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Eine berühmte Künstlerin zu werden - das ist Megans größter Wunsch. Aber solange sie und ihr Großvater den kleinen Freizeitpark Joyland betreiben, bleibt ihr kaum Zeit für ihre Bildhauerei. Doch dann macht der reiche Geschäftsmann David Catcherton ihr ein lukratives Angebot, das alle ihre Sorgen beenden könnte. Er will den Park kaufen. Das kommt für Megan nicht infrage. Der Vorschlag gibt ihr einen Grund, Catch nicht zu mögen, von dem sie vorher dachte, er sei ein dahergelaufener, aber sexy und charmanter Abenteurer. Denn um nichts in der Welt kann sie zugeben, dass sie ihn längst mag.
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Seitenzahl: 218
Nora Roberts
Meer der Liebe
Roman
Aus dem Amerikanischen von Sonja Sajlo-Lucich
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
1. KAPITEL
Er sah sie kommen. Obwohl sie Jeans, Lederjacke und einen Motorradhelm trug, fiel ihre weibliche Ausstrahlung Catch sofort auf. Sie fuhr eine kleine Maschine, eine Honda.
Catch zog an seiner Zigarette und beobachtete, wie sie das Motorrad geschickt auf den Parkplatz des Supermarkts lenkte.
Sie stellte den Motor ab und schwang sich geschmeidig vom Sattel. Groß war sie, wie Catch bemerkte, gut 1,75 m, und schlank. Er lehnte sich lässig an den Getränkeautomaten und beobachtete sie weiter. Sein Interesse steigerte sich, als sie den Helm absetzte. Sie war eine Schönheit.
Das brünette Haar mit rötlichen und golden schimmernden Strähnen fiel ihr gerade bis auf die Schultern. Der Pony hing ihr fast bis in die Augen. Ein schmales Gesicht mit feinen, ausgeprägten Zügen, die Lippen voll und sinnlich. Er kannte Models, die alles dafür geben würden, ein solches Gesicht zu haben.
Das dezente Make-up war ganz sicher nicht in der Absicht aufgetragen worden, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das hatte sie auch gar nicht nötig. Ihre Augen waren groß, und selbst auf die Entfernung hin konnte er das tiefe warme Braun ausmachen. Die Augen eines Fohlens – eindrucksvoll schimmernd und wachsam. Sie bewegte sich mit unaufdringlicher Grazie. Und sie musste noch jung sein, vielleicht Anfang zwanzig.
Er nahm einen Zug von der Zigarette. Ja, auf jeden Fall eine Schönheit.
»Hallo, Megan!«
Jetzt drehte sie sich um in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war. Ihr Haar funkelte in der Sonne, als sie es über ihre Schulter warf.
Als Megan die Bailey-Zwillinge in ihrem offenen Jeep auf den Parkplatz einbiegen sah, verzogen sich ihre Lippen zu einem Lächeln. Sie hängte den Helm an den Lenker und ging zu dem Wagen hinüber. Sie mochte die Zwillinge.
»Hi.«
Die beiden waren genauso alt wie sie, dreiundzwanzig, nur dass die beiden im Gegensatz zu Megan klein und hellblond waren und strahlend blaue Augen hatten.
Diese blauen Augenpaare sahen jetzt an Megan vorbei zu dem Mann, der beim Getränkeautomaten stand. Fast wie durch einen Reflex richteten beide sich das vom Fahrtwind zerzauste Haar und setzten sich in Pose, um sich von ihrer besten Seite zu zeigen.
»Dich hat man ja ewig nicht mehr gesehen.« Während Teri Bailey mit Megan sprach, ließ sie Catch nicht aus den Augen.
»Ich musste noch einige Dinge erledigen, bevor die Saison jetzt wieder anfängt.« Megan sprach mit dem für das Küstengebiet von South Carolina typischen weichen Singsang. »Wie ist es euch denn ergangen?«
»Oh, uns geht’s großartig!« Jeri drehte sich ein wenig auf dem Fahrersitz. »Wir haben uns den Nachmittag freigenommen. Hast du nicht Lust, mit uns auf einen Einkaufsbummel zu kommen?« Auch sie hielt den Blick unauffällig auf Catch gerichtet.
»Würde ich gerne«, sagte Megan, doch sie schüttelte den Kopf. »Aber ich muss hier ein paar Dinge besorgen.«
»Nimmst du den Typen da drüben mit den umwerfenden grauen Augen auch mit?«, wollte Jeri wissen.
»Was?« Megan lachte.
»Der mit den breiten Schultern«, kam es von Teri.
»Er lässt Megan nicht aus den Augen, was, Teri?«, meinte Jeri zu ihrer Schwester. »Und dabei haben wir ein Heidengeld für diese Tops ausgegeben.« Sie zupfte gespielt schmollend an den dünnen Trägern ihres rosa T-Shirts, das gleiche, das auch ihre Schwester trug.
Megan verstand kein Wort. »Wovon redet ihr überhaupt?«
»Hinter dir«, raunte Teri mit einem unmerklichen Kopfnicken. »Das Prachtexemplar dort drüben am Automaten. Zum Anbeißen!«
Als Megan sich umdrehen wollte, zischelte Teri aufgeregt: »Dreh dich jetzt bloß nicht um!«
»Wie soll ich ihn denn sonst sehen können?«, bemerkte Megan höchst logisch, noch während sie sich umwandte.
Er war blond. Nicht so hell wie die Zwillinge, sondern dunkler, fast honigfarben, mit von der Sonne gebleichten Strähnen. Das Haar war etwas zu lang und lockte sich in seinem Nacken. Er trug ausgewaschene Jeans und lehnte lässig am Automaten, während er aus einer Dose trank.
Aber sein Gesicht ist alles andere als uninteressant, im Gegenteil, dachte Megan, als er ihren Blick, ohne mit der Wimper zu zucken, erwiderte. Sicher, er hätte dringend eine Rasur nötig, aber seine Augen waren hellwach und die Gesichtszüge einfach perfekt.
Normalerweise hätte dieses Gesicht mit dem markanten Ausdruck, dem Grübchen am Kinn und den schmalen Lippen Megan fasziniert. Es war ein aussagekräftiges Gesicht, attraktiv auf eine ursprüngliche, raue Art. Doch die Augen … sie wirkten herausfordernd. Nein, unverschämt, entschied Megan mit einem Stirnrunzeln.
Sie kannte diesen Typ Mann zur Genüge. Herumtreiber, Tagelöhner, Vagabunden auf der Suche nach Sonne und einer flüchtigen Affäre.
Megan runzelte die Stirn noch ein wenig stärker, als er ihr mit der Dose zuprostete.
Dann schwang ihr Kopf herum, denn die Zwillinge begannen zu kichern.
»Himmel, ist der süß!«
»Blödsinn! Er ist total typisch für die Männer hier in der Gegend.«
Die Zwillinge tauschten einen wissenden Blick aus.
»Ich würde mir den nicht entgehen lassen«, sagte Jeri und startete den Jeep.
Mit einem Lächeln, das bei beiden fast identisch aussah, und einem fröhlichen Winken verabschiedeten sich Teri und Jeri von Megan und fuhren davon. »Bye!«
Megan zog die Nase kraus, dennoch winkte sie ihnen nach.
Dann ging sie in den Supermarkt. Den Mann, der dort weiterhin am Eingang herumlungerte, ignorierte sie bewusst.
Den Willkommensgruß des Angestellten hinter der Kasse dagegen erwiderte sie freundlich.
Megan war in Myrtle Beach aufgewachsen. Sie kannte all die kleinen Läden im Umkreis von fünf Meilen, und jeder kannte sie. Schließlich gehörte ihrem Großvater der hiesige Vergnügungspark.
Sie holte sich einen Einkaufswagen und ging die erste Ladenreihe entlang. Nur ein kleiner Einkauf, sagte sie sich und nahm einen Liter Milch aus dem Kühlregal. Viel transportieren konnte sie mit den Satteltaschen ohnehin nicht. Wenn der Pick-up in Ordnung wäre …
Doch es war müßig, jetzt darüber nachzudenken. Im Moment ließ sich nun mal nichts daran ändern.
Vor dem Regal mit Keksen und Backwaren blieb Megan stehen. Sie hatte den Lunch ausfallen lassen, und die Schachteln und Dosen sahen wirklich sehr verlockend aus. Vielleicht das Müsli …
»Die hier sind besser.«
Megan zuckte leicht zusammen, als eine Hand an ihr vorbei nach der Schachtel Kekse griff, die eine Extraportion Schokoflocken versprach.
Als sie den Kopf drehte, schaute sie in die unverschämten grauen Augen.
»Wollen Sie die?« Sein Grinsen war ebenso dreist.
»Nein.« Sie sah vielsagend auf die Hand, die auf dem Griff ihres Einkaufswagens lag.
Mit einem achtlosen Schulterzucken zog Catch seine Hand zurück. Doch zu Megans Ärger hatte er wohl beschlossen, sich nicht abwimmeln zu lassen, und schlenderte neben ihr her.
»Also, was brauchen Sie alles, Meg?«, meinte er leutselig und riss die Keksschachtel auf.
»Ich bin durchaus in der Lage, meine Einkäufe allein zu erledigen.« Sie bog in die nächste Reihe ein und legte eine Dose Thunfisch in den Korb.
Er hat den Gang eines Revolverhelden, dachte sie bei sich. Lange Schritte, ein wenig schlenkernd und wippend.
»Nette kleine Maschine, die Sie da haben.« Er biss in einen Keks. »Leben Sie hier in der Nähe?«
Sie sah prüfend auf ein Paket Tee und warf es in den Wagen. »Irgendwo muss der Mensch ja leben.«
»Niedlich«, kommentierte er ihre Antwort und bot ihr einen Keks an. Megan ignorierte die Geste und ihn so gut wie möglich und ging weiter.
Als sie jedoch nach einem Toastbrot greifen wollte, hielt er ihre Hand fest.
»Vollkornmehl ist doch viel gesünder.«
Seine Hand lag hart und fest um ihre Finger. Megan bedachte ihn mit einem strengen Blick. »Hören Sie, ich …«
»Kein Ring«, bemerkte er, verschränkte seine Finger mit ihren und begutachtete ihre Hand genauer. »Also keine feste Bindung. Wie wär’s mit einem gemeinsamen Dinner?«
»Auf gar keinen Fall.« Sie versuchte ihm ihre Hand zu entziehen, doch er hielt sie fest.
»Seien Sie doch nicht so abweisend, Megan. Sie haben fantastische Augen, wissen Sie das?«
Er lächelte sie an, und sie hatte das Gefühl, als seien sie die einzigen beiden Menschen auf der Welt.
Jemand griff mit einem empörten Murmeln an ihnen vorbei ins Regal, um einen Laib Brot herauszuholen.
»Werden Sie mich wohl jetzt endlich in Ruhe lassen?!«, verlangte sie böse mit angehaltenem Atem. »Oder ich werde Ihnen eine lautstarke Szene bieten.«
»Das ist in Ordnung«, meinte er unbeeindruckt. »Szenen machen mir nichts aus.«
Das glaubte sie ihm unbesehen. Wahrscheinlich genoss er sie sogar. »Hören Sie«, setzte sie an, »ich weiß nicht, wer Sie sind, aber …«
»David Catcherton«, stellte er sich sofort mit einem charmanten Lächeln vor. »Aber meine Freunde nennen mich alle Catch. Wann soll ich Sie abholen?«
»Sie werden mich nicht abholen«, sagte sie betont. »Nicht jetzt und nicht später.« Sie sah sich hastig um. Der Supermarkt war gut besucht. Das bedeutete, sie konnte sich keine Szene erlauben. Selbst wenn sie wollte. »Lassen Sie jetzt endlich meine Hand los.«
»Die Tourismusbehörde wirbt damit, dass Myrtle Beach ein freundliches Städtchen ist, Meg.« Er gab ihre Finger frei. »Sie ruinieren den guten Ruf der Stadt.«
»Und nennen Sie mich nicht Meg«, zischte sie wütend. »Ich kenne Sie überhaupt nicht!« Damit stapfte sie davon, den Einkaufswagen vor sich her schiebend.
»Das wird sich ändern.«
Er hatte es leise gesagt, dennoch hatte sie ihn gehört.
Sie drehte sich um, und ihre Blicke trafen sich. Megans Augen sprühten wütende Funken, seine blickten ruhig und selbstsicher.
Erbost wandte sie sich ab und ging auf die Kasse zu.
»Du wirst nicht glauben, was mir heute im Supermarkt passiert ist.« Mit einem dumpfen Laut setzte Megan die Einkaufstüte auf der Anrichte ab.
Ihr Großvater saß am Küchentisch und präparierte konzentriert den Köder an einem Angelhaken. Vor ihm lagen verschiedene Sorten dünnen Drahts und Dutzende von Federn und Gewichten ordentlich sortiert.
»Dieser Mann«, sie zog das Brot aus der Tüte, »dieser unglaublich dreiste Mann hat sich an mich herangemacht. In der Keksabteilung!«
Mit empört gerunzelter Stirn füllte Megan Teebeutel in eine Dose um. »Er hat mich doch tatsächlich zum Dinner eingeladen, Pop.«
»Hm.« Ihr Großvater wickelte penibel Draht um eine gelbe Feder. »Dann viel Spaß.«
»Pop!« Frustriert schüttelte Megan den Kopf, aber ihre Mundwinkel zuckten.
Timothy Miller war ein kleiner, drahtiger Mann in den Sechzigern. Sein rundes Gesicht war eingerahmt von schlohweißem Haar, der Vollbart mit Sorgfalt gepflegt. Wache blaue Augen, denen nie etwas entging, strahlten aus dem gebräunten Gesicht.
Im Moment jedoch galt seine ganze Aufmerksamkeit den Ködern. Dass er Megan überhaupt gehört hatte, war nur der tiefen Zuneigung für seine Enkelin zu verdanken.
Megan ging zu ihm und setzte einen Kuss auf sein Haupt. »Gehst du morgen fischen?«
»Jawohl! Mit dem ersten Hahnenschrei.« Pop zählte die Köder ab und überdachte wohl noch einmal seine Strategie. Angeln war schließlich eine äußerst ernste Angelegenheit – zumindest für ihn. »Der Pick-up müsste übrigens heute Abend repariert sein. Ich kann also morgen das Auto nehmen und bin vor dem Abendessen auf jeden Fall wieder zurück.«
Megan nickte und gab ihm noch einen Kuss. Pop brauchte seine Angeltage.
Im Frühling und Herbst war der Vergnügungspark nur an den Wochenenden geöffnet. Im Sommer jedoch arbeiteten sie sieben Tage in der Woche.
Es war die Sommersaison, die die Stadt am Leben hielt. Dann kamen die Touristen, und mit ihnen das Geschäft. In den drei Monaten schwoll die Stadt von ungefähr dreizehn-, vierzehntausend Einwohnern schlagartig auf dreihunderttausend an. Und fast jeder dieser dreihunderttausend Menschen kam hierher, um sich zu amüsieren.
Ihr Großvater hatte immer hart gearbeitet. Er verdiente sich seinen Lebensunterhalt, indem er anderen ihr Vergnügen ermöglichte. Würde es ihm selbst nicht so großen Spaß machen, wäre das wohl ein hartes Schicksal. Aber er liebte den Vergnügungspark von ganzem Herzen.
Und zum Leben seiner Enkelin gehörte der Park, seit sie denken konnte.
Megan war noch keine fünf Jahre alt gewesen, als sie ihre Eltern verlor. Pop war ihr über die Jahre Mutter, Vater und Freund gewesen. Und der Vergnügungspark Joyland und das kleine Cottage am Strand wurden ihr Zuhause.
Hatte anfangs die Trauer Großvater und Enkelin zusammengeführt, so waren ihre Bindung und ihre Liebe füreinander inzwischen unerschütterlich.
Anderen Menschen gegenüber ging Megan vorsichtig mit ihren Gefühlen um. Denn wenn sie einmal Gefühle entwickelte, dann waren diese sehr intensiv. Wenn sie liebte, dann liebte sie rückhaltlos und ohne Einschränkungen.
»Frische Forelle zum Abendessen wäre nicht schlecht.« Sie umarmte ihn noch einmal fest. »Heute Abend wird es wohl eine Thunfischkasserolle tun müssen.«
»Hattest du nicht gesagt, du gehst aus?«
»Pop!« Mit beiden Händen strich Megan sich das Haar aus dem Gesicht. »Glaubst du etwa, ich gehe mit einem Mann aus, der mich in der Keksabteilung anspricht?«
Mit einer routinierten Handbewegung zündete sie das Gas unter dem Teekessel an.
»Ich würde sagen, das kommt auf den Mann an, oder?« Das Lachen in seinen Augen sagte ihr, dass sie jetzt seine volle Aufmerksamkeit hatte. »Wie sah er denn aus?«
»Einer von diesen merkwürdigen Typen, die am Strand herumlungern.« Noch während sie das sagte, wusste sie, dass das so nicht stimmte. »Und er hat auch noch etwas von einem Cowboy.«
Sie lächelte, als sie Pops Grinsen sah. »Eigentlich hat er ein faszinierendes Gesicht. Schmal und stark, sehr attraktiv. Auf ungeschliffene Art. Als Bronze würde er sich großartig machen.«
»Hört sich doch interessant an. Wo, sagtest du, hast du ihn getroffen?«
»Vor dem Keksregal.«
»Und da bereitest du eine Thunfischkasserolle zu, anstatt zum Dinner auszugehen?« Pop seufzte schwer. »Ich weiß wirklich nicht, was mit diesem Mädchen nicht stimmt.«
»Er war frech und vorlaut.« Megan verschränkte die Arme vor der Brust. »Und außerdem hat er mich anzüglich angesehen. Ich dachte, Großväter holen das Gewehr hervor, wenn jemand ihre Enkelinnen anzüglich ansieht.«
»Willst du dir etwa eines ausleihen und auf die Jagd nach ihm gehen?«
Das schrille Pfeifen des Wasserkessels bewahrte sie vor einer Antwort.
Pop beobachtete Megan, wie sie den Tee aufgoss. Sie ist ein gutes Mädchen, dachte er bei sich, manchmal etwas zu ernst, aber ein gutes Mädchen. Und eine Schönheit.
Es wunderte ihn nicht, dass ein Fremder versucht hatte, sich eine Dinnerverabredung mit ihr zu ergattern. Im Gegenteil, seiner Meinung nach müsste das viel öfter passieren.
Allerdings schaffte Megan es, einen Mann ohne ein einziges Wort zu entmutigen. Sie brauchte nur ihren »Ich muss doch wohl sehr bitten«-Blick aufzusetzen, und schon nahmen potenzielle Verehrer schleunigst die Beine in die Hand. Anders wollte sie es anscheinend nicht haben.
Der Vergnügungspark und ihre Kunst nahmen sie voll und ganz in Anspruch, ihr blieb gar keine Zeit für gesellschaftliche Unternehmungen.
Nein, sie nimmt sich keine Zeit, verbesserte er sich in Gedanken. Und wenn ihn nicht alles täuschte, hatte da auch noch etwas anderes in ihrem Bericht über den Mann im Supermarkt mitgeklungen – Amüsiertheit und ein ganz kleines bisschen Interesse.
Aber da Pop seine Enkelin kannte, beschloss er, das Thema vorerst fallen zu lassen.
»Laut Wettervorhersage soll es das ganze Wochenende schön bleiben.« Vorsichtig legte er seine Köder in die kleine Kiste mit seinen Angelutensilien. »Das führt bestimmt eine Menge Leute in den Park. Übernimmst du den Schießstand?«
»Ja, sicher.« Megan stellte zwei Becher mit Tee auf den Tisch und setzte sich. »Sind die beiden Gondeln auf dem Riesenrad repariert?«
»Hab mich heute Morgen selbst darum gekümmert.« Pop blies vorsichtig in seinen Becher, um den heißen Tee ein wenig abzukühlen.
Ihr Großvater war bester Stimmung, wie Megan bemerkte.
Pop war ein einfacher Mann. Schon immer hatte sie seine Aufrichtigkeit, seinen stillen Humor und seine Geradlinigkeit bewundert. Er liebte es, die Menschen fröhlich zu machen. Das war ihm wichtiger, so fügte sie mit einem stillen Seufzer hinzu, als sich an der Bezahlung dafür zu erfreuen.
Joyland hatte nie mehr als einen bescheidenen Profit abgeworfen. Pop war eben ein sehr viel besserer Großvater als ein Geschäftsmann.
Größtenteils regelte sie die geschäftliche Seite, auch wenn diese Verantwortung sie von ihrer Kunst fernhielt. Schließlich sicherte der Park ihnen den Lebensunterhalt. Und was wichtiger war … Pop liebte seinen Park.
Im Moment schrieb der Park leider rote Zahlen. Ein Thema, das bewusst keiner von ihnen ansprach.
Stattdessen redeten sie über Neuerungen für die kommende Saison, besprachen Werbemaßnahmen für die Osterferien und Spezialangebote während des Memorial-Day-Wochenendes im Mai.
Megan nippte an ihrem Tee und hörte Pop nur mit halbem Ohr zu, wie er über die Möglichkeiten sprach, für den trubeligen Sommer Hilfskräfte einzustellen. Darum würde sie sich schon kümmern, wenn es so weit war.
Pop war ein wahrer Magier, wenn es um stotternde Karussellmotoren und von der Sonne erschöpfte Touristen ging. Doch er neigte nun mal dazu, seine Arbeiter viel zu großzügig zu entlohnen, ohne darauf zu achten, ob er auch etwas für sein Geld zurückbekam. Megan war da wesentlich praktischer veranlagt. Ihr blieb eigentlich auch keine andere Wahl.
Diesen Sommer werde ich wohl selbst als Vollzeitkraft einspringen müssen, überlegte sie.
Nur kurz blitzte das Bild der halb fertigen Skulptur in ihrem Atelier über der Garage vor ihr auf. Nun, die würde eben bis Dezember warten müssen.
Megan musste sich beherrschen, um nicht laut aufzuseufzen. Es ging eben nicht anders. Bis die Lage wieder besser aussah. Vielleicht nächstes Jahr …
Immer hieß es »Vielleicht nächstes Jahr«. Immer gab es andere Dinge zu erledigen.
Mit einem unmerklichen Schulterzucken wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder Pops Monolog zu.
»Ich denke, wir können ein paar Wanderarbeiter und Studenten anheuern, die die Karussells bedienen.«
»Ja, das wird wohl kein Problem sein.« Bei Pops Erwähnung der Wanderarbeiter gingen Megans Gedanken automatisch zurück zu David Catcherton.
Catch. Sein Gesicht erschien vor ihrem inneren Auge. Eigentlich würde sie diesen Typus Mann als vagabundierenden Tagelöhner abtun, doch da war mehr an ihm.
Megan hielt sich für eine Menschenkennerin und war stolz auf ihr genaues Auge. Es ärgerte sie, dass es ihr nicht gelang, diesen Mann exakter zu charakterisieren. Noch mehr allerdings ärgerte es sie, dass sie schon wieder an diese lächerliche Begegnung mit dem Fremden dachte.
»Noch Tee?« Pop war bereits auf dem Weg zum Herd.
Megan riss sich zusammen. »Äh … ja, gern.«
Sie runzelte über sich selbst die Stirn. Da erging sie sich in unnützen Lappalien, während es genug andere Dinge zu tun gab. »Dann werde ich mich wohl besser ans Abendessen machen. Sicher wirst du bald zu Bett gehen wollen, wenn du morgen früh zum Angeln aufbrichst.«
»Das ist mein Mädchen.« Pop drehte die Gasflamme auf. Dann sah er interessiert aus dem Fenster.
»Ich hoffe, es ist genug für drei da«, meinte er leichthin. »Sieht aus, als hätte dein Strandcowboy den Weg zur Ranch gefunden.«
»Was?« Mit gerunzelter Stirn erhob sie sich.
»Deine Beschreibung passt genau. Wie üblich, Megan.« Pop beobachtete den Mann, der mit lockeren Schritten auf das Cottage zukam.
Er gefiel Pop auf Anhieb.
Schmunzelnd drehte er sich zu Megan um, die neben ihn getreten war, um ebenfalls aus dem Fenster zu sehen. Als er ihr Gesicht sah, musste er sich das laute Lachen verkneifen.
»Er ist es!«, flüsterte Megan fassungslos. Sie traute ihren Augen kaum.
»Das dachte ich mir schon«, meinte Pop gutmütig.
»Dass dieser Mann eine solche Dreistigkeit besitzt!«, stieß sie düster aus.
2. KAPITEL
Bevor ihr Großvater etwas sagen konnte, marschierte Megan energisch zur Tür und riss sie auf, genau in dem Augenblick, als Catch auf den Treppenabsatz trat.
Nur ganz kurz flackerte Erstaunen in seinen grauen Augen auf.
»Sie haben wirklich Nerven«, begrüßte sie ihn eisig.
»Das hat man mir schon öfter gesagt«, stimmte er gelassen zu. »Sie sind noch hübscher als vor einer Stunde.«
Mit einem Finger fuhr Catch über ihre Wange. »Dieser Hauch von Rot unter der gebräunten Haut steht Ihnen wunderbar.«
Er strich noch über ihr Kinn und ließ seine Hand dann sinken. »Wohnen Sie etwa hier?«
»Sie wissen genau, dass ich hier wohne«, erwiderte sie kalt. »Sie sind mir gefolgt.«
Catch grinste jungenhaft. »Tut mir leid, Ihre Hoffnungen zu enttäuschen, Meg, aber Sie hier vorzufinden ist für mich nur ein Bonus. Ich wollte zu einem gewissen Timothy Miller. Ist er ein Freund von Ihnen?«
»Er ist mein Großvater.« Fast unmerklich positionierte sie sich so, dass sie den Eingang blockierte. »Was wollen Sie von ihm?«
Catch war die beschützende Haltung nicht entgangen. Doch bevor er etwas dazu bemerken konnte, trat Pop hinter Megan.
»Warum bittest du den Mann nicht herein, Megan? Was immer er will, er kann es mir selbst sagen.«
»Im Grunde meines Herzens bin ich recht zivilisiert und weiß mich zu benehmen, Meg«, murmelte Catch.
Sie sah über ihre Schulter zu Pop, dann zurück zu Catch.
Der Blick, mit dem sie ihn bedachte, warnte ihn deutlich. Er sollte es ja nicht wagen, ihren Großvater aufzuregen.
Dabei fiel ihr selbst etwas auf, das sie stutzen ließ: Sie las Wärme und Verständnis in Catchs Blick. Das irritierte sie mehr als seine Arroganz.
Megan trat einen Schritt zurück und hielt in stummer Einladung die Tür auf.
Mit einem Lächeln ging Catch an ihr vorbei in die Küche hinein, nicht ohne ihr vorher sanft eine Strähne hinters Ohr zu streichen.
Für einen Moment verharrte Megan regungslos und fragte sich, warum die Geste eines Fremden sie so tief anrühren sollte.
»Mr. Miller?«, fragte Catch freundlich und bot Pop die Hand zur Begrüßung. »Ich bin David Catcherton.«
Pop nickte. »Sie haben mich vorhin angerufen.« Er sah an Catch vorbei zu Megan. »Meine Enkelin haben Sie ja schon getroffen, wie ich höre.«
»Durchaus.« Catchs Augen lachten Pop an. »Sie ist sehr charmant.«
Pop kicherte vergnügt und ging zum Herd. »Ich wollte gerade frischen Tee aufbrühen. Trinken Sie eine Tasse mit?«
Megan sah, wie Catch unmerklich eine Augenbraue hochzog. Tee war sicherlich nicht das, was er sich ausgesucht hätte.
»Danke, gern.« Catch ging wie selbstverständlich zum Tisch und setzte sich, so als fühle er sich hier wie zu Hause.
Nur zögernd und fast trotzig nahm Megan ebenfalls Platz. Als sie ihn ansah, standen unausgesprochene Fragen deutlich in ihrem Blick.
»Habe ich Ihnen eigentlich schon gesagt, dass Sie umwerfend schöne Augen haben?«, murmelte Catch.
Offenbar erwartete er keine Antwort von ihr, denn er griff sofort nach Pops Angelschachtel. »Sie haben da ein paar wirklich gute Köder präpariert«, sagte er zu Pop und nahm einen kleinen hölzernen Frosch in die Hand. »Machen Sie die selbst?«
»Das ist doch der halbe Sport.« Pop stellte die Becher auf den Tisch. »Angeln Sie auch?«
»Ab und zu. Ich nehme an, Sie kennen hier all die besten Plätze, oder?«
»Einige von ihnen«, gab Pop bescheiden zu.
Megan starrte mit gerunzelter Stirn in ihren Tee. Beim Thema Angeln fand Pop nur schwer ein Ende. Darüber konnte er stundenlang reden.
»Ich hatte mir schon überlegt, ob ich nicht ein wenig das Gelände auskundschaften soll, wenn ich schon hier bin«, erwähnte Catch leichthin.
Erstaunt erhaschte Megan den abschätzenden Ausdruck in seinen Augen.
»Nun …«, Pop schien sich für die Vorstellung zu erwärmen, »… ich könnte Ihnen da vielleicht den einen oder anderen Platz zeigen. Haben Sie eine eigene Ausrüstung?«
»Leider nicht mitgebracht, nein.«
Mit einer großzügigen Geste wischte Pop dieses kleine Problem beiseite. »Woher stammen Sie, Mr. Catcherton?«
»Für Sie Catch, bitte«, verbesserte Catch sofort und lehnte sich in den Stuhl zurück. »Ursprünglich aus Kalifornien.«
Aha, daher also das typische Beachboy-Aussehen, dachte Megan und nippte an ihrem Tee.
»Da sind Sie aber weit von zu Hause weg.« Pop machte es sich auf seinem Stuhl gemütlich und zog seine Pfeife hervor, die er sich für interessante Gespräche aufhob. »Wollen Sie länger in Myrtle Beach bleiben?«
»Kommt darauf an. Ich würde mich gern mit Ihnen über den Vergnügungspark unterhalten.«
Pop hielt ein Streichholz an den Pfeifenkopf und paffte mehrere Male, bis der Tabak vor sich hin schmauchte und der Duft von Kirscharoma in die Luft stieg. »Das sagten Sie bereits am Telefon. Megan und ich haben gerade darüber gesprochen, dass wir ein paar Hilfskräfte für den Sommer brauchen werden. Die Saison beginnt in sechs Wochen. Bis Ostern sind es sogar nur noch drei Wochen.« Er paffte und stieß den Rauch aus. »Haben Sie schon mal auf einer Kirmes oder in einem Kassenhäuschen gearbeitet?«
»Nein.« Catch probierte den Tee.
»Na …«, tat Pop mit einem Schulterzucken diese Unerfahrenheit ab, »das kann man leicht lernen. Sie sehen mir wie ein intelligenter Mensch aus.«
Wieder fiel Megan dieses selbstsichere Grinsen bei Catch auf.
Sie setzte ihren Becher ab. »Einem Neuling können wir aber nicht mehr als das Minimum zahlen«, beeilte sie sich zu sagen.
So ungern sie es sich auch eingestand – dieser Mann machte sie nervös. Vielleicht gelang es ihr ja, ihn zu entmutigen, und er zog weiter und versuchte sein Glück woanders.
Dennoch … er sah nicht aus wie der Typ, der auf einer Kirmes die Achterbahn bediente oder einen Sommer lang auf einer Ranch die Mistgabel schwang. Ihn umgab eine Aura von Autorität. Seine Haltung strahlte Selbstsicherheit und Macht aus, auch wenn sein Charme eher als rau zu bezeichnen war.
So schien ihre Bemerkung auch keinerlei dämpfende Wirkung auf ihn zu haben. »Das ist nur vernünftig. Arbeiten Sie auch im Park mit, Meg?«
Sie verkniff sich eine bissige Bemerkung über seine Vertraulichkeit. »Oft«, erwiderte sie nur.
»Megan ist der Kaufmann in der Familie«, warf Pop ein. »Sie hält mich mit den Beinen auf dem Boden.«
»Ich hätte gedacht, Sie arbeiten als Model.« In Catchs Stimme lag weder Spott noch ein flirtender Ton. »Sie haben das Gesicht dafür.«
»Megan ist Künstlerin.« Pop zog stolz an seiner Pfeife.
»So?«
Catchs Musterung mit zusammengekniffenen Augen irritierte Megan.
»Wir weichen vom Thema ab«, sagte sie spröde. »Wenn Sie wegen eines Jobs hier sind …«
»Das bin ich aber nicht.«
»Aber Sie sagten doch …«