Mein dunkler Prinz - Christine Feehan - E-Book
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Mein dunkler Prinz E-Book

Christine Feehan

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Beschreibung

Wenn ein Karpatianer liebt, dann grenzenlos und leidenschaftlich.

Als Mikhail Dubrinsky in einer dunklen Stunde die Stimme von Raven vernimmt, dringt sie wie heilendes Licht in seine verzweifelte Seele. Er ahnt, dass diese Frau sein Leben vollkommen verändern wird. Doch Raven weiß noch nicht, was Mikhail vor ihr verbirgt, wer er wirklich ist. Als der dunkle Fürst langsam immer mehr von ihr in Besitz nimmt, beginnt Raven zu begreifen, zu welcher Leidenschaft er fähig ist ...

»Christine Feehan ist die Hohepriesterin der Vampirautorinnen.« Romantic Times

Dunkel, gefährlich und extrem heiß - Mein dunkler Prinz ist der erste Band der umfangreichen NEW YORK TIMES und SPIEGEL-Bestsellerserie Die Karpatianer.

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.




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Seitenzahl: 550

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

 

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Über dieses Buch

Wenn ein Karpatianer liebt, dann grenzenlos und leidenschaftlich.

Als Mikhail Dubrinsky in einer dunklen Stunde die Stimme von Raven vernimmt, dringt sie wie heilendes Licht in seine verzweifelte Seele. Er ahnt, dass diese Frau sein Leben vollkommen verändern wird. Doch Raven weiß noch nicht, was Mikhail vor ihr verbirgt, wer er wirklich ist. Als der dunkle Fürst langsam immer mehr von ihr in Besitz nimmt, beginnt Raven zu begreifen, zu welcher Leidenschaft er fähig ist …

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CHRISTINE FEEHAN

Mein dunklerPrinz

Aus dem amerikanischen Englischvon Katja Thomsen

Dieses Buch ist meiner Mutter,Nancy Kind, gewidmet,die mich in meiner lebhaften Fantasie bestärkt hat.

Für meinen geliebten Mann Richard,der jetzt und für immer,in dieser Welt und der nächsten,mein wahrer Seelenpartner ist.

Und für meine Freundin Kathi Firzlaff,die alle Personen all meiner Bücher liebtund darauf bestanden hat,

Kapitel 1

Es war sinnlos, sich noch länger etwas vorzumachen. Langsam und unendlich erschöpft schloss Mikhail Dubrinsky die ledergebundene Erstausgabe. Dies war das Ende. Er konnte es einfach nicht mehr ertragen. Selbst die Bücher, die er so liebte, vermochten die gnadenlose, grausame Einsamkeit seines Daseins nicht mehr zu vertreiben. Das Arbeitszimmer wurde von Bücherregalen gesäumt, die bis zur Decke reichten. Mikhail hatte jedes der Bücher gelesen und sich viele der Texte im Laufe der Jahrhunderte eingeprägt. Doch nun fand sein Geist in ihnen keine Zuflucht mehr. Die Bücher regten zwar seinen Intellekt an, brachen ihm jedoch das Herz.

Bei Tagesanbruch würde er keinen Schlaf finden, jedenfalls nicht den heilsamen Schlaf der Erneuerung; er würde die ewige Ruhe suchen, möge sich Gott seiner Seele erbarmen. Sein Volk war in alle Winde zerstreut, verfolgt und beinahe ausgelöscht. Dabei hatte er wirklich alles versucht, hatte all seine geistigen und körperlichen Fähigkeiten aufgeboten und jede neue Technologie erforscht. Er hatte sein Leben mit Kunst und Philosophie bereichert, mit Arbeit und Wissenschaft. Alle Heilkräuter und giftigen Pflanzen waren ihm bekannt, er wusste um jede Waffe der Menschheit und hatte gelernt, selbst eine Waffe zu sein. Und doch war er allein geblieben.

Er gehörte einer aussterbenden Rasse an und hatte sein Volk im Stich gelassen. Als ihr Anführer war es seine Aufgabe gewesen, Mittel und Wege zu finden, um diejenigen zu schützen, für die er die Verantwortung trug. Zu viele der Männer gaben auf und verwandelten sich aus lauter Verzweiflung in Untote. Es gab keine Frauen mehr, die für den Fortbestand des Volkes sorgen und die Männer vor der Finsternis retten konnten, in der sie lebten. Es gab keine Hoffnung mehr. Die Männer glichen mehr und mehr Raubtieren, während sich die Finsternis in ihren Seelen ausbreitete, bis all ihre Gefühle erloschen waren, bis die Welt ihnen nur noch als ein grauer und kalter Ort erschien. Für jeden von ihnen war es absolut notwendig, seine andere Hälfte zu finden, die Gefährtin, die ihn aus der Dunkelheit ins Licht führte.

Tiefe Trauer überwältigte Mikhail und drohte, ihn zu verschlingen. Er hob den Kopf, und ein Schmerzenslaut entrang sich seiner Kehle, der dem Schrei eines verwundeten Tieres glich. Er konnte es einfach nicht länger aushalten, allein zu sein.

Das Problem ist doch eigentlich nicht das Alleinsein, sondern die Einsamkeit. Man kann sich auch inmitten einer Menschenmenge einsam fühlen, nicht wahr?

Mikhail erstarrte. Nur seinen Blick ließ er wachsam umhergleiten, als wäre er eine Raubkatze, die Gefahr wittert. Er atmete tief ein und schirmte seine Gedanken blitzschnell ab, während er all seine Sinne schärfte, um den Eindringling aufzuspüren. Nein, er war allein. Er konnte sich unmöglich irren, schließlich war er der Älteste und Erfahrenste von allen. Niemandem konnte es gelingen, seinen Schutzzauber zu überwinden und sich ihm zu nähern, ohne dass er davon erfuhr. Verwundert dachte er über die Worte nach, lauschte im Geiste noch einmal der Stimme. Weiblich, jung, intelligent. Vorsichtig öffnete er seinen Geist ein wenig, um ihre telepathische Spur zu verfolgen. Ja, so empfinde ich es auch, stimmte er zu. Ohne es zu merken, hielt Mikhail den Atem an. Er wünschte sich einen erneuten Kontakt. Eine Sterbliche, die Interesse an ihm zeigte? Er wurde neugierig.

Manchmal wandere ich in die Berge und bleibe dort ganz allein, oft wochenlang, fühle mich aber niemals einsam. Wenn ich jedoch auf eine Party gehe und von vielen Leuten umgeben bin, empfinde ich die Einsamkeit sehr deutlich.

Mikhail spürte plötzlich heißes Verlangen. Ihre Stimme, die seinen Geist erfüllte, war so sanft und melodisch, so sexy in ihrer Unschuld. Schon seit Jahrhunderten hatte Mikhail keine Empfindungen mehr gekannt und keine Frau mehr begehrt. Und jetzt hörte er plötzlich die Stimme einer Sterblichen und war überrascht von dem flüssigen Feuer, das durch seine Adern zu rinnen schien. Wie kommt es, dass du mit mir sprechen kannst?

Es tut mir Leid, wenn ich zu aufdringlich gewesen bin. Deutlich spürte Mikhail, dass sie die Entschuldigung ernst meinte. Doch dein Schmerz war so groß, so grausam, dass ich ihn einfach nicht ignorieren konnte. Ich dachte, du brauchst vielleicht jemanden, mit dem du reden kannst. Der Tod ist kein Ausweg, das weißt du wohl auch selbst. Aber ich lasse dich sofort in Ruhe, wenn du möchtest.

Nein! Seine Antwort war ein deutlicher Befehl, gegeben von einem Wesen, das an unbedingten Gehorsam gewöhnt war.

Mikhail spürte ihr Lachen, noch bevor der Klang zu ihm durchdrang. Leise, unbeschwert, einladend. Erwartest du, dass man immer auf dein Kommando hört?

Allerdings. Er wusste nicht, was er von ihrem Lachen halten sollte. Sie faszinierte ihn. Es stürzten so viele Empfindungen auf ihn ein, dass er davon schier überwältigt wurde.

Du bist ein echter europäischer Aristokrat, nicht wahr? Unermesslich reich und ebenso arrogant.

Mikhail musste über ihre Neckerei lächeln. Dabei hatte er seit etwa sechshundert Jahren nicht mehr gelächelt. Ja, genau. Ungeduldig wartete er darauf, wieder ihr Lachen zu hören, denn das erste Mal hatte ihn bereits geradezu süchtig danach gemacht.

Als sie schließlich lachte, schienen ihn die Laute zu liebkosen wie die sanfte Berührung einer Hand auf seiner Haut. Ich bin Amerikanerin, damit wären wir dann wohl so unvereinbar wie Feuer und Wasser.

Endlich hatte Mikhail ihre Spur gefunden und wusste, wo sie sich aufhielt. Sie würde ihm nicht entwischen können. Auch Amerikanerinnen kann man mit den richtigen Methoden Gehorsam beibringen, antwortete er mit bewusst übertriebenem Akzent und wartete gespannt auf ihre Reaktion.

Du bist wirklich ausgesprochen eingebildet. Er liebte das Geräusch ihres fröhlichen Lachens und nahm es so tief wie möglich in sich auf. Dann spürte er ihre Müdigkeit. Sie gähnte. Umso besser. Er gab ihr einen kaum merklichen mentalen Stoß, um sie einschlafen zu lassen, damit er sie in Ruhe überprüfen konnte.

Lass das! Sie zog sich augenblicklich von ihm zurück, verletzt und misstrauisch. Blitzschnell schirmte sie ihren Geist ab, sodass Mikhail über ihre Geschicklichkeit staunte. Trotz ihrer Jugend war sie sehr stark, besonders für eine Sterbliche. Es stand außer Frage, dass sie eine Sterbliche war. Ohne auf die Uhr zu sehen, wusste Mikhail, dass ihm noch fünf Stunden bis Tagesanbruch blieben. Allerdings konnten ihm die Morgen- und Abendsonne auch nichts anhaben. Vorsichtig prüfte er ihre geistige Blockade und lächelte dann leicht. Ja, sie war stark, aber längst nicht stark genug.

Sein muskulöser, athletischer Körper begann zu schimmern und sich in hauchzarten Nebel aufzulösen, der unter der Tür hindurchströmte, hinaus in die kühle Nacht. Dort sammelten sich die winzigen Tropfen wieder, verbanden sich und formten die Umrisse eines majestätischen Vogels. Er erhob sich in die Lüfte und zog seine Kreise am nächtlichen Himmel, leise, gefährlich und von erhabener Schönheit.

Mikhail genoss die Macht des Fliegens, den Wind, der an seinem Körper vorbeirauschte, die Nachtluft, die zu ihm sprach, ihm ihre Geheimnisse zuflüsterte und die Witterung von Beute zu ihm trug. Mühelos folgte er der schwachen telepathischen Spur. Sein Blut geriet in Wallung. Eine Sterbliche, jung, voller Lebensfreude, eine Sterbliche, die mit ihm in telepathischer Verbindung stand. Sie besaß Mitgefühl, Intelligenz und Stärke. Tod und Verdammnis würden warten müssen, bis er seine Neugier befriedigt hatte.

Der kleine Gasthof lag am Waldrand am Fuße der Berge. Nur in wenigen Zimmern brannte noch Licht, da sich die Bewohner bereits zur Ruhe gelegt hatten. Mikhail landete auf der Balkonbrüstung vor dem Fenster ihres Zimmers im zweiten Stock und hielt sich ganz ruhig, sodass er mit der Nacht verschmolz. Ihr Zimmer gehörte zu den Räumen, in denen noch Licht brannte. Offensichtlich konnte sie nicht schlafen. Der Blick seiner dunklen, funkelnden Augen fand sie, ruhte auf ihr und ergriff von ihr Besitz.

Sie war zierlich, mit verführerischen weiblichen Kurven und schmaler Taille. Ihr langes schwarzes Haar fiel ihr offen den Rücken hinunter und lenkte die Aufmerksamkeit auf ihren festen, wohl gerundeten Po. Mikhail hielt den Atem an. Sie war bezaubernd, bildschön. Ihre Haut schimmerte wie Seide, und ihre großen Augen leuchteten in tiefem Blau, umrahmt von langen, dunklen Wimpern. Ihm entging keine Einzelheit. Sie trug ein weißes Spitzennachthemd, das die Rundungen ihrer Brüste betonte und ihren zarten Hals und die milchweißen Schultern entblößte. Ihre Hände und Füße waren schmal und zierlich. So viel Stärke in so zarter Verpackung.

Sie bürstete sich das Haar, während sie am Fenster stand und gedankenverloren hinausblickte. Um ihren sinnlichen Mund herum zeigten sich feine Linien der Anspannung. Mikhail konnte ihren Schmerz spüren, ihr Bedürfnis nach Schlaf, der sich einfach nicht einstellen wollte. Sein Blick folgte jedem einzelnen Bürstenstrich. Ihre Bewegungen wirkten unschuldig und erotisch zugleich. Gefangen in der Gestalt des Vogels spürte Mikhail Erregung. Dankbar wandte er den Kopf gen Himmel. Die bloße Freude, nach all den Jahrhunderten der emotionalen Leere endlich wieder etwas empfinden zu können, war überwältigend.

Mit jeder Armbewegung hoben und senkten sich ihre Brüste. Die weiße Spitze lag eng an ihrer schmalen Taille an, und das dunkle Dreieck zwischen ihren Schenkeln zeichnete sich verführerisch unter dem dünnen Stoff ab. Mikhail schlug seine Krallen tief in die Balkonbrüstung und hinterließ tiefe Kratzer in dem weichen Holz. Er ließ sie nicht aus den Augen. Sie war so anmutig und begehrenswert! Immer wieder glitt sein Blick zu ihrem weichen Hals, zu ihrem kaum sichtbaren, ruhigen Pulsschlag. Sie ist mein. Schnell verdrängte er den Gedanken und schüttelte den Kopf.

Blaue Augen. Blau. Sie hatte blaue Augen. Erst in diesem Augenblick wurde Mikhail bewusst, dass er Farben sehen konnte, strahlende, lebendige Farben. Er saß wie erstarrt da. Es war unmöglich. Die Männer seines Volkes verloren die Fähigkeit, etwas anderes zu sehen als triste Grautöne, zusammen mit der Fähigkeit, etwas zu empfinden. Nur eine Gefährtin vermochte es, einem Mann Gefühle und Farben zurückzugeben. Eine Karpatianerin war für einen Mann das Licht in der Finsternis. Seine zweite Hälfte. Ohne sie ergriffen die animalischen Instinkte immer mehr von ihm Besitz, bis die Finsternis schließlich siegte. Es gab keine Karpatianerinnen mehr, die künftige Gefährtinnen gebären konnten. Die wenigen Frauen, die überhaupt noch übrig geblieben waren, schienen nur Männer zur Welt bringen zu können. Es war eine ausweglose Situation. Menschliche Frauen konnten nicht verwandelt werden, ohne dabei den Verstand zu verlieren. Man hatte es versucht. Diese Frau konnte unmöglich seine Gefährtin sein.

Mikhail beobachtete, wie sie das Licht ausschaltete und sich aufs Bett legte. Er spürte, dass sie nach ihm suchte. Bist du wach? Die Frage klang zaghaft.

Zuerst weigerte er sich zu antworten, denn es gefiel ihm nicht, dass er den Kontakt so sehr brauchte. Er konnte es sich nicht leisten, die Kontrolle zu verlieren; er wagte es nicht. Niemand durfte Macht über ihn erlangen, schon gar nicht diese zierliche Amerikanerin, eine Frau mit mehr telepathischen Fähigkeiten als gesundem Menschenverstand.

Ich weiß, dass du mich hören kannst. Es tut mir Leid, dass ich dich gestört habe. Es war unüberlegt von mir. Ich werde es nicht wieder tun. Trotzdem will ich eines klarstellen: Versuch nie wieder, deine Tricks bei mir anzuwenden.

Mikhail war froh darüber, dass er die Gestalt eines Vogels angenommen hatte, denn so konnte er nicht lächeln. Sie hatte ja keine Ahnung, wozu er fähig war. Ich fühlte mich nicht gestört. Er sandte ihr seine Antwort in sanftem Tonfall. Er musste den Kontakt wiederherstellen, es war beinahe wie ein Zwang. Er brauchte den Klang ihrer Stimme, das sanfte Flüstern, das seine Seele berührte wie eine Liebkosung.

Sie drehte sich um, zupfte ihr Kissen zurecht und rieb sich dann die Schläfe, als hätte sie Kopfschmerzen. Eine Hand ruhte auf der Bettdecke. Mikhail wünschte sich, sie zu berühren, ihre Haut unter seinen Fingern zu spüren. Warum hast du versucht, mich zu kontrollieren? Sie fragte nicht allein interessehalber, obwohl sie sich bemühte, es so wirken zu lassen. Mikhail spürte, dass er sie in gewisser Weise verletzt und enttäuscht hatte. Sie bewegte sich unruhig, als wartete sie auf ihren Liebhaber.

Die Vorstellung von ihr mit einem anderen Mann erzürnte ihn. Nach hunderten von Jahren empfand er endlich wieder etwas. Klare, echte Gefühle. Es liegt in meiner Natur, Kontrolle auszuüben. Mikhail spürte überschwängliche Freude, war sich jedoch gleichzeitig darüber im Klaren, dass die Gefühle ihn aufbrausender, ja gefährlicher machten als je zuvor. Macht bedurfte immer einer gewissen Selbstbeherrschung. Je weniger er empfand, desto leichter konnte er sich in der Gewalt behalten.

Aber versuche es nicht noch einmal bei mir. Es lag ein Unterton in ihrer Stimme, den er zwar wahrnehmen, jedoch nicht bestimmen konnte. Es war, als spürte sie, dass er eine Bedrohung für sie darstellte. Denn so war es auch.

Wie soll ich gegen meine Natur handeln, Kleines?

Mikhail sah ihr Lächeln, während es die Leere in seinem Innern ausfüllte, als es sein Herz zu durchdringen und sein Blut in Wallung zu bringen schien. Wie kommst du darauf, dass ich klein sei? Tatsächlich bin ich nämlich riesengroß.

Und das soll ich glauben?

Das fröhliche Lachen schwand aus ihrer Stimme und ihren Gedanken, hallte jedoch noch in Mikhail nach. Ich bin müde und bitte dich noch einmal um Verzeihung. Es war schön, dich kennen gelernt zu haben.

Aber?, fragte er leise.

Leb wohl. Es klang endgültig.

Mikhail erhob sich in die Lüfte und stieg hoch über den Wald auf. Dies war kein Abschied. Er würde es nicht zulassen. Er konnte es nicht zulassen, denn sein Leben hing von ihr ab. Etwas, nein, jemand hatte sein Interesse geweckt und seinen Lebenswillen gestärkt. Sie hatte ihn daran erinnert, dass es so etwas wie Lachen und Frohsinn gab, dass das Leben aus so viel mehr bestand als der bloßen Existenz.

Er kreiste über dem Wald und betrachtete seine Umgebung zum ersten Mal seit Jahrhunderten. Der dunkle Baldachin aus Baumkronen, die Mondstrahlen, die in den Blättern schimmerten und die Flüsse in silbriges Licht tauchten. Es war wunderschön. Ihm war ein Geschenk von unschätzbarem Wert zuteil geworden. Eine Sterbliche hatte ihm all diese Dinge ermöglicht. Sie war zweifellos sterblich. Er hätte es sofort gespürt, wenn sie seiner Rasse angehört hätte. War es möglich, dass allein ihre Stimme auch andere Karpatianer vom Rande des Abgrunds zurückholen konnte?

Im Schutze seines Hauses ging Mikhail ruhelos auf und ab. Er dachte an ihre weiche Haut und stellte sich vor, wie sie sich wohl unter seinen Händen und auf seinem Körper anfühlen, wie sie schmecken würde. Der Gedanke an ihr seidiges Haar, das über seinen erhitzten Körper strich, und an ihren zarten Hals, der sich ihm darbot, erregte ihn. Plötzlich spürte er die unerwartete Reaktion seines Körpers. Es war nicht die leichte, zaghafte Erregung, die er in seiner Jugend empfunden hatte, sondern eine wilde, unnachgiebige Sehnsucht. Mikhail erschrak über die erotischen Gedanken, die in ihm aufstiegen, und erlegte sich sofort strenge Disziplin auf. Eine so tiefe Leidenschaft durfte er nicht riskieren. Besorgt musste er feststellen, dass er ein besitzergreifender Mann war, tödlich in seinem Zorn und maßlos in seinem Drang zu beschützen. Diese Gefühle konnte er keinesfalls mit einer Sterblichen teilen; es wäre viel zu gefährlich für sie.

Sie war eine freiheitsliebende Frau mit erstaunlichen Fähigkeiten und würde sich ständig gegen seine Natur auflehnen. Er war kein Mensch. Seine Rasse bestand aus Wesen, die über animalische Instinkte verfügten, die von Generation zu Generation vererbt wurden. Es würde klüger sein, Abstand von ihr zu wahren und seine Neugier nur auf einer intellektuellen Ebene zu befriedigen. Sorgfältig schloss Mikhail alle Fenster und Türen und sicherte sie mit einem Schutzzauber vor Eindringlingen, bevor er sich hinunter in sein Schlafzimmer begab. In diesem Raum war er selbst vor noch größeren Gefahren sicher. Wenn er aus dem Leben schied, dann nur aus freien Stücken. Er legte sich aufs Bett. Es gab keinen Grund, den tiefen Schlaf in der heilenden Erde zu suchen, also konnte er die Annehmlichkeiten der menschlichen Welt nutzen. Er schloss die Augen und verlangsamte seinen Atem.

Doch sein Körper verweigerte ihm den Gehorsam. Noch immer war Mikhail von der Erinnerung an diese Frau erfüllt und von erotischen, verführerischen Vorstellungen. Er sah sie vor sich, wie sie in ihrem Bett lag, ihr Körper nur verhüllt von weißer Spitze. Sie streckte die Arme nach ihrem Liebsten aus. Mikhail fluchte leise. In seiner Fantasie sah er nicht sich selbst, sondern einen anderen Mann bei ihr. Einen Sterblichen. Unbezähmbare, tödliche Wut ließ ihn erbeben.

Haut wie Satin und Haar wie Seide. Mikhail rief sich ihre Erscheinung ins Gedächtnis, absichtlich und präzise. Er ließ kein Detail aus, bis hin zu dem albernen Nagellack auf ihren Zehennägeln. Seine kräftigen Finger umfassten ihren Knöchel, und er spürte ihre weiche Haut an seiner. Ihm stockte der Atem, und sein Körper reagierte auf die verlockenden Empfindungen. Langsam ließ er seine Hand an ihrem Bein hinaufgleiten, streichelte sanft ihre Wade, strich über ihr Knie, ihren Oberschenkel.

Als sie erwachte, bemerkte Mikhail es sofort. Zwar war auch sie erregt, doch ihre panische Angst traf ihn wie ein Faustschlag. Bewusst, um ihr zu verdeutlichen, mit welcher Macht sie es zu tun hatte, streichelte er die Innenseite ihres Schenkels.

Aufhören! Ihr Körper sehnte sich nach ihm, nach seinen Berührungen. Er spürte deutlich ihren schnellen Herzschlag und die Anstrengung ihres geistigen Kampfes mit ihm.

Hat dich ein anderer Mann je so berührt? Er flüsterte die Worte in ihrem Geist mit einer dunklen, gefährlichen Sinnlichkeit.

Verdammt, hör auf damit! Tränen glitzerten in ihren Wimpern. Ich wollte dir doch nur helfen. Und ich habe mich schon dafür entschuldigt.

Wie unter Zwang ließ Mikhail seine Hand höher gleiten. Er stieß auf verführerische Hitze und auf ein Nest seidiger Locken, die einen Schatz verbargen. Besitzergreifend bedeckte er das weiche Dreieck mit der Hand und genoss die Wärme und Feuchtigkeit. Du wirst mir antworten, Kleines. Noch habe ich Zeit genug, um zu dir zu kommen und dich für immer zu der Meinen zu machen, warnte er sie leise. Antworte.

Warum tust du das?

Widersetze dich nicht. Seine Stimme klang rau vor Sehnsucht. Sacht bewegte er die Finger und fand ihre empfindlichste Stelle. Ich gehe in diesem Augenblick sehr sanft mit dir um.

Du weißt bereits, dass die Antwort ›Nein‹ lautet, flüsterte sie.

Mikhail schloss die Augen, und es gelang ihm, die Dämonen zu bezwingen, die in seinem Innern zu toben schienen. Schlaf, Kleines, dir wird heute Nacht nichts geschehen. Er brach den Kontakt ab und bemerkte, dass er schweißgebadet war. Es schien zu spät zu sein, um das wilde Tier in seinem Innern zu bändigen. Er brannte vor Leidenschaft. Sein Kopf dröhnte wie von Hammerschlägen, und Flammen schienen gierig über seinen Körper zu lecken. Das Raubtier war frei, tödlich und hungrig. Er konnte nur hoffen, dass sie tatsächlich so stark war, wie er annahm.

Er schloss die Augen, überwältigt von Selbsthass. Schon vor Jahrhunderten hatte er gelernt, dass es keinen Sinn hatte, seine animalische Seite zu unterdrücken. Und diesmal wollte er es auch nicht. Mikhail fühlte sich nicht einfach nur sexuell angezogen; seine Empfindungen gingen tiefer. Seine Urinstinkte waren geweckt worden. Etwas tief in ihm verlangte nach ihr, und sie schien dieses Verlangen zu erwidern. Vielleicht brauchte sie seine Wildheit und Leidenschaft ebenso sehr, wie er ihr Lachen und Mitgefühl brauchte. Machte das überhaupt einen Unterschied? Sie beide konnten dem Schicksal nicht entrinnen.

Sanft berührte er ihren Geist, bevor er endlich die Augen schloss und seinen Atem langsam verebben ließ. Sie weinte. Noch immer spürte sie die Sehnsucht, die seine telepathischen Berührungen in ihr erweckt hatten. Sie war verletzt und verstört, und ihr Kopf schmerzte. Ohne darüber nachzudenken, schloss Mikhail sie in die Arme, strich ihr übers Haar und umgab sie mit Wärme und Geborgenheit. Es tut mir Leid, dass ich dich geängstigt habe, Kleines; es war unrecht von mir. Schlaf jetzt, du bist in Sicherheit. Er flüsterte die Worte, während seine Lippen sanft ihre Schläfen und ihre Stirn berührten. Auf dieselbe Weise berührte er auch ihren Geist.

Mikhail spürte eine seltsame Zerrissenheit in ihr. Es schien, als hätte sie ihre geistigen Fähigkeiten dazu benutzt, einer krankhaften, abgrundtief bösen Gedankenspur zu folgen. Ihr Geist schien aus schmerzhaften klaffenden Wunden zu bestehen, die dringend heilen mussten. Sie war zu erschöpft von ihrem vorangegangenen Kräftemessen, als dass sie sich gegen ihn hätte wehren können. Er atmete mit ihr und ließ sein Herz im Gleichklang mit ihrem schlagen, bis sie sich schließlich entspannte. Mit einem geflüsterten Befehl versetzte er sie in einen tiefen Schlaf, und ihre Lider senkten sich augenblicklich. Gemeinsam schliefen sie ein, Mikhail in seinen Gemächern, sie in ihrem Zimmer im Gasthof.

Das laute Klopfen an ihrer Tür riss sie aus dem Schlaf. Raven Whitney kämpfte gegen die unsichtbare Macht an, die ihren Körper unendlich schwer erscheinen ließ und ihre Augen geschlossen hielt. Sie erschrak. Sie fühlte sich, als hätte jemand sie betäubt. Ein Blick auf den Wecker auf ihrem Nachttisch verriet ihr, dass es bereits sieben Uhr abends war. Sie hatte den ganzen Tag verschlafen. Langsam setzte sie sich im Bett auf, als müsste sie ihre Glieder aus tiefem Treibsand befreien. Es klopfte wieder.

Das Geräusch hallte schmerzhaft in ihrem Kopf wider. »Ja, bitte?« Obwohl ihr Herz vor Angst hämmerte, zwang sie sich, ihrer Stimme einen ruhigen Klang zu verleihen. Sie befand sich in großer Gefahr. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als schnellstens zu packen und von diesem Ort zu fliehen, obwohl sie wusste, wie nutzlos dieser Versuch sein würde. Schließlich war sie diejenige, die bereits vier Massenmörder gestellt hatte, indem sie ihren Gedankenspuren gefolgt war. Und dieser Mann verfügte über Fähigkeiten, die tausendmal stärker waren als ihre. Außerdem faszinierte es sie, einen Menschen gefunden zu haben, der ihre Gabe teilte. Nie zuvor war sie jemandem begegnet, der ihr darin glich. Sie wünschte sich, in seiner Nähe zu bleiben, um von ihm zu lernen, doch durch den skrupellosen Gebrauch seiner Macht stellte er eine zu große Bedrohung dar. Sie musste sich so schnell wie möglich vor ihm in Sicherheit bringen.

»Raven, geht es Ihnen gut?« Die männliche Stimme klang besorgt.

Jacob. Sie hatte die Geschwister Jacob und Shelly Evans am vergangenen Abend im Speisesaal kennen gelernt, als sie gerade angekommen waren. Sie unternahmen mit acht weiteren Touristen eine Rundreise durch die Karpaten. Raven konnte sich nicht mehr genau an das Gespräch mit den beiden erinnern, da sie müde gewesen war.

Sie war in die Karpaten gekommen, um allein zu sein und sich von der letzten Tortur zu erholen, die sie erduldet hatte, um der Fährte eines perversen Serienmörders zu folgen. Sie hatte sich von der Reisegruppe fern gehalten, doch Jacob und Shelly waren dennoch mit ihr ins Gespräch gekommen. Immerhin hatte sie die Geschwister schnell aus ihrer Erinnerung streichen können. »Es geht mir gut, Jacob, ich habe mir wohl ein kleines Virus eingefangen«, versicherte sie ihm, obwohl sie sich alles andere als wohl fühlte. Mit zitternden Händen fuhr sie sich durchs Haar. »Ich bin nur sehr müde und möchte mich ausruhen.«

»Kommen Sie denn nicht zum Abendessen?« Sein gekränkter Tonfall ärgerte Raven. Sie wollte nicht, dass jemand Ansprüche an sie stellte, und der letzte Ort, an dem sie sich im Augenblick aufhalten wollte, war ein überfüllter Speiseraum.

»Nein, tut mir Leid. Vielleicht ein anderes Mal.« Raven hatte keine Zeit für Höflichkeiten. Wie hatte ihr gestern Nacht nur dieser Fehler unterlaufen können? Normalerweise war sie vorsichtig und ließ es nicht zu, in näheren oder gar körperlichen Kontakt mit anderen Menschen zu kommen.

Doch der Fremde hatte so viel Einsamkeit und Schmerz ausgestrahlt! Raven war gleich klar gewesen, dass er über telepathische Fähigkeiten verfügte. Seine Isolation war unendlich viel größer als ihre, und er litt offenbar so sehr darunter, dass er daran dachte, seinem Leben ein Ende zu setzen. Raven kannte diese Art von Einsamkeit, wusste, was es hieß, anders zu sein. Sie hatte es nicht übers Herz gebracht zu schweigen. Sie rieb sich die Schläfen, um die hämmernden Kopfschmerzen ein wenig zu lindern, die immer folgten, wenn sie ihre Fähigkeiten einsetzte.

Raven stand auf und ging ins Badezimmer. Er kontrollierte sie ohne physischen Kontakt. Der Gedanke erschreckte sie, niemand sollte so viel Macht über andere Menschen ausüben können. Sie drehte die Dusche ganz auf, in der Hoffnung, die kräftigen Wasserstrahlen würden den Nebel aus ihrem Kopf vertreiben.

Sie hatte an diesem abgeschiedenen Ort Ruhe gesucht, um die Nachwirkungen des Bösen aus ihrem Geist zu vertreiben. Es strengte sie sehr an, ihre Fähigkeiten zu benutzen, sodass sie auch körperlich erschöpft war. Raven hob den Kopf. Sie würde sich auch von diesem neuen Widersacher nicht einschüchtern lassen. Sie verfügte über Disziplin und Selbstkontrolle. Außerdem konnte sie sich diesmal getrost abwenden, da keine unschuldigen Menschen in Gefahr waren.

Beinahe trotzig schlüpfte Raven in verwaschene Jeans und einen Häkelpullover. Er gehörte noch zur Alten Welt und würde sicher Anstoß an ihrer modernen Kleidung nehmen. Dann packte sie in aller Eile, warf ihre Kleidung und ihr Make-up achtlos in ihren alten, abgestoßenen Koffer.

Enttäuscht studierte sie den Fahrplan. Der nächste Zug fuhr erst in zwei Tagen. Vermutlich würde es ihr gelingen, jemanden zu überreden, sie mit dem Auto in die nächste Stadt zu bringen, doch das würde bedeuten, für lange Zeit mit einem anderen Menschen auf engstem Raum eingeschlossen zu sein. Doch dabei handelte es sich zweifellos um das kleinere Übel.

Sie hörte spöttisches Gelächter. Willst du wirklich vor mir davonlaufen, Kleines?

Raven ließ sich auf die Bettkante sinken. Ihr Herz schlug schneller, als sie seine Stimme hörte, dunkel und samtig und in sich bereits eine gefährliche Waffe. Bilde dir bloß nichts ein, Mr. Macho, ich bin eine Touristin und reise herum. Sie bemühte sich darum, ruhig zu wirken, obwohl sie die Berührung seiner Finger auf ihrer Wange spürte. Wie schaffte er das nur?

Und wohin möchtest du reisen? Mikhail streckte sich genüsslich. Er fühlte sich ausgeruht, hellwach und einmal mehr berauscht von seinen wiedergewonnenen Empfindungen. Es machte ihm Spaß, mit ihr zu reden.

Fort von dir und deinen bizarren Spielchen. Nach Ungarn vielleicht, ich wollte schon immer Budapest sehen.

Kleine Lügnerin, du planst, zurück in die Vereinigten Staaten zu flüchten. Spielst du Schach?

Die Frage überraschte Raven. Schach?

Männliche Belustigung hatte manchmal etwas ausgesprochen Entnervendes an sich. Schach.

Ja. Spielst du auch?

Selbstverständlich. Spiel mit mir.

Jetzt? Raven begann, ihr langes schwarzes Haar zu einem Zopf zu flechten. Seine Stimme war faszinierend, beinahe hypnotisch. Sie fühlte sich gleichzeitig angezogen und zu Tode erschreckt.

Ich muss mich erst stärken. Und du bist auch hungrig. Ich kann deine Kopfschmerzen spüren. Geh hinunter zum Abendessen. Wir treffen uns dann heute Abend um elf Uhr.

Ganz bestimmt nicht. Ich werde mich auf keinen Fall mit dir treffen.

Ängstlich? Die Frage war eine klare Herausforderung.

Sie lachte. Der Klang ihrer Stimme schürte das Feuer in Mikhails Innerem. Ich mag zwar manchmal leichtsinnige Dinge tun, aber ich bin keine Närrin.

Sag mir, wie du heißt.

Raven spürte den unwiderstehlichen Drang, seinem Befehl zu gehorchen. Sofort versuchte sie, all ihre Gedanken zu unterdrücken, sodass ihr Geist wie eine leere Leinwand wirkte. Die Anstrengung verursachte ihr Kopfschmerzen und Übelkeit. Es würde ihm nicht gelingen, sich zu nehmen, was sie ihm auch freiwillig gegeben hätte.

Warum kämpfst du gegen mich an, obwohl du weißt, dass ich der Stärkere bin? Du schadest dir damit und fügst dir Schmerzen zu, und letztendlich gewinne ich doch. Ich spüre, wie sehr diese Art der Kommunikation an deinen Kräften zehrt. Außerdem bin ich im Stande, deinen Gehorsam auf ganz anderen Wegen herbeizuführen.

Warum erzwingst du etwas, das du auch mit einer einfachen Frage bekommen hättest?

Sie spürte seine Verwirrung. Verzeih mir, Kleines. Ich bin daran gewöhnt, meinen Willen ohne viel Mühe durchzusetzen.

Auch wenn es dabei nur um schlichte Höflichkeit geht?

Es ist der schnellere Weg.

Raven schlug mit der Faust auf ihr Kissen. Du solltest wirklich etwas gegen deine Arroganz unternehmen. Dass du Macht besitzt, bedeutet noch nicht, dass du sie ständig demonstrieren musst.

Vergiss nicht, dass die meisten Menschen einen telepathischen Anstoß nicht einmal wahrnehmen können.

Das ist keine Entschuldigung dafür, ihnen den freien Willen zu nehmen. Außerdem belässt du es ja auch nicht bei einem ›Anstoß‹. Du gibst Befehle und erwartest, dass man dir gehorcht. Das ist viel schlimmer, weil es Menschen zu Marionetten macht. Stimmts?

Du weist mich zurecht. Leichte Verärgerung schwang in seinen Gedanken mit, der männliche Spott und die Belustigung schienen allmählich ihren Reiz zu verlieren.

Versuche nicht, mich zu etwas zu zwingen.

Diesmal klang seine leise, tiefe Stimme eindeutig drohend, als er entgegnete: Ich würde es nicht versuchen, Kleines. Glaube mir, es wäre ein Kinderspiel für mich, dich gehorsam zu machen.

Du bist wie ein verwöhntes Kind, das unbedingt seinen Willen durchsetzen muss. Raven stand auf und umklammerte das Kissen. Ihr Magen rebellierte. Ich gehe jetzt hinunter zum Abendessen, denn mir schwirrt der Kopf. Dir würde ich empfehlen, deinen Kopf in einen Wassereimer zu stecken, um ihn abzukühlen. Es war nicht einmal gelogen. Die anstrengende Auseinandersetzung mit ihm hatte sie tatsächlich geschwächt. Vorsichtig ging sie auf die Tür zu und rechnete beinahe damit, dass er sie aufhielt. In der Gesellschaft anderer Menschen würde sie sich sicherer fühlen.

Verrate mir bitte deinen Namen, Kleines. Er sprach die Bitte mit geradezu feierlicher Höflichkeit aus.

Trotz allem musste Raven lächeln. Raven. Raven Whitney.

Also gut, Raven Whitney. Iss und ruhe dich aus. Ich werde um elf Uhr für unser Schachspiel zurückkehren.

Er brach den Kontakt abrupt ab. Raven atmete langsam aus. Sie war sich darüber im Klaren, dass sie eigentlich Erleichterung empfinden sollte. Stattdessen aber fühlte sie sich seltsam verlassen. Seine hypnotische Stimme war verführerisch, ebenso wie sein Lachen. Raven empfand dieselbe Einsamkeit, die auch ihn quälte. Sie bemühte sich, nicht daran zu denken, wie er mit seinen Liebkosungen ihre Sinne entflammt hatte. Sehnsucht. Verlangen. Leidenschaft. Dabei hatte er sie nur auf telepathische Weise berührt. Doch es ging auch nicht allein um körperliche Anziehungskraft. Er sprach etwas Tiefes, Ursprüngliches in ihr an, das sie nicht einmal genau zu beschreiben wusste. Er berührte ihre Seele – mit seinem Verlangen, seiner dunklen Seite und seiner schrecklichen, alles überschattenden Einsamkeit. Auch sie brauchte einen Menschen, der verstand, wie allein sie sich fühlte, wie schwierig es war, den Kontakt zu anderen Menschen zu vermeiden, aus Angst, ihnen zu nahe zu kommen. Seine Stimme gefiel ihr, ebenso wie sein aristokratischer Charme und seine alberne männliche Arroganz. Außerdem wollte sie von ihm lernen.

Mit zitternden Fingern öffnete Raven die Zimmertür und trat in den Flur hinaus. Ihr Körper schien wieder allein ihr zu gehorchen und bewegte sich leicht und anmutig. Schnell lief sie die Treppe hinunter zum Speisesaal.

Etliche Tische waren besetzt, mehr als am Abend zuvor. Für gewöhnlich mied Raven die Öffentlichkeit, wann immer es ging, damit sie keine Energie dazu aufwenden musste, sich vor den Gefühlen und Gedanken der anderen zu schützen. Sie atmete tief durch und betrat den Raum.

Jacob blickte auf und lächelte sie freundlich an. Dann stand er von seinem Stuhl auf, als wartete er darauf, dass sie sich zu ihm setzte. Raven erwiderte sein Lächeln. Ihr war nicht bewusst, wie sie auf ihn wirken musste: unschuldig, sexy und völlig unerreichbar. Sie durchquerte den Raum, begrüßte Shelly und lernte Margaret und Harry Summers kennen, Landsleute. Raven bemühte sich, ihre Besorgnis zu verbergen. Während der Fahndung nach einem Mörder, mit der sie zuletzt betraut gewesen war, hatte man ihr Bild in allen Zeitungen abgedruckt und sogar im Fernsehen gezeigt. Sie wollte nicht, dass man sie hier erkannte und womöglich dazu zwang, den schrecklichen Albtraum noch einmal zu durchleben. Jedenfalls würde sie sich weigern, die grauenvollen Ereignisse beim Abendessen zu diskutieren.

»Setzten Sie sich, Raven.« Jacob rückte ihr galant einen der hochlehnigen Stühle zurecht.

Sorgfältig vermied Raven jeglichen Körperkontakt mit ihm und nahm Platz. Es quälte sie, mit so vielen Menschen zusammen zu sein. Als Kind waren die unterschiedlichen Gedanken und Gefühle, die auf sie einstürmten, schier überwältigend gewesen. Sie hätte beinahe den Verstand verloren, wenn es ihr nicht gelungen wäre, einen geistigen Schutzschild um sich zu errichten. So gelang es ihr, sich von den Empfindungen anderer abzuschirmen, außer es handelte sich um sehr große Verzweiflung. Auch Körperkontakt führte dazu, dass die Blockade durchdrungen wurde. Oder die Präsenz eines durch und durch bösen Menschen.

Im Augenblick jedoch unterhielten sich die Leute im Speisesaal lebhaft miteinander und schienen sich ausnahmslos glänzend zu amüsieren. Raven spürte die Anzeichen für geistige Überlastung. Gedankenfragmente schienen sich wie Glassplitter in ihr Bewusstsein zu bohren, und ihr drehte sich der Magen um. Keinen Bissen würde sie hinunterbringen.

Mikhail atmete die Nachtluft ein und ging langsam durch die kleine Stadt, auf der Suche nach dem, was er brauchte. Es würde keine Frau sein. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, den Körper einer anderen Frau zu berühren. Mikhail war erregt und in seinem Zustand äußerst gefährlich, zu nahe daran, der dunklen Seite nachzugeben. Möglicherweise würde er die Kontrolle verlieren. Also musste er einen Mann finden. Er ging an den Leuten vorbei und erwiderte den Gruß derer, die ihn kannten. Mikhail war ein geachteter Mann, zu dem die Menschen aufblickten.

Schließlich entdeckte er einen jungen Mann, der kräftig und gesund aussah und in dessen Adern das Leben pulsierte. Die beiden unterhielten sich kurz miteinander, dann sprach Mikhail leise den Befehl aus und legte dem jungen Mann freundschaftlich den Arm um die Schulter. Tief in den Schatten der Bäume verborgen, stärkte er sich gründlich. Dabei achtete er jedoch darauf, nicht die Kontrolle über seine Gefühle zu verlieren. Er mochte diesen Jungen und kannte auch dessen Familie. Er durfte sich keinen Fehler erlauben.

Als er schließlich den Kopf hob, nahm er die erste Welle ihrer Qualen wahr. Raven. Unbewusst hatte er den Kontakt zu ihr gesucht, hatte ihren Geist sanft berührt, nur um sich zu vergewissern, dass sie noch bei ihm war. Schnell beendete er seine Aufgabe, erweckte den jungen Mann aus dem Trancezustand, suggerierte ihm die Erinnerung an ein Gespräch und verabschiedete sich mit einem freundschaftlichen Handschlag. Er stützte den Jungen, als diesem ein wenig schwindelig wurde.

Mikhail öffnete seinen Geist und konzentrierte sich auf Ravens Spur. Zwar hatte er diese Fähigkeit seit vielen Jahren nicht mehr benutzt – sie schien ein wenig eingerostet zu sein –, doch er konnte noch immer »sehen«, wenn er es wollte. Raven saß an einem Tisch mit vier anderen Menschen. Äußerlich wirkte sie nur wunderschön und gelassen. Doch er wusste es besser. Er spürte ihre Verwirrung und die erbarmungslosen Kopfschmerzen. Sie wäre am liebsten aufgesprungen und davongelaufen. Ihre saphirblauen Augen wirkten wie Schatten in ihrem blassen Gesicht. Anstrengung. Es überraschte Mikhail, wie stark sie war. Es gab keinerlei telepathische Strahlung, niemand außer ihm hätte ihre Unruhe spüren können.

Plötzlich beugte sich der Mann, der neben ihr saß, vor und sah sie sehnsüchtig an. »Lassen Sie uns doch ein Stück spazieren gehen, Raven«, schlug er vor und ließ seine Hand gerade oberhalb des Knies auf ihrem Bein ruhen.

Sofort steigerte sich der Schmerz in ihrem Kopf ins Unermessliche, schien ihren Schädel wie mit Messerstichen zu traktieren. Ruckartig schüttelte sie Jacobs Hand ab. Die Dämonen in Mikhail tobten und wüteten und befreiten sich. Nie zuvor hatte er so schreckliche Wut in sich gefühlt. Sie schien ihn einzuhüllen und von ihm Besitz zu ergreifen, bis er schließlich eins mit ihr war. Ein Mensch hatte Raven mit einer achtlosen Berührung grausame Qualen zugefügt, ohne es auch nur zu ahnen oder sich darum zu kümmern. Er hatte sie berührt, während sie geschwächt und schutzlos war. Ein Mann hatte es gewagt, sich ihr zu nähern. Mikhail flog pfeilschnell durch die Dunkelheit, während die kühle Nachtluft seine Wut nur noch anzufachen schien.

Raven spürte die Macht seines Zorns. Die Luft im Raum erschien plötzlich unerträglich drückend, und draußen erhob sich ein heulender Sturm. Äste schlugen gegen die Mauern des Gasthofs; die Fensterläden klapperten. Einige der Kellner bekreuzigten sich und blickten beklommen in die finstere, sternenlose Nacht hinaus. Im Speisesaal war es still geworden, als hielten alle Gäste gemeinsam den Atem an.

Jacob schnappte nach Luft und griff sich an die Kehle, als müsste er sich aus einem Würgegriff befreien. Er lief rot an, und seine Augen traten aus den Höhlen. Shelly schrie auf. Einer der Kellner eilte dem erstickenden Mann zu Hilfe. Die anderen Gäste standen auf und reckten die Hälse, um das Drama beobachten zu können.

Raven zwang sich zur Ruhe. Die Gefühle, die sie umgaben, waren zu mächtig, als dass sie davon keinen Schaden davontragen würde. Gib ihn frei. Stille war die Antwort. Obwohl der Kellner verzweifelt versuchte, ihm Linderung zu verschaffen, sank Jacob auf die Knie, einer Ohnmacht nahe. Ich bitte dich. Gib ihn frei, um meinetwillen.

Jacob atmete tief ein. Er röchelte schrecklich und hustete. Seine Schwester und Margaret Summers knieten mit Tränen in den Augen neben ihm. Instinktiv ging Raven auf ihn zu.

Fass ihn nicht an! Der Befehl ertönte ohne mentale Verstärkung und wirkte dadurch umso bedrohlicher.

Raven wurde von den geistigen Strömungen um sie herum förmlich belagert. Jacob strahlte Schmerzen und Panik aus, Shelly hatte Angst, der Gastwirt war erschrocken, und die anderen Gäste waren schockiert. Die Gefühle überfluteten Raven und schwächten sie in ihrem ohnehin angegriffenen Zustand. Doch sein überwältigender Zorn war es, der sie am meisten quälte. Ihr Magen rebellierte und krampfte sich zusammen, sodass sich Raven am liebsten zusammengekrümmt hätte. Verzweifelt sah sie sich nach dem Waschraum um. Sie lief Gefahr, den Verstand zu verlieren, falls jemand sie berühren oder ihr zu Hilfe kommen sollte.

»Raven.« Die Stimme klang warm und sinnlich. Eine Oase der Ruhe inmitten des Tumults. Dunkel und samtig, unendlich beruhigend.

Es wurde eigenartig still im Speisesaal, als Mikhail eintrat. Er strahlte Stolz, Arroganz und absolute Autorität aus. Er war groß, dunkelhaarig und von athletischer Statur. Doch es waren seine Augen, dunkel und geheimnisvoll, die die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich zogen. Mit diesen Augen konnte er Menschen in seinen Bann schlagen wie mit seiner Stimme. Er durchquerte den Raum so zielstrebig, dass die Angestellten ihm sofort Platz machten.

»Mikhail, es ist uns eine Ehre, Sie hier begrüßen zu dürfen«, sagte die Wirtin, außer Atem vor Überraschung.

Mikhail bedachte sie mit einem flüchtigen Blick. »Ich bin gekommen, um Raven abzuholen. Wir sind miteinander verabredet.« Er sprach mit leiser, fester Stimme, und niemand wagte es, einen Einwand zu erheben. »Sie hat mich zu einer Schachpartie herausgefordert.«

Die Wirtin nickte lächelnd. »Ich wünsche viel Vergnügen.«

Raven schwankte und presste die Hände auf ihren schmerzenden Magen. Ihre saphirblauen Augen schienen ihr ganzes Gesicht einzunehmen, als sie ihn beobachtete. Ehe sie reagieren konnte, hatte er sie erreicht und streckte die Arme nach ihr aus.

Nicht! Raven schloss die Augen. Sie fürchtete seine Berührung. Schon jetzt war sie überwältigt von den Gefühlen der anderen; sie würde seine starken Emotionen keinesfalls ertragen können.

Mikhail zögerte nicht, sondern hob sie auf seine Arme und drückte sie an seine muskulöse Brust. Seine Züge wirkten wie in Granit gemeißelt, als er sich umdrehte und Raven aus dem Raum trug. Hinter ihnen erhob sich aufgeregtes Murmeln und Flüstern.

Raven erstarrte und wartete auf die Attacke seiner Emotionen, doch er hatte seinen Geist abgeschirmt, sodass sie nur die immense Kraft seiner Arme wahrnahm. Er trug sie in die Nacht hinaus, mit schnellen, leichten Schritten, als spürte er ihr Gewicht nicht im Mindesten.

»Atme, Kleines, dann geht es dir gleich besser.« In seiner warmen, ruhigen Stimme lag ein amüsierter Unterton.

Raven folgte seinem Vorschlag, zu erschöpft, um sich zu widersetzen. Sie hatte diesen wilden, einsamen Ort aufgesucht, um sich auszuruhen und zu kurieren. Doch stattdessen fühlte sie sich zerrissener denn je. Langsam öffnete sie die Augen und sah Mikhail an.

Sein Haar hatte die Farbe von dunklem, samtigem Espresso und wurde im Nacken von einem Band gehalten. Seine Züge waren entweder die eines Engels oder die eines Teufels. Sie strahlten Kraft und Macht aus, mit einem sinnlichen Mund, in dessen Schwung eine Andeutung von Grausamkeit lag. Seine Augen wirkten wie dunkles Eis, pure schwarze Magie.

Raven konnte weder seine Gefühle empfinden noch seine Gedanken lesen. Das war ihr noch nie passiert. »Lass mich runter. Ich komme mir albern vor, wenn du mich davonträgst wie ein Seeräuber.« Mit langen Schritten trug er sie tief in den Wald hinein. Äste wiegten sich im Wind, und das Unterholz raschelte. Ravens Herz schlug unkontrollierbar. Sie versteifte sich und versuchte erfolglos, sich von Mikhail loszumachen.

Er ließ den Blick besitzergreifend über ihr Gesicht gleiten, verlangsamte aber seine Schritte nicht. Auch sagte er kein Wort. Raven empfand es als demütigend, wie wenig ihm ihre Befreiungsversuche auszumachen schienen.

Schließlich ließ sie seufzend den Kopf an seine Schulter sinken. »Hast du mich nun entführt oder gerettet?«

Er lächelte sie amüsiert an. Makellos weiße Zähne blitzten. »Vielleicht ein wenig von beidem.«

»Wohin bringst du mich?« Raven presste sich die Hand auf die Stirn. Sie wollte nicht mehr kämpfen, weder physisch noch mental.

»In mein Haus. Schließlich sind wir verabredet. Mein Name ist Mikhail Dubrinsky.«

Raven rieb sich die Schläfen. »Heute Abend passt es mir doch nicht so gut. Ich fühle mich …« Sie verstummte, als sie einen Schatten wahrnahm, der Mikhail zu folgen schien. Ihr stockte der Atem. Sie sah sich um und entdeckte noch einen zweiten und dritten. Sie umklammerte Mikhails Schulter. »Lass mich sofort runter, Dubrinsky.«

»Mikhail«, korrigierte er, ohne auch nur seinen Schritt zu verlangsamen. Ein Lächeln ließ seine harten Züge ein wenig weicher wirken. »Siehst du die Wölfe?« Er zuckte gleichmütig die Schultern. »Beruhige dich, Kleines, sie werden uns nichts tun. Die Wölfe sind hier ebenso zu Hause wie ich, und wir leben in Frieden miteinander.«

Seltsamerweise glaubte Raven ihm jedes Wort. »Wirst du mir wehtun?«, fragte sie leise.

Wieder ließ er den Blick über ihr Gesicht gleiten, geheimnisvoll und besitzergreifend. »Ich bin kein Mann, der einer Frau das Leid zufügen könnte, an das du denkst. Doch ich bin mir sicher, dass unsere Beziehung nicht immer einfach sein wird. Es gefällt dir, dich mir zu widersetzen.« Er antwortete so ehrlich er nur konnte.

Sein Blick gab Raven zu verstehen, dass sie zu ihm gehörte. Es war beinahe, als hätte er ein Recht auf sie. »Es war falsch, Jacob anzugreifen. Du hättest ihn töten können.«

»Verteidige ihn nicht, Kleines. Ich habe ihm gestattet weiterzuleben, um dir einen Gefallen zu tun, aber es wäre mir ein Leichtes gewesen, es zu Ende zu bringen.« Und eine Freude. Kein Mann hatte das Recht, Mikhails Frau zu berühren und ihr solchen Schmerz zuzufügen. Dass der Mann nicht ahnen konnte, was er Raven angetan hatte, nahm die Sünde nicht von ihm.

»Das kann nicht dein Ernst sein. Jacob ist harmlos. Er fühlte sich einfach zu mir hingezogen«, erklärte Raven sanft.

»Sprich seinen Namen nicht in meiner Gegenwart aus. Er hat Hand an dich gelegt.« Mikhail hielt plötzlich inne und blieb mitten im tiefen Wald stehen. Er schien ebenso wild und ungezähmt zu sein wie das Wolfsrudel, das ihn umgab. Obwohl er Raven meilenweit auf den Armen getragen hatte, war er nicht einmal außer Atem. Seine dunklen Augen wirkten kalt und gnadenlos, als er sie ansah. »Er hat dir große Schmerzen zugefügt.«

Raven stockte der Atem, als Mikhail langsam den Kopf senkte, bis sein Mund nur noch wenige Zentimeter von ihren Lippen entfernt war. Sie spürte seinen warmen Atem auf ihrer Haut. »Verweigere mir in dieser Sache nicht den Gehorsam, Raven. Der Mann hat dich berührt und dir Schaden zugefügt. Ich sehe keinen Grund für seine Existenz.«

Raven betrachtete prüfend seine harten, undurchdringlichen Züge. »Du meinst das ernst, oder?« Sie bemühte sich, das Gefühl von Wärme und Geborgenheit zu ignorieren, das seine Worte in ihr wachriefen. Jacob hatte sie tatsächlich verletzt; die Schmerzen waren so groß gewesen, dass sie Raven den Atem geraubt hatten. Niemand hatte es bemerkt, nur Mikhail.

»Todernst.« Mikhail setzte seinen Weg mit langen Schritten fort.

Raven schwieg und versuchte, diesen rätselhaften Mann zu verstehen. Sie hatte das Böse kennen gelernt, es verfolgt und sich in die obszöne, krankhafte Gedankenwelt eines Massenmörders vertieft. Dieser Mann sprach geradezu gleichgültig über das Töten, und dennoch spürte Raven, dass er nicht böse war. Eine große Gefahr ging von Mikhail Dubrinsky aus. Er verfügte über grenzenlose Macht. Seine Fähigkeiten hatten ihn überheblich werden lassen, und er glaubte offenbar, ein Recht auf sie, Raven, zu haben.

»Mikhail?« Ihr zierlicher Körper begann zu zittern. »Ich möchte zurückgehen.«

Wieder betrachtete er sie mit seinen geheimnisvollen dunklen Augen und bemerkte die Angst, die in ihrem Blick lag. Ihr Herz klopfte schnell, und sie zitterte stärker. »Zurück wohin? In den Tod? In die Isolation? Du hast nichts mit diesen Menschen gemein, mit mir dafür umso mehr. Zu ihnen zurückzukehren, wird deine Probleme nicht lösen. Früher oder später wirst du ihren Ansprüchen nicht mehr genügen können. Sie werden dir immer mehr von deiner Seele stehlen. Bei mir bist du sicher.«

Raven presste die Hände gegen seine kräftige Brust und spürte die Wärme seiner Haut unter ihren Handflächen. Er zog sie nur noch fester an sich, und zärtliche Belustigung wärmte seinen kühlen Blick. »Du kannst mich nicht besiegen, Kleines.«

»Ich möchte zurück, Mikhail.« Raven bemühte sich um einen ruhigen Tonfall. Sie zweifelte daran, dass sie die Wahrheit sagte. Er durchschaute sie. Er kannte ihre Gefühle, wusste um den Preis, den sie für ihre Gabe zahlen musste. Die Anziehungskraft zwischen ihnen war so stark, dass sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnte.

Vor ihnen ragte ein Haus auf, dunkel und bedrohlich wie eine steinerne Festung. Raven klammerte sich unwillkürlich an Mikhails Hemd fest. Er wusste, dass sie diese nervöse Geste nicht einmal bemerkte. »Du bist in Sicherheit, Raven. Ich würde es nicht zulassen, dass dir etwas geschieht. Niemand kann dir schaden.«

Sie schluckte schwer, als Mikhail das schmiedeeiserne Tor öffnete und die Stufen zum Haus hinaufging. »Nur du kannst es.«

Sanft ließ Mikhail sein Kinn über ihr seidiges Haar streichen und spürte die Reaktion seines Körpers. »Willkommen in meinem Haus.« Er sprach die Worte sanft und leise aus. Sie hüllten Raven in Wärme ein wie Sonnenstrahlen oder ein Kaminfeuer. Langsam, beinahe zögernd entließ er sie aus seinen Armen, sodass ihre Füße die Türschwelle berührten.

Mikhail öffnete die Tür und trat dann einen Schritt zurück. »Betrittst du mein Haus aus freien Stücken?« Die Frage klang feierlich. Mikhail betrachtete Ravens Gesicht, ließ seinen Blick lange auf ihren sanft geschwungenen Lippen ruhen und sah ihr dann wieder in die blauen Augen.

Deutlich spürte er ihre Angst. Sie war wie ein Reh in Gefangenschaft. Etwas in ihr wollte ihm vertrauen, doch sie konnte es nicht über sich bringen. Sie fühlte sich erschöpft und in die Ecke gedrängt, aber ihr Wille war ungebrochen. Sie brauchte ihn beinahe so sehr, wie er sie brauchte. Raven berührte den Türrahmen mit den Fingerspitzen. »Würdest du mich zum Gasthof zurückbringen, wenn ich Nein sagte?«

Warum sehnte sie sich so sehr danach, bei ihm zu sein, obwohl sie wusste, wie gefährlich er war? Er manipulierte sie nicht. Raven verfügte über genügend Talent, das herauszufinden. Er wirkte so einsam und stolz, und dennoch bedachte er sie mit einem Blick voller brennender Leidenschaft. Mikhail antwortete ihr nicht und versuchte nicht, sie zu überreden, sondern wartete einfach schweigend.

Raven seufzte leise und gab sich geschlagen. Nie zuvor war ihr ein Mensch begegnet, mit dem sie reden und den sie berühren konnte, ohne dabei von seinen Gedanken und Gefühlen überschwemmt zu werden. Darin allein lag eine große Versuchung.

Sie machte einen Schritt über die Türschwelle, doch Mikhail hielt sie zurück. »Aus freien Stücken. Sag es.«

»Aus freien Stücken.« Raven betrat Mikhails Haus mit gesenktem Blick, sodass ihr der Ausdruck unbändiger Freude entging, der seine finsteren Züge erhellte.

Kapitel 2

Die schwere Tür schloss sich hinter Raven mit einem dumpfen Knall, der Endgültigkeit zu symbolisieren schien. Sie schauderte und rieb sich nervös die Arme. Mikhail legte ihr schwungvoll ein Cape um die Schultern, sodass sie von Wärme und seinem frischen, männlichen Duft eingehüllt war. Er ging durch die mit Marmor ausgelegte Halle und öffnete die Tür zur Bibliothek. In wenigen Augenblicken entzündete er ein Feuer im Kamin. Dann deutete er auf einen Sessel vor dem Kamin. Er hatte eine hohe Lehne und tiefe, weiche Polster. Obwohl es sich offensichtlich um eine Antiquität handelte, schien der Sessel überhaupt nicht abgenutzt zu sein.

Raven sah sich bewundernd um. Die Bibliothek war groß und verfügte über einen schönen Parkettfußboden, dessen einzelne Stücke sich zu einem riesigen Mosaik zusammensetzten. Drei der Wände wurden von hohen Regalen gesäumt, die mit Büchern gefüllt waren, viele von ihnen in Leder gebunden und sehr alt. Die Sessel sahen bequem aus, und bei dem kleinen Tisch, der in der Mitte stand, handelte es sich ebenfalls um eine wunderbar erhaltene Antiquität. Das Schachspiel bestand aus Marmor, mit zierlichen, handgefertigten Figuren.

»Trink das.«

Raven zuckte zusammen, als Mikhail plötzlich mit einem Glas neben ihr stand. »Ich trinke keinen Alkohol.«

Er lächelte verführerisch. Sein außergewöhnlicher Geruchssinn hatte ihm dieses Detail über Raven bereits verraten. »Es ist kein Alkohol, sondern ein Kräutertrank gegen deine Kopfschmerzen.«

Panik breitete sich in Raven aus. Es war leichtsinnig, sich in diesem Haus aufzuhalten – als versuchte sie, sich zu entspannen, während ein wilder Tiger im Raum war. Mikhail könnte mit ihr machen, was er wollte, ohne dass ihr irgendjemand zu Hilfe kommen würde. Wenn er sie nun betäubte … Entschlossen schüttelte Raven den Kopf. »Nein, danke.«

»Raven.« Seine Stimme klang dunkel, sanft und hypnotisch. »Gehorche mir.«

Ihre Finger schlossen sich um das Glas. Sie versuchte, sich seinem Befehl zu widersetzen, und ein stechender Schmerz schoss ihr durch den Kopf. Raven schrie auf.

Mikhail eilte zu ihr und umschloss die Hand, in der sie das Glas hielt. »Warum kämpfst du in einer so unwichtigen Sache gegen mich an?«

Raven war den Tränen nahe. »Warum willst du mich zwingen?«

Mikhail umfasste sanft ihr Kinn und hob ihren Kopf an. »Du hast Schmerzen, die ich lindern möchte.«

Ihre Augen weiteten sich vor Erstaunen. War es wirklich so einfach? Hatte er tatsächlich das Bedürfnis, sie zu beschützen, oder genoss er es einfach, ihr seinen Willen aufzuzwingen? »Es ist meine Entscheidung. Man nennt das den freien Willen.«

»Ich sehe den Schmerz in deinen Augen und spüre ihn in deinem Körper. Wenn ich weiß, dass ich dir helfen kann, soll ich dann wirklich zusehen, wie du dich weiterhin quälst, nur damit du etwas beweisen kannst?« Er klang ehrlich verwirrt. »Raven, wenn ich dir etwas antun wollte, müsste ich dich dazu gewiss nicht unter Drogen setzen. Lass mich dir helfen.« Mit dem Daumen streichelte er ihre Haut, federleicht und sinnlich. Er fuhr über den Puls an ihrem Hals, die zarte Linie ihres Kinns und die vollen Lippen entlang.

Raven schloss die Augen und ließ es zu, dass er ihr das Glas an den Mund setzte und die bittersüße Flüssigkeit ihre Kehle hinunterrinnen ließ. Ihr war, als legte sie ihr Leben in seine Hände. Seine Berührungen wirkten überaus besitzergreifend.

»Entspann dich, Kleines«, sagte er leise. »Erzähle mir von dir. Wie kommt es, dass du meine Gedanken lesen kannst?« Seine Fingerspitzen fanden ihre Schläfen und begannen, sie sanft zu massieren.

»Das konnte ich schon immer. Als ich noch klein war, nahm ich an, dass alle Menschen über diese Fähigkeit verfügen. Trotzdem war es schrecklich, die intimsten Gedanken anderer Menschen zu kennen und all ihre Geheimnisse zu erfahren. Ich hörte und fühlte immer etwas, in jeder Minute eines jeden Tages.« Raven sprach sonst nie über ihre Kindheit, und schon gar nicht zu einem Fremden. Doch Mikhail schien kein Fremder zu sein. Es kam Raven so vor, als wäre er ein Teil von ihr, ein fehlender Teil ihrer Seele. Ihm musste sie einfach davon erzählen. »Mein Vater hielt mich für ein Monster, ein Dämonenkind, und sogar meine Mutter hatte ein wenig Angst vor mir. Ich lernte schnell, andere Menschen niemals zu berühren und mich möglichst selten in ihrer Nähe aufzuhalten. Es war besser für mich, allein zu sein, an einsamen Orten. Nur so konnte ich verhindern, den Verstand zu verlieren.«

Mikhail verzog das Gesicht zu einer bedrohlichen Grimasse. Nur zu gern wäre er einige Minuten mit Ravens Vater allein gewesen, um ihm zu zeigen, was ein Dämon wirklich war. Es faszinierte und erschreckte ihn, wie viel Zorn ihre Worte in ihm auszulösen vermochten. Sie war so lange allein gewesen und hatte so viel Leid erdulden müssen, obwohl er existierte. Warum hatte er sich nie auf die Suche nach ihr begeben? Warum hatte ihr Vater sie nicht so geliebt und umsorgt, wie er es hätte tun sollen?

Mikhail ließ die Hände in ihren Nacken gleiten und massierte sie sanft. »Vor einigen Jahren ging ein Mörder um, der ganze Familien auslöschte. Ich lebte zu dieser Zeit gerade bei einer Freundin aus der Highschool, und als ich nach der Arbeit nach Hause kam, fand ich die ganze Familie ermordet vor. Im Haus konnte ich das Böse in diesem Mann spüren und seine Gedanken lesen. Die schreckliche Dinge, die in ihm vorgingen, machten mich krank, aber es gelang mir, seine Spur aufzunehmen und die Polizei zu ihm zu führen.«

Mikhail ließ seine Hände an Ravens Zopf hinuntergleiten, löste das Zopfband und ließ die Finger durch die seidigen dunklen Strähnen gleiten, die nach Ravens Dusche einige Stunden zuvor noch immer ein wenig feucht waren. »Wie oft hast du das getan?« Sie ließ gewisse Fakten aus. Einzelheiten über den Schrecken und den Schmerz der Opfer und die Reaktionen derer, die sie bei ihrer Arbeit beobachtet hatten. Sie waren fasziniert, aber auch von ihren Fähigkeiten abgestoßen gewesen. Mikhail erfuhr diese Dinge, indem er seinen Geist mit ihrem verband und ihre Erinnerungen betrachtete, um deren wahre Natur zu entdecken.

»Vier Mal. Ich habe vier Mörder gefunden. Der letzte hat mich beinahe den Verstand gekostet. Er war so krank, so böse. Ich fühlte mich unrein, als könnte ich ihn nie wieder aus meiner Seele vertreiben. Ich bin hierher gekommen, um meinen inneren Frieden wiederzufinden. Außerdem beschloss ich, nie mehr eine solche Aufgabe zu übernehmen.«

Mikhail schloss die Augen und bemühte sich, ruhig zu bleiben. Ausgerechnet sie fühlte sich unrein? Er konnte in ihr Herz und ihre Seele blicken und wusste um all ihre Geheimnisse. Sie war pures Licht, schien nur aus Mitgefühl, Mut und Sanftheit zu bestehen. Die vielen schrecklichen Dinge hätten ihr in ihrem jungen Leben niemals widerfahren dürfen. Er wartete, bis er seiner Stimme einen sanften, beruhigenden Klang geben konnte. »Und du bekommst diese starken Kopfschmerzen, wenn du durch Telepathie kommunizierst?« Als Raven nur ernst nickte, fuhr er fort: »Und als du meine Gedanken wahrgenommen hast, bist du dennoch mit mir in Kontakt getreten, obwohl du wusstest, welchen Preis du dafür würdest zahlen müssen.«

Wie sollte sie es ihm erklären? Er war wie ein verwundetes Tier gewesen und hatte so unendliche innere Qualen ausgestrahlt, dass ihr die Tränen übers Gesicht gelaufen waren, als sie ihn gehört hatte. Seine Einsamkeit glich der ihren, und sie hatte seine Entschlossenheit gespürt, seinem Leben ein Ende zu setzen. Um keinen Preis hätte Raven das zugelassen.

Mikhail atmete langsam aus. Ihr Charakter erstaunte ihn. Sie war so voller Güte. Zwar zögerte sie, ihm zu erklären, warum sie sich um ihn gekümmert hatte, doch er wusste, dass Hilfsbereitschaft einfach in ihrer Natur lag. Außerdem war die Verbindung zwischen ihnen so stark gewesen, weil seine gequälte Seele bei Raven endlich gefunden hatte, wonach sie verlangte. Er atmete ihren Duft ein und genoss es, sie in seinem Haus zu haben. Er erfreute sich an ihrem Anblick, an ihrem seidigen Haar in seinen Händen und ihrer samtweichen Haut unter seinen Fingerspitzen. Die Flammen des Kaminfeuers spiegelten sich als winzige blaue Lichter in ihrem Haar wider. Verlangen überkam ihn, heftig und drängend, und Mikhail genoss allein schon die Tatsache, es tatsächlich spüren zu können.

Mikhail setzte sich in den Sessel auf der anderen Seite des kleinen Tisches und betrachtete genussvoll Ravens verführerische Kurven. »Warum trägst du Männerkleidung?«, fragte er.

Sie lachte leise, und in ihren Augen blitzte sanfter Spott. »Weil ich wusste, dass es dich ärgern würde.«

Er legte den Kopf in den Nacken und lachte. Echtes, herzhaftes, unglaubliches Gelächter. Mikhail spürte Frohsinn in sich und die Anzeichen echter Zuneigung. Er konnte sich kaum noch an diese Gefühle erinnern, doch jetzt nahm er sie deutlich wahr.

»Musst du mich denn unbedingt ärgern?«

Sie hob eine Augenbraue und stellte gleichzeitig fest, dass ihre Kopfschmerzen völlig verschwunden waren. »Es ist leicht«, antwortete sie neckend.

Er beugte sich zu ihr hinüber. »Respektloses Frauenzimmer. Du meinst wohl, es ist gefährlich.«

»Ja, das vielleicht auch.« Raven strich sich das Haar aus dem Gesicht. Es war eine unbewusste Geste, die auf Mikhail jedoch unglaublich verführerisch wirkte, zumal sie seine Aufmerksamkeit auf ihr schönes Gesicht, die vollen Brüste und die zarte Linie ihres Halses lenkte.

»Also, wie gut spielst du denn nun eigentlich Schach?«, fragte Raven herausfordernd.

Eine Stunde später lehnte sich Mikhail zurück und beobachtete Raven, die konzentriert das Schachbrett betrachtete. Angestrengt runzelte sie die Stirn und versuchte, die ihr fremde Strategie herauszufinden. Sie spürte, dass er sie in eine Falle lockte, wusste jedoch nicht, wie. Raven stützte das Kinn auf die Handfläche und entspannte sich, um ihren Zug nicht zu überstürzen. Sie spielte geduldig und überlegt und hatte es bereits zweimal geschafft, Mikhail in Schwierigkeiten zu bringen, einfach weil er zu siegessicher gewesen war.

Plötzlich weiteten sich ihre Augen, und sie lächelte. »Du bist wirklich gerissen, Mikhail. Aber ich glaube, dass all deine Klugheit dir nichts nützen wird.«

Er betrachtete sie unter gesenkten Lidern. Als er lächelte, leuchteten seine Zähne weiß im Feuerschein. »Hatte ich erwähnt, Miss Whitney, dass der letzte Mensch, der es wagte, mich bei einer Schachpartie zu besiegen, in den Kerker geworfen und dreißig Jahre lang gefoltert wurde?«

»Na, dann dürftest du zum Zeitpunkt der Untat ja etwa zwei Jahre alt gewesen sein«, neckte sie ihn, den Blick unverwandt auf das Schachbrett gerichtet.

Mikhail stockte der Atem. Er hatte sich in ihrer Gegenwart wohl gefühlt, da er spürte, dass sie ihn akzeptierte, wie er war. Doch offensichtlich hielt sie ihn für einen Sterblichen mit übersinnlichen Fähigkeiten. Er beugte sich vor, machte seinen Zug und beobachtete, wie Raven zu begreifen begann. »Ich glaube, was wir hier haben, nennt man ›schachmatt‹«, sagte er sanft.

»Ich hätte wissen sollen, dass ein Mann, der mit den Wölfen durch die Wälder zieht, mir einiges an Verschlagenheit voraus hat.« Sie lächelte ihn an. »Ein großartiges Spiel, Mikhail. Ich habe es sehr genossen.« Raven lehnte sich in die Polster ihres Sessels zurück. »Kannst du mit den Tieren sprechen?«, fragte sie.

Mikhail genoss es, sie um sich zu haben. Er betrachtete ihr Haar, das im Feuerschein schimmerte, und ihr schönes Gesicht. So genau hatte er sich ihre Züge eingeprägt, dass er selbst mit geschlossenen Augen ihr Gesicht in allen Einzelheiten vor sich sehen würde. »Ja«, antwortete er, da er Raven nicht belügen wollte.

»Hättest du Jacob wirklich getötet?«

Ihre Augen, umgeben von langen schwarzen Wimpern, bezauberten ihn. »Sei vorsichtig mit den Fragen, die du stellst, Kleines«, warnte er sie.