Miltärwissenschaft - Eine Modellbildung - Wolfgang Peischel - E-Book

Miltärwissenschaft - Eine Modellbildung E-Book

Wolfgang Peischel

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Beschreibung

Militärwissenschaft im inhaltlichen Sinn existiert seit der Antike und bedarf daher weder einer gesonderten Definition noch des Nachweises einer Berechtigung. Die Zielsetzung der vorliegenden Studie liegt hingegen in der Ableitung der Notwendigkeit einer institutionalisierten Militärwissenschaft für ein gesichertes langfristiges Überleben des Staates. Sie ergibt sich bereits aus der philosophischen Erkenntnis, dass der Glaube, moralisch über den Krieg erhaben zu sein, oft dazu beigetragen hat, ihn mangels tiefer gehender Kenntnis seiner selbst und insbesondere seines Wesens nicht vermeiden oder zumindest unter Kontrolle halten zu können. Vor diesem Hintergrund versucht die Arbeit, den heutigen und künftigen, unverzichtbaren Nutzen einer auf militärwissenschaftlicher Beurteilungslogik basierenden, institutionalisierten Militärwissenschaft abzuleiten, um damit eine überzeugende Argumentation vorzulegen, die auch nach dem Ende einer konkreten strategischen Bedrohungsphase eine tragfähige Begründung für den Aufbau einer kernfachgesteuerten, militärwissenschaftlichen Bildungseinrichtung auf universitärer Anerkennungsebene bieten kann. Mit der vorliegenden Forschungsarbeit wird ein Modell vorgelegt, mit dem eine grundlegende Struktur, Funktionsprinzipien und die thematische Ausrichtung einer solchen institutionalisierten Militärwissenschaft vorgeschlagen werden kann und auf deren Grundlage sie den abgeleiteten alleinstellenden und angesichts der dramatisch gestiegenen strategischen Herausforderung notwendigen, gesamtgesellschaftlichen Sicherheitsnutzen zu erbringen imstande ist. Die Studie hat lediglich entscheidungsvorbereitenden Vorschlagscharakter. Die Initiative zur bzw. die Entscheidung über eine mögliche Umsetzung des Ansatzes kann im Sinn des Primats der Politik nur von der dazu demokratisch legitimierten Ebene ausgehen.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Referenzzeitraum der Bearbeitung und „Zeitenwende“

1 Wesen, Zweck und Ziel des Forschungsprojektes – Hypothese

2 Der Werdegang des Forschungsprojekts „Militärwissenschaft – eine Modellbildung“

3 Der methodische Aufbau der Studie

4 Der alleinstellende gesellschaftliche Nutzen der Militärwissenschaft

4.1 Ein notwendiger, für die Sicherheit des Staates konstitutiver, nicht bloß additiver Nutzen

4.2 Die alleinstellende Befähigung der Militärwissenschaft zur Erbringung des abgeleiteten gesellschaftlichen Nutzens

5 Struktur und grundsätzlicher Charakter einer künftigen, institutionalisierten Militärwissenschaft

5.1 Ausrichtung auf einen militärwissenschaftlichen Forschungszweck und die Forderung nach Interdisziplinarität

5.2 Strategiewissenschaft – Einsatzführungswissenschaft – allgemeine Führungswissenschaft

5.3 Die Notwendigkeit einer Kernfach-basierten Steuerung der Militärwissenschaft und deren gleichzeitige Befähigung zur Strategie- und Einsatzführungsforschung

5.4 Grundlagen für die thematische und organisatorische Strukturierung einer institutionalisierten Militärwissenschaft

5.5 Die Bedeutung des militärwissenschaftlichen Publikationswesens

6 Eine mögliche Keimzelle einer institutionalisierten, kernfachbasierten Militärwissenschaft

7 Der geistige Wesenskern des Militärs

7.1 Das „Militärische an sich“ als Kern der alleinstellenden Leistung militärischen Denkens

7.2 Funktionsprinzipien des „Militärischen an sich“

7.3 Die grundlegende Aufgabe der Militärwissenschaft in Bezug auf den „Geist des Militärischen“

8 Conclusio

Abbildungsverzeichnis

„Die größten Vorteile im Leben überhaupt wie in der Gesellschaft hat ein gebildeter Soldat.“

Johann Wolfgang von Goethe, Die Wahlverwandtschaften II, 5

Vorwort

Das vorliegende Werk „Militärwissenschaft – eine Modellbildung“ soll den möglichen Nutzen und die alleinstellende Leistung darstellen, den eine kernfachbasierte1 Militärwissenschaft erbringen könnte, wenn sie nach den in der Arbeit abgeleiteten Funktionsprinzipien und Strukturüberlegungen aufgebaut wäre.

Das Umschlagmotiv zeigt, miteinander verflochten, Ares, den der griechischen Mythologie entlehnten Gott des Krieges und Athene, die Göttin der Weisheit und Strategie. Damit soll auf eine der wichtigsten, alleinstellenden Leistungen der Militärwissenschaft hingeführt werden, nämlich auf die gleichzeitige Befähigung zur strategischen Beurteilung bzw. Beratung der politischen Entscheidungsebene einerseits und zur operativen Umsetzung des von der Politik vorgegebenen strategischen Zwecks andererseits – d.h. auf eine Befähigung, welche die Militärwissenschaft erlangen könnte, wenn sie dem entworfenen Modell entspräche.

Das Motiv, eine Forschungsarbeit zum möglichen Nutzen einer zu entwickelnden Militärwissenschaft zu beginnen, entstand in zwei Stufen. In meiner Funktion als Hauptlehroffizier Taktik an der Landesverteidigungsakademie Wien habe ich erkannt, dass der Beruf des Offiziers im Hinblick auf die Einsatzführung einer wissenschaftlichen Fundierung bedarf, deren Erforschung und Lehre aber eine Abbildung auf universitärer Anerkennungsebene Ebene versagt geblieben war. Mein Antrieb, eine Argumentation für die Schaffung einer militärwissenschaftlichen Bildungseinrichtung auf universitärer Ebene zu erarbeiten, die eine solche wissenschaftliche Fundierung der Einsatzführungslehre leisten könnte, entstand keineswegs aus dem Wunsch, dem Offizier eine höhere gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen, sondern aus dem Streben, den im Einsatz Führenden zeitgemäße Grundlagen an die Hand zu geben, die es erlauben, eine auf dem letzten Stand der Wissenschaft befindliche Führungsleistung zu erzielen und den Geführten das größtmögliche Maß an Sicherheit angedeihen zu lassen. So wie die Auftragstaktik dazu ausgelegt ist, begrenzte Ressourcen durch gesteigerte Führungsleistung auszugleichen, sollte auch die Militärwissenschaft ihren Beitrag zu diesem Ziel leisten können. Im Zuge meiner Zentralstellenverwendung war ich u.a. auch in die Erstellung eines militärischen Beitrages zum gesamtstaatlichen Krisenmanagement eingebunden und habe dabei erkannt, welche Rolle die obere militärische Führung im Hinblick auf eine politikbereichsübergreifende Beratung an der Schnittstelle zur politischen Entscheidungsebene leisten kann, wenn dieser Beitrag einerseits auf einer wissenschaftlichen Grundlage basiert und andererseits in Kenntnis der operativen Umsetzbarkeit des vorgegebenen Zweckes erstellt wurde. Aus der Verknüpfung beider Bedingungen ergab sich die wesentliche alleinstellende Leistung einer zu entwickelnden Militärwissenschaft, nämlich die gleichzeitige Beherrschung der beiden in wechselseitiger Abhängigkeit stehenden Dimensionen „strategische Beurteilung bzw. Beratung“ und „operative Umsetzung“ des strategischen Zweckes. Weil nun eine zivile Wissenschaftsdisziplin diese Gleichzeitigkeitsbedingung aufgrund der fehlenden Kompetenz im Bereich der Einsatzführungswissenschaft nicht erfüllen könnte, habe ich es mir zum Ziel gesetzt, ein Modell einer selbständigen, institutionalisierten Militärwissenschaft auf universitärer Anerkennungsebene zu entwerfen. Die Frage der gleichzeitigen Beherrschung der strategiewissenschaftlichen und der einsatzführungswissenschaftlichen Dimension ist aber nicht nur inhaltliche Leitlinie der Arbeit sondern gleichzeitig auch die Vorbedingung für die Umsetzbarkeit des Modells: Eine Beschränkung auf die einsatzführungswissenschaftliche Dimension würde unweigerlich zur Argumentation führen, dass das Militär eine solche Forschung auch im eigenen Rahmen verwirklichen könnte – ohne dazu eine universitäre Anerkennung zu benötigen. Damit würde der Militärwissenschaft aber der universitäre, interdisziplinäre Zugang2 verwehrt, der notwendig ist, um Einsatzführung auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft forschen und lehren zu können. Eine Beschränkung auf die politikbereichsübergreifende Strategieberatung würde hingegen in der irrigen Annahme bestärken, dass eine solche auch durch ein Kollektiv ziviler Disziplinen alleine, d.h. ohne Einbindung militärwissenschaftlicher Beurteilungsexpertise, geleistet werden könnte.

Die Bearbeitung stellt gleichzeitig das Ergebnis meiner Forschungsarbeit dar, die ich zum Thema Militärwissenschaft seit der Absolvierung meiner Generalstabsausbildung, parallel zu meiner militärischen Laufbahn, geleistet habe und den Endbericht zum gleichnamigen, von der Abteilung „Wissenschaft, Forschung und Entwicklung“ des BMLV angeordneten, Forschungsprojekt.

Alle im Zuge dieser Publikation getätigten Aussagen sind Ergebnis meiner persönlichen Forschungstätigkeit bzw. meiner in der Funktion als inhaltlich Leitender des WFEForschungsprojektes gewonnenen Erkenntnisse und decken sich daher nicht zwingend mit der Ressortmeinung des BMLV.

Die schriftliche Erfassung des Projektergebnisses nützt das generische Maskulinum, also die Fähigkeit grammatisch maskuliner Personenbezeichnungen, geschlechtsabstrahierend angewandt zu werden, weil die Zusammenhänge, insbesondere dort wo es um die Herleitung führungsphilosophischer Inhalte geht, einen Komplexitätsgrad erreichen, der bei zusätzlicher „Genderung“ unweigerlich zu unvertretbaren Störungen des Leseflusses führen würden. Dass dies keinesfalls als Geringschätzung oder gar Diskriminierung des weiblichen Geschlechts gewertet werden darf, zeigt sich allein schon in der Zugrundelegung eines Strategiebegriffes, der auf langfristige Zwecksetzung und eine, nach Möglichkeit, die gewaltsame Konfliktaustragung vermeidende Umsetzung abzielt und damit eher in die Domäne „weiblichen Denkens“ fällt, weil die Kriegsgeschichte zeigt, dass „männliches Denken“ häufig in einer freiwilligen Rücknahme und Selbstbeschränkung auf die operative Dimension der Kriegführung gemündet hat.

Mein Dank gilt der Landesverteidigungsakademie Wien dafür, dass sie die Entwicklung der Österreichischen Militärischen Zeitschrift in Richtung eines auch inhaltsgenerierenden, militärwissenschaftlichen Fachmediums unterstützt und mir damit die Möglichkeit gegeben hat, ein solches Forschungsprojekt einzumelden und durchzuführen.

Dem Weitblick der Abteilung „Wissenschaft, Forschung und Entwicklung (WFE)“ verdanke ich die Anordnung des Projektes, die zu jeder Zeit tatkräftige Unterstützung meiner Forschungstätigkeit, die ohne den interdisziplinären Rückhalt von Seiten des Leiters und der Beiräte der Wissenschaftskommission beim BMLV nicht möglich gewesen wäre. Beiden, der WFE und der Wissenschaftskommission beim BMLV erlaube ich mir dafür aufrichtig zu danken.

Weil ein Thema wie das gewählte auch sehr kontrovers diskutiert werden kann und daher einer möglichst tiefgängigen Argumentation, in jedem Fall aber eines interdisziplinären, durch renommierte Wissenschaftler gebildeten Korrektivs bedarf, gebührt den Peers, die sich bereit erklärt haben, die Arbeit zu begutachten, mein besonderer Dank:

Prof. Dr. Prof. h.c. Wulf-W. Lapins3 darf ich dafür danken, dass er die Arbeit aus politikwissenschaftlicher Sicht begutachtet, die Schärfung vieler Argumentationslinien eingefordert und mich u.a. davon überzeugt hat, die notwendige Komplementarität von Militär- und Politikwissenschaft im Hinblick auf die strategische Politikberatung stärker herauszuarbeiten.

Ebenso erlaube ich mir ao. Univ.-Prof. MMag. DDr. Christian Stadler4 Dank zu sagen, der die Arbeit aus einem philosophischen Blickwinkel heraus begutachtet und mich insbesondere bei polemologischen sowie bei (führungs-) philosophischen Ableitungen wesentlich unterstützt hat.

GenMjr (i.R.) Dr. Dr. habil. Harald Pöcher5 gebührt mein Dank für die Begutachtung der Arbeit aus wissenschaftstheoretischer sowie militärwissenschaftlicher Sicht und dafür, dass er mir dabei geholfen hat, den möglichen Nutzen einer institutionalisierten Militärwissenschaft für das BMLV zu beschreiben und argumentativ abzuleiten.

Das Peer-Review Verfahren, dem die vorliegende Arbeit unterworfen wurde, besteht in einer Begutachtung durch drei habilitierte Wissenschaftler, welche die Studie unabhängig voneinander auf inhaltliche Stimmigkeit, Stringenz der Argumentationsketten und wissenschaftliche Methodik geprüft haben.

Anmerkungen, Ergänzungen, Korrekturen, unterschiedliche Sichtweisen sowie Vorschläge zur Schärfung einzelner Argumentationsketten wurden dabei eingearbeitet, der überarbeitete Text den Begutachtern neuerlich vorgelegt und deren Zustimmung zu der, auf ihre Anregung hin erfolgten Überarbeitung eingeholt. Die Auswahl der Experten, die um die Begutachtung der Studie ersucht wurden, erfolgte nach folgenden Gesichtspunkten: Um die Bestandskraft der Arbeit zu erhöhen und sie zu einer Basis für die mögliche Diskussion um eine allfällige Schaffung einer institutionalisierten Militärwissenschaft zu machen, war es notwendig an Begutachter heran zu treten, die über eine hohe wissenschaftliche Reputation und große Erfahrung im Bereich militärwissenschaftlicher Themenstellungen verfügen und die auf eine umfangreiche Publikationstätigkeit verweisen können. Zudem war entsprechend dem interdisziplinären Anspruch der Arbeit, nach ausgewiesenen Experten in den Bereichen Politikwissenschaften, Rechtswissenschaft- und Philosophie sowie Ökonomie zu suchen. Alle drei Wissenschaftler, welche für die Begutachtungsaufgabe gewonnen werden konnten, erfüllen die genannten Voraussetzungen im höchsten Maße – und zeichnen sich über ihre originäre disziplinäre Ausrichtung hinaus, gleichzeitig auch über tiefgreifende Kenntnisse im Bereich der inhaltlichen Militärwissenschaft aus.

Herzlich bedanken möchte ich mich bei Herrn Bertram Mayer, der das Korrektorat des Bandes in bewährter Weise, in seiner Freizeit wahrgenommen hat.

Zu danken habe ich auch Amtsdirektor Stefan Lechner, BA, der die Gestaltung des Umschlags übernommen und diese Aufgabe in gewohnt kreativer Manier, ebenfalls in seiner Freizeit, erfüllt hat.

Ich wünsche allen Lesern, die in ihrer Funktion zur Meinungsbildung über die Etablierung einer institutionalisierten Militärwissenschaft beitragen können, und all denen, die sich aus inhaltlich-militärwissenschaftlichem Interesse mit den hier abgeleiteten Themen, Funktionsprinzipien und Zusammenhängen beschäftigen, um der Einsatzführung und der strategiewissenschaftlichen Dimension der Militärwissenschaft eine zeitgemäße wissenschaftliche Fundierung zu verschaffen, eine erkenntnisreiche und zur Diskussion anregende Lektüre.

Wolfgang Peischel

1 Es wird im Zuge der Arbeit ein Modell einer „kernfachbasierten“ Militärwissenschaft abgeleitet. Es wird dabei von einem gesteuerten Zusammenwirken militärwissenschaftlicher Kern- und Begleitfächern ausgegangen. Unter Kernfächern werden solche verstanden, in denen die akademische Grundqualifikation nicht an zivilen universitären Bildungseinrichtungen erlangt werden kann (beispielsweise Strategie, Kriegstheorie/Führungsphilosophie, Operative Führung). Eine kernfachbasierte Militärwissenschaft stellt demnach eine Disziplin dar, die unbeschadet ihres hohen Grades an Interdisziplinarität, thematisch schwergewichtsmäßig auf die Forschungsfelder der Kernfächer fokussiert, Kern- und Begleitfächer gezielt auf einen gemeinsamen militärwissenschaftlichen Forschungszweck hin ausrichtet und dabei von einer aus militärischen Führungsprinzipien abstrahierten Beurteilungslogik getragen wird. Eine solche kernfachbasierte/gesteuerte Militärwissenschaft wird damit begrifflich von eher politikwissenschaftlich dominierten Ansätzen („Verteidigungsstudien“, „Sicherheitspolitische Studien“ etc.) abgegrenzt.

2 Ohne universitäre Anerkennung könnte die tertiäre militärische Bildungseinrichtung ihre Forscher/Lehrer nicht habilitieren – ein Austausch zwischen nichthabilitierten Militärwissenschaftlern und Forschern/Lehrern ziviler universitärer Disziplinen könnte daher nicht auf Augenhöhe stattfinden.

3 Prof. Dr. Prof. h.c. Wulf-W. Lapins: 1983 bis 1986 Professor für Politikwissenschaft und Konfliktlehre an der Hochschule der Bundeswehr in München; 1986 bis 1993 wissenschaftlicher Mitarbeiter Studien-Forschungsgruppe Sicherheit und Abrüstung der Friedrich-Ebert-Stiftung; Projektkoordinator der Friedrich-Ebert-Stiftung in Mittel- und Osteuropa, Zentralasien, im Südkaukasus, auf dem Westbalkan; ab 2012 Projektkoordinator der Friedrich-Ebert-Stiftung im Kosovo und seit Mai 2017 in Albanien und danach in Indien; Ehrenprofessuren u.a.: Deutsch-Kasachische Univ., Al Farabi Univ., Almaty/Kasachstan; Assoziiertes Mitglied Centre for Caspian Region Studies der Freien Universität Berlin.

4 ao. Univ.-Prof. MMag. DDr. Christian Stadler: Institut für Rechtsphilosophie der Juridischen Fakultät der Universität Wien und Leiter des an der Landesverteidigungsakademie Wien angesiedelten Forschungselementes „Polemologie und Rechtsethik“.

5 GenMjr (i.R.) Dr. Dr. habil. Harald Pöcher: ehemaliger Leiter der Revisionsabteilung B des Bundesministeriums für Landesverteidigung. 2008 Habilitation in Militärökonomie an der Zrínyi Miklós Verteidigungsuniversität in Budapest.

Referenzzeitraum der Bearbeitung und „Zeitenwende“

Sowohl die Anordnung als auch der überwiegende Teil der Bearbeitung des Forschungsprojektes liegen zeitlich vor der Entwicklung, die im heutigen sicherheitspolitischen Diskurs als „Zeitenwende“ apostrophiert wird, um glauben zu machen, der russische Angriff auf die Ukraine sei auch prinzipiell unvorhersehbar gewesen und um damit jegliche Verantwortung für die strategischen Versäumnisse Europas seit dem Ende der Blockkonfrontation guten Gewissens von sich weisen zu können.

Hätte die Studie zu einem Forschungsergebnis geführt, das unter dem Eindruck des völkerrechtswidrigen Ukrainekrieges neu zu bewerten gewesen wäre, das heißt das in Kenntnis der derzeitigen strategischen Entwicklung abgeändert hätte werden müssen, dann hätte sich dieses Projekt, das sich die Schaffung einer Militärwissenschaft zum Zweck gesetzt hat, die vorausschauende und langfristig proaktive Sicherheit gegen gerade solche Bedrohungen gewährleisten soll, ad absurdum geführt.

Tatsächlich wurde die prinzipielle Möglichkeit und auch die zunehmende Eintrittswahrscheinlichkeit einer Bedrohungslage, wie sie heute vorliegt, in der Arbeit auf Basis einer militärwissenschaftlichen Beurteilungslogik abgeleitet und für die mittelfristige strategische Entwicklung antizipiert, bevor die tatsächliche Lage die getroffenen Ableitungen ex tunc und unwiderlegbar bestätigt hat.

Es wäre nun ein Leichtes gewesen, die Notwendigkeit einer institutionalisierten, kernfachgeleiteten Militärwissenschaft über die heutige Lage zu begründen, in die untertheoretisiertes strategisches Denken, ein maßgeblich daraus resultierendes Strategiedefizit und das Eingehen einseitiger strategischer Abhängigkeiten, Europa gebracht haben. Dies würde jedoch die Gefahr bergen, dass Anstrengungen, die augenblicklich in die Erhöhung einer militärwissenschaftlich fundierten Strategiefähigkeit investiert wurden, in dem Zeitpunkt ihre Dynamik verlieren, in dem die Akutphase des Ukrainekrieges geendet hat. Zudem würde damit eine wissenschaftlich fundierte, argumentative Herleitung des unverzichtbaren gesellschaftlichen Nutzens einer Militärwissenschaft über ihre spezifischen und alleinstellenden Fähigkeiten, ungehört bleiben – weshalb der Aufbau einer solchen Militärwissenschaft nach dem Wegfall der unmittelbaren Bedrohung vermutlich aus den gleichen Vorbehalten heraus scheitern würde, die schon bisher der Schaffung einer eigenständigen, universitär anerkannten Disziplin entgegen gestanden haben.

In der vorliegenden Arbeit wurde daher die lange vor dem Überfall auf die Ukraine erarbeitete Argumentationslinie konsequent fortgesetzt, und die formulierten Thesen auf Basis einer spezifisch militärwissenschaftlichen Beurteilungslogik und weitgehend ohne Rückgriff auf die durch die aktuelle strategische Lage gegebene faktische Bestätigung belegt. Die Ableitungen wurden daher leidenschaftslos und akademisch erarbeitet, die Schlussfolgerungen bewusst nüchtern, d.h. weniger emotional und dramatisch dargestellt als es aufgrund der nachträglichen, unwiderlegbaren Bestätigung durch die eingetretene Lage geboten gewesen wäre. Festgehalten muss jedoch dennoch werden, dass auf militärischer Beurteilungslogik basierende, strategische Ableitungen vieler europäischer Militärwissenschaftler, die schon vor dem Erscheinen dieses Buches und vor dem russischen Angriff auf die Ukraine in publizierter Form vorgelegen haben, wenn ihnen schon in ihrem Entstehungszeitpunkt wenig Glauben geschenkt worden ist, so doch zumindest jetzt wo der prognostizierte strategische Schaden eingetreten ist, politische Berücksichtigung finden sollten. Erkannt sollte werden, dass eine institutionalisierte, auf dem vorzuschlagenden Modell basierende Militärwissenschaft, mit einem planmäßigen beratenden Zugang zur politischen Entscheidungsfindung in der Lage gewesen wäre die heute über Europa hereinbrechenden Bedrohungen (vorrangig von Seiten Russlands, potenziell auch Chinas) prinzipiell zu antizipieren und Ansätze zur Steigerung der Resilienz gegen deren Auswirkungen vorzuschlagen.

Konkret hatte die „materielle Militärwissenschaft“, das heißt die Summe der trotz des Fehlens einer institutionalisierten Militärwissenschaft zu militärwissenschaftlichen Themenstellungen eigeninitiativ Forschenden beispielsweise folgende Entwicklungen frühzeitig erkannt bzw. prognostiziert6:

Die Anerkennung durch den Westen auf Augenhöhe, ist eine wesentliche Triebfeder des russischen strategischen Denkens, wobei diese Anerkennung keine kniefällige oder aus Schwäche geborene sein darf, sondern sich in einer Auffüllung des konventionellen Streitkräftevakuums gegenüber Russland manifestieren sollte, das Europa seit dem Ende der Blockkonfrontation hat entstehen lassen. Dieser Logik folgend, hätte eine frühzeitige spiegelbildliche, europäische Kräftebereitstellung an der NATO-Ostgrenze, entgegen der häufig ins Treffen geführten sicherheitspolitischen Argumentation, eher stabilisierende als destabilisierende Wirkung erzeugt, einer Bindung zwischen Russland und China entgegengewirkt, die Möglichkeit der intensivierten Zusammenarbeit zwischen Europa und Russland eröffnet ohne damit in einseitige Abhängigkeit zu geraten und den USA geholfen, Kräfte freizuspielen, die dringend für den Indopazifischen Raum benötigt werden, um einer militärischen Auseinandersetzung mit China vorzubeugen7.

Die Produktformel „Potenzial mal Absicht ergibt Bedrohung“ gilt nicht mehr. Vielmehr zeigt sich, dass bereits „absichtsloses“ Potenzial (also Potenzial das ohne tatsächliche militärische, grenzüberschreitende Angriffsabsicht, grenznah bereitgestellt wird) strategische Wirksamkeit entfalten kann, indem es beispielsweise zu diversifiziertem Bedrohungsempfinden und der Schwächung der Kohärenz zwischen den EU- bzw. NATO-Staaten führt (die Erschütterung des Vertrauens in die Schutzwirkung des Verteidigungsbündnisses stellt dabei den eigentlichen strategischen Zweck des Ansatzes dar).

Die Eintrittswahrscheinlichkeit von Bedrohungen kann schon deshalb kein zuverlässiges Kriterium für die Dimensionierung von Streitkräften sein, wenn es um die Überlebenssicherheit des Staates geht, weil eine, aufgrund der im besten Fall statistisch ermittelten Eintrittswahrscheinlichkeit reduzierte Verteidigungsfähigkeit die Wahrscheinlichkeit eines gegnerischen Angriffs logischerweise erhöht.

Die These, dass die fortschreitende Globalisierung aufgrund der wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen den Akteuren ein Garant für Sicherheit ist, muss zumindest für Staaten aufgegeben werden, die sich in einseitige Abhängigkeiten begeben haben. Eine solche, in vielen Segmenten einseitige Abhängigkeit entsteht mit einer europäischen Beteiligung am Projekt der „Neuen Seidenstraße“, die zu einer Konkurrenz zwischen dem „eurasischen“ und dem „transatlantischen“ geostrategischen Konzept führt (dabei Gefahr läuft die transatlantische Wertegemeinschaft zu „verraten“), die USA bezogen auf den entstehenden größten Binnenmarkt der Welt tendenziell marginalisiert (sich aber trotzdem auf die „Erweiterte Abschreckung“ und trotz unzureichender eigener Verteidigungsbudgets auf die amerikanische Verteidigungsgarantie im Rahmen der NATO verlässt) und damit die Gefahr eines konventionellen Krieges zwischen Amerika und China erhöht.

Die „Thukydides-Falle“ stellt das chinesische Narrativ dar, mit dem amerikanische Ansätze zur Beherrschung und Offenhaltung des Südchinesischen Meeres als Störung des Seidenstraßenprojektes diskreditiert und Europa glauben gemacht werden soll, dass die USA, wenn sie gegen ein vorgeblich friedfertiges China rüsten, den Weltfrieden gefährden. Athen ist aber untergegangen, weil es sich zu sehr auf die wirtschaftliche Macht des von ihm geleiteten Seebundes verlassen hat und seine Streitkräfte aufgrund der mit steigendem Wohlstand schwindenden Wehrbereitschaft dem Kampfwillen der Spartaner nicht gewachsen waren – weil es mit anderen Worten „nicht zu viel“ sondern „zu wenig“ gerüstet hatte.

Der Angriff auf die Ukraine dürfte russischerseits als ein „Wertesystemkonflikt“ geführt werden. Die Werte der westlich-pluralistischen Gesellschaften werden als in einem Ausmaß einer, in Richtung eines kombinierten Individualisierungs- und Säkularisierungstrends fortschreitenden Erosion unterworfen beurteilt, dass sie unter dem Druck des als „überlegen“ empfundenen russischen, konservativen Werteverständnisses ihren Zusammenhalt und damit ihre Verteidigungsfähigkeit verlieren. Jegliches, durch äußeren Druck bedingtes Ausbrechen eines EU-Staates aus der europäischen Solidarität, würde als deutliches Indiz für den Erfolg einer solchen Strategie gewertet werden. Der aufmerksamste Beobachter der europäischen Reaktion dürfte China sein, dessen Tianxia noch um vieles besser geeignet wäre, ein Gegenkonzept zur westlich-pluralistischen Demokratie zu bieten und das europäische Wertekonzept substanziell herauszufordern bzw. zu bedrohen.

Abgesehen von der Möglichkeit, die zwingende Notwendigkeit einer institutionalisierten Militärwissenschaft durch einfachen Verweis auf den Schaden vor Augen zu führen, der maßgeblich dadurch eingetreten ist, dass der Politik keine hinreichend breite akademische Basis für die wissenschaftliche Erfassung des Wesens des Krieges, der Gründe für seine Entstehung und der Möglichkeiten seiner Verhinderung geboten werden konnte, bietet sich mit Erkenntnissen aus der grundlegenden philosophischen Untersuchung des Phänomens Krieg als einer Erscheinungsweise des Polemos8 ein weiterer Zugang an, der es erlauben würde, den zwingenden Bedarf an einer auf universitärer Ebene etablierten Militärwissenschaft, auch schon ohne stringente argumentative Ableitung ihres spezifischen und unverzichtbaren gesellschaftlichen Nutzens bzw. ohne die einzelnen alleinstellenden Leistungen die sie zur Erbringung dieses Nutzens befähigen, im Detail herunter deklinieren zu müssen, zu begründen. Mit Stadler gelte es, das metaphysisch unerbittliche Wesen des Krieges „… in den Wurzeln des abendländischen Denkens aufzuspüren und Tiefenstrukturen der politischen Prozesse zu entfalten, die es erlauben, das historische Phänomen „Krieg“ auf sein geschichtliches Noumenon hin zu denken9“.

Wenn Christian Stadler nun mahnt, den Krieg in diesem Sinne – „… in bester kantianischer Tradition – einer Kritik zu unterziehen, also nicht im Sinne einer gefühlvollmoralischen Vorverurteilung, sondern einer Durchdringung seines Daseins auf sein Sein hin10“, dann könnte man ihn dahingehend verstehen, dass er implizit eine solche institutionalisierte Militärwissenschaft, wie sie mit dem vorliegenden Modell initiiert werden soll, fordert, sie in die sicherheits- und gesellschaftspolitische Verantwortung nimmt. Noch deutlicher drückt sich die existenzielle Notwendigkeit einer systematischen, philosophisch-theoretisch begründeten Militärwissenschaft in der folgenden Erkenntnis Stadlers aus: „ Vor allem die seit jeher geübte moralische Erhabenheit gegenüber dem Krieg und seiner Wesen- und Wahrheit, hat regelmäßig dazu beigetragen, ihn mangels genauer Kenntnis seiner selbst, nicht unter Kontrolle halten zu können. Es ist geradezu symptomatisch, dass er umso weniger „gehegt“ (Carl Schmitt) ist, desto unschärfer der Blick auf sein Wesen ausfällt – wenn überhaupt noch.11“

Ein weiteres Argument für die insbesondere gesellschaftspolitische Notwendigkeit einer institutionalisierten Militärwissenschaft lässt sich aus dem von Christian Stadler herausgestellten Zusammenhang von politisch relevanter Bürgerschaft und existenzieller Kriegstüchtigkeit ableiten, mit dem er auf Platon rekurriert, der in seinen Nomoi, so wie Aristoteles, vom Status Quo einer wehrhaften Bürgerschaft ausgeht. Wer nicht an der Verteidigung des Gemeinwesens teilnehmen könne, der könne auch nicht am politischen Leben aktiv teilnehmen, da sich ansonsten Macht und Verantwortung nicht decken würden12. Eine auf universitärer Ebene anerkannte Militärwissenschaft, würde auf andere Disziplinen ausstrahlen und in der Lage sein eine Brücke zu schlagen, indem sie diesen Zusammenhang von gesellschaftlicher Verantwortung und Verteidigungs- d.h. Überlebensfähigkeit des Staates sowie seines Wertesystems systematisch erforscht, erklärt und in das öffentliche wie politische Bewusstsein rückt.

Wer den Krieg versteht – so Christian Stadler sinngemäß – kann ihn hegen, eindämmen oder im besten Fall sogar verhindern. Wäre das Wesen des Krieges verstanden, wäre man in der Lage ihn zu einzuhegen, dann bedürfte es keines Nachweises der Notwendigkeit einer Militärwissenschaft, weil sie ja bereits existieren muss, anderenfalls sich dieses Verstehen gar nicht eingestellt hätte. Ein solches „Verstehen“ scheint jedoch noch nicht in Sicht, wie das europäische Strategiedefizit und die mangelnde Bereitschaft vieler europäischer Staaten, es durch die Etablierung kernfachbasierter, militärwissenschaftlicher Bildungseinrichtungen zu schaffen, belegen.

Obwohl sich also die Notwendigkeit einer, dem vorzuschlagenden Modell entsprechenden Militärwissenschaft schon alleine aufgrund der nachträglichen, faktischen Bestätigung durch den russischen Angriff auf die Ukraine und aus der Stadlerschen Logik ergibt, dass wer sich nicht um ein wissenschaftlich fundiertes Verstehen des Krieges bemüht, sich der Möglichkeit begibt ihn einzuhegen, und sie daher auch ohne argumentative Ableitung des gesellschaftlichen Mehrwerts und der Eignung des Militärs zur Erbringung desselben nachgewiesen wäre, bleibt die Arbeit bei der auf militärwissenschaftlicher Logik basierenden, nüchternen Ableitung des unverzichtbaren Nutzens und der alleinstellenden Befähigung der Militärwissenschaft zur Generierung eines solchen, um damit eine überzeugende Argumentation vorzulegen, die einmal verstanden, auch nach dem Ende der konkreten strategischen Bedrohung, eine tragfähige Begründung für den Aufbau einer institutionalisierten Militärwissenschaft bieten kann.

6 Die „leichte Übung“, die seit 1991 stetig wachsenden konventionell militärischen Potenziale Russlands sowie deren strukturelle und technologische Entwicklung zu erkennen und davor zu warnen, die zunehmende offensive Ausrichtung seiner Großübungen, die Erweiterung seiner Projektionsfähigkeit (sowohl im Hinblick auf Luftverlege- als auch Luftlandekapazitäten) auch auf große Entfernungen im Zusammenhang mit der strategischen Ankündigung der konsequenten Verfolgung der „privileged interests abroad“ zu bewerten, wird hier nicht gesondert aufgeführt, weil es sich dabei um eine ganz selbstverständliche Aufgabe, sozusagen das „kleine Einmaleins“ der Militärwissenschaft handelt – deren vorgelegte Ergebnisse dennoch kaum Eingang in die europäische sicherheitspolitische Beurteilung gefunden haben.

7 Vgl. hierzu u.a. PEISCHEL, Wolfgang: Die Entwicklung der russischen Streitkräfte vor dem Hintergrund des Konflikts um die Ukraine, in FEICHTINGER Walter / STEPPAN Christian (Hrsg.): Gordischer Knoten Ukraine - Eine gesamtstrategisch Betrachtung, Militärwissenschaftliche Publikationsreihe der Landesverteidigungsakademie WIEN, Jänner 2017, ISBN: 978-3-903121-06-5, Seiten 77-95;

8 Vgl. Stadler, Christian: Warum Krieg? Krieg als Erscheinungsweise des Polemos - Zur Metaphysik des Polemos, in Stadler, Christian: Krieg, UTB Profile „Grundbegriffe der europäischen Geistesgeschichte“ herausgegeben von Konrad Paul Liessmann, facultas.wuv, S. 7-14;

9 Ebenda, S. 7, wörtlich: „Es gilt, das gleichsam mit metaphysischer Unerbittlichkeit wesenden Kriegen in den Wurzeln des abendländischen Denkens aufzuspüren und Tiefenstrukturen der politischen Prozesse zu entfalten, die es erlauben, das historische Phänomen „Krieg“ auf sein geschichtliches Noumenon hin zu denken.“

10 Ebenda, S. 8;

11 Ebenda, S. 8;

12 Ebenda, S. 30;

„Die Wahrheit der Absicht ist nur die Tat selbst13“

Friedrich Hegel

1 Wesen, Zweck und Ziel des Forschungsprojektes – Hypothese

Zweck und Ziel des Forschungsprojektes

Militärwissenschaft existiert in thematischer Hinsicht, d.h. als eine inhaltlich durch ihre Ausrichtung auf das Phänomen Krieg, die Rolle von Streitkräften in bewaffneten Auseinandersetzungen und die gesellschaftlichen Auswirkungen von Konflikten bestimmte Wissenschaftsdisziplin, seit dem Altertum und bedarf dahingehend keiner Begründung oder Legitimation. Bezieht man Arbeiten, die auf die Strategie, ein Teilgebiet der Militärwissenschaft, fokussieren mit ein, so ließe sich die Reihe der Proponenten, welche die Existenz einer inhaltlichen Militärwissenschaft belegen von SunTzu14, über die griechischen und römischen Denker wie Aeneas, Asklepiodotos, Polybios, Caesar, Onasander, Aelianus, Flavius Arrianus, Vegetius und Leo der Weise in Byzanz, Autoren des 16., 17. und 18. Jahrhunderts wie, Johann von Nassau-Siegen, Gustav Adolf von Schweden, Montecuccoli, Zrínyi Miklós15, Vauban, Moritz von Sachsen, Machiavelli, Friedrich der Große, Napoleon Bonaparte, Scharnhorst, Carl von Clausewitz und Jomini, Erzherzog Carl bis hin zu Lenin, Engels und Marx fortführen.

Einer Begründung bedarf also nicht die inhaltliche Dimension der Militärwissenschaft, sondern vielmehr deren institutionell-organisatorische Abbildung in der universitären Bildungslandschaft heutiger, westlich pluralistischer Demokratien. Einer Vielzahl dieser Staaten fehlt eine militärwissenschaftliche Bildungseinrichtung auf universitärer Anerkennungsebene mit dem Promotions- und Habilitationsrecht für ihre Kernfächer. So dauere nach Rainer Boehme auch „in Deutschland bislang der Verzicht auf ein gemeinsames Gebäude für Militärwissenschaften fort, der seit den 1950er Jahren in Westdeutschland wirkte16“. In der Deutschen Demokratischen Republik hingegen, war die Militärwissenschaft – wie auch in den anderen Staaten des Warschauer Vertrages – eine staatlich anerkannte, selbstständige Wissenschaftsdisziplin17. Ihr institutionelles Zentrum bildete – so Rainer Boehme18 – die Militärakademie „Friedrich Engels“ der NVA. Erstmals sei die Wissenschaftsdisziplin „Militärwissenschaft“ als kompaktes theoretisches, methodologisches und organisatorisches Wissenschaftsgebäude in Gebrauch gekommen, in dem auch (Sozial-) Gesellschafts- und Technikwissenschaften sowie Mathematik vertreten gewesen seien. Als militärische Hochschuleinrichtung sei sie nach der Gründung mit dem Recht ausgestattet gewesen, für die Wissenschaftsdisziplin „Militärwissenschaft“ das Diplom (Dipl. rer. mil. bis 1975, Dipl.-Mil.) sowie für andere Disziplinen den Dipl.-Ges. und Dipl.-Ing. zu verleihen. 1962 habe die Militärakademie das Promotionsrecht für den Doktor eines Wissenschaftszweiges (Dr. rer. mil., Dr. rer. pol., Dr. oec., Dr. phil., Dr.-Ing.) sowie für den Doktor der Wissenschaften (Dr. sc. mil., Dr. sc. pol., Dr. sc. phil., Dr. sc. oec., Dr. sc. techn.) erhalten.

Es zeigt sich, dass auch dort, wo Militärwissenschaft eine institutionalisierte Abbildung erfährt, das Schwergewicht häufig auf die Führung von Streitkräften gelegt wird und die Einbindung ziviler Wissenschaftsdisziplinen vorrangig der wissenschaftlichen Fundierung der Einsatzführung dient. Eine Ausrichtung dieser Beiträge ziviler Disziplinen durch eine militärwissenschaftliche Steuerungsinstanz hin auf den gemeinsamen Zweck einer, auf gleichzeitiger Befähigung zu strategischem Denken und operativer Umsetzung beruhenden Beratung der politischen Entscheidungsebene, konnte nicht gefunden werden.

Wo die Militärwissenschaft institutionell nicht abgebildet ist, zeigt sich das Bild eines mehr oder weniger ungesteuerten Aufeinandertreffens verschiedener Wissenschaftsdisziplinen (ein solches drückt sich häufig auch in der Mehrzahlbildung „Militärwissenschaften“ aus), die sich mit Aspekten bewaffneter Konflikte befassen, noch deutlicher. Zudem dominieren, weil der militärwissenschaftlichen Disziplin die universitäre Anerkennung versagt bleibt, zivile und sicherheitspolitische Beurteilungslogiken, die eine auf der gleichzeitigen Befähigung zu strategischem Denken und operativer Umsetzung beruhende Beratung der politischen Entscheidungsebene nicht zulassen. Angesprochen wird der Wert einer, auf aus der militärischen Führungslehre abstrahierten Funktionsprinzipien basierenden Beurteilungslogik indirekt im Aufsatz von Dietmar Schoessler, der die Möglichkeit erkannte, „Texte etwa des Militärverlages der DDR auch als Ermahnung und Motivierung für die Studierenden zu nutzen, sich an die Fragen von Frieden/Krieg/Streitkräften nicht nur in „bürgerlicher“ Weise (etwa im Stile Starnberger oder Hamburger Friedensforscher) zu begeben, sondern etwas vom dialektischen Stil zu übernehmen – zumal hier der gemeinsame Vater Clausewitz ja nicht dem Alleinvertretungsanspruch der Realsozialisten kampflos preiszugeben war.19“

Der Zweck des Forschungsprojektes liegt also nicht in der zusätzlichen Legitimierung einer inhaltlich ohnehin schon akzeptierten Militärwissenschaft, sondern im Nachweis eines möglichen, bisher nicht lukrierten, neuen Nutzens der daraus resultieren könnte, dass die Militärwissenschaft auf universitärer Qualitätsebene anerkannt und in Form einer organisch gefügten Forschungs- und Bildungseinrichtung institutionalisiert wird. Bewiesen soll werden, dass dieser Nutzen nur dann erbracht werden kann, wenn die militärwissenschaftliche Bildungseinrichtung über die Selbstregenerationsfähigkeit im Bereich ihrer Kernfachlehrer verfügt, die Beiträge der Begleitfächer durch eine Steuerungsinstanz in Richtung eines gemeinsamen und interdisziplinären militärwissenschaftlichen Ergebnisses, nämlich einer auf der gleichzeitigen Befähigung zu strategischem Denken und operativer Umsetzung basierenden, politikbereichsübergreifenden Beratung der politischen Entscheidungsebene in Fragen der Sicherheit des Staates, zum Zusammenwirken gebracht werden20 und die leitende Methodik der Militärwissenschaft einer auf abstrahierten militärischen Führungsprinzipien beruhenden Beurteilungslogik entspringt.

Die hier angedachte institutionell-organisatorische Abbildung der Militärwissenschaft liegt in der alleinigen Entscheidungskompetenz der politischen Führung. Aufgabe des Projektes konnte es daher nur sein, über den, angesichts der sich dramatisch verschärfenden strategischen Lage Europas immer dringender notwendig werdenden, möglichen und alleinstellenden Nutzen einer institutionalisierten, auf den im vorgeschlagenen Modell dargestellten Funktionsprinzipien basierenden Militärwissenschaft, zu informieren und der politischen Ebene eine diesbezügliche Entscheidungsgrundlage zu bieten.

Die auf den definierten Zweck des Projektes ausgerichteten Ziele liegen im Nachweis des möglichen Nutzens, den eine institutionalisierte Militärwissenschaft erbringen könnte, in der alleinstellenden Befähigung des Militärs zur Erbringung dieses Nutzens, in der Ableitung eines Funktions- und Strukturmodells der Militärwissenschaft, das es erlaubt die Fähigkeiten zu entwickeln die notwendig sind, um den in Aussicht gestellten Nutzen zu erbringen und schließlich im Herausdestillieren des geistigen Wesenskern des Militärs, den es im Sinne einer „informellen Militärwissenschaft“ zu erhalten und zu konservieren gilt, um eine institutionalisierte Militärwissenschaft zu einem späteren Zeitpunkt einführen bzw. aufgegebene Streitkräftefähigkeiten im Bedarfsfall wiederaufbauen zu können.

Hypothese

Europa hatte nach Ende des Zweiten Weltkrieges, eingebettet in ein relatives Machtgleichgewicht zwischen den USA und der Warschauer Vertragsorganisation, unter dem „Schirm“ der wechselseitigen nuklearen Abschreckung und unter Abwesenheit einer dritten Supermacht, wenig Möglichkeit und auch kaum Bedarf an einer eigenständigen strategischen Gestaltungskraft.

Mit Ende der Blockkonfrontation hat Europa aber nicht nur begonnen, die für eine solche Gestaltungskraft notwendigen militärischen Fähigkeiten sukzessive aufzugeben, sondern ist darüber hinaus auch noch einseitige Abhängigkeiten eingegangen, welche die eigene strategische Sicherheit bis heute massiv gefährden. Als vordergründige Rechtfertigung für dieses Vorgehen wurde behauptet, dass potentielle Gegner nun nicht mehr hinsichtlich der von einem offensiven Ansatz ausgehenden möglichen Gefährdung zu beurteilen seien, sondern nach der Eintrittswahrscheinlichkeit eines solchen Ansatzes21.

Zudem wurde diese unzulässige Abstützung auf die Eintrittswahrscheinlichkeit dadurch relativiert, dass die Vorwarnzeit für den tatsächlichen Eintritt eines militärischen Angriffs mit einer viel längeren Zeitspanne veranschlagt wurde als während des Kalten Krieges. So ging die NATO In ihrem Dokument MC161/96 B vom 27. November 1997 davon aus, dass Russland im nächsten Jahrzehnt keine Fähigkeiten zu Offensivoperationen habe und die Vorbereitungen dafür – die zudem aufgeklärt würden – eineinhalb Jahre in Anspruch nehmen würden22.

Nunmehr, nachdem die alleinige Disziplinierungsfunktion der bipolaren Mächtekonstellation NATO (USA) -WVO (Sowjetunion) Russland u.a. auch mit dem wirtschaftlichen und strategischen Aufstieg Chinas entfallen ist und sowohl Russland als auch China23 beginnen, die ohne Not, aus fehlendem strategischen Willen heraus eingegangenen Abhängigkeiten fällig zu stellen, ist der europäische Zusammenhalt, die Kohärenz im Rahmen des westlichen Verteidigungsbündnisses und bei weiter anhaltenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten auch die innere demokratische Stabilität der einzelnen europäischen Staaten in Gefahr.

Um in einem ersten Schritt, wenn schon nicht eigenständige strategische Gestaltungkraft, dann doch zumindest strategische Antwortfähigkeit zu entwickeln, bedarf es einer politikbereichsübergreifend beurteilenden, die Bedeutung von Streitkräften für die Strategiefähigkeit eines Staates und deren fachkundige Führung einschließenden, die Politik in Fragen der gesamtstaatlichen Sicherheit entscheidungsvorbereitend beratenden Wissenschaft auf universitärem, die Exzellenzebene erreichenden Qualitätsniveau. Dass eine ausschließlich sicherheitspolitische Beratung, für die sich verändernde sicherheitspolitische Landschaft in Europa und damit auch für Österreich nicht länger hinreichend sein kann, wird im Abschnitt 4.2.2. „Beispiele für die, im Hinblick auf den gesellschaftlichen Nutzen, alleinstellende Leistung der militärwissenschaftlichen Beurteilungslogik“ zu belegen versucht. Abgesehen von der dort abgeleiteten prinzipiellen Unzulänglichkeit einer ausschließlich sicherheitspolitischen Beratung, ergibt sich die Notwendigkeit eines zusätzlichen von militärischer Beurteilungslogik getragenen Beratungsbeitrages aber auch schon alleine deshalb, weil das Militär das entscheidende und finale politische Instrument, den Nukleus staatlicher Existenz verkörpert, die Souveränität – damit die Freiheit der Eigenentwicklung – sichert und die nationalen Interessen flankiert.

Postuliert wird nun, dass eine kernfachbasierte, institutionalisierte, auf universitärer Qualitätsebene anerkannte, selbstregenerationsfähige Militärwissenschaft diesen Bedarf decken könnte, wenn sie nach den im entwickelten Modell vorgezeichneten Zwecksetzungen, Funktionsprinzipien, thematischen Schwergewichten, strukturellen und organisatorischen Erfordernissen gestaltet würde.

Es geht dabei nicht bloß um einen weiteren semantischen Definitionsansatz von Militärwissenschaft, sondern um ein Modell einer Militärwissenschaft, die den abgeleiteten und exakt definierten Nutzen erbringen können soll24. Dieses Modell geht hypothetisch von einer an der höchsten tertiären Bildungseinrichtung des jeweiligen Verteidigungsressorts institutionalisierten, auf universitärem Niveau anerkannten Militärwissenschaft aus, deren primärer und alleinstellender Fokus unbeschadet einer notwendigen breiten Interdisziplinarität auf die militärwissenschaftlichen Kernfächer gerichtet ist und die methodisch auf einer, aus Prinzipien der militärischen Führungslehre abstrahierten Beurteilungslogik basiert.

Das Wesen der Studie besteht darin, abzuleiten wie eine Militärwissenschaft funktionieren müsste, wenn sie den definierten alleinstellenden und notwendigen Nutzen für die Sicherheit des Staates erbringen können soll. Es geht weder um eine Beschreibung existierender Ansätze zur Organisation von Militärwissenschaft noch um eine apodiktische Vorgabe, wie sie strukturiert sein müsste. Es soll vielmehr ein Modell einer hypothetischen Militärwissenschaft entwickelt werden, deren Struktur und Funktionsprinzipien es erlauben, den beurteilten Nutzen auch tatsächlich zu erbringen – d.h. es wird versucht die Hypothese dadurch zu erhärten, dass logisch nachgewiesen wird, dass der definierte Nutzen dann erbracht werden kann, wenn die Militärwissenschaft nach den im Modell erfassten Strukturprinzipien und Funktionslogiken ausgestaltet ist25. Dieses Modell stellt dabei keinen starren Bauplan und auch keine endgültige Struktur dar. Es geht vielmehr um die philosophisch begründete Herleitung militärwissenschaftlicher Grundlagen, Beurteilungslogiken, Denkansätze und Herangehensweisen vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Kulturraumspezifität und um die Untersuchung der Fragen, von welcher geisteswissenschaftlicher Basis aus sich militärwissenschaftliche Funktionsprinzipien entwickelt haben und in welchem interdisziplinären Zusammenhang sie untereinander stehen (deshalb auch ein sehr breit interdisziplinärer Ansatz). Es soll verständlich gemacht werden, wie Militärwissenschaft funktioniert, was ihren Wesenskern ausmacht, weil nur aus diesem Verstehen heraus Zustimmung erfolgen kann, die Militärwissenschaft zum Nutzen des Staates institutionell abzubilden.

Zusätzlich wird auch darauf eingegangen was die informelle, d.h. noch nicht institutionalisierte Militärwissenschaft, sozusagen aus der Eigeninitiative von Bildungseinrichtungen und deren Forschern heraus leistet. Dabei wird insbesondere auf Arbeiten aus dem Bereich der österreichischen Landesverteidigungsakademie, auf durch die Abteilung „Wissenschaft, Forschung und Entwicklung“ und durch die Wissenschaftskommission beim BMLV unterstützte Projekte eingegangen, die universitären Qualitätsstandards entsprechen, aber aufgrund der fehlenden universitären Anerkennung der militärischen Bildungseinrichtung nicht auf eine universitäre Graduierung der erstellenden Forscher angerechnet werden können.

Die im Zuge des Projektes abgeleiteten Erkenntnisse beziehen sich auf eine, auf den kontinentaleuropäischen, insbesondere deutschsprachigen Raum zugeschnittene Militärwissenschaft26. Diese Beschränkung des Untersuchungsgegenstandes war deshalb notwendig, weil die Führungsphilosophie, auf der ein militärwissenschaftliches Forschungs- und Lehrgebäude aufbaut bzw. der sie zu entsprechen hat, wie zu zeigen sein wird, eine deutliche kulturraumspezifische Prägung aufweist.

Bei der Erstellung der Studie herrschte zu jedem Zeitpunkt Klarheit darüber, dass die Schaffung einer institutionalisierten Militärwissenschaft voraussetzt, dass die Gesellschaft bereit ist den erzielbaren Nutzen anzunehmen, das Militär den militärwissenschaftlichen Anspruch an sich selbst stellt und die Politik sich entscheidet, die Aufgabe einer militärwissenschaftlichen Forschung auf universitärer Ebene dem Militär zuzuordnen. Die Studie kann und soll dazu lediglich eine wissenschaftlich fundierte Entscheidungsgrundlage liefern.

Es geht in der Studie nicht darum, zu zeigen und zu beschreiben was historisch unter Militärwissenschaft27 verstanden wurde bzw. überblicksweise zu analysieren, wie Militärwissenschaften in anderen Staaten organisiert sind. Die Arbeit stellt auch keinen Vorgriff auf die curriculare Umsetzung der erarbeiteten Forschungs- und Lehrinhalte dar (dieser Schritt soll bewusst einer gesonderten Studie vorbehalten bleiben).

13 Hegel, Friedrich: Phänomenologie des Geistes, 1807. A. Bewußtsein. III. Kraft und Verstand, Erscheinung und übersinnliche Welt.

14 Zur Auswahl der beispielhaft angeführten strategischen Denker vgl. Albert A. Stahel: Klassiker der Strategie - eine Bewertung, Vorwort von Dr. Bruno Lezzi, Strategische Studien, v/d/f Hochschulverlag AG an der ETH Zürich, ISBN: 3 7281 2861 9, 3. Überarbeitete Auflage 2003;

15 Zur Bedeutung des militärwissenschaftlichen Werkes Zrínyi Miklós´ vgl. Pöcher, Harald: Zrínyi Miklós (1620-1664) „Sors bona, nihil aliud“, Staatsmann, Poet, Feldherr und Gründungsvater der ungarischen Militärwissenschaften, in Österreichische Militärische Zeitschrift (ÖMZ), Heft 2/2010, S. 226-234; Pöcher stellt hier nicht nur die herausragende Bedeutung Zrínyi Miklós´ für die ungarische Militärwissenschaft dar, sondern streicht auch heraus wie sehr er mit seinem Wirken, seinem Vorbild und seinem hinterlassenen Werk dazu beigetragen hat, den Grundstein für ein freies Ungarn zu legen.

16 Rainer Böhme, Oberst a. D., Dr. rer. mil., Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von WeltTrends – das außenpolitische Journal: Militärwissenschaften im Diskurs (II) - Militärwissenschaft in der Enzyklopädie (2022); Dresdener gesammelte Kommentare zur Sicherheitspolitik (dgksp) – Diskussionspapiere, ISSN 2627-3470, Dresden, Redaktion: 25. August 2022, Seite 4;

17 Ebenda: Seite 7;

18 Ebenda: S. 29-30;

19 Dietmar Schössler: Erkenntnisinteresse an Militärwissenschaft – allgemein und speziell (DDR) – was bleibt. In: Militärwissenschaft in der DDR 1949–1990. DSS-Arbeitspapiere, Heft 5, Dresden 1992, ISSN 1436-6010. Zit. S. 7. (slub.qucosa.de);

20 Die bloße Hereinnahme ziviler Disziplinen und Studiengänge (mit Graduierungen die auch außerhalb des Militärs erlangt werden können) unter das organisatorische Dach einer militärischen Bildungseinrichtung, stellen kein solches, auf einen gemeinsamen militärwissenschaftlichen Zweck hin ausgerichtetes Zusammenwirken dar.

21 Auch wenn die Wahrscheinlichkeit für Rot bzw. Schwarz beim Roulette bei etwa 50% liegt, so haben dennoch viele Spieler 100% ihres eingesetzten Vermögens verloren.

22 Gleichwohl hieß es aber auch in einer Studie von 1999 über „Gefährdungspotentiale für die Nahrungsmittelversorgung und deren Absicherungskonzepte im Frieden und in Krisensituationen“: „Es hat sich in der letzten Zeit herausgestellt, daß die Zahl der politisch und wirtschaftlich instabilen Regionen und die Bereitschaft, militärische Mittel einzusetzen, eher zu- als abgenommen hat. Nicht wenige haben das Ende des „Kalten Krieges“ mit dem Ende von Gefährdungssituationen und militärischen Konflikten – zumindestens in Europa – gleichgesetzt. Es ist ein Paradoxon der Zeitgeschichte, daß gerade nach dem Ende der nuklearen Bedrohung eine Destabilisierung eingesetzt hat, die zu einer neuen militärischen Auseinandersetzung in Europa führte.“

https://www.ble.de/SharedDocs/Downloads/DE/Landwirtschaft/KritischeInfrastrukturenLandwirtschaft/Literatur/Notfall.pdf?__blob=publicationFile&v=1 S.2

23 Auch wenn dies im Falle Chinas noch nicht so offensichtlich sein mag, so lässt die Bedrohung Taiwans (etwa 70% der weltweit benötigten CPU-Chips Produktion) oder die Option einer Duldung bzw. Unterstützung des russischen Vorgehens gegen die Ukraine ein dahingehendes künftiges Verhalten erahnen.

24 Damit erhebt der dieser Studie zugrunde gelegte Definitionsansatz keinen über den, anderer Konzepte hinausgehenden Geltungsanspruch – es wird lediglich versucht nachzuweisen, dass eine Militärwissenschaft, wenn sie dazu befähigt sein soll, den hier abgeleiteten Nutzen für die Sicherheit des Staates zu erbringen, auf der vorgeschlagenen, modellhaften Struktur bzw. thematischen Ausrichtung aufbauen müsste.

25 Wenn im Zuge der Studie eine Aussage getroffen wird „wie Militärwissenschaft funktionieren bzw. ausgestaltet sein soll“, dann ist dies nicht apodiktisch, sondern immer in dem Kontext zu verstehen, dass diese dem angebotenen Modell entsprechende Funktionsweise bzw. Struktur als Bedingung für die Erzielung des definierten Nutzens gesehen wird. Wenn also beispielsweise behauptet wird was Militärwissenschaft im Sinne des angebotenen Modells „beinhaltet, leistet, bzw. nach welchen Prinzipien sie funktioniert“, so ist dabei stets der angehängte Konditionalsatz „wenn sie den in der Studie definierten, möglichen Nutzen erbringen können soll“ mitzudenken.

26 Zur Kulturraumspezifität von Führungstheorien vgl. Pommerin Reiner (Ed.): Clausewitz goes global, Carl von Clausewitz in the 21st Century, Carola Hartmann Miles-Verlag, Berlin 2011 und hier insbesondere den Beitrag von Christopher Bassford “Clausewitz in America today“, S. 341-355;

27 Dies würde im Hinblick auf die Schaffung einer institutionalisierten Militärwissenschaft deshalb wenig Sinn machen, weil die Denker der historischen Militärwissenschaft aus den unterschiedlichsten Zielsetzungen bzw. erkenntnisleitenden Interessen heraus geforscht haben und ihnen dies auch völlig freigestellt blieb, weil sie es zumeist aus eigenem Antrieb, auf niemandes Weisung, und in der Regel für keine institutionalisierte Bildungseinrichtung getan haben.

2 Der Werdegang des Forschungsprojekts „Militärwissenschaft – eine Modellbildung“

Im Jahr 2016 wurde durch mich in meiner damaligen Funktion des Leiters der Österreichischen Militärischen Zeitschrift (ÖMZ) das Forschungsprojekt „Militärwissenschaft – eine Modellbildung; Struktur für eine militärwissenschaftliche insbesondere strategische Theorie-Forschung („militärwissenschaftliches Forschungsraster")“ unter der Projektnummer 356, im Forschungsthemenfeld 4 (FTF 4) eingemeldet und mit der geplanten Projektdauer 20162017, durch die Abteilung „Wissenschaft Forschung und Entwicklung“ (WFE) des Bundesministeriums für Landesverteidigung angeordnet. In der ursprünglichen Zielsetzung sollte dabei der Frage nach einer Struktur für die militärwissenschaftliche insbesondere strategische Theorie-Forschung auf den Grund gegangen werden. Der Zweck des Projektes sollte in der Schaffung eines Modells für die militärwissenschaftliche Bildung im Österreichischen Bundesheer und der Grundlagen für die Erarbeitung einer Strategietheorie auf Basis eines zu erstellenden Forschungsrasters „Militärwissenschaft/militärwissenschaftliche Theorieansätze“ liegen. In meiner Funktion als inhaltlich Leitender des Projektes hatte ich die Identifikation der Problemstellung aus der militärwissenschaftlichen bzw. führungstheoretischen Sicht, die Definition einer Arbeitshypothese, die Erstellung einer Arbeitsstruktur und die Zuordnung von Teilausarbeitungen an nationale oder internationale Experten für den jeweiligen Themenbereich zu leisten. Internationale Expertise sollte dabei u.a. über die Kontakte zur ClausewitzGesellschaft, zum Clausewitz-Netzwerk für Strategische Studien und aus der Einbettung der Österreichischen Militärischen Zeitschrift in die International Society of Military Sciences (ISMS) und in das Netzwerk der European Military Press Association (EMPA) bezogen werden. Nach einem moderierten Diskurs zwischen den eingebrachten Ansätzen/Fachsichten hätten die Teilausarbeitungen durch die Projektleitung zu einem synergetischen Projektergebnis mit wissenschaftlichem Neuigkeitswert zusammengeführt werden sollen.

Nun fiel der Projektfortgang aber mit konkreten Veränderungen in der Organisation des höheren Offiziersausbildungssystems zusammen, was dazu führte, dass ich als Projektleiter auch gleichzeitig ein Arbeitspaket im Projekt der Neustrukturierung eines zu schaffenden „Kommandos Ausbildung/Verteidigungsakademie“ zu führen hatte. Damit verschob sich das forschungsleitende Interesse des Projektes 356/FTF 4 in Richtung einer grundsätzlichen Struktur einer institutionalisierten, kernfachbasierten Militärwissenschaft in Österreich. Die Abänderung des Forschungszwecks wurde der Abteilung Wissenschaft Forschung und Entwicklung vorgeschlagen und von Letzterer genehmigt. Damit entfiel auch die Einschränkung auf Theorieforschung bzw. Ausbildungsmodelle. Die ursprünglich geplante Fokussierung auf die Strategietheorieforschung wurde auf ein weiterführendes Projekt verlagert, das sich der Entwicklung von Struktur und Inhalten eines Lehrgegenstandes „Strategisches Denken“ widmen sollte. Dieses Projekt wurde ebenfalls von mir in meiner damaligen Funktion als Leiter der ÖMZ eingebracht und von der Abteilung WFE genehmigt.

Da das Projekt 356 parallel zu tatsächlichen Veränderungen in der Struktur der höheren Offiziersausbildung verlief und auf eine große Anzahl auch internationaler Schnittstellen zurückgreifen konnte, an denen mit militärwissenschaftlichen Experten zusammengearbeitet wurde, stellt sich der Projektfortgang als eine Reihe von Teilforschungsarbeiten dar, die aufeinander aufbauten, einander beeinflussten und erst über einen längeren Zeitraum hinweg zu einem organisch gefügten Ergebnis geführt haben. Das vorliegende Buch repräsentiert den Abschlussbericht dieses Projekts.

Um Zwischenergebnisse zur Diskussion stellen zu können und damit eine empirische Bewährung von Kernerkenntnissen zu erreichen, wurden Teilschritte in Journalen, Sammelbänden und online-Veröffentlichungen publiziert, in Konferenzen thematisiert bzw. gesamte Konferenzen unter das Thema eines solchen Teilarbeitsschrittes gestellt. Weil diese Publikationen bzw. Konferenzbände den Fortgang des Projektes widerspiegeln und die wesentlichen Erkenntnisse beinhalten, auf denen das im Abschlussbericht präsentierte Ergebnis basiert, wurden die zugrunde liegenden Textstellen im jeweiligen thematischen Kontext zitiert. Da ich als Leiter des Projektes in vielen Fällen auch Herausgeber der jeweiligen Publikation war, findet sich in der vorliegenden Arbeit eine unverhältnismäßig große Anzahl von „Eigenzitaten“. Dies ist aber insoweit beabsichtigt, als die einzelnen Forschungsarbeiten, Publikationen und Konferenzen durch mich als Meilensteine und als zielgerichtete Teilarbeitsschritte bewusst gesetzt wurden, um in ihrer Zusammenschau zum Projektergebnis zu führen.

Die Grundmotivation, das Projektthema einzubringen, entstand bereits in der Zeit als ich an der Landesverteidigungsakademie Taktik an höheren Offiziersausbildungsgängen unterrichten und vom zuständigen Hauptreferatsleiter lernen durfte, wie taktische Beurteilungen mittels eines von ihm entwickelten graphischen Beurteilungsverfahrens schneller und treffsicherer gemacht werden können. Auf Basis dieser neu geschaffenen militärwissenschaftlichen Methodik, durfte ich meinen Beitrag zum „Handakt Taktik“ leisten, mit dem taktische Beurteilungen objektiviert, d.h. jeglicher willkürlichen Bewertung entzogen werden konnten. Der später von mir erstellte „Handakt Stabsdienst“, ergänzte diesen Ansatz um Zeitschemata, die dem Beurteilenden zeigen, wann getroffene Entscheidungen sich unter Anwendung welcher Führungsverfahren auf dem Gefechtsfeld auswirken. Diesem Ansatz, mit dem materiell militärwissenschaftliches Neuland beschritten wurde, stand im krassen Gegensatz zu der zwar tradierten28 aber dennoch unzutreffenden Ansicht, dass militärische Führung hauptsächlich Handwerk, manchmal auch intuitive Begabung, keinesfalls aber Ergebnis systematisch wissenschaftlicher Erarbeitung ist. Seit ich erkannt hatte, dass eine solche Einschätzung den grundsätzlichen Charakter der höheren Offiziersausbildung nachteilig beeinflusst und ihr die Grundlage entzieht, die für die Auftragstaktik notwendige, selbständige Beurteilungsfähigkeit zu vermitteln, reifte in mir der Entschluss, die Notwendigkeit einer Militärwissenschaft nachzuweisen, die es ermöglicht militärisches Führen systematisch zu erforschen, weiterzuentwickeln und auf dem aktuellen Stand zu halten der erforderlich ist, um den Entscheidenden ein zeitgemäße Rüstzeug an die Hand zu geben, mithilfe dessen die erreichbare Wirkung mit einem möglichst hohen Maß an Sicherheit erzielt werden kann. Zur Thematik „Intuition, Bauchgefühl und Führung“ wurde später ein Beitrag des Sozialwissenschaftlichen Beirates29 zur Publikation der Wissenschaftskommission über die Forschungsprojekte in der Funktionsperiode 2017-2022 verfasst, dessen Kernaussagen in die gegenständliche Studie übernommen wurden.

Der Einreichung des Projektes ging also eine bis zur Absolvierung meiner Generalstabsausbildung zurückreichende, und meine gesamte militärische Laufbahn begleitende, intensive Beschäftigung mit der Militärwissenschaft, insbesondere mit den geistesgeschichtlichen Grundlagen militärischer Führung, der Theorie des bewaffneten Konflikts, der Führungsphilosophie, den abstrakten Prinzipien der Führungslehre und des strategischen sowie operativen Denkens voran, deren Ergebnisse in die Projektarbeit eingeflossen sind und mich in der Überzeugung bestärkt haben, dass eine institutionalisierte Militärwissenschaft einen unverzichtbaren Nutzen für die Sicherheit der Gesellschaft erbringen würde.

In diesem Sinne wurde zunächst ein Modell30 entwickelt, mit dem nachgewiesen wird, dass alle Führungsebenen einer wissenschaftlichen Bearbeitung bedürfen – die höheren mit einem höheren Anteil an Wissenschaftlichkeit auch in der Vermittlung der Lehrinhalte und in der Ausbildung, die unteren mit einem höheren Anteil an Wissenschaftlichkeit im Bereich des Erarbeiten der Lehrinhalte.

Ebenso ergaben sich aus der Forschung im Bereich der Führungsverfahren erste Anhalte für die kulturraumspezifische Ausprägung von Führungsprinzipien bzw. der Führungsphilosophie insgesamt.

Im Zuge der Kontakte zu Offizieren der Deutschen Bundeswehr, die sich währende meiner Zentralstellenverwendung ergeben haben, kam ich mit der Clausewitzgesellschaft und mit dem Clausewitz-Netzwerk für Strategische Studien in Berührung die mir entscheidende, aus dem Werk des Carl von Clausewitz resultierende Einsichten vermittelten. Insbesondere die von ihm entwickelte spezifisch militärwissenschaftliche Methodik, die Leitfunktion des strategischen Denkens für die Militärwissenschaft, die Dualität zwischen einem auf Strategieberatung und einem auf Einsatzführung ausgerichteten Fähigkeitsstrang der Militärwissenschaft, die auf dem hermeneutischen Zirkel beruhende, dialektische Verkoppelung zwischen theoretischen und empirischen Lösungsansätzen als Grundlage für aus der Auftragstaktik entspringende Führungsverfahren und die sich aus der philosophischen Herleitung ergebende Kulturraumspezifität, haben das Ergebnis der vorliegenden Studie über den Nutzen, die Funktion und die mögliche Strukturierung einer künftigen Militärwissenschaft wesentlich beeinflusst.

Die bei Clausewitz zum Ausdruck kommende Verantwortung der oberen militärischen Führung für eine entscheidungsvorbereitende Strategieberatung an der Schnittstelle zur politischen Entscheidungsebene haben mich zur Fragestellung geführt, wie militärische Stäbe eine politikbereichsübergreifende Beratung in Fragen der staatlichen Sicherheit leisten können, ohne sich dem (unbegründeten) Vorwurf auszusetzen, den Primat der Politik zu verletzen bzw. welchen notwendigen und alleinstellenden gesellschaftlichen Nutzen sie daraus generieren können. Das Ergebnis dieser Forschung zum Verhältnis von Demokratie und Streitkräften, das ich als Dissertation31 im Fach Militärwissenschaft bei der ungarischen Verteidigungsuniversität eingereicht habe, stellt ebenfalls ein wesentlicher Teil des Gesamtergebnisses des Forschungsprojektes dar.

Mit der Übernahme der Leitungsfunktion der Österreichischen Militärischen Zeitschrift gelangte, ich aufbauend auf den vorangegangenen Forschungsschritten in Richtung einer systematischen militärwissenschaftlichen Forschung, zur Erkenntnis, dass ein militärwissenschaftliches Publikationsorgan prädestiniert ist für eine breit angelegte interdisziplinäre Koordination von Forschungsergebnissen, für eine darauf aufbauende Generierung neuer militärwissenschaftlicher Inhalte, für die Initiierung und Moderation von Experten-Think Tanks und für die Sichtbarmachung der Forschungsergebnisse der tertiären militärischen Bildungseinrichtung auf einer universitär anerkannten Qualitätsebene, um den eigenen Forschern die Erreichung der erforderlichen „Credits“ für eine weitere akademische Graduierung zu ermöglichen und der Bildungseinrichtung zu einem guten Abschneiden in internationalen Ranking-Systemen zu verhelfen. Diese Erkenntnisse sind in den Abschnitten eingeflossen, die sich mit den organisatorischen und strukturellen Bedingungen für die Schaffung einer institutionalisierten Militärwissenschaft beschäftigen.

Das erste inhaltliche Thema, dessen Erforschung sich die ÖMZ entsprechend der obigen Erkenntnis verschrieben hat, war das strategische Denken als leitendes Kernfach und als Steuerungsinstanz einer zu schaffenden Militärwissenschaft. Zu diesem Zweck wurde die Reihe der internationalen Wiener Strategiekonferenzen ins Leben gerufen, die eine auch über den deutschen Sprachraum hinausgehende Strategieentwicklungsplattform bieten, hochrangige interdisziplinäre Expertise zu grundlegenden Prinzipien strategischen Denkens bündeln und so einen Ausgangspunkt für die Modellierung einer kernfachbasierten Militärwissenschaft schaffen sollte. Die Auftakt-Konferenz 201632 ging der Frage nach, wie Strategie verstanden werden muss, um einen alleinstellenden Nutzen der Militärwissenschaft für die Sicherheit des Staates zu erbringen. Die Konferenz 201733 versuchte Strategie ausgehend von diesem Verständnis inhaltlich zu strukturieren und zu klären ob und wie sie lehrbar gemacht werden könnte. Die dritte, vierte und fünfte Konferenz34 stellten einen ersten Versuch einer empirischen Belegung der Ergebnisse der ersten beiden Veranstaltungen anhand der Abarbeitung inhaltlicher Problemstellungen auf Basis der in den Vorkonferenzen entworfenen Forschungsstruktur für das Kernfach Strategie dar. Die in den jeweiligen Konferenzbänden publizierten Expertenbeiträge zu diesen Thematiken sind vor allem in den Abschnitten der Studie eingeflossen, die sich mit dem Nutzen und der alleinstellenden Leistung einer künftigen Militärwissenschaft beschäftigen bzw. mit der Steuerungsfunktion des Kernfaches Strategie bezüglich des Zusammenwirkens der weiteren militärwissenschaftlichen Kern- und Begleitfächer. Die Konferenz 202235 behandelte die Schnittstelle zwischen politischer Entscheidung und strategischer Beratung sowie den kaskadierenden Wirkungszusammenhang zwischen strategischer Zweckfindung, operativer/logistischer Umsetzung und der Ermittlung bzw. Rückmeldung des abhängig von den freigegebenen Ressourcen von der Politik einzugehenden Risikos. Die Ergebnisse dieser Konferenz bildeten eine wesentliche Grundlage für die Abschnitte im Zuge derer die strategie- und die einsatzführungswissenschaftliche Dimension der Militärwissenschaft herausgearbeitet wurden und in denen aus der wechselseitigen Abhängigkeit der beiden Fähigkeitsstränge voneinander sowie der Forderung nach deren gleichzeitiger Beherrschung die alleinstellende Leistung der Militärwissenschaft abgeleitet werden konnte.

Die inhaltsgenerierende Forschungsarbeit im Rahmen der ÖMZ führte dazu, dass ich die Landesverteidigungsakademie im Board der International Society of Military Sciences (ISMS) vertreten und für das Jahr 2019 die zwischen den Mitgliedstaaten rotierende Präsidentschaft übernehmen durfte. Es gelang, die in dieser Funktionsperiode durch Österreich wahrzunehmende Jahreskonferenz dem Thema der Schaffung einer kernfachbasierten Militärwissenschaft zu widmen. Inhaltlich wurde diese Konferenz als eine dialektische Gegenüberstellung einer durch eine Steuerungsinstanz auf einen strategischen Zweck ausgerichteten und einer auf ahierarchischer Kooperation ziviler und militärischer Disziplinen beruhenden Militärwissenschaft konzipiert. Das Ergebnis der Konferenz wurde in einer Publikation36 festgehalten, die als Grundlage für eine mögliche Strukturierung der Zusammenarbeit zwischen Kern- und Begleitfächern Eingang in die vorliegende Arbeit gefunden hat. In diesem Zusammenhang wurde auch auf die im Beitrag von Professor Romulo Enmark37 herausgearbeiteten Ergebnisse zurückgegriffen.

Im Rahmen der fortgesetzten Zuarbeit zu Projekten der ISMS wurde der ÖMZ die Erstellung des Kapitels „Strategy and the Military“ für die im Springer-Verlag unter redaktioneller Verantwortung der Norwegischen Verteidigungsuniversität erscheinende online-Publikation, „Handbook of Military Sciences“ zugeordnet. Unter der Mitarbeit hochrangiger nationaler und internationaler Experten wurde ein solches Kapitel erstellt, das aber aufgrund seines Tiefgangs das Zielpublikum, angehende Master-Studenten der Militärwissenschaft und Hörer anderer sicherheitsaspektierter Lehrgänge, klar überfordert hätte. Es wurde daher mit dem Herausgeber des Handbook vereinbart, das Kapitel „Strategy and the Military“ aus dem Gesamtvorhaben herauszubrechen, weiterzuentwickeln und unter dem Titel „Strategy and the Military – a Propaedeutic Approach to Military Science38“ für eine militärwissenschaftlich weiter fortgeschrittene Leserschaft und unter österreichischer Herausgeberschaft im Carola Hartmann Miles-Verlag zu veröffentlichen. Die dort abgeleiteten Ergebnisse wurden zur Komplettierung der Begründung für eine durch die Steuerungsinstanz „Strategie“ auf einen gemeinsamen, alleinstellenden gesellschaftlichen Nutzen auszurichtende Militärwissenschaft verwendet.

Die Mitgliedschaft bei der European Military Press Association (EMPA) deren Präsidentschaft die ÖMZ von 2016 bis 2021 innehatte, eröffnete die Möglichkeit, den europäischen Militärjournalismus in Richtung eines stärkeren militärwissenschaftlichen Engagements zu motivieren. Darüber hinaus konnte dafür sensibilisiert werden, dass inhaltsgenerierender Militärjournalismus zu einer tragenden Säule der strategischen Kommunikation des jeweiligen Verteidigungsressorts aufwachsen könnte. Die aus dem Diskurs im Rahmen der EMPA und aus dem vom EMPA-Board getragenen Panel „Strategische Kommunikation“ der Wiener Strategiekonferenzreihe resultierenden Ergebnisse, wurden den Abschnitten zugrunde gelegt, die sich mit der Zuordnung von Forschungsaufgaben zu möglichen Organisationselementen beschäftigen bzw. dem Kapitel über die Bedeutung des Militärjournalismus für die strategische Kommunikation des Verteidigungsressorts.

Meine Betrauung mit der Leitung eines Arbeitspaketes im Rahmen des Projektes „Kommando Ausbildung/Verteidigungsakademie“ eröffnete die Möglichkeit das Thema einer möglichen Strukturierung einer gesamtheitlichen militärwissenschaftlichen Bildungseinrichtung gemeinsam mit einer großen Anzahl ausgewiesener, BMLV-angehöriger Experten zu bearbeiten und der Ressortführung entsprechende Vorschläge zu unterbreiten. Die nach Projektende (Kommando Ausbildung/Verteidigungsakademie) weitergeführten Überlegungen sind zum Zwecke der Strukturierung einer möglichen kernfachbasierten, auf universitärer Qualitätsebene anerkannten und mit Selbstregenerationsfähigkeit ausgestatteten Militärwissenschaft, in das Projekt 356 aufgenommen worden. Insbesondere ergaben sich dabei erste Überlegungen hinsichtlich eines Zweigespanns aus einem Militärwissenschaftsstudium für militärische Führungsfunktionen und einem Studium Allgemeine Führung für zivile Studierende, die auf Führungssituationen unter Zeitdruck und unter volatilen Umfeldbedingungen vorbereitet werden sollen. Beide Studien wären durch einen gemeinsamen Grundstock an Ausbildungsinhalten verbunden. Das Studium Allgemeine Führung ergäbe sich daher als („kollateraler“) Zusatznutzen aus dem in jedem Fall durchzuführenden Militärwissenschaftsstudium, könnte ohne großen Mehraufwand verwirklicht werden und würde eine höhere Anzahl gleichzeitig Studierender erbringen.

Ebenso wurden die Ergebnisse der Vorarbeiten zu dem von der EU im Jahr 2018 in Auftrag gegebenen Projekt einer Verteidigungsakademie für den Westbalkan weiterentwickelt und als Grundlage für die Entwicklung eines militärwissenschaftlichen Fächerkanons in die vorliegende Studie übergeführt.

Noch im Rahmen meiner aktiven Dienstzeit wurde mir das institutsgemeinsame Forschungsprojekt der Landesverteidigungsakademie zum Thema „Strategische Resilienz im Spannungsverhältnis zwischen Interdependenz und Autarkie39“ zur inhaltlichen Leitung übertragen. Dabei ist es gelungen, ein die gesamtstaatliche Sicherheit betreffendes Problem in einem, durch die, die strategische Steuerung vertretende ÖMZ, zwischen den Beiträgen aller Institute akkordierten Ansatz militärwissenschaftlich zu bearbeiten. Dieses Projekt stellte somit den ersten erfolgreichen Testlauf einer inhaltlich nach dem vorgeschlagenen Modell strukturierten Militärwissenschaft dar.

Mit diesem Abschnitt sollte gezeigt werden, auf welche zur Diskussion gestellten, entsprechend der Diskussion überarbeiteten und vorgelagert publizierten Teilergebnisse die Studie aufbaut.

Die Zusammenführung dieser Teilergebnisse, deren gesamtheitliche Beurteilung und die darauf aufbauende Erstellung eines Modells für eine zu schaffende, kernfachbasierte, institutionalisierte Militärwissenschaft auf universitärem Anerkennungsniveau stellen die Substanz der vorliegenden Studie dar.

28 Die hohe Bedeutung die dem „Bauchurteil“ tradierterweise beigemessen wird, stammt vermutlich aus der Zeit, als kriegsgediente Offiziere ihr erlerntes und im Einsatz internalisiertes Können vermeintlich als Intuition wahrgenommen und auch so weitergegeben haben. Nachfolgenden Offiziersgenerationen, die nicht über die intensiven Einsatzerfahrungen ihrer Vorgänger verfügten und diese Erfahrungen daher auch nicht internalisieren konnten, dürften trotzdem fast zwangsläufig die Anschauung übernommen haben, dass das „Bauchgefühl“ eine originäre Wirkung entfaltet. Gerade die Entzauberung eines vermeintlichen Bauchgefühls, das auf keiner internalisierten Erfahrung beruht, sondern nur mehr tatsächliches Bauchgefühl darstellt, ist eine wesentliche Aufgabe der Militärwissenschaft.

29 Peischel, Wolfgang: Intuition, Bauchgefühl und Führung - Tast- und Geschmackssinn (Tasten und Schmecken) in übertragener Bedeutung und Michael Mikas: Menschliches Entscheidungsverhalten, Ratio, Intuition und Haptik - ein Versuch einer Zusammenführung aus human- und sozialwissenschaftlicher Sicht, in Josef Eberhardsteiner (Hrsg.): Die Wissenschaftskommission beim BMLV, Funktionsperiode 2017-2022, Verteidigungsforschung - Verteidigung forschen; Sinne, Intelligenz und Technologie im 21. Jahrhundert, Bundesministerium für Landesverteidigung, ISBN978-3-903359-34-5, Wien 2022, S. 171-188 bzw. 191-197;

30 Vgl. Peischel, Wolfgang / Hollerer Franz: „Militärwissenschaft“ als Antwort auf die neuen Anforderungen an das Rollenbild des Offiziers, in Österreichische Militärische Zeitschrift, ÖMZ – Ausgabe 4/1999, Seiten 439-450;

31 Peischel, Wolfgang: Relations Between Functional Principles of Democracies and their Armed Forces An Analysis of Relevant Influencing Factors and their Systemic Interdependence, PhD-Dissertation submitted to the Doctoral School of the Zrínyi Miklós Defense University / National University of Public Service, Faculty of Military Science, Budapest, July 9th 2014;

32 Vgl. Peischel, Wolfgang [Hrsg.]: Wiener Strategie-Konferenz 2016 – Strategie neu denken, Carola Hartmann Miles-Verlag, Berlin 2017, ISBN 978-3-945861-53-0;

33 Vgl. Peischel, Wolfgang [Hrsg.]: Wiener Strategie-Konferenz 2017 – Strategie neu denken, Carola Hartmann Miles-Verlag, Berlin 2018, ISBN 978-3-945861-76-9;

34 Vgl. Peischel, Wolfgang [Hrsg.]: Wiener Strategie-Konferenz 2018 – Strategie neu denken, Carola Hartmann Miles-Verlag, Berlin 2019, ISBN 978-3-945861-90-5, Peischel, Wolfgang [Hrsg.]: Wiener Strategie- Konferenz 2019 – Strategie neu denken, Carola Hartmann Miles-Verlag 2021, ISBN 978-3-96776-019-4; der Konferenzband 2021 befindet sich noch in Erstellung;

35 Der Konferenzband 2022 befindet sich noch in Erstellung;

36 Vgl. Peischel, Wolfgang / Bilban, Christoph [Eds.]: Building Military Science for the Benefit of Society, International Society of Military Sciences, Carola Hartmann Miles-Verlag, Berlin 2020, ISBN 9-783967760170, peer-reviewed;

37 Vgl. Enmark Romulo: War and Prefixes, in Austrian Military Journal (ÖMZ) - online only, November 2020, https://www.oemz-online.at/display/ZLIintranet/Online+Only+en; Professor Enmark hatte die Federführung in der Überleitung der Schwedischen Verteidigungsakademie in eine Verteidigungsuniversität mit Doktoratsrecht.

38 Vgl. Peischel, Wolfgang [Ed.]: Strategy and the Military - A Propaedeutic Approach to Military Science, National Defence Academy Vienna - International Society of Military Sciences, Carola Hartmann Miles-Verlag, Berlin 2023, ISBN 9-783967-760620;

39 Vgl. Peischel, Wolfgang (Hrsg.): Strategische Resilienz im Spannungsfeld zwischen Interdependenz und Autarkie, unter besonderer Berücksichtigung der Beitragsleistung des Militärs in demokratischen Rechtsstaaten. Das institutsgemeinsame Forschungsprojekt 2020/21 der Landesverteidigungsakademie Wien, Carola Hartmann Miles-Verlag, Berlin 2021, ISBN 978-3-96776-025-5, peer-reviewed;

3 Der methodische Aufbau der Studie

In diesem Abschnitt soll der methodische Aufbau der Studie überblicksweise dargestellt und aus der Abfolge der Fragestellungen und Zielsetzungen der einzelnen Kapitel, ihr zentraler Argumentationsgang nachgezeichnet werden.

Im Vorwort wird die Motivation für die Erarbeitung eines möglichen Modells einer institutionalisierten Militärwissenschaft auf universitärer Anerkennungsebene dargelegt und ein potenzieller Adressatenkreis angesprochen.

Im Kapitel 1, wird zu Zweck und Zielen des Projektes der Ausgangspunkt der Forschungsarbeit beschrieben, indem festgehalten wird, dass es nicht um die Begründung einer ohnehin schon anerkannten inhaltlichen Dimension der Militärwissenschaft geht, sondern um deren institutionell-organisatorische Abbildung in der universitären Bildungslandschaft. Der Zweck der Arbeit liegt im Nachweis eines notwendigen und alleinstellenden Nutzens einer künftigen Militärwissenschaft. Mit der Hypothese wird ein Modell einer Militärwissenschaft angeboten, auf Basis dessen dieser Nutzen erbracht werden kann. Das Wesen der Studie besteht in der Verknüpfung der Fähigkeiten, Funktionsprinzipien und Strukturüberlegungen, aus denen heraus das Modell gebildet wird, mit der Erbringung des in Aussicht gestellten Nutzens, d.h. im Nachweis, dass die Militärwissenschaft nach den im Modell spezifizierten Parametern ausgestaltet sein müsste, wenn sie den als möglich abgeleiteten Nutzen zu erbringen imstande sein soll.

Im Kapitel 2, wird der Werdegangs des Projektes und der vorliegenden Publikation erklärt. Letztere stellt einerseits das Ergebnis meiner Forschungsarbeit zum Thema Militärwissenschaft dar, die ich seit meiner Generalstabsausbildung parallel zu meiner dienstlichen Laufbahn betrieben habe und andererseits den Abschlussbericht zu dem von der Abteilung „Wissenschaft, Forschung und Entwicklung“ angeordneten Forschungsprojekt. Die Darstellung dient dazu, die Entwicklung einzelner Erkenntnisse über die Publikationen nachzuzeichnen, die im Laufe des Projektfortganges herausgebracht worden sind, um Zwischenergebnisse zur Diskussion zu stellen und die Rückmeldungen in den weiteren Forschungsablauf einzubeziehen. Die Nennung dieser Publikationen dient also lediglich dazu, dem Leser Zugang zu den Zwischenergebnissen zu verschaffen (eine gewisse Anzahl von Eigenzitaten war dabei unvermeidlich).

Kapitel 3 zeichnet den Ductus der Studie in überblicksweiser Form dar, um dem Leser eine Orientierungshilfe, einen Wegweiser zu geben und die einzelnen Kapitel sowie deren Abfolge jeweils im Bezug zum zentralen Argumentationsgang der Arbeit einordnen und nachvollziehen zu können.

Im Kapitel 4 wird die Notwendigkeit einer institutionalisierten Militärwissenschaft über den Nutzen begründet, den sie für die Sicherheit der Gesellschaft erbringen kann. Um dabei eine schlüssige Argumentation vorlegen zu können, musste einerseits nachgewiesen werden, dass es sich um einen alleinstellenden und für die Sicherheit des Staates unverzichtbaren Nutzen handelt und andererseits begründet werden, aufgrund welcher Fähigkeiten das Militär bzw. die Militärwissenschaft prädestiniert ist, ihn zu erbringen.

Kapitel 4.1 versucht zunächst die Frage zu beantworten, warum gerade die Militärwissenschaft, im Gegensatz zu anderen Disziplinen, ihre Notwendigkeit nachzuweisen hat, um eine universitäre Anerkennung anstreben zu können. In einem zweiten Schritt wird die Notwendigkeit militärwissenschaftlicher Forschung abgeleitet, wobei sich hier bereits die beiden den Nutzen erbringenden, grundsätzlichen Fähigkeitsstränge der Militärwissenschaft erkennen lassen – die entscheidungsvorbereitende Mitwirkung an der Findung des strategischen Zwecks und der Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit des Staates durch die wissenschaftliche Fundierung der Einsatzführung. In einem dritten Schritt werden Leistungen identifiziert, in denen sich der Nutzen der Militärwissenschaft manifestiert – noch ohne dabei auf ihre alleinstellende Befähigung zur Erbringung dieses Nutzens zu fokussieren. Die hier genannten Leistungen werden teilweise in einer scheinbar ähnlichen Form auch im Kapitel 7 behandelt – dort aber mit einem grundsätzlich unterschiedlichen Fokus. Im Kapitel 4.1 geht es um die Außenwirkung des Nutzens, d.h. um die Frage wie ein solcher sich auf die Sicherheit des Staates und der Gesellschaft auswirkt. Im Kapitel 7 werden Leistungen im Hinblick auf ihre Innenwirkung, d.h. darauf hin analysiert, wie sie – vergleichbar der Unruh einer Uhr – zum Selbsterhalt der Militärwissenschaft in Phasen eingeschränkter Streitkräftefähigkeiten beitragen können.

Im Kapitel 4.2 wird nunmehr die alleinstellende Befähigung der Militärwissenschaft zur Erbringung des definierten Nutzens herausgearbeitet, wobei zunächst die, auf einer aus militärischen Führungsprinzipien abstrahierten Beurteilungslogik basierende, spezifische militärwissenschaftliche Methodik analysiert wird. Daran anschließend wird versucht, die Leistung dieser spezifischen militärwissenschaftlichen Beurteilungslogik anhand von Beispielen nachzuweisen, in denen sie einer rein sicherheitspolitischen Herangehensweise gegenübergestellt wird. Daraus leitet sich jedoch keineswegs ein Votum für eine ausschließliche bzw. schwergewichtsmäßige Zuständigkeit der Militärwissenschaft für eine entscheidungsvorbereitende Strategieberatung in Fragen der staatlichen Sicherheit ab. Vielmehr soll gezeigt werden, dass eine umsichtige Strategieberatung auf der Komplementarität zwischen der spezifisch militärwissenschaftlichen und der spezifisch politikwissenschaftlichen Herangehensweise aufbauen sollte. Schließlich wird zu den beiden bereits dargestellten Fähigkeitskategorien (die strategiewissenschaftliche und die einsatzführungswissenschaftliche Dimension) der Militärwissenschaft eine dritte identifiziert und beschrieben, welche die beiden ersten voraussetzt und einen zusätzlichen alleinstellenden Nutzen erbringt. Es handelt sich dabei um die Vermittlung abstrahierter militärischer Führungsprinzipien an Führungskräfte nicht-militärischer Einsatzorganisationen oder der privatwirtschaftlichen Unternehmensführung, die für Entscheidungen in krisenhaften Situationen und unter volatilen Umfeldbedingungen ausgebildet werden sollen.

Nachdem nun der definierte Nutzen hinsichtlich seiner Notwendigkeit für den Staat, der spezifischen Leistungen, in denen er sich manifestiert und der spezifischen Eignung des Militärs für seine Erbringung nachgewiesen wurde, soll im Kapitel 5 ein Modell einer künftigen institutionalisierten Militärwissenschaft entwickelt. Struktur und grundsätzlicher Charakter der Militärwissenschaft werden dabei in dreierlei Hinsicht verstanden – als die Grundlage für die aufbauorganisatorische Gliederung einer institutionalisierten Militärwissenschaft, als eine Kategorisierung des Forschungsfeldes nach den thematisch zuständigen Subdisziplinen bzw. Fächern und als eine Systematik zur Steuerung der aufbauenden Abfolge der zu vermittelnden Forschungsinhalte. Das zentrale Strukturierungsprinzip des Modells liegt in der gesteuerten Ausrichtung aller Fächer auf einen gemeinsamen militärwissenschaftlichen Zweck, der sich notwendigerweise aus dem angepeilten gesellschaftlichen Nutzen zu ergeben hätte. Im Gegensatz zu Vorstellungen, die Militärwissenschaft als eher lose Zusammenarbeit von Fächern verstehen, die sich unter anderem auch mit sicherheitsrelevanten Themen beschäftigen, basiert das vorgeschlagene Modell auf einer durch eine Steuerungsinstanz vorzunehmende Ausrichtung von Kern- und Begleitfächern auf den militärwissenschaftlichen Zweck.

Kapitel 6 beschäftigt sich mit der Definition einer „Keimzelle“ einer institutionalisierten, kernfachbasierten Militärwissenschaft, d.h. mit der Frage, wie die Voraussetzungen für die Entwicklung einer solchen geschaffen und aufrechterhalten werden können, solange ein entsprechender politischer Wille (noch) nicht wirksam geworden ist.

Im Kapitel 7