Moderne Fremdsprachen: Englisch - Silke Fischer - E-Book

Moderne Fremdsprachen: Englisch E-Book

Silke Fischer

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Beschreibung

Dieser Band zeigt spannende Fakten und Besonderheiten des Englischen auf. Auf unterhaltsame Art und Weise werden zahlreiche Phänomene im linguistischen und alltäglichen Kontext erläutert und mit anderen Sprachen, insbesondere dem Deutschen, verglichen. Das Buch wendet sich in erster Linie an Lehramtsstudierende, Referendar:innen und Lehrende der Fächer Deutsch und Englisch. Die Kapitel beschäftigen sich mit Unterschieden zwischen dem Englischen und den behandelten Sprachen in Hinblick auf die Wortstellung und ihre historische Entwicklung, die Verwendung des Dativs, diverse s-Endungen, systematische lautliche Unterscheidungen basierend auf der Germanischen Lautverschiebung sowie Unterschiede in der Textproduktion. An jedes Kapitel schließen sich Übungen an, die sich für die Nutzung im Klassenzimmer, aber auch für die eigene Vertiefung eignen. Der Band bietet viele interessante Einblicke in die spannende Welt der Linguistik, die den eigenen Unterricht bereichern.

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Silke Fischer / Christoph Fischer

Moderne Fremdsprachen: Englisch

Spannende Fakten für (angehende) Lehrkräfte

© 2024 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

ISSN 2566-8293

ISBN 978-3-8233-8571-4 (Print)

ISBN 978-3-8233-0508-8 (ePub)

Inhalt

1  Einleitung1.1 Warum dieses Buch?1.2 Wie viel Grammatik darf’s denn sein?2  „Tina’s Kneipe“ und ihre „Drink’s“: Über s-Endungen im Deutschen und Englischen2.1 „Danton’s Tod“ und andere Dramen2.2 Vom großen kleinen Unterschied im Genitiv oder: Suffix vs. Klitikon2.3 Alles analog oder was? oder: Das Plural-s im Englischen2.3.1 Die Entwicklung des Plural-s im Englischen2.3.2 Wie man sich täuschen kann oder: Wie die Kirsche zu ihrem Namen kam2.4  In aller Kürze – Was nehmen wir mit?(i) Deutsch versus Englisch: Unterschiede im Genitiv2.5 Exkurs: Basiswissen Morphologie2.6 Übungsaufgabe3  „Hier werden Sie geholfen“ oder: Sag mir, wo der Dativ ist, wo ist er geblieben?3.1 Der Dativ in der Schule und in aller Munde3.2  „Nun sag’, wie hast du’s mit dem Dativ?“ oder: Zum Verlust des Dativs im Englischen3.2.1 Einblicke ins Altenglische, Französische und Deutsche3.2.2 Zur Morphologie im heutigen Englisch3.2.3 Verschwunden oder unsichtbar?3.3 Weiterführende Fragen: Die Doppelobjektkonstruktion im Englischen3.3.1  Passivierung in der Doppelobjektkonstruktion3.3.2 Ausblick: Theorien zum Kasus in der englischen Doppelobjektkonstruktion3.4 In aller Kürze – Was nehmen wir mit?(i) Kasusbestimmung in Fremdsprachen analog zum Deutschen?3.5 Übungsaufgaben4  Wenn der Postbote den Hund beißt oder: Kleines Wortstellungs-Einmaleins4.1 Wortstellung im Grammatikunterricht4.2  Wortstellung im Deutschen und Englischen4.2.1 Warum den Deutschen Altenglisch näher ist als Modernes Englisch4.2.2 Wortstellung im Wandel der Zeit: Vom Altenglischen zum Modernen Englisch4.3 Do-support im Englischen: Wie es dazu kam und warum wir es im Deutschen nicht brauchen4.4 In aller Kürze – Was nehmen wir mit?(i) Unterschiede in der Wortstellung – OV/VO, V2, Scrambling, morphologischer Kasus4.5 Übungsaufgaben5  Wat mutt, dat mutt – Über Lautverschiebungen und andere germanische Eigenheiten5.1 „Falsche Freunde kann niemand trennen“: Von false friends und anderen Fehleinschätzungen5.2 Deutsch und Englisch – Eng verwandt und doch verschieden5.2.1  Eine gemeinsame Vergangenheit: Proto-Germanisch5.2.2 „Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“ oder: Was den Schwaben vom Engländer unterscheidet5.3 Von Zeit zu Zeit vergess’ ich die alten Zeiten gern5.4 In aller Kürze – Was nehmen wir mit?(i) Die Erste Lautverschiebung: Deutsch und Englisch gegen den Rest der (nicht-germanischen indoeuropäischen) Welt5.5  Exkurs: Basiswissen Phonetik/Phonologie5.6 Übungsaufgaben6  Epilog oder: Warum ist Harry Potter nur so dick geworden?7  Kleiner Exkurs zur Geschichte des Englischen7.1 Die Epochen des Alt-, Mittel- und Frühneuenglischen7.1.1 Altenglisch (Old English): 449-10667.1.2  Mittelenglisch (Middle English): 1066-14767.1.3 Frühneuenglisch (Early Modern English): 1476-17767.2  Anmerkung zur Rhotizität im Englischen8  SchlusswortDanksagungLösungen zu den ÜbungsaufgabenLiteraturRegister

1 Einleitung

1.1Warum dieses Buch?

Wenn man Schülerinnen und Schüler fragt, was für sie eine gute Lehrerin oder einen guten Lehrer ausmacht, gibt es einen Katalog typischer Antworten:

 

Sie/Er muss …

… auf Schüler:innen eingehen

… gut erklären können

… gerecht sein

… den Unterricht abwechslungsreich gestalten usw.

 

Gerade bei älteren Schüler:innen bekommt man aber auch häufig die Antwort: Die Lehrkraft muss für ihr Fach brennen. Auch ehemalige Schüler:innen erzählen nach Jahren noch bewundernd von diesen enthusiastischen Lehrer:innen, die sich gut in ihrem Fach auskennen und mehr wissen, als nur das, was an Stoff für die kommende Unterrichtsstunde ansteht. Oft wirkt die Begeisterung für das eigene Fach ansteckend auf die Schüler:innen, denn damit wird glaubhaft vermittelt, dass das, was man lernen soll, tatsächlich bedeutsam ist. Solche Lehrkräfte bleiben im Gedächtnis: der Deutschlehrer, der den Eingangsdialog von Faust auswendig zum Besten geben konnte und den Inhalt mit Stimmlage und Mimik nachvollzog, oder der Kunstlehrer, der begeistert die Zusammenhänge zwischen Kunstwerken und Epochen vortrug und dabei mit dem ganzen Körper die „Kraft“ in den Säulen griechischer Tempel nachahmte. Und natürlich begeistern sich Kinder und Jugendliche eher für ein Thema, wenn es mit Engagement und Herz vorgetragen wird.

Schon empirische Untersuchungen von Gertrude Moskowitz aus den 1970er Jahren zeigen, dass das Fachwissen einer Lehrkraft eine entscheidende Rolle bei der Vermittlung von Wissen an die Lernenden spielt. Bei zehn Merkmalen, die eine gute Sprachlehrkraft ausmachen, steht an erster Stelle: „An outstanding foreign language teacher … has a thorough knowledge of the subject matter“ (Thaler 2020: 37). Das Wissen über den zu vermittelnden Unterrichtsgegen stand muss also darüber hinausgehen, nur den Stoff der einzelnen Stunde parat zu haben. Wenn jemand mehr weiß als nur das Nötigste und tiefergehende Verbindungen knüpfen kann, dann kann sie/er auch den Unterricht interessanter gestalten, persönliche Episoden oder Zusatzinformationen einfließen lassen und auf Nachfragen der Klasse eingehen. Dadurch werden die Stunden abwechslungsreicher und meist auch spontaner. Zudem fördert ein Mehr an Wissen immer auch die Sicherheit, mit der man vor der Klasse steht.

Dieses Buch soll solch einen tiefergehenden Hintergrund liefern und ist somit für alle gedacht, die mehr erfahren wollen über linguistische Zusammenhänge sowohl innerhalb des Englischen als auch im Vergleich mit anderen (Schul-)Sprachen. Auch wenn wir uns in erster Linie (dem Buchtitel entsprechend) meistens zunächst auf das Englische beziehen, so möchten wir doch auch Lehrkräfte anderer Sprachen ansprechen; denn viele der zugrunde liegenden Überlegungen gelten gleichermaßen für andere Sprachen, und relevante Fragestellungen, auf die wir aufmerksam machen wollen, gehen durchaus über das Englische hinaus. Außerdem ist Englisch nun einmal für die allermeisten Schüler:innen die erste Fremdsprache, mit der sie im Schulkontext in Kontakt kommen; insofern bietet sie sich als zentrale Referenzsprache im Sprachunterricht an und kann sehr gut zum Vergleich mit anderen Sprachen herangezogen werden. Lehrkräfte anderer Fremdsprachen möchten wir zudem dazu ermuntern, die vorgestellten Themen auch im Kontext „ihrer“ Fremdsprache zu durchdenken.

In den folgenden Kapiteln werden nun also viele Fragen beantwortet, von denen man möglicherweise gar nicht wusste, dass man sie stellen kann oder sollte. Im zweiten Kapitel wird z. B. erläutert, warum beim englischen Genitiv das -s mit ApostrophApostroph angehängt wird, beim deutschen in der Regel hingegen nicht, und was für ein morphologischer Unterschied hier zugrunde liegt. Im dritten Kapitel beschäftigen wir uns mit den Kasus und der Frage, warum in englischen Schulbüchern nie vom DativDativ die Rede ist – wobei durchaus ein wenig Detektivarbeit vonnöten ist, um die Lage im Modernen Englisch richtig zu deuten. Kapitel 4 befasst sich mit der SatzstellungSatzstellung im Englischen (insbesondere im Vergleich zum Deutschen), beleuchtet relevante historische Entwicklungen und erklärt z. B., warum ShakespeareShakespeare, William keine Probleme mit dem Metrum hatte. Das fünfte Kapitel geht auf diverse Gemeinsamkeiten und systematische Unterschiede der germanischenGermanisch und nicht-germanischen indoeuropäischenIndoeuropäisch Sprachen ein, die auf den verschiedensten LautverschiebungenLautverschiebung basieren, bevor wir zum Schluss in Kapitel 6 noch kurz auf Unterschiede bei der Textproduktion bzw. deren Übersetzung zu sprechen kommen. Alle Hauptteile enden mit einem zusammenfassenden Abschnitt mit dem Titel „In aller Kürze – Was nehmen wir mit?“ sowie anschließenden Übungsaufgaben. Am Ende des Buches folgen einige Ergänzungen: Kapitel 7 bietet einen kurzen Überblick zur Geschichte des Englischen, Kapitel 8 beinhaltet das Schlusswort, und im Anschluss folgen die Lösungen zu den Übungen sowie ein Schlagwortverzeichnis, welches das Nachschlagen einzelner Termini erleichtern soll.

Damit die Texte immer verständlich bleiben, werden viele linguistische Fachtermini in Kästen erläutert; zudem beinhalten Kapitel 2 und 5 kurze Exkurse zu morphologischemMorphologie bzw. phonetischemPhonetik und phonologischem Basiswissen. Wer das nicht braucht, kann diese Abschnitte gerne überspringen. Nicht alle Inhalte des Buches sind freilich dafür geeignet, diese auch mit ins Klassenzimmer zu nehmen. An manchen Stellen geht das Buch auf weiterführende theoretische Fragestellungen und Analysen ein und ist somit für all diejenigen gedacht, die ihr eigenes Wissen erweitern wollen, weil sie sich für ihr Fach begeistern. Auch die Übungsaufgaben fallen in diese zwei Kategorien – es gibt solche, die ergänzend im Unterricht benützt werden können, aber auch einige, die zum tieferen Verständnis unserer Leserinnen und Leser beitragen sollen.

Vieles, was man im Studium gelernt hat, ist nicht offensichtlich relevant für den Beruf als Lehrer:in. Wer sich aber dafür interessiert, lernt viel für sich und entwickelt oft eine Begeisterung, die einem später im Beruf zugutekommt. Alles Wissen, das man verinnerlicht, prägt die eigene Persönlichkeit. Und diese Persönlichkeit ist das, was die Schüler:innen dann im Klassenzimmer wahrnehmen. Enthusiasmus und Wissen tragen daher maßgeblich dazu bei, dass man von jemandem behauptet, dass sie/er für das Fach brennt. Wir hoffen, dass wir unseren Leserinnen und Lesern möglichst viele Aha-Effekte bieten und ein wenig zu dieser Begeisterung beitragen können.

1.2Wie viel Grammatik darf’s denn sein?

Der junge Friedrich Schiller war ein guter Schüler. Er mochte seinen Privatlehrer Pfarrer Moser so sehr, dass er selbst Pfarrer werden wollte. Doch als er 1767 an die Lateinschule in Ludwigsburg kam, verging ihm die Freude am schulischen Lernen. Zu streng war der Unterricht, und vor den Prüfungen hatte er Angst. In jedem Klassenzimmer stand der Rohrstock in der Ecke als Drohung für mögliche Fehler. Damit war keineswegs nur das Fehlverhalten eines Schülers gemeint (hier stimmt die maskuline Form, denn Mädchen gab es an der Lateinschule nicht). Selbst Fehler beim Aufsagen der grammatischen Regeln oder beim Konjugieren lateinischer Verben wurden mit Tatzen, also mit Stockschlägen auf die ausgestreckten Finger bestraft. Noch strenger wurde es für Schiller an der herzoglichen Eliteschule in Stuttgart, wo der spätere Dichterfürst die Schule hassen lernte. Hier im Internat im Herzen der Stadt herrschte militärischer Drill, und der Freigeist Schiller nahm sich beim Verfassen seines ersten Dramas Die Räuber so kritische Ansichten heraus, dass der Herzog ihm Schreibverbot erteilte, was Schiller dazu veranlasste, ins badische Mannheim zu fliehen, was damals für einen Württemberger „Ausland“ war.

Zum Glück ist die heutige Schule nicht mehr mit den damaligen Bildungseinrichtungen vergleichbar. Keine Schülerin und kein Schüler muss mehr Angst vor Stockschlägen haben und grammatische Fehler führen nicht mehr zu körperlicher Züchtigung. Dennoch ist das Verhältnis mancher Schüler:innen zur Grammatik, sei es im FremdsprachenunterrichtFremdsprachenunterricht oder auch in Deutsch, immer noch ein zwiespältiges. Woher kommt die Abneigung vieler Lernender gegen das Einüben von Grammatikregeln? Warum ist Grammatik jedoch gerade in der Oberstufe durchaus wieder beliebter? Und warum ist es wichtig für Lehrer:innen, über den Rand der eigenen Schulbücher hinauszuschauen?

Wir muten unseren Schüler:innen viel zu im FremdsprachenunterrichtFremdsprachenunterricht. Sie sollen die Sprache flüssig verwenden können, Sachtexte verstehen, andere Kulturen und ihre Gepflogenheiten kennenlernen, im Englischunterricht beispielsweise von England über Amerika bis Indien und Australien. Sie sollen Romane lesen und fiktive Figuren charakterisieren können, und darüber hinaus analysieren und interpretieren sie Filme und Gedichte oder lösen Hörverstehensaufgaben. Für all das lernen sie hunderte Vokabeln und sollen sich dann auch noch für Grammatik interessieren, die vermeintlich trockenste Disziplin im Sprachunterricht, denn dazu schaut man meist keine Filmausschnitte an, hört keine TED-Talks und kann weder eine eigene Sicht der Dinge äußern noch eine persönliche Haltung dazu einnehmen. Allerdings haben Grammatikübungen für einige Schüler:innen durchaus auch ihren Reiz, da ihnen ein Touch von Rätsellösen innewohnt.

Der GrammatikunterrichtGrammatikunterricht im Fach Englisch hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Schaut man sich Schulbücher von vor 30 Jahren an, dann ist eine ganz schematische Vorgehensweise zu erkennen: Zuerst kommt ein Text; dann kommen Aufgaben zum Text und irgendwann folgt ein deutlich abgesetzter Grammatikkasten, meist mit einer farbigen Umrandung oder einer leicht pastelligen Grundierung. Heute sehen Schulbücher für den Englischunterricht anders aus. In Klasse 5 gibt es zahlreiche Fotos und Illustrationen. Die dazu verfassten Texte sind sehr kurz und enthalten viele didaktische Redundanzen. Die Bewusstmachung von grammatischen Strukturen dagegen hat an Bedeutung verloren, das intuitive Lernen wurde in den letzten Jahren deutlich gestärkt. Einen kurzen Überblick, wie es von den traditionellen Methoden des FremdspracherwerbsSpracherwerb zum kommunikativen Lernen des modernen Fremdsprachenunterrichts kam, findet sich z. B. in Thaler (2020: 106ff.). Interessanterweise gibt es z. B. in Baden-Württemberg im Deutschunterricht im Gegensatz hierzu eine gegenläufige Tendenz; hier wurde die Bewusstmachung von Grammatik insofern gestärkt, als bereits in Klasse 5 das topologische FeldermodellFeldermodell, topologisches eingeführt wird (siehe auch Fußnote 47 in Kapitel 4.2.1).

Im Englischunterricht dagegen kommt es in der Grundschule zu einem ersten Kontakt mit der Fremdsprache durch ein sogenanntes Sprachbad. Man soll, so suggeriert es der Begriff, eintauchen in die fremde Sprache, von ihr umgeben sein, in ihr schwimmen lernen und sie sich so aneignen, in einem natürlichen Fluss, wie es mit der Muttersprache geschieht. Insbesondere zu Beginn bietet das Sprachbad Lieder, Reime, kleine Dialoge, die vorgetragen, nachgesprochen oder mitgesungen werden. Grammatikregeln spielen hier keine Rolle. Im Sprachbad soll man sich zwanglos bewegen. Wenn eine Schülerin oder ein Schüler nur zuhören möchte, dann ist das auch in Ordnung. Er muss das Gedicht nicht mitsprechen, sie muss nicht mitsingen, das Sprachbad bietet auch an, dass man nur passiv eintaucht.

Allerdings erleichtert die Bewusstmachung von Grammatik in den weiterführenden Schulen den Lernalltag durchaus: Auf diese Weise können nämlich die zugrunde liegenden Muster der jeweiligen Sprache viel leichter durchschaut und verinnerlicht werden, außerdem können so die einzelnen Fächer miteinander verknüpft werden, die verschiedenen Fremdsprachen untereinander ebenso wie Deutsch. Begrifflichkeiten können übertragen, Strukturen verglichen und analoge Bildungen herausgearbeitet werden. Dadurch wird gezeigt, worin die Gemeinsamkeiten der Sprachen und wo die Unterschiede liegen. Hier hilft durchaus auch ein Blick auf historische Entwicklungen, etwa wenn man zeigen will, dass die FlexionsendungenFlexion im Englischen im Vergleich zum FranzösischenFranzösisch, Deutschen oder LateinischenLatein stark reduziert sind, was wiederum die WortstellungsmöglichkeitenWortstellung in englischen Sätzen einschränkt. Für die Schüler:innen kann es interessant sein zu erfahren, dass historisch gesehen auch die englische Satzbildung deutlich flexibler war. Interessant ist es auf jeden Fall für die Lehrkraft, die offen ist für Wissen, das über den schulischen Tellerrand hinausgeht. Insofern finden wir: Grammatik darf’s gerne ein bisschen mehr sein!

2 „Tina’s Kneipe“ und ihre „Drink’s“: Über s-Endungen im Deutschen und Englischen

2.1„Danton’s Tod“ und andere Dramen

Jedes Jahr wiederholt sich an deutschen Gymnasien das gleiche Schauspiel: Aufgeregte Abiturient:innen drängen zu Beginn der mehrstündigen Deutschprüfung mit Vesperdosen und literweise Getränkeflaschen in den Raum und bauen an ihrem Platz ihre Vorräte vor sich auf, von denen sie problemlos drei Wochen ohne Nachschub essen und trinken könnten. Dann beginnen sie, ihre Texte zu verfassen, bis sie am Ende völlig ermattet und die müden Handgelenke der Schreibhand schüttelnd die Aufsätze abgeben und den Raum wieder verlassen. Die Lehrkraft hat nun die Aufgabe der Erstkorrektur vor sich, ehe ein paar Wochen später die Zweitkorrektur einer anderen Schule (oder in manchen Bundesländern auch der eigenen Schule) ansteht. Der Vergleich der beiden Korrekturen ist interessant, da sich die Korrektor:innen nicht immer darüber einig sind, welches Korrekturzeichen zu setzen ist, und teilweise weichen sogar die Ansichten darüber ab, ob es sich um einen Fehler handelt oder nicht. Dies kann man z. B. bei der Schreibweise des s-Genitivs im Zusammenhang mit Namen beobachten. So streichen manche Lehrkräfte die Schreibung „Danton’s Tod“ an (und auch das Textverarbeitungsprogramm unterkringelt es noch rot), andere akzeptieren diese Schreibweise. Der Duden akzeptiert beides, Danton’s und Dantons, wobei erstere Schreibung erst seit Ende des 20. Jahrhunderts dort als korrekt aufgeführt wird, wenn es um den Genitiv von Eigennamen geht. Mit der Reform der deutschen Rechtschreibung von 1901 wurde der ApostrophApostroph an dieser Stelle erstmals als falsch eingestuft. Diese Einordnung hielt fast 100 Jahre an, bis mit der Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 die Verwendung als zulässig erklärt wurde, „wenn sie die Grundform eines Eigennamens verdeutlichen soll“.1

Diese Schreibung des s-Genitivs im Deutschen sieht man natürlich häufig im Alltag, z. B. auf dem Auto von Jan’s Pflege, das täglich durch unsere Straße fährt, oder bei Namensgebungen wie Tina’s Kneipe.

Im Englischen ist nur die Schreibung mit ApostrophApostroph legitim, was aber grammatikalisch erklärbar ist (siehe Kapitel 2.2). Interessant ist die Beobachtung, dass die Schreibung Apostroph plus s-Endung immer häufiger auch in anderen Konstruktionen übernommen wird, in denen sie tatsächlich falsch ist, beispielsweise bei der falschen Schreibung des Plural-sPlural. So werden aus Drinks plötzlich Drink’s oder aus Hobbys Hobby’s (wobei im Übrigen beide PluralformenPlural von Hobby, die richtige und die falsche, nicht der englischen Schreibung hobbies entsprechen). Offensichtlich handelt es sich um eine Übergeneralisierung, die davon ausgeht, dass jedes angehängte -s mit einem Apostroph abgetrennt werden muss.

Eine witzige Beobachtung am Rande: Im Englischen findet man sogar Übergeneralisierungen in die andere Richtung; so entdeckten wir auf der Verpackung einer Dartsscheibe mit elektronischer Stimme des berühmten Ansagers Russ Bray den Aufdruck »The worlds voice of darts« – ganz ohne den obligatorischen ApostrophApostroph vor dem englischen Genitiv-sGenitiv-s (engl. world’s).

Für Schüler:innen ist das Ganze nicht leicht. In ihren Köpfen handelt es sich doch „nur um einen ApostrophApostroph“, eine Kleinigkeit, die im großen Alltag untergeht. Die Relevanz wird vielleicht deutlicher, wenn man sich klarmacht, dass es sich im Englischen um eine ganz andere grammatikalische Struktur handelt. Das kann sogar Spaß machen, denn die Freude am Wissen stellt sich oft dann ein, wenn man etwas lernt, das über das Wissen der Eltern und anderer Erwachsener hinausgeht.

2.2Vom großen kleinen Unterschied im Genitiv oder: SuffixSuffix vs. KlitikonKlitik, Klitikon, Klitika

Dass das Genitiv-sGenitiv-s im Deutschen einen anderen Status hat als im Englischen, lässt sich anhand der Daten in (1) versus (2) leicht verifizieren.1,2

(1)

a.

the king’s eloquence

 

b.

the King of Spain’s eloquence

 

c.

*the King’s of Spain eloquence

(2)

a.

die Eloquenz des Königs

 

b.

*die Eloquenz des König von Spaniens

 

c.

die Eloquenz des Königs von Spanien

An der Ausgangskonstruktion in (1a) und (2a) erscheint zunächst nichts ungewöhnlich – sowohl im Englischen als auch im Deutschen tritt das Genitiv-sGenitiv-s direkt im Anschluss an das Substantiv king bzw. König auf, welches genitivmarkiert werden soll.WortabfolgeGenitiv-sSaxon GenitiveApostroph3 Erweitert man king bzw. König jedoch zu King of Spain bzw. König von Spanien, fällt auf, dass sich die beiden Sprachen nun unterscheiden: Während das Genitiv-s im Englischen erst nach Spain auftreten darf (siehe (1b) vs. (1c)), muss es im Deutschen nach wie vor direkt an König angehängt werden (siehe (2b) vs. (2c)). Daraus kann man schlussfolgern, dass in den beiden Sprachen eine unterschiedliche Struktur zugrunde liegt.

Betrachtet man zunächst die deutschen Daten näher, so wird deutlich, dass das Genitiv-sGenitiv-s sowohl in (2a) als auch in (2c) an das einzelne Element König angehängt wird; im Englischen dagegen zeigt die Grammatikalität von (1b) plus die Ungrammatikalität von (1c), dass das englische Genitiv-s nicht an ein einzelnes Substantiv, sondern an die gesamte NominalphraseNominalphrase (NP) angehängt wird (siehe Darstellung in (3a)).DP-HypotheseWortartDeterminierer4

Hieraus können wir zunächst folgenden Schluss ziehen: Wenn dies für (1b) gilt, muss die richtige Analyse von (1a) ganz entsprechend aussehen – auch hier hängt das Genitiv-sGenitiv-s also in Wahrheit nicht direkt an king, sondern an der gesamten Phrase the king, wie in (3b) illustriert.

(3)

a.

[NP the King of Spain]’s eloquence

 

b.

[NP the king]’s eloquence

Die Darstellung in (3) zeigt recht klar, dass das Genitiv-sGenitiv-s keine besonders „enge Bindung“ zu king hat; tatsächlich scheint es so zu sein, dass dieses kleine Element lediglich irgendetwas zum „Anlehnen“ braucht, da es phonologischPhonologie gesehen nicht für sich alleine stehen kann – genau dies ist das charakteristische Merkmal sogenannter KlitikaKlitik, Klitikon, Klitika.

Das englische Genitiv-sGenitiv-s kann somit als EnklitikonEnklitika, enclitics identifiziert werden. Im Gegensatz dazu handelt es sich beim deutschen Genitiv-s nicht um ein KlitikonKlitik, Klitikon, Klitika; stattdessen liegt hier ein ganz normales FlexionssuffixSuffixFlexion vor, also ein AffixAffix, das ans Ende eines nominalen StammsStamm angehängt wird, um ein bestimmtes grammatisches Merkmal (in unserem Fall den Kasus) anzuzeigen. Daraus resultiert, dass die zugrunde liegenden Strukturen der Beispiele king’s vs. Königs aus (1a) bzw. (2a) sich grundlegend unterscheiden: Während im Englischen auf das Substantiv king das Enklitikon ’s folgt, also ein eigenes kleines Wörtchen, wird im Deutschen das Suffix -s an das freie MorphemMorphemfreiesKönig angehängt, wodurch ein neues, komplexesWort, komplexes Wort, nämlich Königs entsteht (vgl. (4)).

Die Bildung von king’s im Englischen spielt sich somit nicht in der MorphologieMorphologie ab, sondern in der SyntaxSyntax, wohingegen das deutsche Wort Königs durch den morphologischen Prozess der SuffigierungSuffigierung gebildet wird.

Definition SuffigierungSuffigierung

Morphologischer Prozess, bei dem ein SuffixSuffix (= dem WortstammWortstammStamm nachgestelltes AffixAffix) an eine BasisBasis, base angehängt wird (zur Basis siehe auch Kapitel 2.5). Affigierungen im Allgemeinen dienen entweder der DerivationDerivation oder der FlexionFlexion. Affigierungen zur Kasusmarkierung, wie das Genitiv-sGenitiv-s im Deutschen, sind ein klassischer Fall von Flexion.

Hier trägt die Orthographie also durchaus dazu bei, einen tiefergehenden strukturellen Unterschied zu verdeutlichen – denn was läge näher, als das nur lose und rein phonologischPhonologie mit dem Nachbarwort assoziierte englische KlitikonKlitik, Klitikon, Klitika lediglich mit einem ApostrophApostroph anzuhängen und das wortbildende FlexionssuffixSuffixFlexion im Deutschen dagegen nicht nur morphologisch, sondern auch orthographisch direkt in das Wort zu integrieren?

2.3Alles analog oder was? oder: Das Plural-s im Englischen

Bekanntermaßen tritt das -s im Englischen jedoch nicht nur als Genitiv-Markierung auf, sondern ist zudem die typische englische PluralendungPlural, was einen kurzen Vergleich der beiden Endungen interessant macht. Ein Blick auf die Daten in (5) (und der Vergleich mit (6)) verrät schnell, dass sich das Plural-s im Englischen anders verhält als das englische Genitiv-sGenitiv-s: Ist statt von einem König von mehreren Königen die Rede, so verbleibt das Plural-s direkt am modifizierten Substantiv, auch wenn king, wie in (5), Teil einer größeren NominalphraseNominalphrase ist.

(5)

a.

former kings of Spain (dt. frühere Könige von Spanien)

 

b.

*former king of Spains

(6)

a.

*the King’s of Spain eloquence (= (1c))

 

b.

the King of Spain’s eloquence (= (1b))

Insofern verhält sich das englische Plural-sPlural vielmehr wie das deutsche Genitiv-sGenitiv-s und kann somit als SuffixSuffix klassifiziert werden; angehängt an king führt die SuffigierungSuffigierung also lediglich zu einem komplexeren Wort bestehend aus dem WortstammWortstammStammking und dem gebundenen MorphemMorphemgebundenes-s (siehe (7) bzw. (4b)).

2.3.2Wie man sich täuschen kann oder: Wie die Kirsche zu ihrem Namen kam

Im Zusammenhang mit der PluralbildungPlural auf -s im Englischen sowie dem Prozess der Analogie ist ein kurzer Blick auf einen weiteren WortbildungsprozessWortbildungsprozess interessant, nämlich den der RückbildungRückbildung (engl. back formationback formation).

Definition RückbildungRückbildung (engl. back formationback formation)

Bei diesem WortbildungsprozessWortbildungsprozess werden neue Wörter dadurch gebildet, dass (vermeintliche) bekannte AffixeAffix von bereits existierenden Wörtern abgetrennt werden, in Analogie zu anderen existierenden Wortpaaren. Dies kann z. B. Substantive mit typischer nominaler Endung betreffen, durch deren Wegfall ein entsprechendes Verb (neu) gebildet wird (z. B. (to)edit, hergeleitet von editor mit der typischen nominalen DerivationsendungDerivation-or); siehe O’Grady 1996: 158f.

(10)

Beispiele zur RückbildungRückbildung

 

editor

→ (to) edit (dt. Herausgeber; herausgeben)

 

donation

→ (to) donate (dt. Spende; spenden)

 

Notlandung

→ notlanden

 

kaufen

→ Kauf

 

(zu den deutschen Beispielen siehe z. B. Bußmann 1990: 653)

Besonders interessant sind hierbei die Fälle von RückbildungRückbildung, die auf einer Missinterpretation des angeblich involvierten Affixes beruhen. Hier boten vor allem falsch identifizierte vermeintliche PluralmarkiererPlural im Laufe der Geschichte des Englischen öfter Anlass zum Schmunzeln (siehe z. B. McMahon 1994: 75; Campbell 1999: 102; O’Grady 1996: 158).

So lässt sich die heutige Form cherry (dt. Kirsche) beispielsweise auf das altfranzösischeFranzösisch Wort cheris zurückführen (cerise im heutigen Französisch). Da die altfranzösische Bezeichnung auf -s endete, ging man fälschlicherweise davon aus, dass dies ein Plural-sPlural sei; als das Wort im MittelenglischenMittelenglisch, Middle English in den englischen Sprachgebrauch überging, wurde die entsprechende Singularform somit via RückbildungRückbildung einfach durch Wegnahme des (falsch interpretierten) -s gebildet, das eigentlich zum WortstammWortstammStamm gehörte.Entlehnung, borrowingFranzösischMittelenglisch, Middle English1

Ein weiteres typisches Beispiel stellt die englische Bezeichnung für Erbse, pea, dar, die im AltenglischenAltenglisch noch pise (im Plural pisan) hieß. Auch hier wurde die Endung auf -s später fälschlicherweise als PluralendungPlural interpretiert, was nach erfolgter RückbildungRückbildung zur heutigen Singularform pea führte. Wie Campbell (1999) anmerkt, findet man in sehr wenigen Kontexten tatsächlich auch noch die alte Singularform auf -s, nämlich beispielsweise im Begriff pease porridge (dt. Erbsenbrei), was im darauf basierenden Kinderreim „Pease porridge hot, pease porridge cold“ immer noch vorkommt (wer sich über Erbsenbrei in Kinderliedern wundert, den möchten wir ermutigen, den Reim im Internet zu googeln und eine Vertonung anzuhören, Bilder dazu inklusive).