Raptare...für ewig mein! - Roland Geisler - E-Book

Raptare...für ewig mein! E-Book

Roland Geisler

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Beschreibung

Im Frankenland verschwinden Kinder während der Coronapandemie spurlos. Die Nürnberger Mordkommission steht vor mehreren Rätseln. Wie hängen die verschiedenen Fälle zusammen? Was sind die Hintergründe des Geschehens? Nach und nach finden die Ermittler heraus: Es geht offenbar um Entführungen auf Bestellung. Nicht nur kinderlose Paare sind bereit, viel Geld zu zahlen … Schorsch und sein Team müssen schnell handeln, denn erste Kinderleichen tauchen auf. In Band VII der „Schorsch-Bachmeyer-Krimi-Reihe“ führt der Autor seine Leser abermals in Abgründe menschlichen Fehlverhaltens, denn ein Ableger der „QAnon-Bewegung“ scheint im Frankenland angekommen zu sein.

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

Epilog I

Epilog II

Danksagung

Glossar

Roland Geisler Raptare … für ewig mein!

Dieser Franken-Krimi ist ein Konstrukt aus Fiktion und realen, abgewandelten Kriminalfällen. Beides wird vom Autor in der Geschichte miteinander verwoben.

Alle Figuren sind frei erfunden, teilweise wurden sie über einen »Fake Name Generator« inspiriert. Manche zeitgeschichtlichen Personen sind real, allerdings gilt: Sofern diese Personen der Zeitgeschichte handeln oder denken wie Romanfiguren, ist auch dies ein Produkt der Autorenfantasie. Einige Handlungsorte sind fiktiv, andere wird der (orts-)kundige Leser wiedererkennen.

Die Location »Faberhof und das angrenzende Wildgehege« sowie Orte der öffentlichen Verwaltung sind existent, aber die Personen sowie deren Handlungen sind frei erfunden!

Der Autor möchte dem Leser eine Geschichte erzählen, die eine gewisse Authentizität beinhaltet. Deshalb muss dem Geschichtenerzähler erlaubt sein, zu sagen: Es ist zwar »nur« ein Roman, er beruht aber auf realen Informationsquellen über verschiedene Verbrechenstatbestände, die in Teilen und unabhängig voneinander tatsächlich so oder so ähnlich vorgefallen sind. So wird in der Geschichte explizit Bezug genommen auf Kindesentführungen zum Zwecke einer illegalen Adoption.

Manch taktischer und kriminalistischer Handlungsablauf dagegen könnte im wahren Leben genauso erfolgt sein wie in der Geschichte beschrieben.

Alle Informationen über polizeiliche und strafprozessuale Ermittlungshandlungen sind als »offen« einzustufen, das heißt, dass diese für die Öffentlichkeit frei zugänglich sind – z. B. BGBl. I, 2005, 3136. Alle diese Maßnahmen werden zudem im Internet durch verschiedene deutsche und ausländische Strafverfolgungsbehörden ausführlich beschrieben.

Roland Geisler

Dadord in Frangn

Band 7

Raptare … für ewig mein!

Ein Kriminalroman aus der Schorsch-Bachmeyer-Reihe

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Dadord in Frangn 2023 © by Roland Geisler

Veröffentlicht im Dadord-Frangn-Verlag, Roland Geisler, Josef-Bauer Str. 18, 90584 Allersberg.

Alle Rechte vorbehalten.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlegers und des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet oder vervielfältigt werden.

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München

Abbildungen: fcscafeine© istockphoto-1156644468

ALLVISIONN© istockphoto-1312993183

Jorm Sangsorn©istockphoto-1324038907

sowie Bildmaterial von Roland Geisler

Lektorat: krimi-lektorat.de Volker Maria Neumann, Köln

Druck: CPI books GmbH, Leck

Made in Germany

Erstausgabe 2023

ISBN 978-3-00-076390-8

1. Auflage

Man soll gegen niemanden Neid hegen. Die Guten verdienen ihn nicht, und die Bösen schädigen sich in demselben Grade, in dem ihre Pläne gelingen.

Epikur (um 341–270 v. Chr.)

Nichts ist dem genug, dem das Genügende zu wenig ist.

Epikur (um 341–270 v. Chr.)

»Lydia, mein Schatz … Once in your life, you find her, someone that turns your heart around.1 … Denn du bist mein Ruhepol, meine Seelenverwandte.«

 Christopher Cross – Arthur’s Theme↩

Prolog

Sonntag, 08. 03.2020, 16:00 Uhr, irgendwo im Frankenland

Auf der alten Eichenbank hatte schon so mancher Gast Platz genommen, sie stand am Rand der Wiese in der warmen Märzsonne und lud zum Verweilen ein. Eine Frau saß dort und hielt ihr Gesicht mit geschlossenen Augen in die Wärme. War der milde, schneearme Winter schon zu Ende? Es war der zweitwärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.

Die ersten Frühlingsboten machten sich hier in der Fränkischen Alb bemerkbar. Die wilden Krokusse blühten bereits, und vereinzelt hatten die Stare schon wieder zu ihren Nistplätzen zurückgefunden. Es war ein stiller Ort, die Bank auf dem Frauenberg. Die kleine Kapelle neben der Bank veranlasste nicht nur die Pilger, auf dem hier endenden Kreuzweg zu verharren und in der Stille ein Gebet zu sprechen, auch mancher Wanderer hatte hier schon vor einem Wolkenbruch Schutz gefunden.

Die Frau dachte über ihre letzten Wochen und Monate nach. Sie war den Weg des Bösen gegangen. Nun kam ihr ein Virus zu Hilfe, das die Welt heimgesucht hatte und von dem man nicht wusste, welches Verderben es über die Menschheit bringen würde. Sie erinnerte sich an den Katastrophen-Thriller Contagion1 aus dem Jahr 2011. Darin kämpften Matt Damon und Kate Winslet gegen ein Virus, verursacht von Fledermäusen, die nunmehr auch beim Coronavirus wieder mitspielen durften. Denn die deutschen Bezahlmedien, also der öffentlich-rechtliche Rundfunk, leisteten ganze Arbeit, und auch die privaten Sender mischten bei den Schreckensszenarien kräftig mit. Das machte viele Menschen depressiv und mürbe. Das war der Frau nur recht, es spielte ihrem Vorhaben in die Hände. Wenn sich die öffentliche Berichterstattung nur noch auf das Virus konzentrierte, erhöhten sich die Chancen, dass sie und ihre Komplizen unter dem Radar bleiben würden.

Seit Januar 2020 versetzten die eigens aus China gekauften Filmchen nicht nur die deutsche Bevölkerung in Angst und Schrecken. Der psychische Druck, einem tödlichen Virus ausgesetzt zu sein, der vor laufenden Kameras Menschen, die sich mit ihm infiziert hatten, tot umfallen ließ, war überall spürbar. Und niemand konnte dem, so schien es, bisher etwas entgegensetzen.

Allabendlich zeigte das Fernsehen deutsche Krematorien, in denen rund um die Uhr verstorbene Opfer beseitigt wurden. Was niemand sah: Die hohe Auslastung kam dadurch, dass Nachbarländer mit niedrigeren Einäscherungskosten keine Aufträge aus Deutschland mehr annahmen. Die Reportagen mit den vollen Krematorien sollten die Bürger nicht nur einschüchtern, sie waren gezielt darauf ausgelegt, den Menschen ihren Selbstwert zu nehmen, ihren Stolz anzugreifen und sie folgsam zu machen. Folgsam in der Pandemie. Das Ziel der Regierung war es, die Urängste im Menschen hervorzurufen, denn Angst gab ihr die Gewissheit, dass die angeordneten staatlichen Maßnahmen auch befolgt wurden.

Auf der einen Seite gab es die Verschwörungstheoretiker, die Aluhutträger, auch Schwurbler genannt, die man staatlicherseits der rechten Ecke zuordnete. Diese Protestler standen der Berichterstattung der Bezahlmedien sehr skeptisch gegenüber und riefen in den sozialen Medien zum Widerstand auf.

Die Mehrheit der Bevölkerung jedoch, welche dieser gezielt gesteuerten Angst- und Panikmache ausgesetzt war, schenkte der Berichterstattung uneingeschränkt Glauben. Zudem zeigte das Fernsehen schon fast apokalyptische Szenen aus anderen Ländern der Europäischen Union. Eine Endlosschleife, welche die Menschen, auch den sogenannten deutschen Michel, mürbe machte und in Schrecken versetzte.

Gewannen nun die Gegner der staatlichen Einschätzung der Pandemie, die gebetsmühlenartig auf ihren Demos und Spaziergängen das Virus und die notwendigen Maßnahmen in Abrede stellten und dadurch die Spaltung weiter forcierten, die Oberhand? Die Frau auf der Bank bezweifelte dies. Denn die Regierung setzte auf Vorsicht und Verständnis. Angst- und Panikmache veranlasste viele Menschen, den geforderten Eigenschutz besser einzuhalten und die Vorgaben der Regierenden und der Virologen zu befolgen. Diese predigten, dass die Pandemie nur so erfolgreich bekämpft werden könne.

War das so?

Die Frau grinste und blickte auf den Eingang der Kapelle, durch den schemenhaft die Umrisse der Mutter Gottes zu erkennen waren. Ihr sollte es recht sein, wenn die große Mehrheit der Menschen folgsam war. Denn so wurde die Maske – die Vermummung von Groß und Klein, von Alt und Jung – zum alltäglichen Gebrauchsgegenstand. Ihren teuflischen Plan machte das leichter, leichter als vor der Pandemie, als man achtsam hatte sein müssen, um nicht erkannt, gar identifiziert zu werden. Die verordnete Maskierung machte das um vieles schwerer.

Sie lächelte. Noch immer war ihr Blick auf den Eingangsbereich und die Umrisse der Mutter Gottes dahinter gerichtet. Eine ältere Frau betrat die Kapelle und kniete vor der Statue der heiligen Maria nieder. Sie faltete ihre mit einem schwarzen Rosenkranz umwickelten Hände und neigte andächtig ihr Haupt, doch sie verweilte nur kurz und verschwand aus der Kapelle in den nahen Wald, ohne die Frau auf der Bank anzusehen. Diese erhob sich von der alten Eichenbank und ging in die Kapelle. Dort kniete sie nun ihrerseits nieder und steckte rasch ein am Fuß der Madonna abgelegtes Kuvert in ihre Tasche. Eilig verließ sie Kapelle und den Frauenberg.

Drei Tage später

Die Frau aus der Kapelle saß im Spielparadies am Marienberg und beobachtete die spielenden Kinder. Es waren viele Kinder, im Alter von zwei bis circa zehn, blond oder dunkelhaarig, hier und da ein Rotschopf.

Kinder bis sechs Jahre waren von der Maskenpflicht befreit, was der stillen Beobachterin die Auswahl erleichterte. Sie wusste, welches Alter, Geschlecht und Aussehen ihr Auftraggeber erwartete. Heute war Mittwoch, der Tag, an dem Großeltern in Begleitung ihrer Enkel freien Eintritt hatten. Das Angebot wurde rege genutzt, und die Eis- und Popcornverkäufer freuten sich.

Es war kurz vor sechzehn Uhr, als sich der fünfjährige Marvin, zufrieden und satt nach drei Kugeln Schokoeis, von Opa Jochen und Oma Karin verabschiedete. Die beiden wollten ihm den letzten Wunsch für den Nachmittag erfüllen und ihn den Ausgang im geheimnisvollen Labyrinth allein finden lassen. Bevor sie es sich anders überlegen konnten, rannte der Fünfjährige begab zur Dschungelplattform, wo der Irrgarten aufgebaut war.

Der kleine Racker irrte schon knapp zehn Minuten im Urwald umher, als er von einer jungen Frau in einer Malteseruniform angesprochen wurde.

»Wer bist du denn? Du suchst mit Sicherheit den Ausgang. Kann ich dir helfen?« Sie lächelte ihn an.

Vertrauensvoll sah der kleine Junge auf die sich vor ihm niederkniende Frau. Zwar konnte er noch nicht lesen, aber das helle Kreuz auf Rot schien ihm Hilfe zu signalisieren.

»Ich habe mich verlaufen«, schniefte er leise.

»Soll ich dir zum Ausgang helfen?«

Der Junge überlegte. »Aber ich habe Oma und Opa gesagt, dass ich es allein schaffe.«

»Ich kenne einen geheimen Ausgang, und dann überraschst du die beiden, und ich werde nichts verraten.«

Erleichtert reichte Marvin ihr seine Hand.

»Schau mal, dort hinten in der dunklen Ecke, dort in der geheimnisvollen Grotte, wo eigentlich keiner den Ausgang vermutet, werden wir zu Oma und Opa nach draußen kommen.« Die junge Frau sah sich um. Es waren keine weiteren Kinder in der Nähe. Sie schob den kleinen Marvin in den dunklen Raum und hielt ihm mit den Worten: »Hier riech mal, wie gut der duftet«, einen kleinen Teddybären vor die Nase.

Noch ehe der kleine Bub von dem Plüschtier aufsehen konnte, wurde ihm schwummrig im Kopf. Er hatte keine Zeit mehr, sich darüber zu wundern, als die Betäubung durch das Chloroform einsetzte.

Die Rettungsassistentin öffnete den Reißverschluss eines Koffers, den sie hinter einer Regenwaldleinwand abgestellt hatte, und legte den betäubten Marvin in den roten Trolley, dessen Vorderfront mit einem reflektierenden Aufnäher Notfall-Medizin und dem Malteserkreuz versehen war. Der Junge fand eingerollt gerade Platz darin, und die Entführerin zog eilig den Reißverschluss zu.

So verließ sie das Labyrinth und lief geradewegs Marvins Großeltern in die Arme. Diese waren langsam beunruhigt und hatten beschlossen, ihrem Enkel hinterherzugehen. Die Uniform der Malteserin erschreckte die Großmutter, die deshalb die junge Frau im tiefsten Fränkisch fragte: »Allmächd, is dou wos basssierd?«

»Zum Glück nicht«, beruhigte die Malteserin, »ein Fehlalarm wie häufiger hier im Spielparadies.«

Die Großeltern wandten sich wieder dem Ausgang des Labyrinths zu, während die vorgebliche Helferin schnellen Schrittes Richtung Ausgang davoneilte.

Es war kurz nach achtzehn Uhr, als Marvins Eltern und Großeltern bei der Polizeiinspektion Nürnberg-Ost eintrafen und das spurlose Verschwinden des kleinen Marvin Lauterbach zur Anzeige brachten.

 https://www.rollingstone.de/matt-damon-contagion-corona-virus-1981009/↩

1. Kapitel

Samstag, 02. Mai 2020, 15:55 Uhr, Nürnberger Land, Kinderfürsorgehort Zur heiligen St. Brigitta, Am Hainbuchen-Wald, nahe 90530 Sperberslohe

Der kleine Marvin hatte sich gut in die Gruppe der »Kleinen Füchse« integriert. Die Traurigkeit über den Verlust seiner Eltern und Großeltern durch eine neuartige Virusinfektion ließ nach. Die schreckliche Geschichte, die ihm knapp sieben Wochen zuvor nach dem Aufwachen aus einem Dämmerschlaf erzählt worden war, erinnerte ihn an die Berichte, die er aus dem Fernsehen und den Diskussionen der Erwachsenen zu Hause kannte. Und auch seine Pfleger unterhielten sich über das tödliche Virus, dessen Ursprung in China liegen sollte.

Den Schmerz über den tragischen Tod seiner Familie hatte Marvin noch nicht verwunden, aber er war ruhiger damit geworden. Der Fürsorgehort war Teil der gemeinsamen Vermittlungsstelle der Stadt Nürnberg und des Landkreises Nürnberger Land, hierhin wurden Kinder gebracht, die zur Adoption freigegeben waren. Hier arbeiteten Psychologen, die ihr Handwerk im Umgang mit Vollwaisen verstanden. Ziel ihrer Arbeit war, dass die Kinder den Verlust der eigenen Eltern akzeptierten und bereit wurden für eine neue Familie.

Die psychotherapeutischen Anwendungen, insbesondere die Hypnotherapie, zeigten bei dem kleinen Marvin guten Erfolg. Seine körperlichen und seelischen Zustände hatte man durch Trance und Suggestionen1 unter Kontrolle gebracht. Seine Therapeutin führte Marvin zielgerichtet hin zu seinem zukünftigen Leben in einer neuen Familie. Dr. Adelheid Kohlhaas war dafür die Beste. Sie beherrschte ihr Handwerk, nutzte dazu Elemente aus dem Behaviorismus, der Tiefenpsychologie, dem Kognitivismus, der humanistischen Psychologie und der Psychobiologie.

Die Siebenundvierzigährige war diejenige, die darüber entschied, wann die Therapien hinreichend waren und der Zeitpunkt für eine reibungslose Vermittlung gekommen war. Diese wiederum oblag anderen behördlichen Entscheidungsträgern. Ein Sachbearbeiter der Adoptionsstelle hatte den zukünftigen Eltern von Marvin alle formalen Eignungskriterien bescheinigt, jemand aus dem Standesamt hatte die Papiere des Kindes erstellt.

Der Ring der Komplizen funktionierte reibungslos bei der Vermittlung der von ihnen entführten Kinder. Die neuen Papiere machten aus Marvin Lauterbach den zu vermittelnden Maurice Burghardt, ausgestattet mit wasserdichten Dokumenten.

Seine Eltern Nora und Arne Burghardt waren angeblich am Dreikönigstag dieses Jahres auf der BAB 6 nahe Kreuz Altdorf tödlich verunglückt. Der einzige Überlebende war der sechsjährige Maurice Burghardt, der nach kurzer Zeit im Krankenhaus zur Behandlung von Dr. Kohlhaas in den Kinderfürsorgehort gekommen war.

Montag, 04.05.2020, 09.34 Uhr, Landratsamt Nürnberger Land

Es war kurz nach halb neun, als Roderich Gutmanns Telefon klingelte, am Display erkannte er die bekannte Telefonnummer, er lächelte zufrieden und nahm das Gespräch an. Der adrette zweiundfünfzigjährige Sachgebietsleiter der Vermittlungsstelle des Landkreises Nürnberger Land war groß, sportlich engagiert, hatte graumelierte, kurze Haare, sein strahlender Teint, den Roderich auch in der Winterzeit ab und an mit einem Besuch im Sonnenstudio auffrischte, wirkte. Er fand in der Damenwelt Beachtung. Das wusste er zu nutzen, die Zahl seiner Eroberungen war hoch. Seine Neider nannten ihn hinter vorgehaltener Hand »George Clooney für Arme«.

Gutmann war politisch gut vernetzt, auch durch seine Hobbys, das Golfen und die hohe Kunst der Jagd, pflegte er Kontakte, die maßgeblich zu seinem Erfolg beitrugen. Wer ihm und seiner Geschäftsidee nützte, den umgarnte er, die anderen ließ er links liegen. Er lockte Mitarbeitende, deren Tätigkeit er zur Umsetzung seiner illegalen und menschenverachtenden Geschäftsidee brauchte, mit Geld. Nahmen sie es – und sie taten es alle, er suchte vorab sorgfältig aus –, drohte er mit Aufdeckung, sollten sie ihm je von der Stange gehen oder etwas ausplaudern.

Durch gegenseitige Schutz- und Gehorsamspflichten ging der Plan der Bande auf, ohne dass Verrat drohte. Mit ausgewählten Mitarbeitern hatten sie sich eine Behördenstruktur geschaffen, die es ihnen ermöglichte, viel Geld zu verdienen. Kinderlos gebliebene Eltern, deren Wunsch nach einem Sprössling größer war als ihre Bedenken, ein solches im Darknet auf einer Vermittlungsplattform zu finden, gab es ausreichend.

 Quelle »Hypnotherapie« Wikipedia↩

2. Kapitel

Dienstag, 04. August 2020, 10:00 Uhr, Polizeipräsidium Mittelfranken, EG, Raum 07, großer Besprechungssaal

Wie alle Behörden hatte auch die Nürnberger Polizei die Richtlinien der Coronapolitik für ihre Mitarbeitenden umzusetzen. Die dafür Verantwortlichen der Kriminalfachdezernate saßen bei ihrem wöchentlichen Briefing mit Abstand zusammen. Nachdem die Infektionszahlen des Robert-Koch-Instituts vorgetragen waren und über die Umsetzung der neuen Schutzmaßnahmen und deren Auswirkungen auf die jeweiligen Strafverfolgungsbehörden berichtet worden war, wurden Ermittlungsfälle besprochen. Unter den restriktiven Maßnahmen konnten in diesen Briefings Kommissariats-übergreifend Kollegen über Sach- und Verfahrensabläufe informiert werden. Es gab eine rege Diskussion zu den öffentlichen Verhaltenstipps für Bürgerinnen und Bürger bei häuslicher Gewalt, eine Diskussion, die die Arbeit der Polizei erschwerte, denn Täter konnten nun, isoliert in der Wohnung, wesentlich leichter von außen unbemerkt bleiben. Daran konnte man wenig ändern, auch daran, dass die Opfer, ebenfalls an die Wohnung gebunden, sich verstärkt scheuten, Gewalttaten anzuzeigen.

Nach einiger Zeit meldete sich Sabine Hofbeck von der Fachdienststelle für zentrale Dienste mit einem anderen Thema zu Wort. »Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir heute schon mal alle Fachdezernate zusammenhaben, weise ich auf einen Umstand hin, der den K11ern seit Monaten große Sorgen bereitet. Seit Beginn der Pandemie haben wir einen Anstieg von vermissten Kindern zu verzeichnen. Ob das einen Zusammenhang hat, ist nicht zu erkennen.«

Die Beamtin projizierte mit einem Knopfdruck die Vermisstentabelle auf die Leinwand an der Wand des Konferenzraumes. Diese Tabelle zeigte den Beamten einen nicht unerheblichen Anstieg von vermissten Kindern in Nürnberg und im ländlichen Umland.

Sabine Hofbeck deutete mit dem Laserpointer auf eine Kurve. »Hier haben wir ein Schaubild der letzten fünf Jahre vorliegen. Ihr seht, dass immer wieder, aber in geringer Zahl, Kinder als vermisst gemeldet werden. Meistens werden sie am gleichen Tag wieder aufgefunden. Einige haben bei Freunden die Zeit vergessen, andere verirren sich im Wald. Wenige fallen leider einem Sexualdelikt zum Opfer, manche werden vom Täter ermordet. Meistens werden die Opfer gefunden, und wir haben ein Spurenbild vorliegen. Dieses führt uns fast immer zum Täter.«

Schorsch Bachmeyer sah sich im Raum um. Er war es, der Sabine gebeten hatte, die Statistik zu präsentieren. Ihn beunruhigte der Teil, der nun in den Ausführungen folgen würde. Immerhin lauschten alle im Raum aufmerksam.

Die Kollegin fuhr fort: »Seit November 2019 sehen wir aber einen Anstieg der Zahl vermisster Kinder, die nicht wieder auftauchen. Hier handelt es sich offensichtlich um Kinder, die gezielt entführt oder verschleppt wurden. Ob wir es hierbei mit einem Einzeltäter zu tun haben, wissen wir nicht. Fakt ist, dass wir seit der Pandemie bei vermissten Kindern einen Anstieg von vierunddreißig Prozent zu verzeichnen haben. Obwohl seit Mitte März in Bayern alle Sport- und Spielplätze sowie Spielparadiese geschlossen sind, hat die Zahl der Vermissten nicht abgenommen.«

Gunda Vitzthum, die wie ihre Kollegen Schorsch Bachmeyer und Horst Meier vom K11 zuhörte, warf ein: »Gut, dass wir heute in solch einer großen Runde zusammensitzen. In der Tat, das wirft Fragen auf. Wir wissen, dass trotz der Schließungen Kinder beschäftigt werden wollen. Was macht man, wenn einem zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, die Nerven blank liegen und dann noch die Kinder quengeln? Man schickt sie raus, überlässt sie sich selbst. Die Folge hierbei ist eine Verlagerung der herkömmlichen Spielplätze. Sei es im Winter ein zugefrorener Weiher zum Schlittschuhlaufen, sei es eine Rodelbahn im verschneiten Wald, weit weg von der Aufsicht der Erwachsenen. Oder im Rest des Jahres eine alte Sandgrube, wo man sich mit Freunden zum Fußballspielen trifft. Ein Waldrand, der zum Versteckspiel aufruft, oder ein kleiner Bach im Wald, den man mit Freunden aufstaut. Ich sehe bei fast jedem Spaziergang, dass die Kinder heutzutage solche Ausweichmöglichkeiten für ihre Freizeitgestaltung wählen. Dort findet sich niemand vom Ordnungsamt, der belehrende Worte predigt, dort sind keine Flatterbänder oder Verbotsschilder aufgestellt. Ich bin überzeugt, dass dies den oder die Täter magisch anzieht. Das ist unser erster Ansatz. Die Maske hilft den Tätern, unerkannt zu bleiben. Haben Triebtäter vor der Pandemie auf Spiel- und Sportstätten oder in den gewerblichen Spielparadiesen ihre Opferklientel in Augenschein genommen, den passenden Moment abgewartet und dann ihre Tat umgesetzt, passiert das jetzt dort, wo die Kinder keiner Beobachtung unterliegen.«

Schorsch warf ein: »Ich kann deinen Ausführungen nur beipflichten. Die Spiel- und Sportplätze sind leer. Und die Einhaltung solcher Absperrungen werden regelmäßig von den Ordnungsämtern überprüft. Daher treffen sich die Kinder an Orten, die wenig oder gar nicht kontrolliert werden. Dort, wo eine exakte Personenbeschreibung aufgrund der Maske ins Leere läuft, wie Gunda anführte. Nur ein Beispiel, vor Kurzem waren Rosanne und ich mal wieder zum Wanderausflug in der Schwarzachklamm, was meint ihr, wie viele Kinder wir dort zum Spielen angetroffen haben? Manche erkundeten die Gustav-Adolf-Höhle, andere wiederum kletterten an den Sandsteinfelsen, wieder andere spielten Fangerlenz und Versteckerlenz.« Im Raum kannten alle Rosanne, Schorschs langjährige Lebensgefährtin.

Michael Wasserburger, Leiter K33 – Kriminaltechnik –, ergänzte: »Hast du nervige Kids, die gelangweilt zum x-ten Mal ihre Videospiele am häuslichen Fernseher aufrufen, bist du um jede Minute froh, die diese sich heimlich mit Freunden verabreden und du für einige Zeit Ruhe findest. Da wird auch nicht nachgefragt, wohin die Kids gehen, Hauptsache, die sind weg und nerven nicht. Der Umstand, dass in dieser Coronazeit mehr Kinder verschwinden, beunruhigt mich sehr. Meint ihr vielleicht, dass häusliche Gewalt in dieser Pandemie solche Ausmaße annimmt, dass Eltern zu Tätern werden, also ihr eigen Fleisch und Blut beseitigen?« Michaels Blick ging durch die Runde, bevor er abschließend fragte: »Oder wo sind sonst die Kinder abgeblieben?«

Sabine antwortete: »Es gibt Einzelfälle, in denen überforderte Eltern vor Gewalt gegenüber ihren Kindern nicht zurückschrecken. Aber das geht normalerweise nicht bis zum Tötungsdelikt.«

Gunda ergänzte: »Es gibt in der Tat Eltern, die in dieser Coronakrise durchdrehen. In den letzten sechs Monaten hatten wir allein in Nürnberg drei Kindesmisshandlungen mit Todesfolge. In Johannis hatten wir einen Vater, der sein vierjähriges Kind wegen unaufhörlichen Schreiens so durchschüttelte, dass es zu massiven Verletzungen im Hals- und Kopfbereich kam. Das Kind verstarb, wurde obduziert, und die massiven Verletzungen deuteten darauf hin, dass die Todesursache auf die Misshandlungen durch den Vater zurückzuführen war. Der Beschuldigte war geständig, räumte den Vorfall bei seiner Einvernahme ein. Er gab an, dass er zu diesem Zeitpunkt damit überfordert gewesen sei, in seiner kleinen Wohnung regelrecht eingesperrt zu sein, mit seiner Frau und weiteren zwei Kindern. Auch habe ihn die Vorstellung, als Brotverdiener in dieser schweren Zeit durch eine Erkrankung auszufallen, gar zu sterben, nicht mehr für seine Familie sorgen zu können, in Angst und Schrecken versetzt. Allerdings wurde in diesem wie in den anderen Fällen nicht versucht, die Leiche des Kindes verschwinden zu lassen und es als vermisst zu melden.« Gunda holte einmal tief Luft, dann fuhr sie fort: »Meine Meinung: Die bewusst gesteuerten Angstzustände der staatlichen Medien führten im vorliegenden Fall zu dieser schrecklichen Kurzschlussreaktion. Ein anderer Fall zeigt uns wiederum auf, zu welcher Grausamkeit Eltern fähig werden, wenn sie in der Pandemie ihre Arbeitsstelle verlieren. Man sollte meinen, dass hier der Staat einspringt, den Betroffenen finanziell unter die Arme greift. Pfeifferdeckel. In dieser Zeit läuft vieles schief. So auch bei einem Ehepaar aus Worzeldorf. Beide verloren ihren Job und wurden vor zwei Monaten arbeitslos. Sie konnten den Kredit für das Reihenhaus nicht mehr bezahlen. In einer verheerenden Kurzschlussreaktion vergifteten sie erst ihre Kinder und dann sich selbst. Ich habe den Abschiedsbrief gelesen – die gebetsmühlenartig in den Medien wiedergegebene Angst- und Panikmache hat sie gebrochen. Es ist nicht mehr so, wie es früher war, die Welt dreht sich anders, schneller und mit Angst und Panik versehen. Das fängt bei den hochbetagten Senioren an, die völlig isoliert von der Außenwelt eingesperrt ihr Leben fristen, und endet bei den Kindern, die in eine Welt hineinkatapultiert wurden, in der Freunde, Sport, Spiel und Unterhaltung gänzlich fehlen. Und genau diese Thematik führt dazu, dass sich Kinder entweder zurückziehen oder eben mit Freunden oder auch allein draußen neue Spiel- und Unterhaltungsmöglichkeiten suchen, die in der heutigen Zeit nicht ungefährlich sind und so manchen Triebtäter aus dem stillen Kämmerlein locken. Was hat man denn in dieser Zeit schon zu verlieren, wie lange dreht sich diese Welt denn noch? Nach dem Motto: Ich will jetzt das erleben, was mir vielleicht schon bald verwehrt bleibt. Nach der Devise: Vielleicht das Verbotene jetzt erleben und nicht mehr abwarten, was auf mich in den kommenden Tagen und Monaten zukommt.« Gunda blickte nachdenklich in die Runde und ergänzte: »Meine Ausführungen bringen unser Kommissariat bei den vermissten Kindern auch nicht weiter, aber ich wollte mit meinen Beispielen nur den veränderten Hintergrund benennen, vor dem auch unsere aktuellen Fälle zu sehen sind. Die Welt ist eine andere geworden.«

Schorsch nickte Gunda kurz zu. Er verstand die hilflose Verzweiflung, die in den Worten der Kollegin mitschwang. »Das Schlimme im Fall der vermissten Kinder ist, dass wir bisher keinen Anhaltspunkt haben. Also auch keinen auf Sexualdelikte. Möglicherweise ist der Hintergrund ein ganz anderer, auch das dürfen wir nicht ausschließen.«

Auch Sabine hatte Gunda aufmerksam zugehört. »Wenn man sich das alles mal genau anschaut, dann scheinen noch andere Optionen möglich. Da halte ich nicht einmal mehr eine illegale Versuchsreihe mit Kindern für gänzlich abwegig, die den anstehenden Impfstoff für uns testen.«

Wasserburger schmunzelte kopfschüttelnd und strich sich über sein Kinn. »Etwas weit hergeholt, liebe Kollegin, ist QAnon1 denn schon so aktiv bei uns? Kennt ihr das? Das ist eine aus den USA importierte Verschwörungstheorie, die behauptet, eine einflussreiche, weltweit agierende, satanistische Elite entführe Kinder, halte sie gefangen, foltere und ermorde sie, um aus ihrem Blut ein Verjüngungsserum zu gewinnen.« Wasserburger kratzte sich nun am Kinn und schüttelte erneut nachdenklich seinen Kopf.

Horst warf ein: »Ist es also nicht abwegig, dass Kinder entführt und für etwas benutzt werden? Wie du sagst, gibt es vielleicht zwischenzeitlich ja auch bei uns solche QAnon-Befürworter, die sich in ihren Wahnvorstellungen so etwas wie in den USA ausdenken und verbrecherisch umsetzen. Davor warnen auch unsere Verfassungsschutzbehörden. Das beste Beispiel war doch unser Ermittlungsverfahren in der sogenannten Schwarzen Szene. Ihr erinnert euch an diesen Club Sadoso in Muggenhof, mit dem Einsatz des niederländischen verdeckten Ermittlers Bram van Veen? Die hatten auch Kinder für ihre Zwecke sexuell missbraucht. Und was spricht dagegen, dass genau in der Pandemie in dieser Szene vermehrt auf Kinder zugegriffen wird? Diese Teufelsanbeter mussten sich auch von ihren üblichen Locations zurückziehen, treffen sich verbotenerweise heimlich und leben weiter ihre kranken Fantasien mit unschuldigen Kindern aus. Vielleicht auch mit denen bei uns vermissten Kindern.«

Schorsch warf ein: »Wir stecken in einer Sackgasse, was diesem blöden Virus geschuldet bleibt. Seit Wochen ist auch unsere Staatsschutzabteilung mit den vermissten Kindern betraut. Die ursprüngliche Schwarze Szene, die wir in den vergangenen Jahren auf dem Schirm hatten, musste ihre Locations wie den Club Sadoso, den Horst gerade erwähnte, aufgeben. Diese Clubs sind aus dem öffentlichen Leben, dem öffentlichen Raum verschwunden. Nur wohin? Seit dem Ausrufen des Katastrophenfalls hat sich diese Community mit Sicherheit nicht aufgelöst. Die agieren, genauso wie unsere Kinder und Jugendlichen, an Orten, die von der öffentlichen Hand nicht oder nur sehr schwer zu kontrollieren sind. Also im Verborgenen. Die Ordnungsämter und Strafverfolger wurden durch diese Krise in eine Ausweglosigkeit manövriert. Wie gesagt, diese Community hat sich sicherlich nicht aufgelöst. Sie lebt ihre krankhaften Fantasien nur an anderen, mitunter geheimen Orten aus. Und das Verschwörungspotenzial wird dadurch keineswegs gemildert, bestes Beispiel hierfür ist die QAnon-Bewegung in den USA. Die agieren im Verborgenen, treffen geheime Absprachen, und ihre Versammlungsorte sind so ausgewählt, dass nur ein erlauchter Kreis Kenntnis davon hat. So die derzeitigen Erkenntnisse des FBI. Verdeckte Ermittler dort einzuschleusen, wie einst Bram van Veen, ist in dieser Pandemiezeit unmöglich geworden. Diese Community hat ein neues Terrain gefunden, wo man unentdeckt seine Fantasien an Schutzbefohlenen ausleben kann. Weit weg von den Fängen der Strafverfolger. Und, Leute, es macht mürbe, wenn du als Ermittler in eine Zwangslage gelenkt wurdest und seit Monaten nicht weiterkommst.

 Quelle Wikipedia Mai 2020.↩

3. Kapitel

Sonntag, 16. August 2020, 15:00 Uhr, Basaltsee Tintenfass am Farnsberg, 97792 Riedenberg, Bergseestraße

Alle Freibäder in Bayern waren geschlossen. Wer in der Sommerhitze schwimmen wollte, dem blieben abgelegene Badeseen oder versteckte Weiher. An den Basaltsee am Farnsberg kamen vor der Pandemie nur wenige Einheimische. Jetzt aber war der Parkplatz in der Nähe der geschlossenen Gaststätte Berghaus Rhön voller Autos. Eine Ecke des Sees hatten Anhänger des textilfreien Badens belegt. Sie ignorierten das absolute Badeverbot ebenso wie die jungen Familien auf der anderen Seite des Gewässers. Kontrollen der Ordnungsämter oder der Polizei waren wegen der abgelegenen Lage kaum zu befürchten. Das Tintenfass wurde so in der Coronazeit ein Tummelplatz für die Kinder derjenigen, die es mit den Abstandsregeln nicht so genau nahmen. Hier konnten die Eltern »Bronze« machen, sich den täglich in Funk und Fernsehen gebetsmühlenartig propagierten Coronaauflagen entziehen und ihren Sprösslingen wieder ein Gefühl von Freiheit vermitteln. Hier war man abgeschieden unter Gleichgesinnten. Der Naturspielplatz am Berghaus Rhön entpuppte sich als Spielparadies.

Auch für den kleinen Vladimir Welker, der sich von seinen Eltern zum Spielen mit anderen Kindern verabschiedete. Es war halb vier am Nachmittag, als der fünfjährige Vladimir von einer hübschen jungen Frau nahe einer Kletterwand angesprochen wurde. Ihr Outfit, ein königsblaues T-Shirt mit einem Edelweiß-Aufnäher mit der Aufschrift Bergwacht, ließ ihn vermuten, dass die Frau eine Autorität war.

»Na, du kleiner Klettermaxe, hier an der Kletterwand kann man sich wenigstens mal austoben, was? Warst du denn schon einmal hier bei uns? Ich kenne dich nicht, woher kommst du denn?«

Vladimir vertraute der Frau, die ihn freundlich anlächelte, sofort: »Nix darf man in dieser Zeit, alles ist verboten, sagen mein Papa und meine Mama. Deshalb haben wir heute Morgen unsere Sachen gepackt und sind hierhergefahren. Papa meint, dass man hier seine Ruhe vor den ganzen Verboten hat.«

»Da haben deine Eltern gar nicht so unrecht, aber die kleine Kletterwand ist doch nur etwas für Babys. Soll ich dir mal eine bessere zeigen?«

Neugierig und erwartungsvoll blickte der Bub sein Gegenüber aus seinen mandelbraunen Augen an. Seine Freunde hatten sich vor einigen Minuten verabschiedet, ihre Eltern wollten zurückfahren, und nun drohte es ihm langweilig zu werden. »Echt, es gibt noch eine größere? Da bin ich aber gespannt.«

»Es ist gleich um die Ecke, komm mal mit.«

Sie nahm Vladimirs Hand und führte ihn zum Parkplatz des Berghaus Rhön. Ein weiß-rotes Flatterband, das zirka dreißig Meter vor der Gaststätte den Besuchern den Zuweg versperrte, sollte zeigen, dass hier derzeit keine Gastronomie stattfand. Zudem sollte es verhindern, dass Besucher des Basaltsees sich an diesem Ort aufhielten. Ein weißes Kunststoffschild im Zufahrtsbereich der Hütte, auf dem auch das Abzeichen der Bergwacht prangte, zeigte den Erholungssuchenden, dass hier die Gastronomie eingestellt worden war.

Coronabedingt bleibt das »Berghaus Rhön« bis auf Weiteres geschlossen – wir bitten um Ihr Verständnis. Bei Notfällen erreichen Sie die Bergwacht weiterhin unter nachfolgender Telefonnummer: 09749-9307721

Bleiben Sie gesund, Ihre

Vladimir Welkers Begleiterin blieb hinter dem Schild stehen und hielt dem Jungen mit den Worten: »Deine Nase läuft ja, komm her und schnäuze dich mal«, ein Taschentuch vor die Nase. Sofort wurde ihm dämmrig, denn das mit Chloroform getränkte Taschentuch brachte ihm in Sekundenschnelle einen tiefen Schlaf.

Kurze Zeit später verließ ein dunkelgrüner SUV, dessen Frontscheibe mit einem Bergwacht-Sticker versehen war, bergabwärts den Zufahrtsweg zum Berghaus.

Eine Stunde später

Die ängstlichen Rufe von Irina und Eugen Welker, die ihren Sohn nirgends entdecken konnten, verhallten im Nichts. Der kleine Vladimir war unauffindbar. Keiner der noch anwesenden Bade- und Seebesucher schien sein Verschwinden bemerkt zu haben. Der Bub blieb auch nach Eintreffen der alarmierten Bergwacht, welche mit einer Hundestaffel das umliegende Gelände des Berghauses absuchte, unauffindbar.

4. Kapitel

Mittwoch, 19. August 2020, Nürnberger Land, Kinderfürsorgehort Zur heiligen St. Brigitta, Am Hainbuchen-Wald, nahe 90530 Sperberslohe

Es war gegen einundzwanzig Uhr, die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, als der Bub nach drei Tagen langsam wieder aus seinem tiefen Schlaf erwachte. Noch sichtlich benommen sah er sich im Raum um und merkte, dass man ihn auf einem Bett fixiert hatte. Er lag in einem Zimmer von knapp zwanzig Quadratmetern, das schlicht eingerichtet war. Neben seinem Bett stand ein Nachttischkästchen. Die Nachttischlampe war ausgeschaltet. Drei Lichterspots erhellten den Raum, sie waren auf jeweils ein Bild an der Wand gerichtet. Die Bilder zeigten dem Jungen eine surreale Welt. Das Bild vor ihm zeigte

fliegende Wale, die einen Fjord überflogen und dabei von einer Person auf einem Boot beobachtet wurden.

Das rechte Bild zeigte eine geöffnete Türe im Nirgendwo, ein Mann schien seine Tagträume in den hereinschwebenden Wolken auszuleben.

Das Bild links von Vladimir zeigte ein Mädchen vor einer großen Türe ebenfalls im Nirgendwo, wo sich fliegende Schmetterlinge in ihren Flugkünsten maßen.

Vladimirs Blick wanderte im Raum umher, während eine leise Musik- und Klangfolge in seine Ohren drang. Es war Musik zum Abbau von Stress und negativen Emotionen, die auf die Psyche des Buben wirken sollte. Ein Zusammenspiel von Tiefenentspannung und wohldurchdachter Hypnotherapie sollte damit den Jungen auf sein künftiges Leben vorbereiten. Dies war der Anfang seiner Umerziehung. Er sollte bereit gemacht werden für ein neues Leben, für das Interessenten viel Geld bezahlen würden.

Ein Leben in einer anderen Welt, in der es keinen Vladimir mehr geben würde, lag vor ihm. Es gab kein Zurück mehr für den Jungen.

5. Kapitel

Dienstag, 17. November 2020, Praxis für Psychotherapie und Hypnotherapie, Am Rübenacker 17, 90602 Pyrbaum, OT Pruppach

Irina Welker war mit ihren Kräften am Ende. Seit drei Monaten wurde ihr Sohn vermisst, und die Polizei hatte nicht eine Spur von ihm. Das düstere Wetter passte zu ihrer Verzweiflung. Mit ihrem Mann stritt sie häufig, beide machten sich Vorwürfe, dass sie nicht genug auf ihren Sohn geachtet hatten an jenem Tag am Basaltsee. Wäre nicht ihre Hoffnung, dass Vladimir wieder auftauchen könnte und der Albtraum ein Ende fände, Irina Welker würde den vielen folgen, die in diesen Tagen, verstärkt durch die anhaltenden Einschränkungen wegen Corona, den Weg auf die Bahngleise suchten.

Wie ein Hinweis war ihr der Flyer erschienen, der in der wöchentlichen Werbewurfsendung zwischen den Prospekten eines Discounters und eines Baumarktes gesteckt hatte. Freie Plätze bei einem Psychotherapeuten, die waren rar. Diese Therapeutin hier hatte sogar eine Referenz vom Jugendamt. Der Flyer machte einen sehr guten Eindruck. Dort würde sie sicher gut aufgehoben sein mit ihren Sorgen und den quälenden Vorwürfen, die sie sich ebenso wie ihr Mann immer wieder machte.

Wenn ihnen jemand dabei helfen konnte, über diesen Schicksalsschlag hinwegzukommen, dann sollte das jemand sein, der die besten Referenzen vorweisen konnte. Jemand wie die Therapeutin, die in dem seriösen Reklamezettel beschrieben wurde.

Irina Welker rief noch am selben Tag in der Praxis an – und bekam einen Therapieplatz.

Dr. Adelheid Kohlhaas war Spezialistin in Hypnotherapie. Die Mutter des entführten und von ihr selbst behandelten Vladimir zu behandeln, war für sie ein besonderes Glück. Geschickt manipulierte sie Mutter und Sohn, selbstverständlich ohne dass die Mutter etwas davon ahnte. Wer wäre auch auf eine solche Idee gekommen? Sie war sogar dankbar, dass Dr. Kohlhaas ihr half, sich weniger Vorwürfe zu machen, ihre Trauer teilweise zu überwinden und keine Gedanken mehr an Suizid zu hegen.

Für die Gehirnwäsche des Jungen wiederum waren der Therapeutin die Aussagen der Mutter sehr hilfreich. Ihr Ziel aber war in diesem Fall, das Kind von seiner Mutter zu entfremden, damit es deren angeblichen Tod akzeptierte und bereit wurde für seine neuen, gut zahlenden Eltern. So wurde die ahnungslose Irina Welker zum Werkzeug von Dr. Kohlhaas. Zu einer Schachfigur, die man für eine Zweckgemeinschaft gezielt manipulieren konnte.

Schachmatt.

6. Kapitel

Montag, 07. Dezember 2020, 13.32 Uhr, Frankencenter, Glogauer Str. 30–38, 90473 Nürnberg

Es war kurz nach halb zwei, als die Pharmareferentin Bea Medicus, eine adrette Mittdreißigerin, und ihr korpulenter Lebensgefährte, Balthasar Rexroth, Außendienstmitarbeiter einer bekannten fränkischen Brauerei, die Einkaufspassage erreichten. Ihr heutiger Auftrag war klar definiert, man hatte zwei Bestellungen vorliegen, eine davon war äußerst lukrativ. Die Auftraggeber, ein kinderloses Unternehmerehepaar aus Dresden, waren bereit, für die Beschaffung von männlichen Zwillingen eine sechsstellige Summe zu bezahlen.

Der andere Auftraggeber, ein amerikanischer Privatier, der sich in Oberfranken niedergelassen hatte, war auf der Suche nach einem blonden Mädchen im Alter von drei bis fünf Jahren, vorzugsweise mit blau-grünen Augen und langen Haaren. Für diesen zielgerichteten Auftrag hatte der amerikanische Geschäftspartner fünfundzwanzigtausend Euro ausgelobt.

Wie in allen Einkaufspassagen waren aufgrund der Coronaregeln die Einkaufswege vorgegeben und durch farbliche Markierungen am Boden bestimmt. Es dauerte fast zwei Stunden, bis das Paar eine Mutter mit einem Doppelkinderwagen ins Visier nehmen konnte. Das aber war ein Volltreffer! Die Mutter war Lena Lachhäuser, eine junge Mutter Mitte zwanzig. Sie nutzte wie jeden Montag ihren freien Tag, um ihre Einkäufe zu erledigen.

Bea und Balthasar erkannten, dass sie das große Los gezogen hatten, denn in dem doppelbreiten Beemoo Kinderwagen erkannten sie zwei Buben, beide in einer blauen Jeans und einen braun-grün karierten Winterparka gekleidet, mit weißen Winterstiefeln, ihre blauen Zipfelmützen rundeten ihr gleiches Aussehen ab. Es waren Zwillinge, die genau dem Anforderungsprofil ihres Dresdner Auftraggebers entsprachen.

Es war kurz nach vierzehn Uhr, als die Mutter vor dem Wäschefachgeschäft Hunkemöller stand und feststellen musste, dass sie aufgrund der engen Stellage und der Vielzahl der unterschiedlichen Reizwäsche den Kinderwagen nicht mit in das Wäschegeschäft nehmen konnte. Lena Lachhäuser entschloss sich, den Kinderwagen in Sichtweite außerhalb des Ladengeschäfts abzustellen. Von jetzt an waren die Zwillinge unbeaufsichtigt, und es dauerte nicht lange, bis die Mutter von einer freundlich lächelnden Frau mit Pagenkopf angesprochen und in ein Gespräch verwickelt wurde. Dass die Mutter sich so schnell ablenken ließ, sagte dem Pärchen, dass sie ihren Auftrag hier umsetzen und damit den Jackpot für sich einheimsen konnten. Lena Lachhäuser war im Kaufrausch. Während sie in der Kabine eine Corsage anprobierte, funkte Bea ihren Partner mit einem ausgestreckten Daumen an. Der hatte sich zwischenzeitlich, scheinbar auf einem Handy daddelnd, neben den Zwillingen positioniert.

Der Daumen war für ihn das ausgemachte Zeichen, dass der Zeitpunkt gekommen war, die Entführung der Zwillinge gefahrlos vorzunehmen.

Kurze Zeit später sah man eine verzweifelte Mutter, die laut schreiend durch die Einkaufspassage torkelte und unentwegt die Namen Pascal und Marten rief.

Vergebens!

Viele der anwesenden Besucher ignorierten ihre Hilferufe und forderten sie zugleich auf, die Coronaregelungen einzuhalten und ihre heruntergezogene Maske wieder aufzusetzen.

Es war viertel nach drei, als eine Polizeistreife der Polizeiinspektion Nürnberg-Süd das Frankencenter erreichte.

Lena Lachhäuser, die inzwischen von zwei ebenfalls herbeigerufenen Notfallsanitätern betreut wurde, saß apathisch auf einem Stuhl und fixierte mit starrem Blick den Platz, wo sie ihre beiden Buben zuletzt gesehen hatte.

Um 17:33 Uhr wurde Lena Lachhäuser in Begleitung ihres Mannes im Polizeipräsidium Mittelfranken von Gunda und Horst zum Tathergang einvernommen. Die beiden waren alte Hasen in der Kommission K11. Die wiederum war zuständig für Mord, aber auch für Vermisstenfälle, hinter denen ein Mord stehen könnte. Lena Lachhäuser, der man ein Beruhigungsmittel gespritzt hatte, konnte sich nur vage an die Frau erinnern, die sie bei Hunkemöller angesprochen hatte. Es sei eine nette Frau gewesen, mit Pagenkopf, das Gesicht verhüllt, die mit ihr noch vergebens nach ihren Kindern gesucht hatte, bevor sie im Besucherstrom auf Nimmerwiedersehen verschwunden sei.

Mehr hatten die Ermittler nicht. Sie wussten nicht, wer sich hinter dieser netten und hilfsbereiten Frau verbarg. Oder ob ihre Hilfsbereitschaft nur vorgetäuscht war. Hatte sie etwas mit den Entführungen der letzten Monate zu tun? War das eine erste Spur? Oder war es nur eine nette Kundin, die in dieser schweren Zeit das Gespräch zu einer Gleichgesinnten suchte, die sich das Shoppen in der Pandemie auch nicht gänzlich vermiesen lassen wollte?

Die Zeit der Gesichtsverhüllungen ließ die Ermittler an ihre Grenzen stoßen. Hinzu kam, dass sie keine Videoaufzeichnungen hatten, die ihnen einen Ansatzpunkt für die Aufklärung dieses Verbrechens hätten liefern können.

Schorsch war frustriert. Diese Pandemievorschriften machten es sogar Kindesentführern leicht!

7. Kapitel

Montag, 21. Dezember 2020, 19:00 Uhr, Nürnberger Land, nahe Kinderfürsorgehort Zur heiligen St. Brigitta, Am Hainbuchen-Wald, nahe 90530 Sperberslohe

Es war klein, fein, und die hohen Tannen rund um das alte Sandsteingemäuer gaben dem Gebäude einen geheimnisvollen Anstrich. Das ehemalige Forsthaus war in den Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts erbaut worden, auch die Nadelbäume stammten aus dieser Zeit. Für Roderich Gutmann war es das perfekte Domizil. Hier konnte er nicht nur seiner Jagdleidenschaft freien Lauf lassen, das im Jahr 2015 aufwendig renovierte Gebäude war zudem ein abgelegener Übergabeort für diejenigen, deren kriminelle Machenschaften im Verborgenen bleiben sollten. Ein Ort, der jedem die Sicherheit gab, bei Geschäften unentdeckt zu bleiben. Hier konnten die Kunden in Ruhe die Ware begutachten, entscheiden, ob die bestellte Kreatur die Eigenschaften aufwies, die man erwartet hatte. Roderich Gutmann ging clever vor und hatte das Gebäude auf seinen Vater eintragen lassen, um die Eigentumsrechte zu verschleiern. Gotthilf Gutmann, ein pensionierter Beamter, hatte sich nach dem Tod seiner Ehefrau in einer Seniorenresidenz in Bad Windsheim eingekauft. Dort besaß er ein Dreizimmerapartment, das in unmittelbarer Nähe zur Franken-Therme lag.

Die Nachttemperaturen sollten auf minus vier Grad fallen, die nasskalten Tagestemperaturen und der Schneefall vom Wochenende ließen Nebel über den Waldboden steigen. Dieser verbarg den Zugangsweg zum alten Jagdhaus.

Roderich Gutmann und Dr. Kohlhaas saßen mit dem Jungen im Kaminzimmer. Den alten Kamin hatten sie bereits zwei Stunden zuvor angefeuert. Sein Knistern wurde untermalt von weihnachtlicher Musik, die aus einem Lautsprecher schallte. Das Kind spielte vor dem Kamin auf einem Teppich mit Bauklötzen. Die wohlige Wärme und die einfühlsamen Worte seiner Psychologin zeigten bei dem kleinen Vladimir Wirkung, das schreckliche Schicksal seiner Eltern hatte der Junge bereits weitgehend verdrängt. Neue Wege würden sich für ihn auftun, versprach ihm seine Betreuerin, der er vertraute, weil sie immer bei ihm gewesen war, weil es ihm an nichts gemangelt hatte, weder an Nahrung oder Essen noch an Zuwendung. Sie versprach ihm nun einen Weg in eine neue, eine bessere Welt. Zwar verstand Vladimir nicht ihr Zitat von Epikur von der »leidenschaftslosen Ruhe der Seele«, doch eine Welt, frei von Schmerz und Angst, eine Welt der Glückseligkeit, dafür war er gerne bereit, einen neuen Namen anzunehmen.

Die Türglocke unterbrach die weihnachtliche Ruhe mit einem tiefen Ding-Ding, der erwartete Besuch war eingetroffen.

Es war viertel nach sieben, als Roderich mit seinen Gästen das weihnachtlich geschmückte Kaminzimmer betrat. Gespannt blickten seine Begleiter auf den Jungen, der sich nach kurzem Aufblicken beim Klingeln nun wieder seinen Spielfiguren widmete.

Eine junge Frau kniete sich neben ihn und sah ihn aus hellen Augen freundlich an. »Kleiner Mann, bald kommt der Weihnachtsmann – und er hat mir schon was für dich mitgegeben.« Sie hielt Vladimir ein Weihnachtspaket hin, das mit einer grünen Schleife dekoriert war.

Vladimir blickte kurz zu Adelheid Kohlhaas, die ihm aufmunternd zulächelte und nickte. Dann nahm er mit einem freudigen Lächeln das Päckchen und bedankte sich.

---ENDE DER LESEPROBE---