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Noch ein paar Jahre, dann kommt die Unsterblichkeit. Zumindest wenn die Auguren im Silicon Valley recht behalten. Denn für das Jahr 2040 verheißen sie die Überwindung der Schwelle von künstlicher und organischer Intelligenz, das heißt, du wirst dann dein Gehirn auf einen Computer uploaden können und seinen Inhalt verewigen. Und nicht nur das. Du wirst ein Knoten im World Wide Web, ein Gehirn wird dein PC, dein PC zu deinem Gehirn. Schöne neue Welt oder etwa nicht? Vom Menschen, wie wir ihn kannten, wird jedenfalls nicht viel bleiben, wenn Cyborgs, Roboter und digital optimierte Wesen die Welt bevölkern. Und ob das wirklich wünschenswert ist, ist nicht allein die Frage von Romantikern und Ewiggestrigen. In seinem Essay erläutert der Philosoph Christoph Quarch, warum der Mensch vielleicht doch nicht so antiquiert ist, wie uns die Propagandisten des Transhumanismus glauben machen wollen.
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Seitenzahl: 75
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„MENSCHENDÄMMERUNG...“
Transhumanismus, Human Enhancement unddas drohende Ende einer antiquierten Spezies
von DR. PHIL. CHRISTOPH QUARCH
Für Immanuel und Martha
EINLEITUNG: DIE ANTIQUIERTHEIT DES MENSCHEN
TEIL 1: DIE VERWESUNG DES MENSCHEN
Big Data. Unterwegs zum digitalen Faschismus
Biotec und Human Enhancement
Robotik und Künstliche Intelligenz. Die totale Mobilmachung
Transhumanismus und Immortalismus. Das digitale Reich
TEIL 2: OPTIMIERUNGSPROGRAMME EINST UND JETZT
Protohumanismus. Die Formung des Menschen nach dem Bild der Götter
Humanismus. Die Ermächtigung des Menschen zur Kreativität
Superhumanismus. Nietzsches Vision des Übermenschen
Transhumanismus. Die Verklärung der Maßlosigkeit und die unheilige Allianz von Kapital und digitaler Macht
TEIL 3: DIE SCHLACHT DER GÖTTER ODER: DIE MYTHOLOGISCHE DIMENSION UNSERER ZEIT
Die Macht der Titanen. Warum wir Sklaven unserer Technik sind
Die Notwendigkeit der Olympier. Warum nur noch ein Gott uns retten kann
Menschenwerk: Askese und Utopie
SCHLUSS: ERMUNTERUNG
Im Jahre 1956 erschien ein denkwürdiges Buch mit einem beunruhigenden Titel: „Die Antiquiertheit des Menschen“. Der Autor war Günther Anders, und die drei Hauptthesen, die er in seinem Werk vorlegte, hatten etwas durchaus Verstörendes:
„dass wir der Perfektion unserer Produkte nicht gewachsen sind; dass wir mehr herstellen, als wir uns vorstellen und verantworten können; und dass wir glauben, das, was wir können, auch zu dürfen.“ (1)
Die Produkte, von denen hier die Rede ist, sind die Erzeugnisse dessen, was Anders die „dritte industrielle Revolution“ nannte: die technische Aufbereitung der Nuklearenergie. Mit ihr, so Anders, habe die Menschheit eine neue Epoche eingeläutet, die dadurch markiert sei, dass sie in Wahrheit keine Epoche mehr sei:
„weil das Beiwort ‚epochal‘ noch das Weitergehen der Geschichte und die Nachfolge weiterer Epochen als selbstverständlich unterstellt – eine Unterstellung, die uns Heutigen eben nicht mehr erlaubt ist.“(2)
Gravierend und erschreckend erschien vor 60 Jahren der Triumph der Nukleartechnologie – so gravierend, dass eine weitere, vierte industrielle Revolution gar nicht denkbar erschien. Als Günther Anders jedoch im Jahre 1980 einen zweiten Band der „Antiquiertheit des Menschen“ vorlegte, war er hellsichtig genug zu erkennen, dass durchaus eine weitere, nicht minder gravierende technische Revolution am Horizont aufzog: die Revolution der Biotechnologie, die er mit den Stichworten „Cloning“ und „Gen-Manipulation“ belegte. Damals notierte er:
„Während der Atomkrieg die Vernichtung der Lebewesen inklusive der Menschen bedeutet, bedeutet das ‚cloning‘ die Vernichtung der Species qua Species, unter Umständen die Vernichtung der Spezies Mensch durch Herstellung neuer Typen.“(3)
Diese „Umstände“ sind inzwischen eingetreten. Denn was Günther Anders noch nicht absehen konnte, ist inzwischen eingetreten: eine vollständige Veränderung der uns bislang geläufigen Welt infolge des unvergleichlichen Triumphes der Informations-Technologie bzw. der Digitalisierung des Lebens. Die rasante Entwicklung der Computertechnologie und des Internets hat den Menschen in die Lage versetzt, die von Anders visionär erahnte „Vernichtung der Spezies Mensch durch Herstellung neuer Typen“ aktiv zu betreiben. Und alle Zeichen deuten darauf hin, dass es Menschen gibt, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wollen und Gebrauch machen werden. Diese Menschen scheuen sich nicht, ihren Vorsatz offen im Schilde zu führen: Sie nennen sich Transhumanisten – und signalisieren damit für jeden, der Ohren hat zu hören, worum es ihnen zu tun ist: ein Hinausgehen über den Menschen, eine Überwindung oder auch Abschaffung des Menschen. Denn inmitten der von ihnen mit großem Geschick und unter außerordentlicher Anstrengung entwickelten Gerätschaften, nimmt der Mensch sich nicht mehr nur aus wie „ein verstörter Saurier“ (so Anders 1956), sondern wie ein Untoter – ein Zombie, der zusammen mit seiner Lebendigkeit auch sein Wesen als Mensch eingebüßt hat und fortan lediglich als Nutzer oder Verbraucher sein Unwesen treibt. Der ohnehin schon antiquierte Mensch ist dabei, sich der transhumanen Verwesung anheimzugeben. Und das geschieht nicht einfach so und schicksalshaft, sondern es geschieht mit Methode und Plan.
Genau deshalb ist es im vollen Sinne des Wortes not-wendig, sich die Augen zu reiben, die Stimme zu erheben und gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, um herauszufinden, ob es einen Weg gibt, die Verwesung des Menschen abzuwenden.
Die Verwesung des Menschen führt vorerst nicht zu seiner physischen Vernichtung. Vielmehr beraubt sie den Menschen seines Wesens. Der Urheber dieses Geschehens ist freilich nicht leicht dingfest zu machen, denn es ist die von Menschenhand geschaffene Technik selbst, die ein feinziseliertes Intoxinationssystem rund um den Globus gelegt hat. Wir kennen es als Internet – als das Netz. Ein Netz, das lohnt sich einen Augenblick lang zu bedenken, ist wesentlich eine Waffe. Ursprünglich dient es zum Töten. So das Spinnennetz, so das Fischernetz. Später erst wird es zum Fangnetz für fliegende Bälle oder entgleiste Skiläufer. Von Hause aus, soll man sich in ihm verstricken. Gilt das auch fürs Internet? Das vielleicht nicht, doch wohnt die Möglichkeit der Waffe auch in ihm. Und diese Möglichkeit wird Wirklichkeit. Und diese Wirklichkeit ist furchtbar. Denn ein globales Netz ist nicht irgendeine Waffe. Das Internet birgt die Gefahr, zur Massenvernichtungswaffe zu werden: zur seelischen Massenvernichtungswaffe.
Als solche wird es wenigstens gegenwärtig von denen aufgerüstet, in deren Händen es sich befindet: den IT-Riesen des Silicon Valley und den mit ihnen kollaborierenden US-amerikanischen Eignern der Hardware des Netzes. Big Data ist das Stichwort, das hier fallen muss – eine freundliche Umschreibung dafür, was wir gegenwärtig erleben: die Heraufkunft eines weltumspannenden, digitalen Faschismus.
Niemand sollte sich über die Macht täuschen, die heute im Silicon Valley akkumuliert ist. Mit Apple, Facebook, Google & Co – wie ich sie der Kürze halber nennen werde – ist eine Konzentration von Kapital, Intelligenz und technischer Macht entstanden, die ihresgleichen sucht.
Das wertvollste börsennotierte Unternehmen der Welt im Februar 2016 war der Google-Mutterkonzern Alphabet mit einem Börsenwert von 570 Milliarden Euro. Dass die Umsätze des Google-Mutterkonzern Alphabet ebenfalls in die Milliarden gehen, versteht sich von selbst. Zum Vergleich: Der Börsenwert des Unternehmens im Jahr 2014 lag damals noch bei „nur“ 250 Milliarden Euro. Diese monströse Übermacht hat im Frühjahr 2014 dazu geführt, dass mehrere Internet-Firmen bei EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia Klage gegen den IT-Giganten eingelegt haben. Der Vorwurf: Google versucht mit unfairen Methoden, kleine Firmen aus dem Markt zu drängen, um ungehemmt die Daten unseres Alltags zu sammeln.
Ja, wenn es nur das wäre! Die Marktmacht von Google reicht längst in das Feld der politischen Macht hinüber. Als im Februar 2010 drei Manager von Google (bzw. der Google-Tochter youtube) von einem italienischen Gericht zu Bewährungsstrafen verurteilt wurden, dauerte es nicht lange, da waren sie schon wieder frei (4). Seither reißen die Gerüchte nicht ab, dass womöglich ein Anruf aus der Konzernzentrale beim italienischen Justizministerium reichte, um einen Freispruch der Herren zu erwirken. Das mögliche Abschalten der Google-Dienste in Italien mit der Folge des Ausfalls von 80 Prozent der italienischen Mobiltelefone habe seine Wirkung nicht verfehlt.
Selbst wenn es nur ein Gerücht ist: Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass es genauso läuft. Denn alle Gewalt, so will es scheinen, geht längst nicht mehr vom Volke aus, sondern vom IT-Konzern. Und wir dürfen sicher sein, dass es dabei oft um mehr geht als um die Freilassung von Managern. Nach einem Bericht des „Wall Street Journal“ hat Google so viel Zugang ins Weiße Haus wie kaum ein anderes Unternehmen (5). Nur zur Erinnerung: Apple-Gründer Steve Jobs drang zu Lebzeiten wiederholt darauf, die US-amerikanische Automobilindustrie wieder zum Weltmarktführer zu machen. Seither arbeiten im Silikon Valley Apple, Google und Tesla mit Hochdruck daran, sich den globalen Markt für Elektro-Autos unter den Nagel zu reißen(6). Da werden sich doch auch Wege und Mittel finden, die deutsche Automobilindustrie auszuschalten, oder etwa nicht...? In den USA kann man ja schon mal damit anfangen... - Noch mehr Gerüchte...
So oder so: Das Internet taugt zur Waffe. Und wer die Herrschaft über diese Waffe hat, der hat die Herrschaft über die Welt. Darüber sollte man sich nicht täuschen. Wie jedes von Menschen gemachte Ding lässt sich das Internet für hehre Zweck verwenden – genauso aber lässt es sich für die Anwendung von Gewalt instrumentalisieren. Und eben das geschieht dauernd, fortwährend und kaum verborgen. Die Schaltzentrale liegt im Silicon Valley. Nach meinem Dafürhalten bei Apple und Google gleichermaßen.
Ich weiß, dass ich einigen von Ihnen nun werde wehtun müssen, aber es hilft nichts: Sie müssen sich mit dem Gedanken anfreunden, dass ihre liebsten Freunde sie verraten schon längst verraten haben – Ihre iPhones und Tablet-Computer.
Denn selbstredend kann Apple mühelos über das iPhone jedes Gespräch von ihnen abhören – auch wenn Ihr Gerät ausgeschaltet ist. Und natürlich kann Apple die solcherart gewonnenen Informationen auch speichern und auswerten. Immer größere und immer leistungsstärkere Rechner werden von den IT-Giganten rund um den Globus installiert, damit auch das letzte Molekül auf Erden irgendwann digital erfasst und kontrolliert werden kann.
Gegenwärtig schickt Google sich an, das Netz immer enger zu stricken – bis es kein Entrinnen mehr gibt. So arbeitet der Konzern fieberhaft daran, die Herrschaft über den internationalen Luftraum zu gewinnen. Nicht zufällig schluckte der Konzern den Drohnen-Hersteller Titan Aerospace (7). Es geht offiziell darum, fliegende Roboter für die Zustellung von Waren zu entwickeln (8). Doch nicht nur das. 2014 kursierte durch die Medien, dass Google vor hat, sowohl eigene Satelliten in den Orbit zu schicken(9)