Mein Besuch Amerika's im Sommer 1824 Ein Flug durch die Vereinstaaten Maryland, Pensylvanien, New-York zum Niagarafall, und durch die Staaten Ohio, Indiana, Kentuky und Virginien zurück - Suchard, Philippe - kostenlos E-Book

Mein Besuch Amerika's im Sommer 1824 Ein Flug durch die Vereinstaaten Maryland, Pensylvanien, New-York zum Niagarafall, und durch die Staaten Ohio, Indiana, Kentuky und Virginien zurück E-Book

Philippe, Suchard

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The Project Gutenberg eBook, Mein Besuch Amerika's im Sommer 1824, by Philippe Suchard

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Title: Mein Besuch Amerika's im Sommer 1824

Ein Flug durch die Vereinstaaten Maryland, Pensylvanien, New-York zum Niagarafall, und durch die Staaten Ohio, Indiana, Kentuky und Virginien zurück

Author: Philippe Suchard

Release Date: February 2, 2015 [eBook #48140]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MEIN BESUCH AMERIKA'S IM SOMMER 1824***

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Note:

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MeinBesuch Amerika'sim Sommer 1824.

Ein Flugdurch die Vereinstaaten Maryland, Pensylvanien, New-York zum Niagarafall,und durch die Staaten Ohio, Indiana, Kentuky und Virginienzurück.

Von S. v. N.

Aarau, 1827.Bei Heinrich Remigius Sauerländer.

1.Die Abreise.(20. bis 28. Mai.)

»Aber um aller Welt willen, Vetter, warum wollen Sie doch in alle Welt?« riefen mir Vettern, Muhmen, Basen zu, als mein Entschluß bekannt ward.

– Die vereinten Staaten von Nordamerika sind ja nicht alle Welt! – war meine Antwort.

»Wir sehen Sie in diesem Leben nicht wieder.«

– Hm, ich denke, noch vor Weihnachten. Es ist von hier bis Amerika nicht gar weit. Morgen reis' ich ab. In sechs, acht Wochen geh' ich in Amerika schon spazieren.

»Und, Vetterchen, bedenken Sie doch die tausend Gefahren auf dem Meere!«

– Ich sehe da deren nicht mehr, als auf dem Lande; nämlich, allenfalls ums Leben zu kommen. Gut, diese Gefahr ist die einzige, und wir bestehen sie vom Morgen bis zum Morgen alle Tage bei uns auf festem Boden.

»Ach, und Sie sind noch so blutjung.«

– Sieben- bis achtundzwanzig Jahre, glaub' ich. In dem Alter hatte Napoleon schon Italien erobert.

»Nun, warum machen Sie nicht lieber eine Lustreise nach Italien?«

– Erstlich lasse ich mich schlechterdings nicht im Piemontesischen mit meinen Paar Büchern als Transitgut plombiren; zweitens mich in Mailand schlechterdings nicht auf die Polizei schleppen, wenn unglücklicherweise an meiner Weste Carbonari-Farben zu sehen wären; drittens hab' ich einen Abscheu vor Stileten und Dolchen der Weglagerer, die im Kirchenstaat wieder mit der guten, alten Ordnung zurückgekehrt sind.

»Oder meinethalben gehen Sie nach Petersburg, wenn Sie etwa Berlin und Wien gesehen haben.«

– Petersburg ist von hier so weit, als Boston und Philadelphia, und die chinesische Mauer der Paßordnung ist am Fortkommen hinderlicher, als der Ocean. Ich möchte nicht, wegen der versäumten Unterschrift irgend eines Paßschreibers, ein Vierteljahr lang in einem russischen oder polnischen Gränzdorf verweilen.

»Reisen kostet Geld, Vetterchen!«

– Ein Paar tausend Gulden für die Lustfahrt, mehr nicht. Andere verlieren das noch behender und geschmackloser in Lotterien, am Spieltische, beim Weintische, in kaufmännischen Spekulationen, durch lockere Weiber, ungerathene Kinder, niederträchtige Falliten, übelberechnete Baupläne und allerlei Neukäufe.

»Aber welchen Nutzen können Sie von der Reise haben?«

– Der liebe Nutzen ist nicht Alles in der Welt; es gibt auch Anderes und Besseres, wofür man lebt, z. B. das Gute, oder das Schöne, oder das Wissen und Kennen. Dies abgerechnet, ist nicht auch Gesundheit und Lebensgenuß etwas Nützliches? Dafür reisen Engländer und Franzosen in die Schweiz, Deutsche nach Paris, Russen nach Neapel. Ich könnte auch wohl noch einen Nebenzweck beifügen.

»Und der wäre? Eine Handelsspekulation? Unterwegs eine Braut finden? Ihren Oheim in Amerika sehen?«

– Nein, für alle Nothfälle auch gelegentlich zu erfahren, ob Amerika für unser eins einmal zum Vaterlande taugen könnte?

»Behüt' uns der Himmel! Sie denken doch nicht an's Auswandern?«

– Gerade jetzt nicht. Aber nehmen Sie mir nichts übel, es wird mir allgemach ein wenig unheimlich und unfrei hier zu Lande.

»Wie? wo können Sie freier leben, als hier im freien Vaterlande?«

– Wo? das weiß ich eben nicht, drum möcht' ich's gern wissen. Uebrigens räum' ich willig ein, wir sind hier, Gott sei Dank, so frei, als man irgend sein kann, wenn man sich mit Namen, Worten und Liedern begnügt; jeden Rathsherrn sein Nabobchen spielen lassen muß; mit Nationalehre und Nationalunabhängigkeit von Fremden es nicht genau nimmt; und es über sich bringt, dem gesunden Menschenverstande zuweilen ein Auge zuzudrücken. Läg' unser liebes Vaterland nicht in Europa, wäre es gewiß um die Hälfte mehr werth.

»Was geht Sie denn Europa an?«

– Hm! doch etwas. Man lebt nicht blos in seinem Hause, sondern auch im Städtlein mit den Leuten. Und gebildete Menschen leben heutiges Tages nicht blos in ihrem Ländlein, sondern auch im Welttheil, zu dem dasselbe gehört. Wenns in Spanien brennt, fliegen Funken bis Rußland; und wenn man in London spricht, hört mans gut in Berlin und Neapel. Ich gebe zu, Europa ist sehr glücklich für viele, viele seiner vortrefflichen Bewohner; für Geisterseher, Absolutisten, Ultra's, Mönche, Restauratoren, Gebetbuchmacher, Inquisitoren, Wetterhähne, Censoren, Polizeispione, Einnehmer, Zionswächter u. s. w. Leider hab' ich nicht die Ehre, zu einer dieser Zünfte zu gehören. –

Als alles Zureden der lieben Vettern und Bäschen eitel blieb, liessen sie mich gehen. Ich packte ein. Es kostete uns Allen beim Abschiede einige köstliche Thränen. Ich bestieg den Postwagen.

Nichts von meinem Flug durch Frankreich bis Paris. Ich sprach unterwegs den und diesen. – »Seid ihr glücklich, Leutchen?« – Jeder antwortete mit einem zusammengesetzten Gesicht, das meistens etwas in's Süßlichsaure schillerte: »Mais oui. So, so!« und dann gab's zu dem «Mais oui» Anekdoten, Bemerkungen, gar Flüche, die insgesammt wie ein Kommentar zu dem Sprüchwort aussahen: Vom Regen in die Traufe. Einige von den Pfiffigsten hielten mich offenbar für einen Mouchard, oder Agent Provocateur. O die glücklichen Leutchen!

Ich fand meinen Bruder in Paris. Er wollte mich bis Havre begleiten. Am 27. Mai Abends 5 Uhr fuhren wir die Barrieren hinaus ins Freie. Die Natur war von der Hand des Frühlings mit dem höchsten Zauber bekleidet. Von Zeit zu Zeit schimmerte zwischen artigen Landhäusern und kleinen Gehölzen der gekrümmte Strom der Seine. Etwas weiter hin stiegen St. Cloud und Versailles mit den prachtvollen Schlössern empor. Nicht minder mannigfaltig prangten die Gegenden zu unserer Rechten. Die letzten Strahlen der Sonne hüllten die Kirchthürme von St. Denis in Gold. Dann ließ die Nacht ihren halbdurchsichtigen Schleier nach und nach über das schöne, große Bild niedersinken.

Am Morgen schwamm die Stadt Rouen vor uns im Hintergrunde mit ihren Thürmen und Schiffsmasten, halb und halb im Rauch der Schornsteine verloren. Rouen hat viele protestantische Einwohner und vielen Gewerbsfleiß. Dadurch ward es blühend. Man ist jetzt sehr eifrig daran, die Kirchen besser zu bevölkern und durch Missionäre den Glauben zu stärken. Die Fabriken fangen an zu kränkeln und mit dem Glauben will der Kredit nicht wachsen.

Das Land, auch hinter Rouen, als wir von einer Anhöhe niederfuhren, ist herrlich. Die Seine verliert sich in zahllosen und weiten Windungen durch fruchtbare Gefilde in die blaue Ferne. – Vier Uhr Nachmittags sahen wir Havre und das Meer; um sieben Uhr saßen wir im Hotel Bienvenu an guter Tafel.

2.Am Ufer des Meers.(29. Mai bis 1. Juni.)

Ausgeschlafenen Sinnen ist das ganze Weltall frischer, lebendiger, lachender. Alle Müh' und Noth, welche ich mit den Spediteurs und Zollratzen in Havre wegen meines schon dahin vorausgesandten Reisegepäcks hatte, ward mir wieder durch den Genuß versüßt, welchen jeder hat, der zum erstenmal am Gestade eines Meeres steht.

Als wir dahin gingen, kamen wir in ein sonderbares Feldgelager. Alles war mit Männern, Weibern, Kindern in fremden Trachten, alten Leuten mit Bärten, Karren, Kisten und Pferden bedeckt. Gleich den Horden der Nomaden wohnten sie Tag und Nacht im Freien; der Himmel war ihr Dach und die nächtliche Finsterniß der Umhang ihres Bettes. Ich erkannte sie bald für Elsasser und Schweizer. Die Bartmänner mochten zu jenen stillen, gutmüthigen Wiedertäufern gehören, die Keinen beleidigen und so oft der Gegenstand der Bedrängung sind. Man sagte mir, daß auch wohl nach und nach alle jene Wiedertäuferfamilien, welche die wilden Berge des Münster- und St. Imerthals fruchtbar machten, ihre Einsamkeiten verlassen würden, um eine freiere Heimath zu suchen.

Die ganze Schaar, die wir hier sahen, waren Auswanderer nach Amerika. Die Männer hatten mit Geschirr, Wagen und Kasten zu schaffen. Andere schmauchten harmlos ihr Pfeifchen. Berner und Baseler Bäuerinnen, in ihrer Landestracht, hingen Wäsche an Seilen auf zum Trocknen.

Ein so ausserordentliches Schauspiel mochten die Leute von Havre wohl lange nicht gehabt haben. Sie standen zahlreich gaffend da. Ein Haufe muthwilliger, kleiner Buben hatte ein kleines Bernermädchen zwischen sich, das noch, wie in der Heimath gewohnt, die Haare seines Hauptes in zwei langen, mit Bändern durchflochtenen Zöpfen niederhängen ließ, während am Ende der Haarflechten unterwärts die Bänder bis fast zu den Waden niederflatterten. Nun hatte einer der Knaben beide Band-Enden erhascht und ließ das arme Mädchen, wie am Leitseil, bald rechts, bald links trotten. Ich machte dem Auftritt ein Ende.

Als ich von den Auswanderern einige deutsch anredete, riefen sie: »Ach myn Gott, syd'r au ne Schwyzer? Ganget'r au in Amerika?« Ich gab denen, welche wegen der Ueberfahrt noch nichts auf den Schiffen bedungen hatten, den wohlthätigen Rath, ganz unmittelbar mit einem Schiffskapitän den Vertrag selbst abzuschliessen, und keinem jener dienstfertigen Negozianten und Kommissionäre zu trauen, sie möchten Landsleute sein oder nicht. Denn dergleichen Personen kennen selten, ausser ihrem Handels- und Kommissions-Ertrag, etwas Erträglicheres; das Kontobuch ist die wahre Heimath ihres Herzens und Geistes; das Soll und Haben ihr Vaterland und Ausland.

Wir kamen zum Hafen. Die Unermeßlichkeit und Majestät der ersten Erscheinung des uferlosen, lebendigen Meeres überfiel uns mit wunderbaren Schauern. Wir standen unverabredet plötzlich still, wie gebannt, und verloren die Sprache. Unser ganzes Wesen ward Auge; und doch ward mir, als wären meine Augen viel zu klein, das Bild der Unendlichkeit aufzunehmen.

Wir bewanderten nun den Hafen von einem Ende zum andern, indem wir dem Becken folgten, welches drei Viertel der Stadt einfaßt. Von Schritt zu Schritt lag der Weg verrammelt: Seile, Holzbiegen, Kohlhaufen, ungeheure Ankertaue, Steine, Schiffsmasten, Sandhaufen, Fässer, umgekehrte Nachen und Kähne, Kisten von aller Form und Größe, Waarenballen aufeinandergethürmt, Alles durcheinander. In den Zwischenräumen aufqualmendes Gewölk von Theerkesseln. Links und rechts Hämmern und Klopfen von hundert Schlägeln, Beilen, Aexten. Zwischendurch das Geschrei und Rufen der Matrosen am Ufer, wie auf Fahrzeugen, die über den Wellen tanzten.

Wie wir Nachmittags wieder dahin kamen, sahen wir eine überraschende Verwandlung. Das große Wasserbecken war geschlossen; der übrige Theil des Hafens bis zum Meere lag trocken. Mehrere kleine Schiffe ragten aus dem Sand hervor, andere ruhten mit einer Seite auf den beschlammten Steinen.

Anfangs standen wir bei dem unerwarteten Anblick voll Erstaunens da; besannen uns aber bald, dies sei das Werk der Ebbe. In Havre betragen Fluth und Ebbe, vom höchsten zum tiefsten Punkt, 22 Fuß; so wechseln sie binnen 25 Stunden zweimal. Zu Liverpool ist ein Unterschied des tiefsten Ebbe- und höchsten Fluthpunktes von 29 Fuß. In Amerika ist er weit geringer; in Philadelphia z. B. 6 Fuß, in Newyork nur 5 Fuß, in Baltimore nur einen einzigen. Alles hängt davon ab, ob das Meer minder oder mehr eingeschlossen und beengt ist.

Wir befanden uns bald auf dem Mola, der seine Erdzunge weit in die See hinausstreckt. Eine unzählbare Menge Schiffe schwebte in allen Richtungen vor uns über dem dunkeln, beweglichen Wasserspiegel und dem Horizont. Majestätisch, wie Schwäne, zogen Dreimaster durch die Fluthen. Einige Rauchstreifen über fernen Wellen ließen uns Dampfschiffe erkennen.

Folgendes Tags, es war Sonntag, neues Schauspiel. Eine bunte Volksmenge füllte das Ufer des Hafens, beim herrlichsten Wetter. Ein neugebautes, großes Schiff sollte zum erstenmal in sein künftiges Element hinausgeschleudert werden. Wir gelangten zu dem gewaltigen Gebäu. Ein Dampfschiff mit Musik und vielen Neugierigen war bereit, das todte Ungeheuer in den Hafen zu schleppen. Tausend und tausend Menschen drängten sich herbei; ihrer hundert wenigstens stiegen in's zu weihende Fahrzeug. – Das Zeichen ward gegeben und bei zwanzig Mann, mit großen Aexten, schlugen Gerüst- und Sperrwerk ein, welches dem Abrollen des Schiffs entgegenstand. Es hing nur noch schwach mit dem Boden zusammen. Die Lage schien in der Ordnung. Ein zweites Zeichen, und der Balken, welcher den Schiffrumpf noch festhielt, stürzte zu Boden. Der Kiel, in einer Art Trag-Leitung, die wohl mit Seife bestrichen war, glitschte langsam vor, bald mit wachsender Geschwindigkeit, immer schneller, daß ein schwarzer Rauch hinten nachfuhr. – Plötzlich Geschrei um mich her: »Das Schiff stürzt auf die Seite!« Ich stand mit meinem Bruder fünf Schritt von der Bahn. Das Schiff kömmt. Alles schreit im Gewimmel, wo wir waren; alles flieht, stolpert über Seile, Fässer, Holz, fällt, reißt andere fallend mit sich. – Welch' ein Schlachtfeld, welche Niederlage! – Als ich aufstand – die ganze Verwirrung dauerte zwei Sekunden – und mich umsah, schwamm das Schiff schon stolz im Meere hin.

3.Hyperion.

Denselben Abend reisete mein Bruder nach Paris zurück. – Ich hatte mir schon ein Schiff zur Ueberfahrt nach Amerika gefunden und die Bedingungen abgeschlossen.

Es lagen eben drei Schiffe im Hafen segelfertig nach Amerika; der Bayard und die Elisabeth zur Fahrt nach Newyork, der Hyperion nach Baltimore. Ich wählte mir den Hyperion aus, diesen mythischen Vater des Sonnengottes, mein Heil mit ihm zu versuchen. Es kamen noch andere kleine Umstände dazu, die mich zu seinen Gunsten stimmten. Zwar der Bayard war das größte Schiff, aber Hyperion stand ihm an Schönheit nicht nach. Und wie ich an sein Bord ging, mit dem Schiffskapitän, einem Amerikaner, zu unterhandeln, hieß er: Albert de Valengin. – Von Valengin? was? Also eine Art Landsmann? – In der That. Er erzählte mir, sein Vater, von Neuenburg in der Schweiz gebürtig, habe sich nach Amerika begeben gehabt, weil er mehr oder minder Theil an einem Bürgeraufstande genommen hatte, der ihm mehr oder minder gerecht geschienen. Denn in den letzten Jahrhunderten der Eidsgenossenschaft, als diese durch innere Zwiste schwach in sich selbst, daher feige gegen das Ausland, daher friedliebend im Uebermaaß gegen Fremde, aber trotzig, herrisch und unterthansüchtig im eigenen Ländchen geworden, wären der Unruhen und Aufstände so viel geworden, daß man sie eher für etwas Gerechtes als Ungerechtes hätte ansehen mögen.

Was gings mich an? Ich ließ den Mann bei seinem Glauben. Er gefiel mir. Er mochte kein Schweizer sein, blos freier Amerikaner. Er sprach auch nur englisch. Er forderte für die Ueberfahrt nach Baltimore 600 Franken von mir und begnügte sich mit 500, wenn ich für mein Bettgeräthe und den Wein selber sorgen würde.

Die Kajüte war zierlich; alle Vertäfelung darin von Acajou-Holz; ebenso Tisch und Stühle. Ein großer Spiegel, mit breitem Goldrahmen, füllte den Raum zwischen beiden Fenstern im Hintergrund. In der Mitte des Zimmers schwebte ein Kompaß an drei zierlichen Ketten hangend. Die Betten, in Form sauberer Kleiderkisten, befanden sich hinter Umhängen, an den Seiten. Die größte Sauberkeit war über Alles verbreitet. Schloß und metallische Beschläge der Thür waren von glänzendem Messing. Ueber dem Fußboden lag ein großer türkischer Teppich ausgespannt, und ein zweiter, sehr schmaler deckte die Treppe.

Das Gefällige und Reinliche dieser kleinen Wohnung über den Wellen sprach mich gar freundlich an. Das Anmuthige und Schöne gehört zu den ersten Lebensgenüssen, und veredelt Leben und Gemüthsart. Das geistlose Thier hat keine Fähigkeit, vom Schönen gerührt zu werden, eben weil es geistlos ist. Es hat nur Sinn für Fraß und Durststillung. Der rohe, bildungslose Mensch gleicht darin dem Thiere. Er kennt nichts Besseres, als was ihm in Gaumen und Magen wohlthut. Der erste Federschmuck und Nasenring der Wilden ist ein Zeichen vom Erwachen des Höhern. Das weibliche Geschlecht, immer früher reifend, als das männliche, ist auch dasjenige, welches die Völker zuerst und am meisten aus dem Schlamm des Thierthums hervor ins Menschliche heben. Will man Wilde, Halbwilde, Leibeigene und rohe Bauern gesitteter machen, bringe man den jungen Mädchen und Frauen Putzwaaren. Ein Hausirer mit buntem Bänderkram, Halstüchern u. s. w. hat auf die Civilisation eines wüsten Dorfes segensvollern Einfluß, als Pfarrer und Schulmeister. – Das wird freilich manchem Schulmeister unglaublich scheinen.

Alle seefahrende Völker haben ihre eigenthümliche Weise im Bau der Schiffe. Es ist damit, wie mit Nationaltrachten, Sitten, Sprachen. Ein Seekapitän, sobald er irgend ein Schiff nur deutlich erkennen mag, wird auch sogleich sagen, welcher Nation es angehört. Die amerikanischen sind nach einer andern Einrichtung geformt; allgemein anerkannt, daß sie die zierlichsten, und dabei die feinsten Seegler sind. Aber sie haben auch die wenigste Dauerhaftigkeit.

Mir lag jetzt nicht viel an der letztern; desto mehr am Niedlichen und Schnellen. Der Hyperion war eine Brick von 400 Tonnen. »Wie lange können wir damit unterwegs sein?« fragte ich den Herrn von Valengin. – »Ein Schiff,« sagte er, »das keine andere Mittel zum Fliegen hat, als seine Segel, hängt von der Huld der Winde ab. Der Hyperion hat die Ueberfahrt von Charlestown in Amerika nach Amsterdam in Holland auch schon in achtzehn Tagen gemacht.«

Zu den schnellsten Fahrten zählt man diejenige einer amerikanischen Goelette, die von Newyork nach Havre nur vierzehn Tage brauchte; und eines Packbootes, das in dreizehn Tagen von Newyork nach Liverpool kam. Aber das, was bisher in den Jahrbüchern der Seefahrer das Unerhörteste gewesen, erzählte mir in Amerika einige Monate später Herr Gallatin, wie ich ihn zu Geneva besuchte. Als er nämlich zu seinem Gesandtschaftsposten in Paris von Amerika abreisete, machte die Fregatte, welche ihn führte, den Weg bis Havre in vierzehn Tagen.

Uebrigens ist bekannt, man fährt von Europa nach Amerika nicht so geschwind, als umgekehrt. Dazu tragen einerseits die Südwestwinde bei, die das Meer während zwei Drittheilen des Jahrs beherrschen, anderseits die Strömungen, welche vom mexikanischen Golf ausgehen, sich bis zum 45. Grad nordwärts fühlbar machen, und in mancher Gegend des Ozeans zwei bis vier Seemeilen in einer Stunde einbringen. Das Wasser dieser Strömungen ist auch bei sechs Grad wärmer, als das Wasser an den Küsten.

Ich habe zwar nicht die Ehre, Seemann zu sein. Allein im Vertrauen auf das tägliche Fortschreiten menschlicher Wissenschaft und Kunst, darf ich mir, vielleicht mit größerm Recht, als mancher andere, die Ehre erlauben, Prophet zu sein. Schon jetzt ist eine Reise von Europa nach Amerika und wieder zurück nicht kostspieliger, nicht gefährlicher, nicht unbequemer, als die Reise im Kasten einer Postkutsche zu Lande auf halb so langem Wege. Man ist da nicht zum Ueberfluß noch von hungrigen Postillionen, groben Postbeamten, prellenden und schnellenden Wirthen, rohen Mauthknechten, Paßschreibern, Visitatoren, Zoll- und Weggelderforderern und anderm Reise-Ungeziefer geplagt, das von der Polizei- und Finanzkunst des überglücklichen Europa zum Besten der Menschheit erfunden worden ist. Es wird eine Zeit kommen, da, wenn sich der Europäer erholen, zerstreuen, frische Luft schöpfen will, und umhersinnt, wohin eine kleine Lustreise thun? er kurz abbricht und sagt: »Ich will ein wenig nach Amerika, und komme gleich wieder.«

Bis jetzt bewegen sich die Fahrzeuge über das Meer entweder mit Segeln, oder Galeerenrudern, oder Dampfmaschinen. Im Allgemeinen sind die Segel freilich die vortheilhaftesten Schiffsfittige, am wohlfeilsten und raumsparendsten. Nur bei langen Windstillen machen sie traurige Miene. Es wird nicht fehlen, man wird mit der Zeit den Schiffsbau dahin vervollkommnen, daß man zu den Segeln noch die Dampfmaschinen beihilfsweise gesellt, und sie in Fällen spielen läßt, wo der Wind seine Huld versagt.

4.Haushaltung auf dem Meere.(2. Juni bis 13. Juli.)

Ich war am Bord. Mittags den 2. Juni wurden die Anker des Hyperion gelichtet, alle Flaggen und Wimpel aufgezogen. Die im Hafen bleibenden Schiffe erwiederten auf dieselbe Art das Abschiedszeichen. Es blieb nicht bei dieser stummen Sprache: »Hurrah!« brüllten unsere Matrosen; »Hurrah!« scholl es links und rechts von den andern Fahrzeugen zurück.

Das Wetter war angenehm. Ein sanfter Wind strich furchend über die spiegelnde Wasserebene. Mehrere kleinere Fahrzeuge folgten dem unsern. Andere kamen uns entgegen, und zwar mit demselben Winde, und segelten dabei nicht langsamer, manche geschwinder, als wir. Das amerikanische Packboot, die Queen-Maab, kam so eben von New-York her. Mit entfalteter Flagge und dem Hurrah-Gruß der Matrosen, fuhr es zehn Schritte weit an uns vorüber. Das Verdeck desselben war voller Reisenden, deren Aeusseres schon verkündete, wie vergnügt sie waren, am Ziel ihrer Fahrt zu sein. Das Land wich hinter uns zurück. Der Zuschauer-Haufe am Ufer verschwand. Die Küsten schienen sich auf den Wellen zu bewegen, und auf- und niederzusteigen. Endlich wurden sie zu einem schwarzen Striche, der sich zwischen der zitternden Wasser-Ebene und dem Himmel entlang zog.

Ich sah mich nun nach den Reisegefährten um, die mit mir im engen Raum des Hyperion den Abgrund des Ozeans, von einem Welttheil zum andern, überschiffen wollten. Der Kapitän, zwei Lieutenants, zehn Matrosen, ein Stewart, ein Koch, ein Schiffsjunge, bildeten die Bemannung des Fahrzeugs. Ich war der einzige Reisende in der Kajüte und am Tische des Kapitäns. Die übrigen waren Auswanderer von Europa, Männer, Weiber, Kinder, 68 an der Zahl, die unten im übrigen Schiffsraum herbergten und ihre Küche selbst besorgten. Der Kapitän, die beiden Lieutenants und ich speiseten zusammen. Man hält drei Mahlzeiten des Tags. Zum Frühstück gibt's schwarzen Kaffee, Fleischschnitte, Geflügel, kleine Kuchen u. s. w. Mittags speist man um 1 Uhr, Fleisch auf verschiedene Art zubereitet und Gemüse; zum Nachtisch Käse oder Früchte; Bier, Wein, gebrannte Wasser mit natürlichem verdünnt. Sieben Uhr Abends nimmt man den Thee, wieder mit Nebengerichten von Fleisch, Backwerk u. s. w. begleitet. Fast alle Schiffe haben lebendige Schweine, Schafe, Hühner und Enten in Fülle an Bord. Einige Packboote, zwischen Havre und New-York, halten auch der Milch wegen eine Kuh. – Die Matrosen speisen in ihrer Kajüte am andern Ende des Schiffes eine Stunde früher, als der Kapitän.

Dieser hat wenig Langeweile. Er und einer seiner Lieutenants schreiben von Stunde zu Stunde Richtung des Windes, Länge des zurückgelegten Weges, die Höhe, welche man gefunden, die Schiffe, welche man gesehen oder gesprochen hat und hundert andere Beobachtungen und Bemerkungen auf. Zu unbestimmten Zeiten, des Nachts wie des Tags, ging der Kapitän aufs Verdeck und musterte Sachen und Arbeiten.

Das Steuer führt ein Matrose, der alle zwei Stunden abgelöst wird; die Augen stets auf zwei vor ihm befindliche Kompasse geheftet, die des Nachts durch eine Lampe beleuchtet sind. Bei gutem Wetter hatten die Matrosen von vierundzwanzig Stunden nur sechs zur Ruhe; bei bösem Wetter blieb Alles auf den Beinen wach. – In den meisten Reisebeschreibungen wird über die Rohheit der Matrosen geklagt. Man schildert sie, wie einen Auswurf des menschlichen Geschlechts. Ich fand das bei unsern Matrosen nicht. Sie waren insgesammt Amerikaner, sehr gefällig, dienstfertig, sauber gekleidet, sittsam und immer thätigen Gehorsam. Freilich man muß diese braven Leute nicht wie Knechte und Bediente behandeln und ihnen Befehle zuherrschen wollen. Aeusserte ich bittweise nur einen Wunsch, schnell sprangen zwei und mehr, mir zu helfen. In Baltimore begegnete ich nachher einigen von ihnen wieder auf der Gasse. Sie waren aber so zierlich gekleidet, daß ich sie im ersten Augenblick nicht kannte. Einer lud mich sogar zu seinen Eltern ein. Der Empfang überraschte mich durch das Anständige, Feine und Herzliche. Wenn wir in der bürgerlichen Gesellschaft noch brutale, ekelhafte Menschenklassen haben, wahrlich, so sind daran nur die höhern Stände mit ihrer brutalen, ekelhaften Vorbildung schuld. Braucht nur häufig bei den Kriegsleuten und Vaterlandsvertheidigern die Korporal-Fuchtel, in den Schulen den Stock, werft die Juden mit Koth, und kehrt dem Handwerksmann und Landmann hochmüthig den Rücken zu, wenn sie euch gleichgeboren zu sein glauben, so habt ihr bald eine europäische Pariah's-Kaste gebildet. Dann schreibt Bücher über Bücher über Verbesserung der Juden, über Schulwesen, über Volksbildung; dann erlaßt Sitten- und Sonntagsmandate, Gesetze und Dekrete zur Beförderung der Zivilisation! Das wird helfen, wie ein Pflaster auf die Todeswunde des Erschlagenen. – Wie treibt man's aber in jenen Ländern, wo die Barbaren mit Titusköpfen und Fraks nach der neuesten Mode wohnen?

5.Die Seefahrt nach Baltimore.(2. Juni bis 13. Juli.)

Ueber das spielende, wechselnde, gewaltige, majestätische Element der Wellen, durch die Dienstbarkeit der Winde, wie von unsichtbaren Geistern, hingetragen zu werden, ist ein Hochgenuß ganz eigener Art, besonders eh' die Gewohnheit, die auch den stärksten Wein endlich verwässert, dafür die Sinne stumpf macht. Verwunderung, Grausen und Stolz auf die Gewalt des menschlichen Geistes, bemächtigen sich des ganzen Gemüths.

Leider verstimmte sich dies Hochgefühl bald durch die sogenannte Seekrankheit, von welcher, mit Ausnahme der Kinder unter zwölf Jahren und ganz alter Personen, alle Reisende ergriffen wurden, und ich, wie mirs vorkam, am ärgsten. Es war ein bald widerlicher, bald lächerlicher, Anblick, fünfzig bis sechszig Menschen um sich her die seltsamsten Gesichter schneiden zu sehen, weil ihr Magen in beständiger Insurrektion gegen Anstand und Sitte war. – Ein Paar Tage lang mußten die Auswanderer aller warmen Speisen entbehren, weil das Uebel ihre sämmtlichen Kochkünstler ausser Stand setzte, den Herd zu besorgen.

Das Wetter blieb schön, der Wind günstig, zuweilen verwandelte er sich sogar in sturmartige Stöße; wir befanden uns am vierten Tag der Abfahrt schon weit ausser der Meerenge von Frankreich und England. Allein Lust und Freude gingen im ewigen Uebelsein verloren. Man kann und mag sich mit Niemandem unterhalten, nicht einmal lesen. Der Geist quält sich mit Denken und Träumen. Aus den besten Träumen aber stört auch wieder das beständige Krachen und Girren des vielbewegten Schiffes auf. Es ist einem zu Muthe, als würde man, in einen großen hölzernen Kasten gesperrt, mit Schnelligkeit über und zwischen Steingeröll fortgeschleppt. Man hält zuletzt keinen Gedanken und Wunsch fester, als den, bald Land zu erreichen und ruhigen Boden unter den Sohlen zu haben. Kein Essen erquickt; vielmehr es erneuert nur den Jammer. Ich sehnte mich blos nach Mehlsuppe. Unser schwarzer Schiffskoch aus Afrika machte sie nach meiner Angabe und endlich ziemlich gut. Aber wenn er mich davon essen sah, bezeugte er mir sein herzlichstes Mitleiden und betheuerte, weder in noch zwischen den drei Welttheilen seiner Bekanntschaft je ein elenderes Essen gekocht zu haben.

Die Erhabenheit der unendlichen Wasserwüste, welche uns umgab, und mich anfangs tief erschüttert hatte, ward, ich muß es gestehen, zuletzt mit seiner majestätischen Einfalt mir sehr langweilig. Es wundert mich jetzt gar nicht mehr, wenn die meisten Reisebeschreiber mit dem, wodurch sie sich ihre Langeweile vertreiben, ihren Lesern die größte verursachen, nämlich mit Aufzeichnung des Windes, der geblasen hat. Die einzige Abwechselung in der weiten Einöde des Ozeans bringt entweder ein Schiff, das in der Ferne erscheint, sich nähert und verschwindet; oder von Zeit zu Zeit das Spiel der Fische auf der Oberfläche des ungeheuern Wasserbeckens. Die Delphine bildeten da oft stundenlange Linien, indem sie regelmäßig einer nach dem andern zwei bis drei Schuh über der nassen Fläche hoch sprangen. Die Boniten und Doraden, mit allen Farben des Regenbogens geschmückt, schwammen traulich neben dem Fahrzeug her; während der Haifisch unbeweglich auf dem Wasserspiegel lag und die Beute erwartete, die seinem unersättlichen Rachen zuschwimmen sollte. Der Spritzfisch blieb auch nicht aus, uns seine Künste zu zeigen; und so stellten sich uns immer neue Arten von den Bewohnern des feuchten Abgrundes dar. Eines Abends näherte sich sogar dem Schiffe einer von den Riesen der Tiefe, ein Wallfisch. Dann und wann wieder flatterten Tauben und Meerschwalben über und zwischen den Segeln umher. Die Schwalben wandelten lustig über die Wogen und pickten mit den langen Schnäbeln nach den Stückchen Zwieback, die wir ihnen hineinwarfen.

Der Wiedertäufer Hermann versah bei den Ausgewanderten die Stelle eines Schiffspredigers. Jeden Sonntag verrichtete er ein öffentliches Gebet und hielt aus dem Stegreif über irgend eine Bibelstelle eine Rede, die darin vor mancher Predigt gelehrter Pfarrer den Vorzug hatte, daß sie aus reinem, frommem Gemüth hervorging, und verständig, kunstlos und erbaulich zum Gemüth drang. Den Schluß dieser Andachtsstunde, die gewöhnlich zwei Stunden dauerte, machte ein Psalmengesang. – Dieser Wiedertäufer und seine Frau zeichneten sich unter allen Ausgewanderten durch ihre feinen, geistvollen Gesichtszüge aus.