Mit Narzissten leben - Wendy Behary - E-Book + Hörbuch

Mit Narzissten leben Hörbuch

Wendy Behary

4,3

Beschreibung

Strategien im Umgang mit Narzissten Unsere Gesellschaft scheint ein Quell für Narzissmus zu sein. Sowohl privat als auch beruflich haben wir es immer wieder mit narzisstischen Menschen zu tun, die sich selbst für den Mittelpunkt des Universums halten. Es versteht sich von selbst, dass der Umgang mit ihnen mitunter mühselig und problematisch ist. Welche Möglichkeiten bestehen also, um gut miteinander auszukommen, sinnlose Diskussionen zu vermeiden und die eigenen Nerven zu schonen? Wendy Behary zeigt in diesem Buch wirksame Strategien auf. Sie lernen, Blockaden von Narzissten durch eine mitfühlende, empathische Kommunikation zu überwinden, Grenzen zu setzen und zu erkennen, wann es an der Zeit ist, sich von nicht akzeptablem Verhalten zu distanzieren. Als die amerikanische Originalausgabe 2008 erschien, war Mit Narzissten leben eines der ersten Bücher zum Thema, das sich an eine breite Öffentlichkeit richtete. Aufgrund seines umfassenden Erklärungsansatzes und weil die Autorin stets neue Erkenntnisse eingearbeitet hat, ist es „frisch“ geblieben. In dieser 3. Auflage werden u.a. Themen wie Umgang mit sexsüchtigen Narzissten oder Kindererziehung mit einem narzisstischen Elternteil stärker beleuchtet.

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Zeit:3 Std. 4 min

Sprecher:Jule Vollmer
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Wendy BeharyMit Narzissten lebenWie Sie selbstbezogene Menschen entlarven und dabei wachsen können

Über dieses Buch

Strategien im Umgang mit Narzissten 

Leben wir in einer narzisstischen Gesellschaft? Zumindest haben wir es, privat wie beruflich, immer wieder mit Menschen zu tun, die sich selbst für den Mittelpunkt des Universums halten. Der Umgang mit ihnen ist mitunter mühselig und problematisch. Welche Möglichkeiten bestehen also, um gut miteinander auszukommen, sinnlose Diskussionen zu vermeiden und die eigenen Nerven zu schonen? 

Wendy Behary zeigt in diesem Buch wirksame Strategien auf. Sie lernen, Blockaden von Narzissten durch eine mitfühlende, empathische Kommunikation zu überwinden, Grenzen zu setzen und zu erkennen, wann es an der Zeit ist, sich von nicht akzeptablem Verhalten zu distanzieren. In dieser 3. Auflage werden außerdem Themen wie Umgang mit sexsüchtigen Narzissten oder Kindererziehung mit einem narzisstischen Elternteil stärker beleuchtet.

Wendy Behary ist Begründerin und klinische Leiterin des Cognitive Therapy Center (New Jersey). In ihrer Privatpraxis hat sie sich auf die Behandlung des Narzissmus und auf Paartherapie spezialisiert.

Copyright: © der deutschen Ausgabe Junfermann Verlag, Paderborn 2014

3., überarbeitete Auflage 2024

Die 1. Auflage erschien 2009 unter dem Titel „Der Feind an Ihrer Seite“.

Copyright der Originalausgabe: © 2021 by Wendy Behary

Die Originalausgabe ist 2021 unter dem Titel Disarming the Narcissist: Surviving and Thriving with the Self-Absorbed bei New Harbinger Publications, Inc. erschienen. www.newhabinger.com

Coverfoto: © clu (iStock)

Übersetzung: Karsten Petersen

Lektorat: Dunja Reulein

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsjahr dieser E-Book-Ausgabe: 2024

ISBN der Printausgabe: 978-3-7495-0463-3

ISBN dieses E-Books: 978-3-7495-0464-0 (EPUB), 978-3-7495-0465-7 (PDF).

Dieses Buch ist meinem „Poppy“ gewidmet, einem echten Ritter in glänzender Rüstung.

Und meiner „Momma“, einer Meisterin bedingungsloser Liebe.

Vorwort von Jeffrey Young

Eines der Probleme, mit dem sich meine Klientinnen1 im Lauf der Jahre am häufigsten in der Therapie beschäftigt haben, ist die Frage, wie man am besten mit dem selbstsüchtigen und egoistischen Verhalten eines narzisstischen Partners fertigwerden kann. Solche Klientinnen fühlen sich fast immer frustriert, wütend, gedemütigt und hilflos, weil ihr Partner es fast völlig an Empfindsamkeit und Empathie gegenüber ihren Bedürfnissen und Gefühlen fehlen lässt. Ich selbst sitze häufig ungläubig in Therapiesitzungen und höre eine Geschichte nach der anderen über das Ausmaß an Selbstsucht, dem solche Klientinnen ausgesetzt sind. Nur allzu häufig scheinen sie nicht die Kraft finden zu können, den Narzissten, in den sie sich vor Jahren verliebt hatten, zu verlassen oder sich gegen ihn zu behaupten. Daher freue ich mich sehr, dass meine gute Freundin und Kollegin Wendy Behary dieses maßgebliche Buch über den Umgang mit Narzissten geschrieben hat, um den unzähligen Menschen zu helfen, die – wie meine Klientinnen und Klienten – tagein, tagaus versuchen, mit einem Narzissten zu leben oder zu arbeiten. Zwar gibt es bereits einige Selbsthilfebücher zu diesem Thema, aber Mit Narzissten leben geht auf die Problematik sehr differenziert, fundiert und mitfühlend ein, und es zeigt sehr effektive Strategien auf, um Verhaltensänderungen herbeizuführen. Wendy hat viele Jahre ihrer klinischen Praxis der maßgeschneiderten Behandlung von Narzissten und ihren Partnern gewidmet, wodurch sie bestens qualifiziert ist, zu diesem sehr schwierigen und hartnäckigen Problem ein Buch zu schreiben.

Wendy zieht zwei Disziplinen aus Wissenschaft und Therapeutik heran, um es dem Leser zu erleichtern, das Phänomen Narzissmus besser verstehen und effektiver damit umgehen zu können: interpersonale Neurobiologie und Schematherapie. Bei der Schematherapie handelt es sich um einen Ansatz, den meine Kollegen und ich im Lauf der vergangenen 20 Jahre entwickelt haben und zwar mit dem Ziel, Therapeutinnen, Klienten und anderen zu helfen, jene tief sitzenden emotionalen Themen – oder „Schemata“ – besser zu verstehen, die sich schon in der Kindheit bilden und letztlich dazu führen, dass die meisten von uns sich in wiederkehrenden und selbstzerstörerischen Lebensmustern verstricken. Diese Ideen habe ich erstmals in meinem Buch Sein Leben neu erfinden einer allgemeinen Leserschaft vorgestellt.

Mit Narzissten leben erweitert die Konzepte der Schematherapie auf die Arbeit mit Narzissmus und bietet neue Erkenntnisse und Perspektiven, auf die ich vor der Lektüre dieses Buches noch nicht gekommen war. Wendy erklärt sehr anschaulich, wie dramatisch sich Schemata wie „Unzulänglichkeit“ und „emotionale Entbehrung“ auf unser Leben auswirken können. Ihre originären Beiträge zur Schematherapie versetzen uns in die Lage, die Narzissten in unserem Leben besser zu verstehen und unsere eigenen „Dämonen“ zu überwinden, die uns daran hindern, effektiv mit narzisstischen Partnerinnen, Eltern, Freunden und Kolleginnen umzugehen.

Ich bin froh, dass Wendy die wohlfeilen Klischees und grob vereinfachenden Ratschläge, die viele andere Selbsthilfebücher und Therapeuten anbieten, weit hinter sich gelassen hat. Es gibt keine einfachen Antworten oder Patentrezepte, wenn es darum geht, narzisstisches Verhalten zu verändern. Sie werden sich in dieses Buch vertiefen und hart arbeiten müssen, wenn Sie das reichhaltige hier präsentierte Material wirklich verstehen wollen – aber es wird sich auch ein Ihren Anstrengungen entsprechender Erfolg einstellen. Sie werden erfahren, welche Arten von Narzissmus es gibt, welch vielfältige Strategien Narzissten virtuos einsetzen, um Sie wehrlos zu machen und Sie sogar davon zu überzeugen, dass Sie selbst für das verantwortlich sind, worüber Sie sich beklagen. Darüber hinaus werden Sie „empathische Konfrontation“ als eine wichtige Methode kennenlernen, um mit Narzissten zu kommunizieren und sich gegen sie zu behaupten. Wendy liefert sehr nützliche Empfehlungen, wie Sie Mitgefühl für einen Narzissten entwickeln und aufrechterhalten können, und zwar selbst dann, wenn Sie misshandelt werden. Und Sie erklärt, wie Sie genug psychischen Druck erzeugen können, um einen Narzissten dazu zu bringen, sich zu ändern. Darüber hinaus enthält Mit Narzissten leben eine Reihe von anschaulichen Fallbeispielen, die diesen Ansatz mit Leben erfüllen.

Wenn Sie die Zeit investieren, die Sie brauchen werden, um die von Wendy beschriebenen Erkenntnisse zu verstehen und die von ihr empfohlenen Selbsthilfetechniken zu üben, werden Sie – wahrscheinlich zum ersten Mal in Ihrem Leben – über die Hilfsmittel verfügen, die Ihre Beziehung zu Ihren Gunsten verändert. Sie werden das neu gewonnene Selbstvertrauen haben, zu wissen, was Sie Ihrem Partner entgegensetzen können, wenn er Sie vor Freunden und Familienangehörigen demütigt oder zum Beispiel sagt: „Wie kannst du nur so blöd sein, nicht einzusehen, dass ich recht habe.“

Zum Schluss möchte ich einen Aspekt betonen, auf den Wendy in ihrem Buch mehrfach hinweist, einen zentralen Aspekt der Schematherapie. Wie bei jedem anderen Persönlichkeitsproblem auch muss man Narzissten und denjenigen, die mit ihnen zusammenleben, Mitgefühl entgegenbringen. Die meisten Narzissten sind keineswegs in einem tieferen Sinne „böse“ oder „schlechte“ Menschen – ganz gleich, wie niederträchtig sie uns behandeln. Wenn Sie lernen können, für Ihre Rechte einzustehen, während Sie zugleich ernsthaft daran arbeiten, den verletzlichen, einsamen Kern des Narzissten in Ihrem Leben zu erreichen, haben Sie eine wesentlich bessere Chance, jene Seite seiner Persönlichkeit zum Vorschein zu bringen, die Ihnen Liebe und Fürsorglichkeit entgegenbringen kann.

Ich kenne keine bessere Art, sich auf diesen Weg des Mitgefühls zu machen, als Mit Narzissten leben zu lesen. Wie Wendy am Ende ihres Buches sagt: „Der Weg zur erfolgreichen Selbsthilfe kann einsam und beschwerlich sein.“ Aber die dramatischen Verbesserungen in Ihrer Beziehung werden in aller Regel Ihre Mühen mehr als wettmachen.

Ich empfehle dieses hervorragende Buch jedem Menschen, der mit einem Narzissten zusammenlebt, mit ihm arbeitet oder ihn behandelt – einschließlich der betroffenen Partner, Kolleginnen, Familienmitglieder und Therapeutinnen.

Jeffrey Young, PhD

Direktor Cognitive Therapy Center und Schema Therapy Institute of New York, Dozent am Department of Psychiatry, Columbia University

Gründer der International Society of Schema Therapy

1  Anmerkung des Übersetzers: Um den Lesefluss nicht zu stören, wird in diesem Buch der Einfachheit halber bei der Bezeichnung von Personen oder Personengruppen in den meisten Fällen nur die männliche oder weibliche Form verwendet. Selbstverständlich ist dabei stets die jeweils andere Form gleichrangig miteinbezogen.

Vorwort von Daniel J. Siegel

Falls Sie in einer Beziehung mit einem Menschen leben, der die Eigenschaften eines Narzissten zeigt, sollten Sie nicht zögern, dieses Buch zu lesen. Mit ihm bietet Wendy Behary einen praktischen Werkzeugkasten an, der zeigt, wie man die emotionalen Herausforderungen im Umgang mit einem Menschen bewältigt, der sich nur für sich selbst interessiert: dem Narzissten.

Dieses Juwel unter den Selbsthilfebüchern bietet eine Fülle nützlicher Tipps, die auf zwei wissenschaftlichen Disziplinen beruhen: der Rolle von Schemata in der Struktur der Psyche aus Sicht der Kognitionswissenschaften sowie auf meinem eigenen Spezialgebiet, der interpersonalen Neurobiologie. Schemata sind generalisierte Filter, die unsere Wahrnehmung verzerren und unser Denken verändern. Die Autorin hat sich über zwei Jahrzehnte im Rahmen ihrer psychotherapeutischen Arbeit auf Schematherapie und die Behandlung von Menschen spezialisiert, deren dominante Störung Narzissmus ist. Auf der Basis dieses wissenschaftlichen Hintergrunds und ihrer Erfahrung als praktizierende Therapeutin erklärt Wendy Behary in leicht verständlicher Weise, wie die Psyche eines Narzissten funktioniert. Sie zeigt uns die Schemata, die bestimmen, wie ein Narzisst die Welt sieht und dass in einer solchen Perspektive nur allzu häufig jegliches Interesse am Innenleben anderer Menschen fehlt.

Die interpersonale Neurobiologie untersucht die Zusammenhänge zwischen Beziehungen, Psyche und Gehirn. Wendy Behary, unsere Expertin für den Umgang mit Narzissten, hat viele Jahre mit mir zusammen dieses Fachgebiet studiert und die daraus gewonnenen Erkenntnisse souverän auf ihr eigenes Fachgebiet übertragen, nämlich auf den Umgang mit Menschen, denen die Gabe der Empathie fehlt. Die Schaltkreise im Gehirn, die uns in die Lage versetzen, das subjektive innere Erleben – die Gefühls- und Gedankenwelt – eines anderen Menschen nachzuempfinden, sind bei Narzissten unterentwickelt oder nur schwer zugänglich. In meinem Buch Mindsight – die neue Wissenschaft der persönlichen Transformation wird die Fähigkeit beschrieben, die eigene Innenwelt sowie die anderer wahrzunehmen und zu verstehen; und bei vielen Narzissten ist diese Fähigkeit nur schwach entwickelt. Daher scheint eine Beziehung zu einem solchen Menschen sehr einseitig zu sein: Jedes Gespräch, jede Interaktion dreht sich immer nur um ihn, nicht um Sie selbst oder Sie beide zusammen im Sinne eines „Wir“.

Dieser Mangel an Empathie in der Beziehung wirkt sich auf die sozialen Schaltkreise im Gehirn aus, die dazu beitragen, ein Gefühl von Gleichgewicht und Wohlbefinden zu schaffen. Ein solches Ungleichgewicht kann dazu führen, dass Sie sich isoliert und einsam fühlen, verwirrt und Ihrer normalen Lebensfreude beraubt. Ihre Reaktion auf solche Gefühle kann von Ihrer eigenen Disposition abhängen: Entweder Sie werden wütend und sind frustriert, oder Sie fühlen sich gekränkt und ziehen sich zurück. Oder Sie fühlen sich beschämt, als hätten Sie sich falsch verhalten und es verdient, ignoriert zu werden. Bei solchen und anderen häufig zu beobachtenden Reaktionen erzeugt die Beziehung zu einem Narzissten eine Kaskade neuraler Reaktionen, die kaum noch etwas zu tun haben mit der psychischen Ausgeglichenheit, der Empathie und dem Mitgefühl, die für normale Beziehungen typisch sind. Sie haben es verdient, diese Art von Stress in Ihrem Leben zu reduzieren – und zwar auch dann, wenn Sie den anderen nicht ändern können. Das auf den Seiten dieses Buches enthaltene Wissen kann Ihnen als wirkungsvolles Werkzeug dienen, um diese Belastungen mithilfe von Know-how und Einsichten zu bewältigen. Falls Sie in einer wie auch immer gearteten engen Beziehung mit einem Narzissten leben, brauchen Sie vielleicht dringend neue Ansätze, um Ihre Lage besser verstehen und damit umgehen zu können – zugunsten Ihres Seelenfriedens und der Gesundheit Ihres Gehirns und Ihrer Beziehungen.

Erfreulicherweise werden Ihnen die in diesem Buch enthaltenen Ratschläge helfen, die Beziehung mit einem Menschen, der zunächst wenig zu geben hat, aber häufig zu viel nimmt, zu überstehen und zu verbessern. Zumindest wird dieses Buch Ihnen helfen, die Mechanismen, die im Rahmen Ihrer Beziehung im Bewusstsein und Gehirn am Werk sind, zu verstehen. Das allein wird Sie schon sehr unterstützen. Aber darüber hinaus lassen die hier präsentierten Empfehlungen auf Verhaltensänderungen hoffen. Vielleicht wird es Ihnen gelingen, sich aufgrund dieser auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Ideen eine neue Art des Seins zu erschließen – sowohl für sich selbst als auch für den Narzissten in Ihrem Leben. Es wird sich allemal lohnen, dass Sie sich die Zeit nehmen, dieses Buch zu lesen und über die Ideen nachzudenken, die es präsentiert. Falls Sie in einer problematischen Beziehung mit einem Narzissten leben – worauf warten Sie dann noch? Blättern Sie um und erfahren Sie, wie Sie Ihr Leben verbessern können.

Daniel J. Siegel, MD

Autor von Mindsight – Die neue Wissenschaft der persönlichen Transformation, Das achtsame Gehirn, Wie wir werden, die wir sind und Koautor von
The Whole-Brain Child und Gemeinsam leben, gemeinsam wachsen.
Professor für klinische Psychiatrie, School of Medicine,
University of California, Los Angeles (UCLA)

Einführung

Nur allzu oft genießen wir die Bequemlichkeit einer Meinung ohne die Unbequemlichkeit des Nachdenkens.

– John F. Kennedy

Da Sie dieses Buch lesen, ist es wahrscheinlich, dass Sie eine Beziehung zu einem Narzissten haben und dieser Mensch Sie durch seine extreme Egozentrik und Anspruchshaltung immer wieder verletzt und die Beziehung beschädigt hat. Die in diesem Buch enthaltenen nützlichen Informationen, aufschlussreichen Übungen und wirkungsvollen Strategien können Ihnen helfen, den Narzissten in Ihrem Leben besser zu verstehen und auf positive Verhaltensänderungen in Ihrer Beziehung hinzuwirken. Doch zunächst wollen wir einen kurzen Blick auf die wachsende Beachtung werfen, die Narzissmus in der Öffentlichkeit findet, und die wichtige Rolle der Empathie, wenn es darum geht, Beziehungen zu heilen, die durch narzisstisches Verhalten belastet sind.

Ein Zeitalter des Narzissmus

In den vergangenen Jahren haben Berichte über das Verhalten von Prominenten aus Kino, Sport und Politik ein Schlaglicht auf deren selbstsüchtigen Lebensstil und ihre Anspruchshaltung, über dem Gesetz zu stehen, geworfen. Begriffe wie „Narzissmus“, „Sexsucht“ und „fehlende Empathie“ sind in den Überschriften zahlreicher Artikel und Sendungen aufgetaucht (und haben den Verkauf meiner Bücher angekurbelt, vielen Dank!).

Solche Begriffe, die früher nur im Umfeld von Psychologie und Psychiatrie gebräuchlich waren, halten rapide Einzug in den Wortschatz unserer Alltagssprache, auf sozialen Websites und an Küchentischen in aller Welt. Da der Begriff „Narzissmus“ immer häufiger verwendet und immer besser verstanden wird, sind immer mehr Menschen froh und erleichtert, endlich eine Beschreibung zu haben, die auf einen selbstsüchtigen Lebenspartner, die egozentrische Freundin, einen arroganten Chef oder das rücksichtslose Familienmitglied passt.

Als Mit Narzissten leben im Jahr 2008 zum ersten Mal erschien, gab es kaum Literatur zu diesem Thema, die sich an eine allgemeine Leserschaft wendet. Das Buch lieferte eine Beschreibung von Narzissmus und zeigte Strategien auf, die Lebenspartner, Freunde und Bekannte im Umgang mit Narzissten einsetzen können. Ich schrieb das Buch hauptsächlich als Reaktion auf Menschen, die mir gegenüber eine ehrlich empfundene Fürsorge für den Narzissten in ihrem Leben zum Ausdruck gebracht hatten, ungeachtet all der damit einhergehenden Schwierigkeiten – Betroffene, die Verhaltensänderungen bewirken, dabei aber auch ihre Bedürfnisse erfüllt sehen wollten. Und das Buch richtete sich auch an Menschen, die Grenzen setzen oder sich aus einer Beziehung lösen wollten oder die darum kämpften, mit den Folgen einer Beziehung zu einem Narzissten fertigzuwerden – vielleicht durch gemeinsame Kindererziehung oder einfach nur, indem sie ihr Selbstwertgefühl wiederherzustellen versuchten.

Angesichts des großen öffentlichen Interesses, welches das Phänomen Narzissmus ausgelöst hat, ist es kein Wunder, dass in den vergangenen Jahren zahlreiche Bücher zu dieser Thematik erschienen sind. Dennoch bietet Mit Narzissten leben einen nach wie vor einzigartigen Ansatz für die Herausforderungen, die es mit sich bringt, mit einem Narzissten zu tun zu haben; zudem bietet es eine umfassende Erklärung für das Phänomen Narzissmus und einige pragmatische Orientierungshilfen, ohne dabei jedoch aus den Augen zu verlieren, dass denkbare Verhaltensänderungen sich bei diesem komplizierten Persönlichkeitstyp wahrscheinlich in engen Grenzen halten werden.

Die Weisheit der Empathie

Der in diesem Buch vertretene Ansatz erregt manchmal den Unmut meiner Kolleginnen, Klienten und Leserinnen, wenn sie darum ringen, ihn mit ihrem achtsamen Herz in Einklang zu bringen. Manche meinen, mein Buch befürworte einen zu nachgiebigen Umgang mit Narzissten und es gebe bei diesen selbstherrlichen Irren keine Hoffnung auf Wandel. Das verstehe ich durchaus, denn viele Betroffene fühlen sich in ihren Interaktionen mit Narzissten zu kurz gekommen, frustriert oder auf gefährliche Weise bedroht – und das sogar, nachdem sie all die in diesem Buch beschriebenen Hilfsmittel der empathischen Konfrontation und des Setzens von Grenzen angewendet haben.

Dennoch gibt es in dieser schwierigen Lage potenzielle Lösungen. Um im Umgang mit einem Narzissten Boden zu gewinnen und zu halten, müssen Sie spürbare Konsequenzen ankündigen – darauf werde ich näher eingehen, wenn es um empathische Konfrontation geht. Das bringt uns zu einem weiteren Bereich von Missverständnissen, den ich ausführlich erörtern werde: Was genau ist eigentlich Empathie, und warum um alles in der Welt sollte man sie ausgerechnet Narzissten entgegenbringen?

Manchmal lassen ein zerrissenes Herz und enttäuschte Hoffnungen es nicht zu, die Geduld und das Engagement aufzubringen, die erforderlich sind, um mit unterschiedlichen Strategien zu experimentieren. Machen wir uns nichts vor: Es braucht mehr als gute Worte und wohlerwogene Formulierungen, um Erfolge zu bewirken – nämlich psychischen Druck (leverage)2, Beharrlichkeit, gewisse Kenntnisse über das, womit man es zu tun hat, und den Willen, spürbare Konsequenzen durchzusetzen. Die Therapeutin braucht die unbeirrbare Konzentrationsfähigkeit eines Olympia-Spitzensportlers, ein dickes Fell, Ausdauer und die Bereitschaft, verletzlich zu sein – also nicht nur nett und klug zu sein, sondern auch authentisch.In den meisten Büchern über Narzissmus wird den Leserinnen und Lesern dringend empfohlen, so schnell wie möglich das Weite zu suchen, um dem Einflussbereich des „Ich, ich, ich“-Egomanen oder des dünkelhaften Vamps zu entkommen. Doch bei meiner Arbeit mit Selbsthilfegruppen für den Umgang mit Narzissten habe ich gelernt, dass das leichter gesagt als getan ist, wenn Sie mit der narzisstischen Person verheiratet sind und ihr Jahrzehnte Ihres Lebens gewidmet haben – etwa, wenn es sich um den Vater Ihrer kleinen Kinder handelt. Wahrscheinlich ist er kein Mensch, dem Sie Ihre Kleinen bedenkenlos über das Wochenende überlassen würden. Und wenn die Narzisstin Ihre Chefin oder Ihre älteste Tochter ist und Sie nicht bereit sind, Ihren Job aufzugeben oder den Kontakt zu Ihren Enkelkindern zu verlieren, es ist auch nicht gerade einfach.

Außerdem kann es gut sein, dass der Narzisst ein Mensch ist, den Sie lieben und verstehen, ein Mensch, den Sie ins Herz geschlossen haben – wenn auch nur in jenen kurzen Momenten, in denen seine Verletzlichkeit und Menschlichkeit es schafften, sich aus dem von seinem übergroßen Ego errichteten Gefängnis davonzustehlen und ihn als warmherzigen und fürsorglichen Menschen erscheinen zu lassen. Leider ist es immer nur eine Frage der Zeit, bis er sich wieder gelangweilt und desinteressiert zeigt – ebenso plötzlich, wie er auftaucht, verschwindet er wieder. Und Sie fragen sich vielleicht: Denkt er an Sie? Ist seine Vorstellung von Ihnen zutreffend? Versteht er Sie als Mensch, Ihre Persönlichkeit, Ihre Bedürfnisse und wie es sich anfühlt, in Ihrer Haut zu stecken?

Diese Fragen bringen mich zurück zur Empathie, einem Begriff, der im Kontext von Narzissmus besonders deplatziert zu sein scheint. Oft werden mir Fragen über Empathie gestellt, und zwar vor allem die folgenden:

Ist „Empathie“ nicht lediglich ein anderes Wort für „Mitgefühl“?

Wie kann ich für einen Narzissten Empathie empfinden?

Kann sich ein Narzisst jemals wirklich vorstellen, wie es sich anfühlt, in der Haut eines anderen Menschen zu stecken?

Einige der klügsten Denker und Kommunikatoren, darunter Journalistinnen, Psychologen, Forscherinnen, politische Analysten, Anthropologen und sogar Schriftstellerinnen beschäftigen sich mit dem Phänomen Empathie – angefangen bei der Erforschung von Spiegelneuronen bis hin zu philosophischen Erwägungen über Moralität. Wie können Menschen ohne Empathie eine Vorstellung von der Zukunft entwickeln, sich im Vergleich zu anderen sehen oder sich ein Bild von der Welt machen?

Um die zahlreichen Fragen von Lesern und Klienten zur Empathie zu beantworten und neue Forschungsergebnisse zu diesem Thema zu berücksichtigen, wurde die zweite Ausgabe von Mit Narzissten leben um Informationen zum Thema Empathie erweitert, etwa zu der Frage, wie Empathie emotionale Stabilität fördert. Darüber hinaus enthielt die zweite Ausgabe neues Material zu narzisstischen Frauen in Beantwortung zahlreicher Leserzuschriften über Probleme mit Narzisstinnen.

In der zweiten Ausgabe wurde eingestanden, dass es manchmal die beste Option ist, die Beziehung zu beenden. Diese dritte Ausgabe enthält ein Kapitel über Ausstiegsstrategien. Die neuen Inhalte drehen sich um die Risiken und Gefahren eines Lebens mit einem narzisstischen Menschen, der gefährliches Verhalten wie Aggressivität, anhaltende Süchte (zum Beispiel nach pornografischem Material, Fremdgehen, Glücksspiel oder Drogen) und einen fehlenden moralischen Kompass an den Tag legt, in Verbindung mit Rücksichtslosigkeit und einer übersteigerten Anspruchs­haltung.

Ich freue mich, in der dritten Ausgabe von Mit Narzissten leben erneut auf zahlreiche Wünsche von Leserinnen und Lesern eingehen zu können, die mich gebeten haben, zu etlichen wichtigen Themen mehr Information zu liefern: (1) die Hypersexualität von Narzissten (ein abnorm stark ausgeprägtes sexuelles Verlangen), Sexsucht und das daraus entstehende Risiko, ein Trauma durch Verrat zu erleiden und es bewältigen zu müssen; (2) die gemeinsame Kindererziehung mit einer narzisstischen Person – sowohl innerhalb der Ehe als auch nach einer Trennung; und (3) die Frage, wie sich ein kompetenter Scheidungsanwalt finden lässt, der sich mit Narzissmus auskennt und die Kunst der Mediation oder einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit einem narzisstischen Gegenüber beherrscht.

Unauslöschliche Prägungen

Mein Interesse an Narzissmus wurde durch einige unvergessliche Erfahrungen geweckt, die ich in den frühen Jahren meiner psychologischen Praxis mit etlichen sehr schwierigen Klienten machte. Lediglich gewappnet mit einer blassen Resterinnerung an Wissen zu diesem Thema, das ich mir im Studium angeeignet hatte, und der Begeisterung einer Novizin auf dem Gebiet der Beziehungspsychologie war ich nicht adäquat darauf vorbereitet, mit narzisstischen Menschen umzugehen. Ich merkte bald, dass ich bei der Arbeit mit solchen Patienten sehr schnell nervös wurde, mich ungeschickt verhielt und in die Defensive geriet – sie verstanden es wie niemand sonst, meine Knöpfe zu drücken.

Zu einer meiner ersten Begegnungen mit einem narzisstischen Klienten kam es während meines Praktikums. Meine Aufgabe war es, Interviews mit Paaren zu führen, die im Begriff standen, sich scheiden zu lassen, und ihnen zu helfen, Streitigkeiten über das Sorgerecht und das Besuchsrecht für die Kinder beizulegen. Man könnte sagen, dass im Vergleich dazu ein Kopfsprung von einer hohen Klippe in eiskaltes Wasser harmlos gewesen wäre.

Meine Feuertaufe begann, als ein attraktiver 45-jähriger Mann etwas früher als seine angehende Ex-Frau zu unserer Sitzung erschien. Er musterte mich prüfend – eine 25-jährige Frau in einem marineblauen Hosenanzug, ausgestattet mit Klemmbrett, einem entgegenkommenden Händedruck und einer bis dato sehr spärlichen klinischen Erfahrung. Er setzte sich, stieß einen ungeduldigen Seufzer aus, warf einen Blick auf seine Armbanduhr und fragte mich dann: „Wie lange soll denn dieses blödsinnige Meeting eigentlich dauern?“ Bevor ich stotternd eine Antwort hervorbringen konnte, fragte er weiter: „Wann kommt denn die Mediatorin?“ Ich war eigentlich schon immer ganz gut darin, ein Erröten zu unterdrücken, und so antwortete ich mit einem gezwungenen Lächeln: „Das bin ich.“ Er verdrehte die Augen, warf den Kopf missbilligend nach hinten, wendete sich ab und starrte aus dem Fenster, während er ungeduldig mit den Fingern auf die Armlehne seines Stuhls trommelte.

In der folgenden unbehaglichen Stille begann ich zunächst, über eine Laufbahn als Floristin nachzudenken, aber dann sagte ich mir: Wendy, das ist ein enttäuschter Mann, der gerade eine Scheidung durchmacht. Er muss sich mit so vielen Dingen auseinandersetzen. Er ist einfach verärgert. Du kommst damit klar. Du hast deinen Fragebogen, du hast das Interview geübt, und du hast eine gerichtliche Verfügung. Zwar fühlst du dich nicht gerade wohl in der Gegenwart von Flegeln, aber du wirst es überstehen. Du weißt, wie und worauf du dich konzentrieren musst, und du gehst sensibel mit deinen Klienten um.

Seine Frau erschien etwa fünf Minuten später, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen. Sie war eine liebenswürdige Person, die sich sofort entschuldigte, weil sie sich ein bisschen verspätet hatte. Sie stellte sich vor, begrüßte ihren Mann, der darauf nicht reagierte, und setzte sich dann auf einen Stuhl. Ich eröffnete die Sitzung, indem ich das Schriftstück vorlas, das ich vom Gericht erhalten hatte. Er stieß immer wieder laute Seufzer aus und starrte an die Zimmerdecke. Sie nickte und bestätigte, dass alle Daten richtig seien.

In der Gerichtsakte waren die Gründe für die gerichtlich angeordnete Schlichtung aufgeführt: Die Eheleute konnten sich nicht darüber einigen, wie das Sorgerecht für ihre drei Kinder gehandhabt werden sollte. Er schlug das gemeinsame Sorgerecht vor, während sie das alleinige Sorgerecht forderte, ihm dabei aber ein uneingeschränktes Besuchsrecht einräumen wollte. Bevor ich den Vorschlag zu Ende vorlesen konnte, unterbrach er mich, sprang auf und sah seine Frau bitterböse an. Sie senkte sofort den Kopf und starrte auf ihre Schuhe, während er bellte: „Das hier ist totale Zeitverschwendung. Es wird keine Mediation geben. Wir sehen uns vor Gericht wieder, und dann wirst du schon sehen, was du bekommst.“ Dann sah er mich an und fuhr fort: „Schreiben Sie das in Ihre Akte, Fräulein Psychologin, und außerdem können Sie dem Gericht bestellen, dass ich durch bin mit diesem Mediationsblödsinn. Sie glaubt, weil sie nun endlich ihre schöne kleine Scheidung kriegt, dass sie auch meine Kinder bekommen kann, aber das werden wir ja sehen. Die einzige Chance meiner Kinder, funktionierende Gehirne zu entwickeln und sich eine erfolgreiche Zukunft aufzubauen, besteht darin, bei mir zu leben. Wissen Sie, wer ich bin, Fräulein Psychologin? Wissen Sie das? Ich bin einer der angesehensten Rechtsanwälte in diesem Bundesstaat. Also … Ihnen beiden viel Glück.“ Damit schleuderte er seine Unterlagen auf den Boden und stürmte hinaus.

Die Frau hatte die Hände vor dem Gesicht zusammengeschlagen und weinte. Obwohl ich eigentlich gern mit ihr zusammen geheult hätte, schluckte ich den Klumpen im Hals hinunter und befragte sie über das, was gerade passiert war. Sie erzählte mir, dass ihr Mann tatsächlich ein sehr bekannter und erfolgreicher Anwalt sei und sie in einem Gerichtsverfahren aufgrund seines Renommees und seiner guten Beziehungen von vornherein auf verlorenem Posten stünde. Sie schilderte, wie er mit seiner einschüchternden Art schon vielen Eheberatern den Mut genommen – und ihr Ego niedergewalzt – hatte. Niemand schaffte es, ihn zur Räson zu bringen.

Sie klang verzweifelt, und als ich das offen aussprach, erwiderte sie, dass sie schon lange verzweifelt war. Ihr Mann sei ein schwieriger Mensch, das Produkt einer sehr unglücklichen Kindheit. Sie erzählte mir, dass sie ihn zwar liebe, sein verletzendes Verhalten aber einfach nicht mehr ertragen könne, und dass ihnen anscheinend niemand helfen konnte. Sie stand vor einem Rätsel – wie hatte der einstmals so süße und sensible kleine Junge zu einem so herrschsüchtigen Egomanen heranwachsen können? Wir seufzten zusammen. Ich gab ihr ein paar Ratschläge, wo sie Unterstützung finden konnte, und dann war die Sitzung zu Ende. Ich reichte meinen Bericht über die Nichteinhaltung der gerichtlichen Mediationsverfügung ein und sah die beiden nie wieder.

Wenn ich an dieses Paar zurückdenke, frage ich mich, ob es wohl jemals irgendjemandem gelungen ist, ihn zu erreichen und wie es den Kindern und der Frau ergangen ist. Ich kann mich noch lebhaft an mein Unbehagen damals erinnern – steigende Hauttemperatur, beschleunigter Puls, ein Knoten in der Magengrube. Meine Vorliebe für Sprache, ganz passable Kommunikationsfertigkeiten und meine chronische Faszination mit der conditio humana – all das wurde abgewürgt durch das ungewohnte Gefühl, mein Selbstvertrauen verloren zu haben. Es war nicht nur seine tyrannische Art, sondern sein arrogantes und anmaßendes Gehabe. Es war, als ob er mir meinen Elan genommen und meine Courage untergraben hätte. Dies war das erste von mehreren ernüchternden Erlebnissen zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn. Mein Mann drückt es gerne so aus: „Du weißt nicht, was du nicht weißt.“ Ich hatte noch viel zu lernen, vor allem über die Komplexitäten von Narzissmus und seine Auswirkungen auf zwischenmenschliche Beziehungen.

Wegweisende Einflüsse

Ich bin enorm wissbegierig im Hinblick darauf, was Menschen antreibt, und immer wieder fasziniert von menschlichem Verhalten. Auch das notwendige Decodieren meiner eigenen emotionalen Disposition ist davon nicht ausgenommen. Nachdem ich viel Zeit darauf investiert hatte, meinen eigenen Motiven und Verhaltensweisen auf den Grund zu gehen, ist mir klar geworden, wie wertvoll die ständig daraus hervorgehenden persönlichen Entdeckungen sind.

Vor 30 Jahren hatte ich das große Glück, den unvergleichlichen Dr. Jeffrey Young kennenzulernen, der zu einem meiner Mentoren und auch zu einem meiner engsten Freunde wurde. Er hat mich gelehrt, meine psychotherapeutische Methodik (die damals ausschließlich den Grundsätzen der kognitiven Therapie folgte) in sein vielschichtig strukturiertes Schematherapie-Modell zu integrieren – eine hervorragende Strategie zur Behandlung von Problemen, die auf Narzissmus beruhen. Für den fundamentalen Einfluss, den er auf mein Leben hatte und nach wie vor hat, werde ich immer in seiner Schuld stehen.

Im Jahr 2003 hatte ich abermals Glück, als ich Daniel Siegel kennenlernte, den begnadeten Meister der interpersonalen Neurobiologie. Unter seiner Aufsicht gelang es mir, meine Arbeit um ein anschauliches und anwenderfreundliches Modell des Gehirns und der Aktivierung von Erinnerungen zu ergänzen. Die Studien, die ich gemeinsam mit Dan durchgeführt habe, waren enorm aufschlussreich und haben bei der Arbeit mit einigen meiner schwierigsten Klienten den Weg zu Fortschritten geebnet. Glaubwürdigkeit und Validität des komplexen Prozesses, im Rahmen der psychotherapeutischen Praxis mit interpersonalen Beziehungen umzugehen, konnten durch die Erweiterung mit neurowissenschaftlichen Erkenntnissen untermauert werden. Darüber hinaus hilft diese neue Perspektive, die Scham und das Stigma zu reduzieren, die es mit sich bringt, wenn man bei emotionalen Problemen Hilfe sucht. Sobald eine Klientin erkannt hat, dass das Gehirn ihre Erfahrungen bewahrt und das Gedächtnis uns einen Zugang zu schmerzlichen früheren Ereignissen eröffnet, überwindet sie ihre Angst, als „verrückt“ oder „schwach“ abgestempelt zu werden. Zudem kann die Wissenschaft einen Teil der Skepsis zerstreuen, mit der viele Menschen in eine Therapie gehen. Und sie hilft uns allen, die wichtigen biologischen Funktionen des Körpers und deren Auswirkungen auf unsere Erlebenswelt besser zu verstehen.

Wissen als Schlüssel zum Erfolg

Seit jener unerfreulichen Sitzung in der Schlichtungsstelle für Familiensachen sind viele, viele Jahre vergangen. Mittlerweile habe ich viel Zeit darauf verwandt, Schwierigkeiten zu überwinden, zu experimentieren, meine Kenntnisse zu erweitern und meine Nische zu schaffen. Ironischerweise bin ich inzwischen eine Expertin für Narzissmus, da ich jahrelang mit Mitgliedern dieser Population und ihren verletzten Partnerinnen und Partnern gearbeitet habe. Meine Klienten sind zum größten Teil männliche Narzissten, eine geringere Anzahl narzisstische Frauen sowie Menschen, die versuchen, mit Narzissten in ihrem Leben zurechtzukommen. Ich weiß nicht genau, wie ich diese meine Leidenschaft erklären kann; meine Kollegen finden diese Vorliebe ein bisschen ungewöhnlich, vielleicht sogar masochistisch, da die meisten praktizierenden Therapeutinnen bei dem Gedanken, mit einem Narzissten arbeiten zu sollen, erschaudern. Viele von ihnen lehnen Überweisungen solcher Klienten grundsätzlich ab. Für mich ist es dagegen eine sehr befriedigende Erfahrung, sowohl persönlich als auch beruflich.

Zwar ist nicht jeder narzisstische Mensch willens oder in der Lage, daran zu arbeiten, sich von Grund auf zu ändern, aber einige sind es – mit Leverage (spürbaren Konsequenzen), einer standfesten Therapeutin und der richtigen Behandlungsstrategie (am besten eine, die tief in das emotionale Empfinden vordringt). Auch Therapeutinnen und Therapeuten haben dieses Buch als nützliche Ressource empfunden, obwohl es eigentlich für Menschen gedacht ist, die es mit einem narzisstischen Partner zu tun haben.

In diesem Buch werde ich verschiedene Arten von Narzissmus definieren und beschreiben; ich werde erklären, wie und warum Narzissmus als Bestandteil der Persönlichkeit eines Menschen entsteht, und ich werde Informationen und Hilfsmittel anbieten, die Ihnen helfen können, sich in der Beziehung zu einem solchen schwierigen Menschen zu behaupten und sogar weiterzuentwickeln. Dieses Buch kann Ihnen helfen, Ihre eigenen Lebensmuster und persönlichen Lebensthemen zu erkennen, sodass Sie verstehen können, warum Sie möglicherweise von narzisstischen Menschen angezogen werden und sich im Umgang mit ihnen provoziert oder festgefahren fühlen. Es wird Ihnen helfen, einen reflektierenden und entschiedenen Tonfall zu entwickeln, den Sie einsetzen können, wenn Sie dem Narzissten in Ihrem Leben Ihre Absichten, Bedürfnisse und Erwartungen mitteilen wollen. Dieses Buch soll Ihnen nicht nur helfen, Schwierigkeiten zu bewältigen, sondern auch, einen besseren und befriedigenderen Stil im Umgang mit einem Narzissten zu finden.

Man sollte im Auge behalten, dass die meisten Experten auf diesem Gebiet davon ausgehen, dass über 75 Prozent der Narzissten männlich sind, und darum verwende ich in diesem Buch häufiger das männliche Pronomen. (Und auch, weil ich es eher gewohnt bin, mit männlichen Narzissten zu arbeiten.) Dieser Umstand wird unter anderem zurückgeführt auf geschlechtsspezifische Eigenschaften und die Sozialisierung hinsichtlich emotionaler Verletzlichkeit, Aggression, Ehrgeiz, schwachen Bindungen zu anderen, Dominanz und gesellschaftlichen Normen, vor allem, wenn es um die Frage geht, ob Kinder durch Erbanlagen oder Prägungen („Anlage versus Umwelt“) narzisstische Tendenzen entwickeln. Auch Frauen können narzisstisch veranlagt sein, tendieren aber dazu, solche Neigungen eher in Bereichen wie persönlicher Erscheinung, Eitelkeit, Status der Kinder oder des eigenen Haushalts oder ihrem Wert als Mutter auszuleben. Davon abgesehen tendieren narzisstische Frauen eher zu verdeckten Manifestationen des Syndroms; häufig treten sie als „gekränkte Unschuld“, Nörglerin oder „Heulsuse“ in Erscheinung. Aber natürlich gibt es auch die „Grande Dame“, die Diva und die Wirtschaftsmogulin, die in ihrem aufdringlichen und unterdrückerischen Streben nach Kontrolle, Status und Zustimmung eher ihren männlichen Pendants gleicht.

Die Ähnlichkeit zwischen männlichen und weiblichen Narzissten zeigt sich darin, dass beide ein unersättliches Verlangen haben, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen – ganz gleich, ob das nun offen oder verdeckt geäußert wird. Dadurch wird ihre Fähigkeit, Empathie oder Reue zu empfinden, erheblich eingeschränkt oder gar völlig eliminiert. Vielleicht haben Sie schon einmal den Begriff „narzisstische Kränkung“ gehört; damit ist gemeint, dass sich für einen Narzissten die Aussage „es tut mir leid“ so anfühlt, als würde er sagen: „Ich bin der schlechteste Mensch der Welt.“ Ungeachtet ihres zur Schau gestellten Draufgängertums reagieren Narzissten überempfindlich auf Kritik, enttäuschte Reaktionen anderer, abweichende Standpunkte, ausbleibende Aufmerksamkeit oder Komplimente, Ignoriertwerden und sogar auf eigene Fehler. Es ist jedoch nicht immer offensichtlich, wann ein Narzisst sich gekränkt fühlt, weil er es glänzend versteht, seine Gefühle zu verschleiern. Anstatt sich gekränkt zu zeigen, wird er Sie beleidigen, Sie ignorieren oder Bewunderung für seine Grandiosität einfordern. Woraufhin Sie vielleicht die Segel streichen und sich selbst entschuldigen werden, um seine hartnäckigen Angriffe zu besänftigen und sein beschädigtes Ego wieder aufzubauen.

Aber das muss nicht so sein. Es ist durchaus möglich, im Umgang mit einem narzisstischen Menschen Ihre Gelassenheit und Ihr Selbstwertgefühl zu bewahren. Der erste Schritt besteht darin, das Phänomen Narzissmus und seine Entstehung zu erfassen – das Thema des ersten Kapitels. Dieses Wissen kann Ihnen helfen zu erkennen, dass die Aktionen und Unterlassungen des Narzissten, obwohl sie sehr verletzend sein können, nicht Ihre Schuld sind. Und es kann Ihnen helfen, diesem Menschen mit Empathie und vielleicht sogar Mitgefühl zu begegnen – eine paradoxerweise sehr wirkungsvolle Strategie, durch die Sie ihn zur Verantwortung ziehen, Ihren Seelenfrieden wiederfinden und möglicherweise Ihre Beziehung verbessern können – oder entscheiden, wann es Zeit ist zu gehen.

2  Anmerkung des Übersetzers: Das Konzept der Leverage („Hebelwirkung“) ist ein zentraler Bestandteil des hier vertretenen Ansatzes. Damit sind Methoden gemeint, welche die Bereitschaft des Narzissten zu positiven Verhaltensänderungen fördern können, zum Beispiel von außen ausgeübter psychischer Druck.

1. Erfassen der Situation: Der Versuch, Narzissmus zu verstehen

Die Masse der Menschen führt ein Leben in stummer Verzweiflung.

– Henry David Thoreau

„Wendy, warum soll ich meine Zeit damit verbringen (verschwenden), mich über Narzissmus zu informieren? Verbringe ich nicht schon genug Zeit damit, wenn ich einfach nur versuche, mit ihm klarzukommen? Wie soll mir das helfen? Was ist mit meinem Schmerz? Soll ich ihn etwa bemitleiden wegen seines gestörten Lebens?“ Viele Leserinnen und Leser stellen mir diese wichtigen Fragen. Lassen Sie mich die letzte Frage zuerst beantworten: Nein, sich über Narzissmus zu informieren soll keineswegs dazu führen, dass Sie Mitleid mit dem Betroffenen haben oder ihm Absolution erteilen; aber dieses Wissen kann Ihnen ironischerweise helfen, sich selbst zu befreien und ihn zur Verantwortung zu ziehen. Zu viele von einem Narzissten verletzte Menschen werden von Gefühlen wie Selbstzweifeln, falschem Schuldbewusstsein und Hoffnungslosigkeit geplagt. Der Narzisst versteht es meisterhaft, Ihre emotionale Intelligenz in die Irre zu führen, sodass Sie voller Angst und Wut auf der Strecke bleiben – und im Laufe der Zeit können diese beiden Gemütszustände kräftezehrend sein. Je besser Sie die Persönlichkeitsstruktur des Narzissten verstehen, desto besser ist Ihre Chance, sich von Selbstzweifeln, Selbstvorwürfen und dem Gefühl der Machtlosigkeit zu befreien – und desto besser sind Ihre Aussichten, sich selbst zu schützen, Ihre Stimme wiederzugewinnen und Ihr erschöpftes und kostbares Selbst in die Arme zu schließen.

Der Narzisst zieht zugleich an und stößt ab. Er mag wie ein moderner Ritter daherkommen, ein Sir Lancelot unserer Tage, der uns mit seinem großspurigen Charme umgarnt, angetan mit der glänzenden Rüstung unserer Zeit: einem ansehnlichen Investment-Portfolio oder prachtvollen Besitztümern. Aber Vorsicht! Dieser Ritter ist ein meisterhafter Gaukler, der sogar zu einer echten Bedrohung werden kann. Sie laufen Gefahr, zum Opfer seiner Verführungskunst zu werden, doch seine Arroganz, seine herablassende Art, seine Anspruchshaltung und sein Mangel an Empathie sind beklemmend und werden unausweichlich zu frustrierenden und notorisch schwierigen langfristigen Beziehungen führen.

Der narzisstischen Diva begegnet man vielleicht im gediegenen Ambiente einer Konzernzentrale, gekleidet nach der neuesten Mode; möglicherweise auf dem montäglichen Elternabend im Gymnasium, wo sie das große Wort führt; oder beim ­Delegieren lästiger Pflichten auf der Sitzung eines gemeinnützigen Vereins. Vielleicht ist sie auch der Dame auf dem neuesten Titel einer Hausfrauenzeitschrift verblüffend ähnlich, die, mit einem voluminösen Push-up-BH ausstaffiert, den wundertätigen „Wisch-und-Weg“-Bodenmopp anpreist. Ja, für diese Lady gibt es keine Probleme, immer nur Lösungen, und damit hält sie auch nicht hinterm Berg: „Ich will ja nicht prahlen, aber …“ oder „Ich will mich ja nicht beklagen, aber …“ oder „Mir fällt keine andere Frau ein, die sich so etwas gefallen lassen würde …“.

Sie ist die exaltierteste Leidende, das unschuldigste Opfer. Ihre Selbstaufopferung ist unvergleichlich: „So viel wie ich hat noch niemand für die Menschen in seinem Leben aufgegeben …“ Dieses demonstrativ aufopferungsvolle Zurückstellen der eigenen Bedürfnisse wird noch verstärkt, wenn andere Menschen ihre Selbstlosigkeit und ihr Verlangen nach Zustimmung mit einem ehrfürchtigen „Wie schaffst du das bloß!“ belohnen. In der Tat, diese entzückende, aber völlig unverfrorene, sich als Märtyrerin aufspielende Matrone giert nach Applaus, selbst wenn wir anderen uns angesichts ihrer gespielten Bescheidenheit und ihres nassforschen Auftretens peinlich berührt zusammenkrümmen, als müssten wir das Kratzen von Fingernägeln auf einer Schultafel ertragen.

Der Narzisst auf einen Blick

Ich habe seit fast 30 Jahren mit narzisstischen Menschen gearbeitet und dabei die Erfahrung gemacht, dass es kaum eine größere Herausforderung in der Psychotherapie gibt. Ein solcher Klient begibt sich vielleicht nur deswegen in Therapie, weil seine Partnerin endlich den Mut gefunden hat, ihm zu sagen: „Lass dir helfen oder verschwinde aus meinem Leben.“ Oder vielleicht, weil sein Chef ihn wegen zahlloser Beschwerden über seine schwierige Einstellung abgemahnt hat. Es kann auch sein, dass er in seinem ehrgeizigen Karrierestreben ins Hintertreffen gerät und nach Möglichkeiten sucht, sich einen Vorteil zu verschaffen. Oder er wird strafrechtlich belangt und hofft, dass Therapiesitzungen sich in seiner Gerichtsakte gut machen würden. Aber hin und wieder kommt es auch vor, dass ein Narzisst sich – widerstrebend – in Therapie begibt, weil er schlichtweg einsam und deprimiert ist oder von Angststörungen geplagt wird. Wie nennen wir also solche Menschen, die uns mit ihrer Komplexität und ihrem Allmachtsanspruch aus dem Gleichgewicht bringen? Obwohl solche Leute gut beieinander und selbstsicher wirken mögen und manchmal einen zuckersüßen Humor an den Tag legen, können sie bei anderen Menschen Furcht, Tränen, Langeweile oder Abscheu hervorrufen. Solche Menschen nennen wir „Narzissten“. Wie in der Einführung erwähnt, werde ich in diesem Buch hauptsächlich Pronomen der männlichen Form und Beispiele mit männlichen Protagonisten verwenden; allerdings werden Sie am Ende dieses Kapitels auch Informationen über gewisse Eigenarten weiblicher Narzissten finden. Wenn es um Narzissmus geht, können beide Pronomen zur Anwendung kommen.

 ÜBUNG

Ist der schwierige Mensch in Ihrem Leben ein Narzisst?

Gehen Sie die einzelnen Punkte in der folgenden Checkliste durch und kreuzen Sie jede Eigenschaft an, die auf den schwierigen Menschen in Ihrem Leben zutrifft. Markieren Sie nur die Eigenschaften, die sehr deutlich zutage treten, sich also in entsprechenden Situationen häufiger zeigen, als dass sie ausbleiben.

egozentrisch (verhält sich, als würde sich alles nur um ihn oder sie drehen)

anmaßend (stellt willkürlich Regeln auf, die aber nicht für ihn selbst gelten)

herabwürdigend (demütigt und tyrannisiert Sie)

fordernd (verlangt, was immer er haben will)

misstrauisch (zweifelt Ihre Beweggründe an, wenn Sie nett zu ihm sind)

perfektionistisch (stellt strikte, hohe Anforderungen; alles hat so gemacht zu werden, wie er es will, oder gar nicht)

überheblich (ist davon überzeugt, Ihnen und anderen überlegen zu sein; zeigt sich schnell gelangweilt)

zustimmungsbedürftig (lechzt ständig nach Lob und Anerkennung)

nicht empathisch (unfähig oder desinteressiert, Ihr inneres Erleben zu verstehen)

reuelos (kann sich nicht aufrichtig entschuldigen)

zwanghaft (verzettelt sich in Details und Kleinigkeiten)

suchtanfällig (kann nicht von schlechten Gewohnheiten lassen, die er einsetzt, um sich zu beruhigen)

emotional distanziert (geht Gefühlen aus dem Weg)

Wenn Sie mindestens zehn dieser Eigenschaften angekreuzt haben, erfüllt der schwierige Mensch in Ihrem Leben sehr wahrscheinlich die Kriterien für offenen maladaptiven Narzissmus, die häufigste und schwierigste Form. Narzissten dieses Typs sind aufdringlich und renitent. Ich nenne diese Ausprägung „offenen maladaptiven Narzissmus“, um sie von anderen Formen der Störung zu unterscheiden – zum Beispiel von verdecktem mal­adaptivem Narzissmus und milderen Formen von Narzissmus. Die Begriffe „offen“ und „maladaptiv“ („fehlangepasst“) bedeuten hier, dass eine beobachtbare Unfähigkeit vorliegt, sich äußeren Umständen oder grundlegenden Erwartungen innerhalb einer Beziehung zu fügen oder anzupassen. Aber Sie brauchen nicht zu verzweifeln, falls der Narzisst in Ihrem Leben tatsächlich ein offen maladaptiver Narzisst ist. Dass Sie ein Problem haben, wussten Sie schon – nur nicht, wie man es nennt und was Sie dagegen tun können. Aber Sie kommen der Lösung immer näher – lesen Sie einfach weiter.

Falls Sie weniger als zehn Eigenschaften angekreuzt haben, handelt es sich vielleicht um einen schwierigen, aber weniger renitenten Narzissten. Das Phänomen Narzissmus verläuft entlang eines Spektrums, von gesundem und gutartigem Narzissmus am einen Ende über moderaten bis zu offenem oder verdecktem Narzissmus am anderen Ende. Ich werde all diese verschiedenen Arten von Narzissmus in diesem Kapitel definieren und be­schreiben.

Was ist ein Narzisst?

Der Begriff „Narzissmus“ geht auf die Sage von dem Jüngling Narziss aus der griechischen Mythologie zurück, der dazu verdammt wurde, auf alle Ewigkeit in sein eigenes Spiegelbild verliebt zu sein, als Strafe dafür, dass er die Liebe der Bergnymphe Echo nicht erwidert hatte. Da Narziss sein Abbild auf der Oberfläche des Teichs nur begehren, aber niemals wirklich besitzen konnte, verzehrte er sich immer weiter und wurde schließlich in eine wunderschöne Blume – die Narzisse – verwandelt. Die Lehre aus diesem sinnträchtigen Mythos ist, dass wahre Schönheit erst dann erblühen kann, wenn zwanghafte und maßlose Selbstliebe vergeht.

Zu diesem Thema ist schon viel geschrieben worden, aber leider beschreibt ein Großteil der Literatur tatsächlich ein soziopathisches Profil oder eine antisoziale Persönlichkeitsstörung. Soziopathen wirken selbstgerecht und weisen daher unter Umständen gewisse Ähnlichkeiten mit einem narzisstischen Persönlichkeitsbild auf, sind aber typischerweise aggressiver und hinterhältiger als Narzissten und weiden sich buchstäblich daran, anderen Schmerz zuzufügen, ohne ein Gefühl für Recht und Unrecht zu haben. Vielen von ihnen fehlt das, was ein Neurowissenschaftler vielleicht als eine neuro-moralische Architektur im Gehirn bezeichnen würde – das Gewissen.

Auch Narzissten verletzen andere, doch oftmals tun sie das, um ihren Stolz, ihre Besitztümer oder ihr Ego zu schützen, und nicht etwa, um anderen Schmerzen zuzufügen. Narzissten sind in der Regel egozentrisch und zwanghaft damit beschäftigt, ein perfektes Bild von sich zu zeichnen – sie lechzen nach Anerkennung und Status, wollen beneidet werden. Sie scheinen kaum in die Lage zu sein, zuzuhören, Fürsorge zu empfinden oder die Bedürfnisse anderer Menschen zu verstehen. Das kann dazu führen, dass sie keine echte Vertrautheit entwickeln, das Gefühl, von einem anderen Menschen verstanden und geliebt zu werden und sich bei ihm geborgen zu fühlen. Eine solche Bindung versetzt uns in die Lage, den Unterschied zwischen Selbstliebe und der Liebe für einen anderen Menschen zu erfahren. Es ist ein wichtiger Teil der kindlichen Entwicklung, zu lernen, wie man die Waage hält zwischen einerseits auf sich selbst und andererseits auf andere gerichtete Aufmerksamkeit. Dies ist eine grundlegende Voraussetzung, um Gegenseitigkeit, Verantwortungsgefühl und Empathie entwickeln zu können – an der es aber zumeist in der frühen Entwicklung eines Narzissten fehlt.

Ein Narzisst mag ein draufgängerisches und lautstark prahlendes Ego zeigen, sich aber – wie wir alle – unwissentlich nach der Geborgenheit sehnen, die in einer innig empfundenen Umarmung zu finden ist. Obwohl er vielleicht Ihren Bedürfnissen und Gefühlen wenig oder gar keine Beachtung schenken mag und nur Ihre Aufmerksamkeit durch Anspruchshaltung und Unausstehlichkeit auf sich zu ziehen versucht, sehnt er sich eigentlich nach einer tieferen und sehr viel innigeren Bindung, die er aber partout nicht begreifen oder akzeptieren kann. Wahrscheinlich würde er die Vorstellung einer emotional innigen Bindung als schwach und erbärmlich empfinden. Seine unerfüllten Sehnsüchte treiben ihn dazu, durch charmante Rhetorik und nervtötende Verhaltensweisen um Ihre Aufmerksamkeit zu buhlen.

Die Ursprünge von Narzissmus

Vor vielen Jahren war dieser Aufschneider und Besserwisser einfach nur ein kleines Kind mit Wünschen, Bedürfnissen und Gefühlen wie jedes andere Kind. Was führte dieses Kind dazu zu glauben, ihm würde ein Platz im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zustehen, im Rampenlicht der Außergewöhnlichkeit, wo die Regeln zwar für andere gelten, aber nicht für es selbst? Sehen wir uns einige mögliche Erklärungen an. Bedenken Sie, dass es dabei nicht darum geht, den Narzissten zu bemitleiden oder ihn aus der Verantwortung zu entlassen. Sondern vielmehr darum, dass Sie eine Vorstellung davon bekommen, wie Narzissten zu dem werden, was sie sind, damit Sie sich von verinnerlichten Selbstzweifeln und Selbstvorwürfen frei machen können.

Das verwöhnte Kind

Eine einschlägige Theorie besagt, dass ein Narzisst in einem Elternhaus aufgewachsen sein könnte, in dem die Vorstellung eine entscheidende Rolle spielte, besser als andere zu sein und besondere Vorrechte und Privilegien zu genießen. In einem solchen familiären Umfeld habe es kaum Einschränkungen für das Kind gegeben und keine spürbaren Konsequenzen nach sich gezogen, wenn es Grenzen überschritt oder Regeln missachtete. Die Eltern hätten das Kind nicht adäquat gelehrt, Widrigkeiten zu ertragen – es sei rundum verwöhnt worden. Unter solchen Umständen sei es dazu konditioniert worden, sein kindliches Verhalten als Erwachsener erneut auszuleben, und so wurden die Voraussetzungen für das Heranwachsen des zutiefst verwöhnten Narzissten geschaffen.

Das abhängige Kind

Eine andere Theorie besagt, dass zumindest ein Elternteil dem Kind zu wenig Raum gegeben habe und zu sehr darum bemüht gewesen sein mag, ihm Widrigkeiten zu ersparen. Anstatt das Kind zu erziehen und es anzuhalten, die seinem Alter angemessenen Fertigkeiten auszubilden – etwa Frustrationen auszuhalten –, könnten seine Eltern allzu sehr bemüht gewesen sein, alles nur Denkbare für das Kind zu tun. Das habe dazu geführt, dass es kein Gefühl persönlicher Kompetenz entwickeln konnte und stattdessen lernte, hilflos und abhängig zu sein. Unter solchen Umständen mag das Kind in dem Gefühl aufgewachsen sein, ein Anrecht darauf zu haben, dass andere sämtliche Schwierigkeiten aus dem Weg räumen, sodass es sich nicht mit Widrigkeiten, Demütigungen oder dem Gefühl, ein Versager zu sein, würde auseinandersetzen müssen. Diese Konstellation ist auch in Kulturen zu finden, in denen Männer (und manchmal auch Frauen) wie „kleine Prinzen“ behandelt werden, kaum Verantwortung übernehmen müssen und nicht darauf vorbereitet werden, alltägliche Aufgaben und Frustrationen zu bewältigen.

Das einsame, emotional vernachlässigte Kind

Die beliebteste Theorie über die typischen Ursachen von Narzissmus entspricht den Umständen, denen wir Psychotherapeuten oft im Behandlungszimmer begegnen: Ein Kind, das in dem Gefühl aufgewachsen ist, nur bedingt geliebt zu werden, wobei die Zuwendung an Leistung geknüpft war. Vielleicht haben seine Eltern von ihm erwartet, besser als alle anderen zu sein, und ihm eingeimpft, dass alles, was nicht vollkommen perfekt war, bedeute, dass es unzulänglich, inadäquat und ihrer Liebe nicht wert sei. Vielleicht wurde ihm beigebracht, dass Liebe nur unter Vorbehalt und zeitweilig gewährt wird oder dass es seine emotionalen Bedürfnisse nur würde erfüllt bekommen, wenn es großartige Leistungen vollbringt. Vielleicht haben seine Eltern versucht, Status und Aufmerksamkeit über die Leistungen des Kindes zu erreichen, wodurch es ihm implizit verboten war, sie durch unvollkommene Leistungen bloßzustellen.

Ein solches Szenario kann durch eine unterschiedliche Behandlung von jedem Elternteil noch zusätzlich verkompliziert werden. Häufig werden solche Kinder von einem Elternteil kritisiert, während sie vom anderen verhätschelt, übermäßig behütet oder als Ersatzpartner benutzt werden. In vielen Fällen versuchen sie, den Forderungen und Erwartungen ihrer Eltern gerecht zu werden, um Aufmerksamkeit zu bekommen und es zu vermeiden, kritisiert und beschämt zu werden. Das Kind reagiert auf so profunde emotionale Entbehrung, Manipulation und Knebelung seines kostbaren und verletzlichen Selbst, indem es eine Einstellung entwickelt, die durch Maximen wie Ich brauche niemanden, Ich kann keinem vertrauen, Ich werde auf mich selbst aufpassen und euch werd ich’s schon zeigen! gekennzeichnet ist.