Mein Mann ist die bessere Mutter - Anna Clauß - E-Book

Mein Mann ist die bessere Mutter E-Book

Anna Clauß

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Beschreibung

Ein schonungslos ehrlicher wie humorvoller Blick auf die schier unmögliche Aufgabe, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen

Seit Jahren spricht SPIEGEL-Redakteurin Anna Clauß mit ihren Beiträgen in der Elternkolumne »Menschenskinder« vielen Leser*innen aus der Seele, in denen sie offen und ehrlich, aber nie ohne Humor über das tägliche Vereinbarungschaos zwischen Kind und Karriere schreibt. Oder darüber, dass es keineswegs ein Naturgesetz ist, dass Mütter in Erziehung und Haushalt versierter sind und die Bindung der Kinder an sie enger ist als an die Väter. Warum diese durchaus genauso gute Mütter sein können und man als Frau keine Schuldgefühle haben muss, als Mutter zu versagen, nur weil man Vollzeit arbeitet und sich die Kinderbetreuung mit dem Vater teilt, zeigt sie auch in ihrem neuen Buch. Ihre Geschichten über einen Alltag mit Doppelbelastung, Zeitdruck, Selbstzweifeln und Kompromisslösungen sind aus dem Leben gegriffen, voller Witz, manchmal selbstironisch und immer von der entlastenden Erkenntnis getragen, dass sich andere – Mütter wie Väter – genauso schwertun bei der Bewältigung des »Doppellebens«. Dass es nicht für alle Vereinbarungsprobleme eine Lösung gibt. Und dass man sich als Frau auch eingestehen darf: Mein Mann ist die bessere Mutter.

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Seitenzahl: 232

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Zur Autorin:

Anna Clauß ist Politikredakteurin, Söder-Biographin, Ressortleiterin beim SPIEGEL – und im Nebenjob Ehefrau und Mutter eines neunjährigen Sohnes. Als Journalistin berichtet sie über die CSU, Familienpolitik und Feminismus und verfasst außerdem regelmäßig die »Lage am Abend«, Kommentare und Kolumnentexte, unter anderem für »Menschenskinder«, die Elternkolumne auf SPIEGEL.de. Ihre Geschichten aus dem Alltag mit Doppelbelastung finden stets große Resonanz bei Müttern wie Vätern.

Zum Buch

Anna Clauß arbeitet Vollzeit als Politikredakteurin – und ist im Nebenjob Ehefrau und Mutter eines neunjährigen Sohnes. Ihre Geschichten über das tägliche Vereinbarungschaos und die ständigen Selbstzweifel, als Mutter zu versagen, sind aus dem Leben gegriffen, selbstironisch und immer von der entlastenden Erkenntnis getragen, dass sich andere Eltern genauso schwertun bei der Bewältigung ihres Lebens zwischen Kind und Karriere. Und man sich als Frau ruhig eingestehen darf: Mein Mann ist die bessere Mutter.

Anna Clauß

Mein

Mann

ist die

bessere

Mutter

Wie ich Wunschfamilie und Traumberuf vereinbare – oder es mir zumindest einrede

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © 2024 by Penguin Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

und SPIEGEL-Verlag Rudolf Augstein GmbH, Hamburg,

Ericusspitze 1, 20457 Hamburg

Umschlaggestaltung: Favoritbuero, München

Umschlagabbildung: © Carlos E. Serrano / GettyImages

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-32409-4V001

www.penguin-verlag.de

»Laufen auf Luft, machen Fortschritt in Turnschuhen, durch Siege der Nike sneaken wir durch die Antike.«

Kampf der Titanen, »Die Firma«

Inhalt

Einblick

Karriere mit Kind

Bin ich eine Egomutter?

Warum sich Männer nicht als Rabenväter fühlen

Hauptsache, es kracht!

Multiple Krisen

Die Sache mit dem Gottvertrauen

Verrat am Feminismus

Warum habe ich meinen Nachnamen aufgegeben?

Emanzipation auf Kosten der Putzfee?

Der Prinzessinnen-Junge

Frau am Steuer

Ein unerfüllter Wunsch

Lob des Einzelkindes

Haushaltskrisen

Die Wahrheit übers Schlachten

In seiner Schuld

Die 50:50 Methode

Schafft den Muttertag ab!

Frühe Trennung

Der hohe Preis der Gratis-Kita

Wäre unser Sohn zuhause besser aufgehoben?

Smells like »Oh Tannenbaum«

Ein Baby namens Olaf

Freizeitstress

Erziehungsfehler

Mensch ärgere dich nicht

Späte Entschuldigung

Die deutsche Liebe zur roten Ampel

Hat mein Beschützerinstinkt versagt?

Sorgen einer Jungsmutter

Zu den Waffen!

Klassengesellschaft

Wie wir Grundschülern versehentlich das Mobben beibrachten

Was, wenn das Kind in der Schule scheitert?

Opfer der Frauenquote

Lies! Das! Jetzt!

Von Harry Potter zu Hitler

Freiräume

Im Hobbykeller

Wenn Sie mehr verdient als Er

Blick ins alte Tagebuch

Wäre ich in Teilzeit glücklicher?

Von den Vorteilen der Großfamilie

Sprung ins kalte Wasser

Ausblick

Dank

Einblick

Manchmal wäre ich gerne Vater. Ein Mensch, der Kinder kriegen kann, ohne sie selbst zur Welt bringen zu müssen. Ein Arbeitnehmer, der Sorgearbeit mit Karrieremachen vereinbaren kann, aber nicht muss. Ein Mann, der sich nicht ständig fragt: Bin ich ein guter Vater?

Väter, so scheint es mir häufig, haben weniger Selbstzweifel. Müttern hingegen wird das schlechte Gewissen bei der Geburt des ersten Kindes kostenlos mitgeliefert. Stillen oder nicht stillen? Schreien oder schreien lassen? Noch ein Baby oder nie wieder Wehen? Runter auf Teilzeit oder zurück in Vollzeit? Egal, wie man sich entscheidet. Das schlechte Gewissen hätte die andere Möglichkeit besser gefunden.

Nirgends ist man als Mutter vor hinterhältigen Attacken des Unterbewusstseins sicher. Nicht mal auf dem Badewannenrand, wo ich frühmorgens manchmal länger sitze, um meine Mails zu lesen, obwohl ich eigentlich in der Küche stehen sollte, um die Brotzeitbox für unseren Sohn zu füllen. Das schlechte Gewissen holt mich gerne auch an der Supermarktkasse ein, wo ich beim Blick auf die Müsliriegelpackung auf dem Kassenband, dessen Inhalt in die Pausenbrotdose wandern wird, häufig denke: Warum backe ich Müsliriegel nicht selbst? Nach dem Rezept meiner Mutter. Mit dem Honig glücklicher Bienen, von Natur aus süßen Rosinen und gesunden Haferflocken, so wie ich es aus meiner eigenen Kindheit im schwäbischen Grünenmekka Tübingen kenne.

Ende der Achtzigerjahre war ich neun, so alt wie unser Sohn heute. Meine Mutter war Anfang vierzig, so alt wie ich Ende 2024. Anders als ich aber war sie eine Frau mit viel Zeit für ihre Kinder. Sie unterbrach ihre Berufstätigkeit als Lehrerin für Sport und Biologie mehrere Jahre lang. Unter anderem, um für meine jüngere Schwester und mich Müsliriegel zu backen.

Ich hingegen kaufe industriell gefertigte Haferkraft. Selbstverständlich nur in den Varianten »zuckerfrei«, »light« oder »free«. Sonst meldet sich schon wieder das schlechte Gewissen.

Meine Entscheidung fiel anders aus als die meiner Mutter. Ich kehrte nach der Geburt unseres Jungen 2015 schnell in den Journalismus zurück. Die Emanzipation und der Ausbau externer Betreuungsinfrastruktur sind in den letzten Jahrzehnten rasant vorangeschritten. Anders als zur Zeit, in der meine Mutter Kinder bekam, gibt es heute viel mehr Kitas und sorgende Männer. So wie den, dem ich vor knapp fünfzehn Jahren einen Heiratsantrag gemacht habe. Weil er Empathie und Humor besitzt, lieber schwäbische Dokumentarfilme über Staubsaugervertreter guckt statt Fußball – und Spätzle nach Art seiner Oma selber schabt.

Ein Mann, mit dem man über Brotnamen wie »Pfistersonne« Tränen lachen und die Mitte jeder Tanzfläche erobern kann. Einer, der sich aber nie in den Vordergrund drängt, obwohl er diese wunderbar tiefe Stimme hat, mit der selbst sein schwäbischer Akzent elegant klingt. Vor ziemlich exakt zwanzig Jahren saßen wir gemeinsam in einem Seminar über »Die Musikgeschichte des Free Jazz«. Vermutlich aus Schallschutzgründen fand die Veranstaltung in einem Kellerraum der Uni Passau statt. Der Sound der besprochenen Musikstücke, die so klangen, als würde jemand ein Schlagzeug auseinandernehmen und die Einzelteile gegen die Wand werfen, während ein Saxophonspieler Vulkanausbrüche nachahmt, war schauerlich.

Der Professor in seinem cremeweißen Dandy-Anzug galt als verrückt, aber auch als kreativ und locker bei der Benotung von Hausarbeiten. Wir studierten beide semi-ambitioniert Kulturwirtschaft, mochten Klassik und Hip-Hop – und gute Geschichten. Ich schreibe und lese sie gerne, mein Mann spricht und hört sie am liebsten. Ich trat damals auf Poetry-Slams auf, er produzierte die »Wahnzeit«, einen der ersten Podcasts in Deutschland. Die größten Hits der »Firma«, einer Heidelberger Rap-Combo, müsse er mir unbedingt mal vorspielen, hatte er mir bei einem unserer Gespräche vor Seminarbeginn versprochen. Die Musikgeschichtsstunden aber vergingen in Zeitlupe, ohne dass er mir danach Privatunterricht anbot. Als ich ihn kurz vor Semesterende auf der Tanzfläche einer Party entdeckte, sagte ich zu meiner Freundin: »Ich gehe jetzt rüber zu meinem zukünftigen Ehemann und lade mich selber ein.« Der Plan ging ganz gut auf.

Meinem Mann und mir war in den bald zwei Jahrzehnten unserer gemeinsamen Beziehung immer klar, dass kreativ Arbeiten und damit Geldverdienen genauso glücklich macht wie Familie und Kindererziehung – auch wenn es bedeutet, dass der Alltag ziemlich viel Free Jazz beinhaltet. Nicht ganz so klar war uns, dass sich Rollenbilder langsamer wandeln als die Realität.

Obwohl es wissenschaftlich nicht erst seit gestern erwiesen ist, dass Mütter – sieht man mal vom Stillen ab – nicht von Natur aus prädestinierter fürs Sorgen und Erziehen des Nachwuchses sind als Väter, hält sich diese Vorstellung hartnäckig in vielen Köpfen. Auch in meinem. Sonst würde ich mich nicht ständig fragen: Bin ich eine gute Mutter?

Die Frage begleitet mich, seitdem ich an einem kalten Februartag vor rund zehn Jahren unseren ersten und einzigen Sohn in München zur Welt brachte. Acht Monate später ging ich wieder arbeiten. Die ersten zwei Monate nach der Geburt nahmen wir gemeinsam Elternzeit, dann blieb zuerst ich ein halbes Jahr, dann mein Mann die restlichen Elternzeitmonate allein mit Baby zuhause. Als unser Junge etwas älter war als ein Jahr, gaben wir ihn zunächst zu einer Tagesmutter, damit jeder von uns vier Tage die Woche arbeiten konnte. Montags blieb mein Mann mit dem Kleinen im Homeoffice, was damals noch nicht so hieß. Er konnte sich die Arbeit in einer App-Agentur frei einteilen. Freitags übernahm ich die Babybetreuung und den Haushalt.

Damals war ich politische Korrespondentin im Bayern-Büro des SPIEGEL, heute leite ich das Ressort »Meinung und Debatte«. Zum Ende meiner Elternzeit hatte Donald Trump gerade überraschend die US-Wahl gewonnen, Angela Merkel hatte mit Blick auf die immer größer werdenden Flüchtlingsbewegungen nach Deutschland ein »Wir schaffen das« ausgelobt, Markus Söder befand sich im Wettstreit mit Ilse Aigner um die Nachfolge von Horst Seehofer als Ministerpräsident in Bayern. Kurzum: Es gab viel zu berichten. Das Modell der gemeinsamen Viertagewoche hielten wir rund ein halbes Jahr durch. Dann stockte ich auf Vollzeit auf.

Mein Job im Nachrichtengewerbe erfordert eine Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit und permanente Flexibilität. Ich hatte das Gefühl, immer zu arbeiten, aber nur 80 Prozent davon bezahlt zu bekommen. Mir erschien es betriebswirtschaftlich klüger, das volle Gehalt zu kassieren, während ich versuchte, die Freitage möglichst frei von Terminen zu halten und nur so viel zu arbeiten wie nötig. Ein Plan, der mittelgut funktionierte. Denn Naturkatastrophen, Kriege und plötzliche Rücktritte von Politikern passieren sehr gerne auch freitags. Außerdem muss man irgendwann diese verdammten Mails öffnen, deren Beantwortung man von Montag bis Donnerstag auf Freitag verschoben hat.

Die ersten Schritte unseres Jungen erlebte mein Mann live im Wohnzimmer, während ich im Büro saß. Sein stolzes Lauflern-Lächeln schenkte unser Junge seinem Vater statt mir. Mein Mann übernahm auch die Eingewöhnung in der Kita und später ein Amt im Elternbeirat. Als unser Junge zwei Jahre alt war, brachten wir ihn jeden Morgen in die Marienkäfergruppe und holten ihn am Nachmittag wieder ab.

Manchmal habe ich meinen Mann beneidet in dieser Zeit. Er war der gute Vater, der es neben seinem Vollzeitjob schaffte, viel Zeit mit seinem Kind zu verbringen. Vielleicht, weil seine Termine planbarer waren als meine. Weil er nicht, so wie ich, mit einem halbfertigen Text nach Hause kam, der in den Abendstunden irgendwie noch ganz fertig werden musste. Vielleicht hatte er auch gar nicht mehr Zeit als ich, sondern es kam mir nur so vor. Wir haben nicht mit der Stoppuhr nachgemessen, wer mehr Minuten ins Laufradlernen, Legobauen oder Vorlesen investiert. Wir haben auch nicht Buch darüber geführt, wer häufiger noch schnell Einkäufe erledigt hat auf dem Weg vom Büro nach Hause.

Ich aber fühlte mich häufig als schlechte Mutter, wenn ich unseren Jungen als Letzte aus dem Kindergarten abholte. Einmal war ich in Gedanken vermutlich noch bei der Arbeit, als ich in die falsche S-Bahn stieg und den Fehler zu spät bemerkte. Ich nahm mir dann ein Taxi quer durch die Stadt zur Kita, verlor im Feierabendverkehr noch mehr wertvolle Zeit und war erst dort, als die Kita eigentlich längst geschlossen hatte. Der vorwurfsvolle Blick der Erzieherin erscheint mir heute noch in Albträumen.

Unser Junge hat mein Scheitern an diesem Tag ohne erkennbares Trauma überstanden. Er besucht inzwischen die dritte Klasse einer Münchner Grundschule, kommt gut klar – außer beim Lesen und Schreiben. Die Dinge, mit denen ich mich so viel und so gerne beschäftige, scheinen ihm eine besonders große Last zu sein. Vielleicht eine Art Abwehrreaktion auf meine Berufstätigkeit? Fördere ich ihn etwa nicht genug? Hätte ich weniger Zeit in dieses Buch investieren sollen und mehr in die Hausaufgabenbetreuung? Da sind sie wieder, meine Selbstzweifel.

Natürlich haben auch Väter welche. Nachdenkliche Männer gibt es auf dieser Welt zum Glück sehr viele. Wenn man aber die Titel in den Buchhandlungen studiert oder die täglichen Kommentare in den Zeitungen liest, fällt auf, dass sich Männer viele kluge Gedanken rund um Krieg, Frieden, Klima und Krise, Liebe und Leidenschaft machen, aber Vaterschaft kein besonders kontroverses Thema zu sein scheint.

Umgekehrt verhält es sich mit der Mutterschaft. Zur Frage, was eine gute Mutter ausmacht, gibt es eine große Auswahl an vorwiegend von Frauen verfassten Romanen, Sachbüchern oder Leitartikeln. Deren Fazit auf mich meist deprimierend wirkt: Gute Mütter sind offenbar zum Scheitern verdammt. Wer versucht, einem Ideal zu entsprechen, das vom Nationalsozialismus geformt, vom westdeutschen Nachkriegspatriarchat vergoldet und vom neuzeitlichen Feminismus bunt lackiert und auf den Kopf gestellt wurde, macht in der Regel keine gute Figur.

Wer, so wie ich, Vollzeit arbeitet, hat ständig das Gefühl, seine Familie zu vernachlässigen. Wer gar nicht arbeitet, steht auch unter Rechtfertigungsdruck. Es ist inzwischen normal geworden, dass beide Eltern berufstätig sind. Zumal in einer Stadt wie München, wo eine Brezel mehr als einen Euro und eine Kugel Eis inzwischen rund zwei Euro kostet. Zu den Zweifeln, die vermutlich jede Mutter kennt, gesellt sich nicht selten Verzweiflung. Bei mir macht sie sich in Momenten breit, in denen unser Sohn traurig ist: »Mama, du bist nie da«, sagte er neulich kurz vor dem Einschlafen. Ich wollte ihm eine gute Nacht wünschen, bevor ich losmusste zu einem Stammtisch mit befreundeten Journalisten.

Ja, ich habe beruflich viele Abendtermine, und ich reise hin und wieder nach Berlin oder Hamburg, weil der SPIEGEL dort große Büros unterhält. Dass ich »nie da« bin, ist natürlich trotzdem eine maßlose Übertreibung. Die mich aber trifft. Denn es stimmt, dass ich mit meinem Kopf häufig woanders bin. Wenn ich in die falsche S-Bahn steige genauso, wie wenn ich beim gemeinsamen Abendbrot nicht richtig zuhöre, weil ich in Gedanken noch eine Nachricht des Tages verdauen muss. Als Ressortleiterin eines Nachrichtenmagazins fällt es mir manchmal schwer, abzuschalten. Vorgeschriebene Ruhezeiten, einen festen Feierabend oder Dienstplan gibt es nicht.

Trotzdem ist es mein Traumjob, den Mächtigen auf die Finger schauen zu können, bestehende Ungerechtigkeiten aufzudecken, die Meinungsfreiheit zu verteidigen, Markus Söder daran zu erinnern, dass Bayern nicht sein Königreich ist. Ich liebe den Journalismus so sehr wie mein Dasein als Mutter. Beide Lebensaufgaben haben viel mit Nachfragen, Zurückblicken und Anzweifeln zu tun. »Oder ist es umgekehrt?«, lautete der Spruch auf einer Postkarte, die jahrelang an meiner Büropinnwand hing. Als sie eines Tages plötzlich weg war, fühlte es sich an, als hätte ich mein Herz verloren.

Als ich beim SPIEGEL begann, persönliche Kolumnen zu schreiben und nicht mehr nur politische Reportagen, Portraits und sachliche Nachrichtentexte, tat ich das mit kritischen Fragen an mich selbst. Kann ich das? Wen interessiert das? Bin ich nicht eher ein Negativbeispiel, wenn es um die Vereinbarkeit von Kind und Karriere geht? Lachen mich meine Kolleginnen und Kollegen auf den Bürofluren womöglich aus, wenn sie in meinen Kolumnen Details aus meinem Privatleben lesen?

Und ja, es ist gewöhnungsbedürftig, wenn man auf CSU-Parteitagen, die ich als Bayern-Korrespondentin des SPIEGEL und Söder-Biographin häufig besuche, von Parteimitgliedern auf meinen Sohn oder meinen Mann angesprochen werde statt auf das, sagen wir, neue christsoziale Grundsatzprogramm.

Als Journalistin ist man in Hintergrundrunden im Bayerischen Landtag oder auf Parteitagen häufig in der Minderheit. Um in Männerrunden ernst genommen zu werden, helfen Kolumnentexte, die den offenen Umgang mit Zweifeln aller Art pflegen, eher nicht.

Andererseits finde ich: Auch das Private ist häufig sehr politisch. Und Familienthemen gehören ernst genommen. Sie verdienen Aufmerksamkeit, auch in politischen Debatten. Es schließt sich daher nicht aus, hoffe ich, persönliche Texte über vermeintlich weiche Themen wie Kindererziehung oder mütterliche Selbstzweifel zu verfassen und gleichzeitig – ohne persönliche Betroffenheit – Kommentare und Analysen zur Tagespolitik zu veröffentlichen.

Für praktische Erziehungstipps oder Beziehungsratschläge bin ich allerdings die Falsche. Ich habe in meinem journalistischen Leben weit über tausend verschiedene Texte zu allen möglichen Themen verfasst und mit ähnlich vielen Menschen lange Interviews oder spontane Gespräche zwischen Tür und Angel geführt. Vegane Motivationstrainerinnen, feministische Heilpraktiker, humorvolle Juristen waren genauso darunter wie die Putzfrau meiner Eltern (es ging um die Bekämpfung von Schwarzarbeit in der Reinigungsbranche) und eine 82-jährige Altenheimbewohnerin (es ging um eine SPIEGEL-Titelgeschichte zum Thema »Angstfrei Sterben«). Trotzdem bin ich nirgends einer Glücksformel begegnet, mit der das Doppelleben zwischen Traumjob und Wunschfamilie garantiert gelingt.

Apropos Wunschfamilie: Auch dafür gilt, dass man im Leben nicht alles haben kann. Ich habe zum Beispiel nur ein Kind, obwohl ich immer drei wollte. Ich habe nach der Geburt meines Sohnes den Mädchennamen aufgegeben, obwohl ich als emanzipierte Frau bei der Hochzeit ein paar Jahre vorher noch auf die Fortführung des eigenen Familiennamens beharrt hatte. Und fast jede Woche stelle ich mir die Frage, ob ich nicht in Teilzeit glücklicher wäre?

Was manchmal hilft: Den Gedanken zuzulassen, dass meine Performance als Mutter nicht perfekt sein muss. Dass man Mutterschaft sogar manchmal bereuen darf. Natürlich liebe ich meinen Sohn, und ich bin wahnsinnig dankbar dafür, Mutter sein zu dürfen. Aber warum muss ich in dieser Disziplin ständig gut sein? Besser als andere womöglich? Darf ich nicht auch mal versagen? Oder meinen Mann Frühstück für die Familie machen lassen, während ich am Badewannenrand Mails beantworte? Was, wenn er die bessere Mutter ist?

Als der Kinderarzt bei einer Vorsorgeuntersuchung unseren damals dreijährigen Sohn bat, den Schachtelsatz »Der Kuchen, den die Mama gebacken hat, schmeckt gut«, nachzusprechen, um seine Konzentrationsfähigkeit zu testen, sagte das Kind: »Papa backt Marmorkuchen.« Alle lachten.

Das Rollenbild, das mein Mann häufig besser verkörpert als ich, ist das der patenten Sorgeperson, die der Familie die heile Welt herbeikocht, alles sauber hält und bei der kleinsten Schramme am Knie des Kindes schon halb auf dem Weg ins Krankenhaus ist. Dieses vermeintlich typisch mütterliche Ideal scheint vor allem in Westdeutschland trotz aller emanzipatorischen Erfolge wie einer (ostdeutschen) Ex-Bundeskanzlerin gesellschaftlich tief verankert. Eine Frau ist eine Person, deren Lebensglück das Umsorgen von Kindern ist. Eine Mutter ist eine Frau, die die Familie zusammenhält. So oder so ähnlich lautet der Subtext, der in so vielen Köpfen immer noch existiert. Und zwar nicht nur in den männlichen.

Klar sind viele Mütter fest verankert in ihren Familien. Die unendliche Liebe für meinen Sohn hält Frauen wie mich aber nicht davon ab, eine berufliche Karriere verfolgen zu wollen. Selbst wenn ich hin und wieder voller Stolz Bilder von selbst gebastelten Adventskalendern oder selbst hergestellten Marmorkuchen auf Instagram poste, heißt das nicht, dass mein Brotjob mir nicht genauso wichtig wäre.

Ich glaube, so geht es vielen Müttern – und Vätern. Und trotzdem sind es in Deutschland meist die Frauen, die ihre Arbeitszeit reduzieren, sobald sich die Familiengründung als artistischer Balanceakt entpuppt hat, gegen den ein Free-Jazz-Solo auf dem Schlagzeug ein Kinderspiel ist.

Und die Väter? Die gleichberechtigte Aufteilung von Familienarbeit macht das Leben vielleicht nicht leichter für den Einzelnen, aber dafür die Welt etwas besser und gerechter für alle. Würden Frauen weniger häufig den Badmülleimer leeren und die Wäscheberge der Familie bügeln, hätten sie möglicherweise mehr Zeit für Karriere oder politisches Engagement. Würden viel mehr Männer Teilzeit arbeiten und ihren Frauen den Rücken freihalten, wäre die Frauenquote im Bayerischen Landtag mit rund 25 Prozent womöglich nicht so mickrig. Auch in der Wirtschaft sieht es düster aus. Laut einer Studie der gemeinnützigen AllBright-Stiftung liegt der Anteil weiblicher Führungskräfte in den hundert umsatzstärksten Familienfirmen bei nur 12,6 Prozent. Ich würde mir wünschen, dass mehr Frauen Macht, Einfluss und Geld hätten. Um die Welt außerhalb der eigenen vier Wände gestalten zu können. Keine Ahnung, ob wir dann weniger Krisen und Kriege hätten. Wie bei allem im Leben weiß man es erst, wenn man es ausprobiert hat.

Solange es Männer sind, die Läden und Länder leiten, die Frauen mühsam am Laufen halten, wird sich an vielen Zuständen wenig ändern. Ich freue mich über jeden und jede, der oder die dieses Buch liest und sich hinterfragt, ob er oder sie im Leben die richtigen Prioritäten gesetzt hat?

Es sind ja nicht nur Frauen und Mütter, die sich von Selbstzweifeln, zu hohen Erwartungen und Rollenzuschreibungen nicht länger beschränken lassen sollten. So viele Männer geben in Befragungen wie dem Väterreport der Bundesregierung an, sie würden gerne mehr Zeit mit der Familie verbringen. Warum aber klingt es dann in ihren Ohren häufig wie eine Art Degradierung, wenn man sie lobend mit mütterlichen Attributen versieht? Als ich meinen Mann um Erlaubnis bat, das Buch »Mein Mann ist die bessere Mutter« zu nennen, stimmte er nur unter einer Bedingung zu: »Du musst dazusagen, dass ich erfolgreicher Geschäftsführer einer App-Agentur bin!« Die Vorstellung, nur als treusorgender Hausmann rüberzukommen, der gesund und gut kochen kann, am liebsten alles selber putzen will und viel Zeit an Sandkastenrändern verbringt, fand er schrecklich. Eigentlich schade.

Denn wenn es etwas gibt, das mir trotz permanentem Zeitdruck, trotz schlechtem Gewissen und trotz manchmal nur halbguter Kompromisslösungen hilft, Ruhe zu bewahren, dann ist es die Sicherheit, zu wissen: Im Zweifel ist mein Mann die bessere Mutter.

Karriere mit Kind

Bin ich eine Egomutter?

Im Sommer vor fünf Jahren erzählte ich auf einer Gartenparty einer netten Unbekannten mir gegenüber von meinen Plänen für die nahe Zukunft: Flug nach Denver, Praktikum bei einer Zeitungsredaktion, fünf Wochen große Freiheit in Amerika. Die Small-Talk-Partnerin staunte. Ob Mann und Sohn eine so lange Zeit allein zuhause klarkämen? Ihr Mann scheitere bereits an Kleinigkeiten wie der täglichen Suche nach dem Sonnenhut fürs Kitakind, scherzte sie. Ich hätte offenbar ein »gesundes Gottvertrauen«. Total bewundernswert, was »du als Egomutter« da vorhast, sagte sie. Wir lachten.

Erst mit dem Kater am nächsten Morgen fiel mir das vergiftete Lob auf. Die »Rabenmutter« mag glücklicherweise ausgestorben sein. Im öffentlichen Diskurs der letzten Jahre habe ich das Wort jedenfalls weder wahrgenommen noch vermisst. Der Vorwurf an Mütter aber, das Schicksal der Familie für persönliche Ambitionen oder den Wunsch nach Abenteuer aufs Spiel zu setzen, ist offenbar quicklebendig. Sagt man statt »Rabenmutter« neuerdings »Egomutter«? Und warum ist es »total bewundernswert«, aber nicht selbstverständlich, dass Mütter eigene Pläne schmieden, statt sich dem Rhythmus und den Zwängen des Familienkalenders unterzuordnen?

Mir ist im Freundes- und Bekanntenkreis kein Mann bekannt, der seiner Frau nach der Geburt eines oder mehrerer gemeinsamer Kinder vorgeschrieben hat, doch bitte weniger zu arbeiten, Hobbys und berufliche Herausforderungen wie einen mehrwöchigen Auslandsaufenthalt hintenanzustellen und sich nur noch einmal im Monat abends mit Freundinnen zu treffen. Häufig scheinen Mütter diese Entscheidungen selbst so zu treffen, wie gelenkt von einer inneren Stimme, die ihnen sanft einflüstert, ab sofort müssten sie ihren Lebensschwerpunkt auf den Nachwuchs ausrichten.

Mutterliebe. Das Wort ist schön, aber auch tückisch. In einer Broschüre des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung über Familienleitbilder in Deutschland heißt es, dass hierzulande zwei miteinander konkurrierende Prinzipien zu erkennen seien: die »verantwortete Elternschaft«, in der Haus- und Familienarbeit möglichst gleich verteilt werden. Besonders verbreitet in den alten Bundesländern aber sei der »Mythos Mutterliebe«. Das Konzept der Mutterliebe beinhalte, »dass eine leibliche Mutter quasi per Geburt stärker mit ihrem Kind verbunden ist, größere Fürsorglichkeit besitzt als der Vater und intuitiv daher auch besser weiß, was es braucht«. Daraus abgeleitet werde eine Art natürliche Notwendigkeit, dass Mütter ihre Bedürfnisse stärker als Väter denen des Kindeswohls unterordnen müssen.

Von meiner eigenen westdeutsch sozialisierten Müsliriegel-Mutter kenne ich den Satz: »Ich opfere mich.« Sie sagte das zwar häufig scherzhaft, zum Beispiel, wenn sie das letzte Stück Schokolade aus der Packung nahm, aber es steckte natürlich ein wahrer Kern darin. Eigentlich wäre sie gerne Naturwissenschaftsprofessorin an einer Universität oder Forscherin im Urwald geworden – man riet ihr aber nach dem Abitur, dass Lehramt das familienfreundlichere Umfeld für eine Frau mit ihren Interessen sei. Also wurde sie Biologielehrerin.

Mit der Natur oder der Biologie des Menschen wird häufig argumentiert, wenn es darum geht, dass Frauen besonders prädestiniert für Sorgearbeit seien. Ich glaube nicht daran, dass es eine unsichtbare Nabelschnur zwischen Mutter und Kind gibt. Es ist eher ein Absperrband, das Mütter freiwillig um sich herum aufbauen. Dass der Mann meiner Gartenparty-Bekanntschaft angeblich nicht weiß, wo der Sonnenhut der Tochter zu finden ist, hat womöglich auch damit zu tun, dass die Mutter das Anziehen der Kinder als ihr Territorium betrachtet.

Ich bin so gerne Journalistin, wie ich Mutter bin. Macht mich das zur Egomutter? Elternschaft mag der Sinn des Daseins auf dieser Welt sein. Mein Beruf allerdings füllt mich genauso aus wie ein Baby in der 39. Schwangerschaftswoche. Ich flog folglich ohne schlechtes Gewissen nach Amerika, um an einem deutsch-amerikanischen Stipendienprogramm teilzunehmen. Fünf Wochen und mehrere Zeitzonen entfernt von München sollte und wollte ich ohne Mann und Sohn bei der »Denver Post« in Colorado arbeiten.

Unser Sohn war damals gerade vier Jahre alt geworden. Bis zu diesem Moment hatten mein Mann und ich uns alle Aufgaben im Haus und im Familienkalender gerecht geteilt. Nun war er mehrere Wochen hintereinander allein verantwortlich fürs Sorgen und Kümmern.

»Schafft Ihr Mann das?« Diese Frage habe ich in der Zeit vor meinem Abflug nach Denver nicht nur von der Kindersonnenhut-Frau gehört. Sondern meist von Männern, die mich siezen, also einer Generation angehören, in der die Fähigkeit, Spiegeleier zu braten, zum Überleben ausreicht. Um den ganzen Rest kümmern sich offenbar ihre Frauen, die Mütter. Noch bevor ich einen Tag in Amerika verbracht hatte, fand ich ein längst für überkommen gehaltenes westdeutsches Klischee bestätigt: Der Vater gilt offenbar als ersetzbar, die Mutter nicht. Dass Frauen Kanzler, Soldat und Dax-Vorstand können, wundert inzwischen kaum jemanden mehr. Aber soll ein Mann den Sohn fünf Wochen nonstop bekochen, in den Kindergarten bringen und in den Schlaf singen, endet die Vorstellungskraft vieler.

Meinem Mann gegenüber hatte ich vollstes Vertrauen. Aber wie würde unser Sohn wochenlang ohne seine Mutter klarkommen? Da war ich mir unsicher. Die Verabschiedung am Flughafen fiel mir deutlich schwerer als ihm. Er war es damals schon gewohnt, dass ich immer mal wieder für ein paar Tage wegen eines Kurztrips nach Berlin oder Hamburg von der Bildfläche verschwand. Für ihn war der Moment des Abschieds nichts Besonderes. Als Erwachsener weiß man aber besser als Vierjährige, dass fünf Wochen deutlich länger als die durchschnittliche Dauer einer Dienstreise sind. Ich kämpfte mit den Tränen.

»Ich bin immer dein Freund«, versuchte unser Sohn mich zu trösten. Worte, die die beabsichtigte Wirkung völlig verfehlten: Hemmungslos heulend hievte ich wenige Minuten später mein Handgepäck aufs Rollband. »Hören Sie auf!«, wies mich die Sicherheitsbeamtin zurecht. Sie müsse sonst mit weinen.

Mein Freund, das Kind, und mein Ehemann kamen natürlich bestens ohne mich zurecht. Nichts anderes hatte ich erwartet, aber weh tat es schon auch ein bisschen. Hat nicht jede Mutter irgendeine Superkraft, ohne die der Rest der Familie verhungert, verdurstet oder zumindest schlecht schläft? Ich offensichtlich nicht. Ein einziges Mal in den folgenden fünf Wochen schrieb mir mein Mann in aussichtsloser Lage eine SMS. Er vermisste die orangefarbene Frisbeescheibe. »Hab sie!«, textete er, noch bevor mir die Schublade im Kellerschrank einfiel.

»Es läuft alles so viel besser ohne dich«, jubelte er ein paar Tage später. Anziehen, Gesicht waschen, Zähne putzen. Das alles erledige der Sohn plötzlich ohne Widerstand. Offensichtlich wurde auch mehr gelacht ohne mich. »Ein Rabe geht im Feld spazieren. Da fällt der Weizen um.« Mir hat sich der Humor Helge Schneiders nie erschlossen. Vater und Sohn aber entdeckten mit der Liebe zu diesem Quatsch neue Gemeinsamkeiten.

Es war, ehrlich gesagt, ein überraschend blödes Gefühl, nicht gebraucht zu werden. Dass die beiden ohne mich so viel mehr Spaß zu haben schienen, verunsicherte mich zusätzlich. Eines Tages nannte mich das Kind im Videochat »Anna« statt »Mama«. Ein Weckruf fürs schlechte Gewissen. Sofort waren die Selbstzweifel wieder mal omnipräsent. Bin ich doch viel zu egoistisch? Vernachlässige ich meine Verantwortung als Mutter? Vermisst er mich gar nicht?

Wenn der Sohn einem so klar signalisiert, dass man in der elterlichen Rangordnung den hinteren Platz belegt, tut das weh. Dabei müsste sich die Feministin in mir eigentlich freuen. Wenn man es erstrebenswert findet, dass Frauen in der Politik, in der Wirtschaft oder etwa in Medienhäusern die Hälfte der Macht ausüben, braucht es Männer, die bereitwillig Plätze räumen. Die stattdessen gerne einen verantwortungsvollen Posten innerhalb ihrer Familien ausfüllen wollen und können. Aber es braucht eben auch Frauen, die sich damit zufriedengeben können, nicht überall die Spitzenposition zu besetzen. Die es aushalten, im innerfamiliären Beliebtheitsranking nicht die unangefochtene Nummer eins zu sein.

»Mama ist die Zweitbeste!« Richtig erstrebenswert klingt das nicht. Entsprechend wenig Vorbilder gibt es für das Egomutter-Modell. Wenn mir eines einfällt, dann vielleicht am ehesten Annalena Baerbock, 43 Jahre alt, Mutter von zwei Kindern, einst Kanzlerkandidatin der Grünen, später erste Außenministerin Deutschlands. Die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere wird man sich von Baerbock kaum abschauen können. In Wahrheit macht sie Müttern etwas anderes vor: gesunden Egoismus. Dass es okay ist, andere Dinge im Kopf zu haben als den Ort, an dem der Kindersonnenhut üblicherweise liegt. Dass man eine gute Mutter sein kann, ohne sich im Leben in erster Linie um andere zu kümmern.