Mittsommerlügen - Malin Hedin - E-Book + Hörbuch

Mittsommerlügen Hörbuch

Malin Hedin

4,0

Beschreibung

Nichts ist, wie es scheint. Im Wald ist es auch zu Mittsommer dunkel.

Mittsommer 1983 in Dalshyttan im ländlichen Schweden. Die kleine Dorfgemeinschaft feiert ausgelassen die kürzeste Nacht des Jahres, mit Tänzen um den Baum, Blumenkränzen, Essen und viel Alkohol. Am nächsten Tag ist die junge Mutter Maria verschwunden. Und taucht auch nicht mehr auf. Ihre kleine Tochter Terese bleibt erst mal bei der Großmutter, die gleich spürt, dass etwas nicht stimmt. Sie glaubt nicht daran, dass Maria ihre kleine Tochter ohne ein Wort zurückgelassen hätte. Wochenlang sucht sie im dichten Herbstwald wie im Wahn nach ihrer Tochter. Dort wird Maria schließlich gefunden – tot, an einem Abhang.

Nach erfolglosen Ermittlungen kümmert sich bald niemand mehr um Marias Tod, und Terese wird in die Obhut einer Pflegefamilie in einer anderen Region Schwedens gegeben. Fünfzehn Jahre später kehrt Terese als junge Erwachsene zurück nach Dalshyttan. Und findet ein altes Tagebuch ihrer Mutter Maria, das neues Licht auf die Geheimnisse von damals wirft.

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Zeit:12 Std. 40 min

Sprecher:Heidi Jürgens
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Cover

Titel

Malin Hedin

Mittsommerlügen

Kriminalroman

Aus dem Schwedischen von Stefanie Werner

Insel Verlag

Impressum

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Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel Dimdans bei Norstedts, Stockholm.Die Arbeit der Übersetzerin am vorliegenden Text wurde vomDeutschen Übersetzerfonds gefördert.

eBook Insel Verlag Berlin 2024

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des insel taschenbuchs 5042.

Erste Auflage 2024insel taschenbuch 5042Deutsche Erstausgabe© der deutschsprachigen Ausgabe Insel VerlagAnton Kippenberg GmbH & Co. KG, Berlin, 2024© Malin Hedin, 2023Alle Rechte vorbehalten.Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München

Umschlagabbildungen: Silas Manhood/Trevillion Images, Brighton; FinePic®, München

eISBN 978-3-458-77976-6

www.suhrkamp.de

Widmung

Zur Erinnerung an SaraLisa

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Inhalt

Informationen zum Buch

Cover

Titel

Impressum

Widmung

I

Prolog

1.

Juni 1983

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

Oktober, 1983

13.

14.

15.

16.

17.

18.

Dezember 1983

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

II

1.

März 1998

2.

OSTERN

1998

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

Epilog

Mittsommernacht 1983

Dank

Informationen zum Buch

Mittsommerlügen

Mutter! Wo bist du? Es wird dunkel im Wald.

Nur Schatten, nur Bäume. Ich find nicht mehr heim.

Der Weg und das Licht verhallen wie ein Schrei.

Gott! Wo bist du? Bitte komm, führ mich heim.

Jetzt hör ich dich, Mutter. Deine Stimme klingt in mir.

Die Schatten, die Bäume machen mich nicht mehr bang.

Das Licht und der Weg sind immer da, wo du bist.

Gott! Ich seh dich! Jetzt holst du mich heim.

(Psalm 850, Maria Küchen)

I

Prolog

SIE SELBST BESASS keinerlei Erinnerung mehr an die Ereignisse von damals. Schließlich war sie da noch ein Kind. Aber nach diesem Vorfall im Jahre 1983 war das Dorf schlagartig in aller Munde gewesen, er schlug Wellen weit über die Region hinaus, und so hatte sie es immer wieder zu hören bekommen. Selbst heute noch, nach so vielen Jahren, hielten die Leute inne, wenn der Ortsname fiel.

Hm? War das nicht das Dorf, wo …?

Unablässig wurde sie an ihre Herkunft und ihre eigene Geschichte erinnert, es spielte gar keine Rolle, ob sie sich selbst daran erinnern konnte oder nicht, immer war da wer, der die Gerüchte irgendwo aufgeschnappt hatte.

Leute, die in die Gegend um Dalshyttan zogen, erfuhren gleich am ersten Tag, was hier geschehen war.

Heute kamen meist Auswärtige in den Ort, die ein Ferienhaus in schön ländlicher Idylle suchten. Hier waren die Preise wesentlich erschwinglicher als im Einzugsbereich der Großstadt oder noch etwas weiter nördlich im ganz traditionellen Teil von Dalarna. Als Erstes wurde ihnen mitgeteilt, dass sie für ihr Häuschen viel zu viel auf den Tisch gelegt hatten. Dann bekamen sie zu hören, was sich in diesem Dorf abgespielt hatte. Ein bösartiger Tumor im üppigen Grün.

So viele Jahre später hatte man fast den Eindruck, dass eine Art Stolz mitschwang. Gewalt gab es auf dem Lande auch, doch hier funkelte sie, ganz anders als in den Städten. Es klingt anders, wenn Blut in Moos und Schwarzhumus sickert, als wenn es über Asphalt und Betonboden fließt. Als versuche die Natur, die Abgründe der Menschen zu verbergen.

Man konnte den Ort des Geschehens aufsuchen. Früher hatte es einen Trampelpfad zum Tatort gegeben, wie ein schmaler Wildwechsel zur Wasserquelle. Doch nicht Tiere hatten ihn ausgetreten, sondern Polizisten, Journalisten und andere Leute, die einfach ihrer Neugierde gefolgt waren.

Die alten Wanderwege waren jetzt zugewuchert und schmal. Vor langer Zeit, als man noch die Kohle aus dem Wald geholt hatte, war da eine richtige Straße gewesen, breit und schlammig, von nackten Baumstümpfen gesäumt und im prallen Sonnenlicht, das früher noch hohe Kiefern geschluckt hatten. Damals war im Wald viel los gewesen, brennende Kohlenmeiler und Pferde, die Kohle und Erz zur Schmelzhütte hinunterzogen, wo der Lärm durch die rußverdreckte Gegend dröhnte, das Schnauben der Pferde und das Hufgetrampel, das Brüllen der Arbeiter, das Rauschen des Flusses und die Hammerklänge auf dem Roheisen. Der Wald, der kurz und klein geschlagen wurde. Was beim Bergbau als Abfall übrig blieb, hinterließ man am Seeufer, einen immer größer anwachsenden Haufen Schlackespäne, und was nicht auf der Schlackenhalde landete, verarbeitete man später zu Schlackestein. Im ganzen Dorf standen kleine und große Häuser, deren Steinwände kobaltblau und grünlich glänzten, wie eine Erinnerung an alte Zeiten, in denen es verboten war, Holzhäuser zu bauen, um die Kohle für die Eisenproduktion zu sparen.

Inzwischen war die Halde von Buschwerk und Bäumen überwuchert, und nur, wenn man darüber wanderte, fielen einem noch die leuchtenden Steine ins Auge, und neben der alten Ausfuhrstraße waren die Bäume auch wieder hochgewachsen. Doch der Wald war nicht mehr derselbe.

Als das schreckliche Verbrechen geschah, war die Mine längst stillgelegt. Sie stand nur noch verlassen da am Fluss, der nun nicht mehr als Kraftwerk diente, sondern sich einfach wie eine freigelegte Ader durchs Dorf zog, und die Menschen, die hier lebten, arbeiteten jetzt im Walzwerk in Smedjebacken, wo man Stahl auf moderne Art und Weise produzierte. Weil man in den Achtzigerjahren noch an die Zukunft glaubte und die Neunzigerjahre von der Sparpolitik bestimmt waren, konnten die Bäume neue Jahresringe bilden, und ihre Stämme wurden dicker. Von der Durchforstung wurde der Wald milde und moosig. Mancher machte sich Sorgen, dass bald die Forstmaschinen anrollen und den Urwald in scharfkantige Stoppelfelder verwandeln würden. Andere wiederum sahen in den abgeholzten Waldparzellen Arbeitsplätze und Wohlstand, und als die Nadelbäume einmal gefällt waren, konnte sich gar keiner mehr so recht erinnern, wie es früher einmal ausgesehen hatte.

Von der mit Frostschäden übersäten Landstraße nach Borlänge ging ein Waldweg ab und führte zu einer kleinen Siedlung rund um den Biskensee, in den ein namenloser Fluss mündete. Ein paar Häuser waren aus der Blütezeit des Bergbaus noch erhalten, und sie alle trugen einen Hausnamen, der von Generation zu Generation weitergegeben worden war. Ihre Geschichten ging verloren, doch die Namen nicht. Die meisten, die raus nach Dalshyttan zogen, stammten gebürtig aus Smedjebacken, andere waren schon im Dorf aufgewachsen. An diesem Ort lebte man, weil man die Nähe zum Wald oder den Abstand zur Stadt suchte, und hier wurde eine Tochter jäh aus dem Leben gerissen.

Und eine andere Tochter blieb alleine zurück.

Sie war damals noch zu klein gewesen, um die Dinge zu verstehen. Alle hatten versucht, es vor ihr zu verheimlichen. So was war doch viel zu schrecklich für ein kleines Kind, viel zu gewaltig, um es zu begreifen.

Lange Zeit war sie bitterböse darüber gewesen, wie man sie behandelt hatte. Sie meinte, sich an das große Schweigen in ihrer Kindheit noch erinnern zu können, wie ein dichter Nebel, sie fand sich nicht zurecht. Ausweichendes Kopfschütteln, den Zeigefinger schweigend vor dem Mund, die Erwachsenen meinten, sie solle sich ihr kleines Köpfchen nicht über so etwas zerbrechen.

Wie sie es schließlich erfahren hatte?

Andere Kinder hatten es ihr erzählt, in einer der vielen Pflegefamilien. Kinder, die sich klein und unsichtbar machten, wenn am Esstisch über andere geredet wurde, die aber die Informationen, die sie dabei aufschnappten, wie einen kostbaren Edelstein hüteten und sie, sobald sich eine gute Gelegenheit bot, bei einem Streit oder wenn einer etwas ausgefressen hatte, eiskalt servierten, wie einen Messerstich in den Rücken. Dieses Geheimnis, von dem alle wussten, nur sie nicht.

Heute hatte sie eine Erklärung dafür, warum die Erwachsenen ihr nichts davon erzählt hatten. Was hätten sie auch sagen sollen? Vielleicht war dieses zähe, dickflüssige Totschweigen für sie sogar besser gewesen, denn so ließen sich die Geschichten, die die anderen Kinder ihr auftischten, als Lügenmärchen abtun. Der Zweifel daran bot ihr einen Rückzugsort, an dem sie sich verstecken konnte, wenn es Nacht wurde und sie wach lag.

Denn hätten die Erwachsenen ihr die Wahrheit gesagt, wären sie nicht umhingekommen zuzugeben, dass der Mörder noch frei herumlief und sich keineswegs hinter Schloss und Riegel befand, so wie am Ende eines jeden Märchens. Man konnte sich nicht damit trösten, dass die Gerechtigkeit gesiegt hatte, es war und blieb eine böse Geschichte, mit der man kein kleines Kind zu Bett schicken wollte.

1.

Juni 1983

ES WAR IHR zweites Mittsommerfest im Dorf, und einmal mehr feierten sie in Marias Garten. Genau wie letztes Jahr, als Sylvia noch Kjells neue Freundin gewesen war und nur vorübergehend zu Besuch. Doch etwas war in diesem Jahr anders. In diesem Jahr gehörte sie dazu.

Sylvia kniete vor Terese, Marias Tochter, und drückte dem Mädchen den Kranz auf den Kopf. Ein bisschen klein war er geworden, doch er war der schönste von allen. In Tereses Kranz hatte sie Zierlauch und Acker-Witwenblumen hineingebunden, die hatte kein anderes Kind in seinem Haarschmuck. An der Stirn noch das wilde Veilchen, das sie am Wegrand gefunden hatte. Terese, mit ihrem schönen goldbraunen Haar, trug einen ausgefransten Pony, der schräg abgeschnitten und viel zu lang war. Mit Haarklemmen versuchte Sylvia, die Haarsträhnen unter dem Kranz zu bändigen, damit man mehr von Tereses Gesicht sehen konnte.

»Na, wird aus dem kleinen Trollkind doch noch ein richtiges Mittsommermädchen.«

Die Milchzähnchen bissen sich auf die Lippe, die Augen wanderten den Garten ab.

»Mama!«, rief Terese, als sie Maria entdeckte. »Schau mal, mein schöner Kranz!«

Die Kleine rannte los, lief auf ihre blutjunge Mama zu, die auf der langen Festtafel unter den hohen Ahornbäumen Vasen mit Himbeerzweigen verteilte. Maria fuhr herum und hockte sich vor ihre Tochter hin, sodass ihr das lange, blonde Haar wie ein Vorhang vors Gesicht fiel. Sylvia konnte nicht verstehen, was sie sagte, doch sie sah, wie Marias Fingerkuppen sanft über Tereses Wangen strichen. Das Mädchen strahlte, und Maria warf Sylvia eine Kusshand zu. Sylvia lachte, dann legte sie den Kopf in den Nacken und hielt ihr Gesicht in die Sonne, schloss die Augen und atmete ganz tief ein. Der Junitag roch herrlich, ein Duft wie nach frischem Regen. Hier draußen zu wohnen war ein Traum. Sie liebte diese Düfte. Die Klänge. Das Vogelgezwitscher, so klar und deutlich in dieser Stille. Morgens saß Sylvia lange auf dem Balkon, ließ ihren Blick schweifen, hinunter zur Kreuzung und weiter zu Marias Haus, und dann lauschte sie einfach nur – ließ die Töne in ihren Kopf und ihre Gedanken ganz von ihnen einnehmen.

Maria schimpfte gern auf die Vögel, sie gingen ihr auf die Nerven, weckten sie viel zu früh und hielten sie davon ab, wieder einzuschlafen. Doch kurz darauf lachte sie, als hätte sie gemerkt, dass es ja völlig verrückt war, sich über so etwas zu beschweren.

Sylvia glaubte kaum, dass ihr das Vogelgezwitscher jemals auf die Nerven gehen würde. Es war wohl etwas anderes, wenn man damit groß geworden war. Maria war richtiggehend verwöhnt. Als Sylvia im Herbst hierher ins Dorf, zu Kjell ins Haus, gezogen war, um ein neues Kapitel in ihrem Leben aufzuschlagen, da hatte Kjell ein Vogelhäuschen geschreinert und auf dem Balkongeländer befestigt. Er hatte Sonnenblumenkerne hineingeschüttet, und Sylvia hatte aus altem Schweineschmalz Meisenknödel geknetet und sie aufgehängt. Fortan hatte sie dort gesessen und die Vögel beobachtet und unterdessen in Kjells altem Vogelbestimmungsbuch geblättert, das sie im Bücherregal gefunden hatte. Nach kurzer Zeit gelang es ihr, die verschiedenen Arten zu unterscheiden. Kohlmeisen, Blaumeisen und Dompfaff kannte sie ja, aber Feldspatz, Seidenschwanz und Grünfink waren ihr neu. Als schließlich das Frühjahr kam, gesellten sich die anderen Vögel dazu. Erst der Buchfink und der Star. Dann die Waldschnepfe. Wenn schließlich auch die Kraniche zurückkehrten, war der Frühling nicht mehr aufzuhalten. Dann füllte sich der Wald mit Leben, mit Vögeln, die sich tief in ihr Herz sangen, und so kam sie vollends zur Ruhe.

Wie gern hätte sie mit Maria getauscht, die die Stirn in grimmige Falten legte und behauptete, das Trällern der Singvögel störe sie. Dann wäre sie auch mit Vogelgesang groß geworden, wohlbehütet. So sollten ihre Kinder aufwachsen, umgeben von Vogelgezwitscher, das war ihr innigster Wunsch.

Dieser Gedanke stimmte sie melancholisch, denn er erinnerte sie daran, dass sie ihre Periode noch genauso pünktlich bekam wie in der Zeit, bevor sie mit Kjell zusammen war. Ihr Blick huschte zu ihm hinüber, er stand zwischen den Torpfosten und befestigte die frischen Birkenzweige mit Eisendraht am Zaun. Der Schirm seiner Kappe warf einen Schatten über sein Gesicht und verbarg seinen breiten Mund. Womöglich lag es wirklich an ihm. Manchmal entfuhren ihm solche Bemerkungen, schulterzuckend stand er dann da, es schien ihm gar nichts auszumachen.

Genau das machte sie wütend. Zum einen, weil es ihn so wenig berührte, zum anderen, weil in seiner schnoddrigen Art auch die Annahme mitschwang, dass es genauso gut an ihr liegen könne. Vermutlich meinte er es gar nicht so, doch es war naiv zu glauben, dass es nur die eine Möglichkeit gab und bei ihm etwas nicht stimmte. Und das ärgerte sie. Es gefiel ihr nicht, dass er sich dumm stellte oder – und das war schlimmer – unterstellte, dass der Fehler bei ihr lag.

Was ist nur los mit dir?, hatte ihre Mutter sie früher angefahren. Immer wieder gingen Sylvia diese Worte durch den Kopf, und jetzt bekamen sie eine ganz neue Bedeutung. Doch das konnte ihre Mutter damals wohl kaum gemeint haben.

Sylvia erhob sich vom Rasen und ging hinüber zu Kjell. Sie streichelte ihm über die braunen Haare, die sich unter der Kappe kringelten. Im nächsten Moment legte er den Arm um sie.

»Hast ihn wirklich schön geschmückt.« Dabei nickte er zum Maibaum hinüber, beugte sich zu ihr und küsste sie.

»Du auch«, erwiderte sie und spürte die Wärme, die seine Lippen hinterließen. Sie streichelte ihn am Hals, unter der Kappe drangen feine Schweißperlen hervor und liefen ihm auf die Stirn.

Da stiegen Ernst und Ingegärd, die älteren Nachbarn, durch das Loch im Zaun und kamen in den Garten spaziert. Die gut sechzigjährige Ingegärd trug eine geblümte Bluse, und ihre grauen, wallenden Locken waren frisch frisiert. Auf einem Tablett hatte sie Schälchen und Töpfe fürs Buffet mitgebracht, die sie erst auf der Erde abstellte, um sie dann eins nach dem anderen auf dem Tisch zu platzieren. Ernst, der auf die siebzig zuging, war in seiner Alltagsjeans gekommen, mit Dreckflecken an den Knien, und in einem weißen T-Shirt, auf dem das Logo des Walzwerks Smedjebacken AG prangte. Sylvia musste an ihr erstes Mittsommerfest im Dorf denken, als sie Kjell nicht von der Seite gewichen war und unentwegt versucht hatte, alle neugierigen Fragen über ihre Beziehung zu unterbinden, sie hatte doch selbst noch keine Antworten. Beim Essen war sie dann am Tisch neben Ernst gelandet, der ihr in breitestem Dialekt die Geschichte dieses Hofs erzählt hatte, der ihm gehörte und den er nun an Maria und ihre kleine Tochter vermietete. Den guten alten Berghof. Es hatte Tradition, Mittsommer hier auf dem Hof zu feiern, zu dem das kupferrote Holzhaus und drei weitere Gebäude gehörten: der Geräteschuppen, das Backhaus und die Jagdhütte. Völlig wurscht, wer hier unten haust, hier im Gärtchen wird gefeiert, Schluss, aus, hatte der Alte ihr erklärt. Kaum hatte Maria das Kind bekommen, war sie eingezogen, das hatte er auch berichtet.

Wer der Vater des Mädchens war, wusste Sylvia nicht.

Maria war ein offener Mensch, der mitunter auch sehr direkt sein konnte, aber sie umgab sich mit einer Aura von Integrität, an der jeder Versuch, dieser delikaten Frage auf die Spur zu kommen, abprallte. Sylvia hatte es nie gewagt.

Es wurde viel geredet, das wusste sie.

Maria war gerade einmal zwanzig Jahre alt und hatte bereits eine dreijährige Tochter. War mit sechzehn schon schwanger geworden. War siebzehn, als die Kleine zur Welt kam. Doch es machte ihr überhaupt nichts aus, dass in der Geburtsurkunde der Eintrag Vater unbekannt stand. Sylvia wusste nicht, worum sie Maria mehr beneidete, um diese Schamlosigkeit oder um die Tochter selbst. Sie hingegen war schon fünfundzwanzig, und womöglich stimmte doch mit ihr etwas nicht. Ihre Freundinnen hatten fast alle Kinder.

Göran, der ein paar Jährchen älter war als sie und ein paar Straßen weiter wohnte, kam auf sie zu und begann zu plaudern. Es war offensichtlich, dass er sich zu Hause schon am Schnaps zu schaffen gemacht hatte, denn er torkelte leicht, als er an seinem bauschigen Schnurrbart zog und Ausschau über den Hof hielt. Seine Frau Thorhild, die gebürtig aus Norwegen kam, stand neben den Kindern, aber Görans Blick ging nicht zu ihr. Er klebte an Maria. Es war auch wirklich schwer, die Augen von ihr zu lassen, das musste sogar Sylvia zugeben. Marias türkisfarbenes Kleid war über und über mit Blümchen bedruckt und verlieh ihrem Teint einen schönen, sonnengebräunten Glanz. Der leichte Stoff hatte mehr als einen Schlitz, und die kleinste Bewegung legte ihre Schenkel frei.

Alle Mädchen trugen die gelben Trachtenkleider, nur Terese nicht. Marias Tochter stand da in Latzhose, roten Holzclogs und langärmeligem Ringelshirt. Sylvia wusste, dass Terese auch so ein Trachtenkleid besaß. Beim letzten Mittsommerfest hatte Greta, Marias Mutter, es ihr feierlich überreicht, hübsch in Geschenkpapier verpackt, mit Band versehen. Sylvia konnte sich noch gut daran erinnern, wie aufgeregt das Kind gewesen war, als alle das Kleid so entzückend fanden, obwohl sie selbst noch nicht viel davon begriff. Dann waren sie ins Haus hineingegangen, um es anzuprobieren, doch Maria war wieder herausgekommen und hatte verkündet, es sei noch zu groß. Sylvia erinnerte sich, dass Greta nachgehakt hatte, sie wollte es mit eigenen Augen sehen, doch Maria hatte sie nur angeblafft, meine Güte, soll sie dem Kind denn so was Unbequemes anziehen, nur um was zu beweisen?

Doch dieses Jahr würde es ihr vielleicht passen. Wenn es nicht doch eine Ausrede gewesen war. Sylvia löste sich aus Kjells Arm und ging zu Maria und Terese hinüber, die noch an der Festtafel standen.

»Hast du das Kleid eigentlich noch?«, fragte sie Maria.

»Welches Kleid?«

»Das Trachtenkleid. Das sie letztes Jahr geschenkt bekommen hat.« Sie ließ lieber unerwähnt, dass es ein Geschenk von Greta gewesen war. »Aber da war es ihr noch zu groß.«

Maria runzelte die Stirn.

»Vielleicht ist es oben im Kleiderschrank, in irgendeiner Kiste.«

Sylvia streckte die Hand zu Terese aus, ihr Blick fiel auf das gestreifte T-Shirt, das jetzt schon dreckig war.

Aber vielleicht hatte sie es am Morgen auch gar nicht frisch aus dem Schrank genommen.

»Wollen wir zwei beide mal nachsehen? Ob wir dein schönes gelbes Kleid finden, was du letztes Jahr bekommen hast?«

Terese griff nach ihrer Hand und hüpfte auf der Stelle. Marias Gesicht verzog sich zu einem schiefen Grinsen, und sie zwinkerte ihr mit einem Auge zu.

»Soll sie jetzt was extra Hübsches anhaben, wo du ihr den schönen Kranz gemacht hast?«

Sylvia lachte. Maria hatte sie sofort durchschaut, das konnte sie gut.

»Ja, soll sie denn nicht genauso schön sein wie du?«, erwiderte sie und blickte demonstrativ auf Marias Kleid.

Da musste Maria lachen. Auch Sylvia kannte ihre Freundin nicht schlecht.

»Geh mal hoch und schau nach. Vielleicht hab ich es auch weggeworfen. Wenn es noch da ist, muss es irgendwo im Kleiderschrank im Schlafzimmer sein.«

Sylvia ging mit Terese ins Haus und stieg die steile Wendeltreppe hinauf.

Das große Zimmer unter dem Dach war mit seinen Fenstern in drei Himmelsrichtungen lichtdurchflutet, nur zum Norden hinaus gab es keines. Sylvia hielt inne und blickte hinab auf die Pferdekoppel, wo die Butterblumen und Glockenblumen gelbe und violette Streifen ins Gras malten. Als sie die Wiese vor dem Berghof zum allerersten Mal im Juni gesehen hatte, hatte sie spontan Lust bekommen, sie in ihren Bildern zu verewigen, obwohl sie Naturmotive sonst immer banal fand. Sie hatte sie mit Aquarellfarbe gemalt, und Kjell war begeistert gewesen. Jetzt meinte sie, in Öl käme sie besser zur Geltung. Sie stellte sich vor, was für ein Gesicht er machen würde, und da ging ihr das Herz auf.

Ob das der Grund war, warum sie inzwischen auch gern Gegenständliches abbildete, anstelle von abstrakten Gefühlen? Wenn sie die verfallene Schmiede, die Hütte oder das Wäldchen unterhalb des Hofs als Motiv gewählt hatte, hatte er ihr mit seinem Lächeln ein Stück Seele geschenkt. Als hätte sie etwas gemalt, das zu ihm gehörte. Vielleicht empfand er es ja genau so.

Im Kamin lagen auf einem Ascheberg die Skelette niedergebrannter Holzscheite, und auf dem Sims waren Porzellanfiguren aufgereiht. Die meisten von ihnen stellten Tiere dar und sahen eher nach Kinderspielzeug aus.

Normalerweise bewegte Sylvia sich nicht hier im ersten Stock. In der Regel saßen sie unten in der Stube zusammen, rauchten, tranken Wein und grillten rote Würste im Kamin. Genau hier, in diesem Haus, war sie in die Dorfgemeinschaft aufgenommen worden. Hier hielten die Frauen Kurse über die Verwendung von Pflanzenfarben ab und färbten Kleidung mit Steinflechten, Rainfarn und den Wurzeln des nordischen Labkrauts. Sie hatten Sylvia darum gebeten, ihnen das Malen beizubringen, und so war sie in die Gemeinschaft aufgenommen worden. Die älteren Leute im Dorf hatten sicher hin und wieder die Nase gerümpft, sie sei doch ein bisschen sehr romantisch und naiv, aber mitunter hatten sie auch den Kopf durch die Tür gesteckt. Ins obere Geschoss ging man nur, wenn man die Toilette benutzen wollte, die Zimmer betrat man nicht. Genau dieses Gefühl beschlich sie nun, als sie sich über die breiten Dielen bewegte; dieser Bereich hier war privat. Neben dem Mauerblock befand sich die Tür zum Schlafzimmer. Ein Riss lief durch den Türrahmen, und auf dem Spiegel an der Tür waren kleine, rosafarbene Striche von einem Filzstift.

Im Schlafzimmer wurde dieses Gefühl, sich auf verbotenem Terrain zu bewegen, noch stärker. Das Kopfteil des Bettgestells war mit einem Stoff bezogen, auf dem Pferde bei der Fuchsjagd abgebildet waren, wahrscheinlich hatten sie es in irgendeiner Rumpelkammer aufgetrieben, das Bett musste steinalt sein.

Am Fußende des Bettes lag die Decke zu einem Haufen zusammengeknüllt. Das Kinderbettchen stand direkt daneben, das Bettlaken fehlte. Die Schaumstoffmatratze hatte Flecken und die Wattierung kleine Löchlein. Sylvia war entsetzt.

Sie öffnete den Kleiderschrank und ging die Kleidung auf den Bügeln Stück für Stück durch. Da hingen nur Marias Kleider, sie waren aufreizend und schrecklich altmodisch, das Sommerkleid, das sie heute trug, war die Ausnahme. Die aktuellen Modetrends waren hier einfach noch nicht angekommen, im Dorf trugen die Leute immer noch Schlaghosen und ausgeblichene Baumwollshirts. Sylvia stellte sich auf die Zehenspitzen und holte die Kisten aus dem Schrank. Darin befanden sich ein paar zusammengerollte Bettlaken und Babykleidung. Weit und breit kein süßes Kleidchen mit Schürze und geblümtem Schultertuch und Haube. Auch wenn man für Trachten nichts übrighatte, so etwas warf man doch nicht einfach weg?

Auf dem Apothekerschrank lagen Tereses Kleider, aber da war kein Trachtenkleid dabei, nicht mal ein ganz normales, hübsches Sommerkleidchen.

Terese hatte angefangen, mit ihren Puppen zu spielen, und vergessen, weshalb sie gekommen waren. Sylvia ging noch einmal ins große Zimmer hinüber und suchte in den Schubladen der Kommode. Körbeweise Kassetten fand sie in der ersten, schlampig zusammengelegte Betttücher in der zweiten. Die dritte war fast leer, bis auf ein paar schwarze Notizbücher mit einem roten, verstärkten Rücken.

Sylvia nahm eines in die Hand, blätterte ein bisschen und erkannte sofort Marias Handschrift, klein und hübsch ordentlich. Maria hatte geschrieben? Für sie war Maria gar kein Mensch, der schrieb, sondern der sprach und dabei Unmengen Energie und Freude versprühte.

Erst als sie genauer hinsah, wurde Sylvia klar, dass das Tagebücher waren und sie gerade etwas sehr Privates in der Hand hielt. Ganz oben das Datum. Nicht in der ersten Zeile, sondern außen, in der Ecke. Als wolle Maria es verschleiern, damit neugierige Augen es nicht gleich erkannten und das Buch wieder zurücklegten, diese dicht beschriebenen Seiten Geschwätz. Eine Anrede gab es auch keine. Maria schien nicht oft zu schreiben, das verrieten die Datumseinträge, aber wenn sie es tat, schrieb sie viel.

Instinktiv warf Sylvia auch einen Blick in die anderen Bücher. Insgesamt waren es vier. Auf der ersten Seite stand immer das Jahr. Schnell legte sie die Bücher zurück in die Schublade, obwohl sie gar nichts gelesen hatte, hatte sie schon ein schlechtes Gewissen. Hier kramte sie in Marias ganz privaten Dingen, und sie wunderte sich, dass Maria sie hierhergeschickt hatte. Sie hatte Sylvia selbst aufgefordert, rüberzugehen und zu suchen. Ob sie dabei im Sinn gehabt hatte, dass Sylvia etwas ganz Bestimmtes in die Hände fallen sollte?

Da kam Terese aus dem Schlafzimmer. »Will wieder runter«, sagte sie.

Rasch schob Sylvia die Schublade wieder zu.

»Ja«, sagte sie seufzend. »Wahrscheinlich hat die Mama das Kleid weggeschmissen.«

Terese sah sie stutzig an. »Oder verschenkt«, schob Sylvia hinterher, denn das klang weniger verboten.

Sie hob Terese hoch und setzte sie sich auf die Hüfte, dann stieg sie die steile Treppe wieder hinab und hielt sich am Geländer gut fest. An dem alten, abgegriffenen Geländer, an das sich schon seit Jahrzehnten unzählige Hände geklammert hatten, um sicher ins Erdgeschoss zu gelangen.

Draußen waren die Vorbereitungen fürs Fest fast erledigt. Auf der Wiese stand jetzt der Maibaum, die aneinandergeschobenen Tische waren mit Tischdecken, Tellern und Schnapsflaschen gedeckt, und neben der langen Tafel war ein runder Tisch fürs Buffet aufgebaut.

Nettan, die eigentlich Anette hieß, die aber niemand so nannte, kam mit ihren Zwillingstöchtern und ihrem Sohn im Schlepptau. Sie wohnten ganz am Rande des Dorfes, im Kaufmannshaus, wie die Alten es nannten. Die Zwillinge und Nettan, sie alle trugen Trachtenkleider, und Nettans langes Haar fiel in einem Zopf auf den Rücken. Sie war ähnlich alt wie Sylvia, um die fünfundzwanzig, doch sie wirkte wesentlich älter. Das war vermutlich ihrem Stil geschuldet, denn sie trug immer einen Häkelschal um die Schultern, und dann diesen Zopf, wie aus einer anderen Zeit.

»Wo hast du denn deinen Mann gelassen?«, fragte Kjell, und Nettan schüttelte verzweifelt den Kopf.

»Ach, er hat natürlich keinen Flug mehr gekriegt, mit dem er es rechtzeitig geschafft hätte. Bin also wieder mal allein mit den Kindern da.«

Sie schüttelte noch einmal den Kopf und seufzte, doch Sylvia bemerkte ein ganz zufriedenes Zwinkern in ihren Augen. Rolf arbeitete im Vertrieb eines Stoffherstellers, daher war er beruflich viel unterwegs. Nettan ließ keine Gelegenheit aus, herauszustellen, dass ihr Mann Geschäftsreisen unternahm, auch wenn sie darüber lamentierte. Kurz darauf erschienen Hasse und Greta in ihrem blauen Citroën, sie bogen vor der Pferdekoppel ab, parkten neben der Scheune und stiegen aus.

»Mama, Papa!«, rief Maria, als hätten sie gerade eine lange Reise hinter sich und kamen nicht von der anderen Seite des Biskensees.

»Habt ihr das schön geschmückt!«, lobte Hasse seine Tochter. Er nahm die Schirmmütze ab und rieb sich die Stirn, dann machte er sich daran, alles auszupacken, was sie mitgebracht hatten.

Greta sah blass aus. Sie war still, trug in jeder Hand eine Einkaufstasche, so ging sie durchs Gartentor und begann, alles auszupacken und auf den Tisch zu stellen. Einen großen Topf Kartoffeln, kleingeschnippelten Schnittlauch, Heringssalat und Cocktailwürstchen. Maria ließ ihren Blick darüber schweifen und klatschte in die Hände.

»Jetzt aber, ihr Lieben! Marsch, marsch, das Essen ist da!«

Sylvia griff instinktiv nach Kjells Hand. Die Gefühle vom letzten Mittsommer kamen wieder hoch, die Angst, neben jemand Fremdes zu landen, obwohl sie doch inzwischen alle im Dorf gut kannte. Damals hatte sie noch gedacht, dass sie sich mit Thorhild oder Nettan anfreunden würde, schließlich waren sie im selben Alter, hatten beide Mann und Kinder, doch stattdessen war Maria ihre Freundin geworden.

»Aber zum Essen wirst du doch wohl bleiben, musst doch wenigstens was in den Magen kriegen?« Hasse streckte die Hand nach Greta aus und strich ihr kurz über den Oberarm.

»Nee, nee, ich geh wieder heim.«

Da kam Maria zu ihr und nahm Greta in den Arm.

»Nix da, kleine Mama, du bleibst schön hier und isst was. Mit leerem Magen marschierst du mir nicht wieder nach Hause!«

Und das sagte sie so laut, dass die anderen es hörten und in den Protest einfielen.

Sylvia bemerkte Gretas Blick. Wie vorwurfsvoll sie ihre Tochter ansah. Maria entging er vermutlich, oder sie wich ihm bewusst aus.

»Ach, Mama, jetzt setz dich doch mal zu uns.« Sie fasste Greta an den Schultern und schob sie vor sich her bis zu dem freien Stuhl neben Sylvia, und dann klatschte sie noch einmal in die Hände. »Guten Appetit, lasst es euch alle schmecken!«

Kjell sorgte für volle Gläser, und das erste Trinklied erklang schon, bevor überhaupt jeder saß. Wie versteinert hockte Greta am Tisch.

Sylvia hätte ihr gern etwas Mitfühlendes gesagt, in der Art, jetzt geht es wieder los, aber sie war ja noch so neu. Das letzte Mittsommerfest hatte sie noch bestens in Erinnerung, und die Jahre davor war es bei ihnen zu Hause nicht anders gewesen. Sie wusste genau, wie solche Abende abliefen. Sah noch deutlich vor sich, wie ihre eigene Mutter den Vater fast huckepack nahm und nach Hause schleifte, ihr verzerrtes Gesicht vom Gewicht seines Körpers und seiner vielen Probleme.

Sylvia blickte zu Kjell, und sein Lächeln beruhigte sie wieder. Er war ganz anders als ihr Vater. Und mit ihm hier im Dorf war es auch ein ganz anderes Leben. Sylvia hielt ihr Gesicht in die Sonne. Unglaublich, dass sie gerade an diesem Tag Sonnenschein hatten. Sie konnte sich nicht an einen einzigen Mittsommerabend erinnern, an dem es nicht zu regnen drohte.

Später würde sie das als einen hämischen Vorboten betrachten. Diese brennende Sonne, kurz bevor sich die Dunkelheit ihre Leben einverleibte, und das im allerhellsten Monat des Jahres.

Greta wedelte abwehrend mit der Hand, als Maria ihr Schnapsglas füllen wollte. Die Tochter überging diese Geste. Dann kam das nächste Lied. Sylvia nippte nur an ihrem Glas, doch die meisten leerten ihres in einem Zuge. Marias Vater gehörte auch dazu. Im Gesicht war er bald knallrot, und er grinste breit wie ein Honigkuchenpferd.

Jetzt machte sich vieles Luft, was sich aufgestaut hatte. Das sah sie in den Gesichtern, das befreite Lachen, die Erleichterung im Blick; sie alle hatten auf diesen Abend gewartet. Sylvia selbst konnte diese Wärme spüren, die sich langsam in ihr ausbreitete, auch ihre Schultern durften endlich nachgeben und ganz entspannt niedersinken.

Als der Tanz begann, erhob Greta sich von ihrem Stuhl. Sie legte Ingegärd eine Hand auf die Schulter, und Ingegärds Hand fuhr hoch und drückte sie. Ein stilles Einverständnis zwischen den beiden älteren Frauen, die das schon so oft mitgemacht hatten. Dann winkte Greta den anderen unauffällig zu, die noch am Tisch saßen, und machte sich auf den Weg runter zur Brücke.

»Sie fühlt sich nicht so«, erklärte Hasse, der inzwischen schon verwaschen sprach, seine Schirmmütze lag auf dem Tisch, darin prangte ein Schweißfleck. Sylvia merkte auch, dass ihre Bluse unter den Armen und am Rücken an der Haut klebte.

Thorhild und Nettan zogen ihre Kinder zum Mittsommerbaum und riefen den anderen zu, hinüberzukommen.

Sylvia stand auf, nahm Tereses kleine Hand, Maria an die andere, und so tanzten sie im Kreis und sangen. Die Fröschelein, Der Fuchs rennt übers Eis, Drei kleine Weiber und Des Pfarrers kleine Krähe.

Das Lachen der Kinder erhob sich über den Hof und flog weiter über die Äcker wie ausgelassener Vogelgesang, unwillkürlich musste Sylvia an die Kraniche denken, die mit ihrem Rufen den Frühling einläuteten. Dieses Kinderlachen, so klang für sie der Sommer.

Sie blickte hinüber zu Kjell, der am Tisch sitzen geblieben war, stellte sich vor, wie es sein würde, wenn er der Vater ihrer Kinder war. Mit ihnen würde er bestimmt um den Mittsommerbaum tanzen.

Sie winkte ihm zu, er solle zu ihnen kommen, doch er lächelte nur und schüttelte den Kopf. Dieses Lächeln. So warmherzig und charmant. Wahrscheinlich hatte er keine Ahnung, wie tief sie sein Lächeln berührte. Sie hatte sich zuerst in sein Lächeln verliebt, doch das hatte sie ihm nie verraten. Aus Angst, er würde sich dessen bewusst werden und möglicherweise unbewusst etwas daran verändern.

Dann wollten sie ein Foto von den Kindern machen, auf der Treppe vor dem Backhaus. Festhalten, wie schön sie aussahen, in ihren Trachtenkleidern und mit den Kränzen im Haar. Nur Terese stand da in ihrer braunen Hose und den Holzclogs, wie ein Schandfleck auf dem schönen Mittsommerbild. Sylvia war es peinlich. Auf dem Foto würde nicht mal auffallen, dass Terese den schönsten Kranz von allen trug.

Da überkam sie die Lust, ein Bild zu malen. Das Mädchen in der braunen Hose in den Vordergrund zu stellen, die Kinder in den Trachten zu einem blassgelben Hintergrundbrei verschwimmen zu lassen, ihre Gesichter undeutlich, das Mädchen davor gestochen scharf.

Sylvia fiel auf, dass Thorhild und Nettan ein einziges Foto machten, auf dem alle Kinder waren. Dann wollten sie nur noch ihre eigenen Kinder fotografieren. Vielleicht dachten sie, dass es keiner merkte, wie sie eilig ihre eigenen Kinder auf der Treppe zusammenschoben, während Terese einem Schmetterling nachjagte. Sylvia sah zu Maria hinüber, doch die hatte sich zwischen Kjell und Göran gesetzt und bog sich vor Lachen über deren Witze.

Sylvia rief Terese zu sich, die auch gleich angerannt kam, den Kranz windschief auf dem Kopf. Sylvia setzte die Kleine mitten auf die Treppe, bat die anderen Kinder, Platz zu machen, und dann schoss sie Bilder von ihr. Das Zählwerk des Fotoapparats stand am Ende bei zweiundzwanzig.

Diesen Film würde sie erst wesentlich später zum Entwickeln bringen, denn so schnell würde es keine Anlässe zum Fotografieren mehr geben. Ein kleines Mädchen in brauner Latzhose, die Hosenträger verdreht, kleine Milchschneidezähne mitten im breiten Kindergrinsen, schräg strahlende Mandelaugen, denn es war ein echtes Lachen, Sylvia hatte ihr ganzes Repertoire an lustigen Geräuschen und Grimassen aufgefahren. Und dann noch der schöne Kranz mit den gelben und lilafarbenen Blümchen. Nur das Veilchen fehlte, das musste wohl schon abgefallen sein, als sie die Aufnahme machte.

2.

GRETA LAG IM Gästezimmer und konnte nicht einschlafen. Sie hatte sich Ohrstöpsel ins Ohr gesteckt, obwohl es erst neun Uhr war und noch lange dauern konnte, bis Hasse ins Haus gestolpert käme. Doch sie wollte von der anderen Seeseite keinen Ton mehr hören. Das grelle Lachen, das durchs Fliegengitter vor dem Fenster hindurchdrang, die Stimmen, die im Laufe des Abends immer lauter und derber wurden, möglicherweise in Streitereien endeten. Die gelben Schaumstoffstöpsel saßen zwar tief in ihren Gehörgängen, doch völlig ausblenden konnten sie das Geschehen nicht.

Sie hatte es schon am Vormittag beschlossen, während sie die Gerichte fürs Mittsommerbuffet zubereitet hatte. Maria hätte eigentlich zum Helfen kommen sollen, doch sie war erst aufgetaucht, als Greta schon fast fertig gewesen war. Eine Entschuldigung hatte sie nicht zu bieten gehabt. Ein Dankeschön auch nicht. Und da hatte Greta ihre Entscheidung getroffen. Dieses Jahr konnten die anderen auf sie verzichten.

Und so lag sie jetzt hier im Gästebett und versuchte krampfhaft zu lesen. Doch auf den aufgeschlagenen Seiten ihres Buches tanzten die Bilder, es war schier unmöglich, aus den Buchstaben einzelne Worte zu bilden.

Sie hatte die Mädchen vor Augen. Ihr eigenes, das inzwischen erwachsen war, und das andere.

Beide hüpften über den Text wie flüchtige Schatten. Die kleine Maria mit Trachtenkleid und langen Zöpfen, wie sie brav an der Hand ihrer Mama in der Dämmerung heimgegangen war, lange bevor die Feste ausgeartet waren. Unterwegs hatten sie sieben verschiedene Blumen gepflückt. Klee, Wiesen-Wachtelweizen, Rote Waldnelke, Butterblume, Wiesenglockenblume. Wald-Storchschnabel, wenn er noch nicht verblüht war, manchmal auch irgendein Gras, wenn sie noch nicht genügend Blumen zusammenhatten.

Maria war immer auf der Stelle eingeschlafen, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass auch wirklich sieben verschiedene Blumen unter ihrem Kopfkissen lagen. Greta hatte ihr nie erzählt, dass der Brauch auch verlangte, man solle für jede Blume über einen Holzzaun springen, denn nur so könne man ganz sicher sein, dass sich im Traum der Zukünftige zeigen werde, das wäre zu kompliziert geworden.

Als Maria noch klein gewesen war, hatte sie davon geträumt, zu heiraten. Und jetzt saß sie da, ohne Mann, dafür mit Kind. Nicht einmal in der Geburtsurkunde stand der Name des Vaters. Wenn das Greta passiert wäre. Was für eine Schande.

Am Ende der Schwangerschaft hatte Greta schließlich den Namen des Schuldigen aus ihr herausbekommen. Ein Ex-Freund. Dan. Greta hatte den Namen gar nicht zuordnen können, erst als Maria ihr sagte, wie die Eltern hießen, hatte sie sich dunkel an den Kerl erinnert. Ein ungewaschenes Kindergesicht auf der Schaukel auf dem Schulhof. Ein Junge, der Maria an den Haaren gezogen und sie im Winter eingeseift hatte. Sie musste ihn schon seit der Schulzeit gehasst haben. Und trotzdem war sie mit ihm gegangen. Und er hatte sie weiter schikaniert, soviel Greta wusste. Mit dem Unterschied, dass er längst kein kleiner Junge mehr war, sondern ein ausgewachsener Mann mit groben Händen und massigem Körper.

»Er ist nicht mehr in Smebacken«, hatte Maria gesagt. »Er ist weg.«

»Weil du schwanger bist?«

Darauf hatte Maria keine Antwort gegeben, aber Greta nahm ihr Schweigen als ein Ja.

Sie war überzeugt, dass Maria keinem anderen Menschen verraten hatte, wer der Vater des Kindes war. Vielleicht konnten die, die sie gut kannten und wussten, dass Dan ihr Freund gewesen war, es sich denken. Nur ihrer Mutter hatte sie es gestanden. Was etwas heißen wollte. Und dennoch.

Es war so offensichtlich. Das Trachtenkleid, das sie letztes Jahr verschmäht hatte. Alles, was Greta für Maria getan hatte, wollte Maria anders machen, während Greta doch nur versuchte, ihr eine Hilfe zu sein. Vor Kurzem hatte sie ihr die Neuauflage von Anna Wahlgrens Kinderbuch gekauft, in der Hoffnung, dass es ihr bei Tereses Erziehung helfen würde. Die Kleine schien ja alles zu dürfen. Doch Maria hatte nur kurz darin geblättert und die Nase gerümpft. Warum wohl? Greta konnte es einfach nicht verstehen. Allein dieser Name. Terese. So unmelodisch und hart. Genau den Namen, den Greta nicht leiden konnte, hatte Maria für ihre Tochter ausgewählt. Denn das hatte sie gewusst.

Greta konnte nicht schlafen. Sie konnte nicht lesen. Als es zehn Uhr schlug, kroch sie wieder aus dem Bett, zog sich das Nachthemd über den Kopf und stieg in ihre Kleider. Dann ging sie wieder raus in die Mittsommernacht.

Die Luft war inzwischen kühl geworden, und Nebelschwaden zogen über die Weiden. Das erinnerte sie an den Elfentanz, vor dem man sich in Acht nehmen sollte, denn man sagte, er mache alt. Genau wie die Mittsommerfeierei. Man genoss das Fest, solange es andauerte, aber am nächsten Tag war man sichtlich gealtert.

Schon hörte sie die Stimmen vom anderen Seeufer. Jetzt wollte sie nur noch dafür sorgen, dass das Kind ins Bett kam. Dass es nicht auf einer Bank liegen blieb, auf dem Schoß eines Stockbetrunkenen, und von den Mücken zerstochen wurde. Die Zuckmückenschwärme waren noch nicht in Sicht, aber die Waldmücken konnten einen auch ordentlich plagen. Greta wollte morgen nicht in ein Kindergesicht schauen, das von großen, entzündeten Stellen übersät war. Terese würde dann daran kratzen, und schlimmstenfalls konnte es den ganzen Sommer dauern, bis die Stiche wieder verheilt waren, manchmal blieben sogar Narben zurück. Sie war nicht so verschossen in ihr Enkelkind, wie eine Großmutter es eigentlich sein sollte, aber ihr Verantwortungsgefühl funktionierte einwandfrei.

Jemand hatte die Teller abgeräumt. Auf der langen Tafel waren nur noch Flaschen und Bierdosen und Gläser. Auf der Tischdecke überall Flecken, wo das Essen gestanden hatte. So schnell schon war alles schmuddelig. Verdreckt und verloddert. Wie sehr man auch schrubbte und scheuerte, die Verderbtheit des Menschen hinterließ immer ihre Spuren.

Greta überflog das Hofgelände mit einem Blick. Einige tanzten noch um den Mittsommerbaum. Natürlich war ihre Tochter dabei. Ausgelassen und albern, wie immer, wenn sie getrunken hatte. Ihr Kleid war in diesem Jahr noch unmöglicher. Der Stoff klein geblümt, dabei nahezu durchsichtig, der Ausschnitt ging fast bis zum Bauchnabel. Und dann dieses überfrachtete Make-up mit so unnatürlich starkem Lidschatten und rosaroten Lippen. Sylvia tanzte neben ihr, auch sie war betrunken und fiel einfach um. Blieb auf der Wiese liegen, lachte laut und gekünstelt. Sogar Sylvia, die beim Alkohol normalerweise zurückhaltend war. Greta fragte sich, wo Göran war, er schwänzelte doch sonst immer um Maria herum, das entging niemandem. Schon gar nicht seiner eigenen Frau.

Aber jetzt saß Thorhild am Tisch, ganz mit Sylvias Kjell ins Gespräch vertieft. Vielleicht konnte sie gerade entspannt sein, weil sie wusste, dass er sich nicht in Marias Nähe befand. Greta beobachtete, wie Kjells Hand hochfuhr und Thorhilds Gesicht streifte, er nahm ihr die Brille ab und legte das große Kunststoffgestell aufs Tischtuch. Sylvia lag immer noch auf der Wiese und bekam davon nichts mit. Die Waldmücken schwirrten durch die Luft, Greta konnte das Mädchen nicht entdecken. Sie wurde wütend, in ihren Wangen zwickte es. Wann hatte wohl jemand das Kind zuletzt gesehen, wie viel Zeit mochte vergangen sein? Die anderen Kinder hüpften umeinander, waren mit irgendeinem Spiel beschäftigt, aber von ihrem Enkelkind fehlte jede Spur.

Ihren Ehemann entdeckte sie erst eine ganze Weile später. Er hockte am Rande auf einem Gartenstuhl, saß da mit Ernst, der sich wichtigmachte und darüber ausließ, dass die Sozis neuerdings bürgerliche Interessen vertraten. Hasse schien nicht ganz mitzukommen. Aber da war ja das Mädchen! Sie hockte unter dem Tisch und bohrte Löcher ins Moos. Über Hasses Gesicht ging ein Strahlen, als er Greta erblickte, doch er sah nur unscharf, sein Pullover von Flecken übersät. Sie ignorierte ihn einfach und hoffte, er würde ihr keine Szene machen, sie ging in die Knie, bis sie auf Höhe von Tereses Kindergesicht war.

»Komm mit, wir gehen jetzt nach Hause, es ist Zeit für die Heia.«

Das Mädchen freute sich, sie zu sehen. Greta hoffte, sie würde sie so in Erinnerung behalten, als einen Hort der Geborgenheit. Vielleicht würden sie auf diese Weise zueinanderfinden. Wie gut, dass sie noch einmal hergekommen war. Sie streckte den Arm aus. Die Hand des Mädchens war kalt.

Drinnen in der Küche stand bergeweise dreckiges Geschirr auf der Spüle, ein Teller war runtergefallen und zu Bruch gegangen. Hier hatte niemand auch nur den Versuch unternommen, aufzuräumen. Wahrscheinlich hatten sie erst spät abgeräumt. Wäre Greta auf dem Fest geblieben, wäre sie diejenige gewesen, die jetzt hier gestanden und gespült hätte. Vermutlich mit Ingegärd. So lief das nämlich. Die Jungen und die alten Säcke durften sich amüsieren und sich volllaufen lassen, während die alten Weiber in der Küche standen und die Hände ins dreckige Abwaschwasser tauchten. Aber Ingegärd war nicht mehr in Sicht, was wohl bedeutete, sie hatte auch die Nase voll gehabt und war heimgegangen.

Greta zog das Kind die Treppe hinauf. Das Fenster zum Hof stand sperrangelweit offen, alle Geräusche und alle Mücken hatten freien Eintritt. Greta verriegelte es auf der Stelle.

Die anderen Laute hörte sie erst, als sie schon vor der Schlafzimmertür standen. Da wurde sie rot, zuerst aus Scham, dann vor Wut. Terese zog an ihrer Hand, entweder hörte sie es nicht oder wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, sie wollte einfach nur in ihr Kinderbett. In Gedanken suchte Greta den Garten ab. Maria konnte es keinesfalls sein, sie hatte sich ja da draußen vergnügt. Mit Terese an der Hand stand Greta unschlüssig da, doch schließlich überwog die Wut, und sie öffnete die Tür mit einem Ruck.

Ein nackter Frauenrücken, ein schaukelndes Gesäß, Görans Kopf mit dem bauschigen Schnurrbart auf dem Kopfkissen, verschwommener Blick. Aber seine Frau hockte doch draußen, da am Tisch bei Kjell. Nein, die Frau, die auf Göran ritt, war klein und schmächtig, sie hatte lange Haare, ihr geflochtener Zopf auf dem Rücken löste sich schon auf. Auf dem Boden vor dem Bett lag ein Haufen Stoff, ein zerknittertes Trachtenkleid.

Nettan bemerkte Greta zuerst, sie musste die Blicke in ihrem Rücken gespürt haben, und da drehte sie sich um. Der Entsetzensschrei und ihre verzweifelten Hände, die am Laken zerrten, um sich zu bedecken. Greta wusste gar nicht, was sie ihr zuerst ins Gesicht schreien sollte. Dass Nettan so etwas tat, während ihr Mann auf Geschäftsreise war. Dass Göran so etwas tat, während seine Ehefrau draußen im Garten saß. Dass sie Marias Bett beschmutzten, wo eigentlich jetzt das Kind schlafen sollte. Unverschämtes Pack! Doch sie brachte nichts heraus, stand nur da und starrte sie an, während ihre Lippen die Worte im Zaum hielten. Das Mädchen stand neben ihr und machte große Augen. Jetzt hatte endlich auch Göran gemerkt, dass sie nicht mehr unter sich waren. Es fiel ihm schwer, den Kopf anzuheben, er grinste blöd hinter seinem Schnurrbart, die dicke Goldkette baumelte auf seinem feuchten Brusthaar. Er war so besoffen, dass er kaum zu wissen schien, wer da auf ihm saß. Nettan hingegen wirkte einigermaßen nüchtern, als sie Greta im Bettelton hinterher jammerte, doch die knallte nur die Tür zu, dass der Rahmen bebte.

»Greta, bitte! Bitte, bitte, verrat uns nicht!«

Greta drückte Tereses Hand fester.

»Du kommst besser mit der Oma mit.«

Der Buggy stand unter dem Dach des Vorratshauses. Sie hatte zu tun, dass sie die kleinen Räder über die Holzschwelle brachte, dann hob sie das Kind hinein. Blickte sich um. Kjell und Thorhild saßen immer noch da am Tisch, ihre Köpfe nun noch dichter beieinander. Geschah ihm ganz recht, wenn Thorhild was mit Kjell anfinge. Ihrem Schürzenjäger, der sich nach Maria die Augen ausguckte, seit sie in die Pubertät gekommen war, aber ganz offensichtlich mit jeder ins Bett ging.

Greta konnte Maria nicht entdecken, aber jetzt brachte sie auch die Energie nicht mehr auf, sie hatte genug. Hasse hatte schließlich mitbekommen, dass sie das Mädchen mitgenommen hatte, er konnte es weitersagen. Und wenn sie sich irgendwann Sorgen machten, dann geschah es ihnen recht. Greta fragte sich, wie lange das arme Kind da unter dem Tisch gehockt haben mochte.

»Mama«, sagte Terese und zeigte rüber zum Berghof.

»Nein, nicht Mama, du schläfst heute bei der Oma«, sagte Greta.

Erst als sie über die Brücke gekommen waren und Greta für die Kleine noch ein paar Blumen gepflückt hatte, die sie unters Kopfkissen legen konnte, hörte Terese auf, das Wort ständig zu wiederholen. Mama. Mit den vier Blümchen in ihrer kleinen Hand, die schon den Kopf hängen ließen, sah sie ganz glücklich aus. Butterblume, Wald-Storchschnabel, Wiesen-Kerbel und Grindkraut.

Ein paar Monate später würde Greta sie unter dem Kopfkissen wiederfinden, einen vertrockneten, braunen Zunderschwamm aus der Mittsommernacht 1983.

3.

KJELL ERWACHTE vom Regen, der auf das Blechdach prasselte. Er wusste nicht auf Anhieb, wo er sich befand, erkannte weder die blau lasierte Kommode noch das Kiefernschränkchen neben dem Bett. Auch nicht die Laterne draußen vor dem Fenster. Sie leuchtete noch, obwohl schon helllichter Tag war. Nach und nach kam die Erinnerung zurück. Das Haus seiner Tante. Hier hatte er als kleiner Junge jeden Sommer verbracht. Dann war sie gestorben, und er hatte das Haus geerbt, und hier wohnte er inzwischen seit acht Jahren.

Mit der Erinnerung kam auch der Kopfschmerz. Er war unerträglich, wie ein bremsender Zug direkt vor ihm säbelte er durch seine Stirn.

Kjell streckte einen Arm aus, schwerfällig und zitternd, tastete nach ihrem Körper, doch der Platz neben ihm war leer. Langsam drehte er den Kopf und schlug die Augen auf, doch seine Hand hatte ihn nicht belogen.

Sie war nicht da. Er überlegte angestrengt. Das Mittsommerfest. Unten am Berghof, wie jedes Jahr. Sylvia hatte den Mittsommerbaum geschmückt und allen Kindern schöne Kränze gebunden, ihre Künstlerhände konnten Birkenzweige und Blumen zusammenfügen, wie es noch nie jemand vor ihr vermocht hatte. Ihr zweites gemeinsames Mittsommerfest. In diesem Jahr war sie entspannter gewesen, nicht so verhuscht und still wie noch im letzten Jahr. Sie hatte auch mehr getrunken als üblich.

Waren sie denn danach gemeinsam heimgegangen? Vage Erinnerungen kamen hoch, Gestrüpp am Straßenrand, die hohen Kiefernkronen vor dem Himmel, wieder spürte er das nachtfeuchte Gras an Händen und Gesicht. Er hob die Decke hoch und blickte nach unten. Er lag voll bekleidet im Bett. Am Hosenstoff haftete etwas. Dicke, gelbe Halme. Er griff danach und betrachtete einen genauer. Stroh. Wo war das denn her?

Die nächste Gedächtnislücke. Er hatte Sylvia vor Augen, in ihrer auffälligen Kleidung, mit der weißen Bluse und einem breiten, weißen Ledergürtel, der ihr eine unnatürliche Wespentaille schnürte, schwere, viereckige Ohrringe, die an ihren Ohrläppchen zerrten. Dann der blaue Lidschatten. Der ihm nicht so gefallen hatte, doch das hatte er natürlich für sich behalten. Schließlich hatte sie in Stockholm gelebt, sie wusste, was modern war. Und damit fiel sie hier natürlich auf.

Thorhild hatte einen lilafarbenen Volantrock getragen, und Marias Kleid war fast durchsichtig gewesen, aber was ihren Stil anging, konnte keine von ihnen Sylvia das Wasser reichen, das erkannte sogar Kjell. Und dann? Der Schnaps war ihm offenbar schnell in den Kopf gestiegen, denn bald darauf war bei ihm der Vorhang runtergegangen.

Die Übelkeit überkam ihn, kaum, dass er sich aufgesetzt hatte, und es war unmöglich, dagegen anzugehen. Der Druck vom Magen und der Speichel in seinem Mund ließen ihn hochschnellen und gekrümmt zur Toilette rennen. Im Augenwinkel sah Kjell Füße vom Küchensofa ragen. Warum schlief sie dort?, dachte er noch, bevor er sich auf die Kloschüssel stürzte und seinen Mageninhalt erbrach.

Als er sich anschließend langsam zurück an die Wand lehnte, keuchend und mit brennendem Hals und Magen, setzte sich das Gedankenkarussell wieder in Gang. Hatten sie sich gestritten? War es möglich, dass er sie irgendwie verärgert hatte?

Der nächste Schwall kam hoch, und er hing wieder über der Schüssel. Unter dem Erbrochenen lag noch ein Geruch von altem Urin. Mit dem Putzen hatte sie es nicht so. Seit sie bei ihm wohnte, war es im Haus kaum sauberer als vorher, obwohl das jeder prophezeit hatte. Wie oft hatte er sich anhören müssen, ihm fehle eine Frau im Haus, die endlich Ordnung schaffte.

Aber was, wenn das gar nicht sie war, dort auf dem Sofa?

Ihm fiel Thorhilds Hand unter der Tischplatte wieder ein, wie er sie gedrückt hatte. Görans Ehefrau konnte einem wirklich leidtun, sie schien die Letzte zu sein, für die Göran sich interessierte. Ihre feuchtglänzenden, traurigen Augen. Doch hatte er in ihnen nicht auch noch etwas anderes entdeckt? Vielleicht war es auch nur seine Einbildung gewesen. Sylvia wies ihn ja auch darauf hin, dass sich manches nur in seinem Kopf abspielte. Aber jetzt musste er nachsehen, wer da auf dem Sofa lag.

Das Radio war noch an, es lief Radio Ellen. Ein Frauenprogramm, das Sylvia gerne anhörte. Und auf dem Sofa lag wirklich sie. Ihre Füße ragten hervor, in roten, handgestrickten Socken. Wie er ihre Füße liebte. Nirgendwo Hornhaut, vom Zeh bis zur Ferse alles ganz weich. Ihre Hände sahen nicht anders aus als seine, mit Schwielen und kurz geschnittenen Nägeln, mit Dreck bis unter die Nagelhaut, Falten an Knöcheln und Gelenken. Das lag an ihrer Malerei. Doch ihre Füße erinnerten ihn an ein kleines Kind.

In die Wolldecke eingewickelt, kamen nur ihre Hosenbeine zum Vorschein. Die Haare hingen ihr übers Gesicht, die eckigen Modeschmuckohrringe hatte sie auf dem Tisch abgelegt. Er konnte sich nicht mehr erinnern, ob sie gemeinsam heimgegangen waren. Er hatte noch nach irgendwas gesucht. Oder nach irgendwem.

Schabende Krallen auf dem Boden, Moss machte sich bemerkbar. Der Hund kam auf ihn zu und wedelte mit dem Schwanz, strich ihm schnüffelnd um die Füße. Kjell schenkte sich ein Glas Wasser ein und leerte es in einem Zug, dann schielte er zum Sofa hinüber, müsste sie nicht langsam aufwachen. Das tat sie nicht. Dabei war sie ungewöhnlich still. Kein Schnarchen, kein tiefes Atmen. Ob sie sich vielleicht nur schlafend stellte? Er warf einen Blick auf die Uhr über der Tür. Gleich zehn.

Er brachte Moss raus und sperrte ihn in den Zwinger. Die regennasse Luft tat gut auf der Haut, aber das helle Junilicht stach ihm in die Augen. Moss bellte ihn an, als er zurück ins Haus ging. Das war nicht zu ändern. Ein Hund war nun mal ein Hund. Und nach einem Hund hatten sie gestern nicht gesucht.

Er ging zurück in die Küche. Ließ noch mal Wasser ins Glas, kramte im Schrank nach einer Kopfschmerztablette. Warf immer wieder einen Blick zum Sofa. Er sah ihr gern beim Schlafen zu, schon immer, er liebte es, ihr Gesicht und ihren Körper anzusehen, ohne dass sie davon wusste. Darüber nachzusinnen, wer sie wohl war, was da in ihrem Kopf vor sich ging. Jetzt bereitete ihm dieses schlafende Gesicht ein mulmiges Gefühl. Es hatte etwas Vorwurfsvolles. Kjell ging zum Fenster und sah runter zur Kreuzung. Die große Festtafel auf Marias Wiese stand noch unter den Ahornbäumen, eine Tischdecke war weggeflattert, ein paar Stühle waren umgekippt. Erinnerungen tauchten auf. Marias Kleid, die Rundungen ihres Hinterns unter dem dünnen Stoff, unwillkürlich hatten sie seinen Blick auf sich gezogen, da konnte er gar nichts machen, war an ihnen hängen geblieben, ob sie keinen Slip trug? Kjell schüttelte sich, blinzelte runter zum Hof.

Die Birken hinter Ernsts Hundegehege verdeckten zum Teil die Sicht auf den Hof. Kjell wusste, dass da Flaschen und Kippen auf dem moosbewachsenen Rasen lagen, auch wenn er sie nicht sehen konnte. Nachher geh ich runter und helf beim Aufräumen, nahm er sich vor.

Noch war da niemand zu sehen, der Garten lag friedlich und still im Regen. Gestern hatten sie wirklich Glück mit dem Wetter gehabt.

Kein Tropfen Regen, die ganze Mittsommernacht über.

Der Kopfschmerz zwang ihn zurück in die dustere Küche, er blickte Sylvia an, sah sie atmen, allerdings lautlos. Der Eindruck, dass sie sich nur schlafend stellte, machte ihn gleichgültig. Worüber sie wohl gestritten hatten? Ob es was Ernstes gewesen war? Er musste wieder an Marias Kleid denken, ob Sylvia gesehen hatte, wie Marias Körper seinen Blick auf sich gezogen hatte? Dabei war Sylvia doch gar nicht so. Er hätte nie gedacht, dass sie sich ausgerechnet mit Maria so eng anfreunden würde, als sie zu ihm zog.

Es wäre viel naheliegender gewesen, wenn sie sich mit Thorhild oder Nettan abgegeben hätte, die waren im selben Alter. Und trotzdem hatte Maria ihr Herz erobert. Das hatte ihn mehr als erstaunt. Er hätte vermutet, dass eher die Männer auf Maria standen, dass Frauen sie als Gefahr betrachteten. Sie war kokett, und so, wie sie sich kleidete, konnte man davon ausgehen, dass es ihr gefiel, wie die Männer sie ansahen. Er hatte immer geglaubt, dass alle Frauen auf Maria neidisch wären, doch als er das einmal geäußert hatte, hatte Sylvia ihn fast ausgelacht. »Sobald wir Frauen ein bisschen nett sind, denken Männer immer gleich, wir flirten!« Ihr herablassender Tonfall hatte ihn verärgert. Meinte sie etwa, Maria würde einen wie ihn gar nicht anschauen? Einen einfachen Werksarbeiter, der die dreißig überschritten hatte und der noch nie freiwillig ein ganzes Buch von Anfang bis Ende gelesen hatte? Wollte Sylvia damit sagen, dass Maria auf ihn herabsah? Aber warum sollte sie? Maria war doch keinen Deut besser. Vielleicht war die Wahrheit eher, dass Sylvia auf ihn herabsah? Sie, die Künstlerin, die Bilder malte, die er nicht verstand. Er fand ihre Gemälde sehr schön, und es rührte ihn, dass sie die Natur vor dem Haus malte, doch sie selbst fand Naturmotive irgendwie billig, wenn man nicht das gewisse Extra besaß, was ihrer Meinung nach bei ihr nicht der Fall war. Sie wolle Gefühle abbilden, erklärte sie, doch er tat sich schwer, in diesen abstrakten Bildern, in denen die Farben verliefen und die jedes Kind zustandegebracht hätte, irgendwelche Emotionen zu erkennen. Was er ihr selbstverständlich niemals sagen würde.

Er nahm sein Wasserglas, ging zurück ins Schlafzimmer und ließ sich aufs Bett fallen. Jetzt brauchte er erst mal ein Nickerchen. Er hatte sicherlich noch Restalkohol im Blut.

Das zweite Mal erwachte er vom Telefonklingeln. Der Kopfschmerz war noch da, und sein Herz pochte gegen seinen Brustkorb, doch es ging ihm schon besser. Er hoffte, dass Sylvia rangehen würde, aber das tat sie nicht. Er schloss die Augen, wartete ab, bis das Signal verklungen war. Kaum hatte es aufgehört, begann es von Neuem. Hartnäckige, giftige kleine Klingeltöne. Er rappelte sich hoch und schleppte sich zur Spiegelkommode, auf der der Telefonapparat stand.

Greta war dran. Ihre Stimme angespannt.

»Ist sie bei euch?«

»Wer?«

»Maria. Sie ist nicht zu Hause. Terese hat bei uns geschlafen, letzte Nacht.«

Terese? Hatten sie gestern nicht nach ihr gesucht? Er erinnerte sich vage. Sie hatten ihren Namen gerufen. Terese! Terese! Er hörte die Frauenstimmen, ein paar ganz in der Nähe, andere weiter entfernt. Dann kamen die Bilder dazu. Durch das hohe, nasse Gras war er auf die unbewirtschaftete Pferdekoppel gerannt, hatte in Ingegärds Stall nachgesehen, das verschlafene Blinzeln der Pferde im grellen Leuchtstoffröhrenlicht, ein Schmerz im Oberarm, war er dort im Stall über irgendwas gestolpert? Und anschließend eingenickt?

»Hallo?«, rief Greta. »Sie ist bei euch, oder?«

»Nein, hier ist sie nicht«, antwortete er. »Hast du denn irgendwem gesagt, dass du Terese mitnimmst?«

Als Greta schnaubte, spürte er fast die Spucke im Gesicht.

»Als hätte man mit einem von euch noch ein vernünftiges Wort reden können! Wenn ihr was von Maria hört, dann sagt ihr bitte, sie soll rüberkommen und ihr Kind bei mir abholen.«

Sylvia hatte Kaffee gekocht und saß vor einer Tasse, als Kjell in die Küche kam. Ihre Haare waren am Hinterkopf verstrubbelt, und ihr Pony lag platt und leicht gescheitelt auf der Stirn, im Regenwetterlicht sah er stumpf aus. Der blaue Lidschatten war verschmiert und über eine Schläfe verlaufen. Das Radio war immer noch an. Inzwischen lief die nächste Sendung.

»Warum bist du nicht rangegangen?«, fragte er. »Ich hab gedacht, du schläfst.«

Mit einem müden, zugleich traurigen Lächeln blickte sie ihn an. Er war überzeugt, dass er etwas angestellt hatte, an das sie sich noch gut erinnerte, er selbst hingegen gar nicht. Seine Angst war diffus. Er stellte sich sein Haus ohne sie vor. Jetzt wohnte sie noch kein ganzes Jahr bei ihm, doch er wusste nicht mehr, wie es ohne sie gewesen war. Ihre Kleider über dem Sprossenstuhl im Schlafzimmer, ihr Kaffee, den sie immer so stark kochte, der Geruch von Farbe und Aceton, ihre Gula-Blend-Zigarettenschachtel auf dem Küchentisch. Wie sie Moss rief, wenn sie mit ihm spazieren gehen wollte und mit dem Hund herumalberte, als wäre er ein kleines Kind.

Sie wies auf die Kaffeekanne. »Da ist noch was drin.«

Er wollte keinen Kaffee. Ihm war sowieso nicht gut, jetzt kämpfte er mit den Tränen, aber das lag bestimmt an seiner Katerstimmung.

»Weißt du, wo Maria ist?«

Sylvia sah ihn mit leerem Blick an, und wieder packte ihn die Angst. Er wird doch wohl mit Maria nichts angestellt haben? Auf einmal sind die Bilder wieder da, ihre Brüste unter seinen Händen, ihre Beine um seine Hüfte geschlungen, ihr Lachen und ihr Atem an seinem Hals. Doch das sind die alten Bilder. Die trägt er schon lange mit sich herum.

»Ist sie nicht zu Hause?« Sylvia zündete sich eine Zigarette an und schleuderte das Feuerzeug quer über den Tisch.

»Nein. Der Anruf eben, das war Greta. Terese hat bei ihr übernachtet.«

Das Stroh an seiner Hose. Hatte er vielleicht auf dem Heuboden nach ihr gesucht?

»Ja, weiß ich schon.« So verächtlich die Worte aus ihrem Mund. Sie aschte in die Topfblume. Kjell riss sich zusammen, verkniff sich jedes Wort. Er konnte nicht verstehen, wie man so was tun konnte, in Blumentöpfe aschen. Sie sagte immer, Asche habe viele gute Inhaltsstoffe. Was er ganz und gar nicht glaubte. Er war es ja gewohnt, in der rußigen Hitze im Walzwerk in Smedjebacken zu schuften, Asche war doch nichts Gutes.

»Aber Maria war nicht zu Hause, als Greta Terese heute zurückbringen wollte.«

Sylvia wandte den Blick ab. Ihr unglücklicher Gesichtsausdruck blieb.

»Vielleicht ist sie mit jemandem mit.«

»Hast du gemerkt, dass Terese verschwunden war?«

»Ja, meine Güte, wir haben doch die halbe Nacht nach ihr gesucht. Weißt du das nicht mehr?«

Er wollte nicht zugeben, dass er Gedächtnislücken hatte. Weiblicher Hohn war das Allerschlimmste.

»Natürlich weiß ich das noch, aber wann genau ist sie denn verschwunden?«

Jetzt begannen Sylvias Augen zu glänzen.