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Ciccones außerordentliche Memoiren beruhen auf 47 Jahren, die er mit seiner Schwester aufgewachsen ist und in denen er mit ihr gearbeitet hat. In dieser Zeit war er Madonna so nah wie kein anderer. Als ihr Bruder, aber auch als Tänzer, persönlicher Assistent, Dekorateur, Art und Tour Director spielte er immer eine wichtige Rolle im Leben der Künstlerin. In seinem Buch beschreibt Christopher Ciccone die Seite von Madonna, die noch niemand sonst kennen lernen durfte - bis jetzt. Dank ihrem Bruder ist es nun möglich, mehr über die wirkliche Frau hinter der glitzernden Fassade zu erfahren. Ciccone erzählt aus erster Hand von den verschiedenen Lebensphasen Madonnas: von der verwöhnten Tochter über das Material Girl bis hin zur Grande Dame Englands. Sein Leben war stets mit dem seiner Schwester auf das Engste verbunden. Nun lässt Ciccone ein Spiegelbild seiner legendären Schwester entstehen - und ist dabei alles andere als zurückhaltend.
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Seitenzahl: 527
Christopher Ciccone
Für meinen Vater Silvio und für Joan,
die immer wie eine Mutter für mich war.
»Jeder, der mit Madonna in Kontakt kam,
der sie kannte, musste auch Christopher kennen.
Einer war ohne den anderen nicht zu begreifen.
Er war ihre dunkle Seite und sie seine.«
Rupert Everett, »Red Carpets And Other Banana Skins«
Einige Leser werden sagen, dass mich meine dunkle Seite dazu veranlasst hat, dieses Buch zu schreiben, andere, dass es die meiner Schwester war. Durch meine Augen betrachtet wird das Phänomen Madonna für viele absolut nachvollziehbar, für jene, die glauben, dass sie über Wasser gehen kann, eher nicht.
Man kann diese Geschichte als vieles betrachten – als Erinnerung an eine gemeinsame Kindheit, als Würdigung einer Ikone, die kürzlich fünfzig geworden ist, als meine Autobiographie und als Antwort auf die ewige Frage: »Wie ist es, Madonnas Bruder zu sein?«
Ursprünglich hatte ich gehofft, dass dieses Buch mir die Möglichkeit geben würde, mich zu definieren und endlich aus dem Schatten meiner Schwester zu treten. Aber stattdessen wurde es eine Art innerer Reinigung. Nachdem ich unsere Geschichte nüchtern betrachtet habe, verstehe und akzeptiere ich schließlich, dass sich ein Aspekt meines Lebens nie ändern wird: Ich wurde als Sohn meiner Mutter geboren, aber ich werde als Bruder meiner Schwester sterben.
Ich werde mich nicht länger gegen die Wahrheit sperren, denn letzten Endes bin ich aufrichtig stolz, dass Madonna meine Schwester ist und immer sein wird.
Christopher Ciccone
»Sein Traum muss ihm
zum Greifen nah erschienen sein.«
F. Scott Fitzgerald, »Der große Gatsby«
Lanesborough Hotel, London, England. 25. September 1993, 8.30 Uhr. Der Wecker klingelt auf eine unaufdringliche, englische Art und Weise. Ich stehe auf, blinzle durch einen Spalt zwischen den schweren, violetten Seidenvorhängen und das grelle Sonnenlicht scheint mir ins Gesicht. Was für ein Glück, das Wetter ist gut. Wir befinden uns schließlich in Großbritannien, dem Land des Regens und des Nebels. Heute Abend findet der Auftakt zur Girlie Show-Tour statt, die ich entworfen und inszeniert habe, und wir wollen doch nicht, dass das Publikum schon klitschnass ist, bevor das Konzert beginnt.
Wir. Das allmächtige Wir. Madonna und ich. Meine Schwester und ich. Sie, die in einem Himmelbett aus Mahagoni in ihrer Suite, die an meine angrenzt, immer noch fest schläft. Das allmächtige Wir – eine passende Bezeichnung für eine Frau, die mir manchmal so unglaublich mächtig auf die Nerven gehen kann. Der Buckingham Palace, die Residenz der Königin von England, befindet sich gleich auf der anderen Straßenseite, aber meiner Meinung nach und nach Ansicht von Millionen von Fans ist sie die wahre Königin des Universums – Madonna Louise Veronica Ciccone, meine 27 Monate ältere Schwester, die elf Jahre nach der Veröffentlichung ihres ersten Albums zu den berühmtesten Frauen der Welt gehört.
Ich esse eine Orange. Kein großes englisches Frühstück für mich, egal wie gern ich es mag. Ansonsten muss ich mich vielleicht übergeben, wenn Madonna und ich wie verabredet um elf Uhr zehn Kilometer joggen gehen. Genauso wie wir es gestern getan haben und genauso wie wir es morgen machen werden – und an jedem anderen Tag der Tour.
Zeitplan ist sozusagen der zweite Vorname meiner Schwester. Um neun Uhr morgens aufstehen, um elf Uhr abends ins Bett gehen – die Stunden dazwischen so präzise geplant wie ein militärischer Einsatz. Mit ihrer Vorliebe für Listen und Ablaufpläne hätte Madonna in einem anderen Leben mühelos ein Gefängnis führen, den Flughafenverkehr regeln oder Feldmarschall werden können. Leider können ihre Nächte nicht auch nach einem strengen Ablaufplan strukturiert werden, denn sie leidet an Schlaflosigkeit und schläft selten mehr als drei Stunden die Nacht.
Ich habe Madonnas Schlaflosigkeit erst wahrgenommen, als wir am Anfang ihrer Karriere in Manhattan zusammenwohnten. Immer wenn ich nachts aufwachte, saß sie im Wohnzimmer auf einem weißen Futon, der, egal wie oft wir den Boden wischten, immer dreckig war. Sie trug normalerweise ein weißes, übergroßes Männer-T-Shirt und eine weite, weiße Trainingshose, die mit Cowboys bedruckt war. Sie lutschte Hot Tamales, ihre nach Zimt schmeckende Lieblingssüßigkeit, und las Gedichte – oft von Anne Sexton, deren Texte manchmal ihre Songtexte beeinflussten. Oder sie schmökerte in den Tagebüchern von Anaïs Nin, die zusammen mit Jeanne d’Arc zu ihren Heldinnen zählt. Sie versuchte, diese langen, heißen, stickigen Nächte von Manhattan irgendwie durchzustehen. Nächte, in denen sie nicht abschalten konnte, in denen sie fantastische, bunte Visionen von ihrer Zukunft hatte. Das zügellose Verlangen nach Ruhm und Reichtum ist nun einmal nicht mit Schlaf in Einklang zu bringen.
An diesem Morgen bin ich mir jedoch sicher, dass meine Schwester noch tief und fest schläft. Weil sie so hyperaktiv ist, braucht sie auf Tour manchmal ein Schlafmittel. Aber das kann ihr niemand verdenken. Sie ist jetzt ein Superstar, eine Legende, eine der berühmtesten Frauen der Welt und in etwa elfeinhalb Stunden werden 75.000 Fans für sie kreischen, sich ihr zu Füßen werfen und sie anbeten. Der Druck, auftreten, unterhalten, durchhalten zu müssen und einfach Madonna zu sein, ist riesig. Und sogar ich – der ich der Königin der Welt jetzt am nächsten stehe – kann mir nicht vorstellen, wie es wäre, in ihrer Haut zu stecken, so viele Erwartungen erfüllen zu müssen, umgeben zu sein von so viel Bewunderung, so vielen Menschen, die einen lieben, so vielen Menschen, die einen hassen, und so vielen, die sich sehnlichst wünschen, dass sie auf ihre berühmte Nase fällt.
*
Es ist jetzt neun Uhr und Zeit, meine Schwester zu wecken. Ich schließe die Tür zwischen unseren Suiten auf. Zu spät. Ein lautes Prusten – kein schönes Geräusch – kommt aus ihrem opulenten Marmorbadezimmer. Sie ist bei ihrer täglichen Morgentoilette: Sie nimmt einen großen Schluck Salzwasser, gurgelt, zieht es die Nase hoch und spuckt es dann aus. Ziemlich aggressive Methode. Aber ihrer Meinung nach notwendig, um ihre Stimme zu pflegen.
Ich schalte für fünf Minuten CNN ein. Dann öffne ich die Durchgangstür zu Madonnas Suite erneut. Meine Schwester liegt in einem weißen Sweatshirt und einer schwarzen Trainingshose auf der taubenblauen Satindecke ihres Bettes, trinkt schwarzen Kaffee mit Zucker und knabbert an einem Sauerteigtoast.
Ich beiße einmal ab und gebe ihr einen flüchtigen Kuss. »Alles okay, Madonna?« Sie nickt. »Ich habe nicht viel geschlafen.«
Unser Vater war kein Mann der Worte und auch wir haben beide keinen Sinn für Small Talk, denn wir kennen uns in- und auswendig und können die Blicke und Gesten des anderen ganz genau interpretieren. Wenn meine Schwester ihre Hände zum Beispiel in die Hüften stemmt wie ein Fischweib, weiß ich, dass es Ärger gibt. Wenn sie anfängt, an ihrem meist roten Nagellack herumzupulen, weiß ich, dass sie nervös ist. Und wenn sie ihren Daumen in ihre Handfläche drückt und ihre Finger darum schließt – eine Kindheitsangewohnheit von mir, die sie sich vielleicht angeeignet hat, weil sie ihre Finger zu stummelig findet und immer versucht, sie zu verstecken –, dann weiß ich, dass sie Bestätigung braucht. Und die habe ich ihr in den vergangenen zehn Jahren gern Tag und Nacht gegeben.
Meine Stellenbeschreibung ist vielleicht nicht ganz konventionell – obwohl man mich manchmal als Madonnas Butler bezeichnen könnte –, aber die Fähigkeit, meine Schwester in schweren Zeiten und bei Selbstzweifeln wieder aufzubauen, ist ein Hauptgrund dafür, dass ich überlebt habe – im Gegensatz zur Unzahl derer, die Eintritt ins Madonna-Land erhalten haben und dann kurzerhand wieder verbannt wurden. Ich habe ausgeharrt als ihr »treu ergebener Diener« – wie ich manchmal meine Briefe an sie unterzeichne, wenn ich sie ärgern will – und als der einzige Mensch aus unserer Familie, der je langfristig als Assistent/Garderobier/Schulter-zum-Ausweinen für sie gearbeitet hat. Außerdem bin ich das einzige Familienmitglied, zu dem sie zum jetzigen Zeitpunkt noch eine enge Beziehung hat.
Verfolgt von einer Schar zwielichtiger Paparazzi, die alle unbedingt ein Foto von dem Material Girl ohne Make-up machen wollen, joggen wir um elf Uhr durch den Hyde Park. Madonna zieht sich das Basecap tiefer ins Gesicht, um sich zu verstecken, und wir joggen einfach weiter. Um eins werden Madonna in ihrer schwarzen Mercedes-Stretchlimousine und ich in meiner Limousine zum Wembley-Stadion nach Nordwest-London gebracht. Die Fahrt dauert eine Stunde. Wir fahren nie gemeinsam zu den Konzerten, denn wir wollen beide die Freiheit haben, zu kommen und zu gehen, wann wir möchten.
In der Hoffnung, auf den letzten Drücker noch ein Ticket zu bekommen oder einen Blick auf Madonna bei ihrer Ankunft erhaschen zu können, laufen einige Fans bereits am Eingang zum Stadion herum. Aber sie haben keine Chance. Unsere Fensterscheiben sind getönt und als die Wagen am Hintereingang halten, verschwinden wir geradewegs in die Garderobe.
Wie immer hat der Veranstalter jede einzelne von Madonnas Forderungen erfüllt, die alle in einer Zusatzklausel zu ihrem Vertrag festgehalten worden sind. Ihre Garderobe wurde weiß gestrichen, denn sie glaubt, dass ein weißer Hintergrund sie vorteilhaft erscheinen lässt. Deshalb besteht sie auch darauf, dass all ihre Handtücher und ihre Bettwäsche weiß sind. Sigmund Freud hätte sicher seine helle Freude daran gehabt, ihr Faible für die Farbe der Jungfräulichkeit zu analysieren. Ihre Freunde, ihre Familie und ihre Bewunderer kennen ihre Vorliebe für die Farbe Weiß. Überall in ihrer Garderobe stehen große Vasen mit Gardenien, weißen Nachthyazinthen und weißen Lilien – ihren Lieblingsblumen. Der Duft ist überwältigend. Außerdem liegen dort vier Packungen Hot Tamales und Pfefferminzbonbons, und es gibt Zitronentee. Mehrere Flaschen Evian – immer in Zimmertemperatur, nie kalt – sind hier und auf der Bühne zur Hand, wo ich sie an den Stellen positioniere, an denen sie sie braucht. Fleisch und Alkohol sind in der Garderobe verboten. Wenn ein Veranstalter doch ein paar Flaschen Champagner schicken sollte, werden diese am Ende des Abends ungeöffnet verschenkt, genau wie die Blumen.
Zum Glück ist es draußen kalt, weswegen es in der Garderobe ausnahmsweise mal nicht drückend heiß ist. Auch in heißen Gefilden und egal wie schwül es ist, lehnt Madonna es strikt ab, die Klimaanlage einzuschalten. Sie behauptet, dass es ihr nie warm genug sein könne, dass sie immer friere, und dass Klimaanlagen schlecht für ihre Stimme wären. Selbst in der stickigen Hitze von Miami, New York oder L.A. bleiben die Fenster weit geöffnet und die Klimaanlage aus.
Hier und in jeder anderen Garderobe hängt sie das Kruzifix unserer verstorbenen Mutter über den Frisierspiegel und sorgt dafür, dass ein Foto unserer Mutter aufgestellt wird, das ein paar Jahre vor ihrem Tod aufgenommen wurde. Und doch erwähnt niemand von uns – weder unser Vater noch unsere Brüder und Schwestern oder ich und ganz bestimmt nicht Madonna – ihren Namen, außer in Ausnahmefällen. Das ist typisch für die Ciccones. Unser Vater hat italienische Eltern und unsere Mutter war Frankokanadierin, aber wir wurden in Michigan geboren und sind letzten Endes wortkarge Mittelwestler bis auf die Knochen.
Ich gehe auf die Bühne und suche den Boden nach Unebenheiten ab, damit niemand – kein Tänzer oder, Gott bewahre, Madonna – stolpert. Ich kontrolliere die hydraulischen Aufzüge, prüfe, ob die Scheinwerfer die richtige Position für die erste Nummer haben und ob alle Requisiten an der richtigen Stelle stehen.
Madonna macht eine Stunde lang Stimmübungen in ihrer Garderobe – Tonleitern und Atemübungen – und dehnt sich gleichzeitig, macht sich locker für die Show, wie eine Mischung aus Anna Pawlowa und Muhammad Ali zu seinen besten Zeiten.
*
Als Nächstes lasse ich ein Interview mit einer der weniger schrecklichen Zeitungen Londons über mich ergehen, da meine Schwester es ablehnt, dies weiterhin zu tun und mich statt ihrer schickt. Ich bin höflich und freundlich und hoffe, dass mein Interview sich positiv auf die morgigen Rezensionen auswirken wird, die wir gemeinsam beim Frühstück lesen werden.
Wenn Madonna eine schlechte Kritik bekommt, wie bei der Virgin-Tour, als jeder zweite Kritiker ihr Gewicht thematisierte, wirft sie ihren Kopf nach hinten, tut so, als ob nichts wäre, zerreißt die Kritik und wirft sie in den Müll. Aber zehn Minuten später fragt sie mich: »Christopher, denkst du, sie haben recht? Habe ich um die Taille herum wirklich zugenommen?« Ich sage dann, dass sie natürlich nicht recht haben und dass sie nicht zugenommen hat – auch wenn das nicht stimmt – und sie ist glücklich.
Ich bin froh, dass ich während unseres Aufenthalts in London keine weiteren Pressetermine habe, denn ich bleibe eigentlich lieber im Hintergrund. Erstaunlicherweise geht auch Madonna nicht gerne ins Fernsehen. Es ist einer der interessantesten Gegensätze ihrer vielschichtigen Persönlichkeit, dass sie sich durchaus wohl dabei fühlt, auf der Blond Ambition-Tour in einem Stadion vor Tausenden von Menschen Sex zu simulieren und in einer Szene der Dokumentation In Bed With Madonna ungeniert ihre Oralsextechnik an einer Flasche vorzuführen, während sie zu einem Nervenbündel mutiert, wenn sie im Fernsehen auftreten soll.
Ich fühlte mich schrecklich, als sie 1991 bei der Oscar-Verleihung Stephen Sondheims Lied Sooner Or Later (I Always Get My Man) aus Dick Tracy sang und ich ihre zitternden Hände sah. Es gab keine kreischenden Fans und sie musste während des Auftritts mehr oder weniger an einer Stelle stehen bleiben – dabei hat sie es immer gehasst, wenn sie sich zu ihrer Musik nicht bewegen konnte.
Hätte sie vor ihren Fans gesungen, wäre sie nicht im Geringsten nervös gewesen. Aber dieses Mal bestand ihr Publikum aus den angesehensten Schauspielern und Schauspielerinnen, einer Gruppe von Leuten, zu der sie nicht richtig dazugehörte, Leute, die sie als Schauspielerin nicht respektierten, aber deren Respekt sie unbedingt gewinnen wollte. Deshalb ihre Nervenkrise.
1994 lagen ihre Nerven bei einem Fernsehauftritt erneut blank, als sie bei der Late Night Show With David Letterman zu Gast war und 13 Mal das Wort »fuck« benutzte, weil sie ein Blackout hatte und ihr nichts anderes einfiel, das sie sonst hätte sagen können. Aber als ich auf das Thema zu sprechen kam, stritt sie ihre Angst vor Fernsehauftritten ab und sagte einfach: »Mir war eben danach.« Sie reagierte so trotzig wie eine Vierjährige, die man mit der Hand in der Keksdose erwischt hatte. So ist sie: jegliche Unsicherheiten herunterspielen und vertuschen. In die Offensive gehen.
*
Zurück im Wembley-Stadion, begeben Madonna und ich uns um drei für den Soundcheck auf die Bühne. Sie singt jeden Song eineinhalb Minuten an und probt dann eine Stunde lang die komplizierteren Tanzschritte. Als sie schließlich die Bühne verlässt, sehe ich, dass sie überhaupt nicht müde ist. Das Adrenalin strömt bereits durch ihre Adern. Ihre blauen Augen strahlen, ihre Haut glänzt, ihr Gesicht ist gerötet – teils durch den pinken puerto-ricanischen Gesichtspuder, den ich ihr immer in einer Drogerie auf der Sixth Avenue und Fifteenth Street in Manhattan kaufen muss, teils vor purer Aufregung.
Um vier Uhr essen wir gemeinsam Mittag – Möhrensuppe, Veggie-Burger, Salat. Alles von ihrem vegetarischen Koch zubereitet, der mit uns herumreist. Während des Essens reden wir über die Generalprobe des gestrigen Tages. Wir sprechen über die Stimmung unter den Bandmitgliedern und Tänzern: Wer ist verärgert? Wem muss man gut zureden und schmeicheln, damit er seine Sache gut macht? Und wen muss man besonders behutsam behandeln? Alles, damit das heutige Konzert spektakulär wird.
Beim Auftakt und während der gesamten Tour ist das mein Job, aber dank Madonna ist es nicht so schwierig. Bei jeder Tour tut sie ihr Bestes, um das Vertrauen, die Loyalität und die Freundschaft der Tänzer zu gewinnen – durch eine Mischung aus Charme, Flirts und ein wenig mütterlicher Fürsorge. Um die Tänzer so nah wie möglich an sich heranzulassen – aber nicht zu nahe.
Jeder, der für sie arbeitet, durchlebt unweigerlich die gleichen Phasen. Phase eins: Ernüchterung über die kalte Welt da draußen. Phase zwei: sich im Licht von Madonnas Wärme und Aufmerksamkeit aalen. Phase drei: durch das Licht zu ihr gehen. Phase vier: sich am kältesten aller Orte wiederfinden, ganz nahe bei ihr. Was sie betrifft, ist ihr das definitiv viel zu nahe. Wenn man diese Phase erreicht, hat sie das Gefühl, dass man zu viel weiß, dass man eine Bürde ist und es kommt, was kommen muss. Phase fünf: keine Sonne mehr, keine Nähe, keine Madonna.
Auf jeder Tour habe ich beobachtet, wie schnell die Tänzer Madonnas Zauber verfallen. Dem vermeintlichen Paradies, Madonnas engster Freund und Vertrauter zu sein, immer näher kommend, werden sie am Ende der Tour wieder in die kalte Welt hinausgeschleudert. Sie werden Madonna nie wiedersehen, außer im Fernsehen, in einem Film, auf der Bühne – aber nur aus der Publikumsperspektive. Bei jeder Tour verbringt ein Tänzer etwas mehr Zeit mit ihr als die anderen, wird besonders bevorzugt und hat eine intimere Beziehung zu ihr – und dieser Mensch ist ein heterosexueller Tänzer. Bei der Virgin-Tour übernahm Lyndon B. Johnson diese Rolle. Bei der Who’s That Girl-Tour war es der Tänzer Shabadu, auf der Blond Ambition-Tour Oliver Crumes. Und auf der Girlie Show-Tour war es der Tänzer Michael Gregory.
Der Würfel fiel immer während des Castings, wenn Madonna eine Reihe Tänzer inspizierte, so wie Katharina die Große eine Reihe potenzieller Liebhaber zu inspizieren pflegte. In Michaels Fall fanden die Tanzcastings in New York und West Hollywood statt. Wir machten von den letzten zehn Kandidaten Polaroidfotos und filmten sie beim Tanzen. Dann fuhren Madonna und ich nach Hause und sahen uns gemeinsam die Polaroids und die Videoaufnahmen an.
Ich hielt Michael für den schwächsten Tänzer von allen zehn, für denjenigen mit der geringsten Ausstrahlung. Aber Madonna widersprach mir und bestand darauf, dass wir ihn engagieren. Ich wusste, dass es keinen Sinn hatte, ihre Pläne zu durchkreuzen, also engagierten wir ihn.
Hier in London bei der Girlie Show-Tour ist er also ihr auserwählter heterosexueller Mann. Der Junge, an den sie sich wendet, wenn sie von den vielen schwulen Männern der Tour – mich eingeschlossen – gelangweilt ist, den sie mütterlich, freundlich, fast liebevoll behandelt. Es geht nicht darum, ob sie und ihr heterosexueller Mann auf Tour je miteinander schlafen, er ist einfach ihre Versicherung gegen die Einsamkeit des Tourlebens.
*
Ab vier Uhr dreißig hat sie zwei Stunden für sich. Sie lässt sich von ihrem Chiropraktiker behandeln, bekommt eine Massage und versucht danach, auf dem Massagetisch einzuschlafen, was ihr aber nicht gelingt. Um sechs Uhr dreißig zieht sie sich einen Teil des Bühnenkostüms an, das sie bei der ersten Nummer tragen wird: schwarze paillettenbesetzte Shorts und ein passender BH, lange, schwarze Handschuhe und die bewährten schwarzen Netzstrümpfe, die sie immer trägt – auch unter Hosen, Jeans oder Leggins – weil sie glaubt, dass diese ihre Beinmuskeln schützen. Obwohl ihr viele Dinge durch den Kopf gehen, sitzt sie erstaunlich still da, während ihre Haare gemacht werden und ihr Make-up aufgelegt wird. Sie ist eben ein alter Hase.
Um sieben Uhr dreißig ist es an der Zeit, dass ihr neuer Garderobier, Daniel Huber, sie fertig anzieht. Obwohl Madonna mich zum Regisseur befördert hat, sollte ich weiterhin als ihr Garderobier arbeiten, aber das habe ich abgelehnt. Anfangs sträubte sie sich gegen meine Weigerung, aber letztendlich gab sie auf. Jetzt zieht sie sich also vor Daniel Huber aus. Ich weiß, dass sie jetzt am verletzlichsten ist und diese Verletzlichkeit wird sich im Laufe des Konzertes noch steigern. Madonna ist zwar für ihre nicht vorhandenen Hemmungen bekannt – sie posiert nackt vor Kunststudenten und modelt oben ohne für Gaultier –, aber privat ist sie viel zu schüchtern und prüde, um sich einem Fremden aus nächster Nähe nackt zu zeigen. Das ist das völlige Gegenteil ihres Images als Sexgöttin, entspricht aber zweifellos der Wahrheit.
Ich habe Daniel im Vorfeld darüber informiert, was es heißt, Madonnas Garderobier zu sein, und ihm einige Strategien verraten, wie man den Job überleben kann, ohne verrückt zu werden. Er weiß also, dass es das Beste ist, ruhig zu bleiben – egal welche Beleidigung Madonna ihm unweigerlich an den Kopf werfen wird – und nur zu sprechen, wenn er die allgegenwärtige Frage »Wie sehe ich aus?« beantwortet, auf die er pflichtgemäß »Fantastisch, Madonna, fantastisch!« antworten muss.
Gerüstet mit meinen Ratschlägen hilft er ihr, den Rest ihres Bühnenoutfits anzulegen – hohe, geschnürte Lacklederstiefel und eine Augenmaske. Dann reicht er ihr die Reitgerte, die sie bei Erotica, der ersten Nummer, schwingen wird.
Um zehn vor acht fassen Madonna, die Tänzer, die Bandmitglieder und ich uns an den Händen und bilden einen Kreis. Madonna spricht ein Gebet: »Lieber Gott, heute findet das Eröffnungskonzert der Tour in London statt. Bitte gib acht auf meine Tänzer und meine Band. Ich weiß, dass alle, mich eingeschlossen, nervös sind. Wir haben lange und hart daran gearbeitet. Bitte hilf uns, diese Show großartig werden zu lassen. Ich liebe euch alle. Hals- und Beinbruch. Macht ihnen die Hölle heiß. Amen.«
Dann ist Showtime.
Die Sicherheitsleute gehen voraus. Madonna, ich und ihre zwei Backgroundsängerinnen, Niki Haris und Donna De Lory, halten uns an den Händen und gehen den langen Weg von der Garderobe durch den Tunnel. Wir singen Stevie Wonders For Once In My Life, während Madonnas Manager, der adrette Freddy DeMann mit dem Bleistiftschnurrbart, kräftig auf einem Kaugummi herumkaut und uns folgt.
Als wir hinter der Bühne ankommen, nehmen Niki und Donna ihre Plätze bei der Band ein. Madonna und ich gehen weiter durch einen engen Tunnel, der unter die Bühne führt, von wo aus sie das erste Mal die Bühne betreten wird.
*
Madonna und ich warten dort allein und halten uns an den Händen. Sie zittert nicht. Sie ist äußerst ruhig, sicher, weil sie weiß, dass sie jeden Schritt und jede Textzeile auswendig kennt. Sie ist selbstbewusst, beherrscht, hat keine Selbstzweifel. Wenn sie erst einmal auf der Bühne vor ihrem Publikum steht, weiß sie, dass sie dort ist, wo sie hingehört, und das tut, was sie am besten kann.
Ich küsse sie auf die Wange und sage: »Du siehst toll aus. Du wirst großartig sein, das spüre ich. Du musst dir keine Sorgen machen. Es wird perfekt werden.«
Sie nickt schweigend, ihre Augen sind plötzlich ganz groß, fast wie bei einem Kind. Bevor sie auf die Bühne geht, halte ich ihr aus alter Gewohnheit meine Hand hin und sie spuckt ihren Hustenbonbon hinein. Dann schaut sie mich freudig erregt und leicht verängstigt an, als wolle sie sagen: »Es geht los!« Sie atmet tief durch, strafft ihre Schultern und nimmt ihren Mut zusammen, um sich dem Publikum zu stellen.
Die Scheinwerfer gehen an und eine Woge der Begeisterung schlägt uns entgegen. Die elektrifizierende Stimmung überträgt sich vom Publikum auf die Bühne. Wie eine Druckwelle breitet sie sich über uns aus, kraftvoll und aufregend.
Zirkusmusik schallt durch das Stadion. Auf der Bühne gleitet die Tänzerin Carrie Ann Inaba nur mit einem roten Tanga bekleidet vor einem roten Samtvorhang eine zwölf Meter hohe Stange herunter. Ein in blauen Satin gekleideter Clown – der das Leitmotiv der Show ist – schaut ihr dabei zu.
Ich stehe jetzt im Konzertgraben, der anderthalb Meter breiten Lücke zwischen der ersten Reihe und der Bühne. Als Carrie Ann unten ankommt und verschwindet, taucht Madonna auf der mit Rauch gefüllten Bühne auf und singt Erotica. Ihr kurzes blondes Haar glitzert im Scheinwerferlicht und sie schwingt die Peitsche.
Sie tanzt elegant und flüssig – es zahlt sich aus, dass wir schon so früh angefangen haben, für die Show zu trainieren. Infolge ihres zweieinhalbstündigen Trainings, das sie täglich absolviert, wenn sie nicht auf Tour ist, ist ihr Körper ein Kunstwerk. Auch ihre Yogastunden tragen zu ihrer perfekten Körperspannung und Muskelausbildung, ihrer königlichen Haltung und ihrem ausgezeichneten Gleichgewichtssinn bei. Beim Yogaunterricht zeigt sich ihr natürlicher Wettkampfgeist. Ob es um Yoga, Freundschaften oder Kabbala geht, meine Schwester muss immer die Beste sein, die Größte – die Frau, die ihr Bein 25 Mal um ihren Körper schlingen kann und dann auf einem Finger steht.
Madonnas Kampfgeist ist selbstverständlich ein Teil dessen, was sie zu, nun ja, Madonna gemacht hat. Diese Eigenschaft und ihre Intelligenz, ihre Lernfähigkeit, ihr hervorragendes Erinnerungsvermögen, ihr unerreichter Charme und ihre Begabung für Liveauftritte, die mir – als ich sie in der Girlie Show sehe – den Atem verschlägt. Ich staune über die Beziehung, die sie zum Publikum aufbaut, die Lebhaftigkeit und die Präzision ihres Auftritts, den Anmut ihrer Handbewegungen, die kunstvolle Drehung des Kopfes – exakt genauso wie wir es zusammen geprobt haben.
Für die nächste Nummer, Vogue, hat Daniel ihr Outfit um einen schwarzen paillettenbesetzten Kopfschmuck ergänzt – teils Erté, teils Zizi Jeanmaire. Das leidenschaftliche Interesse, das Madonna und ich für die Ikonen der Vergangenheit aufbringen, hat den Inhalt und die Atmosphäre der Girlie Show stark beeinflusst, besonders wenn sie bei Like A Virgin als Marlene Dietrich auftritt.
Als wir in Manhattan zusammenwohnten oder als ich in Los Angeles bei Madonna wohnte – zuerst in dem Haus, in dem sie mit ihrem ersten Ehemann Sean Penn lebte, und später in dem Haus, das sie manchmal mit Warren Beatty bewohnte –, sind wir immer lange aufgeblieben und haben uns alte Filme angeschaut. Die Filme von Marlene Dietrich – besonders Der blaue Engel und Marokko – gehörten zu unseren Lieblingsfilmen, aber wir mochten auch Die Büchse der Pandora mit Louise Brooks, Solange ein Herz schlägt mit Joan Crawford und Die ist nicht von gestern mit Judy Holliday.
Madonnas bislang unerreichter Traum ist es, ein großer Filmstar zu werden. Ich wünsche ihr alles Gute, glaube aber insgeheim, dass sie eigentlich nur sich selbst, Madonna, wirklich gut spielen kann. Eine Rolle, die sie für sich selbst erschaffen hat und die sie penibel pflegt. Und was für eine Rolle das ist: Man kreuze Shirley Temple und Betty Page, Elizabeth I. und Lucille Ball, Bette Davis und Doris Day, und man bekommt eine Idee von der Künstlerin, die als Madonna bekannt ist.
*
In dem Moment, in dem es bei der Girlie Show ein kurzes Zwischenspiel gibt und Madonna von der Bühne kommt, renne ich zu ihrer Garderobe. Vor dem Konzert war sie ruhig, aber während der Pause ist sie immer extrem nervös. Während sie ihr Make-up auffrischt und sich mit Gardenia Passion von Annick Goutal, ihrem Lieblingsparfum, einsprüht, lasse ich ihr ein paar besonders aufmunternde Worte zukommen: »Du sieht fantastisch aus. Deine Stimme ist kräftig. Und deine Bewegungen sind großartig.«
Sie hört auf zu zittern, trinkt einen Schluck Evian.
Dann schreitet sie wieder zurück auf die Bühne.
Was ich ihr gesagt habe, entspricht teilweise der Wahrheit, ein Teil ist gelogen. Ihre Bewegungen sind in der Tat großartig, doch mit ihrer Stimme verhält es sich etwas anders. Der Unwille meiner Schwester, sich der Plackerei regelmäßiger Gesangsstunden auszusetzen, ist ein Nebenprodukt des außerordentlichen Selbstbewusstseins, mit dem sie geboren wurde. Dieses Selbstbewusstsein hat jeglichen Mangel an Übung aufgehoben. Sie ist eine Entertainerin – manch eine mag eine bessere Stimme haben, aber sie ist der lebende Beweis, dass man mit Disziplin, Visionen, Ehrgeiz, Entschlossenheit und natürlich Selbstvertrauen zum Superstar werden kann. Ihr legendäres Selbstbewusstsein scheint bei uns in der Familie zu liegen und auch ich scheine es geerbt zu haben: Ich teste mich mit großer Freude selbst und nehme jede Herausforderung an. Ich bin Designer, Künstler und jetzt Regisseur, aber ich habe mich in all diesen Disziplinen vor einer formalen Ausbildung gedrückt. Wie meine Schwester beuge ich mich ungern anderen und stürze mich gern kopfüber in eine Karriere, deren Handwerkszeug ich erst nach und nach zu gebrauchen lerne.
Bis jetzt hat diese Strategie wunderbar funktioniert, aber Madonna ist nun an einem Punkt angekommen, an dem sich das Fehlen eines strikten Stimmtrainings bemerkbar macht. Ihre Stimme ist zu dünn für die Anforderungen, die Madonna an sie stellt. Die Lösung des Problems bestand darin, Donna als Backgroundsängerin zu engagieren, denn ihre Stimme unterstützt und spiegelt Madonnas Stimme wider, Niki dagegen ist für den Soul zuständig. Meistens streiten sich Donna und Niki, wer welche Harmonie singen darf, wer Madonna näher ist und wer die meiste Aufmerksamkeit von ihr erhält.
Niki hat eine bessere, geschultere Stimme als Madonna. Und Madonna bemüht sich, sie in Schach zu halten, denn Niki kann sie übertönen und tut das auch oft. Wenn das passiert, ordnet Madonna manchmal an, dass Nikis Mikro ausgeschalten wird.
Ein oder zwei Mal hat Madonna sogar die Möglichkeit in Betracht gezogen, Niki zu feuern. Das würde sie natürlich nicht persönlich tun. Der Schwachpunkt der Rüstung meiner Domina-gleichen Schwester ist, dass sie sich – obwohl sie ihren Untergebenen während der Proben, auf Tour und besonders vor der Kamera in der Dokumentation In Bed With Madonna laut Befehle zuschreit – vor Konfrontationen fürchtet und sie um jeden Preis zu vermeiden sucht. Sie bringt es nicht fertig, jemandem von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen und denjenigen dann zu entlassen. Diese Aufgabe gibt sie immer an einen ihrer Lakaien weiter, meistens an mich.
*
Madonna singt jetzt Holiday und hat sich mit einer blonden Afro-Perücke und glitzernden Klamotten in eine Discoqueen der Siebziger verwandelt. Sie ist völlig in ihrem Element, ist fröhlich, euphorisch, völlig entspannt und glücklich. Zum ersten Mal an diesem Abend habe ich Blickkontakt mit ihr und zwinkere ihr zu. Sie zwinkert zurück.
Ein paar Augenblicke später lächelt sie mich kurz triumphierend an – eine stillschweigende Bestätigung, dass unsere gemeinsame Arbeit sich ausgezahlt hat und dass die Girlie Show ein Erfolg ist. Ich lächle zurück, freue mich über unsere Komplizenschaft. Sie beendet das Konzert mit Everybody – ihrem ersten Hit und dem ersten Song, an dem sie je mitgeschrieben hat. Das Publikum flippt aus und der Stadionboden bebt unter den tanzenden Massen.
Madonna verlässt die Bühne. Nach ein paar Minuten taucht wieder ein Darsteller in dem blauen Pierrot-Kostüm und mit der Maske eines traurigen Clowns auf. Die Zuschauer wissen es nicht, bis sie die Maske abnimmt, aber dieses Mal spielt Madonna den Clown.
Als Kinder waren wir selten im Zirkus, aber als Erwachsene haben Madonna und ich uns immer gern die Vorstellungen des Cirque du Soleil im Battery Park in Manhattan angesehen. Wir beide lieben den Cirque du Soleil, weil er sich dem Konzept Zirkus auf eine völlig neue Art nähert, bizarr und sexy. Der Cirque hat unsere Zusammenarbeit sehr beeinflusst, besonders die Girlie Show. Allerdings ist es pure Ironie, dass meine Schwester sich als Clown verkleidet, denn sie ist die schlechteste Witzeerzählerin der Welt. Ich zucke jedes Mal zusammen, wenn sie versucht, einen Witz zu erzählen, sei es nun privat oder in der Öffentlichkeit, denn sie versaut jede Pointe.
Ich denke, dass ihre Unfähigkeit, wirklich witzig zu sein, daher rührt, dass wir unsere Mutter verloren haben, als wir noch Kinder waren. Sogar während der locker-beschwingten Girlie Show, inmitten begeisterter Fans, im Rausch der Nacht, geben die traurigen Clownsaugen etwas über meine Schwester preis. Egal wie weit es Madonna bringen wird, wie berühmt sie werden wird, wie reich und beliebt, ihre Seele wird genau wie meine tief drinnen immer von einer heimlichen Traurigkeit befallen sein, weil wir unsere Mutter verloren haben, als wir noch ganz jung waren. Man muss sich nur einmal die Texte von einigen Liedern ansehen, die sie während ihrer 25-jährigen Karriere geschrieben hat, zum Beispiel Oh Father und Live To Tell, um nur ein paar zu nennen.
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Die Clown-Szene ist zu Ende. Madonna nimmt sich mit einem Tusch die Maske ab, verbeugt sich tief und verlässt die Bühne. Ich warte an der Seite auf sie und versuche, den ohrenbetäubenden Lärm des Applauses auszublenden. Sie läuft auf mich zu, ich werfe ein weißes Handtuch über sie, lege meinen Arm um sie und führe sie zum Bühnenausgang. Sie ist schweißnass und außer Atem. Ich sehe ihr an, dass sie mit dem Konzert zufrieden ist. Innerhalb von Sekunden sitzt sie mit ihrer Assistentin Liz und ihrem Manager Freddy in der Limo und sie gehen noch einmal die Show durch, während im Stadion Be A Clown aus den Boxen dröhnt und das Publikum nach Madonna schreit.
In Madonnas Hotelzimmer stehen jetzt noch mehr weiße Blumen. Sie schminkt sich ab, duscht und geht dann nach unten, um mit ihrer Mannschaft in der Library Bar mit Champagner anzustoßen. Den Erfolg ihrer Auftaktshow in London hätte sie ebenso gut mit der High Society Englands feiern können, die sich darum gerissen hätte, den Abend mit ihr zu verbringen und ihr zu Füßen liegen zu dürfen. Aber das war noch nie ihre Art. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, verlässt sie das Stadion immer direkt nach der zweiten Zugabe und verbringt den Rest des Abends mit ihrem Team, mit den Tänzern und Musikern, denen sie durchaus zugesteht, mitverantwortlich für ihren Erfolg zu sein.
Obwohl ein Lieblingssatz von Madonna lautet »Das ist keine Demokratie hier« und sie zudem völlig unfähig ist, über sich selbst zu lachen, besteht sie darauf, den Abend des Eröffnungskonzertes mit ihrem Team zu verbringen, statt ihn mit anderen Berühmtheiten zu feiern. Ich bin beeindruckt, aber gleichzeitig sagt mir eine innere Stimme, die ich mein Leben lang sorgsam ignoriert habe, dass es einen Grund dafür gibt, dass meine Schwester es nicht reizvoll findet, sich mit Promis zu umgeben. Wenn sie das tun würde, wäre sie nicht länger die einzige große Nummer, die Bienenkönigin, der Star. Außerdem würden die meisten der Prominenten – ihresgleichen – nicht über ihre unlustigen Witze lachen, ihren Launen nachgeben oder sie zum Mittelpunkt ihres Universums küren, wie es ihre Gefolgsleute unweigerlich tun.
Sie bleibt nicht lange auf der Party. Nicht einmal eine halbe Stunde, nachdem wir aufgetaucht sind, bittet sie mich, sie in ihre Suite zu bringen.
*
Im Fahrstuhl überkommt mich plötzlich eine Welle der Euphorie. Nie hatte ich eine höhere Meinung von meiner Schwester, was ihre Qualitäten als Entertainerin betrifft, als heute. Meine Liebe zu ihr als Bruder ist grenzenlos und nie standen wir uns näher als in diesem Moment.
»Du warst heute Abend großartig, Madonna«, sage ich, »wirklich großartig.« Wir umarmen uns.
»Ich liebe dich, Christopher, wirklich«, sagt sie. »Und ich bin sehr stolz auf dich.«
»Ich bin auch stolz auf dich. Danke, dass du mir diese Chance gegeben hast. Ich liebe dich.«
Ich sehe nach, ob sie genug Zitronentee auf ihrem Zimmer hat und ob ihr Luftbefeuchter funktioniert. Dann gehe ich in meine Suite.
Heute Abend sind wir überglücklich, meine Schwester und ich. Nichts und niemand kann uns etwas anhaben, nicht einmal unsere eigene menschliche Fehlbarkeit. Wir leben für den Auftritt, die Show. Die Liebe, die Nähe, die Kreativität.
Heute Abend habe ich nicht den leisesten Zweifel daran, dass wir absolut gleich ticken, dass wir völlig übereinstimmen, dass wir kongenial sind, Judy Garland und Mickey Rooney stellen eine Show auf die Beine, du und ich gegen den Rest des Welt, gemeinsam, jetzt und für immer. Ich denke über unsere glorreiche Zukunft nach, privat und beruflich, und sie liegt schillernd vor mir, makellos und endlos.
Meine eigenen Worte hallen in meinem Kopf nach: Danke, dass du mir diese Chance gegeben hast. Ich liebe dich. Danke, dass du mir diese Chance gegeben hast. Ich liebe dich.
*
In einer Redensart heißt es, dass die Götter diejenigen, die später von ihnen vernichtet werden, zunächst übermütig werden lassen. Man sagt auch, dass die Götter das, was sie einem geben, einem auch wieder wegnehmen können. Heute Abend ist der Höhepunkt meines Lebens, aber in der Zukunft werden beide Redensarten nicht von einem Gott, sondern von einer Göttin verkörpert werden – von meiner Schwester, Madonna.
Sie wird besessen sein vom Ruhm, von den kriecherischen Schmeicheleien der Speichellecker und von der blinden Bewunderung der Massen.
Und das, was sie mir gegeben hat – die Freude, mit ihr zusammen etwas zu erschaffen, mit ihr zusammenzusein, sie zu lieben und von ihr geliebt zu werden –, wird sie mir eines Tages wieder wegnehmen.
»In einer großen Familie aufzuwachsen,
hat den Vorteil, dass man früh lernt, wie ungerecht
das Leben ist.«
Nancy Mitford
Kapitel 1
Ich bin elf Jahre alt und eines der acht Ciccone-Kinder, die in der gelben Küche in unserem Haus in der Oklahoma Avenue in Rochester, Michigan, mit ihrem Vater und ihrer Stiefmutter Joan gleich zu Abend essen werden. Wir sitzen gequetscht um den dunklen Eichentisch, den Joan erst vor Kurzem abgeschliffen und ausgebessert hat, und wir sind glücklich, denn wir wissen, dass es heute Abend Hähnchen gibt.
Meine Schwestern tragen alle verschiedene kastanienbraune Samtkleider mit weißen Spitzenkragen, die Joan nach Butterick-Schnittmustern genäht hat. Madonna hasst ihr Kleid, aber Joan hat zu ihr gesagt: »Halt den Mund und zieh es an«, und sie gezwungen, es zu tragen. An einem anderen Abend wäre Madonna vielleicht zu unserem Dad gerannt und er hätte ihr sicher nachgegeben und sie etwas anderes anziehen lassen. Aber heute war er bei einem Treffen der Knights of Columbus und ist erst kurz vor dem Essen heimgekommen.
Wie immer hat Joan nur zwei Hähnchen zubereitet, die wir zehn uns teilen müssen – nicht weil wir arm sind, sondern weil sie sparsam ist. Ich fühle mich, als hätte ich mein halbes Leben darum gekämpft, die Hähnchenbrust zu bekommen. Ich mag sie am liebsten, aber ich bekomme sie nie, weil ich zu langsam bin und alle anderen schneller sind. Ich habe jedoch beschlossen, dass ich heute Abend endlich das Bruststück bekommen werde.
Aber bevor ich loslegen kann, bin ich an der Reihe, das Tischgebet zu sprechen.
Wir stehen auf und halten uns an den Händen. Ich hole tief Luft. »Lieber Gott, danke für diesen wunderschönen Tag. Danke für meine Brüder und Schwestern.« Mein älterer Bruder Marty, der gerade erst im Keller beim Rauchen erwischt und von Vater bestraft worden ist, kichert. Meine jüngere Schwester Melanie – die mit einer grauen Strähne auf der linken Seite ihres Haares, an ihrer linken Augenbraue und ihren linken Wimpern geboren wurde – nimmt an, dass ich es ehrlich meine und lächelt mich sanft und gütig an. Mein älterer Bruder Anthony, der gerade von einem schlechten Peyote-Trip runterkommt und immer noch Carlos Castanedas Eine andere Wirklichkeit umklammert, kneift seine Augen fest zu. Meine Schwester Paula, die immer unterlegen ist, schneidet eine Grimasse. Meine kleine Halbschwester Jennifer gluckst. Mein kleiner Halbbruder Mario spielt in seinem Hochsitz mit einer Rassel. Mein Vater und meine Stiefmutter werfen sich einen kurzen zustimmenden Blick zu. Meine ältere Schwester Madonna gähnt laut und ausgedehnt.
Ich sehe sie wütend an und fahre fort. »Wir danken dir für Großmutter Elsie und Großmutter Michelina. Danke für unseren Vater und für Joan. Wir danken dir, lieber Gott, für das Essen auf dem Tisch und könnte ich heute bitte ein Brustteil bekommen?«
Alle lachen los, sogar Madonna. Ich hole aus. Ich bekomme keine Hähnchenbrust. Ich bin nicht schnell genug, weil ich immer noch über meinen eigenen Witz lache. Das ist ausgleichende Gerechtigkeit, schätze ich. Wenigstens muss ich nicht hungern. Meine Schwester Madonna hat sich zwar oft als Aschenputtel hingestellt und angedeutet, dass Joan unsere böse Stiefmutter gewesen sei, aber Joan hat uns nie hungern lassen oder schlecht behandelt.
Andererseits hält sie aber auch nichts davon, teure Lebensmittel an uns zu verschwenden. Delikatessen – griechische Oliven, italienische Salami, teure Kekse – legt sie immer für ihre Gäste zurück und das Beste, was ihre Kinder bekommen, ist Müsli. Wenn Joan nicht da ist, schleichen wir uns, egal wie viel wir schon gegessen haben, nur so zum Spaß in die Küche und stibitzen einen Feinschmeckerkeks, der eigentlich für Gäste vorgesehen war.
Eines Samstagmorgens, als ich 15 bin, versammelt sie uns alle im, wie sie es bezeichnet, »offiziellen Esszimmer«. Sie hat die vergangenen Monate damit verbracht, es zu renovieren und umzuräumen und uns war es in dieser Zeit verboten, es zu betreten. Ich vermute, dass sie uns das Ergebnis ihrer Bemühungen vorführen will. Meine Geschwister verzehren sich nicht gerade danach, das neue, schicke Esszimmer zu sehen, ich dagegen bin wenigstens ein bisschen gespannt auf das Ergebnis. Ich hoffe nur, dass Joan nicht erwartet, dass ich ihre Leistung lobe, denn Unaufrichtigkeit und falsches Lob gehören noch nicht zu meinem Repertoire. Das kommt erst später, wenn ich einen der vielen Schauspielversuche meiner Schwester ertragen muss und ihre Gefühle nicht verletzen will.
Deshalb fällt es mir auch schwer, meine Enttäuschung zu verbergen, als wir das offizielle Esszimmer betreten. Ein moosgrüner Zottelteppich, gebeiztes Holz an den Wänden mit Fliesen dazwischen, die Joan als »antik« bezeichnet – eines ihrer Lieblingswörter. Ich weiß, dass wir die Siebziger haben, aber ich habe bereits ein Auge für Ästhetik und ich bin alles andere als begeistert.
Aber Joan hat uns nicht im offiziellen Esszimmer versammelt, damit wir ihre Dekorationskünste bewundern, sondern weil gleich einer von uns tief in Schwierigkeiten stecken wird. Streng verkündet sie, dass der Engelskuchen, den sie gerade für ein Kaffeekränzchen mit ihren Freunden gekauft hat, verschwunden sei. Sie möchte, dass der Übeltäter sich stellt.
»Ihr werdet den ganzen Tag hier sitzen, bis es jemand zugibt«, entscheidet sie. Niemand sagt ein Wort. Sie legt ein Album von Andy Williams auf. Ich denke: »Musik als Folter?« Ich konzentriere mich auf das Bild mit der asiatischen Landschaft – eine Herbstszene mit Dschunken, die einen Fluss entlangfahren –, das unser Vater von seiner letzten L.A.-Reise mitgebracht hat und male es in meinem Kopf nach.
Nach einer Stunde verlässt Joan das Zimmer. Wir sitzen schweigend um den Tisch, studieren die betretenen Gesichter der anderen und versuchen insgeheim zu erraten, wer wohl der Missetäter ist. Obwohl ich sie nicht laut beschuldige, bezichtige ich in Gedanken Madonna des Vergehens, denn ich weiß, dass ihr Engelskuchen vielleicht nicht besonders schmeckt, der Name ihr aber sicher gefällt. Den Kuchen zu klauen hätte obendrein eine weitere Kerbe im Lauf ihrer Pistole bedeutet, die sie – metaphorisch gesprochen – all die Jahre auf Joan gerichtet hielt. Eine halbe Stunde später kommt Joan wieder und erklärt, dass sich ein Nachbar gemeldet hätte, der den Diebstahl durch unser Küchenfenster beobachtet habe. Außerdem habe er den Dieb identifiziert: mich.
Ich bin unschuldig, kann es aber nicht beweisen. Zudem warten meine Freunde in unserem Baumhaus auf mich. Sie haben gerade die neuste Ausgabe des Playboy in der Post gehabt und ich kann es kaum erwarten, aus dem Haus zu kommen und einen Blick hineinzuwerfen. Also gebe ich zu, den Engelskuchen gestohlen zu haben. Ich werde entsprechend der Schwere meiner Verfehlung bestraft: eine Woche Hausarrest und Fernsehverbot. Viele Jahre später wird der wahre Missetäter entlarvt, als Paula irgendwann gesteht, den Engelskuchen genommen zu haben. Aber da ist es natürlich zu spät, denn ich habe meine Bestrafung schon lange hinter mir. Es war ohne Frage meine eigene Schuld, etwas zuzugeben, was ich gar nicht getan habe. Ich schätze, das war die Geburtsstunde eines bestimmten Verhaltensmusters und ein Vorbote der Dinge, die noch kommen sollten.
Eines der angenehmeren Rituale, die Joan eingeführt hat, seit sie mit unserem Vater verheiratet ist, ist, dass sich jeder von uns einen Geburtstagskuchen wünschen darf. Madonna möchte immer eine Erdbeertorte. Ich wähle immer eine Eistorte mit pinkfarbener Glasur. Kurz nach dem Debakel mit dem Engelskuchen sitze ich wie auf glühenden Kohlen, weil ich nicht weiß, ob Joan mir trotzdem meine Lieblingstorte backen wird. Zu meiner Erleichterung hat Joan mir vergeben, da ich für meinen angeblichen Diebstahl bestraft wurde und den Preis für meine Verfehlung gezahlt habe. Ich bekomme also letzten Endes doch meine pinkfarbene Geburtstagseistorte.
Kuchenbacken kann Joan wirklich. Aber ansonsten ist sie eine miserable Köchin. Sie kocht Spanish Rice und vergisst den Reis und häufig serviert sie uns Eintopf aus der Tiefkühltruhe und sagt dann mit einem selbstzufriedenen Lächeln: »Das habe ich gerade frisch gekocht.«
»Frisch aus dem Tiefkühlfach!«, murmeln wir vor uns hin, ganz vorsichtig, so dass unser Vater uns nicht hört, denn wir wollen ihn nicht wütend machen. Er verlangt, dass wir Joan mit größtem Respekt behandeln und besteht darauf, dass wir sie Mom nennen. Wir alle haben Schwierigkeiten mit dem Respekt und viele Jahre fällt es uns schwer, unserem Vater zu gehorchen und Joan mit Mom anzusprechen.
*
Meine leibliche Mutter, die den Namen Madonna trug, starb, als ich drei Jahre alt war. Ich habe nur eine einzige Erinnerung an sie. Ich laufe im grasgrünen Garten unseres kleinen einstöckigen Hauses, das an den Bahnschienen liegt, herum und trete auf eine Biene. Ich weine mir die Augen aus dem Kopf. Meine Mutter nimmt mich auf ihren Schoß und kühlt den Stich mit Eis. Ich fühle mich sicher, beschützt und geliebt. Für den Rest meines Lebens werde ich mich danach sehnen, dieses Gefühl wiederzuerlangen, aber es wird mir nicht gelingen.
Die traurige Wahrheit ist, dass ich zu jung war, als meine Mutter starb, um sie wirklich gekannt zu haben. Als Kind existierte sie für mich nur auf Bildern. Eines, das ich besonders gern mochte, zeigt sie rittlings auf einem Büffel sitzen – sie wirkt darauf so lebhaft, charismatisch, so lebendig, wie ein richtiger Star. Als ich mir damals das Bild ansah, konnte ich nicht glauben, dass sie tot sein sollte, dass ich sie nie wiedersehen würde. Und ich konnte auch nicht verstehen, wie ihre Lebensfreude mit ihrer unglaublichen Frömmigkeit zu vereinbaren war.
Ich habe erst vor zwanzig Jahren von der tiefen Religiosität meiner Mutter erfahren, als mein Vater uns allen ein Bündel ihrer Liebesbriefe schickte, die sie ihm geschrieben hatte, als er in der Air Force war und ihr den Hof machte.
Ich habe nur eines dieser romantischen Schreiben meiner Mutter gelesen. Danach konnte ich mich nicht dazu überwinden, weiterzulesen, denn ich selbst bin nicht religiös, und der religiöse Extremismus, der aus den Briefen meiner Mutter spricht, war für mich schwer zu fassen. Ihr Brief ist liebevoll und süß, aber macht auf mich einen leicht fanatischen Eindruck. Es geht immerzu darum, wie Gott die Liebe zu meinem Vater am Leben hält, Gott hier und Gott da. Ich kann keine weiteren Briefe lesen, weil ich eine andere Vorstellung von meiner Mutter habe und diese möchte ich nicht zerstören.
Mein Vater schickt auch Madonna Kopien dieser Briefe und ich denke, dass sie sie ebenfalls liest. Aber nichtsdestotrotz reden wir weder über die Briefe noch über unsere Mutter. Wir vermeiden es sogar, ihren Namen zu nennen.
Wir Ciccones haben vielleicht Angst davor, uns unseren Gefühlen zu stellen, aber ansonsten bringt uns nur wenig aus der Fassung. Schließlich fließt in unseren Adern das Blut von Siedlern und darauf sind wir stolz. 1690 flohen meine Vorfahren mütterlicherseits, die Fortins, aus Frankreich, segelten nach Quebec, das damals noch Wildnis war, und ließen sich dort nieder. Sie waren urtypische Siedler, rangen dem Land ab, was nötig war, um die Familie zu ernähren.
Mehr als 235 Jahre später heirateten meine Großmutter Elsie Fortin und mein Großvater Willard Fortin und sie verbrachten ihre Flitterwochen im prunkvollen Waldorf-Astoria in Manhattan. Obwohl Elsie es ein Leben lang bestreiten wird, zeigt der Familienstammbaum, dass sie und Willard entfernte Cousins waren. Vielleicht ist das die Erklärung dafür, warum Madonna und ich und unsere Geschwister so intensive Menschen sind, warum unsere Persönlichkeiten und Eigenschaften, unsere Stärken und Schwächen, so groß sind.
Unsere Vorfahren auf der Ciccone-Seite sind ebenfalls unkonventionell und wagemutig. Am Ende des Ersten Weltkriegs musste mein Großvater väterlicherseits – der damals erst 18-jährige Gaetano Ciccone – in den italienischen Alpen Gräben ausheben und wäre dabei fast erfroren. Er war überzeugt, dass die ihm verhassten Faschisten in Italien die Macht ergreifen würden und verließ deshalb die Armee, um wieder nach Hause zurückzukehren. Sein Zuhause war das idyllische mittelalterliche Dorf Pacentro in den Abruzzen, etwa 170 Kilometer östlich von Rom.
Dort heiratete er Michelina, ein Mädchen aus dem Dorf, dessen Vater ihm 300 Dollar Mitgift gab. 1918 kaufte er sich von dem Geld eine Fahrkarte nach Amerika, nahm einen Job im Stahlwerk in Aliquippa, Pennsylvania, an und ließ Michelina nachkommen.
Meine Großeltern hatten fünf Söhne, was erstaunlich ist, denn solange ich mich erinnern kann, hatten meine Großmutter und mein Großvater immer getrennte Schlafzimmer. Sogar im hohen Alter verschließt meine Großmutter jede einzelne Nacht beharrlich die sieben Schlösser an ihrer Schlafzimmertür.
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Meine Großeltern wohnen damals, als ich ein Kind bin, in einem alten, zweistöckigen Haus aus gelben Ziegelsteinen, mit knarrenden Dielen, einem feuchten Keller und einem dunklen, düsteren Dachboden, auf dem manchmal Fledermäuse umherfliegen. Großmutter Michelina hat einen außerordentlich nüchternen Einrichtungsgeschmack. Die große, burgunderfarbene Mohair-Couchgarnitur ist unbequem, weswegen ich auch nur ungern darauf sitze. Insgesamt wirkt das Haus dunkel und beunruhigend, genau wie meine Großeltern.
Meine Großmutter verbringt viel Zeit in der Küche und kocht italienische Spezialitäten wie Gnocchi. Wenn sie gerade nicht kocht, ist sie immer in ihrem hellgelben Schlafzimmer, dessen Holzfußboden durch ihr ständiges Auf-und-Ab-Gehen ganz abgewetzt ist. Überall hängen Rosenkränze, an den Wänden kleben verblichene Palmwedel, es brennen ununterbrochen Kerzen und auf jeder Ablagefläche stehen Bilder von Jesus. Wenn ich das Zimmer betrete, finde ich meine Großmutter auf ihren Knien vor, wie sie zur Jungfrau Maria betet – wahrscheinlich dass mein Großvater bald stirbt und ihr endlich nicht mehr auf die Nerven geht.
Mein Großvater ist ein großer, gebückter alter Mann, der zu viel trinkt und nur locker wird, wenn er uns zeigt, wie er eine Orange in nur einem Zug pellen kann. Nach seinem Tod wird meine Großmutter immer jammern, dass sein Geist sie heimsuche.
Wir mögen es nicht sonderlich, die Eltern unseres Vaters zu besuchen. Zum Glück verbringen wir nur einen Teil des Sommers bei ihnen. Aber wir mögen unsere Ciccone-Onkel, besonders Onkel Rocco, nach dem Madonna ihren Sohn benannt hat.
Als Kinder mögen wir die Verwandten der Fortin-Familie lieber, besonders die Mutter unserer Mutter – Elsie Mae, die wir Nanoo nennen. Sie erzählt mir immer, dass ich der Liebling meiner Mutter gewesen sei und dass sie mich immer das »Zeig mir!«-Kind genannt habe, weil ich ständig auf Dinge gezeigt und gesagt hätte: »Zeig mir!«
In vielerlei Hinsicht ist Nanoo für uns wie eine zweite Mutter. Ein Jahr vor meiner Geburt wurde sie Witwe. Sie hat weiches, gelocktes, braunes Haar, das sie im Stil der Fünfziger frisiert, freundliche brauen Augen, trägt pastellfarbene Kleider – sehr klassisch, nie auffällig – und duftet immer nach ihrem Lieblingsparfum, L’Air du Temps. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Lady.
Nanoos Mann, unser verstorbener Großvater Willard, war Holzhändler und relativ wohlhabend. Pink ist Nanoos Lieblingsfarbe und einmal hat Großvater ihr zum Geburtstag eine pinkfarbene Küche geschenkt: pinkfarbene Spüle, pinkfarbener Kühlschrank, pinkfarbener Geschirrspüler. Nanoos Zuhause ist elegant, ganz so wie Nanoo selbst, und sehr gemütlich eingerichtet – besonders die gelbe Ledercouch, auf der ich sehr gern spiele. In ihrem Keller hat sie eine holzgetäfelte Bar, ein Shuffleboard-Spielfeld und einen Kamin, der mich fasziniert.
Nanoo ist liberal. Ihre Söhne rauchen Pot in ihrem Keller. Mich nennt sie »Little Chris«. Ich besuche sie gern, weil sie uns bedingungslos liebt und jedem die gleiche Aufmerksamkeit schenkt. Als sie erfährt, dass meine Lieblingssüßigkeiten Circus Peanuts sind – orangefarbene Marshmallows in der Form von Erdnüssen –, bewahrt sie immer welche in einer Keramikschüssel, die die Form eines Huhns hat, auf der Küchenanrichte für mich auf.
Sie lässt uns so viel Nachtisch essen, wie wir wollen, und kocht uns unsere Lieblingsessen: pikante Fleischpasteten und Hühnersuppe mit Bandnudeln – ein Rezept aus Nordfrankreich. Noch Jahre später werde ich beide Gerichte kochen und dabei an sie denken. Heute, im Jahr 2008, ist Nanoo 98 Jahre alt. Die zweite Hälfte ihres Lebens war traurig. Ihr Mann starb viel zu früh und sie hat vier ihrer acht Kinder verloren, als diese junge Erwachsene waren. Außerdem musste sie zusehen, dass einige ihrer verbliebenen Kinder mit der Alkoholsucht zu kämpfen hatten. Das ist ein großes Problem unter vielen meiner Tanten und Onkel – unsere Familie wird davon regelrecht verfolgt. Aber Nanoo war immer unerschütterlich. Vor ein paar Jahren wurde sie vom Auto angefahren und ihr mussten an beiden Beinen Kniegelenk-Prothesen eingesetzt werden. Jetzt ist sie fast blind und lebt in einfachen Verhältnissen. Vor 15 Jahren war sie gezwungen, in ein kleineres Haus umzuziehen.
Nanoos Haus war für uns Ciccone-Kinder der Himmel, ein Ort, an dem wir alle gleich behandelt wurden und Madonna nicht der Star war wie zu Hause. Dass Nanoo es ablehnte, Madonna zu vergöttern, mag zum Teil eine Erklärung für das folgende Szenario sein: Als Madonna reich wurde, schlug ich vor, dass sie Nanoos Haus abbezahlen, ihr ein Auto kaufen und einen Fahrer sowie einen Koch für sie einstellen könnte, um ihr das Leben zu vereinfachen. Erwartet man von erfolgreichen Rockstars nicht, dass sie sich um ihre Familie kümmern? Aber meine Schwester – deren Vermögen sich 2008 auf über 600 Millionen Dollar beläuft und die Berichten zufolge 18 Millionen an die Kabbala-Glaubensgruppe gespendet hat – entschied sich damals lediglich dafür, unserer Großmutter 500 Dollar im Monat zukommen zu lassen und ihre Rechnungen zu bezahlen – für Madonna ein Tropfen auf den heißen Stein. Angesichts von Madonnas unbeschreiblichem Reichtum kommt es mir vor, als ob sie ausgerechnet der Großmutter gegenüber geizig ist, die geholfen hat, uns aufzuziehen.
Nanoo denkt anders darüber und ist Madonna für ihre Hilfe dankbar. Sie würde nie mehr erwarten oder um mehr bitten.
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Während des Koreakrieges ist mein Vater Silvio – »Tony« – in Alaska stationiert. Dort dient er zusammen mit Dale, einem Bruder meiner Mutter, und die beiden werden Freunde. Bald darauf ist mein Vater Trauzeuge bei Dales Hochzeit, auf der er meine Mutter kennenlernt. Sie verlieben sich und heiraten am 1. Juli 1955 in Bay City, Michigan.
Meine Eltern ziehen in die Thors Street in Pontiac, einer Satellitenstadt von Detroit. Unser Viertel befindet sich neben einer großen Brachfläche, auf der später der Pontiac Silverdome entstehen wird. Dann werden Tony, Marty, Madonna, Paula und ich geboren. Unsere Eltern haben sich entschieden, in der Thors Street zu wohnen, weil die Nachbarschaft sich aus einem Drittel Mexikaner, einem Drittel Afroamerikaner und einem Drittel Weiße zusammensetzt. Sie hoffen, dass das Leben in einer so multikulturellen Umgebung tolerante Menschen aus uns Kindern machen wird. Madonnas Videoclip zu Like A Prayer, in dem sie einen schwarzen Heiligen küsst – was für sie ein Ausdruck ihres Glaubens an ethnische Gleichheit war –, ist nur ein Beweis von vielen, dass unsere Eltern damit Erfolg hatten.
Unser Garten befindet sich neben den Eisenbahnschienen, hinter einem Maschendrahtzaun. In der Nähe unseres Hauses steht auch ein Strommast, der ein Brummen von sich gibt, das uns in den Wahnsinn treibt. Hinter den Schienen geht es 15 Meter bergab zu einer Kanalisationsröhre. Als wir alt genug sind, klettern wir in das Gullyloch neben den Schienen und folgen dem Abwasserkanal. Das ist unsere Art der Freizeitbeschäftigung.
Unser Vater darf uns eigentlich nicht von seinem Job erzählen, denn der ist streng geheim. Er arbeitet in der Rüstungsindustrie und designt Feuerungssysteme und Laser, zuerst bei Chrysler Defense und dann bei General Dynamics. Eines Tages, als ich auf der Highschool bin, bringt er ein revolutionäres Nachtsichtgerät und ein Foto von einem Panzer mit nach Hause. Nachdem er es uns gezeigt hat, müssen wir alle versprechen, nie darüber zu reden. Aber jetzt weiß ich wenigstens, womit mein Vater sein Geld verdient, und ich finde seinen Job cool.
Er hat das Gefühl, dass er sich auf unser Wort verlassen kann, weil er uns von klein an eingebläut hat, wie wichtig Ehrlichkeit und Moral sind. Der frühe Verlust unserer Mutter, der Madonnas Seele vielleicht traurig und hart gemacht hat – genau wie meine –, hat möglicherweise auch zu ihrem unstillbaren Verlangen beigetragen, von der ganzen Welt geliebt und bewundert zu werden. Dieses unerfüllte Verlangen trug dazu bei, dass sie ein Star wurde. Während der verfrühte Tod unserer Mutter indirekt ein Auslöser für Madonnas Streben nach Ruhm war, war es unser Vater, der ihr die Eigenschaften mitgab, die sie benötigte, um ihren Starstatus zu festigen: Selbstdisziplin, Verlässlichkeit, Ehrgefühl und eine gewisse Unerschütterlichkeit.
Die Unerschütterlichkeit unseres Vaters tritt deutlicher hervor, als unsere Mutter am 1. Dezember 1963 im Alter von dreißig Jahren verstirbt. Madonna ist schon alt genug, um sich an ihren Tod zu erinnern. Sie hat später in den Medien oft über die letzten Tage unserer Mutter, ihren Tod und die Zeit danach gesprochen. »Ich wusste, dass sie schon lange Brustkrebs hatte, deswegen war sie sehr schwach, aber sie hat ihr Leben bis zum Schluss ganz normal weitergeführt. Ich wusste, dass sie sehr zerbrechlich war und sie wurde immer zerbrechlicher. Sie hielt mitten am Tag inne, sie musste sich zwischendurch aufs Sofa setzen. Ich wollte, dass sie aufsteht und mit mir spielt, Sachen macht, die sie vorher gemacht hat«, erinnert sich Madonna.
»Ich weiß, dass sie versuchte, ihre Gefühle und ihre Angst nicht zu zeigen. Sie wollte nicht, dass wir es wissen. Sie hat sich nie beschwert. Ich erinnere mich, wie sie richtig krank war und auf dem Sofa saß. Ich ging zu ihr und kletterte auf ihren Rücken. Ich sagte: ›Spiel mit mir, spiel mit mir.‹ Aber sie tat es nicht. Sie konnte nicht und fing an zu weinen.«
Unsere Mutter verbrachte ein Jahr im Krankenhaus, aber Madonna zufolge bemühte sie sich, die Zähne zusammenzubeißen und sich ihren Kindern gegenüber nichts anmerken zu lassen. »Ich erinnere mich, dass meine Mutter immer viel lachte und Witze machte. Sie war immer fröhlich und deshalb war es nicht schlimm, sie dort zu besuchen. Kurz bevor sie starb, wollte sie einen Hamburger haben. Sie wollte einen Hamburger essen, weil sie lange nichts hatte essen können, und ich fand das richtig lustig.«
Obwohl ich erst drei bin, als meine Mutter auf dem Sterbebett liegt, erinnere ich mich daran, wie ich es mir in ihren warmen und trostreichen Armen gemütlich mache. Wir sind in einem fremden weißen Raum mit wenig Möbeln. Meine Mutter liegt in einem gusseisernen Bett. Mein Vater, meine Brüder und Schwestern stehen um das Bett herum. Sie verlassen das Zimmer. Ich kuschle mich dichter an meine Mutter. Mein Vater zieht mich sanft aus ihren Armen. Ich wehre mich gegen seinen festen Griff. Ich möchte meine Mutter nicht verlassen. Ich fange an, jämmerlich zu weinen. Dann sind wir im Auto und ich weine den ganzen Weg bis nach Hause. Ich sehe meine Mutter nie wieder noch werde ich mit zur Beerdigung genommen. Ich habe nur wenige Erinnerungen an die ersten Jahre nach dem Tod meiner Mutter. Ich kann mich nur daran erinnern, dass sich verschiedene Frauen um uns kümmern und dass Joan eine unserer Nannys ist. Joan, unsere »böse Stiefmutter«, ist die Frau, die ich jetzt aus freien Stücken Mom nenne. Sie hat diese Bezeichnung auf jeden Fall verdient. Mit der Zeit habe ich gelernt, sie zu lieben und im Nachhinein muss ich sagen, dass nur eine Frau, die ein bisschen verrückt oder total romantisch und mutig ist, einen Mann mit sechs Kindern heiraten würde.
Aber als sie in unser Leben tritt, hassen wir sie einfach alle. Den Boden dafür bereitet die Fortin-Seite unserer Familie, die nach dem verfrühten Tod unserer Mutter davon träumt, dass unser Vater eine enge Freundin der Familie heiraten würde. Er geht eine Weile mit der Freundin aus und entscheidet sich dann dagegen.
Als unser Vater stattdessen unsere Nanny Joan heiratet, sind die Fortins erbost und bezeichnen sie seitdem als »das Dienstmädchen«. Ich halte Joan eher für einen Stabsfeldwebel, denn sobald sie unseren Vater geheiratet hat, macht sie sich daran, seine ungezogenen Kinder mithilfe von Zeitplänen, Regeln und Vorschriften zu erziehen. Sie ist wie ein Feldmarschall.
Madonna würde den Vergleich nicht mögen, aber ironischerweise ist Joan der Mensch in unserer Familie, dem sie als Erwachsene am meisten ähnelt. In den letzten Jahren ist sie immer mehr wie Joan geworden. Sie besteht darauf, dass alles auf ihre Weise geschehen muss, es in ihren Zeitplan passen muss und dass man nach ihren Regeln lebt.
Immer, wenn Madonna und ich für eine Zeit zusammenwohnen, unterliege ich automatisch ihren strengen Regeln. Unter anderem darf ich drinnen nicht rauchen und sie besteht darauf, dass alles immer penibel sauber zu sein hat. Manchmal führt das zu einem Machtkampf zwischen uns. Ich spüre einfach zuweilen das Verlangen, mich zu behaupten und gegen sie zu rebellieren. Außerdem mag ich Regeln nicht sonderlich und häufig ermüdet es mich, Madonnas strenge Regeln zu befolgen. Ich weiß, dass ich der kleine Bruder bin, mich gegen die Regeln und Vorschriften meiner großen Schwester auflehne, aber ich kann nicht anders.
Ein Beispiel. Ich stehe zeitig auf und mache mir einen Sauerteigtoast. Das Geschirr stelle ich in die Spüle, weil ich mich darum kümmern will, wenn ich später wieder nach Hause komme. Ich gehe nach oben und höre Madonna schreien: »Christopher, du hast das verdammte Geschirr schon wieder nicht in den Geschirrspüler gestellt!«
Ich habe plötzlich das Gefühl, wieder zu Hause zu sein, und dass Joan jeden Moment hervorstürzen und mich bestrafen wird. »Mache ich, wenn ich wieder nach Hause komme«, rufe ich zurück. »Mach’s jetzt!«, brüllt sie. Ich tue es nicht. Mit viel Geklapper und Gemeckere macht sie es selbst. Sie ist verärgert und ich schätze, dass ich ihr das nicht verübeln kann. Ich verstehe, warum ihr Verhalten dem von Joan manchmal so ähnelt. Genauso wie Marlene Dietrich mit ihren Filmen großen Einfluss auf Madonna hatte, so spielte auch ihre Familie – Joan und mein Vater – eine große Rolle auf ihrem Weg zur Legende, und auch ich.
Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, muss ich sagen, dass Joan keine andere Wahl hatte, als uns mit eiserner Hand zu führen. Wir waren sehr wild und wollten ihre Autorität absichtlich bei jeder Gelegenheit untergraben. Ich bin mir sicher, dass sie nicht auf uns kleine Saboteure, die ihr das Leben zur Hölle machen wollten, vorbereitet war, als sie meinen Vater heiratete.
Joan ist klein und blond, ein nordischer Typ. Sie wurde in Taylor, Michigan, geboren, trägt immer grüne Caprihosen und hat eine Vorliebe für Antiquitäten und Tiefkühlkost. Es ist gut möglich, dass sie einmal eine ganz romantische Frau war. Schließlich hat sie unseren Vater in dem Jahr geheiratet, als der Film The Sound Of Music – Meine Lieder, Meine Träume veröffentlicht wurde – eine Geschichte über Maria, Gouvernante von Captain Von Trapps sieben Kindern, die ihn letztendlich heiratet, und in der die Familie danach glücklich bis an ihr Lebensende mit ihm zusammenlebt. Sie hat wahrscheinlich gedacht, dass wir die Von Trapps des Mittleren Westens werden würden und sie die Maria sei, die Climb Every Mountain trällern würde, während wir uns alle bewundernd an ihr festklammern.