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Beim Tamaskan handelt es sich um eine relativ junge Wolfhund-Rasse, die noch nicht offiziell anerkannt ist. Die Journalistin und Biologin Adriane Lochner hat sich jahrelang mit den intelligenten, verspielten, aber auch etwas sturköpfigen Familienhunden beschäftigt, bis sie beschlossen hat, sich selbst den lang ersehnten Hundewunsch zu erfüllen. Welche Erfahrungen sie mit ihrer Tamaskan-Hündin Chaska gemacht hat, und was man bei der Haltung von wölfisch aussehenden Hunden beachten sollte, davon berichtet sie in diesem Buch - mit viel Grundlagenwissen zur modernen Hundehaltung vom Training bis zur Ernährung.
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Seitenzahl: 398
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Neuschöpfung aus den Worten „Tamaskan“ und
„infiziert“. Bedeutet so viel wie vom lebensfrohen,
intelligenten und teils sturköpfig-schelmischen
Gemüt des Tamaskans in den Bann gezogen wer-
den. Über die Maßen begeistert sein von dieser
noch seltenen und einzigartigen Wolfhundrasse.
Vorwort
Der Tamaskan und seine Geschichte
International anerkannte Wolfhundrassen
Anfänge in den 1980er Jahren
Northern Inuit Dog und Utonagan
Frisches Blut aus Finnland
Herkunft des Wortes „Tamaskan“
Zerwürfnis mit den Gründerinnen
Anerkennung in den Vereinigten Staaten
Entwicklung in Deutschland
Aktueller Stand der Tamaskanzucht
Fazit zur Zuchtgeschichte
Wie viel Wolf steckt im Tamaskan?
Wolfhund oder Hybrid? - Das ewige Missverständnis
Mischlinge aus Wolf und Hund
Der Wolfsanteil - Theorie vs. Realität
Die DNA von Wolf und Hund
DNA-Tests und ihre Grenzen
Warum Wölfe keine Hunde sind
Zufallshybriden in der Wildnis
Wolfhund ist nicht gleich Wolfhund
Alter und neuer Wolfsanteil
Das Rotkäppchen-Syndrom
Äußerliche Unterschiede zwischen Tamaskan und Wolf
Fazit zum Wolfsanteil
Überlegungen vor der Anschaffung
Jeder Hund braucht eine Aufgabe
Rassennomenklatur der FCI
Der Schlittenhund im Tamaskan
Der Schäferhund im Tamaskan
Der Wolfhund im Tamaskan
Internationaler Rassestandard für den Tamaskan
Der Schelm im Wolfspelz
Für wen eignet sich ein Tamaskan?
Welpe oder erwachsener Hund?
Kosten für einen Tamaskan
Alltag mit dem Tamaskan
Fazit zur Anschaffung
Die richtige Zuchtstätte finden
Die Prägungsphase des Welpen
Diskussion um Welpenfrühförderung
Seriöse Zucht statt Vermehrung
Zeit nehmen zum Kennenlernen
Zuchtverein als Qualitätskriterium?
Wichtige Fragen im Vorfeld klären
Auf die Elterntiere kommt es an
Vorgeschriebene Tests auf Erbkrankheiten
Welpenverträge und Wartelisten
Diskussion um Welpentests
Fazit zur richtigen Zuchtstätte
Das richtige Hundetraining finden
Hundetraining ist Teamtraining
Hundesprache verstehen lernen
Die eigene Körpersprache verstehen und einsetzen
Liebe und Bindung
Grenzen geben Sicherheit
Belohnung und Korrektur
Sanfte Konsequenz
Impulskontrolle und Frustrationstoleranz
Gehorsamkeits- und Beschäftigungstraining
Bedürfnisorientiertes Hundetraining
Fazit zum richtigen Hundetraining
Gesundheit und Ernährung
Nährstoffe im Überblick
Ernährung ist individuell
Fertigfutter oder Selbstgemachtes?
Futtermittelunverträglichkeiten erkennen und reagieren
Zecken, Flöhe, Würmer
Die richtige Tierarztpraxis finden
Alternativen zur Schulmedizin
Tierkrankenversicherungen
Wie viel Impfen muss sein?
Kastrieren oder nicht?
Fazit zu Gesundheit und Ernährung
20 Tipps für die Welpen- und Junghundezeit
Gedanken zur nachhaltigen Hundehaltung
Nachwort
Der Titel „Mein erster Tamaskan“ ist eine Kombination aus „Mein Tamaskan“ und „Mein erster Hund“, denn mein Tamaskan ist tatsächlich mein erster eigener Hund. Die Entscheidung, gleich mit einem Wolfhund anzufangen, schien durchaus gewagt. Aber ich habe sehr lange darüber nachgedacht. Viele Jahre lang habe ich mich mit dieser relativ jungen Rasse beschäftigt, mit ihrer Zuchtgeschichte und mit dem Wolfsanteil. Ein Wildtier im Haus wollte ich nicht. Ich wollte einen ganz normalen Hund, einen Alltagsbegleiter, den ich überall hin mitnehmen konnte, nicht nur in die Natur, sondern auch die Innenstadt, ins Büro, zu Kundenterminen, auf Wochenmärkte und vieles mehr. Was mich an Wolfhunden faszinierte, war ihr ursprüngliches Aussehen: die wolfsgraue Fellfarbe, die man „Agouti“ nennt, und ihre natürlichen Proportionen weit jenseits jeder Qualzucht. Aber kann es wirklich einen „Hund im Wolfspelz“ geben? Was unterscheidet eigentlich Hunde von Wölfen? Und wo zieht man die Grenze? Ich bin mir sicher, dass die ersten Kapitel nicht nur für Privatleute interessant sind, sondern auch für Menschen, die in Tierheimen arbeiten, oder für Behörden wie Polizei oder Veterinäramt. Denn die legale Haltung eines wölfisch aussehenden Hundes verschwimmt oft stark mit der illegalen Haltung eines Wolf-Hund-Mischlings. Vor allem das leidige Thema des Aussetzens ungewollter Tiere nimmt im Fall von Wolfhunden ungeahnte Dimensionen an. Zwar sehen die Tiere aus wie ihre wilden Verwandten, aber sie verhalten sich nicht so. Das bringt oft schlechte Publicity, unter der vor allem der Wolf leidet - ein Grund mehr, sich die Anschaffung gut zu überlegen. Auch wenn man sich am Ende doch für Schäferhund oder Golden Retriever entscheidet, wird die zweite Hälfte dieses Buchs sehr nützlich sein. Mit der Auswahl einer seriösen Zuchtstätte legt man den Grundstein für einen souveränen Hundecharakter und verhindert kriminelle Machenschaften mit Hinterhofzuchten und Welpenfabriken. Trainingskonzepte für Hunde gibt es wie Sand am Meer, eine einheitliche Richtlinie zur Hundeerziehung gibt es nicht. Man möchte meinen, in der Tiermedizin sei es anders, aber leider klaffen auch hier große Qualitätsunterschiede zwischen einzelnen Einrichtungen. Mit diesem Buch möchte ich meinen Leserinnen und Lesern das Lehrgeld ersparen, das beim Suchen auf der Strecke bleibt. Denn die Irrfahrt richtet nicht nur finanziellen Schaden an, sondern kostet auch Nerven. Ich spreche aus Erfahrung. Könnte ich die Zeit zurückdrehen, käme ich schneller und entspannter zum Ziel, einen gut erzogenen, ausgeglichenen und rundum gesunden Hund zu haben. Dieses Buch ist ein absolutes Herzensprojekt, mit dem ich hoffe, vielen Menschen helfen zu können. Es richtet sich an Hundeanfänger und Fortgeschrittene und soll Denkanstöße liefern, um den eigenen Weg zu finden. Denn „One fits all“, ein Konzept, das für alle passt, gibt es weder beim Training, noch bei der Gesundheit. Es ist unmöglich, alles Wissen um die moderne Hundehaltung in ein einziges Buch zu packen.
Daher enthalten die Kapitel zahlreiche Hinweise zu weiterführender Literatur sowie zu Bildern, Videos oder Blog-Beiträgen via QR-Codes. Web-Adressen können sich jederzeit ändern. Daher bitte ich um Verständnis, wenn der eine oder andere Link irgendwann nicht mehr funktioniert. Vielleicht kommt man über eine eigene Internetsuche zum Ziel.
Der Blickwinkel, aus dem dieses Buch geschrieben wurde, ist der einer hochmotivierten Anfängerin. Ich bin weder Züchterin, noch Hundetrainerin, Ernährungsberaterin oder Tierärztin. In sämtliche Themenbereiche musste ich mich sozusagen neu einfuchsen. Was zumindest in den Bereichen Genetik und Ernährung geholfen hat, ist mein Biologie-Studium sowie die anschließende Promotion in den Fachrichtungen Mikrobiologie und Biochemie. Ebenfalls hilfreich ist meine Zusatzausbildung im Fachjournalismus. Seit dem Jahr 2013 schreibe und recherchiere ich freiberuflich für verschiedene deutsch- und englischsprachige Zeitungen und Fachzeitschriften. Aber, wie Johann Wolfgang von Goethe schon sagte:
Was auch als Wahrheit oder Fabel In tausend Büchern dir erscheint, Das alles ist ein Turm zu Babel, Wenn es die Liebe nicht vereint.
Meine größte Lehrmeisterin für dieses Buch war meine Hündin Chaska, sprich „Tschaska“. Schon weit vor ihrer Geburt war sie mein Antrieb, mich mit sämtlichen Themen rund um den Hund zu beschäftigen. Als Welpe und Junghund hielt sie mich in jederlei Hinsicht auf Trab. Ihr zuliebe befasste ich mich intensiv mit allen möglichen Aspekten der Hundewelt, angefangen von der richtigen Leine, über die passende Ernährung bis hin zur geeigneten Zeckenprävention und Impfstrategie. Ihr zuliebe tigerte ich von Tierarztpraxis zu Tierarztpraxis, um akzeptable Lösungen zu finden. Ihr zuliebe probierte ich zahlreiche Hundeschulen aus, bis ich ein Konzept fand, das für uns beide passte. Gemeinsam erleben wir immer wieder Abenteuer mit neuen Menschen und ihren Hunden. Nicht immer will Chaska so wie ich will. Bis heute gibt sie mir unverblümt Rückmeldung, wenn sie einen anderen Weg gehen möchte. Dafür bin ich ihr dankbar. Denn auch über mich selbst lerne ich immer wieder ein bisschen mehr dazu. Ohne meine vierbeinige Assistentin könnte es dieses Buch gar nicht geben. Daher möchte ich es ihr widmen: Für Chaska, den hellsten Stern am Morgenhimmel. Diese schöne Bedeutung hat der Name in Quechua, einer alten Sprache südamerikanischer Ureinwohner. Beim Volksstamm der Sioux in Nordamerika war „Chaska“ ein beliebter Name für den erstgeborenen Sohn. Daher ist er für mich nicht nur ein Symbol für Ursprünglichkeit, sondern auch für Gleichberechtigung. Warum sollen nur Söhne so bedeutungsschwere Namen tragen? Chaska war schließlich auch die Erstgeborene ihres Wurfs. Als erste von zehn Welpen erblickte sie im Jahr 2020 in einer Zuchtstätte nahe Frankfurt das Licht der Welt.
Chaska
Steckbrief
Zuchtname: Elara vom Winterstein
Geburtstag: 3. Oktober 2020
Beruf: Schulhund in der Umweltbildung
Hobbys: Mantrailing, Dummytraining und Bikejöring
Lieblingsessen: Rippchen, Leberwurst und Wienerle
Besondere Vorliebe: Flauschige Teppiche
Foto: Lisa Wedel
Der Tamaskan fällt in die Kategorie der Wolfhunde. So bezeichnet man wölfisch aussehende Hunde. Nicht zu verwechseln sind sie mit den Wolfshunden mit „s“. Bei Letzteren handelt es sich um Windhundrassen, die ursprünglich für die Jagd auf Wölfe gezüchtet wurden, etwa der Irische Wolfshund oder der Barsoi aus Russland. Im Englischen ist der Unterschied klarer: „wolfhound“ für den Wolfshund und „wolfdog“ für den Wolfhund. Bei den meisten Wolfhunden handelt es sich um Rückzüchtungen, bei denen absichtlich wieder Wölfe eingekreuzt wurden. Es gibt anerkannte Rassen, bei denen diese Einkreuzungen bereits viele Jahrzehnte zurückliegen. Daneben gibt es auch solche Wolfhunde, bei denen immer noch regelmäßig Wölfe eingekreuzt werden. Man kann sich streiten, ob man hier den Begriff „Wolfhund“ nicht besser durch „Hybrid“ oder „Mischling“ ersetzen sollte. Dazu mehr im Kapitel zum Wolfsanteil.
Wie ist also der Tamaskan einzuordnen? Schließlich handelt es sich um eine Rasse, die noch nicht anerkannt ist durch die Fédération Cynologique Internationale (FCI), dem weltweit größten Dachverband für Hundewesen. Auch beim Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH) sucht man den Tamaskan in der Rasseliste vergebens. Viele Menschen denken, das liege am Wolfsanteil. Tatsächlich aber haben FCI und VDH bereits Wolfhundrassen anerkannt, die einen höheren Wolfsanteil besitzen als der Tamaskan. Dass die FCI-Anerkennung noch aussteht, liegt daran, dass der Tamaskan eine relativ junge Hunderasse ist und es im Moment nicht genügend verschiedene Blutlinien gibt. Anhand der Zuchtgeschichte möchte ich im folgenden Kapitel zeigen, wie der Tamaskan entstanden ist und wo sich die Rasse heute befindet.
Tamaskan-Hündin Chaska im Alter von drei Jahren Foto: alo
Der Tamaskan unterscheidet sich von den Wolfhundrassen, die von FCI und VDH bereits anerkannt sind, dem Tschechoslowakischen Wolfhund (TWH) und dem Saarlooswolfhund (SWH). Um zu verstehen, was den Tamaskan so besonders macht, sollte man die Geschichte dieser Rassen kennen. Beide sind durch Kreuzung von Deutschem Schäferhund mit Eurasischem Wolf entstanden.
Die Zucht des TWH begann zu einer Zeit, als die Tschechoslowakische Republik als Staat noch existierte, im Jahr 1955 beim dortigen Grenzschutz. Ursprünglich hatte man die Absicht, einen robusten und nervenstarken Militärhund für das Gebirge zu schaffen. Die Rechnung ging nur bedingt auf. Die Gene des Wolfs brachten eine gewisse Scheu mit sich und nur wenige der Tiere eigneten sich als Gebrauchshunde. Das militärische Zuchtprojekt wurde Anfang der 1970er Jahre eingestellt und erst etwa ein Jahrzehnt später von Liebhabern im „Klub für Tschechoslowakische Wolfhunde“ fortgeführt. Ab jetzt ging es um die private Haltung der Tiere, nicht um den Einsatz als Gebrauchshunde. 1999 wurde die Rasse durch die FCI anerkannt. Im Rassestandard ist zwar noch immer vorgeschrieben, dass die Tiere gesundes Misstrauen gegenüber allem Unbekannten zeigen sollten, doch schreckhafte oder aggressive Hunde werden von der Zucht ausgeschlossen. Je nach Zuchtlinie findet man heute auch sehr ausgeglichene Tiere.
Während das tschechoslowakische Militär bei der Zucht des TWH einen Diensthund im Sinn hatte, wollte der Niederländer Leendert Saarloos aus Liebe zur Natur einen ursprünglichen und gesunden Hund schaffen. Dazu kreuzte er bereits in den 1930er Jahren seinen eigenen Schäferhundrüden Gerard mit einer Wölfin aus dem Tiergarten in Rotterdam. Inzucht, auch Linienzucht genannt, war in der Hundezucht ein gängiges Mittel, um schnell bestimmte Eigenschaften zu festigen. So kreuzte Saarloos einige der Nachkommen wieder mit dem Vater. Die Tiere, die dabei herauskamen, waren so ausgeglichen, dass sie als Blindenhunde eingesetzt werden konnten. Um die genetische Vielfalt und das wölfische Aussehen zu erhalten, wurde später erneut Wolf eingekreuzt. Die Folgegenerationen eigneten sich allerdings nicht mehr als Begleithund. Der Fluchttrieb der Tiere in unbekannten Situationen überwog. Doch war, wie ursprünglich gewünscht, ein natürlich aussehender Hund entstanden. Im Jahr 1975 wurde der Saarlooswolfhund (SWH) in den Niederlanden als Rasse anerkannt, 1981 auch international von der FCI. Ähnlich wie beim TWH ist eine natürliche Reserviertheit rassetypisch für den SWH. Informationen zu beiden Wolfhundrassen sowie eine Liste von Zuchtstätten findet man auf der Website des Verbands für Deutsches Hundewesen (VDH).
Tschechoslowakischer Wolfhund (TWH) Foto: iStock/Ekaterina Gorokhova
++ Lesetipp ++
Mehr zu Wolfhunden und den Finessen ihrer Haltung erfährt man im Buch „Wolfhunde in Deutschland“ von Karolin Fuchs, erschienen im Selbstverlag, 1. Auflage 2019.
Im Vergleich zu TWH und SWH verlief die Geschichte des Tamaskan ziemlich chaotisch. Sie begann ein gutes Stück später, nämlich um das Jahr 1987. Die Ausgangssituation war eine andere. Die Engländerin Edwina, kurz „Eddie“, Harrison und eine kleine Gruppe engagierter Züchter machten es sich zum Ziel, einen Familienhund zu schaffen, der zwar wie ein Wolf aussah, aber kein Wolfsblut enthielt. Auf Wolfseinkreuzung wurde offiziell verzichtet, denn die Haltung von Wolf-Hund-Mischlingen war damals in Großbritannien verboten. Im Gegensatz zu TWH und SWH liegt Harrisons Wolfhunden keine Verpaarung von Wolf und Hund zugrunde. Anstatt dessen verwendete sie Mischlinge verschiedener nordischer Rassen wie Alaskan Husky, Alaskan Malamute, Kanadischen Eskimohund, Labrador Husky und Siberian Husky, mit Anteilen von Deutschem Schäferhund. Sie importierte fünf Hunde aus den USA und Kanada nach England und verpaarte sie dort mit anderen wolfsähnlichen Mischlingshunden. Züchterinnen und Züchter kreuzten die verschiedenen Blutlinien und führten Outcross-Hunde ein. Die Nachkommen waren als „Harrison Wolfdogs“ bekannt, oder einfach als „Wolfalikes“, übersetzt „Wolfsähnliche“. Dieses ursprüngliche Zuchtprogramm war schlecht dokumentiert, wahrscheinlich absichtlich. Wie gesagt, in Großbritannien war es verboten, Hunde mit Wolfsanteil zur Zucht zu verwenden. Viele Jahre später wurde der Tamaskan als „Wolfhund ohne Wolf“ bezeichnet. Heute weiß man, dass diese Aussage nicht stimmt. DNA-Analysen zeigten, dass bei der Begründung der Rasse durchaus Wolfsblut im Spiel war.
Outcross, übersetzt Auskreuzung
So nennt man die Verpaarung zweier Hunde, die keine gemeinsamen Vorfahren haben, mit dem Ziel, neue Eigenschaften in eine Zucht zu bringen oder die Tiere durch genetische Vielfalt gesund zu halten. Das Gegenteil wäre Inzucht oder Linienzucht, bei der nahe verwandte Tiere gekreuzt werden, um bestimmte Eigenschaften zu festigen.
Saarlooswolfhund (SWH) Foto: iStock/Wirestock
Harrisons „Wolfalikes“ bildeten die Grundlage für eine Rasse namens „Northern Inuit Dog“, benannt nach den indigenen Volksgruppen in Grönland und den arktischen Gebieten Kanadas. Im Jahr 1988 wurde in England der Zuchtverein „Northern Inuit Society“ gegründet.
Schattenwölfe
In der ersten Staffel der TV-Serie „Game of Thrones“ aus dem Jahr 2011 wurden Northern Inuit Dogs als Schattenwölfe eingesetzt. Später wurden sie von computeranimierten Wölfen abgelöst.
Schon kurze Zeit später, in den 1990er Jahren, gab es keine klare Linie mehr. Die Blutlinien einzelner Züchter unterschieden sich stark und es gab große Variation zwischen den Würfen. Unerwünschte Merkmale wie Schlappohren oder blaue Augen traten auf. Darüber hinaus handelten einige Züchterinnen und Züchter unethisch, setzten noch nicht ausgewachsene Hunde zur Zucht ein oder verzichteten auf die Voruntersuchungen auf Erbkrankheiten. Zusätzlich hatten sich die Menschen auf die Fahne geschrieben, den berühmten „Wolfhund ohne Wolf“ zu schaffen. Wahrscheinlich wurde die Einkreuzung von Wolfhunden oder Hybriden verborgen. Unter den Züchtenden kam es zu Interessenkonflikten bis hin zu persönlichen Auseinandersetzungen. Im Jahr 2002 beschloss eine Gruppe, sich selbstständig zu machen und den Namen der Rasse in „Utonagan“ zu ändern. Neben der „Northern Inuit Society“ wurde die „Utonagan Society“ gegründet. Wenn man verschiedenen Internet-Seiten glaubt, bedeutet das Wort „Utonagan“ in der Sprache der Stammesgruppe der Chinook, Ureinwohner im Nordwesten der USA, soviel wie „Spirit of the Wolf“, übersetzt „Geist des Wolfs“. Da es für den Utonagan sehr wenige Gründungstiere gab und die Rasse wegen gesundheitlicher Probleme einen schlechten Ruf erhielt, begannen im Jahr 2009 einige Züchterinnen und Züchter unter dem Namen “British Utonagan” mit der Einkreuzung unter anderem von Alaskan Malamute, Siberian Husky, Schäferhund, Northern Inuit Dog und auch Tamaskan Dog. Letzteren gab es bereits seit 2006. Dazu später mehr. Zunächst weiter zum „Utonagan“. Man distanzierte sich von dem Namen und nannte die neuen Hunde “Caledonian Wolfalike”, nach dem östlichen Teil Schottlands, der von den Römern in der Antike als „Kaledonien“ bezeichnet wurde. Im Jahr 2016 wurde die Caledonian Wolfalike Association (CWA) gegründet. Sie umfasst verschiedene wolfsähnliche Rassen, auch den Northern Inuit Dog und die Nachfahren des Utonagan. Aber zurück zur Entstehung des Tamaskans mehr als ein Jahrzehnt zuvor.
Sowohl in den Blutlinien des Northern Inuit Dog als auch des Utonagan traten Gesundheitsprobleme auf. Daher suchten einige Züchterinnen und Züchter in den frühen 2000er Jahren nach anderen wolfsartig aussehenden Hunden, die sie als neue Auskreuzungen einführen konnten. Unter ihnen war die Engländerin Lynn Hardey. Im Jahr 2004 entdeckte sie geeignete Outcross-Hunde im Levi Huskypark in Lappland. Der Besitzer, Reijo Jääskeläinen, züchtete unter dem Zwingernamen „Polar Speed“ wolfsähnliche Hunde für die Filmarbeit. Lynn hatten es die Husky-Mischlinge angetan. Sie wollte mit ihnen weiterzüchten. Aufgrund des offensichtlichen Wolfsanteils lehnte die britische „Utonagan Society“ das ab. Kurzerhand begründete Lynn Hardey gemeinsam mit ihrer Tochter Jennie Saxby eine neue Rasse. Dafür brauchten sie auch einen neuen Namen. Sie entschieden sich für ein Wort, von dem sie glaubten, dass es aus der Sprache der nordamerikanischen Ureinwohner stammt: „Tamaska“, übersetzt „mächtiger Wolf“. Bis heute wird diskutiert, ob es dieses Wort wirklich gab. Die Antwort lautet „Jein“.
Unter den Ureinwohnern Nordamerikas gab es verschiedene Sprachfamilien und darunter viele verschiedene Dialekte. Im Munsee-Dialekt der Lenape oder Delawaren, der Ureinwohner, die entlang des Delaware River lebten, steht das Wort „Tëme“ für „Wolf“. Das „ë“ spricht man wie in „Fett“, also eher wie ein „ä“. Daher klang es für die Briten wie ein „ae“ wie in „flat“. Geschrieben wurde also ein „a“ daraus. Gemäß einem Eintrag vom 7.
Namen für die wolfsähnlichen Hunderassen suchte man in den Sprachen nordamerikanischer Ureinwohner, wahrscheinlich wegen des romantischen Bildes, das sie vermitteln. Illustration: iStock/Nastastic
Mai 2013 im internationalen Tamaskan-Forum (tamaskan-forum.com) bedeutet der Zusatz „maskaeet“ in manchen Lenape-Dialekten „derjenige, der stark/groß/ mächtig ist“. Ins Englische übertragen wurde vermutlich aus „Tëme-maskaeet“ kurz und knackig „Tamaska“. Für besseren Klang hängten Hardey und Saxby ein „n“ an, sodass man im Deutschen eher das asiatische Wort für Herrscher hört: „-khan“. Man könnte sich vielleicht darauf einigen, dass das Wort Tamaskan zumindest seine Ursprünge in der Sprache nordamerikanischer Ureinwohner hatte, aber in dieser Form nie existierte, zumindest nicht mit der zugehörigen Bedeutung. Abgesehen von den nebulösen Hintergründen hat das Wort nach wie vor einen schönen Klang.
Hardey und ihre Tochter blieben zwei Jahre in Finnland, um dort ihre Hunde mit denen vom Polar-Speed-Zwinger zu kreuzen. Zwei Welpen schickten sie zu ihren Mitstreiterinnen, Liz Wilson von der Zuchtstätte „Alba“ in Schottland und Zee Turner von der Zuchtstätte „Moonstone“ in England. Es heißt oft, der Tamaskan sei eine finnische Züchtung, doch die ersten registrierten Tamaskan-Welpen wurde im Jahr 2006 in Schottland geboren.
Viele der ersten Tamaskane tragen Hardeys Zwingernamen „Blustag UK“. Auf einer amerikanischen Website heißt es, „Blustag“ bedeutet in der Sprache des indigenen Volks der Komantschen „pack leader“, also „Anführer des Rudels“.
Alaska-Tundrawolf Foto: iStock.com / Wirestock
Wenn man es genau nimmt, entstand der Tamaskan in Großbritannien, doch stammen viele seiner Vorfahren aus Nordamerika. Wie zu Beginn des Kapitels beschrieben, wurden bereits im Jahr 1987 Schlittenhunde nach England importiert. Aber auch einige der Siberian Huskys aus dem Levi Huskypark in Lappland stammen aus einer nordamerikanischen Seppala-Linie.
Der Schlittenhundeführer Leonhard Seppala erlangte weltweite Berühmtheit durch die Schlittenhundestafette, die im Jahr 1925 Medikamente in die Kleinstadt Nome in Alaska brachte und zahlreiche Menschen vor der Diphtherieepidemie bewahrte. Seppalas Gespann legte die weiteste und schwierigste Etappe zurück, dank des charakterstarken Leithunds Togo. Mit ihm begründete Seppala eine neue Zuchtlinie, aus der später unter anderem die Igloo-Pak-Linie entstand. Einer der Polar-Speed-Gründungshunde war Igloo Pak’s Candy II. Er taucht im Stammbaum vieler Tamaskane auf. Man könnte sagen, in den Hunden steckt ein kleiner Tropfen Togo-Blut.
Aber auch nordamerikanisches Wolfsblut taucht in der Rasse auf. Auf ihrer Website www.tamaskans.sylvaen.com schreibt Züchterin Debby Mergl (ehem. Stainforth), dass im Polar-Speed-Zwinger die Rennhuskys nicht nur mit einem Tschechoslowakischem Wolfhund (TWH) gekreuzt wurden, sondern auch mit einem höherprozentigen Tier, nämlich mit Ivan, Rufname „Boogie“. Ihn bezeichnet Debbie als Amerikanischen Wolfhund (AWH). Diese Tiere werden mit nordamerikanischen Unterarten des Wolfs gezüchtet, etwa mit Polarwolf (Canis lupus arctos) oder Timberwolf (Canis lupus lycaon), im Gegensatz zu TWH und SWH, die mit Eurasischem Wolf (Canis lupus lupus) gezüchtet wurden.
Lateinische Namen des Wolfs
Canis steht für die Gattung aller Wolfsund Schakalartigen. Steht der Artname lupus dabei, weiß man, dass nur Wölfe gemeint sind. Folgt danach ein drittes Wort wie arctos oder lycaon, ist die Unterart gemeint. Da sich alle Wölfe untereinander verpaaren können und sich ihre Verbreitungsgebiete oft überschneiden, ist die Abgrenzung einzelner Unterarten nicht immer klar.
Im September 2022 stellte ich eine Anfrage an den Levi Huskypark zur Herkunft Boogies. Die Antwort kam prompt. Man wolle keine Auskunft zur Entstehung des Tamaskans geben, da man mit Lynn Hardey im Argen lag. Manche Informationen deuten darauf hin, dass Boogie kein Wolfhund war, sondern tatsächlich ein Wolf, genauer ein Alaska-Tundrawolf (Canis lupus tundrarum). Diese Unterart des Wolfs lebt in Nordamerika. Nicht zu verwechseln ist der Alaska-Tundrawolf mit dem Tundrawolf aus Russland (Canis lupus albus).
Auf dem Youtube-Kanal des Wolfhund-Experten Christian Berge findet man ein Video in finnischer Sprache, bei dem Tuomas Holopainen, ein Gründungsmitglied der Band Nightwish, Reijo Jääskeläinen zu seinen Tieren interviewt. In dem Video wird Boogie als Alaska-Tundrawolf vorgestellt, der aus schlechter Haltung stammt und von einer Tierschutzorganisation gerettet wurde.
YouTube-Video von Wolfdogs-Siouxtala @hanninadina „Tamaskan Gründungstier - Boogie, Alaskan Tundra Wolf“
Es ist also nicht klar, ob Boogie ein Wolf oder ein hochprozentiger Wolfhund war. Eigentlich ist es aber auch egal. Der Urvater der Tamaskane taucht zwar in vielen Stammbäumen auf, das Alaska-Tundrawolf-Blut ist aber genetisch nicht mehr nachweisbar. Wichtig ist, dass in der heutigen Zucht keine hochprozentigen Tiere eingesetzt werden dürfen.
Im Jahr 2006 gründeten Hardey und ihre Tochter das Tamaskan Dog Register (TDR), ein Rasseregister für Tamaskan-Hunde weltweit. Sie erstellten eine umfassende Liste von Regeln und Vorschriften für registrierte Züchterinnen und Züchter sowie einen Ethikkodex. Im Jahr 2009 wurde ihnen vorgeworfen, sich selbst nicht daran zu halten. Sie hätten Ahnentafeln gefälscht, den wahren Wolfsanteil der Rasse verheimlicht und Hunde ohne ausreichende Gesundheitstests zur Zucht eingesetzt. Im Jahr 2012 wurden beide vom TDR ausgeschlossen. Die Zuchtstätte „Blustag“ existiert bis heute (Stand 2023). Auf ihrer Website www.tamaskan-dog.com /Blustag/schildert Hardey ihre Perspektive, nämlich dass ihr Zuchtprojekt gestohlen worden sei. Dass sie ohne Genehmigung gezüchtet hat, gibt sie zu.
Auch wenn es zu dieser Geschichte sicherlich verschiedene Perspektiven gibt, sind die Vorwürfe aus den Sozialen Medien erdrückend. Eine Facebook-Gruppe mit dem Namen „Tamaskan Puppy Farmers UK“ hat sich nach eigenen Angaben ausschließlich der Aufgabe gewidmet, „potenzielle Welpenbesitzer auf die abscheulichen Zuchtpraktiken von Lynn Hardy (Blustag) und Jennie Peacock (Blufawn) aufmerksam zu machen“. Die Gruppe hat 660 Mitglieder (Stand 2023). Dort berichten Menschen, die Welpen gekauft haben, von gravierenden Gesundheitsproblemen, nicht nur durch Erbkrankheiten, sondern auch durch Unterernährung und mangelnde Sozialisierung. In der Facebook-Gruppe werden Hardey und ihre Tochter als „Vermehrerinnen“ bezeichnet und ihre Zuchtstätten als „Welpenfabriken“. Was das genau bedeutet, erkläre ich im Kapitel zu den Zuchtstätten.
Das erste internationale Zuchtregister für den Tamaskan, das Tamaskan Dog Register (TDR), findet man unter www. tamaskandogregister.com. Im Jahr 2012 wurde es als gemeinnütziges Unternehmen in Schottland registriert und geleitet von einem internationalen Komitee, das sich aus Vertretern der verschiedenen Landesvereine weltweit zusammensetzte.
Unter der neuen Leitung machte die Zucht große Fortschritte: Im Jahr 2013 wurde der Tamaskan Dog offiziell von der American Rare Breed Association anerkannt. Halterinnen und Halter dürfen daher an offiziellen Rassehund-Shows in ganz Nordamerika teilnehmen. Im Jahr 2015 beschloss das TDR-Komitee, zusätzliche Gesundheitstests einzuführen. Wer züchten will, muss neben Hüft- und Ellbogenbefund eine Augenuntersuchung vorlegen sowie einen DNA-Test auf die Rückenmarkserkrankung Degenerative Myelopathie. Zusätzlich muss via DNA-Profil die Abstammung überprüft werden, um die Integrität der Stammbäume zu wahren. Mehr zu den Untersuchungen auf Erbkrankheiten erkläre ich im Kapitel zur passenden Zuchtstätte. Im Jahr 2016 beschloss das TDR, seine schottische Niederlassung zu schließen und die gemeinnützige Gesellschaft in den Vereinigten Staaten zu registrieren. Meinungsverschiedenheiten führten dazu, dass das Züchterkomitee im Jahr 2019 das TDR verließ beziehungsweise entlassen wurde – Genaues ist nicht bekannt. Diese Züchterinnen und Züchter gründeten daraufhin das „International Tamaskan Register“ (ITR). Eine davon ist die gebürtige Amerikanerin Debby Mergl (früher Stainforth), die in Kroatien die Zuchtstätte „Sylvaen Tamaskans“ betreibt. Viele der in diesem Kapitel genannten Informationen, gekürzt und aus dem Englischen übersetzt, stammen von ihrer Website.
„Die definitive Geschichte des Tamaskans“ auf der Website www.tamaskans.sylvaen.com
Obwohl bereits in den Vorjahren vereinzelt Tamaskane nach Deutschland kamen, begann hierzulande erst im Jahr 2009 die Zucht. Verpaart wurden die Tamaskanhündin Summer (Zuchtname: Blustag Little Sunshine) und der Outcross-Rüde Bobbi (Zuchtname: Djoser van Rijneckerhof), ein Saarlooswolfhund. Dieser erste Wurf erblickte in der Zuchtstätte “Tamaskan vom Münsterland” das Licht der Welt. Im Jahr 2010 entstand der Tamaskan Germany Club. Zwei Jahre später wurde in Deutschland ein eigenes Zuchtbuch gegründet. Das war in etwa die Zeit, in der das internationale Zuchtregister umstrukuriert wurde, da sich die Vorwürfe gegen die Begründerinnen der Rasse, Lynn Hardey und ihre Tochter verhärteten. Wahrscheinlich verloren viele Menschen, die in der Tamaskanzucht aktiv waren, das Vertrauen in das internationale Zuchtregister TDR. Denn im Jahr 2013 wurde auch der Landeszuchtverein der Niederlande gegründet, der „Nederlandse Tamaskan Club“, der beschloss, unabhängig vom internationalen TDR zu operieren, mit eigenem Stammbaumregister und Richtlinien, ähnlich wie der Tamaskan Germany Club. Doch auch hierzulande ließen Unstimmigkeiten nicht lange auf sich warten, unter anderem in Bezug auf die Zuchtvorschriften.
Im Juni 2016 beschlossen einige Züchterinnen und Züchter, den „Tamaskan Germany Club“ zu verlassen und die „Interessengemeinschaft Tamaskan e.V.“ (IGT) zu gründen, mit eigenem Rassestandard und Zuchtbuch. Ein Jahr später wurde auch der Tamaskan Germany Club zu einem gemeinnützigen Verein. Er trägt heute den Namen „Tamaskan Germany e.V.“ (TG). Auf der zugehörigen Facebook-Plattform @TamaskanDE betreiben die Mitglieder bis heute Aufklärung für Interessierte. Nach Auskünften von TG-Vorstandsmitglied Jaqueline Kaletha habe die Tamaskan-Szene mittlerweile verstanden, dass zwischenmenschliche Konflikte der Rasse schaden. Eine neue Generation von Menschen, die Tamaskane züchten und halten, sei bestrebt, gemeinsam und konstruktiv die Zukunft der Rasse zu gestalten. In Deutschland kooperierten Züchterinnen und Züchter beider Vereine, IGT und TG, und nutzten gemeinsame Ressourcen an Erfahrung, Möglichkeiten und Kontakten. Die Zuchtregeln hierzulande entsprächen weitgehend denen der Niederlande. „Mit Züchtern anderer Nationen herrscht ein freundlicher Austausch. Verpaarungen erfolgen länder- und vereinsübergreifend“, so Jaqueline Kaletha. Seit 2021 sei wieder Leben in den TG eingekehrt. Züchterinnen und Züchter sowie neue Mitglieder engagieren sich mit ihrem Wissen über Genetik, Zucht, Gesundheit und der Welpenfrühförderung wieder verstärkt im Verein.
Im Jahr 2022 gab es laut Tamaskan-Datenbank (www.wolflookalike.com) etwa 3030 Tamaskane weltweit, davon etwa 300 Tiere in Deutschland. Um den Genpool zu erweitern, werden häufig neue Auskreuzungen zugelassen, vor allem Schäferhund- und Schlittenhundrassen, aber auch Wolfhunde mit weniger als 30 Prozent Wolfsanteil. Das führt dazu, dass Tamaskane noch relativ unterschiedlich sind. Sie variieren in Größe, Fellfarbe, Felllänge und auch Charakter, je nach der Rasse, die am stärksten in der jeweiligen Zuchtlinie vertreten ist. Ein Tamaskan mit hohem Alaskan-Malamute-Anteil wird stämmiger sein, als einer mit einem schlanken Siberian Rennhusky in der nahen Verwandtschaft. Bei manchen Tamaskanen erinnern die Gesichtszüge eher an einen Schäferhund, wieder andere tragen die helle Gesichtszeichnung mancher Schlittenhunde. Tiere, die aus einer Outcross-Verpaarung mit TWH oder SWH stammen, werden andere Ansprüche an die Haltung stellen, als Tiere mit wenig oder gar keinem Wolfsanteil. Zuchtziel ist und bleibt allerdings, neben der Gesundheit der Tiere, das ursprüngliche Aussehen in Verbindung mit einem freundlichen Charakter.
Der Tamaskan ist nicht von der FCI anerkannt, weil die Rasse noch sehr jung ist. Die Voraussetzungen für eine vorläufige Anerkennung, aus der Geschäftsordnung der FCI, Anhang 5 (Stand 2019) lauten:
Die Population muss sich aus mindestens 8 Blutlinien zusammensetzen, jede mit wenigstens zwei Rüden und 6 Hündinnen aus zwei verschiedenen Würfen in jeder Blutlinie, die innerhalb von fünf Jahren geboren wurden. Während drei Generationen dürfen keine gemeinsamen Ahnen vorkommen.
Ob der Tamaskan jemals von der FCI und damit auch vom VDH anerkannt werden wird, steht in den Sternen. Gemessen am großen Engagement vieler Züchterinnen und Züchter, wären die Voraussetzungen wahrscheinlich in den nächsten Jahren erfüllt, doch wird nach Auskunft der Tamaskan-Germany-Vorstandschaft eine Anerkennung durch den VDH derzeit nicht angestrebt (Stand 2022). Grund dafür sei die große Menge zusätzlicher Bürokratie, die damit verbunden wäre.
Fazit zur Zuchtgeschichte
Homo homini lupus – Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Thomas Hobbe, Staatstheoretiker und Philosoph
Vielleicht sind Wolfhundehalterinnen und -halter ein besonderer Menschenschlag, aber vielleicht ist es normal, dass es in der Hundezucht Unstimmigkeiten und schwarze Schafe gibt. Mit der Geschichte anderer Rassen habe ich mich nicht im Detail befasst, und kann daher nicht sagen, ob es dort immer harmonisch verlief. Wahrscheinlich nicht. Die chaotische Entstehungsgeschichte des Tamaskans ist heute kaum mehr von Bedeutung. Wichtig ist, was aktuell in der Zucht passiert. Menschen, die sich für einen Tamaskan interessieren, sollten wissen, dass die Rasse noch immer in Arbeit ist. Hier kommt es auf die einzelnen Personen an, die Hunde züchten, sowie auf die Zuchtvereine, die die Richtlinien festlegen. Die Welt ist nicht einfach schwarz oder weiß. Viele Menschen, die an der Entstehung des Tamaskans beteiligt waren, hatten sicherlich gute Absichten. Daneben gab es bestimmt auch solche, denen das Geld mehr am Herzen lag, als das Wohl der Tiere. Wer gerade erst beginnt, sich mit der Rasse zu beschäftigen, sollte wissen, dass unterschiedliche Meinungen und Blickwinkel existieren, und hier und da auch starke persönliche Befindlichkeiten. Auf der Suche nach einer passenden Zuchtstätte sollte man sich selbst eine Meinung bilden. Heute ist die Zucht in der Regel sehr transparent.
Impressionen aus 2014
Alle Fotos auf der Doppelseite zeigen denselben Wurf: sieben Wochen alte Welpen in der Zuchtstätte „Mountain Tamaskan“ in der Nähe von Berlin im Dezember 2014. Man sieht, dass sich die Welpen in der Färbung unterscheiden. Manche ähneln eher einem Schäferhund, andere einem Siberian Husky.
Die Welpen stammen aus einer Outcross-Verpaarung mit einem Siberian Husky als Deckrüden, siehe unten. Trotz des unterschiedlichen Aussehens sind die Welpen allesamt sehr aufgeschlossen und menschbezogen, siehe oben. Fotos: alo
Die zynische Antwort auf diese Frage würde lauten: So viel du willst. Denn es gibt immer Möglichkeiten, Zuchtvorgaben und Tierschutzgesetze zu umgehen und sich einen Wolf ins Haus zu holen, mit gefälschten Zuchtpapieren als TWH, SWH oder eben als Tamaskan. Wo könnte man besser ein Wildtier verstecken als in einer Hunderasse, die ohnehin aussieht wie ein Wolf? In diesem Kapitel möchte ich darauf eingehen, warum es eine denkbar schlechte Idee ist, ein Wildtier als Haustier zu halten, was Hunde von Wölfen unterscheidet, und worauf man achten sollte, wenn man sich für einen Wolfhund interessiert.
„Adriane hat einen Wolfshybriden“, habe ich neulich jemanden sagen hören. – „Nein, hat sie nicht!“ Bei dieser Verwechslung könnte ich jedes Mal die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Besser ist es, tief durchzuatmen und das Missverständnis aufzuklären. Mit „Hybrid“ ist in der Regel eine Kreuzung aus Wolf und Hund gemeint. Dem Gesetz nach wäre das ein Wildtier, das ich nicht ohne Weiteres zu Hause halten dürfte. Die Verwirrung in der Gesellschaft ist aber durchaus verständlich, denn auch die Medienwelt trägt dazu bei, dass es hier so viele Missverständnisse gibt. In Bezug auf den Wolf hat der Begriff „Hybrid“ einen negativen Unterton bekommen. Mischlinge aus Wolf und Hund werden in freier Wildbahn häufig abgeschossen. Artenschützer glauben, dass Hybriden die Wolfspopulation genetisch gefährden. Zudem wird befürchtet, sie hätten weniger Scheu vor dem Menschen und würden sich näher an Siedlungen wagen als ein „reinrassiger“ Wolf - obwohl es einen solchen im Zeitalter des Menschen, im sogenannten „Anthropozän“, so gut wie gar nicht mehr gibt. Im Grunde kommt es auf das einzelne Tier an, auf dessen genetische Ausstattung und seine bisherigen Erfahrungen mit dem Menschen. Mehr dazu später.
Biologische Definition eines Hybriden
Als Hybrid bezeichnet man ganz allgemein eine Kreuzung zweier verschiedener Varianten. Dabei kann es sich um Tiere oder Pflanzen handeln, um verschiedene Arten, Unterarten oder Rassen. Das Maultier, die Kreuzung aus Pferd und Esel, wäre demnach ein Hybrid, genauso wie der Labradoodle, eine Kreuzung aus Labrador und Pudel.
Zunächst nur soviel: Wenn Menschen Wolfhunde und Wolfshybriden verwechseln, ist das eine ernst zu nehmende Angelegenheit, denn das eine ist legal, das andere nicht. Oft ist die Grenze nicht klar und die Unterscheidung schwierig. Allein anhand des Aussehens zu erkennen, ob es sich um einen Wolfhund oder einen Wolf-Hund-Mischling handelt, ist oft auch für Experten schwierig. Wo liegt also der Unterschied?
Die Gretchenfrage lautet: Wo hört der Wolf auf und wo fängt der Hund an? Die beiden Tiere sind so eng verwandt, dass der Haushund in der Wissenschaft als domestizierte Unterart des Wolfs gilt. Sein lateinischer Name lautet Canis lupus familiaris. Wie schon im vorherigen Kapitel erwähnt, kann man sich aus diesen Namen die Verwandtschaftsbeziehungen herleiten. Somit gehört der Hund zur gleichen Art wie der Wolf (Canis lupus), im Gegensatz zum Goldschakal (Canis aureus) oder gar dem Rotfuchs (Vulpes vulpes). Mit einem Fuchs könnte sich ein Wolf nicht paaren, wohl aber mit fast jeder Hunderasse. Ein Beispiel dafür ist der „Pudelwolf“ oder „Puwo“, eine Kreuzung aus Königspudel und Wolf, den der Verhaltensforscher Erik Ziemen Ende der 1960er Jahre aus experimentellen Gründen züchtete. Auch kuriose Verpaarungen aus Jack Russell Terrier und Wolf soll es schon gegeben haben.
Fotos von verschiedenen Wolf-Hund-Mischlingen auf dem Tumblr-Blog „Ivar the Real Wolfdog“
Der Hund ist also wesentlich näher mit dem Wolf verwandt als etwa das Pferd mit dem Esel. Wenn Letztere zu Maultieren verpaart werden, sind diese nicht mehr zeugungsfähig, so auch der Liger, eine Kreuzung aus Löwe und Tiger.
Bei der Verpaarung von Wolf und Hund entstehen zeugungsfähige Nachkommen, die keine körperlichen Beeinträchtigungen durch die Vermischung des Erbguts haben. So gesehen wäre ein Wolfshybrid nichts anderes als ein Mischling, genauso wie ein gezüchteter Labradoodle oder eine zufällige Promenadenmischung. Doch sollte jedem einleuchten, warum der Gesetzgeber hier unterscheiden muss. Schließlich ist der Wolf ein Wildtier, ein geschütztes noch dazu. Daher muss der Umgang mit wildlebenden Hybriden geregelt werden, genauso wie ihre Zucht und Haltung in menschlicher Obhut.
Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung gilt bundesweit als das Referenzzentrum für genetische Wolfsanalysen. Seit dem Jahr 2010 werden dort DNA-Proben untersucht, auch in Zusammenhang mit Nutztierrissen. Dabei ist es wichtig, unterscheiden zu können, ob eine Probe von Wolf, Hund, Wolfhund oder Hybrid stammt. Als ich bei der Pressestelle der Senckenberg Gesellschaft nach der Definition von Wolfshybriden fragte, bekam ich folgende Antwort:
Es existiert keine klar abgegrenzte Definition, was ein Wolfshybrid ist. Man meint damit jedoch meist Tiere, die innerhalb der letzten Generationen sowohl Wolfs- als auch Haushunde-Eltern hatten, genetisch also einen deutlich messbaren Anteil mehrerer Elternformen tragen. Handelt es sich um lange zurückliegende Hybridisierungsereignisse, spricht man nicht mehr von Hybriden, auch wenn man die Spuren daraus noch mit modernen genomweiten Verfahren messen kann; so sind wir Europäer auch keine Hybriden, obwohl wir Spuren des Neandertalers in uns tragen.
Die Definition eines Wolfshybriden scheint nicht einfach. Doch spätestens die Behörden brauchen eine klare Abgrenzung. Wie sollen sie sonst entscheiden, ob die Haltung oder der Import legal ist oder nicht? International bildet die Grundlage für die Regelung zum Schutz und Handel von Wildtieren und -pflanzen das Washingtoner Artenschutzabkommen (CITES). Auf EU-Ebene werden die CITES-Vorgaben durch die Verordnung (EG) 338/9744 umgesetzt. In beiden ist der Wolf als potenziell gefährdete Art gelistet, das heißt, er ist geschützt und sein Lebensraum muss erhalten werden. Das gilt ausdrücklich auch für Hybriden bis zur vierten Generation. In der Verordnung Nr. 1497/2003 zur Änderung der Verordnung Nr. 338/97 aus dem Jahr 2003 steht Folgendes:
„Hybride Tiere, bei denen in den vier vorhergehenden Generationen in direkter Linie ein oder mehrere Exemplare einer Art der Anhänge A oder B vorkommen, fallen wie reine Arten unter die Verordnung, auch wenn die betreffende Hybridart nicht ausdrücklich in den Anhängen aufgeführt ist.“
Oft lässt sich schwer sagen, ob sich in einem Mischlingshund ein Stück Wolf verbirgt. Foto: iStock.com / Elena Zaretskaya
Im Gegensatz zur Definition der Senckenberg Gesellschaft versucht der Gesetzgeber klipp und klar auszudrücken, wo die Grenze liegt. So unterliegen Wolf-Hund-Mischlinge grundsätzlich bis zur vierten Filialgeneration dem gleichen Schutzstatus wie Wölfe.
Filialgeneration (F)
Das ist ein gängiger Begriff aus der Genetik, der auch beispielsweise für Erbsen oder Mäuse verwendet wird. Filialgeneration meint die Nachkommengeneration und wird mit dem Buchstaben F abgekürzt. Die erste Generation von Nachkommen aus einer Kreuzung wäre F1, die zweite F2, und so weiter.
Laut CITES- und EU-Verordnung sind Wolf-Hund-Mischlinge bis zur vierten Generation (F4) Wildtiere und ab der fünften Generation (F5) Hunde. Kinderleicht, oder? Leider nein. Die Natur lässt sich nicht so einfach in Schubladen stecken. Die Definition aus CITES und EU-Verordnung hinkt gewaltig.
Die gesetzliche Definition von Hybriden beruht auf einer theoretischen Annahme. Man geht von einem errechneten Wolfsanteil aus. Das heißt, man nimmt an, dass bei einer Kreuzung aus Wolf und Hund die erste Filialgeneration (F1) 50 Prozent Wolfsanteil besitzt. Würde man diese Tiere wieder mit einem Hund kreuzen, hätte die zweite Filialgeneration (F2) 25 Prozent Wolfsanteil, die dritte (F3) 12,5 und die vierte (F4) 6,25. Ab der fünften Generation wäre der Wolfsanteil mit rund drei Prozent so gut wie ausgewaschen. Diese Milchmädchen-Rechnung entspricht selten der Realität. Denn so einfach funktioniert Vererbung nicht. Bei jeder Verpaarung werden Gene bunt durcheinander gemischt und in unterschiedlichem Ausmaß an die Nachkommen weitergegeben. In ihrem Buch „Wolfhunde in Deutschland“, erschienen im Selbstverlag im Jahr 2019, erklärt Autorin Karolin Fuchs diesen komplizierten Mechanismus anhand eines anschaulichen Beispiels:
Vereinfachte Darstellung der Vererbung von Wolfsanteilen Grafik: alo
„Bei der Verpaarung geben beide Elternteile 50 Prozent ihres Erbguts in einen Topf. Der Vater schüttet blaue Bälle, die Mutter rote Bälle in den Topf (…). Jetzt greifst du hinein. Was holst du aus dem Topf? Sicher keine fünf roten und fünf blauen Bälle – das wäre theoretisch natürlich möglich. Praktisch ist es aber eher selten.“
Der Zufall bestimmt, wie viele Wolfsgene an die nächste Generation weitergegeben werden. Hierin liegt das erste Problem. Spätestens innerhalb eines F2-Wurfs erhält man eine bunte Mischung von Welpen, von denen manche mehr Wolf sind und andere mehr Hund. Weil das immer so weitergeht, kann es auch passieren, dass manche Welpen eines F4-Wurfs weitaus mehr Wolfsgene besitzen als die errechneten 6,25 Prozent und ihre Geschwister vielleicht viel weniger. Das zweite Problem liegt in der Annahme, dass die Nachkommen immer wieder mit Hunden verpaart werden. Wachsen Wolfshybriden in freier Natur unter Wölfen auf, verpaaren sie sich wieder mit Wölfen. Dann würden wohl die Hundegene allmählich verdünnt und die F2-Generation hätte einen Wolfsanteil deutlich über 25 Prozent. Beispielsweise stammt das schwarze Fell mancher nordamerikanischer Timberwölfe von Zufallsverpaarungen mit Haushunden. Und auch in Europa tragen viele Wölfe ein wenig Hunde-DNA in sich. Das zeigte eine wissenschaftliche Studie aus dem Jahr 20181. Hybridisierungen in freier Wildbahn sind kein neues Phänomen, sondern fanden über die Jahrhunderte immer wieder statt. Würde nun jemand beim Züchten die CITES-Konvention umgehen wollen, könnte er das genauso machen. Um hochprozentige Wolfhunde für die Privathaltung zu schaffen, würde Züchter oder Züchterin beispielsweise zwei F1-Mischlinge miteinander verpaaren. So kann in der F2-Generation wieder ein fast hundertprozentiger Wolf entstehen. Mit dieser Methode kann man in der fünften Generation (F5) ein sehr wolfsnahes Tier schaffen, das man offiziell als Hund halten und verkaufen darf. Dann tappen die Behörden im Dunkeln. „Da hilft nur ein DNA-Test“, möchte man glauben, aber auch der ist nicht der Weisheit letzter Schluss.
Ob sich in einem Hund ein Stückchen Wolf verbirgt oder andersherum, ist auch mit molekularbiologischen Methoden nicht immer festzustellen. Das liegt daran, dass die beiden sehr eng verwandt sind. Wie eng, darüber wird viel gestritten. Manche sagen, es sind 99,8 Prozent, andere meinen, es wären sogar 99,96. Demnach läge der genetische Unterschied bei 0,2 beziehungsweise 0,04 Prozent. Aufgrund dieser Zahlen könnte man argumentieren, dass der Wolf eigentlich nur so etwas wie eine andere Hunderasse ist. Aber so einfach ist das nicht. Der genetische Code der Lebewesen stellt die Wissenschaft bis heute vor große Rätsel. Kleine Unterschiede haben oft große Wirkung. Immerhin stimmen Mensch und Schimpanse in 98,7 Prozent ihres Erbguts überein. Nur, weil man die Buchstaben in einem Buch lesen kann, heißt das noch lange nicht, dass man den Inhalt versteht. Und so tasten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler immer noch Schritt für Schritt voran, um einzelne Teilbereiche genetischer Informationen zu entschlüsseln.
DNA / DNS
Das Molekül heißt auf Englisch desoxyribonucleic acid (DNA), auf Deutsch Desoxyribonukleinsäure (DNS). Da sich hierzulande der Begriff DNA eingebürgert hat, bleibe ich dabei. Man meint damit das Biopolymer, das in den Zellen eines jeden Lebewesens vorkommt und die Erbinformationen trägt.
Wenn man von Genomen spricht, meint man in der Regel diejenige DNA, die schön verpackt als Chromosomen im Zellkern liegt. Es gibt noch eine andere. Sie liegt außerhalb des Kerns in den Zellkraftwerken, den Mitochondrien, und wird deshalb mitochondriale DNA genannt, kurz mtDNA. Im Gegensatz zu den Chromosomen wird die mtDNA nur über die Eizelle der Mutter vererbt, nicht aber über die Spermien des Vaters. Allerdings verändert sie sich über die Generationen nur wenig und ist daher ein zuverlässiger Zeuge der Evolutionsgeschichte. Die mtDNA des Hundes war bereits in den 1990er Jahren bekannt.2 Denn sie ist mit etwa 16.700 Basenpaaren viel kleiner und damit leichter zu sequenzieren als die DNA im Zellkern. Letztere besteht beim Hund laut Website des Hundegenomprojekts aus etwa drei Milliarden Basenpaaren.
Englischsprachige Website zum Hundegenomprojekt des National Human Genome Research Institute (NHGRI) im US-Bundesstaat Maryland.
Im Hundegenom enthalten sind die Codes für um die 20.000 Gene, die für die verschiedensten Proteine kodieren. Diese werden für alle Schlüsselsysteme im Körper benötigt, wie etwa das Nervensystem oder das Verdauungssystem.
Darstellung der DNA im Zellkern. Nicht gezeigt ist die mtDNA. Grafik: iStock/ttsz
Die kodierenden Gene machen allerdings den kleinsten Teil des Genoms aus, nämlich nur ein bis zwei Prozent.3 Viel mehr Platz nehmen die Zwischenräume ein, die sogenannten nicht-kodierenden Bereiche. Sie sind weniger gut erforscht und können beispielsweise eine regulatorische Rolle spielen, Gene an- und abschalten oder die Menge des zu produzierenden Proteins bestimmen.
Die erste, umfassende Studie zum Hundegenom wurde geleitet von Eric Lander vom Broad Institute, einem biomedizinischen und genomischen Forschungszentrum in Cambridge, Massachusetts. Die Studie mit Hauptautorin Kerstin Lindblad-Toh erschien im Jahr 2005 in der renommierten Fachzeitschrift Nature.4 Das Team hatte das Genom der Boxerhündin Tasha sequenziert, das zweite Hundegenom überhaupt. Die Forschenden wählten im Boxergenom zwölf kodierende Bereiche aus mit insgesamt 8.080 Basenpaaren, und vier nicht-kodierende mit 3.029 Basenpaaren. Diese Bereiche waren besonders aussagekräftig, weil sie auch bei anderen Säugetieren vorhanden waren, aber dennoch Unterschiede aufwiesen. Genau diese Bereiche sequenzierten sie in 30 wilden Hundeartigen, vom Fuchs bis zum Afrikanischen Wildhund. Aus den Ähnlichkeiten berechneten sie die Verwandtschaftsgrade. Dadurch fanden sie heraus, dass der Hund mit dem Wolf am nächsten verwandt ist, dicht gefolgt von Kojote, Goldschakal und Äthiopischem Wolf, drei Arten, die in freier Wildbahn mit Hunden hybridisieren können. Bei Boxer und Wolf wird der Sequenzunterschied mit 0,04 Prozent für die kodierenden Bereiche angegeben und mit 0,21 Prozent für die nicht-kodierenden.
Das bedeutet: Wer sich über die prozentualen Unterschiede zwischen Hundeund Wolfs-DNA streiten möchte, der sollte wissen, dass beide Zahlen stimmen, je nachdem welche Bereiche im Genom man sich ansieht.
Aufgepasst! Man hat nicht das komplette Genom eines Hundes über das komplette Genom eines Wolfs gelegt und dann den Unterschied ausgerechnet. Das wäre nicht aussagekräftig, denn auch Wölfe untereinander unterscheiden sich genetisch, und erst recht sämtliche Hunderassen. DAS Wolfsgenom und DAS Hundegenom gibt es nicht!
Beim Berechnen von Verwandtschaftsbeziehungen sind manche Bereiche eines Genoms besser geeignet als andere. Um schnellstmöglich viele Vergleiche anstellen zu können, hilft man sich in der Wissenschaft mit genetischen Markern. Das sind bestimmte, leicht zu identifizierende Gene, DNA-Abschnitte oder einzelne Basenaustausche, deren Ort im Genom bekannt ist. Beispielsweise nutzten die Forschenden um Kerstin Lindblad-Toh und Eric Lander genetische Marker, um die DNA von Wolf und Boxer mit anderen Hunderassen zu vergleichen. Ihre Methode der Wahl waren einzelne Basenaustausche in der DNA, die über das ganze Genom verteilt sind, sogenannte Einzelnukleotid-Polymorphismen oder SNPs. Diese Basenaustausche werden vererbt und dienen daher als genetische Marker, um Verwandtschaftsbeziehungen zu analysieren.
SNP, sprich „Snip“
Das ist die Abkürzung der englischen Schreibweise single nucleotide polymorphism, zu Deutsch: Einzelnukleotid-Polymorphismus. Der genetische Code besteht aus vier Buchstaben, den Nukleotiden, auch Basen genannt: Adenin (A), Thymin (T), Guanin (G) und Cytosin (C). Eine DNA-Sequenz liest sich etwa GGAAACCTGGTATA. Wenn man von einem SNP spricht, meint man, dass sich zwei Individuen in einem dieser Buchstaben unterscheiden. Je mehr SNPs man beim Vergleich zweier Individuen findet, desto mehr unterscheiden sie sich genetisch.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erstellten für ihre berühmte Nature-Fachpublikation aus dem Jahr 2005 eine SNP-Karte des Hundegenoms mit mehr als 2,5 Millionen verschiedener Basenaustausche. Diese SNPs wurden mit neun anderen Hunderassen, vier Wölfen und einem Kojoten verglichen. Hier gilt: Je weniger SNPs, desto näher verwandt. Beim Vergleich des Boxers mit den anderen Hunderassen, etwa Labrador, Schäferhund oder Rottweiler, fand man die wenigsten Austausche. Der einzige Ausreißer war der Alaskan Malamute, der dem Wolf näher stand als die anderen Rassen. Was man sich hieraus mitnehmen kann ist, dass beim Vergleich von Wolf und Hund auch die Hunderasse eine Rolle spielt. Sogenannte „Hunde vom Urtyp“ sind in ihrer genetischen Ausstattung meist näher am Wolf. Dazu zählen Spitz, Chow-Chow oder eben Alaskan Malamute und Siberian Husky, beides Rassen, die zur Zucht des Tamaskans verwendet wurden.
SNP-Karten sind heute noch immer das Mittel der Wahl, wenn man wissen will, aus welchen Hunderassen ein Mischling besteht, oder ob sich in einem Hund ein Stückchen Wolf verbirgt. Welche SNPs hierzu verwendet werden, bestimmt jedes Labor selbst. Das US-amerikanische Unternehmen Embark für Hundegenomik und Biotechnologie mit Sitz in Boston im Bundesstaat Massachusetts ist der weltweit führende Anbieter von Hunde-DNA-Tests. Nach eigenen Angaben nutzt Embark einen SNP-Microarray mit mehr als 230.000 genetischen Markern (Stand 2023). Das kann man sich so vorstellen wie einen Computerchip, der viele Informationen auf kleinstem Raum enthält. Wenn man nun mittels Speichelprobe die DNA eines Hundes einreicht, wird analysiert, mit welchen
Die Embark-Profile von Chaska (Elara) und Ashana zeigen, dass Tamaskane genetisch noch sehr unterschiedlich sind. Grafik: alo, modifiziert nach Embark
Stellen auf dem Chip sie übereinstimmt. Durch einen Abgleich mit der hauseigenen Datenbank können Embark-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler über drei Generationen beziehungsweise bis zu fünf Prozent des genetischen Erbes von Hunden aufklären.
Erklärung zu Embarks Stammbaumanalyse auf der firmeneigenen Website (Stand 2023)
Drei Generationen! Danach wird es in der Regel schwierig. Da die meisten Labore mit eigenen Methoden und Datenbanken arbeiten, kann man als Außenstehender schwer einschätzen, was dahinter steckt, wenn jemand behauptet, er könne den Stammbaum eines Tieres mittels molekularbiologischer Methoden weiter als ein paar wenige Generationen zurückverfolgen. Ich wäre da skeptisch und würde nach einer detaillierten Erklärung fragen.
Auch wenn sie genetisch nah beieinander liegen, gibt es doch große Unterschiede zwischen Wolf und Hund. Wildtiere kann man zähmen, dann sind sie zwar zutraulich, aber immer noch Wildtiere. Um aus einem wilden Tier des Menschen besten Freund zu machen, braucht es einen langfristigen Veränderungsprozess, den man als Domestikation bezeichnet. Das bedeutet, dass der Mensch über viele Generationen immer wieder solche Tiere zur Zucht ausgewählt hat, die die gewünschten Eigenschaften besaßen. Wie lange das dauert, untersuchte der russische Genetiker Dmitrij Belyaev. Im Jahr 1959 startete er ein Experiment mit Silberfüchsen von einer Fellfarm. Er begann mit 30 männlichen und 100 weiblichen Tieren. Er kategorisierte ihr Verhalten in verschiedene Klassen, je nach Aggression und Ängstlichkeit in Bezug auf den Menschen. Nur mit den freundlichsten Tieren züchtete er weiter. Bereits nach etwa zehn Generationen waren einige der Füchse so zahm, dass man sie als Haustiere halten konnte. Das kontaktfreudige Verhalten war Änderungen im Hormonhaushalt geschuldet. In der 15. Generation waren die Stresshormonspiegel der zahmen Tiere nur etwa halb so hoch wie die von Wildfüchsen. Die Nebenniere, der Ort, an dem Adrenalin produziert wird, war kleiner geworden. Der Serotoninspiegel stieg an, was einen ähnlichen Effekt hat wie beim Menschen, und zu „glücklichen“ und nervenstarken Tieren führte.5
Obwohl die Füchse nur nach Zahmheit ausgewählt wurden, kam es nebenbei auch zu körperlichen Veränderungen. Manche der Nachkommen hatten hängende Ohren, eingerollte Ruten oder einen weißen Fleck auf der Brust. Dieses Phänomen ist als Domestizierungssyndrom bekannt, weil es auch bei anderen Tierarten auftritt, etwa bei Kaninchen