Menschen mit  Down-Syndrom verstehen - Karin J. Lebersorger - E-Book

Menschen mit Down-Syndrom verstehen E-Book

Karin J. Lebersorger

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Beschreibung

Karin Lebersorgers Arbeit mit Menschen mit Down-Syndrom ist vom Bemühen geleitet, ihre seelischen Nöte zu verstehen­ und eine psychisch unbelastete Entwicklung zu unter­stützen. In diesem Buch widmet sie sich den Verhaltensweisen und ­Symptomen, mit denen sie in den letzten 18 Jahren in der Down-Syndrom ­Ambulanz Wien befasst war. Sie beschreibt die Auswirkungen frühester ­Erlebnisse, unbewusster Konflikte und vermiedener Auseinandersetzung mit dem Down-­Syndrom auf die Befindlichkeit und das Verhalten. Ein besonderes Anliegen ist ihr, in der Beratung gemeinsam mit den Eltern ein Verständnis für die zugrunde liegende innerpsychische und familiäre ­Dynamik zu entwickeln. Das Buch richtet sich an alle Fachpersonen, die in unterschiedlichen Kontexten mit Menschen mit Down-Syndrom arbeiten, sowie an interessierte Eltern und Bezugspersonen.

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Karin J. Lebersorger

Menschen mit Down-Syndrom verstehen

Karin J. Lebersorgers Arbeit mit Menschen mit Down-Syndrom ist vom Bemühen geleitet, ihre seelischen Nöte zu verstehen und eine psychisch unbelastete Entwicklung zu unterstützen. In ihrem zweiten Buch widmet sie sich den Verhaltensweisen und Symptomen, mit denen sie in den letzten 18 Jahren in der Down-Syndrom Ambulanz Wien befasst war. Sie beschreibt die Auswirkungen frühester Erlebnisse, unbewusster Konflikte und vermiedener Auseinandersetzung mit dem Down-Syndrom auf die Befindlichkeit und das Verhalten. Ein besonderes Anliegen ist ihr, in der Beratung gemeinsam mit den Eltern ein Verständnis für die zugrunde liegende innerpsychische und familiäre Dynamik zu entwickeln.

Das Buch richtet sich an alle Fachpersonen, die in unterschiedlichen Kontexten mit Menschen mit Down-Syndrom arbeiten, sowie an interessierte Eltern und Bezugspersonen.

Karin J. Lebersorger, Dr.in phil., Klinische- und Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin (WPV/IPA) und Supervisorin. Freie Praxis, Supervisorin der Basalen Förderklassen der Wiener Sozialdienste, Lektorin an der Wiener Psychoanalytischen Akademie, der FH Campus Wien, Studiengänge Soziale Arbeit und Logopädie-Phoniatrie-Audiologie, nominiertes Mitglied der Arbeitsgruppe »Qualitätssicherung frühe Kindheit« der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit. Bis Ende März 2024 Mitarbeiterin der Spezialambulanz für Menschen mit Down-Syndrom des Wiener Gesundheitsverbunds, ehemalige stellvertretende Leiterin und Teamleiterin Nord des Instituts für Erziehungshilfe (Child Guidance Clinic) Wien. Publikationen zu den Themen Down-Syndrom, Reproduktionsmedizin, Psychotherapie, Entwicklungspsychologie, Erziehung, Psychoanalyse. Bei Brandes & Apsel: Herausforderung Down-Syndrom (3. akt. Aufl., 2023), »Bin ich ein Klon-Kind?« (2022) und Herausforderung Kind (2020) zusammen mit Georg Sojka und Peter Zumer.

Karin J. Lebersorger

Menschen mit Down-Syndrom verstehen

Psychodynamisch orientierte Prävention, Beratung und Behandlung

Brandes & Apsel

Auf Wunsch informieren wir Sie regelmäßig mit unseren Katalogen »Frische Bücher« und »Psychoanalyse-Katalog«. Wir verwenden Ihre Daten ausschließlich für die Zusendung unserer beiden Kataloge laut der EU-Datenschutzrichtlinie und dem BDS-Gesetz. Bitte senden Sie uns dafür eine E-Mail an info@brandes-apsel. de mit Ihrer Postadresse. Außerdem finden Sie unser Gesamtverzeichnis mit aktuellen Informationen im Internet unter: www.brandes-apsel.de sowie www.kjp-zeitschrift.de

1. Auflage 2024

© Brandes & Apsel Verlag GmbH, Frankfurt a. M.

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, Mikroverfilmung, Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen oder optischen Systemen, der öffentlichen Wiedergabe durch Hörfunk-, Fernsehsendungen und Multimedia sowie der Bereithaltung in einer Online-Datenbank oder im Internet zur Nutzung durch Dritte.

Umschlag: Brandes & Apsel Verlag, unter Verwendung von Fotos der Autorin

© Karin J. Lebersorger.

DTP: Brandes & Apsel Verlag.

Druck: Stückle Druck, Ettenheim, Printed in Germany

Gedruckt auf einem nach den Richtlinien des Forest Stewardship Council (FSC) zertifizierten, säurefreien, alterungsbeständigen und chlorfrei gebleichten Papier.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.ddb.de abrufbar.

ISBN 978-3-95558-378-1 eISBN 978-3-95558-387-3

Inhalt

Einführung

Verstehender Umgang mit dem potenziell krisenhaften Beginn

Erstberatungen

Erstberatung zu Lebensbeginn

Pränatale Diagnosestellung

Fallbeispiel zur Pränatalberatung

Postnatale Diagnosestellung

Fallbeispiel zur postnatalen Beratung

Abwehr unerwünschter Gefühle

Erstberatung im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter

Verstehender Umgang mit den Folgen medizinischer Traumatisierung

Elterliches Erleben

Fallbeispiel zur Operation am offenen Herzen

Handlungssprache in Form aversiven Verhaltens

Handlungssprache durch Umkehr von passivem Erdulden in aktives Tun

Fallbeispiel zur Wendung von passiv in aktiv

Verbindungen schaffen

Fallbeispiel zu Reizen, die Eltern triggern

Spielerische Verarbeitung

Präventive Beratung

Fallbeispiel zur Wirkung altersgemäßer Vorbereitung

Fallbeispiel zur Umkehr von passiv Erlebtem in aktives Re-Inszenieren

Fallbeispiel zur Wirkung später Verbindungen

Verstehender Umgang mit dem Autonomiekonflikt

Verweigerung und Kontrolle

Fallbeispiel zum Autonomiekonflikt und Spannungsabfuhr

Fallbeispiel zu fehlender Triangulierung

Fallbeispiel zum Weglaufen und zum Rückzug

Fallbeispiel zum Weglaufen nach dem Wegfall außerhäuslicher Kontakte

Autonomie über die Ausscheidung

Fallvignette zur anal-urethralen Aggression

Fallbeispiel zum Stuhlverhalten

Verstehender Umgang mit Essstörungen

Beziehungsdynamik aufgrund organischer Besonderheiten

Oralität im Jugend- und Erwachsenenalter

Fallbeispiel zu Lust und Spannungsabfuhr durch orale Genüsse

Adipositas als interdisziplinäre Herausforderung

Fallbeispiel zur Trauer durch Verweigerung und Regression

Fallbeispiel zu oraler Aggression

Verstehender Umgang mit Phantasiegestalten und magischem Denken

Die Dominanz magischer Welterfassung

Fallbeispiel zur Externalisierung von Unangenehmem in eine Phantasiefreundin

Fallbeispiel zur Flucht in Phantasiewelten

Verstehender Umgang mit Identitätsdiffusion

Über Körper, Sexualität und Liebe Bescheid wissen

Fallbeispiel zu sexualisiertem Verhalten

Abdriften in Phantasiewelten

Auseinandersetzung mit dem Down-Syndrom

Fallbeispiel zur Identitätssuche

Fallbeispiel zur Selbstverwerfung

Fallbeispiel zum Streben nach Perfektion

Fallbeispiel zum Abfuhr von Anspannung und Erregung

Fallbeispiel zu adoleszenter Selbst- und Fremdaggression

Verstehender Umgang mit Isolierung und Stagnation

Wünsche nach Normalität

Bedeutung des Kinderwunsches

Fallbeispiel zum Kinderwunsch

Fallbeispiel zu nicht erwiderter Verliebtheit

Fallbeispiel zur Dynamik aggressiven Verhaltens

Fallbeispiel zur misslungenen Ablösung

Fallbeispiel zur Externalisierung von Ängsten und Schuld

Ausblick

Literatur

Stichwortverzeichnis

Dank

Für Simon, der mich immer wieder staunen lässt.

Einführung

Das Leben ist ein Labyrinth.

Du weißt nicht, wohin du musst.

Es gibt viele Sackgassen im Leben,

es ist wie ein Schlachtfeld:

Wer stark ist und es zeigt – gewinnt.

Hast du ein Ziel im Visier,

behalte es in den Augen

und gib niemals auf.

Wer aufgibt, ist schwach.

Mach was aus deinem Leben,

such dir einen Job.

Oder wünsch dir was, was dir Freude macht,

sag es einfach den Menschen,

denen du vertraust.

Auch wenn du von zu Hause ausziehen willst,

sag es einfach.

Du bist dein eigener Mensch,

mit deinen eigenen Wünschen

und mit großen Zielen.

Kämpfe für das, was du willst.

(Tichy, 2023, S. 8)

Mit meinem zweiten Buch für Menschen mit Down-Syndrom möchte ich dazu beitragen, dass sie und ihre Familien in seelischen Nöten verstanden werden. Es entwickelte sich aus der Praxis für die Praxis und richtet sich an alle, die professionell in unterschiedlichen Kontexten mit Menschen mit Down-Syndrom befasst sind, aber auch an interessierte Eltern und Bezugspersonen. Viele der behandelten Themen weisen über das Down-Syndrom hinaus und sind auch für Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen relevant. Ein verstehender Umgang mit Entwicklungskrisen sowie Verhaltensweisen und Symptomen, die die Entwicklung beeinträchtigen, zeichnet sich dadurch aus, dass die zugrunde liegende bewusste und unbewusste psychische Dynamik Berücksichtigung findet.

Nach über 30 Jahren psychologisch-psychotherapeutischer Arbeit mit Menschen mit Behinderungen und 18 Jahren im interdisziplinären Team der Down-Syndrom Ambulanz Wien1 stelle ich meine Erkenntnisse und Erfahrungen dar. Als Psychoanalytikerin und Klinische und Gesundheitspsychologin fokussiere ich auf die innerseelische und zwischenmenschliche Dimension, ohne medizinische sowie gesundheits- und sozialpolitische Aspekte außer Acht zu lassen. Über Down-Syndrom Wien2 und die Selbsthilfegruppe Down-Syndrom3 bin ich mit vielen Menschen mit Down-Syndrom und ihren Familien außerhalb des klinischen Kontextes in Kontakt und tief überzeugt, dass trotz der Herausforderungen der Chromosomenanomalie ein bejahendes Selbsterleben und ein glückendes Miteinander für Menschen mit Down-Syndrom und ihre Bezugspersonen möglich sind.

Jede Familie, mit der ich im klinischen Setting befasst bin, ist einzigartig, aber die Anliegen und Probleme gleichen sich oft so sehr, dass sie Auslöser für dieses Buch waren. Während ich in meinem ersten Buch4 Gleiches und Besonderes im Lebenszyklus von Menschen mit und ohne Down-Syndrom darstellte, greife ich nun mannigfache Schwierigkeiten auf, um zu vermitteln, auf Basis welcher Konzepte ihnen vorgebeugt werden kann, und wie sie verstanden und verändert werden können. So widmet sich dieses Buch den Erschütterungen der psychischen Gesundheit, vor allem in und nach potenziell krisenhaften Übergängen, bei Verlusten, Kränkungen, Unsicherheiten oder Konflikten. Ich greife die mir für einen verstehenden Umgang wichtigsten und mir klinisch am häufigsten begegneten Konstellationen auf, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Menschen mit Down-Syndrom werden psychisch von normativen Krisen, verinnerlichten Konflikten und traumatischem Erleben ebenso gefordert wie wir alle, verfügen aber meist nicht über die gleichen Bewältigungsmöglichkeiten und benötigen Bezugspersonen, die sie sprachlich und emotional unterstützen.

Meine Überlegungen sind nicht als Rezepte gedacht, die für jede Familie passen, sondern sollen zu einem verstehenden Umgang anregen. Ich möchte präventiv dazu beitragen, dass sich Menschen mit Down-Syndrom psychisch entfalten können und dass sie und ihre Bezugspersonen in ihrer Emotionalität und ihrer Beziehungsgestaltung bei Bedarf fundierte Unterstützung erhalten.

Ziel ist es, die Leserinnen und Leser zum Nachdenken über intra- und interpsychische Prozesse sowie zu deren Verständnis anzuregen. Meine theoretischen Ausführungen beziehen sich vorwiegend auf die bewusste und unbewusste Dynamik des Seelenlebens im Lauf der Entwicklung, die sich von Menschen ohne Down-Syndrom nicht wesentlich unterscheidet, jedoch durch die unterschiedlichen Ausprägungen des Down-Syndroms in besonderer Weise herausgefordert ist. Denn die körperlichen Besonderheiten des Down-Syndroms und die damit verbundenen motorischen, kognitiven und aktivsprachlichen Fähigkeiten umfassen ein Spektrum von in weiten Bereichen unbeeinträchtigter Entwicklung bis zu schwerer Mehrfachbehinderung. Nach jahrelanger Erfahrung bin ich der Überzeugung, dass Menschen mit Down-Syndrom vor dem Hintergrund ihrer syndromspezifischen Herausforderungen die gleichen Entwicklungsaufgaben zu bewältigen haben wie ihre Altersgenossinnen und Altersgenossen.

Der Aufbau des Buches orientiert sich an phasenspezifischen Entwicklungszielen und den Schwierigkeiten, sie zu erreichen.5

Ich werde aufzeigen, welche Bedingungen den Beginn des Lebens und die Säuglingszeit erschüttern, ihre Auswirkungen bis ins Erwachsenenalter beschreiben und zeigen, wie unterschiedliche Grade von Entwicklungsverzögerung die Autonomieentwicklung erschweren. Des Weiteren stelle ich dar, warum eine fehlende Auseinandersetzung mit der chromosomalen Besonderheit sowie die Vermeidung von altersgemäßer Sexualaufklärung die Identitätsfindung und die Sicherheit, sich erwachsen als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu erleben, erschweren. Viele Probleme, die mit Beginn der Pubertät und im Zug der adoleszenten Entwicklung auftreten, entstehen durch eine Regression auf infantile Entwicklungsstufen oder durch die Nachträglichkeit psychisch nicht-repräsentierter, unverarbeiteter Erlebnisse wie medizinische Traumatisierungen oder Trennungserfahrungen.

Ich stelle dar, dass unerwünschte Verhaltensweisen und die mir am häufigsten begegneten Symptome, wie beispielsweise Trotz, Verweigerung, Zwanghaftigkeit, Selbstgespräche oder Adipositas, die oft selbst in Fachkreisen als spezifisch für Menschen mit Down-Syndrom ausgewiesen werden, als Handlungssprache eine Bedeutung haben. Somit sind sie kreative Leistungen der Psyche in Not, die es zu verstehen gilt.6

Meine klinischen Erfahrungen mit Menschen mit Down-Syndrom und anderen Behinderungen und ihrem Bezugssystem sammelte ich in Ambulatorien für Entwicklungsdiagnostik und -rehabilitation, im ambulanten und stationären Bereich des Mautner Markhof’schen Kinderspitals, insbesondere auf der Station für Neurorehabilitation, in der Down-Syndrom Ambulanz des Wiener Gesundheitsverbunds, in privater Praxis und als Supervisorin der Mobilen Frühförderung und Familienbegleitung sowie der Basalen Förderklassen der Wiener Sozialdienste.

Die Spezialambulanz für Menschen mit Down-Syndrom wurde maßgeblich auf Initiative engagierter Eltern der Selbsthilfegruppe Down-Syndrom Wien in Anlehnung an internationale Vorbilder initiiert und am 21. März 2006, dem Welt-Down-Syndrom-Tag, eröffnet. Von Beginn an bis April 2024 war ich an zwei Nachmittagen pro Monat Teil des interdisziplinären Teams. Das Ambulanzangebot richtete sich bis Herbst 2023 an alle Menschen mit Down-Syndrom, nach deren Neustrukturierung im Herbst 2023 nur noch an Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, während erwachsene Menschen mit Down-Syndrom von der Inklusiven Ambulanz des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder Wien betreut werden.7

Die Angebote der Down-Syndrom Ambulanz werden sowohl von neu betroffenen Familien als auch von Familien, die erst im späteren Alter ihrer Kinder Unterstützung benötigen beziehungsweise von externen Kooperationsparter*innen bei syndromspezifischen Fragestellungen überwiesen werden, in Anspruch genommen. Sie verstehen sich als freiwillig und stehen auch Angehörigen und Betreuungspersonen offen.

Der Erstkontakt in der Down-Syndrom Ambulanz findet in der Regel interdisziplinär statt und umfasst medizinische und psychosoziale Beratungen sowie bei Bedarf ärztliche Untersuchungen. Für dringend benötigte Pränatalberatung, in akuten Krisen und für Folgetermine stehen die Mitarbeiterinnen zeitnah auch allein oder zu zweit zur Verfügung. Das Team aus Medizin, Psychologie/Psychotherapie und Sozialarbeit arbeitet gut eingespielt zusammen, um Familien, je nach Fragestellung, umfassend zu verstehen und zu unterstützen. Das interdisziplinäre Setting entlastet Eltern, da sie ihre Anliegen nicht jedes Mal aufs Neue vortragen müssen. Je nach Bedarf und Problemlage werden nach dem Erstkontakt mit dem gesamten Team weiterführende Termine für ärztliche Untersuchungen, Sozialberatung oder psychologisch-psychotherapeutische Abklärung oder Kurzintervention vereinbart.

Die Altersverteilung meiner Patient*innen weist Gipfel zu Beginn des Lebens und in der frühen Kindheit sowie im Jugendlichen- und Erwachsenenalter auf. Der Übergang vom Kind zum Erwachsen ist besonders krisenanfällig, da die frühkindlichen Entwicklungsphasen wiederbelebt werden, unbewusste Ängste und Konflikte das Erleben und Handeln beeinflussen und Symptome chronifizieren können. Viele der Interventionen im Jugend- und Erwachsenenalter finden im Rahmen von Folgeterminen mit mir statt, da die Familien dem Ambulanzteam bereits bekannt sind. Bei psychischen Problemen sind im zeitlich eng begrenzten Ambulanz-Rahmen psychotherapeutische Elternberatung und Krisenintervention, aber keine längeren psychotherapeutischen Prozesse möglich.

Wie viele meiner Fallbeispiele zeigen, biete ich am häufigsten psychotherapeutische Beratung der Eltern an, die ein gemeinsam gewonnenes Verstehen ihres Kindes zum Ziel hat, das die Grundlage für weitere Interventionen bildet. Manche Eltern, deren Kind ich von vorangegangenen Ambulanzterminen kenne, ersuchen bei Schwierigkeiten um ein Beratungsgespräch ohne ihr Kind. Durch die meist hohe elterliche Kompetenz, ihr Einfühlungsvermögen und den Wunsch, ihrem Kind zu helfen, können Eltern so aktiv dazu beitragen, rasch Veränderungen zu erreichen. Sie benötigen nicht nur Beratung bezüglich Fördermöglichkeiten, sondern Unterstützung, ihr Kind zu verstehen, und vor allem Ermutigung, mit ihm zu sprechen und ihr Verständnis mit ihm zu teilen, denn der Bedeutung des Sprechens mit Menschen mit kognitiven Behinderungen wird noch immer viel zu wenig Wert gegeben.8

Ist eine Psychotherapie angezeigt, überweise ich zu Kolleginnen und Kollegen in freier Praxis, wobei es sich oftmals als recht mühsam erweist, zeitnah einen geeigneten Platz zu finden, da leider viele Psychotherapeutinnen nicht mit Menschen mit kognitiven Behinderungen arbeiten.9 Sind die Voraussetzungen für Psychotherapie nicht gegeben, empfehle ich oft Musiktherapie, um Gefühle nonverbal auszudrücken und zu bearbeiten.10 Entwicklungsfördernde funktionelle Therapien werden in Wien dezentral in spezialisierten Zentren angeboten, wobei auch dafür der Bedarf größer ist als das Angebot, sodass es zu langen Wartezeiten kommt und wertvolle Zeit vor allem für all jene Kinder verloren geht, deren Eltern sich keine privaten Therapien leisten können.

Meine Fallbeispiele sind nach international gültigen Regeln anonymisiert und teils verdichtet, weil die gleichen Problemstellungen immer wieder an mich herangetragen werden. Bei den Namen meiner Patientinnen und Patienten handelt es sich um Pseudonyme, um gute Lesbarkeit zu schaffen. Da unser präventiver Beratungsansatz dazu beiträgt, potenziellen Krisen im Kindesalter vorzubeugen beziehungsweise diese rechtzeitig zu behandeln, damit sie sich nicht chronifizieren, liegt der Schwerpunkt meiner Kurzinterventionen im Jugend- und Erwachsenenalter.

Ich bin überzeugt, dass sich die jeder Problematik zugrunde liegende psychische Dynamik erst durch umfassende Anamnesegespräche verstehen lässt, die alle Entwicklungsbedingungen miteinbeziehen. Es finden sich die meist unbewussten Verbindungen zwischen aktuellen Auslösern und den ersten Lebensjahren sowie die Auswirkungen der Kumulation unverarbeiteter Lebensereignisse wie Abschiede oder Verluste. Da meist mehrere Faktoren an herausforderndem Verhalten oder an Symptombildung beteiligt sind und beides stets in ein familiäres Beziehungsgefüge eingebettet und daher nie eindimensional zu verstehen ist, illustrieren meine Fallbeispiele jenen Themenbereich, der meinem Verständnis nach dominiert. Eine fehlenden altersgemäße Auseinandersetzung mit dem Down-Syndrom, die auf jedem Entwicklungsniveau für die psychische Gesundheit essentiell ist und meinen Teamkolleginnen und mir leider allzu häufig begegnet, findet sich als zusätzliche Thematik bei vielen unserer Patientinnen und Patienten.

Die mir wichtigsten Problembereiche habe ich bereits in früheren Beiträgen für die Zeitschriften Leben Lachen Lernen – Menschen mit Down-Syndrom von heute und Leben mit Down-Syndrom sowie in Fachartikeln für Psychotherapeut*innen aufgegriffen und mit klinischen Fallvignetten illustriert. Einige davon sind in dieses Buch in überarbeiteter Form übernommen, da sie die zugrunde liegende Psychodynamik so klar ausweisen.

Menschen mit Down-Syndrom und ihren Familien wünsche ich, dass sich in Zukunft viel mehr Kolleginnen und Kollegen finden werden, die die Psycho- und Beziehungsdynamik aller Beteiligten einfühlsam verstehen, Beratung oder Behandlung anbieten und so zu einer gesunden psychischen Entwicklung beitragen.

Karin J. Lebersorger, im Sommer 2024

1Spezialambulanz für Menschen mit Down-Syndrom: http://www.down-syndromambulanz.at/ und Wiener Gesundheitsverbund: https://gesundheitsverbund.at/ichfuehl-mich-gut-mit-down-syndrom/ [Stand 12. Januar 2024].

2Down-Syndrom. Wien: https://www.down-syndrom.wien/ [Stand 12. Januar 2024].

3Down-Syndrom Österreich (DSÖ): https://www.down-syndrom.at/wien-niederosterreich-burgenland/ [Stand 12. Januar 2024].

4Lebersorger, 2023b.

5Vgl. Erikson, 1989, 1992.

6Vgl. von Klitzing, 2022, S. 145.

7Inklusive Ambulanz des Bamherzige Brüder Krankenhauses, Wien: https://www.barmherzige-brueder.at/portal/wien/medizinpflege/ambulanzen/mehrfachbehindertenambula [Stand 12. Januar 2024].

8Vgl. Datler, 2006; Dolto 1989; Mannoni, 1972; Niedecken, 2003; Sinason, 2000.

9Vgl. Heinemann, 2019: 440f.; Lebersorger, 2021: 289; Mannoni, 1972, S. 9, 13, 185; Sinason, 2000, S. 13.

10Vgl. Becker, 2002, 2021.

Verstehender Umgang mit dem potenziell krisenhaften Beginn

Plötzlich wirkt es unglaublich naiv, beinahe dummdreist, was wir alles in die ungeborene Yanti hineininterpretiert hatten. Wer sie einmal sein könnte und welche großartigen Dinge sie einmal tun würde. Aber vermutlich geht das allen Eltern so.

(Körner, 2019, S. 114)

Erstberatungen

Die Nachricht einer vermuteten Behinderung am Beginn des Lebens stellt für jede Familie eine erste potenzielle Krise dar, deren Verlauf von der Resilienz der Eltern, ihren Bewältigungsstrategien, der Sicherheit ihrer Paarbeziehung, vom Schweregrad der Beeinträchtigung und vielem mehr abhängt. Die Geburt eines Kindes mit Behinderung erschüttert elterliche Zuversicht und Sicherheit und ist für viele Eltern eine tiefe narzisstische Kränkung, die mit oft irrationalen Überlegungen und bewussten und unbewussten Phantasien bezüglich des Grundes der Behinderung einhergeht. In dieser Zeit bieten Beratungen durch das Team der Down-Syndrom Ambulanz, aber auch anderer Fachkräfte Unterstützung und Orientierungshilfe.11 Erstvorstellungen in der Down-Syndrom Ambulanz sind aber auch später bei besonderen Fragestellungen und Schwierigkeiten möglich.

So wie der erste Kontakt zwischen Eltern und Kind bereits pränatal, aber spätestens nach der Geburt von Bedeutung ist, fördert ein positiv erlebter professioneller Erstkontakt das Gelingen von Beratungsangeboten. Je mehr Eltern sich und ihr Kind angenommen und verstanden fühlen, desto größer ist ihre Bereitschaft, sich mit der herausfordernden Situation nicht nur rational, sondern auch emotional auseinanderzusetzen. Die Auseinandersetzung mit Gedanken und Gefühlen, die belastend sind oder abgewehrt werden, erachte ich für eine psychisch gesunde Entwicklung der Kinder essentiell.

Erstberatung zu Lebensbeginn

Die Diagnose Down-Syndrom erschüttert Eltern in unterschiedlicher Weise, abhängig von ihrer Persönlichkeit, ihrer Lebenserfahrung, ihren Bewältigungsstrategien und ihren Unterstützungsressourcen.12 Prä- und postnatale interdisziplinäre Beratung öffnet Eltern einen Raum für ihre Fragen und Zweifel und all die unerwünschten, weil so unangenehmen Gefühle von Angst, Scham, Schuld, Neid, Wut und viele mehr. In einer geschützten Atmosphäre können quälende Phantasien, mit dem Kind bestraft worden zu sein, und geheime Wünsche, das Kind anders oder weghaben zu wollen, geäußert werden. Psychisch ist dies wichtig und entlastend, da solche Gedanken nicht unterdrückt werden müssen, sondern gemeinsam ausgehalten und in ihrem Bedeutungszusammenhang verstanden und bearbeitet werden können.

Die damit einhergehende Entlastung steht mit dem Gehalten-Werden der Säuglingszeit in Verbindung. Liebevolle, Halt und Sicherheit gebende Beziehungserfahrungen in den ersten Lebensmonaten werden im prozeduralen Gedächtnis, dem Körpergedächtnis, gespeichert.13 Das Gehalten-Werden durch die Eltern und deren Fähigkeit, die Phasen, in denen ihr Baby vor Hunger, Angst oder Schmerz schreit, emotional auszuhalten, werden als hilfreich und entlastend verinnerlicht. Dies führt dazu, dass es in belastenden Situationen erleichternd ist, ein Gegenüber zu haben, das mit einem gemeinsam die damit verbundenen, schier unaushaltbar scheinenden Gefühle trägt. So kommt der Haltefunktion, sofern sie früh als entlastend erlebt wurde, im professionellen Bezug eine große Rolle zu, indem Schmerz und Verzweiflung in Beratungssituationen geäußert, ausgehalten, gemeinsam reflektiert und nicht bagatellisiert werden.

Die meisten Eltern halten die rohen Gefühle ihres Babys nicht nur aus, sondern begleiten sie mitfühlend, denken über sie nach und benennen sie. Auch an diese frühen verinnerlichten Erfahrungen des Bearbeitens durch das Gegenüber kann im späteren Leben angeknüpft werden. So entlastet Beratung durch die Funktionen des Haltens (holding function)14 und des Aufnehmens und Verarbeitens (Containment)15 von psychisch Unerträglichem. Dabei ist es wichtig, die Väter, die eher dazu tendieren, ihre Verletzlichkeit und Panik zu verbergen, in die Gespräche mit einzubeziehen. Väter, die ihre anfängliche Verzweiflung über die Behinderung ihres Kindes literarisch bearbeitet haben, beschreiben diese Ausnahmezustände eindrücklich, wie Fabian Sixtus Körner, den ich zu Beginn des Kapitels zitiere, oder Kenzaburo Oe:

Auch er war schwanger: mit der großen unruhigen Masse des Schamgefühls im Schoß seines Kopfes. (Oe, 1991, S. 137)

Ein wunschgemäßer, unbeschwerter Start ins Leben bildet eine sichere Basis für die emotionale Entwicklung eines Kindes und die Familienbeziehungen. Viele Kinder mit Down-Syndrom und ihre Eltern erleben in der ersten Zeit jedoch unerwartete Belastungen. Trotz eines schwierigen Beginns ist eine unbeschwerte emotionale Entwicklung möglich, wenn es gelingt, die Bedeutung früher Belastungen anzuerkennen, zu verstehen und sie in die Lebensgeschichte des Kindes und die Familiengeschichte zu integrieren, wie ich aufzeigen werde.

Für Eltern ist es in der herausfordernden ersten Entwicklungsphase ihres Kindes entlastend, versichert zu bekommen, dass sie jetzt, aber auch später keineswegs perfekt zu sein brauchen. Wenn die positiven Beziehungserfahrungen zu Beginn des Lebens überwiegen, entwickelt sich das Grundgefühl des Urvertrauens, ein lebenslänglicher Schutzfaktor, der mitbestimmt, wie die Welt erlebt und spätere Beziehungen gestaltet werden.16 Auch für Eltern eines Kindes mit Down-Syndrom ist das Urvertrauen von Bedeutung, da es dazu beiträgt, wie sie mit den Erschütterungen, die die Diagnosestellung mit sich bringt, umgehen. Für einen sicheren Start ins Leben braucht ein Baby mit Down-Syndrom daher Eltern, die sich mit all ihren Gefühlen, die mit der Chromosomenabweichung ihres Kindes einhergehen, auseinandersetzen und dafür die von ihnen benötigte Unterstützung erhalten: Alle werdenden Eltern hoffen auf ein gesundes Kind ohne chromosomale Besonderheiten, Fehlbildungen und Erkrankungen.

Bestätigt sich während der Schwangerschaft oder nach der Geburt der Verdacht einer Trisomie 21, so entspricht das Baby nicht dem Vorstellungskind, dem sogenannten imaginären Kind seiner Eltern.17 Während einer Schwangerschaft werden meist beiden Eltern Vorstellungen von ihrem erwarteten Kind bewusst.18 Phantasien über eigene Kinder und eigene Elternschaft, die stark von eigenen Erfahrungen geprägt sind, verinnerlicht jeder Mensch von frühester Kindheit an, unabhängig von späteren realen Kindern.

Nach der Diagnosestellung ist die schmerzhafte Erkenntnis der Diskrepanz zwischen dem realen und dem imaginären Kind eine emotionale Extremerfahrung, auf die Eltern je nach ihrer psychischen Verfassung und Resilienz reagieren.19 Das Spektrum reicht von Gefasstheit, verbunden mit der inneren Gewissheit, schicksalhafte Herausforderungen bewältigen zu können, bis zur totalen Ablehnung und Abgabe des Babys an die Kinder- und Jugendhilfe.

Leider kann nicht immer verhindert werden, dass Babys mit Down-Syndrom von ihren Eltern verlassen werden, wobei die Praxis zeigt, wie schwierig es ist, für Kinder mit Behinderungen, die ganz besonders liebevolle Beziehungserfahrungen für ihre Entwicklung benötigen, Pflege- oder Adoptivfamilien zu finden.

Pränatale Diagnosestellung

Durch die große Angst vor Krankheit und Behinderung nehmen fast alle Schwangeren die unterschiedlichen, sich stets weiter entwickelnden Methoden der Pränataldiagnostik in Anspruch. Im Vorfeld tauschen sich viele Eltern jedoch wenig darüber aus, wie sie mit einem auffälligen Befund umgehen würden, da die Hoffnung auf einen unauffälligen überwiegt. Stellt sich die Verdachtsdiagnose einer Trisomie 21 im Rahmen von nichtinvasiver Pränataldiagnostik, wird zu deren Bestätigung eine nachfolgende Amniozentese empfohlen, was Eltern vor existentielle Entscheidungen stellt.

Viele Eltern beklagen den Zeitdruck, unter dem sie sich gezwungen fühlen, eine unglaublich schwierige Entscheidung zu fällen. Sie äußern immer wieder, »von den Ereignissen und diagnostischen Befunden überrollt zu werden«. Der Bauch der Mutter ist nur noch Schauplatz weiterer diagnostischer Maßnahmen, das werdende Kind ein »Fall«, dessen Entwicklung von prozentualen Häufigkeiten abhängt. (Sobanski, 2021, S. 210)

Kommt für Eltern ein Spätabbruch der Schwangerschaft nicht infrage, nehmen manche keine weiteren Abklärungen vor, während sich andere für die Fruchtwasseruntersuchung entscheiden. So können sie sich bereits während der Schwangerschaft auf die künftigen Herausforderungen einstellen, vorbereiten und sich mit ihren damit verbundenen Gefühlen auseinandersetzen. Sind Eltern bezüglich der Fortsetzung der Schwangerschaft unentschlossen und bestätigt die Amniozentese eine Trisomie 21, beginnt für sie eine hochbelastende Phase, da sie sich in einem zeitlich begrenzten Rahmen für ihr Kind oder einen Spätabbruch entscheiden müssen.

Viele Eltern kontaktieren die Down-Syndrom Ambulanz in diesem Dilemma unter großem innerem Druck, weshalb zeitnahe Termine für Pränatalberatung essentiell sind. Die Beratungssituation eröffnet einen Raum für die Fragen der Eltern und ihre Gefühle, die gemeinsam ausgehalten werden.

Eine besondere Dynamik besteht, wenn sich die Eltern bezüglich ihrer Entscheidung uneins sind. In der Beratungssituation sind wir beispielsweise mit der Angst eines Vaters konfrontiert, dass ihn seine Frau hassen werde, wenn er sich für einen Spätabbruch ausspreche. Mütter quält oft die Sorge, von ihrem Partner verlassen zu werden, wenn sie sich für ihr Kind entscheiden. Die Entscheidung, die Eltern bezüglich ihres Ungeborenen treffen, wird sie lebenslang beschäftigen und hängt von intra- und interpsychischen, ethischen, sozialen, aber auch ökonomischen Aspekten ab. Deshalb empfehlen wir allen Eltern, bei denen zu spüren ist, dass sie die Beendigung der Schwangerschaft in Erwägung ziehen, sich danach psychotherapeutische Unterstützung zu holen.

Unsere nicht-repräsentative Beobachtung in der Down-Syndrom Ambulanz zeigt, dass es für Elternpaare leichter ist, ihr Kind anzunehmen, wenn sie selbst bereits Erfahrungen mit Menschen mit Behinderungen gemacht haben, beispielsweise im Familien- und Bekanntenkreis, beim eigenen Schulbesuch oder im Arbeitsumfeld. Sozial- und bildungspolitisch erachte ich dies als Auftrag, gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention20 eine qualitativ hochwertige Inklusion zu ermöglichen.

Auch Eltern, die schon krisenhafte Situationen gemeinsam gemeistert haben oder auf eine sichere familiäre Unterstützung zurückgreifen können, akzeptieren häufiger die schicksalhafte Besonderheit ihres ungeborenen Kindes. Sie bereiten sich auf das Baby vor und beginnen, den Verlust ihres Vorstellungskindes zu betrauern, ein Prozess, der sie bin ins Erwachsenenleben ihres Kindes in unterschiedlicher Intensität herausfordern wird. Allen, die das möchten, bieten wir psychologisch-psychotherapeutische Begleitung während der Schwangerschaft an. Sie ermöglicht, gemeinsam auch jene Gedanken auszusprechen und auszuhalten, die mit Scham und Schuld verbunden sind. Trotz der in ständiger Entwicklung begriffenen Methoden der Pränataldiagnostik bleiben die Zahlen der freiwilligen Erstvorstellungen im Säuglingsalter aus dem Großraum Wien in der Down-Syndrom Ambulanz in den letzten Jahren konstant.

Fallbeispiel zur Pränatalberatung

Ein junges Elternpaar, das sein zweites Kind erwartet, dessen Trisomie 21 mittels Amniozentese bestätigt wird, nachdem sowohl die Nackenfaltenmessung als auch der Nicht-invasive Pränataltest (NIPT) deutliche Hinweise darauf gegeben haben, deponiert im Erstgespräch tiefe Verzweiflung. Beide sind sich einig, dass sie mit einem Spätabbruch der Schwangerschaft so tiefe Schuld auf sich laden würden, dass sie sich für ihr Kind bereits entschieden haben. Dies, obwohl sie vermeinen, von ärztlicher Seite eine Infragestellung dieses Schritts zu spüren.

Die Mutter äußert Hilflosigkeit und Überforderung, weil sie auf kein familiäres Unterstützungsnetzwerk zurückgreifen kann. Sie äußert Ängste, erneut in eine depressive Phase zu gleiten wie vor ihrer ersten Schwangerschaft. Damals hat sie psychologische Hilfe erhalten, weshalb sie auch jetzt die angebotenen Gespräche positiv erlebt.

Der Vater gesteht, dass in ihm vor dem Einschlafen oft Phantasien aufkommen, einfach wegzulaufen, versichert aber, dass er dies aufgrund der Liebe zu seiner Familie nie machen würde. Er und seine Frau hätten schon einige Schwierigkeiten bewältigt, was ihn ein wenig zuversichtlich stimme.

Meine haltende, verstehende Präsenz ermöglicht es den Eltern, Belastendes auszusprechen, miteinander zu teilen und sich in Folge ganz konkret mit familienentlastenden Unterstützungsangeboten auseinanderzusetzen, die sie in Anspruch nehmen wollen.

Postnatale Diagnosestellung