Defrustare...verschollen - Roland Geisler - E-Book

Defrustare...verschollen E-Book

Roland Geisler

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Beschreibung

Katholische Kleriker verschwinden spurlos im idyllischen Frankenland! Sind die Vermissten Opfer von Gewaltverbrechen geworden? Die Nürnberger Mordkommission tappt im Dunkeln, die Priester bleiben unauffindbar. Kriminalkommissar Schorsch Bachmeyer und sein Team bekommen ein Video zugespielt, auf dem einer der Vermissten, offensichtlich in Gefangenschaft, ein schreckliches Geständnis ablegt. Hatten die verschollenen Priester eine dunkle Vergangenheit? Waren sie Angehörige der Bruderschaft „Conlegium Canisius“, einem verschworenen Zirkel, dessen Mitglieder hinter den heiligen Mauern der katholischen Kirche seit Jahrzehnten Kinder missbrauchten. Darauf weist auch das sogenannte „Westphal-Gutachten“ einer renommierten Anwaltskanzlei hin. Eine Spur führt die Ermittler nach Innsbruck, denn auch in Österreich sind Priester abgängig. Liegen hier die Ursprünge der abscheulichen Verbrechen, welche von den Kirchenoberen seit Jahren vehement in Abrede gestellt wurden? Erst als der Mossad-Agent Ben Löb seinem Freund Schorsch, geheimdienstliche Quellen offenbart, kommt Licht in den undurchsichtigen Fall. Ein neues Tribunal gegen einen mutmaßlichen Kinderschänder steht kurz vor der Umsetzung. Für Schorsch Bachmeyer und sein Team beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit … In diesem tagesaktuellen Fall führt der Autor seine Leser tief in die Abgründe menschlichen Fehlverhaltens. Man bekommt Einblicke in Schandtaten, die seit Jahrhunderten hinter den dicken Mauern der katholischen Kirche begangen werden. Das Westphal-Gutachten und andere Berichte bringen den Umfang langsam ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Zu Band VI "Defrustare...verschollen" »Es ist Ihnen nun schon zum 6. Mal gelungen, den Leser in seinen Bann zu ziehen, was dazu führt dass er die Lektüre nur schwer unterbrechen mag. Eine Mischung von wahrem Hintergrund mit harter Brutalität, realitätsbezogenen Ermittlungsmethoden, die erkennen lassen, dass der Autor Fachmann ist und eine Portion dichterische Freiheit lassen den Leser in eine Spannung versinken, die ihn die Realität für den Augenblick vergessen lässt. Ich gratuliere Ihnen zu dem gelungenen Werk« Dr. Walter Kimmel, Generalstaatsanwalt Nürnberg

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Dieser Franken-Krimi ist ein Konstrukt aus Fiktion und realen, abgewandelten Kriminalfällen. Beides wird vom Autor in der Geschichte miteinander verwoben.

Alle Figuren sind frei erfunden, teilweise wurden sie von einem „Fake Name Generator“ inspiriert. Manche zeitgeschichtlichen Personen sind real, allerdings gilt: Sofern diese Personen der Zeitgeschichte handeln oder denken wie Romanfiguren, ist auch dies ein Produkt der Autorenfantasie. Einige Handlungsorte sind fiktiv, andere wird der ein oder andere Leser wiedererkennen.

Der Autor möchte dem Leser eine Geschichte erzählen, die eine gewisse Authentizität beinhaltet. Deshalb muss dem Geschichtenerzähler erlaubt sein zu sagen: Es ist zwar „nur“ ein Roman, er beruht aber auf realen Informationsquellen über verschiedene Verbrechenstatbestände, die in Teilen und unabhängig voneinander tatsächlich so oder so ähnlich vorgefallen sind. So wird in der Geschichte explizit Bezug genommen auf die beschriebenen Misshandlungen von Kindern und Schutzbefohlenen durch Verantwortliche der katholischen Kirche, welche im nachfolgenden Gutachten der Kanzlei Westpfahl - Spilker - Wastl aufgeführt sind.

Manch taktischer und kriminalistischer Handlungsablauf dagegen könnte im wahren Leben genau so erfolgt sein wie in der Geschichte beschrieben.

 

Alle Informationen über polizeiliche und strafprozessuale Ermittlungshandlungen sind als „offen“ einzustufen; das heißt, dass diese für die Öffentlichkeit frei zugänglich sind – z. B. BGBl. I, 2005, 3136. Alle diese Maßnahmen werden zudem im Internet durch verschiedene deutsche und ausländische Strafverfolgungsbehörden ausführlich beschrieben.

Roland Geisler

Dadord in Frangn

Band 6

Defrustare…verschollen

Ein Kriminalromanaus der Schorsch-Bachmeyer-Reihe

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Dadord in Frangn 2021 © by Roland GeislerVeröffentlicht im Dadord-Frangn-Verlag, Roland Geisler, Josef-Bauer Str. 18, 90584 Allersberg.Alle Rechte vorbehalten.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlegers und des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet oder vervielfältigt werden.Umschlaggestaltung: Guter Punkt, MünchenAbbildungen: Bild mit Gesicht: © knape / istock

Bild mit Mann und Händen: © sidneybernstei/istock

Sowie Bildmaterial von Roland GeislerLektorat: krimi-lektorat.de Volker Maria Neumann, Köln

Korrektorat: Nicola Härms, Rheinbach

Druck: CPI books GmbH, LeckMade in GermanyErstausgabe 2021ISBN 978-3-00-070202-01. Auflage

Ich fühle mich nicht alt, weil ich so viele Jahre hinter mir habe, sondern weil nur noch so wenige vor mir liegen.

– Epikur –

Der Liebe zu begegnen, ohne sie zu suchen, ist der einzige Weg, sie zu finden.

1

 

Prolog

Samstag, 10.  Februar 2018, 16.22 Uhr,Faberwald Nürnberger Land, nahe der Grenze zum Moosbüffelland

Es war kurz vor 16.30 Uhr, als er das Waldstück erreichte. Der Februar hatte genauso begonnen, wie der Januar geendet hatte: nasskalt und düster. Der Waldboden zeigte vereinzelt Spuren von Schnee, das war selten in diesem eher regnerischen Winter. Die durch das Sturmtief „Friederike“ hinterlassenen Schäden zu Beginn des Jahres machten den Förstern noch schwer zu schaffen.

Seit Wochen wurden im Faberwald die umgeknickten Bäume durch die zuständigen Waldarbeiter entsorgt und weiterverarbeitet, denn die bayerischen Wälder und Flussauen waren durch das Sturmtief stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Waldschäden waren enorm. Was nicht in der Holzwirtschaft weiterverarbeitet und keiner sinnvollen Verwertung mehr zugeführt werden konnte, dafür waren die Lohnhäcksler zuständig. Ein Job, bei dem minutengenau abgerechnet wurde und die Stunde, je nach Holzart, zwischen hundertzwanzig und zweihundertvierzig Euro zu Buche schlug.

Heute jedoch hatte man mit denen, die den Häcksler zum Rotieren brachten, keinen Preis vereinbart, denn heute stand ein Versprechen im Raum. Der Auftraggeber bekam die Gewissheit, dass die Arbeit so sorgfältig durchgeführt wurde, dass die Nachwelt keinerlei Kenntnis von diesem speziellen Auftrag erlangen würde. Die Nachwelt sollte das Ergebnis unter der Rubrik „Verschollen“ einordnen. Denn die 612 Pferdestärken des rotierenden „Albach Silvator 2000“ würden ganze Arbeit leisten.

Der Delinquent würde mit den bereits vorher gehäckselten sieben Schüttraummetern Holz vermengt werden. Seine letzte Ruhestätte sollte er nur für wenige Tage auf einem der drei großen, dampfenden Hackschnitzelhaufen innehaben, bevor Rabenvögel und sonstiges Raubwild den letzten Rest seines zerstückelten und bis dahin verwesten Körpers rückstandslos entsorgt haben würden.

Es war kurz vor dreiviertel fünf, die Dämmerung setzte bereits ein, die tief hängenden Regen- und Gewitterwolken wurden von vereinzelten Böen westwärts getrieben, und am Waldboden machten sich die ersten Spuren des Bodennebels bemerkbar. Es sah aus wie ein mystischer Todeshauch, der sich langsam über die Waldlichtung legte.

Ein großer Mann im Regenmantel, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, betätigte den grünen Starterknopf des Albach-Krans und führte die vier Greifzangen über den mit Kabelbindern und Mundknebel fixierten Mann, den man vorher auf drei Fichtenstämmen festgezurrt hatte. Mit starrem Blick in den Himmel hielt dieser einen Rosenkranz umklammert, er zitterte wie Espenlaub, und man ahnte bei seinem Anblick, dass er sich in Todesangst winden würde, wären die Fesseln nicht so eng geschnürt.

Der Maschinenführer blickte auf zwei weitere Männer in dunklen Regencapes, die sich unweit der tödlichen Mission platziert hatten und das Schauspiel gespannt mitverfolgten.

Die am Boden liegende Person betrachtete jede Bewegung des noch baumelnden Greifarms, der sich langsam, aber unaufhörlich seiner nächsten Aufgabe widmete. Es war ein knackendes und dumpfes Geräusch zu hören, das die nebelbehaftete Waldlichtung durchdrang, als die Greifzangen das abgelegte Bündel umklammerten und den Körper des vom Tribunal zum Tode verurteilten Triebtäters mit den hölzernen Baumstämmen hochhoben und Sekunden später auf dem Förderband des Häckslers ablegten. Das Todesband setzte sich in Richtung der rotierenden Schneidwerkzeuge in Bewegung, als Augenblicke später die ratternden Messer den ersten Fichtenstamm in den Silvator 2000 zogen und fast gleichzeitig dessen Hackschnitzel in den bereitgestellten Hänger flogen. Der mutmaßliche Verbrecher hatte dabei seine Augen weit aufgerissen, als plötzlich das höllische Geräusch der tödlichen Klingen nur noch wenige Zentimeter von seiner Fußsohle entfernt verstummte.

Stille kehrte ein, als ein Scheinwerfer auf das Haupt des Kinderschänders gerichtet wurde und eine in eine Kutte gekleidete Person an ihn herantrat. Mit festem Griff zog er ihm den Knebel aus der Mundhöhle, streckte seinen rechten Zeigefinger vor den zu Froschaugen mutierten Blick seines Opfers und fragte in leisem, aber bestimmtem Tonfall:

 

„Hör noch ein Mal, ein letztes Mal genau zu: Wer steckt hinter der Bruderschaft Conlegium Canisius?“

1. Kapitel

Samstag, 18. Mai 2019, 19.13 Uhr, irgendwo im Nürnberger Land

Es war kurz nach 19.00 Uhr, die heilige Messe war gerade beendet, als Benedikt Fromm, ein untersetzter Mittfünfziger mit sichtbarer Neigung zu Übergewicht, seine Sakristei betrat. Auf den alten Holztisch, der unweit seines antiken Kleiderschranks stand, hatte die Mesnerin bereits die Kollekte der heutigen Messe zum Zählen abgelegt. Heute, in der vierten Osterwoche des liturgischen Kalenders, hatte der Priester sein rotes Gewand angelegt. In seiner Predigt und in seiner ersten Lesung sprach er zur Gemeinde über die Offenbarung des Johannes, über das Tier vom Land: „Hier ist die Weisheit. Wer Verstand hat, berechnet den Zahlenwert des Tieres. Denn es ist die Zahl eines Menschennamens; seine Zahl ist 666.“ Die Rede war vom Teufel selbst.

Auch Benedikt Fromm war nicht gefeit gegen das Böse. In all den Jahren seiner Priesterschaft hatte er ein teuflisches Geheimnis gehütet. Ein Geheimnis, von dem nur er wusste, dass er dieses am Jüngsten Tag vor seinem Herrn würde rechtfertigen müssen.

Die Mesnerin hatte bereits das Kirchengebäude verlassen, als die Tür zur Sakristei geöffnet wurde. Pfarrer Fromm, der gerade dabei war, sein kirchliches Gewand abzulegen, erschrak, als er von zwei schwarz gekleideten Personen überwältigt wurde. Es ging blitzschnell. Einer der beiden legte dem Pfarrer einen Mundknebel an, der andere fixierte den Geistlichen am Boden. Fromm hatte keine Chance, sich zu wehren, sich in irgendeiner Form zu artikulieren, denn das mit Chloroform getränkte Büschel, das man ihm auf das Gesicht presste, wirkte sehr schnell – und der Geistliche verlor das Bewusstsein.

 

… eine Stunde später

 

Als Fromm wieder zu sich kam, stellte er fest, dass man ihm ein weißes Totenhemd über seinen nackten Körper gezogen hatte und er auf einem Rollstuhl fixiert war. Er befand sich in einem kleinen Raum von etwa zwanzig Quadratmetern, in dessen Mitte ein alter, großer Holztisch stand, der gut und gerne vier Meter lang und zwei Meter breit war. Man hatte Fromm an die linke Seite des Tisches geschoben. Gegenüber von ihm standen drei antike Holzstühle. Zwei davon hatten ihr Rückenteil mit dunkelgrünem Leder überzogen. Ihre Armlehnen wiesen zudem alte Holzschnitzereien und Drechselarbeiten auf. Der mittlere Stuhl war nicht mit Leder bezogen. Dieser Hochlehnstuhl zeigte etwas ganz Besonderes. Sein Rückenteil war mit blauem Samtstoff überzogen, in dessen Mitte mit weißen Fäden eine Waage und unterhalb dieser Waage ein roter Schlüssel eingewebt waren.

Vor jeden Stuhl war eine Petroleumlampe platziert, deren Flammen den schlicht ausgestatteten Raum erhellten. Der Kleriker sah sich um und bemerkte vor sich, in der Mitte des großen Tisches, ein silbernes Standkreuz mit dem Gekreuzigten. Neben diesem sakralen Gegenstand lagen ein verschlossener, schwarzer Umschlag und ein viereckiger, schwarzer Würfel, der mit Stoff bespannt war. Im Hintergrund der drei antiken Stühle war die Zimmerwand mit purpurfarbenem Stoff bespannt. Links von Fromm stand ein altes Eichenvertiko, auf der rechten Seite eine Waschkommode aus vergangener Zeit, die ebenso wie das Vertiko aus der Zeit des Historismus stammte und neben einer Keramikwaschschüssel das dazugehörige Wassergefäß aufwies. Rechts von dieser Wasserkaraffe lagen drei zusammengelegte Handtücher und ein Stück Seife. Hinter dem Geistlichen, direkt neben der Holztüre, stand ein alter Kanonenofen, der wohlige Wärme ausstrahlte und dem fast nackten Pfarrer Wärme spendete. Der ganze Raum vermittelte Fromm den Eindruck, als ob hier eine Anhörung stattfinden würde. Ein Tribunal, dessen Richter sich Zeit nahmen und ihre Hände in Unschuld wuschen, wie einst Pontius Pilatus, als dieser über Gottes Sohn gerichtet hatte. Denn sie hatten ihn, den Geistlichen, gegen seinen Willen hierhergebracht.

Trotz seiner misslichen Lage übertrug sich die Ruhe, die der Raum ausstrahlte, auf Fromm. Außer dem Knistern des Kaminofens war es still. Totenstill, so erschien es dem Gefangenen. War es die Ruhe vor dem Sturm? Der Geistliche dachte nach, warum man ihn hierhergebracht hatte. Wieso hatte man ihn betäubt und mit dem Totenhemd bekleidet auf einem Rollstuhl fixiert? Wo befand er sich, wohin hatte man ihn gebracht? Fromm wurde nun doch unruhig, und die Furcht wuchs. Er konnte die Gefahr, die von diesem Raum für ihn ausging, nicht einschätzen. Weshalb hatte man ihn entführt? Alleine im Angesicht des Gekreuzigten und der drei Öllampen, hatte er die Befürchtung, dass ihn seine Vergangenheit hierhergebracht hatte. Eine Vergangenheit, die Fromm aus seinem Gedächtnis zu verdrängen versucht hatte, was ihm aber niemals vollständig gelungen war. Das Wissen, dass er in seiner Zeit als Geistlicher Unheil über junge Menschen gebracht hatte, holte ihn in diesem Gefängnis ein, so stand zu befürchten. Es war diese gottverdammte Sucht gewesen, dieser Zwang, seine sexuellen Fantasien an unschuldigen Kindern auszuleben, seine Schutzbefohlenen dafür zu benutzen, sie zu schänden und dabei zu züchtigen, sie gefügig zu machen. Seine Erinnerungen holten ihn blitzartig und überwältigend ein. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und bahnten sich langsam, aber stetig ihren Weg zum Hals des Geistlichen. Fromm drehte seinen Kopf nach links und rechts und versuchte dabei, die Schweißperlen mit seiner Schulter abzufangen, als ihn plötzlich eine männliche Stimme ins Hier und Jetzt zurückholte.

„Antworten Sie nur, wenn Sie gefragt werden, und überlegen Sie Ihre Antworten genau. Haben Sie mich verstanden?“

Der Priester sah sich um und versuchte herauszufinden, woher die Stimme kam. Sein Blick fiel auf den schwarzen Würfel, der neben dem silbernen Standkreuz lag. Es war ein Lautsprecher, und aus ihm kam die Stimme.

„Ja, ich habe verstanden“, antwortete Fromm.

„Sind Sie Benedikt Fromm, der Pfarrer, der sein Theologiestudium in Innsbruck absolviert hat?“, klang es aus dem Lautsprecher.

„Ja, der bin ich, mein Name ist Benedikt Fromm“, antwortete der Kleriker.

„Dann sind Sie richtig hier, wir haben einige Zeit gebraucht, um Sie ausfindig zu machen. Wissen Sie, warum Sie hier sind?“, erklang es aus dem Lautsprecher.

„Nein! Bitte sagen Sie es mir, ich möchte erfahren, warum Sie mich hier gefangen halten“, antwortete Fromm.

„Ein kleiner Hinweis, um Ihnen auf die Sprünge zu helfen, sei Ihnen gegönnt. Seit wann sind Sie Mitglied im Conlegium Canisius?“

Benedikt Fromm blickte stoisch auf den Würfellautsprecher und verharrte einen Augenblick still. Seine Augen funkelten im Schein der Petroleumleuchten. Es war so, als ob ihm die Frage nach dieser Bruderschaft einen Weg offenbart hätte. Er stöhnte, denn es war ein steiniger Weg, voller Schmach, Angst und bitterer Wahrheit. Wenn er diesen Weg betrat, das wusste er, würde er ihn beschreiten bis zum bitteren Ende.

„Nochmals meine Frage: Sind Sie Mitglied im Conlegium Canisius?“

Der Befragte rutschte aufgeregt mit seinem Hintern auf dem Rollstuhl hin und her, soweit dies seine fixierten Arme und Beine zuließen.

„Beantworten Sie die Frage!“

Fromms Nervosität war offensichtlich, weitere Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, flossen zu seiner Halspartie und nässten die Knopfleiste seines Totenhemds ein.

Er fasste seinen Entschluss. „Warum soll ich hier und jetzt leugnen, wenn Ihnen die Bruderschaft bekannt ist? Ja, ich gehöre diesem Conlegium Canisius an. Und ja, ich weiß, dass ich große Schuld auf mich geladen, Unrecht getan habe in all meinen Jahren als Priester. Ich werde daher meine Schuld nicht leugnen und bin geständig. Wir, meine Brüder und ich, haben uns unter dem Schutzmantel der Kirche an Kindern und Schutzbefohlenen vergangen. Dieses Schuldeingeständnis offenbart Unverzeihliches, und ich werde, sollte ich vor meinen Herren treten, diese Schuld nicht in Abrede stellen, sondern wie auch hier und jetzt ihn um Vergebung bitten.“

„Wie lange gehörten Sie dieser Bruderschaft an, und an wie vielen Kindern haben Sie sich in dieser Zeit vergangen?“

Der Priester antwortete: „Bereits während meines Studiums in Innsbruck wurde ich auf die Bruderschaft Canisius aufmerksam. Es war ein kleiner, erlauchter Zirkel von Priestern, die hinter vorgehaltener Hand von Jünglingen, von Knaben, aber auch von kleinen Mädchen sprachen, damals an der Uni in Innsbruck, in unmittelbarer Nähe des Campus an der Universitätsstraße. Es waren meist ausgewählte Ministranten, die uns in der Ausbildung, also während des Studiums, anvertraut wurden. Und ich füge hinzu, dass wir das Vertrauen dieser Schäflein dazu ausnutzten, unsere sexuellen Fantasien an diesen Geschöpfen auszuleben, sie dazu zu benutzen. Ja, ich bekenne mich schuldig.“ Der Geständige schwieg erschöpft. Ihm war bang zumute, was würden seine Kerkermeister mit ihm machen?

Nach kurzer Zeit erklang es aus dem Lautsprecher: „Was genau haben Sie mit diesen Kindern gemacht? Wie oft, in welchem Zeitraum, haben Sie sich an diesen Kreaturen Gottes vergangen? Wurden diese dabei von Ihnen gezüchtigt? Wurde diesen Geschöpfen Gewalt angetan? Wenn ja, wie sah diese aus, gab es hierbei Grenzen?“

Der Kleriker antwortete mit zittriger Stimme: „Nein, es gab keine Grenzen. Die Kinder, egal ob es Mädchen oder Jungen waren, wurden sehr wohl von uns gezüchtigt. Ihnen wurde großes Leid angetan. Es waren nicht nur Vergewaltigungen, die die Kinder über sich ergehen lassen mussten, nein, ihnen wurde bei besonderen Sexsessionen regelrecht der Teufel ausgetrieben. Man sagte den Kindern, dass sie vom Teufel besessen seien und nur durch diese Handlungen wieder auf den rechten Weg geführt werden könnten. Durch diesen Vorwand wurden sie folgsam, aus Angst vor der Hölle. Dann erlebten sie die Hölle auf Erden. Ja, so war es, und ich möchte nichts beschönigen, für diese teilweise abartigen Vorgänge wurde das Wort Exorzismus, missbraucht. Viele von unserer Bruderschaft sind diesem Weg gefolgt. Einem Weg, den man als Geistlicher nicht gehen darf. Ein Weg, der zu allen christlichen Werten in Widerspruch steht.

Unsere christliche Lehre, die im Wesentlichen von der Barmherzigkeit, der Aufrichtigkeit, der Rechtfertigung und Versöhnung gegenüber unseren Mitmenschen geprägt ist, haben wir nach Ablegung des Zölibats mit Füßen getreten. Wir taten dies mit einer Hingabe, die nicht zu entschuldigen ist. Auch nicht am Jüngsten Tag.“ Sein Geständnis brachte ihm nur im Augenblick der Beichte Erleichterung. Nach dem letzten Satz legte sich die Last seiner Schuld mit aller Wucht erneut auf seine Schultern.

„Haben Sie nicht etwas vergessen? Unsere Frage wurde nicht vollständig beantwortet“, krächzte es aus dem Würfel.

„Ich kann nur für mich reden und bin geständig, während meiner Zeit habe ich mich in all den Jahren an mehreren Kindern vergangen. Zum Beispiel in meiner Sakristei, bei verschiedenen anderen kirchlichen Anlässen, wie bei Exerzitien und Jugendseminaren von Ministranten. Ich kann nicht mehr sagen, wo überall und wie oft dies passiert ist. Ob alleine oder bei Zusammenkünften mit der Bruderschaft, es war eine abscheuliche Gier, die in uns herrschte und unser Zusammensein mit diesen jungen Geschöpfen mit der Zeit immer stärker prägte. Man kann davon nicht ablassen, man ist gefangen von der Sucht. Und ja, ich muss eingestehen, es gibt auch Kinder, die diese Prozeduren nicht überlebt haben.“

Die Stimme aus dem Würfel ertönte erneut. „Sie haben uns nun einiges aus Ihrer Vergangenheit erzählt, daher möchten wir weitere Einblicke in die Bruderschaft gewinnen. Wer führt dort die Zügel, und wie viele in Ihrer Diözese, aber auch Verantwortliche in anderen Diözesen haben sich an diesen Verbrechen in all den Jahren mitschuldig gemacht? Ich möchte jetzt und heute von Ihnen, Pfarrer Fromm, erfahren: Wer führt die Zügel in dieser Bruderschaft?“

Der Kleriker hatte seinen Blick auf das Standkreuz gerichtet, hielt inne und schwieg, bis er nach kurzer Zeit entgegnete: „Etwas sagt mir, dass ich nicht umsonst dieses Totengewand trage. Sie haben mich ausgewählt, um an jene zu kommen, die dieses Netzwerk in der katholischen Kirche steuern und dafür verantwortlich sind. Diese Leute sollen nach Ihren Vorgaben zur Rechenschaft gezogen werden. Ich möchte und will es daher auch nicht beschönigen, dass ich in meiner gegenwärtigen Situation Abbitte leisten möchte. Mir ist bewusst, dass dies hier und heute meine letzten Stunden sein werden, sonst säße ich nicht hier. Gleichwohl kann ich Ihnen keine Hintermänner offenbaren, weil wir alle ein Gelübde abgelegt haben. Einen Schwur, den keiner in der Bruderschaft brechen wird. Würde die Öffentlichkeit mit dem geheimen Netzwerk des Conlegium Canisius konfrontiert werden, so würde dies in der christlichen Welt einen Aufschrei geben, denn Gott schenkt nach unserer katholischen Lehre den Menschen ihr Heil durch die Sakramente. Diese sieben Säulen – Taufe, Firmung, Eucharistie, das Bußsakrament, die Krankensalbung sowie das Weihe- und Ehesakrament – würden wie ein Kartenhaus zusammenfallen, die Menschen würden sich abkehren von ihrem Glauben und von der katholischen Kirche. Weltweit. Daher werde ich dieses Geheimnis, diesen Schwur der Bruderschaft, mit dorthin nehmen, wo ich einst gerichtet werde, wo ich vor den Barmherzigen treten werde, denn nur er alleine kann mir diese schwere Sünde abnehmen.“

„Dann soll es so geschehen, im Namen des Herrn des allmächtigen Gottes, der am Jüngsten Tage richten wird über die Lebenden und die Toten“, erklang die Stimme aus dem Lautsprecher.

Benedikt Fromm vernahm mit starrem Blick die letzten Worte aus dem Lautsprecher. Es war mucksmäuschenstill im Raum, als kurze Zeit später wie durch eine fremde Hand die drei Lichtquellen im Raum langsam erloschen. Die Finsternis war undurchdringlich, und der Priester sprach in die Dunkelheit: „Lassen Sie mich bitte noch ein letztes, mein letztes Gebet sprechen.“

Sekunden später begann es zu läuten, es war das Glockengeläut einer Todesglocke, die Pfarrer Benedikt Fromm in all den Jahren bei seinen Trauergottesdiensten begleitet hatte. Hier und jetzt schlug sie für ihn. Der Priester bemerkte aufgrund des Läutens nicht, dass sich ihm jemand von hinten näherte. Er spürte lediglich einen feuchten, kalten Wattebausch, der ihm Sekunden später erneut das Bewusstsein nahm und ihn narkotisierte.

Es war kurz vor Mitternacht, der Himmel war klar, und Sterne erhellten das Firmament. Das Himmelsgewölbe schien ihm wie eine Trenn- oder Verbindungsschicht der irdischen Welt zu höheren Mächten, als Benedikt Fromm hinaufblickte. Er lag mit Kabelbindern gefesselt auf dem Förderband des Häckslers. Fromm hatte sein Bewusstsein wiedererlangt und hielt fest umschlossen einen Rosenkranz in seinen gefalteten Händen. Schweißperlen der Angst wurden zu einem Sturzbach über seinen Körper, sein Darm entleerte sich in Todesangst. In nur wenigen Augenblicken würden die rotierenden Schneidwerkzeuge des Albach Silvator das irdische Leben, die letzten Atemzüge des Kinderschänders, beenden. Es nahte der Zeitpunkt, an dem Benedikt Fromm vor seinen Schöpfer treten würde.

2. Kapitel

 

Montag, 20.Mai 2019, 09.50 Uhr, PP Mittelfranken, K 11

Die wöchentliche Lagebesprechung der K 11er war beendet, als sich Schorsch Bachmeyer und Horst Meier auf den Weg in ihr gemeinsames Büro machten. Dort stellten sie ihre zweiten Humpen Kaffee auf die Schreibtische und begannen mit der Bearbeitung ihrer Posteingänge. Darin fand Horst in einer Umlaufmappe ein Anschreiben mit einem Datenstick.

Nachdem er das Anschreiben gelesen hatte, wandte er sich an seinen Kollegen. „Da schau her, heute mal ein ganz außergewöhnlicher Posteingang“, bemerkte der gebürtige Schwarzenbrucker und fuhr fort: „Du, Schorsch, das hier ist ein anonymes Schreiben. Dieser Anzeigenerstatter verweist auf einen Missbrauchsfall eines Pfarrers, der sich seit Jahrzehnten an Kindern vergangen haben soll. Dieser Pfarrer soll angeblich nicht mehr unter den Lebenden weilen. Der Hinweisgeber verweist hierbei auf diesen Datenstick.“ Horst zeigte seinem Gegenüber den Stick.

„Wie jetzt, ein anonymer Hinweisgeber zeigt einen Todesfall an?“, hakte Schorsch nach.

Horst antwortete: „Na ja, so genau kommt das in dem Schreiben nicht rüber. Hier steht lediglich, dass der besagte Pfarrer, ein gewisser Benedikt Fromm, nicht mehr am Leben sein soll. Ob der jetzt verstorben ist oder ob man dabei nachgeholfen hat, darüber steht hier nichts.“

Schorsch hub an: „Dann schaun mer mal nach.“

„Gut, dann lass uns zu Gunda ins Büro gehen. Auf ihrem Auswerte-PC können wir uns die auf dem Stick hinterlegten Informationen ansehen. Du weißt doch, wenn da irgendwelche Viren drauf sein sollten, wäre das fatal für unser Netzwerk“, fügte Horst hinzu.

Horst und Schorsch betraten Gundas Büro. „Servus, Gunda, wir müssten einmal auf diesen Stick draufsehen.“

Gunda, die sich auch gerade mit ihren Posteingängen beschäftigte, lächelte die beiden Kollegen an und fragte: „Was habt ihr denn da wieder für Schweinereien drauf, die ihr gemeinsam begutachten müsst?“

Schorsch grinste in Horsts Richtung und antwortete: „Nein, Gunda, keine Schweinereien, zumindest stand davon nichts in diesem anonymen Anschreiben. Es sollen sich auf dem Stick Informationen zu den Hintergründen einer Tat befinden. Daher wollten wir auf deinem PC nachsehen, ob sich diese verifizieren lassen.“

„Na, dann gib mal den Stick her“, streckte Gunda Horst ihre rechte Hand entgegen.

„War bei mir im Posteingang.“ Mit diesen Worten überreichte Horst seiner Kollegin den Datenträger.

Die steckte ihn in ihren PC, und Sekunden später wurde eine Videosequenz auf dem PC abgespielt.

Neugierig betrachteten die drei Beamten den Film. Sie sahen einen Mann in einem Totenhemd, der auf einem Rollstuhl gefesselt war. Die fixierte Person war in einem spartanisch eingerichteten Zimmer untergebracht. Vor dem Mann stand ein Tisch, auf dem drei Petroleumlampen standen und den Raum erhellten, in der Mitte des Tisches ein silbernes, großes Kreuz. Das Video mit Tonsequenz gab lediglich die Aussagen des am Stuhl Fixierten wieder. Es schien so, als ob vorangegangene Fragen an den Betroffenen aus dem Video herausgeschnitten worden wären, darauf wiesen die Pausen und die Art des Gesprochenen hin. Gunda, Horst und Schorsch sahen gespannt auf den Bildschirm, und Schorsch bemerkte schon nach kurzer Zeit: „Den kenne ich, der hat einen alten Schulkameraden von mir getraut, der ist Pfarrer in der Südstadt.“ Sie hörten das Geständnis eines Pfarrers, eines Geistlichen mit Namen Benedikt Fromm, der in diesem Video jahrelangen Missbrauch an Kindern und Schutzbefohlenen einräumte. Die Videosequenzen waren an Tragik nicht zu überbieten, der geständigen Person stand die Todesangst förmlich ins Gesicht geschrieben. Seine Aussagen sprach er in flehendem Tonfall, durch die Abwesenheit von Fragen und einen Leiter des Verhörs wirkte das Ganze makaber. Man hatte ein Opfer vor sich, das ein jahrelanges Geheimnis von sich gab, sexuelle Handlungen an Kindern einräumte und dies ohne sichtbaren Zwang. Allerdings wies seine Fixierung darauf hin, dass dies keine Situation war, in die er sich freiwillig begeben hatte. War er zu den Aussagen gezwungen worden?

Nachdem der Film zu Ende war, war Gunda die Erste, die sprach. „Das sind entsetzliche Aussagen zu einem jahrelangen Missbrauch, den dieser Benedikt Fromm in seiner Amtsstellung als katholischer Pfarrer begangen haben soll, wie er selbst einräumt. Wenn die Angaben so stimmen, die er da macht. Wir können nicht feststellen, ob er irgendwelche Anweisungen erhalten hat, dies genau so zu sagen. Und ganz ehrlich, liebe Kollegen, eine Zwangshandlung wird von diesem Videostream weder bestätigt noch ausgeschlossen.“

Schorsch ergänzte: „Wie gesagt, ohne jeglichen Zweifel, dieser Benedikt Fromm ist seit Jahren Pfarrer in der Südstadt. Wir sollten ihm daher einen Hausbesuch abstatten und ihn mit seinen Aussagen konfrontieren. Denn sollte er sich wirklich an Kindern vergangen haben, so muss dieser Mann aus dem Verkehr gezogen werden.“

Gunda nickte. „Das ist schon richtig, Schorsch, sicherlich kann er sein Amt nicht mehr ausüben, sollten diese Angaben bestätigt werden. Und sollten wir, bevor wir ihn aufsuchen, erst mit seinen Vorgesetzten in der Kirche sprechen. Denn wer sagt uns, dass man diesen Pfarrer vielleicht nicht nur diskreditieren möchte? Stellt euch vor, das Filmchen ist ein Fake. Möglicherweise ist er unschuldig und wurde wirklich zu diesen Angaben gezwungen. Das könnte auch erklären, dass man ihm ein Totenhemd angezogen und ihn auf den Rollstuhl gefesselt hat. Das könnte auf Zwang hindeuten. Makaber.“

Horst sagte: „Ist nicht ganz abwegig, Gunda, vielleicht war es so. Es ist eine gute Idee, zuerst seine Vorgesetzten damit zu konfrontieren. Nürnberg gehört zum Erzbistum Bamberg, dort werden wir unsere Ansprechpartner finden.“

Schorsch blickte auf das Männerspielzeug an seinem Handgelenk, seine GMT Master II, und ergänzte: „Wunderbar, dann machen wir uns gleich auf den Weg nach Bamberg. Jetzt im Wonnemonat Mai haben die Biergärten wieder geöffnet. Und gerade in Oberfranken gibt es noch etwas fürs Geld, eine gute, leckere Brotzeiten und ein Seidla gehen immer. Wie wäre es mit dem Brauhaus am Kreuzberg, beim Friedel-Winkelmann findet jeder die passende Speis und Trank.“

„Du hast recht“, grinste Horst, „nach getaner Arbeit ruft das Brauhaus am Kreuzberg, das ist genau der richtige Ort, um den Feierabend einzuläuten. Oder was meinst du, Gunda?“

„Eurer Idee bin ich sicherlich nicht abgeneigt, die Karpfensaison ist zwar zu Ende, aber ein gutes Schäuferle oder eine Adlerhaxn bringt man immer unter. Also, meine Herren, ich gehe noch kurz meine Hände waschen. Dann treffen wir uns in fünfzehn Minuten in der Tiefgarage.“

„Gut, und ich sag noch schnell Schönbohm über unsere Abklärung in Oberfranken Bescheid“, schloss Schorsch.

 

Es war kurz vor halb zwei, als die drei Beamten die Diözese in Oberfranken erreichten. Schorsch hatte ihr Erscheinen bereits bei Generalvikar Sedlmayr, dem Stellvertreter des residierenden Bischofs, angekündigt. Sedlmayr, ein hagerer Mittfünfziger, begrüßte die Kriminalbeamten in der Lobby des Generalvikariats.

„Guten Tag, meine Dame, meine Herren, Baldur Sedlmayr, ich bin der Generalvikar des Bistums. Sie möchten Informationen über Pfarrer Benedikt Fromm einholen? Da muss ich Sie enttäuschen, denn wir hätten selbst gerne gewusst, wo sich unser Bruder aufhält. Benedikt Fromm ist seit dem 18. Mai abgängig.“ Der Generalvikar kratzt sich mit der rechten Hand nachdenklich am Hinterkopf.

Schorsch blickte erstaunt in die Runde, dann sagte er zu Sedlmayr: „Na, dann sind wir hier ja genau richtig, uns liegen Informationen vor, die Anlass zur Besorgnis geben und weitere Ermittlungen erfordern. Ein kleiner Hinweis sei mir schon mal gegönnt. Sexueller Missbrauch von Kindern.“

Schorschs nachdenklicher Blick war auf Baldur Sedlmayr gerichtet, der als Reaktion auf das Gehörte seinen Gesichtsausdruck veränderte. Er kniff seine Stirnpartie streng zusammen und gab damit Unmut über das eben Gehörte zu erkennen. Seine tief liegenden Zornesfalten zeigten den Kriminalbeamten, dass man hier ein Thema angesprochen hatte, welches Baldur Sedlmayr gar nicht schmeckte.

„Dann sollten wir das in meinem Büro besprechen, so eine Sache kann man nicht zwischen Tür und Angel bereden. Folgen Sie mir bitte“, sprach Sedlmayr und wies mit seiner rechten Hand in Richtung einer großen Mahagoniholztür. „Dort sind wir ungestört.“ Er drückte die messingfarbene Türklinke herunter und geleitete die Besucher in sein Arbeitszimmer.

Gunda, Schorsch und Horst waren beeindruckt. Der Raum mit seinen hohen Wänden war gut und gerne fünfzig Quadratmeter groß. Der alte Steinboden zeigte in Mosaikeinlegearbeiten Motive aus verschiedenen Epochen, von der Ur- und Frühgeschichte über die Antike, das Mittelalter sowie die Neuzeit, alles farblich aufeinander abgestimmt. Von der Arche Noah, dem letzten Abendmahl, den Kreuzzügen und Hexenverfolgungen bis hin zu prunkvollen Einlegearbeiten der Neuzeit reichten die Bilder. Gunda erkannte im Mosaik sogar Ansätze der philosophischen Religionslehre von Immanuel Kant. Eine auf Vernunft beruhende Religion, die die Ideen der Freiheit, der Unsterblichkeit der Seele verband mit der Idee, Gottes Sohn Christus als Sinnbild eines moralisch vollkommenen Menschen zu sehen. Das wurde hier in den alten Mosaiksteinchen farblich dargestellt und vermittelte dem Betrachter die Lehre anschaulich durch die Wahl von Farben und Formen.

In der Mitte des Raumes stand ein alter Pinientisch, der sicher sechs mal zwei Meter maß. In der Mitte des Tisches befanden sich zwei alte Tonkrüge, die Tonkaraffen aus der Zeit der Römer ähnelten, vermutete Gunda. Rings um den Tisch standen zwölf Pinienstühle, deren Rückenteile und Armlehnen mit purpurrotem Samtstoff überzogen waren. Hinter dem Tisch an der Wand hing der Gekreuzigte an einem alten Holzkreuz, das wie der Tisch aus Pinienholz gearbeitet war. Auf der linken Seite des Raumes waren in einem hohen Regal unzählige Bücher, der Anblick erinnerte an mittelalterliche Bibliotheken. Auf der rechten Seite des Raumes standen verschiedene alte Vitrinen, Holzschränke und eine große, mit rotem Leder überzogene Ottomane. Schorsch musste schmunzeln, denn die Ottomane und ihr Leder erinnerten ihn an die „Fuß- Ferraris“ des Heiligen Vaters, die an die Kreuzigung und das Blut Christi erinnern sollten und die dieser immer zu besonderen Anlässen in der Öffentlichkeit trug.

„Hier sind wir ungestört“, sagte Baldur Sedlmayr und fuhr fort: „Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, ein Wasser, einen Kaffee oder Tee?“

Die drei Beamten sahen einander an, und Gunda antwortete: „Das ist freundlich von Ihnen, aber wir sind nicht durstig, danke. Wir wollen uns auch gar nicht lange bei Ihnen aufhalten, daher kommen wir gleich zum Punkt.“

„Dann nehmen Sie doch bitte Platz“, erklärte Sedlmayr.

Nachdem er sich gesetzt hatte, sagte Schorsch: „Herr Sedlmayr, wie schon angesprochen, sind wir wegen Pfarrer Fromm hier, der Pfarrer aus der Nürnberger Südstadt, der mir sogar persönlich bekannt ist. Es existiert eine Videoaufzeichnung, die uns heute Morgen zugespielt wurde“, Schorsch nickte Gunda zu, die bereits das Laptop geöffnet hatte.

Sie erläuterte: „Uns liegt ein Filmausschnitt vor, in dem dieser Pfarrer ein Geständnis ablegt. Wann und wo das Video gedreht worden ist, ist uns nicht bekannt. Aber wir konnten den Mann im Video eindeutig als Pfarrer Benedikt Fromm identifizieren, der Ihrem Bistum angehört.“

Der Generalvikar antwortete sofort: „Ja, das stimmt, Benedikt führt seit Jahren unsere Kirchengemeinde in der Nürnberger Südstadt und ist sehr beliebt bei seinen Gläubigen. Die katholische Pfarrgemeinde zur Mutter Gottes steht seit Jahren hinter ihrem Pfarrer Fromm. Seine heiligen Messen, aber auch der Umgang mit Alt und Jung zeigt uns immer wieder, wie populär unser Benedikt in seiner Gemeinde ist. Sei es bei spontanen Krankensalbungen im Südklinikum, im Seniorenheim oder auch bei den Menschen zu Hause, Pfarrer Fromm ist jederzeit zugegen, er ist dort, wo man ihn braucht. Aber auch bei kirchlichen Veranstaltungen, sei es in einer Kindertagesstätte oder bei Jugendfreizeiten, Benedikt war und ist ein angesehener und äußerst engagierter Pfarrer, jemand, der zu den sieben heiligen Sakramenten steht und für jedermann da ist, wenn man ihn benötigt. Umso mehr verwundert es mich, dass wir seit diesem Wochenende nichts mehr von ihm hören. Seine Haushälterin, Frau Hedwig Jansen, die noch am Samstag nach der heiligen Messe alles für ihn in seinem Haus vorbereitet hatte, weiß auch nicht, was los ist. In einem Telefonat am Sonntagvormittag sagte sie mir, dass es keine Erklärung für sein Verschwinden gebe. Benedikt, und das kann ich mit Fug und Recht sagen, war immer sehr zuverlässig. Sei es während unseres gemeinsamen Studiums in Innsbruck oder bei der Termineinhaltung in seiner Kirchengemeinde. Daher ist uns sein Verschwinden völlig unbegreiflich. Heute Morgen haben wir daher im Erzbistum Bamberg beschlossen, dass wir sein Verschwinden nach Ablauf des heutigen Tages bei der Polizei melden werden. Nun ja, meine Dame, meine Herren, Sie sind uns zuvorgekommen. Vielleicht ist es auch gut, dass wir nicht noch weitere Zeit verstreichen lassen und somit die Umstände seines Verschwindens zügig aufklären können.“ Der Generalvikar hielt kurz inne und ergänzte dann: „Nun, dann fahren Sie bitte fort.“

„Na gut, dann sehen wir uns noch mal genau die besagte Videosequenz mit Herrn Fromm an.“ Gunda drückte auf eine Taste, und Sekunden später wurde das Video abgespielt.

Nachdem der Film zu Ende war, sagte Sedlmayr nach einem Moment der Stille: „Ich bin sprachlos. Was ich bestätigen kann, ist, dass die Person im Rollstuhl in der Tat Benedikt Fromm ist. Das, was Benedikt in diesem Video erzählt, das wiederum kann und werde ich nicht glauben. Aber meine Dame, meine Herren, es ist doch offensichtlich, dass er diese Aussagen nur unter massiver Bedrohung gemacht hat. Das, was er hier erzählt, diese unglaublichen Erklärungen von schlimmen Taten gegenüber Kindern, das ist nicht der Benedikt Fromm, den ich lieben und schätzen gelernt habe, mit dem mich mein halbes Leben verbindet. Nein, das kann ich nicht glauben, es ist völlig ausgeschlossen.“

Es war Schorsch, der darauf antwortete. „Es ist mitunter sehr schwierig, solchen Eingeständnissen von Bekannten oder Freunden Glauben zu schenken. Hinzu kommt, dass die ganze Situation, in der sich Ihr Kollege während der Aufnahme befindet, einen Furcht einflößenden Beigeschmack beim Betrachter hervorruft. Sei es hinsichtlich der Eingeständnisse oder hinsichtlich der außerordentlichen Situation, in der er sich befindet. Es ist daher sehr schwer, das Gesagte zu verifizieren. Solange wir Pfarrer Benedikt Fromm nicht selbst in dieser Angelegenheit befragen, solange werden wir das nicht herausfinden. Daher unser heutiges Erscheinen bei Ihnen in Bamberg. Wir müssen alles daransetzen, Pfarrer Fromm persönlich zu sprechen. Auch die Hintergründe seiner möglichen Entführung hoffen wir so aufklären zu können.“

„Daher setzen wir auf Ihre Kooperation“, fügte Gunda an.

Horst ergänzte: „Herr Sedlmayr, es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass gerade sexuelle Übergriffe gegen Kinder und Jugendliche in der katholischen Kirche immer häufiger aufgedeckt und in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Gehen Sie ins Internet, öffnen Sie den Browser und geben Sie ‚sexueller Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche‘ ein, und Sie erhalten innerhalb kürzester Zeit knapp zweihundert DIN-A4-Seiten mit Ergebnissen zu Ihrer Suchanfrage. Sind Ihnen als Generalvikar des Bistums Bamberg diese Hinweise mit den dazugehörigen Quellenangaben und Ergänzungen überhaupt bekannt?“

„Ach, wissen Sie, es wird so viel geredet und geschrieben über uns. Glauben Sie wirklich alles, was im Internet steht?“, fragte Baldur Sedlmayr mit einer abwehrenden Geste.

Schorsch runzelte seine Stirn, eine Zornesfalte bildete sich zwischen seinen Brauen, als er entgegnete: „Wissen Sie, Herr Sedlmayr, ich finde diese Aussagen mit Verlaub schon ein bisschen schäbig. Jedem von uns, und ich nehme Sie da nicht aus, sind die sexuellen Übergriffe, also der Missbrauch von Kindern in der katholischen Kirche, bekannt. Seit Jahren wissen wir, dass Verbrechen unter dem Schutzmantel der katholischen Kirche begangen wurden und werden, sich Täter im Collarhemd an Kindern vergehen. Kommt die Tat dann irgendwann ans Tageslicht, werden diese Tatsachen gegenüber Dritten vehement in Abrede gestellt, nach dem Motto: ‚Wir sind schon immer die Guten, so etwas machen wir nicht!‘“

Baldur Sedlmayr reagierte unwirsch. „So ein Schmarrn, Herr Bachmeyer, da ist nicht alles wahr, was Sie im Netz über unsere Kirche finden, gleichwohl stimme ich Ihnen in einigen wenigen Dingen zu. Sicherlich gibt es bei uns schwarze Schafe wie überall, davon nehme ich allerdings auch meine Glaubensbrüder in der evangelischen Kirche nicht aus. Und noch zur Ergänzung, der sexuelle Missbrauch von Kindern findet auch in so manchen Familien statt. Aber wir, die katholische Kirche, werden wie immer in den Schmutz gezogen und diskreditiert. Gerade diese neuen sozialen Medien, sei es Instagram, Facebook oder was auch immer, laden Verschwörungstheoretiker regelrecht dazu ein, hier ihren Unmut über die katholische Kirche auszulassen. Ich versichere Ihnen noch einmal: Pfarrer Benedikt Fromm ist ein redlicher Priester, der seinen Glauben, den Glauben an den Allmächtigen tagtäglich gegenüber seiner Kirchengemeinde und in der Öffentlichkeit kundtut. Dass er in diesem Video gefangen, womöglich sogar gefoltert wurde, ist doch offensichtlich, erkennen Sie das denn nicht?“ Sedlmayr war jetzt nicht mehr zu bremsen. „Denken Sie an den Satz von Jesus, ‚denn derjenige, der frei von Schuld ist, werfe den ersten Stein‘. Also fangen Sie an, werfen Sie den ersten Stein oder besser, finden Sie Benedikt Fromm! Ist das nicht Ihre Aufgabe, erst einmal das Opfer dieser Entführung zu finden? Nur er kann uns, Ihnen, die Wahrheit erklären. Wenn er wieder vor uns steht, dann wird er diese abscheulichen Verdachtsmomente beseitigen, und Sie können die Verantwortlichen für das Video und seine Gefangenschaft zur Rechenschaft ziehen. Also, meine Herren, meine Dame, beginnen Sie mit Ihrer Arbeit und beschuldigen Sie nicht unschuldige Pfarrer und Glaubensbrüder. Meine Zeit ist kostbar, ich möchte Sie daher bitten, jetzt zu gehen und das Erforderliche über dieses absurde und beschämende Video und dessen Urheber einzuleiten. Ich werde mit Ihrem Vorgesetzten, Polizeipräsident Mengert, Kontakt aufnehmen und mich über die unhaltbaren Anschuldigungen in diesem Video beschweren. Also tun Sie bitte alles Notwendige, um Pfarrer Fromm zu finden und diese unglaublichen, ungeheuerlichen Beschuldigungen gegenüber Angehörigen der katholischen Kirche zu widerlegen.“

Schorsch wurde immer ruhiger, je lauter der Geistliche wurde. „Nur mal am Rande angemerkt, Herr Sedlmayr, wir sind hier, um wegen möglicher Verbrechen zu ermitteln, und selbstverständlich auch, um das Verschwinden des Pfarrers aufzuklären.“

Gunda schaltete sich ein: „Der Einwand meines Kollegen, dass die Verfehlungen einiger Kirchenoberhäupter hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche bekannt und verifizierbar sind, sagt keineswegs, dass alle Angehörigen der katholischen Kirche über einen Kamm zu scheren sind. In jeder Berufssparte findet man Missstände, die es aufzuklären gilt.“

Schorsch ergänzte: „Ihre ablehnende Haltung gegenüber falschen Anschuldigungen ist nachvollziehbar, aber es sind eben nicht alle Anschuldigungen haltlos. Ich glaube, wir haben uns hier deutlich ausgedrückt.“

Er holte tief Luft und fügte hinzu: „Nun gut, Herr Sedlmayr, wir werden unsere Ermittlungen hinsichtlich Benedikt Fromm weiter forcieren, und glauben Sie uns, wir werden alles daransetzen, diese Tat aufzuklären. In diesem Sinne: Auf Wiedersehen.“

Die drei Polizeibeamten standen auf und verließen den Raum.

„Leben Sie wohl“, warf ihnen der Generalvikar hinterher.

 

Es war kurz vor 14.30 Uhr, als die Beamten die A73 an der Ausfahrt Forchheim Nord verließen, wo sie wie ausgemacht einen Zwischenstopp im Friedelskeller am Kreuzberg einlegten.

In Oberfranken traf man nicht nur auf unzählige kleine Brauereien, der Kreuzberg lud mit seinen vier verschiedenen Bierkellern Wanderer und Ausflügler zu einer Brotzeit ein. Hier fand jeder einen guten Schluck selbst gebrautes Bier. Ein Grundnahrungsmittel, um das andere Bundesländer Bayern beneideten. Das sah man auch an den seit Jahren steigenden Besucherzahlen aus angrenzenden Ländern wie Hessen und Thüringen. Das Frankenland lockte diese nicht nur mit seinem guten Gerstensaft, es waren auch die fränkischen Spezialitäten, welche ganze Pilgerströme in den Sommermonaten zum Kreuzberg hinaufzogen. Über Hallerndorf erreichte man den Kreuzweg mit seinen verschiedenen Kreuzwegstationen. Hier gedachten die Christen der Leidenden der Gegenwart, die ungerecht verurteilt, gefoltert, ihres Lebensunterhalts beraubt oder verspottet und zuletzt auch getötet wurden. Es war für die Gläubigen ein Rückzugsort zur Meditation und Andacht.

Horst stellte den Dienstwagen auf dem großen Parkplatz ab und sagte: „Soderla, etzertla sollten wir uns zuerst absprechen, wer von uns später zurückfährt.“ Horst blickte seine beiden Kollegen fragend an.

Gunda erlöste ihn: „Also, meine Herren, ich trink heute eine Apfelschorle und werde die Rückfahrt ins Präsidium übernehmen.“ Schorsch und Horst nickten freudig.

„Betrinken werden wir uns ja nicht, aber a Mäßla haut einen ja nicht um“, Schorsch schmunzelte bei diesen Worten und schlug Horst auf die Schulter, als sie in kurzen, schnellen Schritten in Richtung Friedelskeller liefen.

Dieser Bierkeller hatte den anderen angrenzenden Brauereien etwas voraus. Saisonal bot hier die Brauereifamilie Winkelmann ihren Gästen verschiedene Spezialbiere an, vom Pilgertrunk, ein Siebenkornbier, bis zum samtigen Dampfbier, ein Erntebier, oder das urige Zoigl, das hier nach altem Hausbrauerrezept den Gästen kredenzt wurde. Aber nicht nur die Vielfalt der verschiedenen Biere und selbst gebrannten Spirituosen zeichnete diese Wirtsfamilie aus. Hinzu kam die ausgewogene fränkische Küche, sei es der leckere fränkische Karpfen, das Schäuferle, die Adlerhaxen oder aber die ausgewogenen Wurstspezialitäten, die das Herz jeden Pilgers höher schlagen ließen. Und nicht zuletzt kam auch der Vegetarier auf seine Kosten, der sich von der Vielfalt der angebotenen Kuchenspezialitäten, natürlich hausgemacht, anlocken ließ.

Es war kurz nach 16.30 Uhr, als sich die drei Beamten gestärkt auf den Heimweg nach Mittelfranken machten.

Schorsch fragte: „Also, was meint ihr beide, wie kommen wir an diesen Pfarrer Fromm heran? Irgendwie müssen wir ja feststellen können, ob seine Aussagen auf dem Video der Wahrheit entsprechen. Das ganze Filmchen, also die Örtlichkeit, der Drehort, das ganze Drumherum, sagen mir, dass diese Videosequenz echt ist. Irgendwo muss er sein, der kann sich ja nicht in Luft auflösen.“

Gunda antwortete: „Ja, Schorsch, ich meine auch, dass das Video echt ist. Aber was ist, wenn man den Pfarrer nach dem Dreh ermordet und die Leiche beseitigt hat?“ Sie blickte fragend in den Rückspiegel, denn Schorsch und Horst hatten es sich auf der Rückbank gemütlich gemacht. Darauf wusste keiner eine Antwort, und die beiden schauten nachdenklich auf die vorbeisausenden fränkischen Wälder und Felder.

 

Dienstag, 21.05.2019, 07.37 Uhr, PP Mittelfranken, K 11

Schorsch und Horst hatten sich gerade einen Humpen Kaffee eingeschenkt, als sich die Bürotür öffnete, Schönbohm das Zimmer betrat und fragte: „So, meine Herren, wart ihr gestern schön erfolgreich in Bamberg? Was gibt es Neues von diesem verschwundenen Pfarrer? Da hat doch in der Tat gestern Nachmittag dieser Generalvikar bei unserem Polizeipräsidenten angerufen und sich über Vermutungen über die Kirche in Missbrauchsfällen beschwert.“ Der Kommissariatsleiter runzelte fragend seine Stirn.

Schorsch erwiderte: „Erst einmal einen schönen guten Morgen, so viel Zeit muss sein.“ Nachdem Schönbohm auch ein kurzes „Guten Morgen“ genuschelt hatte, fuhr Schorsch fort: „Das hat uns dieser Sedlmayr schon angekündigt, dass er sich bei seinem Bekannten, also unserem Polizeipräsidenten, beschweren wolle. Das ist natürlich allen klar, wenn man Kritik an der katholischen Kirche übt, gerade im Hinblick auf Kindesmissbrauch, dass solch eine Thematik ganz große Wellen schlagen wird. Denn mal ehrlich, keiner möchte sich diesen Schuh anziehen, und mit Sicherheit nicht diese Kirchenoberen, diese Scheinheiligen.“

Horst übernahm: „Erst mal einen guten Morgen auch von mir. Das ist genau der Punkt, wovon der Kollege spricht. Mit Missbrauchsfällen wollen die in Bamberg nichts zu tun haben. Das kann uns aber wurscht sein, denn wir haben hier nicht nur das Verschwinden dieses Pfarrers aufzuklären, sondern die Wahrheit zu ergründen, ob hinter diesen Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs tatsächlich ein Fünkchen Wahrheit steckt. Um das schlussendlich festzustellen, brauchen wir mehr Fleisch am Knochen. Ohne diesen Benedikt Fromm kommen wir nicht weiter. Das Filmmaterial könnte nach bisherigem Sachstand der Wahrheit entsprechen. Wohl bemerkt, könnte. Solange wir diesen Pfarrer dazu nicht befragen können oder konkrete Hinweise auf die Echtheit haben, ist das ganze Video eine Luftnummer.“

Schönbohm hatte sich zwischenzeitlich in der Besucherecke des Büros niedergelassen und bejahte mit einem Kopfnicken Horsts Ausführungen. Dann ergänzte er: „Das mit dem Generalvikar sehe ich genauso wie Sie. Kritik können die schwer wegstecken. Also, meine Herren, machen Sie sich da keine Gedanken, unser Polizeipräsident steht hinter uns. Auch er sieht diesen Anruf des Generalvikars gelassen. Wir machen unsere Arbeit, auch wenn die Kirchenoberen ihren Ruf über die Wahrheit stellen.“

Schorsch nickte. „Wie der Kollege schon erwähnte, könnte an den Vorwürfen in diesem Video schon etwas dran sein.“

Schönbohm fragte: „Und was schlagen Sie vor, wie wollen wir mit den Kirchenoberen auf der Beschwerdehotline umgehen?“

„Vielleicht kommt ja noch ein Hinweis, eine Spur, die uns weiterbringt, oder etwas, das die Sache bekräftigt oder eben entkräftet“, gab Schorsch zur Antwort.

In diesem Moment öffnete sich die Tür, und Gunda trat ein. „Guten Morgen, meine Herren, gibt es was Neues für die Frühbesprechung?“, fragte sie und reichte jedem der Beamten die Hand.

„Außer dem üblichen Tagesgeschäft wird wohl nichts Neues hinzukommen, Frau Vitzthum“, erwiderte Schönbohm, als sich die Bürotür erneut öffnete und eine Botin eintrat. „Ach, hier sind Sie, Herr Schönbohm, es ist etwas für Sie abgegeben worden.“ Mit diesen Worten überreichte sie Schönbohm ein Paket, das an ihn persönlich adressiert war.

Schönbohm nahm das Päckchen von der Größe einer Zigarettenschachtel entgegen und fragte die Botin: „Durchlief der Gegenstand schon die Sicherheitskontrollen beim Posteingang?“

Diese antwortete: „Etwas Gefährliches wird nicht drin sein, da es geröntgt wurde. Und da es persönlich adressiert ist, wurde es nicht geöffnet.“

Schönbohm betrachtete das Päckchen nachdenklich. „Komisch, der Absender sagt mir gar nichts: Conlegium Canisius. Vermutlich wieder mal irgendwelche Werbung.“ Schönbohm steckte den Gegenstand in seine rechte Hosentasche.

Gunda bemerkte: „Conlegium Canisius, kam das nicht in diesem Video vor? Also, das Video mit Benedikt Fromm?“

„Ja freilich, in dem Video wurde der Pfarrer damit konfrontiert. Er wollte darüber aber wegen eines angeblichen Schwurs nicht sprechen“, bestätigte Schorsch.

Schönbohm schaute verdutzt in die Runde und zog das Päckchen aus seiner Hosentasche. „Jetzt bin ich aber neugierig, hat jemand ein Messerchen oder eine Schere für mich?“

„Hier, nehmen Sie meine Büroschere“, sagte Schorsch und reichte ihm das Werkzeug.

Gespannt sahen die Beamten zu, wie ihr Vorgesetzter mit der Büroschere herumfuchtelte und das Päckchen öffnete.

„Leck mich am Ärmel“, entfuhr es Schönbohm erschrocken, und er ließ das Päckchen samt Schere auf den Boden fallen.

Horst, Gunda und Schorsch sahen sich verdutzt an, dann bückte sich Schorsch, um das Päckchen aufzuheben. Schönbohm warnte ihn sichtlich schockiert: „Da ist ein Finger drin, Herr Bachmeyer!“

Vorsichtig hob Schorsch das Päckchen auf, blickte in die Öffnung und bestätigte: „Tatsächlich, da hat uns einer einen Finger zukommen lassen.“

Schorsch legte das Päckchen auf seinen Schreibtisch, zog sich Latexhandschuhe über und griff in die Öffnung.

„Hier, seht her, was uns der Absender geschickt hat.“ Bei diesen Worten hielt Schorsch einen abgetrennten Daumen in die Höhe.

Schönbohm, Gunda und Horst blickten versteinert auf den Finger.

Schorsch fragte: „Conlegium Canisius, was will uns der Absender damit sagen?“

Gunda entgegnete: „Das sieht fast danach aus, als ob dies ein Hinweis auf den verschwundenen Pfarrer sein soll. Zumindest kann man jetzt schon sagen, dass es sich bei diesem ‚Wurschtfinger‘ um ein männliches Gliedmaß handeln muss, eine weibliche Extremität würde ich ausschließen.“

„Gunda, da liegst du gar nicht so verkehrt“, nickte Schorsch zustimmend und fuhr fort: „Der Daumen dürfte von einem Mann sein, aber das soll sich unser Gerichtsmediziner, der Alois, genau ansehen.“ Er legte den Daumen wieder in das Päckchen.

Schönbohm, der sich zwischenzeitlich auch Handschuhe übergezogen hatte, ergriff das Päckchen und fischte mit seinem rechten Daumen und Zeigefinger das Gliedmaß wieder hervor. „Da kann ich nur zustimmen, Professor Nebel soll sich das Teil mal genauer ansehen.“ Er drehte das Gliedmaß mit beiden Fingern hin und her, als wollte er sich eine Zigarette drehen. Von seinem Schreck schien er sich erholt zu haben.

Schorsch dachte schon weiter. „Gut, was wir in jedem Fall unserem Gerichtsmediziner mitgeben sollten, ist ein DNA-Vergleichsmaterial unseres vermissten Pfarrers.“

Sein Vorgesetzter nickte. „Natürlich, Herr Bachmeyer, dann fahren Sie zur Wohnung unseres Pfarrers, besorgen die Proben und fahren dann gleich weiter nach Erlangen.“

 

Es war kurz vor halb zehn, als Schorsch, Horst und Gunda an der Meldeadresse von Pfarrer Fromm eintrafen und ihnen seine Haushälterin, Frau Jansen, die Haustüre öffnete.

„Allmächt, gibt es eine Spur von unserem Pfarrer?“, fragte die ältere Dame.

Schorsch hub an: „Tja, ich möchte jetzt keinem Ergebnis vorgreifen. Was wir brauchen, Frau Jansen, sind DNA-Proben von Herrn Fromm. Am besten wäre seine Zahnbürste oder, vorausgesetzt, er hat einen Trockenrasierer, einige Bartstoppeln.“

Nachdem die Beamten das DNA-Material vom Trockenrasierer des Pfarrers asserviert und die Wohnung des Pfarrers vergeblich auf Hinweise für sein Verschwinden durchsucht hatten, machten sie sich auf den Weg zur Gerichtsmedizin nach Erlangen.

3. Kapitel

Dienstag, 21.Mai 2019, 10.05 Uhr, Institut für Rechtsmedizin,

Erlangen

Schorsch, Horst und Gunda stellten ihren Dienstwagen vor der Rechtsmedizin ab und gingen zum Eingang. Doc Fog, wie der Gerichtsmediziner aufgrund seines Namens von den Kollegen genannt wurde, hatten sie von unterwegs angerufen und in Kenntnis gesetzt. So fanden sie an der Pforte hinterlegte blaue Medizinerkittel vor. Als sich alle drei Beamte neu eingekleidet und die Besucherausweise gut sichtbar am Revers befestigt hatten, geleitete sie ein Mitarbeiter des Professors zum Fahrstuhl.

---ENDE DER LESEPROBE---