Metaphysik - Jakob Reul - E-Book

Metaphysik E-Book

Jakob Reul

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Beschreibung

Meine "Metaphysik" besteht aus vier Teilen. Der erste Teil ist dem Seele-Leib-Problem gewidmet. Die Existenz der Seele ist nicht bewiesen, sie ist aber auch nicht widerlegt. Innerhalb meines Modells erkläre ich das Lebewesen mit einer Seele, die an den Leib gebunden ist. Der zweite Teil beschreibt das Phänomen der Spaltung. Das Bewusstsein spaltet einen Teil von sich ab, auf den es nicht mehr zugreifen kann. Dieser Teil ist das Selbst. Das Ich entfremdet das Selbst und denkt sich selbst wie eine fremde Sache. Zustand des modernen Menschen. Der dritte Teil fällt in den Bereich "Philosophie der Naturwissenschaften". Wenn der leere Raum nicht existiert - wie es Aristoteles, Descartes und Einstein annahmen -, dann ist der Raum nicht das, wofür wir ihn halten. Ein absoluter Raum wird leerer und voller, doch ein relativer Raum leert sich nicht, weil er in leerer Form gar nicht existiert. Was geschieht mit dem relativen Raum, wenn seine Dichte sinkt? Der vierte Teil ist die Synthese der o.g. Teile. Ich verknüpfe mein Modell der menschlichen Natur mit meiner Kosmostheorie. Ich beschreibe - innerhalb meines Systems - die Entwicklung vom Universum über die Erde, das Leben bis zurück zum Menschen. Am Ende befinden wir uns am Anfang. Meine Theorie ist ein geschlossenes Modell der Welt.

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METAPHYSIK

Zur Natur des Menschen

1.1. Ich

1.2. Schema

1.3. Wesen

1.4. Terra Nullius

1.5. Ausschließung

Vergeistigung

2.1. Selbst

2.2. Die falsche Idee

2.3. Kontrolle & Hingabe

Immaterie

3.1. Wavicle

3.2. Frequenz

3.3. De Caelo

3.4. Im Bauch des Wals

3.5. Sechs Vorgänge

3.6. Laplacescher Dämon

Sein und Werden

4.1. Ursache

4.2. Gott

4.3. Zelle

4.4. Tier

ZUR NATUR DES MENSCHEN

Ich

Solon: Verrate mir: Was ist der Mensch?

Melissos: Der Mensch ist ein Lebewesen.

Solon: Was macht ihn zu einem Lebewesen?

Melissos: Sein lebendiges Wesen, sein Leib.

Solon: Der Leib kennzeichnet den Menschen?

Melissos: Der Leib ist das Kennzeichen aller Lebewesen.

Solon: Jedes Lebewesen besitzt einen Leib?

Melissos: Der Mensch, das Tier, die Pflanze.

Solon: Ist der Mensch ein Tier?

Melissos: Er ist keines im gewöhnlichen Sinne.

Solon: Was unterscheidet ihn von den Tieren?

Melissos: Der Mensch erkennt sich selbst.

Solon: Das Tier erkennt sich nicht selbst?

Melissos: Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das sich erkennt.

Solon: Erkennt sich das Tier in geringem Maße oder überhaupt nicht?

Melissos: Das Tier lebt bewusst in Bezug auf die Welt, jedoch unbewusst in Bezug auf sich selbst.

Solon: Das Tier hat kein Selbstbewusstsein?

Melissos: Das selbstbewusste Tier ist der Mensch.

Solon: Haben alle Tiere das gleiche Bewusstsein von der Welt?

Melissos: Die entwickelten Lebewesen verfügen über ein stärkeres Bewusstsein als die primitiven.

Solon: Das Bewusstsein entwickelt sich?

Melissos: Es entsteht allmählich.

Solon: Das Selbstbewusstsein entsteht nicht allmählich?

Melissos: Ich würde sagen, das Selbstbewusstsein entsteht plötzlich.

Solon: Entweder ich weiß, dass ich existiere oder ich weiß es nicht?

Melissos: So würde ich sagen.

Solon: Das Tier existiert, ohne zu wissen, dass es existiert?

Melissos: Nur der Mensch, nicht das Tier begreift sich selbst.

Solon: Wie ist er dazu imstande?

Melissos: Der Mensch besitzt Geist.

Solon: Der Geist unterscheidet den Menschen vom Tier?

Melissos: Womöglich verhält es sich so.

Solon: Der Mensch hat einen Leib und einen Geist?

Melissos: Und eine Seele.

Solon: Eine Seele?

Melissos: Zweifellos hat der Mensch eine Seele.

Solon: Die Existenz der Seele ist nicht bewiesen.

Melissos: Sie ist auch nicht widerlegt.

Solon: Was lässt dich glauben, dass der Mensch eine Seele hat?

Melissos: Der Mensch fühlt.

Solon: Es mag der Leib sein, der fühlt.

Melissos: Hätte der Mensch keine Seele, so wäre er nur ein bewegtes Ding, und ein denkendes Ding, hätte er dazu noch Geist. Er ist aber ein fühlendes Ding, denn in der leiblichen Maschine steckt eine seelische Gestalt. Ohne die Seele wäre der Mensch nicht das fühlende Wesen, das sich substanziell erlebt.

Solon: Der Mensch erlebt sich substanziell?

Melissos: Er ist traurig, ängstlich, fröhlich.

Solon: Du kannst nicht ausschließen, dass der Leib das Gefühl hervorbringt.

Melissos: Ausschließen kann ich es nicht.

Solon: Aber du glaubst es nicht?

Melissos: Du kennst den Hunger?

Solon: Natürlich.

Melissos: Du kennst die Angst?

Solon: Gewiss.

Melissos: Sind sie nicht grundverschieden?

Solon: Grundverschieden?

Melissos: Die Angst ist wie eine Farbe, der Hunger wie eine Zahl.

Solon: Wunderlicher Melissos, so wird man dich nie verstehen.

Melissos: Ich kann es nicht beschreiben. Der Hunger ist ein Zustand des Leibes, doch die Angst kommt in den Leib wie etwas Fremdes.

Solon: Vielleicht bedeutet Leibsein Angsthaben?

Melissos: Die Angst ist kein Zustand des Leibes.

Solon: Die Wissenschaft widerspricht. Sie wird dir zeigen, wie sich die Angst im Leib manifestiert.

Melissos: Da sagst du es selbst: Sie manifestiert sich im Leib. Ich zweifle nicht daran, dass man die Angst im Leib finden wird, doch dass sie leiblichen Ursprungs ist, daran glaube ich nicht.

Solon: Die Angst ist nicht zuerst im Leib und dann in dem, was du Seele nennst?

Melissos: Die Angst existiert, bevor sie sich im Leib manifestiert, ansonsten wäre sie keine Manifestation, sondern eine Emergenz.

Solon: Die Angst mag im Leib emergieren. Sie wäre ein Zustand des Leibes, in dem du steckst.

Melissos: Ich könnte schwören, dass es sich nicht so verhält.

Solon: Wenn die Seele existiert, warum hat sie noch keiner entdeckt?

Melissos: Ich weiß es nicht.

Solon: Vielleicht hat sie noch keiner entdeckt, weil sie nicht existiert?

Melissos: Solange wir kein Konzept der Seele besitzen, ist jede Vorstellung von ihr komisch. Die Seele ist kein metaphysisches Atom, das ist, was sie nicht ist, denn sie folgt einem anderen Prinzip.

Solon: Lass es nur den alten Leibniz nicht hören, dass du seine Monaden komisch nennst.

Melissos: Die Seele ist eben kein unsichtbarer Leib.

Solon: Hat das Tier eine Seele?

Melissos: So sehr das Tier einen Leib hat, so sehr eine Seele.

Solon: Es hat aber keinen Geist?

Melissos: Es begreift sich jedenfalls nicht in seinem Verhalten.

Solon: Das Tier fühlt sich, doch nur der Mensch begreift sich?

Melissos: Nur der Mensch bildet seinen Begriff.

Solon: Wie lautet sein Begriff?

Melissos: Der Mensch sagt „Ich“.

Solon: Das Ich ist der Begriff des Menschen für sich selbst?

Melissos: Der Mensch begreift sich und denkt das Ich.

Solon: Das Ich entsteht im Menschen?

Melissos: Einerseits ja, weil es sich erst im Menschen begreift.

Solon: Andererseits?

Melissos: Andererseits nein, denn das Tier begreift sich zwar nicht als Ich, doch es verhält sich bereits als Ich. Die Katze fühlt und handelt als Ich, auch der Frosch, ja selbst die Fliege: Ich bin eine Fliege, ich fliege hier herum, so würde die Fliege urteilen, würde sie begreifen, was sie tut.

Solon: Auch das Tier hat ein Ich?

Melissos: Der Mensch mag das einzige Lebewesen sein, das sich in seinem Verhalten begreift, doch das Ich existiert in allen Lebewesen, in begriffener Form im Menschen, in unbegriffener Form im Tier.

Solon: Ist das Ich Begriff von etwas oder ist es der reine Begriff?

Melissos: Das Ich ist Begriff von etwas.

Solon: Ohne dieses Etwas kein Ich?

Melissos: Der Begriff begreift das Begriffene, das ihm vorausgeht, denn andernfalls hätte der Begriff nichts begriffen, was ein Widerspruch in sich ist. Das Wort Ich ist der Begriff für etwas, das in jedem Lebewesen existiert, das sich aber erst im Menschen begreift.

Solon: Das Ich existiert vor seinem Begriff?

Melissos: Das Begriffene vor dem Begreifenden, das Ding Ich vor dem Wort Ich. Das Ding Ich ist das Konkretum, das in allen Lebewesen existiert, das Wort Ich das Abstraktum, das der Mensch für das Ding Ich bildet, indem er sich begreift.

Solon: Das Tier besitzt das Ich, das es aber nicht begreift?

Melissos: Das Tier hat keinen Begriff vom Ich, aber sehr wohl das, was der Begriff ausdrückt. Das abstrakte Ich ist das geistige Ich, das nur im Menschen existiert, das konkrete Ich das durch den Geist begriffene Ich, das in allen Lebewesen existiert.

Solon: Das Ich existiert unabhängig von seinem Begriff?

Melissos: Das begriffene Ich ist das sich abstrakt begreifende Ich, das unbegriffene das sich nicht abstrakt begreifende Ich, doch das Ich existiert in beiden Fällen. Das konkrete Ich ist von seinem abstrakten Begriff verschieden.

Solon: Das Ich ist vom Geist verschieden?

Melissos: Das begriffene Ich vom begreifenden Geist.

Solon: Das Ich ist nicht geistig?

Melissos: Nur das abstrakte Ich ist geistig.

Solon: Und das konkrete Ich?

Melissos: Ich habe jedenfalls eine Theorie.

Solon: Wie lautet sie?

Melissos: Ich glaube, dass das Ich die Einheit von Seele und Leib ist.

Solon: Das musst du erklären.

Melissos: Unsere Betrachtung beginnt mit dem Seele-Leib-Problem.

Die Spiritualisten negieren den Leib, den sie auf die Seele reduzieren, sodass sie das Lebewesen als seelische Einheit begreifen.

Ich glaube an die Wirklichkeit des Leibes und damit lehne ich die spiritualistische Negation des Leibes ab. Die Materialisten verkehren gerade umgekehrt, sie negieren die Seele, die sie auf den Leib reduzieren, sodass sie das Lebewesen als leibliche Einheit begreifen.

Auch damit bin ich nicht einverstanden, denn ich glaube an die wirkliche Existenz der Seele. Die Seele existiert so wirklich wie der Leib, der Leib so wirklich wie die Seele, was bedeutet, dass das Lebewesen beides besitzt, eine Seele und einen Leib. Das Lebewesen ist weder eine seelische noch eine leibliche Einheit, sondern eine seelisch-leibliche Zweiheit.

Solon: Eine seelisch-leibliche Zweiheit?

Melissos: Weder ist die Seele eine Manifestation des Leibes, wie es die Materialisten annehmen, noch der Leib eine Manifestation der Seele, wie die Spiritualisten vermuten, denn das Lebewesen ist die duale Verbindung einer Seele mit einem Leib.

Solon: Welche Rolle spielt das Ich?

Melissos: Es macht aus der seelisch-leiblichen Zweiheit die seelischleibliche Einheit.

Solon: Das Ich ist die seelisch-leibliche Einheit?

Melissos: Es verhält sich seelisch mit der Seele, leiblich mit dem Leib, seelisch-leiblich mit beiden.

Solon: Einerseits verhält es sich leiblich?

Melissos: Wenn ich Hunger habe, dann verhalte ich mich als leibliches Ich mit dem hungrigen Leib.

Solon: Andererseits verhält es sich seelisch?

Melissos: Wenn ich Angst habe, dann verhalte ich mich als seelisches Ich mit der ängstlichen Seele.

Solon: Das Ich verhält sich seelisch-leiblich in Bezug auf sich?

Melissos: Es ist dasselbe Ich, das hungrig ist und sich fürchtet.

Solon: Wir untersuchen das Ich auf seinen seelischen Teil?

Melissos: Ein seelischer Teil sollte sich nachweisen lassen.

Solon: Und wenn die Seele nicht existiert?

Melissos: Es ist möglich, doch ich glaube fest an ihre Existenz.

Solon: Die Seele mag nur eine Wirkung des Leibes sein?

Melissos: Die Angst und die Trauer sind so echt wie der Hunger.

Solon: Niemand zweifelt an der Echtheit der Gefühle.

Melissos: Die Angst ist aber anders als der Hunger.

Solon: Sie ist anders?

Melissos: Ich bin mir nicht sicher, was es bedeutet.

Solon: Das Ich ist die seelisch-leibliche Einheit?

Melissos: So stelle ich es mir wenigstens vor.

Solon: Wie verhalten sich der seelische Teil und der leibliche Teil zueinander?

Melissos: Schwer zu sagen.

Solon: Verhält sich das Ich umso weniger mit dem Einen, je mehr es sich mit dem Anderen verhält?

Melissos: Du meinst, dass sich Seele und Leib antiproportional zueinander verhalten?

Solon: Ist es möglich?

Melissos: Einerseits scheint sich das Ich in der Handlung vom Gefühl zu distanzieren und umgekehrt im Gefühl von der Handlung, was für eine Antiproportionalität spricht. Andererseits handelt das Ich auch aus Lust, es verhält sich dabei zunehmend leiblich und zunehmend seelisch, und in diesem Fall wären seine Teile proportional.

Solon: Wie wäre es mit einem Beispiel einer Lusthandlung?

Melissos: Ich esse ein Stück Kuchen.

Solon: Wie verhältst du dich in diesem Fall?

Melissos: Ich habe ein Stück Kuchen vor mir. Ich greife zur Gabel und verhalte mich leiblich.

Solon: Das gabelgreifende Ich verhält sich leiblich?

Melissos: Ich verhalte mich relativ mit dem absoluten Leib, der nach der Gabel greift.

Solon: Bist du noch seelisch, während du zur Gabel greifst?

Melissos: Ich bin es jedenfalls nicht vordergründig.

Solon: Wie geht es weiter?

Melissos: Ich probiere ein Stück vom Kuchen.

Solon: Bist du dabei seelisch oder leiblich?

Melissos: Leiblich.

Solon: Das kuchenschmeckende Ich verhält sich leiblich?

Melissos: Ich schmecke den Kuchen mit dem Leib.

Solon: Was geschieht als nächstes?

Melissos: Fast augenblicklich stellt sich ein Gefühl ein.

Solon: Wie würdest du dieses Gefühl nennen?

Melissos: Genuss.

Solon: Ist der Genuss seelisch oder leiblich?

Melissos: Der Geschmack ist leiblich, doch der Genuss liegt eher in der Wirkung des Geschmacks. So gesehen ist der Geschmack die leibliche Ursache des Genusses, der Genuss die seelische Wirkung des Geschmacks, und der Genuss wäre seelisch, nicht leiblich.

Solon: Das kuchengenießende Ich verhält sich seelisch?

Melissos: Ich genieße den Kuchen mit der Seele.

Solon: Der Genuss manifestiert sich nur relativ in dir?

Melissos: Als genießendes Ich partizipiere ich am Genuss meiner Seele, die von mir verschieden ist, wie auch der schmeckende Leib von mir, dem schmeckenden Ich, verschieden ist. Ich bin weder die genießende Seele noch der schmeckende Leib, sondern das genießende-schmeckende Ich, das mit dem Leib schmeckt und mit der Seele genießt.

Solon: Wie geht es weiter?

Melissos: Der Genuss klingt aus, der Traum verblasst, und es wirft mich zurück in die Welt.

Solon: Zurück in die Welt, weil du aufhörst seelisch zu sein?

Melissos: Zurück in die Welt, weil ich wieder leiblich werde.

Solon: Indem du aufhörst seelisch zu sein, wirst du wieder leiblich?

Melissos: Die Seele genießt, der Leib schmeckt, und ich verschiebe zwischen beiden hin und her.

Solon: Du verschiebst zwischen Seele und Leib?

Melissos: So würde ich sagen.

Solon: Wie zwischen zwei Polen?

Melissos: Richtig. Je mehr ich nach außen verschiebe - in den äußerlichen Leib -, desto mehr schmecke ich den Kuchen mit dem Leib. Je mehr ich nach innen verschiebe - in die innerliche Seele -, desto mehr genieße ich den Kuchen mit der Seele. Die Seele ist der Innenpol, der Leib der Außenpol, und zwischen beiden verschiebe ich hin und her.

Solon: Das Ich variiert den Grad, mit dem es schmeckt und genießt?

Melissos: Indem ich nach außen verschiebe, verhalte ich mich als schmeckendes Ich im äußerlichen Leib, der den Kuchen kaut. Sobald ich nach innen verschiebe, verhalte ich mich als genießendes Ich in der innerlichen Seele, die den Kuchen genießt. Ich variiere den relativen Grad, mit dem ich am Genuss der Seele und am Schmecken des Leibes partizipiere.

Solon: Je mehr du den Kuchen seelisch genießt, desto weniger schmeckst du ihn leiblich?

Melissos: Wenn ich mich in den Genuss lege wie in eine Welle, dann verliere ich darüber den Geschmack. Der Genuss füllt mich aus, das Schmecken rückt in den Hintergrund, und es verschwindet in dem Maße, wie der Genuss erscheint. Aber auch umgekehrt: Je mehr ich den Kuchen schmecke, je mehr ich ihn mit dem Leib kaue, desto weniger genieße ich ihn mit der Seele. Wer sein Essen mechanisch kaut wie die Kinder ihr Gemüse, der verliert darüber den Genuss.

Solon: Ich vermute, dass die Kinder ihr Gemüse mechanisch kauen, weil sie es nicht genießen, nicht dass sie es nicht genießen, weil sie es mechanisch kauen.

Melissos: Da magst du recht haben.

Solon: Einerseits verdrängt das Schmecken den Genuss?

Melissos: Je stärker ich mit dem Leib schmecke, desto schwächer genieße ich mit der Seele.

Solon: Andererseits verdrängt der Genuss das Schmecken?

Melissos: Je stärker ich mit der Seele genieße, desto schwächer schmecke ich mit dem Leib.

Solon: Was bedeutet das für unsere These?

Melissos: Wir untersuchen, ob sich Seele und Leib im Ich antiproportional verhalten. In diesem Fall trifft unsere These zu und das Ich verschiebt zwischen Genuss und Schmecken hin und her.

Solon: Wie wäre es mit einem weiteren Beispiel?

Melissos: Der Mann, der in der Kälte auf seinen Freund wartet.

Solon: Betrachten wir diesen Fall.

Melissos: Der Mann friert, denn es ist kalt.

Solon: Friert er seelisch oder leiblich?

Melissos: Er friert leiblich. Der Leib friert.

Solon: Das frierende Ich ist vom frierenden Leib verschieden?

Melissos: Das Ich friert relativ mit dem absoluten Leib.

Solon: Verhält sich das frierende Ich noch seelisch?

Melissos: Während das Ich mit dem Leib friert, verhält es sich nicht mit der Seele.

Solon: Wie geht es weiter?

Melissos: Der Mann schaut auf die Uhr und stellt fest, dass sich sein Freund verspätet. Darüber ärgert er sich fürchterlich. Der Ärger ist seelisch und das ärgerliche Ich ein seelisches Ich.

Solon: Das ärgerliche Ich ist von seinem Ärger verschieden?

Melissos: Der Ärger befindet sich absolut in der Seele, relativ im Ich.

Solon: Verhält sich das ärgerliche Ich noch leiblich?

Melissos: In dem Grade wie es sich ärgert, verhält es sich nicht mehr leiblich, sondern seelisch. Der Leib friert weiter, doch das Ich ärgert sich mit der Seele.

Solon: Was geschieht als nächstes?

Melissos: Ein kalter Wind bläst dem Mann ins Gesicht. Er schüttelt sich vor Kälte.

Solon: Ist es der Leib, der sich schüttelt oder das Ich?

Melissos: Das Ich schüttelt sich vor Kälte. Der Leib schüttelt sich nicht von selbst.

Solon: Aus dem ärgerlichen Ich ist ein frierendes Ich geworden?

Melissos: Der Windstoß hat das Ich in den Leib zurückgeholt und lässt es frieren.

Solon: Was ist aus seinem Ärger geworden?

Melissos: Während das Ich friert, hat es seinen Ärger vergessen.

Solon: Das frierende Ich hört auf ein ärgerliches Ich zu sein?

Melissos: So würde ich sagen.

Solon: Was bedeutet es für unsere These?

Melissos: Ich denke, dass sie zutrifft. Je mehr sich das Ich mit dem Leib verhält, desto weniger mit der Seele, und umgekehrt. Seele und Leib verhalten sich im Ich antiproportional zueinander.

Solon: Je größer der seelische Teil im Ich, desto kleiner der leibliche?

Melissos: Je mehr sich das Ich mit der Seele verhält, desto weniger mit dem Leib.

Solon: Je größer der leibliche Teil im Ich, desto kleiner der seelische?

Melissos: Je mehr sich das Ich mit dem Leib verhält, desto weniger mit der Seele.

Solon: Das Ich verschiebt zwischen Seele und Leib hin und her?

Melissos: Seele und Leib sind die absoluten Pole, zwischen denen das seelisch-leibliche Ich verschiebt. Je mehr sich das Ich mit einem der Pole verhält, desto weniger mit dem anderen, und darin steckt bereits die Antiproportionalität. Wann immer das Ich in die Seele verschiebt, in Richtung seines Innenpols, erhöht es seinen seelischen Anteil und senkt dabei seinen leiblichen Anteil, indem es vom Leib weg verschiebt. Wenn das Ich in den Leib verschiebt, in Richtung seines Außenpols, dann erhöht es seinen leiblichen Anteil und senkt nun seinen seelischen Anteil, indem es von der Seele weg verschiebt.

Solon: Seele und Leib sind die beiden Pole?

Melissos: Sie sind die Absoluta, die das seelisch-leibliche Ich relativ bezieht. Das Ich verhält sich schmeckend mit dem Außenpol, relativ mit dem absoluten Leib, genießend mit dem Innenpol, relativ mit der absoluten Seele, und als absolute Einheit der Pole zwischen beiden.

Solon: Wir wollen dieses Verhältnis zeichnen.

Melissos: Wir zeichnen es?

Solon: Ganz recht. Was wissen wir über den Leib?

Melissos: Der Leib ist der Außenpol, den das leibliche Ich bezieht.

Solon: Wir zeichnen den Leib so. (1)

Melissos: Was bedeuten die Punkte im Kopf?

Solon: Dazu kommen wir noch.

Melissos: In Ordnung.

Solon: Was wissen wir über die Seele?

Melissos: Die Seele ist der Innenpol, den das seelische Ich bezieht.

Solon: Wie zeichnen die Seele so. (2) Melissos: Auch die Schraffierung hat eine Bedeutung?

Solon: Wir werden uns mit der Seele beschäftigen.

Melissos: Als nächstes müssen wir Seele und Leib durch eine Linie verbinden, auf der sich das Ich hin und her bewegt. Das seelischleibliche Ich verschiebt zwischen Seele und Leib, die es mit einem Grad relativ bezieht, und zwar in Abhängigkeit von seiner Position.

Solon: Etwa so? (3)

Melissos: Richtig.

Solon: Was sehen wir?

Melissos: Das Lebewesen ist eine Seele-Leib-Verbindung, einerseits eine absolute Seele, die wir links gezeichnet haben, andererseits ein absoluter Leib, den wir rechts gezeichnet haben. Das Ich ist die zusammengesetzte Einheit des Lebewesens, die zwischen Seele und Leib wie zwischen zwei Polen verschiebt. Die Seele ist der Innenpol, an dem das seelische Ich hängt, der Leib der Außenpol, an dem das leibliche Ich hängt, und das seelisch-leibliche Ich verhält sich ständig mit beiden Polen.

Solon: Was hat es mit der Verschiebung auf sich?

Melissos: Das Ich verschiebt als mobile Einheit zwischen Seele und Leib. Wenn das Ich zur Kuchengabel greift, dann verschiebt es nach rechts in den Leib, während es, indem es den Geschmack genießt, nach links in die Seele verschiebt.

Solon: Also gut.

Melissos: Wie nennen wir unser Modell?

Solon: Wie möchtest du es nennen?

Melissos: Das Ich verhält sich wie auf einer Skala.

Solon: Dann bezeichnen wir unser Modell doch als Skala.

Melissos: Mithilfe der Skala vermessen wir das Ich?

Solon: Mit ihrer Hilfe.

Melissos: Wie aufregend.

Solon: Zuletzt wollen wir die Skala vereinfachen. (4)

Melissos: Wir reduzieren Seele und Leib auf ihr Haupt?

Solon: Ganz recht.

Melissos: Links sehen wir die Seele?

Solon: Die Seele ist der Innenpol der Skala.

Melissos: Rechts sehen wir den Leib?

Solon: Der Leib ist der Außenpol der Skala.

Melissos: Das leuchtet ein.

Das Ich ist die Einheit von Seele und Leib.

Der Denker, der sich mit der alten Seelenfrage auseinandersetzt, beginnt seine Reise an einer Weggabelung. Zwischen drei Pfaden muss er wählen. Der erste Pfad ist beliebt, längst breit getreten wie eine Straße ist er die Wahl der modernen Menschen, die die Auffassung vertreten, dass die Seele nicht existiert. Wenn die Materialisten recht haben, dann ist die Seele eine Illusion und der Leib bildet die Einheit des Lebewesens. Auch den zweiten Pfad erkennen wir deutlich, er ist die Wahl der Frommen und Fühlenden, die hinter der sichtbaren Welt eine unsichtbare vermuten, hinter dem sichtbaren Leib eine unsichtbare Seele. Wenn die Spiritualisten recht haben, dann ist der Leib eine Illusion und die Seele bildet die Einheit des Lebewesens. Schließlich fällt uns der dritte Pfad ins Auge, fast hätten wir ihn übersehen, führt er doch geradewegs in die Dunkelheit, die uns Schritt für Schritt ins neue Land entführt. Wenn die Dualisten recht haben, dann existieren sie beide, sowohl die Seele als auch der Leib. Wir entscheiden uns für diesen dritten Pfad. Es wird unsere Aufgabe sein zu zeigen, dass der Mensch, wie Pascal es ausdrückt, aus zwei unterschiedlichen Naturen zusammengesetzt ist.

Der Materialist subsumiert das Leben unter die Materie, er hält den Leib für das ganze Lebewesen, doch für uns ist der Leib nur das halbe Lebewesen, denn wir meinen mit Leibniz, dass die Seele und der Körper unabhängig voneinander sind, und andererseits, dass die eine ohne den anderen unvollständig ist, weil auf natürliche Weise, die eine niemals ohne den anderen vorkommt. Das seelisch-leibliche Ich verschiebt auf der Skala zwischen Seele und Leib. Es verhält sich relativ mit der Seele im Innenpol, relativ mit dem Leib im Außenpol, und absolut zwischen beiden.

Exkurs: Seele und Leib im Spiegel.

Wir können die Skala nachvollziehen, indem wir in den Spiegel blicken. Der Betrachter vor dem Spiegel ist der absolute Leib am rechten Ende der Skala. Ich bin nicht der Leib, sondern das vom Leib verschiedene leibliche Ich, das sich relativ mit dem absoluten Betrachter verhält. Ich bin das betrachtende Ich im betrachtenden Leib. Die Reflexion im Spiegel ist die absolute Seele am linken Ende der Skala. Ich bin nicht die Seele, sondern das von der Seele verschiedene seelische Ich, das sich relativ mit dem absoluten Spiegelbild verhält. Ich bin das betrachtete Ich in der betrachteten Seele. Indem ich mich mit beiden Polen verhalte - als seelisches Ich mit der Seele, als leibliches Ich mit dem Leib -, bin ich weder der Leib noch die Seele, sondern ein Drittes, das sich relativ zu beiden verhält. Ich bin das seelisch-leibliche Ich, das zwischen dem leiblichen Betrachter und der seelischen Reflexion verschiebt. Je mehr ich mich mit dem Betrachter vor dem Spiegel verhalte, desto mehr verschiebe ich in den Leib. Ich verschiebe auf der Skala nach rechts, wenn ich mich mit dem Betrachter verhalte. Je mehr ich mich mit der Reflexion im Spiegel verhalte, desto mehr verschiebe ich in die Seele. Ich verschiebe auf der Skala nach links, wenn ich mich mit der Reflexion verhalte. Das mobile Ich verschiebt zwischen der stationären Seele im Spiegel und dem stationären Leib vor dem Spiegel. Die Seele befindet sich nicht wirklich im Spiegel, sie befindet sich in mir, sodass ich in Wahrheit nicht zwischen meinem Spiegelbild und mir verschiebe, sondern in mir. Je mehr ich in die Seele im Spiegel verschiebe, desto mehr in meine Innerlichkeit und auf der Skala nach links. Je mehr ich in den Leib vor dem Spiegel verschiebe, desto mehr in meine Äußerlichkeit und auf der Skala nach rechts. Ich verschiebe zwischen meiner innerlichen Seele und meinem äußerlichen Leib. Das Ich wandert in die leibliche Äußerlichkeit, wenn es etwa sein Spiegelbild mit den Augen absucht, in die seelische Innerlichkeit, wenn es sich in seine Stimmung vertieft. Der Leib ist der absolute Außenpol der Skala, die Seele der absolute Innenpol, und das Ich wandert zwischen beiden wie auf einer Verbindungslinie hin und her. Entlang der Skala variiert das Ich sein Verhalten und seine Zusammensetzung.

Schema

Solon: Erzähle mir von der Skala.

Melissos: Wir vermessen das Ich, das zwischen Seele und Leib wie auf einer Skala verschiebt. Die Seele ist der Innenpol der Skala, den das Ich als seelisches Ich bezieht, der Leib der Außenpol, den es als leibliches Ich bezieht, und als seelisch-leibliches Ich verschiebt es zwischen beiden Polen hin und her.

Solon: Wir untersuchen das Ich?

Melissos: Wenn die Seele existiert, dann ist das Ich seelisch-leiblich, und ein seelischer Teil sollte sich identifizieren lassen.

Solon: Wie gehen wir vor?

Melissos: Wir sollten zunächst das leibliche Ich betrachten. Das Ich partizipiert relativ am Verhalten des Leibes. Der Leib mag gähnen, er gähnt absolut, und als leibliches Ich gähne ich relativ mit dem Leib.

Solon: Im Gähnen verhältst du dich leiblich?

Melissos: Das Gähnen ist eine Bewegung des Leibes, die ich als gähnendes Ich begleite. Ich spüre, dass der Leib gähnen muss und verschiebe auf der Skala nach rechts, um das Gähnen zu tun.

Solon: Das Ich tut das Gähnen?

Melissos: Es tut es mit dem Leib.

Solon: Obwohl der Leib das Gähnen initiiert?

Melissos: Das Ich tut die Gähnbewegung, die es als gähnendes Ich aktiv begleitet.

Solon: Das Ich verhält sich aktiv mit dem Leib?

Melissos: Es verhält sich auch passiv mit ihm.

Solon: Wann verhält es sich passiv mit dem Leib?

Melissos: Ich denke an das Körpergefühl. Wenn der Leib krank ist, dann leide ich seine Krankheit als krankes Ich.

Solon: Das Ich leidet seine Krankheit mit dem Leib?

Melissos: Es leidet sie relativ mit dem leidenden Absolutum.

Solon: Dieses ist der Leib?

Melissos: Der Leib ist das Absolutum, das das kranke Ich bezieht.

Solon: Ein leidendes Absolutum?

Melissos: Ich leide die Krankheit des Leibes.

Solon: Vergessen wir das leidende Ich für den Moment.

Melissos: In Ordnung.

Solon: In welcher Form manifestiert sich die Krankheit im Leib?

Melissos: Was meinst du?

Solon: Der Leib leidet seine Krankheit?

Melissos: Die Krankheit befindet sich absolut im Leib.

Solon: So haben wir nicht gefragt.

Melissos: Wie lautet die Frage?

Solon: Das kranke Leiden spielt sich im Leib ab?

Melissos: Die Krankheit ist dem Leib ein Leiden.

Solon: Ist sie das?

Melissos: Ist sie es nicht?

Solon: Wie äußert sich die Krankheit im Leib?

Melissos: Der gesunde Leib verhält sich energisch, der kranke Leib dagegen matt und erschöpft, denn die Krankheit beeinträchtigt sein Tun. So gesehen äußert sich die Krankheit eher tätig im Leib.

Solon: Der Leib tut krank?

Melissos: Die Krankheit ist dem Leib ein Tun.

Solon: Der Leib tut seine Krankheit, doch er leidet sie auch?

Melissos: Schwer zu sagen, ob er seine Krankheit leidet.

Solon: Der Leib fühlt sich krank und müde.

Melissos: Ich fühle mich krank, ich leide seine Krankheit, doch ob der Leib seine Krankheit leidet? Wir beobachten, dass der Leib seine Zustände tut, er tut das Gähnen und das Schmecken, das Hören wie das Sehen, und als leibliches Ich partizipiere ich am leiblichen Tun.

Solon: Der Leib tut seine Zustände?

Melissos: Die Zustände des Leibes sind tätige Zustände, die das leibliche Ich als tätiges Ich begleitet. Ich tue das Hören seiner Ohren, das Sehen seiner Augen, tue sein Niesen und sein Schnupfen, tue auch mit dem Pochen seiner Schläfen und dem Zittern seiner Glieder.

Die Materialisten behaupten, dass der Leib sein Tun leidet, doch wir wissen nicht, ob es sich so verhält. Solange wir der Beobachtung trauen, müssen wir schließen, dass der Leib seine Zustände nur tut.

Solon: Und doch leidet das Ich seine Zustände.

Melissos: Ich nehme an, dass es sie mit der Seele leidet. Ich tue die Schmerzbewegung meines Leibes und diesen tätigen Schmerz leide ich mit meiner Seele. Der Leib ist das tätige Absolutum, mit dem ich tue, die Seele dagegen das leidende Absolutum, mit dem ich leide.

Einerseits tue ich meine Zustände mit dem Leib, andererseits leide ich sie mit der Seele, und als seelisch-leibliches Ich tue und leide ich sie mit Seele und Leib.

Solon: Wie wäre es mit einem Beispiel?

Melissos: Am Beispiel der Trauer: Die Seele ist das trauernde Absolutum, das ich relativ beziehe. Ich bin das bewegte Passivum, das passiv in die Trauer meiner Seele Versetzte. Im Leib verhält es sich gerade umgekehrt, hier bin ich das bewegende Aktivum, das aktiv ins Zittern, Husten und Frieren Versetzende meines Leibes. Im ersten Fall leide ich meine Bewegung passiv, im zweiten Fall tue ich sie aktiv. Die Materialisten meinen, dass ich meine Trauer mit dem Leib leide, doch der Leib leidet seine Zustände nicht.

Solon: Er leidet aber sein Gefühl.

Melissos: Der Leib tut sein Gefühl. Er tut das Hören und das Sehen, und dieses tätige Fühlen des Leibes leide ich, ich leide es, doch wir wissen nicht, ob der Leib es leidet. Die Sinne tun, tätig nimmt der Leib die Reize auf, tätig verarbeitet er sie, und all dies geschieht aktiv, nicht passiv. Für die These der Materialisten, dass am aktiven Fühlen des Leibes ein passives Gefühl hängt, am fühlenden Prozess ein gefühltes Produkt, existiert kein Beweis. Wenn die Seele existiert, dann mag sie das Gefühl leiden, das der Leib tut.

Solon: Erst die Seele leidet das Fühlen des Leibes?

Melissos: Das tätige Fühlen - die Sensation - manifestiert sich im Leib, der das Gefühl tut, doch das leidende Gefühl - das Sentiment in der Seele, die das Gefühl leidet. Ich verhalte mich aktiv mit dem Leib, mit dem ich mein Gefühl tue, passiv mit der Seele, mit der ich mein Gefühl leide, und aktiv-passiv zwischen beiden.

Solon: Das traurige Ich ist ein passives Ich?

Melissos: Ich tue das Gefühl nicht, ich leide es, und dies gilt in Wahrheit für alle Gefühle. Die Trauer ist ein Zustand meiner Seele, den ich leidend, nicht tätig beziehe. Je weiter ich auf der Skala nach links verschiebe, desto größer wird meine relative Trauer, die jedoch von der absoluten Trauer meiner Seele verschieden ist. Ich bin das traurige Ich, das die traurige Seele bezieht.

Solon: Das leidende Ich ist das seelische Ich?

Melissos: Ich leide mit der Seele.

Solon: Das tätige Ich ist das leibliche Ich?

Melissos: Ich tue mit dem Leib.

Solon: Wie verhält sich das Ich mit den Polen?

Melissos: Das seelisch-leibliche Ich tut mit dem Leib und leidet mit der Seele. Einerseits agiere ich mit dem tätigen Leib, andererseits passiere ich mit der leidenden Seele.

Solon: Du agierst mit dem Leib und passierst mit der Seele?

Melissos: Der Leib ist die vitale Maschine, die das Leben tut, und das leibliche Ich das tätige Ich. Doch die vitale Gestalt, die das Leben leidet, ist nicht der Leib, sondern die Seele, die ich als leidendes Ich beziehe. Der Leib ist nur das lebendige Agens, erst die Seele das lebendige Patiens, und das aktiv-passive Ich ist ihre Einheit.

Solon: Das leibliche Ich ist das agierende Ich?

Melissos: Ich agiere mit dem tätigen Leib.

Solon: Das seelische Ich ist das passierende Ich?

Melissos: Ich passiere mit der leidenden Seele.

Solon: Das seelisch-leibliche Ich agiert und passiert?

Melissos: Ich verhalte mich aktiv mit dem Leib, passiv mit der Seele und aktiv-passiv mit beiden. Je mehr ich agiere, desto mehr verschiebe ich in den Leib - als gähnendes Ich agiere ich mit dem Leib am rechten Ende der Skala -, je mehr ich passiere, desto mehr in die Seele, denn als trauriges Ich passiere ich mit der Seele am linken Ende der Skala.

Solon: Wir zeichnen die Aktivität des Leibes. (1) Melissos: Wir erkennen das aktive Leben des Leibes, und in anderen Worten die Physiologie.

Solon: Die Physiologie?

Melissos: Die Physiologie ist das lebendige Tun, das wir im Leib erkennen. Der Leib tut physiologisch und als leibliches Ich beziehe ich seine tätige Physiologie.

Solon: Das leibliche Ich ist das physiologische Ich?

Melissos: Wenn ich die Hand hebe, so als physiologisches Ich mit dem physiologischen Leib.

Solon: Wir wollen das aktive Ich zeichnen.

Melissos: Ich bin bereit.

Solon: Wir fügen der Skala einen Unterbau hinzu, mit dem wir die Zusammensetzung des Ich beschreiben. Das Ich variiert seine Aktivität mit seiner Position zum Leib, wobei es sich umso aktiver verhält, je weiter es auf der Skala nach rechts verschiebt. (2) Melissos: Ich verstehe.

Solon: Was sehen wir?

Melissos: Mit dem Unterbau messen wir das Verhalten des Ich, und in diesem Fall seine Aktivität. Links neben der Skala erkennen wir den Gradmesser, der er uns erlaubt, den Aktivitätsgrad des Ich entlang der Skala nachzuvollziehen. Die Physiologie manifestiert sich absolut im Leib, relativ im Ich, und zwar mit einem Grad, der mit der Position des Ich auf der Skala variiert. Je mehr das Ich in den Leib verschiebt, auf der Skala nach rechts, desto stärker verhält es sich mit der Physiologie des Leibes. Das Ich variiert den Grad seiner Physiologie, also den relativen Grad, mit dem es die absolute Physiologie des Leibes bezieht. An unserer Beispielposition verhält es sich eher passiv mit der Seele als aktiv mit dem Leib.

Solon: Das Ich passiert mit der Seele?

Melissos: Der Leib ist nicht das ganze Lebewesen, sondern das halbe, denn am aktiven Leib, der das Leben tut, hängt eine passive Seele, die das Leben leidet. Ich agiere mit dem Leib im Außenpol und passiere mit der Seele im Innenpol.

Solon: Wir zeichnen die Passivität der Seele. (3) Melissos: Wir erkennen das passive Leben der Seele. Der Leib tut sein Leben, er leidet es nicht, denn wie sollte das leidende Leben ein Aspekt seiner tätigen Physiologie sein?

Solon: Welches Konkretum entspricht der vitalen Passivität?

Melissos: Es müsste sich dabei um die Psyche handeln.

Solon: Die Psyche?

Melissos: Die Psyche ist das passive Leben. Der Leib tut das Leben, die Seele leidet es, und das leidende Leben der Seele ist die Psyche.

Solon: Die Psyche befindet sich nicht im Leib?

Melissos: Nur die Physiologie, nicht die Psyche erkennen wir im Leib, das tätige Leben, nicht das leidende. Für die Annahme der Materialisten, dass an der tätigen Physiologie eine leidende Psyche hängt - am lebendigen Prozess ein lebendiges Produkt - existiert kein Beweis. Der Leib tut sein Leben physiologisch, doch dass er es psychisch leidet, ist nur ein materialistisches Axiom. Wenn die Seele existiert, dann mag sie das Leben leiden, das der Leib tut.

Solon: Womöglich bewegt die Physiologie eine leibliche Psyche?

Melissos: Gerade so urteilen die Materialisten, wenn sie das leidende Leben mit der tätigen Physiologie erklären. Die Physiologie, so heißt es, tut dieses und jenes, die Phylibien kommunizieren mit dem Arabaticus Fortalis, was die Zytoten freisetzt, und im Zuge dessen entsteht die psychische Wirkung im Leib.

Solon: Was spricht dagegen, dass es sich so verhält?

Melissos: Was spricht dafür, dass es sich so verhält? Wir beobachten das tätige Leben im Leib, die Physiologie, nicht das leidende Leben, die Psyche. In welcher Form existiert die leidende Psyche im Leib?

Der Leib tut das Leben, doch die Psyche ist gerade dasjenige, das ihr Leben leidet, verschieden von der Physiologie, die das Leben tut.

Solon: Wie argumentieren die Materialisten?

Melissos: Für die Materialisten ist die Psyche nur ein Aspekt der Physiologie. Der physiologische Leib ist, aus der Innensicht, ein psychischer Leib, der sich selbst erlebt. Sie vernachlässigen dabei den qualitativen Unterschied zwischen Psyche und Physiologie, denn diese ist das aktive Leben, das lebendige Tun, jene das passive Leben, das lebendige Leiden. Das Lebewesen tut sein Leben, doch es leidet es auch, und wie sollte sich das lebendige Leiden im Leib befinden, in dem wir nur das lebendige Tun erkennen?

Solon: Das Gehirn, so würden sie sagen, erzeugt das Leiden.

Melissos: Auch im Gehirn beobachten wir Prozesse, nichts als Prozesse. Dass der tätige Prozess im Gehirn von einem leidenden Produkt begleitet wird, ist nur ein materialistisches Axiom. Ich leide die Zustände meines Gehirns, ich leide sie, doch das Gehirn tut seine Zustände, es leidet sie nicht.

Solon: Du leidest deine Zustände mit der Seele?

Melissos: So würde ich sagen.

Solon: Die Psyche ist das passive Leben?

Melissos: Sie ist das passive Seelenleben, verschieden vom aktiven Leibesleben. Die Seele leidet psychisch und als seelisches Ich beziehe ich die Psyche.

Solon: Das seelische Ich ist das psychische Ich?

Melissos: Wenn ich trauere, so als psychisches Ich mit der Seele.

Solon: Wir zeichnen das passive Ich. (4) Melissos: Wir erkennen das passive Ich der Seele. Je weiter das Ich auf der Skala nach links verschiebt, desto passiver verhält es sich. An unserer Beispielposition ist es zu drei Vierteln oder 0,75 ein passives Ich. Die Linie der Psyche misst den Grad meiner Passivität.

Solon: Das Ich variiert seine Position mit seinem Verhalten?

Melissos: Je stärker ich agiere, desto mehr verschiebe ich in den Leib, auf der Skala nach rechts, je stärker ich passiere, desto mehr in die Seele, auf der Skala nach links. Indem ich agiere und passiere, verschiebe ich auf der Skala hin und her. Im Augenblick des Gähnens verhalte ich mich hochgradig aktiv, ich agiere mit dem gähnenden Leib, und im Augenblick der Trauer hochgradig passiv, ich passiere nun mit der trauernden Seele. Das Ich agiert mit dem Leib und passiert mit der Seele, sodass es sich agierend nach rechts bewegt, passierend nach links.

Solon: Wir zeichnen das zusammengesetzte Ich. (5) Melissos: Wir sehen das aktiv-passive Ich, das auf der Skala zwischen dem aktiven Leib und der passiven Seele verschiebt. Das Ich bezieht seine Aktivität vom Leib, seine Passivität von der Seele, und es variiert seine Position auf der Skala mit seinem Verhalten. Je mehr das Ich agiert, desto weiter verschiebt es nach rechts in die Physiologie, mit der es agiert. Je mehr das Ich passiert, desto mehr verschiebt es nach links in die Psyche, mit der es passiert. Die seelische Psyche und die leibliche Physiologie bilden ihre Einheit im seelisch-leiblichen Ich, das mit der Psyche passiert und mit der Physiologie agiert.

Solon: Wir erkennen das psychisch-physiologische Ich?

Melissos: So ist es. Das Ich verhält sich psychisch mit der Seele, physiologisch mit dem Leib und psychisch-physiologisch zwischen beiden. Je mehr es nach links verschiebt, desto psychischer erscheint es, je mehr nach rechts, desto physiologischer.

Solon: Das Ich ist die psychisch-physiologische Einheit?

Melissos: Es vereint die Zweiheit von Psyche und Physiologie.

Solon: Psyche und Physiologie bilden einen Dualismus?

Melissos: Sie bilden den vitalen Dualismus. Das aktive Leben

manifestiert sich im Leib, das passive Leben in der Seele, und die beiden Teile des Lebens bilden ihre Einheit im aktiv-passiven Ich.

Solon: Wir nennen diesen Teil der Pole das Schema.

Melissos: Das Schema?

Solon: So sagen wir.

Melissos: Das Schema der Seele ist die Psyche?

Solon: Die Psyche ist das seelische Schema.

Melissos: Das Schema des Leibes ist die Physiologie?

Solon: Die Physiologie ist das leibliche Schema.

Melissos: Das Ich bezieht sein aktives Schema vom Leib?

Solon: Das aktive Ich ist das physiologische Ich.

Melissos: Es bezieht sein passives Schema von der Seele?

Solon: Das passive Ich ist das psychische Ich.

Melissos: Das Ich bildet das aktiv-passive Schema?

Solon: Es ist die schematische Einheit der Pole.

Melissos: Das Schema beschreibt das Leben?

Solon: Ganz recht.

Melissos: Die Physiologie ist das aktive Leben?

Solon: Sie ist das aktive Leben des Leibes.

Melissos: Die Psyche ist das passive Leben?

Solon: Sie ist das passive Leben der Seele.

Melissos: Das leuchtet ein. Das Leben manifestiert sich für uns nicht einheitlich im Leib, sondern zweiheitlich in Seele und Leib. Die Physiologie ist das tätige Leben des Leibes und die Psyche das leidende Leben der Seele. Gemeinsam bilden die Psyche und die Physiologie das duale Leben.

Solon: Das Ich ist die vitale Einheit?

Melissos: Das seelisch-leibliche Ich vereint das zweiheitliche Leben der Pole, die es relativ bezieht. Das Ich lebt aktiv als physiologisches Ich, passiv als psychisches Ich, und aktiv-passiv mit Seele und Leib.

Solon: Das passive Leben spielt sich nicht im Leib ab?

Melissos: Die Materialisten verorten das ganze Leben im Leib, doch nur das aktive Leben erkennen wir dort. Der Leib tut das Leben. Es existiert kein Beweis dafür, dass das tätige Leben des Leibes von einem leidenden Leben im Leib begleitet wird, und wir meinen, dass sich das leidende Leben in der Seele abspielt. Die Seele leidet das Leben, der Leib tut es, und das Lebewesen tut und leidet als duale Seele-Leib-Verbindung.

Solon: Kommt es zu einer Wechselwirkung von Seele und Leib?

Melissos: Wenn Seele und Leib absolut sind, dann bedeutet es, dass sie nicht wechselwirken.

Solon: Es existiert keine Wechselwirkung zwischen Seele und Leib?

Melissos: Die Seele bewegt sich selbst, nicht den Leib, auf den sie nicht einwirkt. Auch der Leib bewegt sich selbst, nicht die Seele, sodass der Leib auch nicht auf die Seele wirkt.

Solon: Und doch weint der Leib, wenn die Seele trauert.

Melissos: Ich denke, dass das Ich dafür verantwortlich ist.

Solon: Das Ich lässt den Leib weinen?

Melissos: Seele und Leib verhalten sich absolut, sie bewegen sich selbst, doch das Ich bewegt sich partiell mit beiden Polen, als bewegendes Ich mit dem Leib, dessen Bewegung es tut, als bewegtes Ich mit der Seele, deren Bewegung es leidet. Das Ich ist somit nicht eigenbewegt, sondern einerseits fremdbewegend, das durch das Ich Bewegte ist der Leib, andererseits fremdbewegt, denn das das Ich Bewegende ist die Seele. Es ist wahr, dass der Leib weint, wenn die Seele trauert, und die Seele genießt, sobald der Leib den Kuchen schmeckt, sodass es zu einer Wechselwirkung kommt, von der ich annehme, dass das Ich sie hervorruft.

Solon: Das Ich erzeugt die Wechselwirkung von Seele und Leib?

Melissos: Es wirkt aktiv auf den Leib ein, passiv auf die Seele.

Solon: Das seelische Ich wirkt auf den Leib?

Melissos: Das traurige Ich wirkt kraft seiner Aktivität auf den Leib, den es weinen lässt.

Solon: Das leibliche Ich wirkt auf die Seele?

Melissos: Das schmeckende Ich wirkt kraft seiner Passivität auf die Seele, die es genießen lässt.

Solon: Das Ich wirkt passiv auf die Seele ein?

Melissos: Wenn das Ich den Kuchen schmeckt, dann variiert es mit seinem Tun sein Leiden und das veränderte Leiden des Ich erzeugt eine Wirkung in der Seele. Auf diese Weise wirkt das Ich auf die Seele ein, die angeregt wird und das Ich an sich bindet.

Solon: Die Seele bindet das Ich?

Melissos: So würde ich sagen. Ich stelle mir die Bindung wie eine umgekehrte Verschiebung vor. Das Ich wirkt mit einer Kraft auf die Pole ein, die es mit seiner Position auf der Skala variiert, und die Pole wirken mit einer Kraft auf das Ich zurück. Wenn der Leib gähnen muss, dann bindet er mich, er verschiebt mich auf der Skala nach rechts. Von innen bindet mich die Seele, die mich ins Gefühl versetzt, von außen der Leib, der mich in die Handlung zwingt, und beide Pole binden mich mit einem Betrag. Die tiefe Trauer bindet mich stärker als die leichte Trauer, was zeigt, dass die Seele mit einer variierenden Kraft auf mich wirkt. Die schwere Krankheit bindet mich stärker als die leichte Krankheit, sodass auch der Leib mit einer variierenden Kraft auf mich wirkt.

Solon: Seele und Leib binden das Ich?

Melissos: So stelle ich es mir jedenfalls vor.

Solon: Das Ich wirkt mit einer Kraft auf die Pole, die es mit seiner Position auf der Skala variiert?

Melissos: Ich wirke auf beide Pole ein, aktiv auf den Leib, umso stärker, je mehr ich nach rechts verschiebe, und passiv auf die Seele, umso stärker, je mehr ich nach links verschiebe.

Solon: Umgekehrt wirken die Pole mit einer Kraft auf das Ich?

Melissos: Im Bilde gesprochen ist das Ich eine Figur, die von zwei Seiten, an beiden Armen, gezogen wird. Beide Pole, Seele und Leib, ziehen mit einem Betrag am Ich. Wenn der Leib etwas hungrig ist, dann bindet er das Ich leichter, doch je stärker der Hunger wird, desto stärker. Wenn die Seele etwas traurig ist, dann verschiebt sie das Ich leichter nach links, je tiefer ihre Trauer wird, desto stärker.

Das Ich wird von beiden Seiten gebunden, von der Seele nach innen, vom Leib nach außen.

Solon: Wovon hängt der Betrag ab, mit dem die Pole das Ich binden?

Melissos: Von den absoluten Zuständen der Pole. Wenn dem Leib heiß ist, dann ist seine Aktivität erhöht, Wärme ist Aktivität, sodass er das Ich stärker bindet, als wenn ihm warm ist. Auch die Seele bindet mich mit einem Grad, der ihrer Stimmung entspricht. In der Panik bindet sie mich stärker als in der leichten Unruhe.

Solon: Wir zeichnen die seelische Bindung. (6) Melissos: Wenn die Seele das Ich bindet, dann wird das Ich nach links verschoben.

Solon: Das Ich verschiebt sich nicht selbst?

Melissos: Die Verschiebung geht vom Ich aus, die Bindung vom Pol.

Solon: Wir zeichnen die leibliche Bindung. (7)

Melissos: Wenn der Leib das Ich bindet, dann wird das Ich nach rechts verschoben.

Solon: Wie wechselwirken die Pole und das Ich?

Melissos: Das Ich wirkt ständig auf die Pole ein, aktiv auf den Leib, passiv auf die Seele, wobei es den Betrag seiner Wirkung mit seiner Position auf der Skala variiert. Je näher es den Polen kommt, desto stärker verhält es sich mit ihnen, desto größer ist die Kraft, die es auf sie ausübt. Umgekehrt wirken die Pole auf das Ich zurück, einerseits bindet die Physiologie das physiologische Ich, andererseits die Psyche das psychische Ich. Wenn die Seele euphorisch ist, dann bindet sie das Ich mit einem höheren Betrag, und das Ich wird auf der Skala nach links verschoben. Wenn sich der Leib die Finger verbrennt, dann wird er das Ich mit einem höheren Betrag binden, und das Ich wird auf der Skala nach rechts verschoben.

Solon: Erst das Ich lässt Seele und Leib wechselwirken?

Melissos: Es trägt die Seele in den Leib und den Leib in die Seele.

Die Psyche ist nicht im Leib.

Das Leben, das die Materialisten in Gänze im Leib verorten, spielt sich für uns nur zur Hälfte im Leib ab, zur Hälfte in der Seele. Das aktive Leben manifestiert sich im Leib, das passive Leben in der Seele, und das aktiv-passive Leben im dualen Lebewesen. Wir erkennen das tätige Leben im Leib, die Physiologie, nicht das leidende Leiden, die Psyche, und wenn die Materialisten annehmen, dass dieses wie ein Vehikel an jenem hängt, so ohne jeden Beweis.

Der Leib tut sein Leben physiologisch, doch dass er es psychisch leidet, ist eine Behauptung, die wir - quod gratis asseritur, gratis negatur - ablehnen. Leibniz schreibt: Man muss ferner notwendig zugestehen, dass die Perzeption und was von ihr abhängt, aus mechanischen Gründen, d.h. aus Gestalt und Bewegung, nicht erklärbar ist. Denkt man sich etwa eine Maschine, deren Einrichtung so beschaffen wäre, dass sie zu denken, zu empfinden und zu perzipieren vermöchte, so kann man sie sich unter Beibehaltung derselben Verhältnisse vergrößert denken, sodass man in sie wie in eine Mühle hineintreten könnte. Untersucht man alsdann ihr Inneres, so wird man in ihm nichts als Stücke finden, die einander stoßen, niemals aber etwas, woraus man eine Perzeption erklären könnte.

Kurz darauf: die Maschinen der Natur, d.h. die lebendigen Körper, sind noch Maschinen in ihren kleinsten Teilen bis ins Unendliche.

Bei Augustinus heißt es: denn auch beim Tier ist zu unterscheiden ein Sinn, mit welchem es sieht, von einem anderen, mit dem es das Gesehene meidet oder erstrebt. Der erstere Sinn hat seinen Sitz in den Augen, der andere inwendig in der Seele. Das Leben entsteht nicht einheitlich im Leib, sondern zweiheitlich in Seele und Leib. Die Physiologie ist das Leben des Leibes, die Psyche das Leben der Seele, und das Lebewesen die duale Seele-Leib-Verbindung. Psyche und Physiologie bilden den vitalen Dualismus. Einerseits agiert das Ich mit dem Leib, andererseits passiert es mit der Seele, wobei es als aktiv-passives Ich ständig auf beide Pole einwirkt. Das seelischleibliche Ich erzeugt die Wechselwirkung zwischen Seele und Leib.

Exkurs: Psyche und Physiologie im Spiegel.

Die Physiologie befindet sich im Leib, der in den Spiegel hineinblickt. Als leibliches Ich verhalte ich mich mit dem physiologischen Betrachter vor dem Spiegel. Ich bin das physiologische Ich im physiologischen Betrachter. Je stärker ich agiere, desto mehr verschiebe ich in den Betrachter vor dem Spiegel.

Ich agiere mit dem physiologischen Betrachter. Die Psyche befindet sich in der Seele, die aus dem Spiegel zurückblickt. Als seelisches Ich verhalte ich mich mit der psychischen Reflexion im Spiegel. Ich bin das psychische Ich in der psychischen Reflexion. Je stärker ich passiere, desto mehr verschiebe ich in die Reflexion im Spiegel. Ich passiere mit der psychischen Reflexion. Die Physiologie, die in den Spiegel hineinblickt, ist das aktive Leben. Das aktive Leben manifestiert sich im Betrachter vor dem Spiegel. Die Psyche, die aus dem Spiegel zurückblickt, ist das passive Leben. Das passive Leben findet in der Reflexion im Spiegel statt. Gemeinsam bilden die aktive Physiologie und die passive Psyche das duale Leben. Das Leben agiert im leiblichen Betrachter, doch es passiert in der seelischen Reflexion. Das Ich ist die aktiv-passive Einheit des aktiven Leibes und der passiven Seele. Ich bin die Einheit des physiologischen Betrachters und der psychischen Reflexion. Einerseits lebe ich aktiv mit der betrachtenden Physiologie, andererseits passiv mit der betrachteten Psyche. Ich agiere mit dem Betrachter und passiere mit der Reflexion. Indem ich mal stärker agiere, mal stärker passiere, verschiebe ich auf der Skala hin und her. Ich verschiebe zwischen dem physiologischen Betrachter und der psychischen Reflexion.

Agierend verschiebe ich nach außen in den äußerlichen Betrachter, passierend nach innen in die innerliche Reflexion. Ich bin weder der agierende Leib - stationär vor dem Spiegel -, noch die passierende Seele - stationär im Spiegel -, sondern das von beiden verschiedene Ich, das seine Position auf der Skala mit seinem Verhalten variiert.