Mehr Gerechtigkeit! - Hans-Jochen Vogel - E-Book

Mehr Gerechtigkeit! E-Book

Hans-Jochen Vogel

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Beschreibung

Shortlist Politisches Sachbuch des Jahres 2021 Hans-Jochen Vogel setzte sich lange Jahre für eine neue Bodenordnung und soziale Gerechtigkeit ein. Er macht klar: Boden ist keine beliebige Ware. Das Gemeinwohl muss über die Regeln des Marktes gestellt werden. In seinem letzten großen Bestseller wirft er einen Blick in die Vergangenheit und zeigt auf, wie es zur aktuellen Situation kommen konnte. Er formuliert konkrete Vorschläge für die Zukunft, um die Situation hierzulande zu verbessern. Lange Jahre fristete das Thema bezahlbarer Wohnraum ein Schattendasein. Zuletzt drängte es wieder in die Öffentlichkeit. Für viele ist angemessener Wohnraum infolge der steigenden Mieten unbezahlbar geworden. Längst betrifft das Thema nicht mehr nur einkommensschwache Milieus. Bis weit in die Mittelschicht hinein stellt sich vielen die bange Frage, wie lange sie sich ihre Wohnung, ihr Heim, noch leisten können. In den letzten Jahrzehnten gehen die Preise nur noch nach oben – sowohl in Großstädten als auch in ländlichen Regionen. Die bisherigen Maßnahmen, wie etwa die Mietpreisbremse, erweisen sich als stumpfes Schwert gegen die scheinbar unaufhaltsame Verteuerung des Wohnens. Denn den eigentlichen Grund hinter der Preisexplosion hat lange Zeit kaum jemand wahrgenommen: die dramatische Steigerung der Baulandpreise. Erst Hans-Jochen Vogels beharrlicher Kampf setzte das Thema wieder auf die Tagesordnung: Dieses Buch ist das Vermächtnis eines renommierten und weithin geschätzten Politikers, der sein ganzes politisches Leben lang für die Sicherung von bezahlbarem Wohnraum für alle Menschen gekämpft hat.

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Hans-Jochen Vogel

Mehr Gerechtigkeit!

Wir brauchen eine neue ­Bodenordnung – nur dann wird auch Wohnen wieder bezahlbar

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2019Alle Rechte vorbehaltenwww.herder.de

Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart E-Book-Konvertierung: wunderlichundweigand, Stefan Weigand

ISBN Print: 978-3-451-07216-1ISBN E-Book: 978-3-451-81876-9

Inhalt

Warum ich neuerdings auf einem ­Arbeits­gebiet aktiv bin, das mir schon vor 50 Jahren wichtig war

Ein Blick in die Vergangenheit: Frühere ­Ansätze für eine neue Bodenordnung

Vom Münchner Appell 1972 bis zur Novelle zum Bundesbaugesetz 1974

Das Thema verschwindet allmählich wieder von der Tagesordnung

Nach 50 Jahren: Das Thema kehrt auf die Tagesordnung zurück

Die Einrichtung einer Baulandkommission durch die Bundesregierung

Meine Vorschläge an die ­Baulandkommission

Der Schlussbericht der Baulandkommission und meine Stellungnahme dazu

Warum ist eine neue und gerechtere ­Bodenordnung gerade jetzt so dringend ­notwendig?

Nun zu meinen Vorschlägen: Auf welche Grundeinsicht stütze ich mich dabei, und welches ist mein Kernziel?

Warum und wie sollen dabei die ­Gemeinden eine besondere Rolle spielen?

Was muss geschehen, damit die ­Gemeinden ihre Aufgabe erfüllen können?

Was sollen die Gemeinden jetzt tun?

Wie sollen die Gemeinden mit ihrem ­›Boden‹-Eigentum umgehen?

Soll das alles für alle Gemeinden gelten?

Sind meine Vorschläge mit dem ­Grundgesetz vereinbar?

Wie wirken sich meine Vorschläge auf die bereits vorhandenen Regeln und ­Instrumente aus?

Was sollte sonst noch geschehen?

Ein wichtiges Thema bleibt noch: Was soll zur Beendigung oder zur Bremsung des ununterbrochenen Anwachsens der leistungslosen Bodengewinne geschehen?

Zum Schluss noch einmal: ­meine ­Vorstellung von einer neuen und ­gerechteren Bodenordnung

Glossar

Über den Autor

Warum ich neuerdings auf einem ­Arbeits­gebiet aktiv bin, das mir schon vor 50 Jahren wichtig war

Die Suche nach einer gerechteren Bodenordnung und die Frage, wie derseit Jahrzehnten unablässig andauernden Steigerung der Baulandpreise Einhalt geboten werden kann, haben in meinem politischen Leben schon vor fast 50 Jahren in meinen Funktionen als Münchner Oberbürgermeister (1960–1972) und dann als Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (1972–1974) eine zentrale Rolle gespielt. Waren doch schon damals die Baulandpreise auf der Bundesebene im Durchschnitt von 7,58 Euro pro Quadratmeter im Jahre 1962 – erst von da an wurden die Preise auf dieser Ebene erfasst – auf 15,72 Euro pro Quadratmeter im Jahre 1970 und damit um 107 Prozent gestiegen. In München – dort begann die Erfassung schon 1950 – betrug der durchschnittliche Quadrat­meterpreis hingegen in diesem Jahr 3 Euro und 1970 70 Euro. Er hatte sich also seit 1950 sogar um 2234 Prozent erhöht. Diese Entwicklung hat sich in der Folgezeit kontinuierlich fortgesetzt.

Eine ganz ähnliche unheilvolle Entwicklung wie damals ist dann vor allem seit 2010 wieder im Gang. Die Baulandpreise pro Quadratmeter stiegen in dieser Zeit bundesweit von 156,63 Euro pro Quadratmeter im Jahre 2016 auf 174,94 Euro pro Quadratmeter im Jahre 2017. Für München betrugen die entsprechenden Zahlen 1700 und 1876 Euro pro Quadratmeter.

In den Medien und auch in der Politik wurde jetzt aber nur über die rapide Steigerung der Mieten und den zunehmenden Mangel an bezahlbaren Wohnungen diskutiert. Das – für sich betrachtet – durchaus zu Recht. Denn die Angebotsmieten stiegen im Bundesdurchschnitt pro Quadratmeter von 6,81 Euro im Jahre 2015 auf 7,09 Euro im Jahre 2017. In München stiegen sie sogar von 12,60 Euro auf 13,10 Euro. Es wurde auch versucht, dem durch eine sogenannte Mietpreisbremse, das heißt durch ein Mietrechtsnovellierungsgesetz abzuhelfen, das am 1. Juni 2015 in Kraft trat und für Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt – diese Gebiete wurden durch Landesverordnungen bestimmt – nur Mieten zuließ, die zu Beginn des Mietverhältnisses die ortsübliche Vergleichsmiete um höchstens zehn Prozent überstiegen. Da diese Regelung nicht genügend Wirkung zeigte, wurde sie schon wenig später durch ein Bundesgesetz vom 29. November 2018 verschärft. Aber auch dieses konnte weitere erhebliche Steigerungen der Mietpreise nicht verhindern.

Keine Rede ist hingegen von einer ganz wesentlichen Ursache der Mietpreissteigerungen, nämlich dem enormen Anstieg der Baulandpreise. Diese Verbindung zwischen beiden Entwicklungen wird besonders deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass in München 1962 von den Kosten eines Wohnungsbaus auf die Grundstückskosten im Jahre 1961 acht Prozent und auf die Baukosten 92 Prozent entfielen. 1970 machten hingegen die Grundstückskosten in diesen Gebieten bereits 16 Prozent und die Baukosten 84 Prozent aus. Inzwischen betragen die Grundstücksanteile in München im Jahre 2018 79 Prozent und die Baukosten 21 Prozent.

Dies alles brachte mich dazu, das Thema Baulandpreise und damit auch das Gesamtthema Bodenordnung ungeachtet meines Lebensalters – ich stehe nun immerhin in meinem 94. Lebensjahr – noch einmal aufzugreifen. Das tat ich im Jahre 2017 in einem Aufsatz unter dem Titel »Bedarf es wirklich keiner Bodenrechtsreform? Ein verdrängte Herausforderung«, der im November 2017 in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde. In diesem Aufsatz schilderte ich die soeben wiedergegebene Baulandpreisentwicklung und ging dann ausführlich auf meine früheren Bemühungen auf diesem Gebiet und das Ergebnis dieser ein. Darüber und über den damaligen Umgang der Politik mit diesem Thema will ich im Folgenden zunächst einmal detailliert berichten. Dies erscheint mir notwendig und nützlich, weil heutige Bemühungen um eine Eindämmung der Bodenpreise und der Bodenspekulation aus den damaligen Erfahrungen und aus den Fehlern, die seinerzeit und bis heute gemacht wurden, Nutzen ziehen können.

Ein Blick in die Vergangenheit: Frühere ­Ansätze für eine neue Bodenordnung

Eine immer lebhaftere Diskussion über die damalige Bodenpreisentwicklung begann in München – aber auch in weiteren Teilen der alten Bundesrepublik – schon in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre des vorigen Jahrhunderts. Im Stadtrat kam es nach längeren Vorgesprächen am 18. November 1970 zu einem von mir angeregten Stadtratsbeschluss, der die Ausarbeitung konkreter Reformvorschläge und die Vorbereitung eines Appells an den Bundesgesetzgeber zum Ziel hatte. Der dem Beschluss vorausgehende Vortrag des zuständigen Referenten – es war dies der Berufsmäßige Stadtrat Werner Veigel als Leiter des Kommunalreferats – liest sich an manchen Stellen so, als ob er heute gehalten worden wäre. Vieles ist von erstaunlicher Aktualität. Deshalb zitiere ich ausführlich aus diesem fast 50 Jahre alten Text.

Gleich zu Beginn heißt es:

»Ich habe Ihnen heute die Münchner Statistik über die Bodenpreisentwicklung im Jahre 1969 vorgelegt. Die Steigerung um 31 % von 206 % (1968) auf 237 % (1969) bezogen auf eine Preisbasis zum 1.1.1961 bzw. die absolute Erhöhung der Grundstückspreise im Vergleich zum Vorjahr um 15,04 % ist Nachkriegsrekord. In dem laufenden Jahr zeichnet sich keine Besserung ab – im Gegenteil. In der Öffentlichkeit wächst über diese Entwicklung das Unbehagen. Schlagzeilen wie ›Die Bodenspekulation schreit zum Himmel‹ u. ä. werden immer häufiger. Die Problematik ist jedoch nicht neu. Seit Jahren sprechen sich fast alle Parteien und die Kirchen gegen die Auswüchse auf dem Grundstücksmarkt aus. Geschehen ist so viel wie nichts, obwohl selbst der Bundestag 1953 dem damaligen Bundeskanzler Adenauer und seiner Regierung Auftrag erteilt hat, ›innerhalb eines Jahres den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, wodurch Spekulationsgewinne an Grund und Boden ausgeschlossen werden.‹

Die Auswirkungen dagegen spitzen sich immer mehr zu. Die Mieten steigen. Die Bausparer hinken hinter der Entwicklung her. Die Eigentumsbildung wird zum Spekulationsobjekt. Die Städte mit ihrem enormen Grundbedarf für Gemeinbedarfszwecke leiden schwer unter dieser Entwicklung. Der Landeshauptstadt München haben die Bodenpreissteigerungen der Nachkriegszeit runde 700 Mill. DM gekostet. Sie, meine Damen und Herren, die Sie fast tagtäglich mit der Finanzierung lebensnotwendiger Investitionen kämpfen, werden sich ausrechnen, wie viele Schulen, wie viele Krankenbetten, wie viele Altersheimplätze Sie um diesen Betrag hätten schaffen können. Ungeschminkt ausgedrückt: eine verschwindend kleine Minderheit wurde durch diese Entwicklung maßlos reich. Wir Normalbürger finanzieren diese Millionengewinne durch Steuern und durch Verzicht auf dringende Einrichtungen der ­Daseinsvorsorge.«

Dann heißt es weiter:

»Steigender Wohnkomfort und moderne Produktionsmethoden (Fließbandtechnik) verbrauchen immer mehr Grundflächen. Boden ist jedoch unproduzierbar. Trotzdem wird er gehandelt wie Ware in einem Krämerladen, d. h. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Da das Angebot stagniert und die Nachfrage steigt, überschlagen sich die Preise – wie die vorgenannten Beispiele zeigen. Zusätzlich wird die Spekulation durch Steuervergünstigungen zu dieser Art der Anlage von Vermögen bei einem sowieso schon zu knappen Angebot ermuntert. (So lassen sich z. B. Riesenvermögen vor Vermögens- und Erbschaftssteuerforderungen ganz legal in Immobilienbesitz mit einer völlig unwirklichen Einheitswertfestsetzung ›verstecken‹). Nach Ablauf einer Frist von 2 Jahren sind sog. Spekulationsgewinne steuerfrei. Die Folge der verstärkten Nachfrage ist weitere Verknappung, ist weitere Wertsteigerung, was wiederum die Spekulation zu verstärktem Engagement anreizt. Eine Spirale ohne Ende!