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«Ich leide an Verfolgungswahn. Das ist das Einzige, was mich von meinen Verfolgern unterscheidet.» So beginnt der lang erwartete dritte Band von Martin Walsers Meßmer-Büchern – eine Sammlung irrlichternder Gedanken, Sinnsprüche, Seelennotate. «Jeder weiß, wie alt du bist. Nur du nicht», heißt es da melancholisch oder: «Ich bin die Asche einer Glut, die ich nicht war.» Meßmers Momente sind Augenblicke, die bemerkenswert sind – wegen ihrer Schwere. Sie leben vom Selbstausdruck mit jedem Risiko, und genau dieses Risiko birgt auch die Schönheitschance, die Erlösung. «Ich muss mich meiden. Wie meidet man sich?» Je dunkler seine Stimmung ist, desto heller leuchtet, was dieser Meßmer durchs In-Worte-Kleiden daraus macht. Und tatsächlich, Meßmers Momente sind ein Balanceakt: schwebende Momente der Schwere, leuchtende Momente des Dunklen, durch sprachlichen Ausdruck zum Funkeln gebrachte Düsternis. Hier, nur scheinbar verborgen hinter dem Namen Meßmer, zeigt sich ein Ich im Widerstreit zwischen Welterkundung und Subjektivität, Wirklichkeit und Wunsch.
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Seitenzahl: 41
Martin Walser
«Ich leide an Verfolgungswahn. Das ist das Einzige, was mich von meinen Verfolgern unterscheidet.» So beginnt der lang erwartete dritte Band von Martin Walsers Meßmer-Büchern – eine Sammlung irrlichternder Gedanken, Sinnsprüche, Seelennotate. «Jeder weiß, wie alt du bist. Nur du nicht», heißt es da melancholisch oder: «Ich bin die Asche einer Glut, die ich nicht war.»
Meßmers Momente sind Augenblicke, die bemerkenswert sind – wegen ihrer Schwere. Sie leben vom Selbstausdruck mit jedem Risiko, und genau dieses Risiko birgt auch die Schönheitschance, die Erlösung. «Ich muss mich meiden. Wie meidet man sich?» Je dunkler seine Stimmung ist, desto heller leuchtet, was dieser Meßmer durchs In-Worte-Kleiden daraus macht.
Und tatsächlich, Meßmers Momente sind ein Balanceakt: schwebende Momente der Schwere, leuchtende Momente des Dunklen, durch sprachlichen Ausdruck zum Funkeln gebrachte Düsternis. Hier, nur scheinbar verborgen hinter dem Namen Meßmer, zeigt sich ein Ich im Widerstreit zwischen Welterkundung und Subjektivität, Wirklichkeit und Wunsch.
Martin Walser, 1927 in Wasserburg am Bodensee geboren, war einer der bedeutendsten Schrifststeller der deutschen Nachkriegsliteratur. Für sein literarisches Werk erhielt er zahlreiche Preise, darunter 1981 den Georg-Büchner-Preis, 1998 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2015 den Internationalen Friedrich-Nietzsche-Preis. Außerdem wurde er mit dem Orden «Pour le Mérite» ausgezeichnet und zum «Officier de l’Ordre des Arts et des Lettres» ernannt. Martin Walser starb am 26. Juli 2023 in Überlingen.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, März 2013
Copyright © 2013 by Rowohlt Verlag GmbH,
Reinbek bei Hamburg
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.
Covergestaltung Frank Ortmann
Coverabbildung ohne
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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ISBN 978-3-644-02831-9
www.rowohlt.de
Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.
Für Michael Felder
(1966–2012)
Meine Seele ist, wie ein Fisch aus ihrem Elemente auf den Ufersand geworfen, und windet sich und wirft sich umher, bis sie vertrocknet in der Hitze des Tages.
Friedrich Hölderlin
Was soll ich mit Gefühlen anfangen, als sie wie Fische im Sand der Sprache zappeln und sterben zu lassen?
Robert Walser
Gestern und heute ein wenig geschrieben […].
Es ist trotz aller Wahrheit böse, pedantisch, mechanisch, auf einer Sandbank ein noch knapp atmender Fisch.
Franz Kafka
Ich leide an Verfolgungswahn.
Das ist das Einzige, was mich von meinen
Verfolgern unterscheidet.
Dass die Narbe auf der Stirn heute wieder
zu bluten anfing, ist ein Zufall.
Aber einen reinen Zufall mag ich es nicht nennen.
Also ein unreiner Zufall.
Das Meer schöpf ich mit dem Fingerhut
in meine Wüste der Geduld.
Im Alphabet sind meine Schiffe gestrandet.
Würf ich mich nicht gern in die Höhe,
löste Fesseln mit blumigen Händen
und atmete mich frei! Aber ich bin
verurteilt zu schleppen
ein Schicksal scheppernder Schwärze.
Aus allen Sinnen strömt Verhängnis.
Von euren Gedanken bewohnt, verlasse ich mich.
Keinen Freund zu haben macht reich.
Ich predige den Insekten. Als Schmuck trage ich
Diagnosen.
Die Käfigstäbe lassen zu viel Welt herein.
Der Welt genügt es nicht, dich zu besiegen.
Du sollst ihr fort und fort gestehen, dass dir
Recht geschah.
Ich zu sagen tut weh. Ich bin die dritte Person.
Und der ist mit mir per Sie, auch wenn er mich
aufdringlich duzt.
Dass ich so gebunden bin an mich.
Könnt ich mich trennen, es käm mir zugut.
Man kann sich nicht verhalten, wie es
das Beste wäre für einen selbst. Bin ich
mein Feind?
Außer dir hast du keinen Feind.
Das haben sie dir beigebracht.
Ich kenne keinen, den ich, wenn ich ihm sage,
es gehe mir gut, nicht gegen mich einnähme.
Ich muss mich meiden.
Wie meidet man sich?
Am liebsten möchtest du nur noch
dir selber verständlich sein.
Es tut weh, die Sprache derer benützen zu müssen,
die dich schinden.
Sich zusammenfalten, verkleinern,
bis du ein Knäuel bist und hart.
Ich bin eine Wohnung, aus der ich ausgezogen bin.
Das Dasein ist ein Dickicht oder eine Leere.
In beidem ist es schwer, sinnvolle Bewegungen
zu machen.
Du verlierst mehr, als du gehabt hast.
Ich will nichts wissen von wirklichen Leiden.
Was nicht eingebogen ist in die Ausdrucksstraße,
will ich nicht sehen.
So auf Bedeutung bestehen
wie der und der? Ich zieh
es vor, nichts zu erleben,
ich mag gern vergehen.
Ich weiß nicht, wie, und weiß nicht, was,
nur dass ich gerne sänge,
aber mein Mund ist schwer und schwarz
und schreit vor Enge.
Die Wirklichkeit ist ein andauernder Attentatsversuch,
der schließlich zum Erfolg führt.
Die Welt ist alles, was verpfuscht ist.
Zertritt mich doch, Wunsch,
mit der Wucht deiner Unerfüllbarkeit.
Glaub nicht den Sekunden willkürlichen Stärkegefühls,
das dir vorgaukelt, du seist selbst die Quelle von
allem und unabhängig und könntest deshalb entwerfen,
bauen, gestalten, wie es dir beliebt. Das könnte alles
falsch sein. Vielleicht schön. Verlässlich ist nur, was du
nicht machst, sondern entgegennimmst. Schön oder