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In einer ganz normalen Kleinstadt erscheint plötzlich dieser seltsame Junge in der Schule, mit Glatze und merkwürdig angezogen. Und was hat es mit dem mysteriösen Metallstift auf sich, der über unglaubliche Möglichkeiten verfügt? Jan, Jennifer und ihre Freunde tun alles, um hinter das Geheimnis dieses Jungen zu kommen. Ist er vielleicht ein Alien von einem fernen Planeten? Oder kommt der eigenartige Junge, den sie „Mister Cool X“ nennen, aus einer fremden Dimension? Doch die Wahrheit ist noch viel verblüffender. Als sie schließlich herausfinden, was mit diesem Jungen tatsächlich los ist, beginnt für sie ein aufregendes und gefährliches Abenteuer… Das spannende Buch ist besonders geeignet für Kinder und Jugendliche ab 10 Jahre.
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Seitenzahl: 193
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Besonders danke ich meiner Tochter Sophia,
die dieses Buch intensiv begleitet
und kommentiert hat.
Ohne ihre stetige Ermutigung
wäre es nicht erschienen.
Umschlaggestaltung: Dominik Sabel
www.donebypeople.de
Auftritt: Mister Cool X
Auf dem Schulhof
Peinliche Formeln
Der Beinahe-Crash
Jan und Gerrit
Jennifer
Verschwörertreffen im Park
Ein seltsames Fußballspiel
Kleiner Einbruch im Klassenzimmer
Der Deal
Geheimgespräche
Abendessen zuhause
Eine metkwürdige Physik-Gleichung
Die Verfolgungsjagd
Mister Cool X' Hochhaus
Pizza-Service
Warten auf den „großen Besuch“
Besuch bei Mister Cool X
Die Mondlandung
Die Zeitverdreher
Mister Cool X' Botschaft
Das Geheimnis der Tasche
Der Einsatzplan
Der Einsatz beginnt
Die Scheune hinter der Schule
Zeitbombe Nummer eins
Warten auf den nächsten Einsatz
Showtime
Wettlauf gegen die Zeit
Kampf im Atomkraftwerk
Die Rückkehr
Erklärungen
Abschied auf Zeit
Zum Schluss: Jennifer
Ich heiße Jan Krüger, bin 13 Jahre alt und lebe in einem kleinen Ort im Norden Deutschlands. Mehr möchte ich nicht verraten, denn was ich euch berichten werde, ist so unglaublich, dass ihr es vielleicht selbst nachprüfen wolltet und dann in Scharen unser kleines Städtchen aufsuchen würdet. Diesen Wirbel möchte ich unbedingt vermeiden. Deshalb fange ich jetzt einfach an, meine Geschichte zu erzählen. Oder besser die Geschichte von einem außergewöhnlichen Jungen, den wir bald nur noch „Mister Cool X“ nannten.
Zum ersten Mal begegnete ich ihm an einem Dienstagvormittag in der vierten Stunde in unserem kleinen Schlinger-Gymnasium. Mitten im ziemlich langweiligen Mathe-Unterricht ging die Tür auf. Selbstbewusst spazierte ein Junge herein, der völlig glatzköpfig war. Ehrlich, würde ich so aussehen, ich könnte nicht so selbstsicher auftreten.
Er kam herein und sagte mit schnarrender, aber freundlicher Stimme „Hallo“. Dann setzte er sich an den einzig freien Tisch direkt neben mir. Frau Dr. Habemut, unsere Mathe-Lehrerin, wusste offenbar nichts von dem neuen Klassenmitglied. Sie blätterte daher hektisch in ihren Unterlagen auf dem unaufgeräumten Lehrerschreibtisch, ob sie etwas übersehen hätte. Sie konnte aber nichts Brauchbares finden.
Mit strengem Blick musterte sie nun den Neuankömmling und fragte schließlich:
„Und wie, wenn ich das erfahren darf, heißt du, und was machst du hier?“
Der fremde Junge neben mir sah kaum auf. Er war viel zu sehr mit seinen Schreibsachen beschäftigt, die er aus einer seltsamen dreieckigen Schultasche gezogen hatte. Diese lief nach oben spitz zu und war grell-türkis. Es schüttelte mich vor Widerwillen gegen dieses so fremdartige wie geschmacklose Teil.
Der Gegenstand in seiner Hand sah aus wie ein Schreibstift. Ich konnte aber an seiner glänzend metallischen Oberfläche keinen Druckknopf oder eine Öffnung für eine Mine erkennen.
Endlich schaute er auf, blickte die Lehrerin direkt an und sagte mit lässigem Nachdruck:
„Mein Name ist Svendor Kalel. Ich bin der neue Mitschüler.“
Die Blicke der Jungen und Mädchen in der Klasse verrieten, dass alle über diesen forschen Svendor Kalel mit der Glatze ziemlich verblüfft waren. Seine ganze Haltung ließ nicht daran zweifeln, dass er nun dort sitzen bleiben und sich als Teil unserer Klasse betrachten würde.
Frau Dr. Habemut fuhr sich hastig durch die Haare, die danach nicht mehr ganz so perfekt gestylt aussahen. Denn im Gegensatz zum chaotischen Aussehen auf ihrem Schreibtisch nahm sie die eigene Erscheinung äußerst wichtig.
Sie blickte den Neuen lange und schweigend an, raschelte dann noch einmal nutzlos mit ihren Unterlagen auf dem Tisch und bemerkte schließlich knapp:
„Das werde ich noch mit dem Schulleiter klären.“
Dann kehrte sie ohne weiteren Kommentar zum Mathe-Unterricht zurück. Aber konzentrieren konnte sich jetzt niemand mehr.
Auch die Lehrerin musste sich mehrmals selbst verbessern, weil sie bei ihren ohnehin umständlichen Erklärungen der binomischen Formeln immer wieder den Faden verlor.
Ich kapierte jetzt jedenfalls noch weniger als vorher. Kein Wunder, ich konnte nur noch über den verwirrenden Auftritt des „Neuen“ nachgrübeln.
Immer wieder schielte ich verstohlen zu ihm hinüber. Svendor Kalel folgte anscheinend sehr aufmerksam, aber bewegungslos den Ausführungen von Frau Dr. Habemut.
Einmal war mir so, als würde sein Stift – oder was immer das in Wahrheit war – gar nicht richtig auf dem Tisch aufliegen, sondern Millimeter darüber schweben.
Aber das war ja unmöglich, sagte ich in Gedanken zu mir selbst. Ich sollte einfach wieder früher das Licht ausmachen und mal richtig ausschlafen. Das hatte meine Mutter mir auch schon öfter gesagt.
Endlich klingelte es zur Pause. Der Junge mit dem seltsamen Namen Svendor Kalel schnappte seine hässliche Dreieckstasche und verstaute darin umständlich den geheimnisvollen Metallstift. Dann ging er ohne jemanden anzusehen oder ein Wort mit uns zu reden nach draußen auf den Schulhof. Dort stand er mitten auf dem Pausenplatz, umringt von sämtlichen Schülern unserer Klasse und einigen neugierig gewordenen Jungen und Mädchen anderer Schulklassen.
Sie bestürmten ihn sofort mit zahlreichen Fragen wie: Woher kommst du? Was hast du für einen seltsamen Namen? Spielst du auch Fußball? Was hörst du am liebsten für Musik? Wo wohnst du?
Und tausend Fragen mehr, was man so wissen will über jemand, den man überhaupt nicht kennt und der jetzt irgendwie doch dazu gehörte. Nach seiner Glatze wagte aber niemand zu fragen.
Ich selbst schwieg und schaute ihn mir dafür umso genauer an: Wie er gelassen dastand, als wäre er nicht ganz von dieser Welt, und kein Wort sagte. Sein Gesicht hatte passend zur Glatze völlig gleichmäßige Züge. Für sein Alter und trotz Kahlkopfs sah er ungewöhnlich jung aus.
Dagegen strahlten seine wässrig-blauen Augen eine Klugheit und Reife aus, als wäre ihm schon jedes Geheimnis dieser Welt begegnet.
Gekleidet war er einerseits völlig normal, ähnlich wie wir alle: Jeans, ein Sweatshirt, vielleicht etwas zu warm für die Jahreszeit im Juni, und Sneakers. Die Farbzusammenstellung fand ich ziemlich wild, die Hose grün, das Sweatshirt blau und die Schuhe rot. Vor allem aber war alles irgendwie zu groß und schlabberte an ihm herum, als würde er sich grundsätzlich zwei Nummern in der Größe vertun.
In auffälligem Gegensatz dazu wirkte alles an ihm extrem sauber, und so würde ich ihn bis auf wenige Ausnahmen immer sehen: Wilde Farbkombinationen, alles viel zu groß, aber insgesamt makellos. Gleichzeitig hatte er bei jeder Begegnung etwas Anderes an, kein Kleidungsstück sah ich bei ihm ein zweites Mal. Es schien, als habe er zu Hause einen riesigen Schrank mit unbegrenztem Wäschevorrat, aus dem er jederzeit etwas Neues hervorzaubern konnte. Dennoch hatte ich immer den Eindruck, er sei es nicht gewohnt, wie soll ich sagen: „normale menschliche“ Kleidung zu tragen. So schräg und unwirklich sah alles an ihm aus, was er am Körper trug.
Plötzlich bemerkte ich mitten in meinen Beobachtungen etwas Seltsames: Es war absolut still geworden. Kein Mucks mehr. Alle Stimmen, die gerade noch ohne Pause Svendor Kalel befragten, waren wie von Geisterhand abgeschaltet. Man hörte überhaupt nichts mehr, so, als hätte die Luft jedes Geräusch komplett verschluckt und in einer Vakuum-Flasche versiegelt.
Mir fiel dabei auf, dass Svendor Kalel wieder an der völlig glatten Oberfläche seines Metallstifts spielte. Diesen hatte er kurz zuvor aus seiner dreieckigen Tasche gezogen und wie unabsichtlich ein wenig daran gerieben. Aber das konnte wohl kaum die Ursache dafür sein, dass man sich mitten auf dem belebten Schulhof wie in einem vollkommen schallisolierten Raum fühlte, der auch von innen keinerlei Geräusch zuließ. Oder etwa doch?!
Ich versuchte etwas zu sagen. Vielleicht waren ja nur meine Ohren nicht in Ordnung, und die anderen würden sofort reagieren, wenn ich jemanden direkt ansprach. Ich habe vergessen, was ich dann tatsächlich sagen wollte, wahrscheinlich einfach Hallo oder einen Namen rufen. Aber aus meinem Mund kam beim Versuch zu sprechen nur trockene Luft. Kein Geräusch, nicht einmal ein Glucksen oder Würgen, rein gar nichts. Total unheimlich!
Vielleicht, dachte ich, hatte die wilde Fragerei seiner neuen Mitschüler Svendor Kalel so sehr genervt, dass er sich einfach auf diese Weise Ruhe verschafft hatte. Aber wie konnte er so etwas machen? Das war doch einfach unmöglich. Dieser Stift konnte doch nicht so eine Art Zauberstab sein?!
Als der allererste Schreck sich legte, schauten wir Schüler uns überrascht und ängstlich an. Kurz darauf stürmten die meisten panisch davon, als könnten sie diesen unheimlichen Zustand in der Nähe von Svendor Kalel keine Sekunde länger ertragen.
Kurz darauf – ich hatte trotz meiner Verwirrung bemerkt, wie Svendor Kalel seinen Stift zurück in die merkwürdige Tasche steckte – war wie aus heiterem Himmel alles wieder normal. Die Umgebungsgeräusche plärrten in gewohnter Weise ins Ohr, und ich konnte jetzt ohne weitere Probleme ein fassungsloses „Was war denn das?“ hervorstoßen.
Die anderen Schüler schauten genauso verdutzt um sich, wie ich mich fühlte, und bald gingen mit den zurückgewonnenen Stimmen die aufgeregten Gespräche darüber los, was hier geschehen war. Eine überzeugende Antwort hatte aber niemand.
Zum Glück war in diesem Moment die Pause vorbei. Ich hätte nämlich noch jede Menge drängender Fragen an Svendor Kalel gehabt, der immer noch gelassen auf seinem Platz stand – aber eine kam mir jetzt dämlicher vor als die andere.
Ich meine, wie könnte auch ein Kind, ein Jugendlicher, und war er noch so außergewöhnlich, solche Sachen anstellen und einen ganzen Schulhof durch das Reiben eines Metallstifts zum Verstummen bringen? Also war ich froh, dass ich meinen Mund halten konnte und mich nicht total blamierte.
Die restlichen Schulstunden wiederholten sich ähnlich wie zu seinem ersten Auftritt bei Frau Dr. Habemut: Die anderen Lehrer waren ebenso verblüfft wie wir über den neuen Schüler, den die Schulleitung ihnen ganz klar vorher nicht angekündigt hatte. Und weil aus dem Neuen einfach nichts herauszukriegen war, gingen sie genauso wie Frau Dr. Habemut nach kurzer Zeit mit der Bemerkung zur Tagesordnung über, man werde sich „über ihn erkundigen“.
Svendor Kalel verfolgte den Unterricht nach anfänglichem Interesse nur noch mit amüsierter Langeweile, als ob es einfach nichts Neues oder Unbekanntes für ihn dabei gäbe. Sich gemeldet oder gesagt hat er an diesem ersten Tag nichts mehr.
Als die Schule aus war, traute sich nach den Ereignissen auf dem Schulhof keiner mehr an ihn heran. Ohne jemanden von uns anzugucken verließ er das Gelände und ging, wie ich vermutete, nach Hause. Wo auch immer das sein mochte.
Ein etwas vorwitziger Mitschüler aus meiner Klasse rief ihm hinterher, „Du bist wohl Mister Cool X, oder für wen hältst du dich?“
Seitdem war das sein Spitzname, der mit der Zeit immer besser passte: Cool, weil man an ihn nicht so ohne Weiteres herankam. X, weil er unheimlich wirkte und wir nichts Genaues über ihn wussten, der große Unbekannte wie ein „X“ mitten in der Landschaft. Und in dem Mister steckte eine Menge Respekt und vielleicht auch eine Anspielung darauf, dass er eine Glatze hatte, wie sonst fast nur ältere Erwachsene.
Dies also war meine erste Begegnung mit Mister Cool X – klar, dass es bestimmt nicht meine letzte bleiben sollte.
Die Tage in der Schule vergingen. Mister Cool X war inzwischen notgedrungen auch von den Lehrern als Schüler akzeptiert, aber mehr wie ein exotischer Paradiesvogel, dessen Lebensgewohnheiten man nicht so genau einschätzen und vorhersehen konnte. Die Schulleitung hatte nun offenbar die nötigen Papiere vorliegen. Aber zu unserem Ärger erzählte man uns neugierigen Schülern nichts darüber. So konnten wir nur rätseln, welche geheimnisvolle Geschichte zu unserem neuen Mitschüler gehörte, woher er kam, und wer er in Wahrheit sein mochte.
Svendor Kalel verhielt sich weiterhin sehr still im Unterricht. Kaum einmal, dass er mit seiner schnarrenden Stimme ein Wort sagte. Er saß nach wie vor direkt neben mir. Daher schielte ich immer wieder heimlich nach seinem Metallstift, der gelegentlich auf dem Tisch lag oder vielmehr, wie es mir immer noch vorkam, leicht über der Oberfläche des Holzes schwebte. Einfach unerklärlich, aber an eine Einbildung glaubte ich inzwischen nicht mehr.
Einmal hat er unsere Mathe-Lehrerin so vorgeführt, dass es wirklich peinlich war. Wir saßen diesmal in einem Raum, in dem sie normalerweise die Oberstufenschüler unterrichtete. An der Tafel standen noch wirre Formeln, von denen ich nichts verstand. Nur die typischen, hastig hingekritzelten Schriftzüge von Frau Dr. Habemut erkannte ich sofort.
Kaum hatte Svendor Kalel den Raum betreten, ging er so wortlos wie zielstrebig zur Tafel, nahm den Schwamm, wischte etwa die Hälfte der Zeilen weg und schrieb stattdessen eigene Formeln und Berechnungen hin. Die Mathe-Lehrerin schaute erst ärgerlich, dann verdutzt auf die neuen Ergebnisse, wurde schließlich knallrot, als hätte sie zu lange die Luft angehalten, und verließ stürmisch den Klassenraum. Kurz darauf kam sie mit einem anderen Mathe-Lehrer zurück. Den, so erkannte ich, hatten wir schon einmal in Vertretung gehabt, Herr Seyfuß hieß er. Soweit ich wusste, war er an der ganzen Schule für den Bereich Mathematik verantwortlich.
Auch er starrte ungläubig auf die Formeln von Mister Cool X, blickte dann zu ihm hinüber und fragte ihn, woher er solche Berechnungen kenne und wie er sie in seinem Alter aufstellen konnte. Es war wirklich selten, dass Svendor Kalel überhaupt etwas sagte, und wenn, dann war er äußerst knapp. So antwortete er auch diesmal nur schnarrend:
„So etwas lernen wir bei uns schon im Kindergarten. Das ist doch trivial.“
„Trivial“ heißt, glaube ich, so viel wie „total einfach“. Jedenfalls nahm Herr Seyfuß mit zweifelndem Blick auf Svendor Kalel sein altmodisches Handy aus der Tasche und fotografierte die anscheinend sensationellen Berechnungen an der Tafel, um sie zu „dokumentieren“, wie er sagte.
Ohne Mister Cool X noch einmal zu beachten, wischten er und Frau Dr. Habemut anschließend gemeinsam alles schnell weg. Der Mathe-Lehrer verließ dann den Klassenraum, und Frau Dr. Habemut machte kommentarlos mit dem Unterricht weiter. Schade, das eben war viel aufregender gewesen als ihre langweiligen Formeln und umständlichen Erklärungen dazu.
Ich hatte leider keine Ahnung, worum es bei Svendor Kalels Aufzeichnungen ging und was so erstaunlich an ihnen war. Dass diese aber unsere Mathe-Lehrer total verblüfft hatten und sie ein Geheimnis daraus machten, das war mir klar. Wirklich, unser neuer Mitschüler hatte etwas sehr Rätselhaftes an sich, das sogar Erwachsene beeindruckte. Und alleine das war äußerst cool an ihm.
Richtig platt war ich aber erst nach einem anderen Erlebnis mit Mister Cool X. Meine Mutter hatte mich an einem Samstagvormittag ins Stadtzentrum geschickt, damit ich dort ein paar Einkäufe für sie beim Bäcker und im Supermarkt erledigte. Nur ein paar Kleinigkeiten, die sie vorher vergessen hatte. Ich durfte mir dafür irgendetwas für zwei oder drei Euro kaufen.
So schlenderte ich gut gelaunt die Einkaufsstraße hinunter und blieb immer wieder vor den Schaufenstern stehen, besonders an dem coolen Laden, in dem die neuesten Spielkonsolen ausgestellt waren.
Ob ich mir eine davon zu Weihnachten wünschen sollte? Meine Eltern wären sicher wenig begeistert, wenn ich schon wieder so ein „Techspieldings“ haben wollte, wie sie Gameboys und Konsolen immer abfällig nannten. Aber es konnte ja nicht schaden, eine nagelneue Playstation 4 oder Xbox One auf die Wunschliste zu setzen, überlegte ich. Vielleicht würden sie mir als Überraschung doch eine schenken. So etwas machten meine Eltern nämlich gern....
Plötzlich hörte ich hinter meinem Rücken nervtötende Geräusche, wie von heftig quietschenden Bremsen. Blitzschnell drehte ich mich um, sah die viel befahrene, größte Kreuzung des Ortes mit den hoch hängenden Ampeln. Zwei Autos fuhren direkt aufeinander zu. Es war klar, dass es gleich furchtbar krachen würde.
Flüchtig dachte ich, bestimmt hat einer von beiden das Rot seiner Ampel übersehen.
Das würde jedenfalls böse ausgehen, keine Chance mehr auf ein gutes Ende, so dicht waren die Autos mit ihren Hauben schon aneinander. Die Reifen beider Wagen quietschten jetzt schrill, aber es war einfach zu spät.
Voller Anspannung erwartete ich den sicheren Unfall. Doch was geschah? Unerwartet und übergangslos standen die Autos dicht voreinander mitten auf der Kreuzung so bewegungslos und still, als würden sie dort schon seit Stunden parken. Sie waren völlig okay, ein hellblauer Sportwagen und eine dunkle Limousine. Auch die Fahrer schienen unverletzt, es hatte wie durch ein Wunder keinen Zusammenstoß gegeben. Außerdem war von ihnen keinerlei Motorengeräusch mehr zu hören.
Die Fahrer, ein hagerer Mann und eine etwas dickliche Frau, beide hochrot vor Zorn und Aufregung über den Beinahe-Crash, stiegen energisch aus ihren heilen Autos aus. Sie liefen brüllend und wild gestikulierend aufeinander zu, in einer Haltung, als ob sie sich nun ernsthaft prügeln wollten. Dabei war ja eigentlich nichts passiert, sie sollten sich vor Glück und Dankbarkeit lieber in die Arme fallen, fand ich. Aber warum war nichts geschehen, das war die große Frage – der Unfall schien absolut unvermeidlich zu sein?!
Da erkannte ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite, kaum sichtbar in einem Häuservorsprung verborgen, Svendor Kalel. Er steckte gerade seinen geheimnisvollen Metallstift in diese unvermeidliche Dreiecks-Tasche und tat dabei so, als interessierte ihn das Geschehen auf der Kreuzung überhaupt nicht. Schließlich schlenderte er so unauffällig wie möglich davon.
Mir dagegen wurde es total mulmig. Denn ich wusste sofort: Mister Cool X hatte gerade einen schlimmen Unfall verhindert.
Wie das möglich war, und welche Bedeutung dabei sein Metallstift hatte – keine Ahnung. Aber ich war entschlossen, genau das herauszufinden.
Am Nachmittag lag ich zuhause auf meinem Bett und hörte Musik aus dem iPod Touch, den ich zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Das tat ich meistens, wenn mir langweilig war oder ich nachdenken wollte. Heute aber nervte mich die Musik, ich brauchte einfach Ruhe.
Ich schaltete das Gerät aus, nahm die Ohrhörer ab und legte den Player auf den schmalen Tisch neben meinem Bett. Dann dachte ich darüber nach, wie sehr das Erscheinen von Svendor Kalel oder eben Mister Cool X das Leben in unserem kleinen Ort schon verändert hatte. Ständig sprachen wir unter Freunden davon, und auch für die Erwachsenen war er das topaktuelle Thema.
Gerade erst am Mittagstisch hatten meine Eltern sich darüber unterhalten, was heute an der Kreuzung mit den Autos passiert war. Ich hatte es ihnen natürlich zu Hause sofort erzählt. Weil eine Freundin meiner Mutter ihr am Telefon davon berichtete, die es wiederum von einer Nachbarin gehört hatte, die ihrerseits Augenzeugin war, glaubten sie mir auch, dass wirklich etwas Ungewöhnliches passiert war.
Nur meine sechzehnjährige Schwester Miriam, die Svendor Kalel auch von unserer Schule kannte, machte sich darüber lustig.
Sie meinte verächtlich, während sie sich jede Menge von den leckeren Nudeln mit Sahnesoße auf ihren Teller packte:
„Das ist doch nur ein schräger Gnom, und jeder meint, wenn etwas Seltsames passiert, hat er das gemacht. Ich glaub an so etwas nicht. Oder meint ihr“, wobei sie ihren Mund trotz gleichzeitiger Kaubewegungen zu einem extra breiten, spöttischen Grinsen verzog, „er ist ein Außerirdischer von einem fernen Planeten, der auf der Erde seine Streiche spielt? Ist doch total albern!“
Dabei sah sie mich höhnisch an, weil sie meine Vorliebe für fantastische Geschichten genau kannte.
Ich sagte lieber nichts dazu, um nicht erneut ihrem ätzenden Hohn und Spott ausgesetzt zu sein. Davon bekam ich bereits genug ab.
Aber es stimmte, der Gedanke mit dem Außerirdischen war mir auch schon gekommen. Und wenn es nun wirklich so wäre – stammte Svendor Kalel von einem fernen Planeten, so wie Superman? Sein Name immerhin klang ja so1. Ich musste das herausfinden, das stand für mich felsenfest.
Am späteren Nachmittag kam Gerrit zu mir. Er ging zwar in die Parallelklasse, aber wie die meisten anderen Schüler hatte er genug von Svendor Kalel mitbekommen, um sich selbst viele Fragen über ihn zu stellen.
Gerrit war ein netter Freund. Sein Vater arbeitete in derselben Firma wie mein Dad, die machten irgendetwas mit Unternehmungsberatung, wie mein Vater immer sagte. Aber ich hatte keine Ahnung, was genau das bedeutete. Seine Mutter war Lehrerin, aber nicht bei uns, sondern an der Grundschule im Nachbarort.
Im Gegensatz zu mir war Gerrit ziemlich groß und stark. Genau der richtige Freund, den man braucht, um Respekt von anderen zu bekommen, wenn man selbst eher als Schwächling galt. Vor allem konnte ich mich wirklich gut mit ihm unterhalten. Wir vertrauten uns gegenseitig so ziemlich alles an, was wir sonst keinem anderen verraten würden. Im Moment aber gab es nur ein Gesprächsthema, und das war unser neuer, abgedrehter Mitschüler.
„Glaubst du, Mister Cool X könnte ein Außerirdischer sein?“, fragte ich ihn in Gedanken an unser Familiengespräch.
„Klar“, meinte Gerrit, der nicht lange überlegte. „Es ist doch auch bewiesen, dass es Ufos gibt. Bestimmt ist er mit einem Raumschiff gelandet und nutzt jetzt seine Zukunftswaffen, um uns zu erschrecken. Oder Schlimmeres. Vielleicht hat er sogar Laserkanonen dabei.“
„Blödsinn“, meinte ich, „von Waffen habe ich bisher nichts bei ihm bemerkt. Er hat aber immer diesen seltsamen Metallstift dabei. Keine Ahnung, was er damit alles machen kann. Ich würde ihm den ja gern mal klauen, dann könnte ich es selbst ausprobieren.“
„Meinst du, wir bekommen das vielleicht wirklich hin?“, fragte Gerrit, jetzt ziemlich aufgeregt. „Das wäre absolut cool.“
Ich dachte darüber nach und schaute dabei zur Decke, als liefe dort ein Wahrsageband entlang, das die Zukunft vorhersehen konnte.
„Klar“, nickte ich dann entschlossen, „das schaffen wir. Vielleicht hilft uns Jennifer dabei, die hat doch immer gute Ideen und ist ziemlich klug.“
„Aber ein Mädchen?“, antwortete Gerrit mit einem unübersehbaren Anflug von Verachtung im Gesicht.
„Ja, schon“, erwiderte ich, „aber auch Mädchen können manchmal ganz fit sein. Und eins ist klar: Wir können jede Hilfe gebrauchen, wenn wir Svendor Kalel überlisten wollen.“
„Also gut.“ Gerrit musste sichtlich mit sich ringen. Aber jetzt war es beschlossene Sache. Wir würden Jennifer gleich am Montag in der Schule fragen und uns dann zu dritt daranmachen, das große Geheimnis von Mister Cool X zu lüften. Das Thema war vorerst beendet. Ich schaltete meinen PC ein, um mit Gerrit ein paar Runden Autorennen zu spielen. Er war zwar körperlich der Stärkere, aber bei Computerspielen wie Need for Speed war ich einfach unschlagbar.
1Superman vom Planeten Krypton heißt „in Wahrheit“ Kal-El.
Jennifer ging mit Gerrit in die Parallelklasse. Ich kannte sie nur vom gemeinsamen Französischunterricht und fand sie ganz nett, weil sie einen ohne zu zicken abschreiben ließ.
Wie die meisten Schüler unserer Schule wusste auch sie inzwischen alles über Svendor Kalel, was es aus Erzählungen zu erfahren gab.
Sie einfach so anzusprechen fiel uns gar nicht leicht. Sie war nämlich mit ihren langen braunen Haaren und ihren großen dunklen Augen sehr hübsch, das musste sogar Mädchenverächter Gerrit zugeben. Und das hemmte uns erst etwas. Aber schließlich hatten wir ja einen wirklich wichtigen Grund dafür, sie zu fragen.
Unsere Sorgen erwiesen sich als unnötig. Sie war sofort Feuer und Flamme, als wir sie am Montag in der Pause fragten, ob sie mitmachen würde. Und als hätte sie nur auf diese Gelegenheit gewartet, wollte sie sofort von uns wissen:
„Habt ihr euch schon einmal Gedanken über seinen komischen Namen gemacht? Also seinen echten, meine ich, Svendor Kalel. Und dass er schon so jung eine Glatze hat?“ – Herausfordernd sah sie uns abwechselnd an, als ob sie uns für nicht schlau genug hielt.
„Klar haben wir das“, antwortete Gerrit forsch, um sich auf keinen Fall eine Blöße zu geben. Vor einem Mädchen würde er nie zugeben, dass er irgendetwas nicht schon gründlich bedacht hatte. In diesem Fall stimmte es sogar. Aber einen so komischen Namen hatte tatsächlich noch keiner von uns gehört.
„Vielleicht kommt er ja aus dem Ausland, und wenn seine Eltern oder einer von beiden Deutsche sind und im Ausland gearbeitet haben, ist er sicher auf eine deutschsprachige Schule gegangen und spricht deswegen so gut unsere Sprache“, dachte Jennifer laut nach.