er beim Verlassen der Sauna bezahlen wollte, meinte Andreas: „Schorsch, ich heb dai Bierfilzla bis nächsdn Sunndoch auf, dir pressierds, servus.“ Andreas, der mit seiner Frau gemeinsam die Fürthermare seit 15 Jahren betrieb, wusste es zu schätzen, dass viele Polizisten zu seinen Stammgästen gehörten; Schorsch und seine Kollegen machten einen nicht unerheblichen Teil seiner Kundschaft aus. Da konnte man schon mal ein Bierfilzla stehen lassen. Schorsch dankte dem Saunabesitzer und eilte hinaus.

Es war 11.27 Uhr, als er die Sauna verließ und zu seinem Auto ging. Seinen alten, dunkelblauen Daimler Strich-Acht, 3 Liter, Baujahr 1968, hatte er vor einigen Jahren zufällig beim Kartoffelkauf in der Scheune eines Bauernhofs in Burgthann entdeckt. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Er überzeugte den Besitzer, einen Landwirt, der das Auto von seinem Vater geerbt hatte und es ungenutzt und ungepflegt in der Scheune stehen ließ, es ihm zu verkaufen. Über Monate verbrachte er fast jede freie Minute damit, den alten Benz wieder herzurichten. In der Garage verging ihm jedes Zeitgefühl, was seine Frau gar nicht gut fand. Als der Wagen endlich fahrtüchtig und glatt poliert war, hoffte sie wohl auf gemeinsame Ausflüge am Wochenende – doch die führten Schorsch meist auf Oldtimerschauen, was bei ihr für erneuten Unmut sorgte.

Nun, den Oldtimer fuhr Schorsch noch heute. Von seiner Frau hatte er sich drei Jahre zuvor getrennt.

Schorsch nahm den Frankenschnellweg, die A 73, zum Tatort.

Nürnbergs Straßen waren nach der Blauen Nacht wenig befahren. Bis tief in die Nacht war seit 2000 einen Samstag im Mai die ganze Stadt in blauem Licht angestrahlt. Kulisse für viele Kunstprojekte und Veranstaltungen, die jedes Jahr viele Tausend Besucher anzog. Es mussten sich wohl noch mehr Menschen ausruhen. So waren fast nur Müllmänner unterwegs, die die Altstadt säuberten, damit die Touristen nach dem Ausschlafen alles wieder geordnet vorfanden. Dank des geringen Verkehrsaufkommens brauchte Schorsch nur eine knappe halbe Stunde bis zum Parkplatz des Freibads Bayern 07 am Wöhrder See.

Der Wöhrder See war ein Stausee mitten in Nürnberg, nach dem Stadtteil Wöhrd benannt und gut zweieinhalb Kilometer lang. Der Schwimmerbund „Bayern 07“, einer der ältesten Nürnberger Schwimmvereine, betrieb hier am Südufer den Pulversee, ein großes Freibad.

Seine Eltern waren früher oft mit Schorsch hierhergekommen. Sie hatten dann auf den Wiesen gegrillt oder waren in die Satzinger Mühle eingekehrt und hatten dort ein gutes Schäuferle gegessen. Schorsch erinnerte sich an einen Sommertag, an dem er den Eltern beim Essen genau hier am See erklärt hatte, er würde Polizist werden. So wie Franz Josef Wanninger, dessen „unglaubliche Fälle“ ihn im Alter von elf Jahren fasziniert hatten: Genau das wollte er auch tun!

Schorsch war am Pulversee angekommen, parkte seinen Daimler in der angrenzenden Nebenstraße und begab sich Richtung Tatort. Das rote Band der Polizeiabsperrung war schon von Weitem zu erkennen. Davor parkte bereits das Auto der Bestatter, ein schwarzer Mercedes-Kombi mit Milchglasscheiben, auf den Türen prangte das Nürnberger Stadtwappen.

Zwei junge, uniformierte Kollegen standen neben der Polizeiabsperrung und leiteten die ankommenden Freibadgäste um. Kein Unbefugter durfte sich Zutritt zum Gelände verschaffen, bevor die Spurensicherung nicht alle Tatortspuren gesichert hatte. Deshalb war auch das Schwimmbad geschlossen. Manche der Badegäste empörten sich darüber und diskutierten heftig mit den Kollegen, die höflich, aber unerbittlich blieben.

Als Schorsch sich näherte, wurde auch er von einem der Uniformierten angesprochen, dass dies eine Absperrung sei und er diese nicht passieren dürfe. Also zeigte er seine Dienstmarke: Georg Bachmeyer K11.

Das schien den jungen Kollegen zu irritieren, dabei musste er wissen, dass das Kriminalkommissariat 11 für Mordfälle zuständig war: „Äh ja, äh, mhmh, und wo möchten´s denn bittschön hin?“

„Dahin, wo andere derzeit nett hindürfen, ich hab gehört, es gibt an Toten.“

Der Kollege hob das Absperrband und ließ Schorsch darunter durchgehen.

„Dankeschön. Gut, wie Sie uns die Gaffer vom Leib halten, weiter so.“

Der junge Kollege nickte. „Mach mer!“

Schorsch ging den leicht hügeligen Weg bergab zum Parkplatz des Freibades. Genau um 12 Uhr betrat er den Tatort.

Vier Kollegen entledigten sich gerade ihrer Tatortoveralls, das Team der SPUSI hatte seine Arbeit schon beendet und verstaute die Tatortutensilien ins Fahrzeug.

Der Leiter der Spurensicherung war Kriminaloberkommissar Robert Schenk, der ihn kommen sah und winkte. „Servus, Schorsch, vor Ort ist schon alles erledigt, sind gerade fertig geworden!“

„Robbi, altes Haus, ich möchte einmal vor dir am Tatort sein. Grüß Gott.“

Robert hob die Augenbrauen und schmunzelte.

„Schau mich nicht so genau an, ich war mit Basti auf der Blauen Nacht, und es ist spät geworden“, entgegnete Schorsch.

Seine Kollegin Ute Michel sprang bei: „Du Schorsch, a bisserla sieht man dir deine Blaue Nacht noch an, mogsd an Becher Kaffee?“ Sie reichte ihm einen Becher mit starkem, heißem Kaffee.

„Danke Ute. Also, erzählt, was ist passiert?“

„Schorsch, im Camper haben´s eine männliche Person, circa 35 bis 40 Jahre alt, gefunden. Verletzungen am Hinterkopf, die Todesursache ist aber noch unklar. Der Schönbohm ist mit Doc Fog und dem Staatsanwalt vor Ort und kann dir nähere Details nennen“, begann Robert. Als Schorsch nickte, fuhr er fort: „Im ersten Angriff haben wir die Fingerspuren am Fahrzeug und an der Leiche gesichert sowie die Fingerabdrücke des Toten genommen. Das Wohnmobil ist aber noch nicht fertig. Wir lassen es abschleppen und führen die kriminaltechnische Untersuchung bei uns im Präsidium durch. Hier am Parkplatz können wir nicht weitermachen. Bei dem schönen Wetter werden viele Badegäste kommen, länger wollen wir das Gelände nicht blockieren.“

Seine Kollegin ergänzte: „Die Tatortspuren sind gesichert, Schorsch. Noch was, in einem der Mülleimer haben wir so ein schwarzes Pilotenhemd und eine schwarze Multifunktionsjacke gefunden, ob des für uns interessant werden könnt, wird die DNA-Analyse klären. Den restlichen Müll müssen wir ebenso noch untersuchen, aber des machen wir bei uns.“

Nachdem er seinen Kaffee leer getrunken hatte, eilte Schorsch mit etwas klarerem Kopf in Richtung Camper. Der hatte ein tschechisches Kennzeichen – und einen Aufkleber des 1. FCN auf der Beifahrertür. Merkwürdige Kombination! Vor dem Wagen erwartete ihn Kriminalkommissariatsleiter Raimar Schönbohm. Neben ihm standen ein Schorsch unbekannter Mann im Anzug und sein Teamkollege Horst Meier. Horst stammte aus dem nahegelegenen Schwarzenbruck im Nürnberger Land und betonte gerne, dass er ein waschechter Franke sei.

Den größten Teil seines Berufslebens hatte er bei der Rauschgiftfahndung verbracht, war also ein „Giftler“, wie sie das nannten. Vor sechs Jahren war er dann zum K11 gewechselt, seitdem teilten sie sich ein Büro. Inzwischen hatten er und Schorsch viele Fälle gemeinsam untersucht und meist erfolgreich gelöst, darüber waren die beiden Männer Freunde geworden. Der 44-jährige Horst engagierte sich auch privat für sein „Nämberch“, er war aktiv bei den „Altstadtfreunden Nürnberg“. Horsts markantes Zeichen war sein Seehundbart, den er schon seit mindestens 20 Jahren trug.

„Guten Morgen, Herr Bachmeyer, schön, dass man Sie erreichen konnte“, sagte Kriminaldirektor Raimar Schönbohm. Er war ein etwas untersetzter, 64-jähriger Mann mit Halbglatze.

Schönbohm war vom Bayerischen Landeskriminalamt München nach Nordbayern versetzt worden und hatte rund sieben Jahren zuvor die Leitung des K11 übernommen. Seine beste Zeit, so prahlte er gerne bei Weihnachtsfeiern oder sonstigen dienstlichen Veranstaltungen, habe er beim Aufbau der Spezialeinheiten in München gehabt. 1973, ein Jahr nach dem Attentat während der Olympischen Spiele in München, hatte das Bayerische Innenministerium den Aufbau dieser Einheiten in Süd- und Nordbayern beschlossen. Man munkelte, dass Schönbohm damals gute Kontakte zu Entscheidungsträgern des Innenministeriums hatte. Die Auswahl für den Richtigen fiel schnell, Schönbohm bekam den Job. Schorsch konnte seinen Vorgesetzten manchmal nur schwer einschätzen, er wurde mitunter ein wenig hektisch und konnte dann seine Mitarbeiter ganz schön nerven. Aber immer stand er hinter seinem Kommissariat und schätzte die Arbeit seiner Einsatzteams.

Neben Schönbohm stand der Rechtsmediziner, Prof. Dr. med. Alois Nebel, von allen Doc Fog genannt, der das Institut für Rechtsmedizin in Erlangen leitete.

Der rund 1,75 Meter große Mediziner war in seiner Freizeit ein begnadeter Fliegenfischer. Durch eine Wurftechnik, die Schorsch von ihm gelernt hatte, konnte dieser schon so manche große Bachforelle überlisten, bei den gemeinsamen Stunden am Wasser waren er und der Doc Freunde geworden.

Nun wandte Schorsch sich aber zuerst an seinen Vorgesetzten: „Was gibt’s, Herr Schönbohm?“

„Herr Bachmeyer, den Herrn Prof. Dr. Nebel kennen´s ja. Das hier ist Herr Klein, unser Bereitschaftsstaatsanwalt. Meine Herren, es handelt sich um eine männliche Person, circa 35 bis 40 Jahre alt, die vermutlich heute Morgen zwischen zwei und vier Uhr gestorben ist. Ob die vorhandenen Schädelverletzungen todesursächlich waren, ist noch unklar, oder was meinen Sie, Herr Professor?“ Schönbohm blickte den Rechtsmediziner fragend an, der wiegte den Kopf mit einem Schulterzucken hin und her.

Sie traten alle in den Camper ein, der schlicht eingerichtet war und keine persönlichen Gegenstände wie Bilder oder Bücher aufwies. Es war eng mit vier Menschen und einer Leiche in dem Mobil der Marke Hymer, dicht gedrängt standen sie aneinander. Die Leiche war zwischen der Bank und dem kleinen Tisch im hinteren Teil des Fahrzeuges zusammengesackt. Der Tote war nur mit einer schwarzen Hose und schwarzen Stiefeln bekleidet. Seine kurz geschorenen, blonden Haare ließen den muskulösen Mann von gut 1,85 Meter wie einen Navy Seal aussehen.

Doc Fog hub an: „Der Camper ist offenbar der Tatort. Es ist unwahrscheinlich, dass der Tote hier nur abgelegt wurde. Das bestätigen auch die Messungen der Temperatur im Rektus und der Umgebungstemperatur sowie der heutigen Nachttemperatur. Merkwürdig sind der verzerrte Gesichtsausdruck und die Gesichtsfarbe der Leiche. Ob die äußeren Merkmale der Verletzung am Schädelbein, also ein Bruch des ‚Os parietale‘, für den Tod verantwortlich sind, wird erst eine Obduktion klären. Die Leichenflecken sind normal ausgeprägt, die Totenstarre hat nachgelassen.“ Er schüttelte den Kopf. „Aber irgendetwas stört mich trotzdem.“

Doc Fog kniete sich erneut neben den Toten und tastete den nackten Oberkörper ab: „Es hilft nichts, ich muss ihn erst aufschneiden, um sagen zu können, ob die Kopfverletzung den Tod herbeigeführt hat.“

Herr Klein, der neben Schönbohm stand, sagte nichts. Er wirkte blass und abwesend.

„Herr Staatsanwalt, kippen´s mer fei ned um“, meinte Doc Fog im besten Fränkisch und fragte mit leichtem Grinsen: „Is des Ihre erschde Leich?“ Der junge Staatsanwalt nickte betreten. „Ja, aber irgendwann ist es immer das erste Mal.“

Manfred Klein war erst seit vier Wochen bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth. Sein eigentliches Tätigkeitsfeld war die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, so erklärte ihnen Schönbohm nun. Genau an diesem Wochenende hatte der junge und schmächtige Beamte seinen ersten Journal-Dienst. Den Journal-Dienst, oder wie es bei ihnen auch hieß, Bereitschaftsdienst, mussten alle Staatsanwälte verrichten. Sie trafen dann die wichtigen zeitnahen Entscheidungen: ob eine Haftsache vorlag, ob eine Wohnung durchsucht werden sollte oder ob, wie in diesem Fall, ein Rechtsmediziner die Todesursache anhand einer Obduktion abklären musste.

Klein sagte mit blassem Gesicht: „Ja, meine Herren, machen´s das übliche Prozedere in der Angelegenheit.“ Er war sichtlich erleichtert, als Doc Fog entgegnete: „Also denn schneidn mer af. Morgn Middoch homa des Ergebnis. Veranlassen´s bitte, dass der so schnell wie möglich zu mir kummd. Servus meine Herren, die Maifliege wartet.“ Alois Nebel wollte den Tatort offensichtlich schnell verlassen, um das Wetter, das ideal zum Fliegenfischen war, voll und ganz auszunutzen. Heute würde es Bachforelle geben im Hause Nebel.

Schönbohm schloss sich ihm an: „Warten´s bittschön, Herr Doktor, ich hau hier auch ab. Bachmeyer und Meier, Sie wissen ja, was noch zu tun ist. Sie haben das hier im Griff, gell. Wir sehen uns morgen bei der Lagebesprechung.“

Schnellen Schrittes verließ Schönbohm mit dem Professor und Herrn Klein das Wohnmobil, sie gingen bergauf in Richtung ihrer parkenden Fahrzeuge. Horst und Schorsch durchsuchten das Campingmobil, zunächst ohne etwas zu finden, was ihnen Erkenntnisse über die Identität des Toten hätte bringen können.

Sie hatten zwar das Kennzeichen des Wohnmobils, das brachte sie jedoch momentan auch nicht weiter, da es sich um eine tschechische Zulassung handelte. Zwar war der Halter bei den dortigen Behörden schon angefragt, aber aus dem Ausland dauerte die Antwort etwas länger. Robert und sein Team hatten zudem bei der ersten Untersuchung im Gürtel des Toten einen dort eingearbeiteten Schließfachschlüssel gefunden. Der Schlüssel lag nun auf dem Tisch des Hymers, in einer Asservatentüte verpackt, und trug die Stempelung GFW147. Ein Toter, der einen Schlüssel bei sich versteckte. Doch der Täter hatte diesen Schlüssel entweder nicht gesucht oder nicht gefunden. Zudem schien es Schorsch zweifelhaft, dass sich das durchtrainiert wirkende Opfer leicht überwältigen ließ. Doch musste er warten, was Doc Fogs Obduktion über einen möglichen Tathergang an weiteren Erkenntnissen bringen würde. Unübersehbar war dagegen ein Tattoo, das den Toten quer über die rechte Brust verzierte.

 

 

Es zeigte einen Totenschädel unter einem gehörnten Helm auf einer Wolke mit der Zahl 666. Zwischen den einzelnen Hörnern die Buchstaben S und K.

„Horst, schau mal, hast du so ein Tattoo schon einmal gesehen? Sieht doch seltsam aus, oder? Weißt du, was das darstellen könnte?“, fragte Schorsch.

„Nein, keine Ahnung, könnte das nicht ein Wikinger sein?“, entgegnete Horst.

Das bezweifelte sein Kollege: „Aber die Spitze auf dem Helm, das ist eigentlich untypisch für so einen Wikingerhelm, eher dann ein Slawenhelm.“

„Und die Buchstaben S und K und die drei Sechser, was bedeutet das?“, fragte Horst.

Zu Letzteren konnte Schorsch einiges sagen: „Schau an, dreimal die Sechs. Das habe ich in einem Film, so Mitte der Siebziger, gesehen: Das Omen. Da wurden die drei Sechser beschrieben. Dreimal die Sechs ist das Zeichen des Antichristen, so steht es auch in der Bibel, in der Offenbarung des Johannes. Damals war der Film ein Kassenschlager. Er handelt von der Geburt des Antichristen. Ein gewisser Damien Thorn wurde einem Diplomatenpaar untergeschoben. Ich kann mich noch recht gut an den Film erinnern. Als ich damals nach Hause kam, habe ich die Bibel genommen und die Stelle in der Offenbarung gesucht. Ich konnte es nicht glauben mit den drei Sechsern, aber es stimmt wirklich, es steht so in der Bibel, in der Offenbarung: Die Zahl 666 steht dort in einem Zitat zur Zahl des Tieres, also des Satans.“

„Du bist ja a wandelndes Filmlexikon – und bibelfest dazu!“, staunte Horst. „Aber unser Toter ist kaum der Antichrist. Und S und K? Gibt’s da auch einen Film?“

„Da muss ich passen – keine Ahnung.“ Schorsch schaute sich erneut im Wohnwagen um. Alle Schränke waren leer, der Tote schien das Fahrzeug jedenfalls nicht für einen Urlaub benutzt zu haben.

„Horst, war das alles? Gibt es sonst noch irgendwelche Hinweise oder Zeugen?“

„Schorsch, wir haben nur das, was die SPUSI vorgefunden beziehungsweise gesichert hat, sonst haben wir bis dato nix. Aber ein netter Junge von nebenan scheint unser Toter ja nicht zu sein, mit einem Tattoo vom Antichristen.“

Mehr würden sie hier nicht erfahren, also verließen sie das stickige Wohnmobil.

Der Leichenwagen parkte immer noch vor der Absperrung. Hinter dem Leichenwagen stand der Abschleppdienst bereit, der das Reisemobil in das Polizeipräsidium zur Abteilung Kriminaltechnische Untersuchung, der KTU, bringen sollte. Schorsch ging zu den beiden uniformierten Kollegen, die immer noch verschiedenen Badegästen und Gaffern erklärten, dass hier ein Durchkommen zurzeit nicht möglich sei.

„Herr Bachmeyer, Herr Bachmeyer, nur eine Frage.“ Ausgerechnet der Müller vom Nürnberger Express. Der hatte Schorsch noch gefehlt! „Hams a Leich gfunden? Ist es Mord? Wer ist der Tote? Das Fahrzeug kommt doch aus Tschechien – geht es hier um Mafia und Menschenhandel? Oder Drogen?“ Müller wusste, dass Schorsch nicht antworten würde. Was ihn nicht daran hinderte, seine Fragen zu stellen. Dass hier die Mordkommission vor Ort war, zwei Bestatter warteten und das Kennzeichen des abgesperrten Wohnmobils tschechisch war, das allein würde Müller schon zu einer Story zusammenbasteln. Schorsch sah die Schlagzeile des nächsten Morgens schon vor sich: Tschechische Banden hinterlassen Blutspur am Pulversee! Er winkte in Richtung Müller ab und wandte sich den beiden städtischen Bestattern zu. „Meine Herrschaften, Sie können jetzt mit Ihrer Arbeit beginnen. Mein Kollege, Herr Meier, wird Sie zum Camper bringen.“ Er gab dem Fahrer den Überführungsschein zum Institut für Rechtsmedizin und deutete der uniformierten Kollegin mit einem Nicken an, dass der Wagen passieren könne.

Anschließend ging er zum Fahrer des Abschleppwagens. Der noch recht junge Fahrer, so um die Zwanzig, schien nicht minder neugierig zu sein als Herr Müller. Da kam es Schorsch gerade recht, dass der Mann fragte: „Was ist denn da passiert?

Ich hab den Auftrag bekommen hierherzufahren, ein Wohnmobil aufzuladen und ins Polizeipräsidium zu bringen.“ „Genau, und mehr müssen Sie auch nicht wissen!“ Schorsch machte kehrt und ging in Richtung Hymer-Mobil.

Horst hatte die beiden Bestatter angewiesen, die Leiche zu übernehmen. Sie öffneten die Heckklappe ihres städtischen Dienstwagens und stellten einen Zinksarg neben dem Fahrzeug ab. Der etwas kräftigere der beiden hatte schon den Leichentransportsack unter den Arm geklemmt. Sie stiegen in das Wohnmobil und kamen nach wenigen Minuten mit dem gefüllten Transportsack wieder heraus. Diesen legten sie in den Zinksarg, schlossen den Deckel und schoben ihn in ihr Fahrzeug.

Ihre Arbeit hier am Tatort war beendet, nun ging es zur Rechtsmedizin nach Erlangen. „Bis zum nächsten Mal“, grüßte der Fahrer, drehte sein Fahrzeug und fuhr langsam wieder bergauf in Richtung Polizeiabsperrung. Nun war der Fahrer des Abschleppwagens an der Reihe, der die Situation genau verfolgt hatte. Er startete sein Fahrzeug und fuhr langsam an das Wohnmobil heran. Horst verschloss die Tür des Campingmobils und sicherte diese zusätzlich mit einem Polizeisiegel. Anschließend gab er dem Abschleppfahrer den Weg frei. Dieser würde das Campingmobil im Polizeipräsidium den Kollegen der SPUSI übergeben.

Horst und Schorsch warteten schweigend, bis der Wagen verladen war und der Abschleppwagen Richtung Absperrung fuhr. Die Schar der Schaulustigen war kleiner geworden. Gleich würde auch das Freibad wieder öffnen, jetzt gab Schorsch erst einmal den Tatortparkplatz wieder frei.

Es war kurz nach zwei, und er hatte Hunger. Seit dem Vorabend hatte er nichts mehr gegessen, und eigentlich aß er bei Andreas in der Sauna immer sein sonntägliches Schäuferle.

Diese Tradition ließ er sich auch nicht von einem Toten nehmen! Schorsch beschloss, in die Dürerstube zu fahren, dort würde er genau das bekommen, worauf er Lust hatte: ein fränkisches Schäuferle mit Kloß und einer Halben.

Das schien auch Horst zu denken: „Schorsch, pack mers, die Schwiegermutter hat heute Schäuferle und Kniedla gmacht, ich bin spät dran.“ Horsts Familie hielt ebenso an der fränkischen Tradition fest.

Schorsch verabschiedete sich von seinem Kollegen: „Servus, dann sehn wir uns morgen bei der Lagebesprechung.“ Er stieg in sein Auto und fuhr Richtung Altstadt. Das Tattoo des Toten ging ihm dabei nicht aus dem Kopf. War er Mitglied einer Bande? Oder hatte er nur zu viele schlechte Filme gesehen? War das Wohnmobil sein Fahrzeug? War er also Tscheche? Ohne die Identität des Toten zu kennen, war kein Faden zu packen, an dem er weiterziehen konnte, um das Knäuel rund um diesen rätselhaften Tod zu entwirren. Vielleicht würden Robert und sein Team bei der Untersuchung des Campers weitere Spuren finden. Vor allem aber war er gespannt auf die Ergebnisse der Obduktion durch Doc Fog. Blieb der rätselhafte Schlüssel: War er für ein Schließfach? Einen Tresor? Wo könnten sie den finden? Und was würden sie darin finden?

Vielleicht gab es auch Zeugen, so gesehen war das Auftreten von Herrn Müller am Tatort nicht nur lästig. Sie müssten sowieso an die Presse gehen, um möglicherweise Hinweise aus der Bevölkerung zu bekommen.

Nun aber genoss Schorsch erst einmal seine fränkische Schweineschulter und eine Halbe im Wirtshaus Albrecht-Dürer-Stube, ein Geheimtipp für gute fränkische Küche. Die Familie Höllerzeder betrieb das historische Anwesen schon in der dritten Generation. Das alte Fachwerkhaus war eines der schönsten in der Nürnberger Altstadt, den Eingangsbereich und die alte Wirtsstube zierten viele alte, gerahmte Handarbeitssticktücher. Die gemütliche Gediegenheit passte gut zusammen mit den deftig-leckeren fränkischen Speisen.

Gestärkt schaffte er es danach, den Blütenstaub auf dem Balkon seiner Dreizimmerwohnung zu übersehen. Sogar auf dem Wohnzimmertisch breitete sich inzwischen eine leichte Schicht gelben Staubs aus. Er war die ganze Woche nicht dazu gekommen, seine Wohnung zu putzen. Oder hatte nicht dazu kommen wollen. Das ließ sich nicht immer unterscheiden. Aber es war ja auch kein Besuch angesagt, das hatte Schorsch nicht gerade motiviert, zum ungeliebten Staubtuch zu greifen. Zu Hause angekommen schrieb er einmal Tattoo? in den Staub seines Glastisches im Wohnbereich. Was den Dreck nicht schöner machte und ihn nicht schlauer in Bezug auf den Toten.

Der dunkle Eichenkleiderschrank mit ovalem Spiegel, den er als Wohnzimmerschrank zweckentfremdet hatte, war ein großelterliches Erbstück, in ihm standen seine Single Malt Whiskeys. Davon genehmigte er sich einen, bevor er das Staubtuch holte. So blieb ihm nach dem Putzen noch Zeit für ein kleines Nickerchen, bevor Schorsch um viertel neun zur Pflichtsendung jedes Ermittlungsbeamten, dem Tatort im Ersten, überging.

2. Kapitel

 

Montag, 25. Mai 2009, Pilotystraße

 

Der Tag begann sonnig, das sehr warme Sommerwetter schien stabil zu bleiben. Schorsch entschloss sich, den Daimler stehen zu lassen und seine weiße 50er Vespa zu nehmen.

Gegen sieben Uhr erreichte er das Polizeipräsidium Nürnberg am Jakobsplatz, Zentrale Kriminalitätsbekämpfung, Kriminalkommissariat 11. Die Polizei in Mittelfranken hatte insgesamt gut 4.200 Beamtinnen und Beamte, diese waren für die Sicherheit von 1,7 Millionen Einwohnern in der Region zuständig. Das Präsidiumsgebäude war nach dem Krieg auf einer der riesigen zerbombten und dann freigeräumten Flächen entstanden. Der sandsteinfarbene Bau grenzte an die St. Elisabethkirche mit ihrer großen, runden grün-türkisfarbenen Kuppel. Von Weitem hätte man meinen können, die beiden Gebäude seien eins, als wäre das Präsidium die Verlängerung der Kirche.

Wie jeden Montag fand um neun Uhr eine große Lagebesprechung unter der Leitung von Kriminaldirektor Raimar Schönbohm statt. Also hatte Schorsch vorab noch Zeit, ins Büro zu gehen, wo er seinen Computer hochfuhr. Im E-Mail-Account warteten ein paar Zeilen von Isabell auf ihn: Lieber Schorsch, ich komme am Dienstag, den 26.05., wieder aus der Kur zurück. Ich brauch deinen Rat, können wir uns irgendwann am kommenden Wochenende oder vielleicht schon am Mittwoch treffen? Gib mir bitte eine kurze Nachricht auf meine Mailbox. Liebe Grüße I.

Es schien etwas Wichtiges zu sein. Er schlug seinen Kalender auf und markierte den Mittwoch und den Samstag mit Isabell.

Anschließend bestätigte Schorsch auf ihrer Mailbox, dass sie sich am Mittwoch um 20 Uhr treffen könnten. Er schlug vor, im Kontiki einen Cocktail zu trinken. Was sie wohl hatte? Er dachte daran, wie er Isabell kennengelernt hatte. Im Grunde hatte seine Arbeit sie zusammengeführt. Ein Mitarbeiter ihres Vaters war damals ein wichtiger Zeuge bei einem Kapitalverbrechen in Nürnberg gewesen, der Vater hatte eine Kunst- und Bauglaserei. Seine Werbung war Schorsch ins Auge gefallen, da im Präsidium gerade eine neue Imagekampagne für den Polizeidienst besprochen wurde. Er sprach den Glaser auf seine Werbeagentur an – es war die seiner Tochter Isabell in Fürth.

Also fuhr er kurzerhand bei der Agentur Market-Point vorbei, die in einem alten, fränkischen Fachwerkhaus mit Schieferdach residierte. Schorsch klopfte an die alte Eichenholztür, eine vielleicht 40-jährige Frau mit blonden, schulterlangen Haaren öffnete.

„Guten Tag, mein Namen ist Isabell Lundgren, möchten Sie nicht eintreten?“

Dankend nahm er an und stellte sich und sein Anliegen vor. Erfreut rief sie eine ihrer Mitarbeiterinnen hinzu, eine Grafikerin, und bald entwickelten sie zu dritt Ideen für Plakate und Claims, die junge Leute für eine Ausbildung bei der Polizei begeistern sollten. Isabells hellblaue Augen blitzten bei jeder neuen Idee auf, und schließlich musste Schorsch sie bremsen – immerhin konnte er nicht über diesen Auftrag entscheiden, sondern ihr nur den Kontakt zu dem Referat „Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“ vermitteln. Das tat er – und sie bekam den Auftrag. Damals hatte sie ihn ins Kontiki eingeladen. Sie trank Sex on the beach und näherte sich Schorsch nach jedem Schluck etwas mehr an. Der Flirt tat ihm gut, kriselte es doch in seiner Ehe gewaltig – und Isabell war eine verdammt attraktive Frau mit ihren langen Beinen, die unter dem schwarzen Minirock gut zu sehen waren. Bis zu einem langen Kuss ließ Schorsch es kommen, dann zwang er sich, den Abend zu beenden und Isabells Vorschlag, noch einen Absacker bei ihr zu nehmen, freundlich auszuschlagen. Im Grunde war er ebenso enttäuscht wie sie, dass sie nicht auslebten, was beide offensichtlich wollten. Aber er dachte an seine Ehe, die zu retten er gerade mit seiner Frau, Ilona, übereingekommen war. Ilona, so alt wie er, hatte Jahre gebraucht, um zu akzeptieren, dass sie keine Kinder bekommen würden. Drei Hormonbehandlungen hatten keinen Erfolg gebracht, nur Warten, Hoffen, Enttäuschung. Ilona bekam eine ausgewachsene Depression. Seine Gefühle ihr gegenüber hatten sich mit der Zeit in reine Fürsorge gewandelt, unterbrochen von zunehmendem Ärger über ihre Unselbstständigkeit. Isabell dagegen stand für leichtes Vergnügen. Sie hatte auf seinen Hinweis, dass er verheiratet sei, mit einem Lachen gesagt: „Umso besser, dann ist meine Unabhängigkeit nicht gefährdet!“

Nach diesem Abend hatten sie sich drei Jahre nicht gesehen. Dann, vor zwei Jahren, waren sie sich zufällig begegnet, bei einem Heimspiel im Nürnberger Fußballstadion, Isabell im Arm eines schon leicht angetrunkenen Fans, dessen Namen sich Schorsch nicht merken musste – bei ihrer nächsten Verabredung war er für sie schon wieder Vergangenheit. Dennoch hatten sie und Schorsch ihren Flirt nicht fortgesetzt. Bis heute konnte er sich nicht erklären, warum – waren sie nun doch beide frei. Sie aber erklärte ihm, sie wolle ihn zum Freund, nicht zum Liebhaber. Das waren sie geworden, gute Freunde. Sie hatten in Sachen Fußball, Kino und Essen denselben Geschmack, einen ähnlichen Humor und waren inzwischen zu guten Vertrauten geworden. Schließlich war es nun Schorsch, den sie um Rat fragte, in welcher Sache auch immer, nicht einer ihrer häufiger wechselnden Liebhaber, denn in dieser Hinsicht war Isabell unkonventionell und lebensfroh.

Dann öffnete er noch die zweite E-Mail, die neu in seinem Postfach lag. Sie war von Robert, dem Leiter der SPUSI: Hallo, Schorsch, ich habe interessante Neuigkeiten für dich. Wir haben den Wagen heute noch gründlich untersucht und konnten unter dem Fahrersitz eine Metallbox mit einem Magneten sicherstellen, die Bilder hierzu siehst du als Anhang. Aber halte dich fest, wir haben in dieser Box zwei verschiedene Reisepässe vorgefunden und eine tschechische KFZ-Zulassung. Wir werden diese noch bis zur Lage am Montag auf Fingerabdrücke untersuchen. Auch die Prüfung der Pässe und der Zulassung durch die KTU sollte dann schon Ergebnisse gebracht haben. Servus, Robert.

Es sah demnach so aus, als sollte sie die Kriminaltechnische Untersuchung weiterbringen.

Schorsch klickte auf die Fotos im Anhang. Das erste zeigte die schwarze Metallbox, die mit einem Schnappverschluss versehen war. Auf dem zweiten Foto sah man dann die geöffnete Box mit den darin befindlichen Pässen. Das dritte Foto zeigte den Auffindeort der Metallbox. Sie war griffbereit unter dem Fahrersitz mit einem Magneten fixiert gewesen. Bei einer möglichen Verkehrskontrolle hatte man einen schnellen Zugriff auf die Dokumente.

Er klickte auf das nächste Bild. Ein Reisepass, ausgestellt auf einen Franzosen mit Namen Marchand Dubois, geboren am 11.10.1979 in Saint-Malo. Dieser Pass trug zwei Visastempel: Im August 1998 hatte der Mann demnach die Malediven besucht, und im Dezember 1998 war er über den Flughafen Sarajewo in die Republik Bosnien-Herzegowina eingereist.

Er klickte auf das nächste Foto, das einen Reisepass, ausgestellt auf einen Tschechen namens Pawel Sedlacek, geboren am 03.07.1982 in Usti nad Labem, zeigte. Sedlaceks Reisepass war erst am 21. Juli 2008 durch die Verwaltungsbehörde in Usti nad Labem, einem Gebiet im Norden der tschechischen Republik, neu ausgestellt worden.

Alle Ausweise waren mit dem Lichtbild des Toten versehen. Also war er entweder der Franzose Dubois oder der Tscheche Sedlacek – oder jemand ganz anderes.

Es war noch eine Stunde Zeit bis zur Lagebesprechung. Also wählte Schorsch die Telefonnummer des Krimininaldauerdienstes, um sich nach den Ermittlungen zum Fahrzeughalter des Wohnmobils zu erkundigen. Der diensthabende Beamte konnte ihm aber nur sagen, dass die Anfrage bei den tschechischen Kollegen gestellt war: „Unser Verbindungsbeamter in Waidhaus an der Grenze hat gestern mehrmals mit seinem tschechischen Kollegen gesprochen, damit dieser den Halter ermittelt. Aber die Tschechen hatten einen Serverabsturz im Abfragesystem, bisher liegt uns noch kein Ergebnis unserer Anfrage vor. Ist ja kein genuin tschechisches Problem.“

Schorsch konnte nur zustimmen und dachte an den Ausfall des Zentralen Verkehrsinformationssystems beim Kraftfahrtbundesamt in Flensburg am vorherigen Mittwoch – fünf Stunden konnten sie keine Daten abgleichen, da hatten sie auch keine Autohalter ermitteln können. „Wir bleiben dran“, versprach sein Kollege. Schorsch bedankte sich, beschloss aber, es parallel auf dem kleinen Dienstweg zu versuchen.

Er rief in seinem Mobiltelefon Tereza Vaitkova über die Kontakte auf und drückte auf die Wähltaste. Tereza war eine Kollegin bei der Kriminalpolizei in Prag, Abteilung Organisierte Kriminalität. Zwei Jahre zuvor war sie im Juli für drei Wochen zur Hospitation beim Polizeipräsidium Mittelfranken gewesen und hatte in Schorschs Team gearbeitet. Vier Monate später durfte er dann für zwei Wochen zur Kripo nach Prag, um dort den Kollegen bei der Arbeit zuzusehen. Tereza und er freundeten sich an. Diesmal war sie die Verheiratete, und da er in dieser Hinsicht ein wenig altmodischer als Isabell war, hatte er das Flirten gleich ganz gelassen. Zumal die Gastfreundschaft von Tereza und ihrem Mann enorm war. Sie zeigten ihm das Prag der Tschechen. Allabendlicher Treff war die Kozicka Bar, Kozi 1, Prag 1. Viele tschechische Kollegen trafen sich hier auf ein Dienstabschlussbier. In diesem urigen Kellerlokal wurde das Bier in Ein-Liter-Humpen ausgeschenkt, Schorsch kam sich deshalb vor wie in seiner Heimat. Der Abschied war ihm schwergefallen. Die große Kollegialität und Offenheit beschämte ihn auch ein wenig, denn er hatte insgeheim gedacht, so etwas in einem ehemaligen sozialistischen Land nicht vorzufinden.

Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine Stimme: „Ano prosim!“

„Tereza?“

„Hallo, Schorsch, wie geht’s dir? Wann kommst du endlich mal wieder nach Prag?“

Terezas Deutsch war fließend – ganz im Gegensatz zu seinem Tschechisch. So fuhr er fort: „Hallo, meine Liebe, ich hoffe, das klappt noch dieses Jahr. Aber deshalb rufe ich nicht an, ich habe in der Tat ein dienstliches Anliegen.“

„Ja, dann mal los, wie kann ich dir helfen?“

„Wir haben gestern in Nürnberg am Pulversee einen Toten in einem Wohnmobil gefunden, die Todesursache ist noch unklar. Aber wir haben im Fahrzeug eine tschechische Zulassung und einen tschechischen Reisepass sichergestellt. Nun hätte ich gerne von dir gewusst, wer diese Person in dem Reisepass ist und wer der Fahrzeughalter.“

„Habt ihr es schon über die Verbindungsbeamten in Waidhaus versucht?“

„Ja, Tereza, natürlich, gestern schon. Die kamen aber nicht weiter, da euer Abfragesystem abgestürzt war. So versuche ich es jetzt über dich. Vielleicht schaffst du es ja bis neun Uhr, noch etwas herauszufinden.“

„Neun Uhr, zur Lagebesprechung, was?“

„Ja, du erinnerst dich gut.“

Sie lachte und meinte: „Hast du die Daten vorliegen? Dann kannst du sie mir direkt durchgeben.“

Damit konnte er dienen: „Ich buchstabiere den Nachnamen S-E-D-L-A-C-E-K, Vorname Pawel, geboren am 03.07.1982 in Usti nad Labem.“

„Warte!“ Einige Augenblicke war nichts zu hören, dann meldete sie sich wieder: „Schorsch, ich habe einen Treffer: Der Mann ist kein Unbekannter bei der hiesigen Polizei: schwere Körperverletzung, Widerstand gegen Polizeibeamte und Raub. Auf ihn ist ein Wohnmobil von Hymer zugelassen, amtliches Kennzeichen UL 18-34, Farbe weiß.“

„Exakt, Tereza, in dem Reisemobil wurde unser Toter aufgefunden. Kann das womöglich euer Pawel Sedlacek sein? Ich schicke gleich ein offizielles Rechts- und Amtshilfeersuchen an euch. Wichtig wäre abzuklären, ob es sich bei unserem Opfer auch um den Halter des Fahrzeuges handelt.“

Wieder war es einige Momente ruhig am anderen Ende der Leitung. Er sah Tereza geradezu vor sich, wie sie mit ihren braunen Augen konzentriert auf den Bildschirm sah und nach Informationen über Sedlacek suchte. Dann sagte sie: „Schorsch, der Sedlacek kommt als Opfer für euer Verbrechen nicht infrage, der hat am 2. April dieses Jahres eine sechsmonatige Haftstrafe wegen Raubes in der Justizvollzugsanstalt Budweis angetreten. Ich werde dem gleich nachgehen, denn da stinkt was gewaltig an deinem Fall. Gemeldet war Sedlacek zuletzt in Rozvadov. Warte mal, mir liegt sogar ein Lichtbild von Sedlacek vor, er wurde 2006 erkennungsdienstlich behandelt. Ich maile dir die Daten und das Bild rüber, gib mir fünf Minuten, okay?“

„Tereza, herzlichen Dank, du bist ein Schatz! Ich schicke dir das Amtshilfeersuchen trotzdem, damit ich das Ergebnis auch in den Akten offiziell verwenden kann.“

„Mach das, Schorsch, brauchst du sonst noch etwas?“

„Das war schon enorm hilfreich, nochmals lieben Dank für die schnelle Hilfe. Ich melde mich wieder. Gleich ist schon die Lage, also, alles Liebe und Servus!“

Sie verabschiedete sich und legte auf.

Noch zehn Minuten bis neun. Schorsch blieb vor dem Bildschirm seines PC sitzen und wartete auf Terezas E-Mail. Endlich, sein Männerspielzeug zeigte genau 8.58 Uhr, dann kam die E-Mail aus Prag. Er klickte darauf, öffnete den Anhang, gab den Druckbefehl ein und wartete, bis sein Drucker die Dokumente ausgeworfen hatte.

Mit den Papieren in der Hand betrat er um kurz nach neun den Besprechungsraum.

Neben Schönbohm waren alle Kolleginnen und Kollegen des K11, ein Vertreter der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth sowie die Kollegen der SPUSI und der KTU anwesend.

Schönbohm hielt, wie jeden Montag, eine kurze Begrüßungsrede. Dann kam er gleich auf den Fall Pulversee zu sprechen. „Liebe Kollegen, ich darf Ihnen kurz Herrn Dr. Menzel vorstellen, falls ihn vielleicht noch nicht alle kennen. Herr Dr. Menzel ist Gruppenleiter bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth und wird als Anklagevertreter die Ermittlungen in diesem Fall übernehmen.“

Der Staatsanwalt übernahm: „Sehr geehrte Damen und Herren, mein Name ist Hans-Joachim Menzel, viele hier kennen mich bereits. Seit Jahren schätze ich die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem K11. Ich wurde heute Morgen informiert, dass gestern am Pulverseeparkplatz ein bis jetzt noch unbekannter Toter aufgefunden wurde, den Bericht der Rechtsmedizin erwarten wir für heute Nachmittag. Gemeinsam werden wir versuchen, den Fall aufzuklären.“

Schorsch kannte Menzel. Er galt als Hardliner unter den Anklagevertretern, ordnete schneller als andere U-Haft an. Seit 2004 war er Gruppenleiter, er führte nur noch gelegentlich eigenständige Ermittlungen durch.

Überregionale Berühmtheit hatte er als Anklagevertreter in einem grausigen Kindsmord im Sommer 2007 erlangt, da er diesen bundesweit in der Presse besprochenen Mord an dem kleinen Tobias innerhalb von zwei Wochen aufgeklärt hatte.

Eine Mutter hatte in der Fußgängerzone nach ihrem fünfjährigen Sohn gerufen, sie hatte den Jungen aus den Augen verloren. In den ersten Ermittlungen vermuteten Polizei und Staatsanwaltschaft, dass es sich um eine Kindsentführung handeln könne. Viele Zeugen wurden in der Fußgängerzone befragt, ob sie das Kind gesehen hatten. Doch keiner konnte Angaben über das Kind machen. Auch im Umfeld der Familie fand man keine Hinweise auf eine Entführung, in der Fußgängerzone verteilte Flugblätter brachten keine neuen Zeugen. Eine Befragung der Nachbarn der Eltern ergab, dass das Ehepaar das Kind vermutlich schlecht behandelte, öfters hätte man das Kind abends weinen gehört. Aus der Wohnung der Eltern sei oft Streit zu hören gewesen. Die Hinweise, dass die Eltern an dem Verschwinden ihres Kindes beteiligt sein könnten, verdichteten sich.

Dr. Menzel ordnete daraufhin eine Wohnraumüberwachung an. Mit richterlichem Beschluss wurde in der Wohnung der Eltern eine akustische Wohnraumüberwachung installiert. Dies geschah bei einer erneuten Befragung durch zwei Beamte, der eine beschäftigte die Eltern im Wohnzimmer mit seinen Fragen, während seine Kollegin unbemerkt die Wanzen installierte. Fast direkt, nachdem die Ermittler die Wohnung verlassen hatten, sprachen beide über ihren Sohn.

„Meinst du, die bekommen das mit, dass wir den Tobi weggebracht haben?", sagte die Mutter.

Daraufhin der Vater: „Also die können den nicht finden, ich habe den sauber zerlegt und verpackt, die Müllabfuhr und die Müllverbrennung werden den Rest für uns erledigen.“

Noch am gleichen Abend wurden beide festgenommen und am kommenden Tag dem Haftrichter vorgeführt. Die SPUSI konnte in der Wohnung der Beschuldigten noch Blutspuren des kleinen Tobias vorfinden. Bei der anschließenden Durchsuchung der Müllbunker in der städtischen Müllverbrennung konnten die Mitglieder einer Hundertschaft der Bereitschaftspolizei dann die Einzelteile des zerlegten Leichnams finden.

Der Vater, der am Nürnberger Schlachthof als Kopfschlächter arbeitete, gestand die Tat. Gemeinsam mit seiner Ehefrau habe er den kleinen Tobias mit einem Schlafmittel getötet, anschließend hätten sie das Kind in der Badewanne zerlegt, in Plastiktüten verpackt und in der Mülltonne entsorgt. Als Motiv gaben beide Elternteile an, dass sie mit der Erziehung überfordert gewesen wären und wieder unabhängig sein wollten. Das Landgericht Nürnberg-Fürth verurteilte das Ehepaar wegen gemeinschaftlichen Mordes zu 14 Jahren Haft. „Herr Schönbohm, fahren Sie bitte fort“, beendete Menzel seine Vorstellung.

Der Angesprochene sagte: „Kollegen, ich habe heute Morgen dem Polizeipräsidenten von unserem Toten vom Pulversee berichtet und die Einrichtung einer Mordkommission Pulversee erwirkt. Der Kollege Bachmeyer wird mit der Leitung der Ermittlungen betraut.“

Zufrieden nickte er Schönbohm zu. Er hatte Witterung aufgenommen wie ein alter Jagdhund. Horst, der neben Schorsch stand, tippte diesem mit der Hand auf den Arm: „Ich bin dabei“, flüsterte er ihm zu.

Und richtig, Schönbohm meinte: „Im Team sind Bachmeyer zugeteilt: Kriminalhauptkommissar Horst Meier. Kriminaloberkommissar Roland Löw.“

Schorsch nickte nun in Richtung des fast 1,90 Meter großen, durchtrainierten Mannes, dessen Zähne zu leuchten schienen, als er Schorsch grinsend ansah. Das Leuchten entstand durch den Kontrast der weißen Zähne zu seiner hellbraunen Haut, denn Rolands Vater war ein schwarzer US-Amerikaner, den seine deutsche Mutter als Dolmetscherin bei der amerikanischen Militärpolizei kennengelernt hatte. Nun war er wie sein Vater Polizeibeamter. Der allerdings führte inzwischen mit seiner Frau in Kalifornien zwei gut gehende bayrische Bierkeller. Roland, oder Blacky, wie alle ihn nannten, war ein echter Womanizer, vor allem junge Polizeianwärterinnen wickelte er gerne um den Finger.

Weiter ging es mit dem Einsatzteam: „Kriminaloberkommissarin Gunda Vizthum. Kriminaloberkommissarin Eva Flinn.“

Sehr gut, dachte Schorsch. Gunda hatte viele Jahre Erfahrung in grenzübergreifender Arbeit, sie war vor vier Jahren vom BKA gekommen, wo sie im Bereich Spionage und Waffenschmuggel gearbeitet hatte. Eva war noch jung, Mitte dreißig, immer freundlich und hilfsbereit und in ihrer Freizeit eine erfolgreiche Violinistin, die mit namhaften Orchestern auf der Bühne stand.

Schönbohm war noch nicht am Ende: „Basti Blum. Hubert Klein. Waltraud Becker. Noch Fragen zur Einteilung?“

Niemand hatte Fragen, alle wollten loslegen. Auch Schönbohm, der übergab: „Herr Bachmeyer wird Sie nun über den Stand der Dinge informieren!“

Endlich. Schönbohms pedantische Art konnte Schorsch mitunter in große Ungeduld versetzen. Er ging zur Schautafel, die mit Fotos vom Tatort, vom Toten und den vorgefundenen Beweismitteln bestückt war. Von dort blickte er in die Runde und nickte kurz zur Begrüßung. Dann sagte er: „Erst mal vielen Dank, Herr Schönbohm, für die Übertragung der Ermittlungen. Kommen wir gleich zur Sache. Gestern Morgen um 9.06 Uhr ging ein Notruf bei der Leitstelle ein. Am Parkplatz des Freibads Bayern 07 am Pulversee sei ein Reisemobil abgestellt, dessen Türe angelehnt war. Der Hinweisgeber, der seinen Wagen neben dem Hymer abstellte, fand das nach eigenen Angaben merkwürdig. Deshalb habe er sich dem Fahrzeug genähert und die Tür geöffnet. Im Inneren fand er eine männliche Person, circa 35 bis 40 Jahre alt, reglos am Boden liegend vor. Er rief die 110 an, und die daraufhin eintreffende Polizeistreife der Polizeiinspektion Nürnberg-Ost rief den Notarzt und den KDD. Der Notarzt konnte nur noch den Tod feststellen. Die Kolleginnen und Kollegen vom Kriminaldauerdienst haben die Personalien und die Aussage des Hinweisgebers aufgenommen. Der KDD hat ein Bereitschaftsteam zum Tatort beordert. Zugleich wurde der Leiter K11, Kriminaldirektor Schönbohm, vom KDD über den Sachverhalt informiert. Ich wurde vom Kollegen Meier angerufen und fuhr zum Tatort.“

Schorsch deutete auf die Lichtbilder an der Schautafel. „Hier der Fundort, ein Hymer. Tschechische Zulassung, Aufkleber des 1. FCN auf der Beifahrertür. Sonst am Fahrzeug nichts Auffälliges. Der Tote lag nur mit einer Hose und Schuhen bekleidet auf dem Fußboden des Campers, am nackten Oberkörper eine markante Tätowierung. Zudem hatte er einen Schlüssel in seinen Gürtel eingenäht“, er zeigte auf die Fotos des Tattoos und des Schlüssels an der Wand, „über die am Tatort vorgefundenen Fingerspuren liegt uns bis dato noch keine Auswertung vor. Ebenso wenig über die Identität des Toten. Im Fahrzeug des Toten wurde von der SPUSI eine Metallbox vorgefunden, die zwei verschiedene Reisepässe beinhaltete.“ Er zeigte auf die Fotos der Pässe, dann fragte er Robert als Leiter der SPUSI: „Kannst du dazu noch etwas sagen?“

Robert übernahm: „Wir haben bis gestern Abend das Fahrzeug gründlich untersucht und dabei die Metallbox unter dem Fahrersitz gefunden. In beiden Reisepässen wurde das Bild unseres Toten verwendet. Den Rest hat die KTU erledigt. Kollege?“ Robert sah den Kollegen Wasserburger von der KTU, seines Zeichens Fälschungsexperte, an. Wasserburger sagte: „Danke, Robert. Es ist schnell zu sehen, dass es sich um äußerst gut präparierte Reisedokumente handelt. Eine aussagekräftige Analyse der Fälschungen kann ich erst abgeben, wenn ich diese mit den Kollegen vom Bayrischen Landeskriminalamt ausgewertet habe. Aber das geht nicht von heute auf morgen, ich bitte daher um etwas Geduld.“

„Auch die in den Reisedokumenten angegebenen Namen konnten aufgrund des Sonntags noch nicht beim BKA ermittelt werden, das sollte heute erfolgen“, ergänzte Robert noch.

„Danke euch für eure Bemühungen“, übernahm Schorsch wieder und fuhr fort: „Heute Morgen konnte ich über eine tschechische Kollegin den Halter des Hymers ermitteln.“ Er referierte, was er von Tereza erfahren hatte. „Die tschechische Kollegin, übrigens Tereza Vaitkova, die einige von euch ja aus ihrer Zeit hier bei uns kennen, hat mir ein Bild von Sedlacek geschickt. Auch das beweist: Er ist nicht unser Toter. Liebe Kollegen, wir kommen nun zur ersten Aufgabenverteilung.

Wir benötigen als Erstes einen Aktenführer, Freiwillige vor.“ Blacky hob den Arm. „Gut. Dann die Presse, heute Morgen steht schon was im Express.“

Eva schaltete sich ein: „Ja, die Schlagzeile lautet Geheimnisvoller Mord am Pulversee. Unterzeile: Steckt organisierte Kriminalität aus Tschechien dahinter? Unsere Pressestelle hat schon bei mir angerufen, ich habe gesagt, dass ich nach der Lage mit Ihnen das weitere Vorgehen bespreche.“ Eva verstand sich gut mit der Pressesprecherin, meist hielt sie den Kontakt.

Deshalb meinte Schorsch: „Gut, Eva, mach das. Das übliche Prozedere: Pressemitteilung an die regionalen Tageszeitungen, Rundfunk, TV. Ein Lichtbild unseres Toten mit dem Tattoo sowie dem Mobil veröffentlichen.

---ENDE DER LESEPROBE---