Moderne und Ambivalenz am Beispiel des Nationalsozialismus - Morten Vogt - E-Book

Moderne und Ambivalenz am Beispiel des Nationalsozialismus E-Book

Morten Vogt

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Beschreibung

Studienarbeit aus dem Jahr 2013 im Fachbereich Soziologie - Soziales System, Sozialstruktur, Klasse, Schichtung, Note: 1,7, Europa-Universität Flensburg (ehem. Universität Flensburg) (Institut für Gesellschaftswissenschaften und Theologie), Sprache: Deutsch, Abstract: Die Hauptfunktion von unserer Sprache ist das Benennen und Klassifizieren. Das Klassifizieren einer Sache in mehr als eine Kategorie erzeugt eine Unordnung. Diese Unordnung oder Mehrdeutigkeit nennt man Ambivalenz. Unordnung ist für den Menschen ein enormer Angstfaktor. Die Akzeptanz eine Sache, Handlung, Erfahrungen oder ähnliches nicht deuten zu können widerspricht dem Ziel einer modernen Gesellschaft. Eine moderne Gesellschaft versucht die Welt zu strukturieren. Eine solche Struktur lässt sich nur durch eine Klassifizierung erzeugen. Nichts soll dem Zufall überlassen werden, also muss der Zufall verbannt werden. Die Ambivalenz wird daher als Drohung wahrgenommen, weil es die Berechenbarkeit und die Ordnung der Welt zunichtemacht. Ambivalenz tritt immer dann ein, wenn eine Sache nicht klassifiziert oder mehrfach klassifiziert werden kann. Diese Unentscheidbarkeit führt unmittelbar zum Verlust der Kontrolle. Die Bestrebung nach Ordnung durch Klassifizierung ist paradoxerweise auch zugleich der Grund für Ambivalenz, da sich die Welt oder vielmehr die Natur nicht vollständig und vor allem nicht eindeutig Ordnen lässt (...) Diese Arbeit lenkt den Fokus auf das gesellschaftliche Phänomen "Ambivalenz" am Beispiel des Nationalsozialismus,insbesondere unter der Betrachtung der Juden als Fremde eines Nationalstaates.

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INHALT

 

Einleitung

Der moderne Staat

Oppositionen  - Das Außen und das Innen

Stigmatisierung

Beispiel am Fall der deutsche Juden

Assimilation

Der Holocaust

Antijüdische Gesetze und Verordnungen

Die Postmoderne

 

Einleitung

 

Die Hauptfunktion von unserer Sprache ist das Benennen und Klassifizieren. Das Klassifizieren einer Sache in mehr als eine Kategorie erzeugt eine Unordnung. Diese Unordnung oder Mehrdeutigkeit nennt man Ambivalenz.  Unordnung ist für den Menschen ein enormer Angstfaktor. Die Akzeptanz eine Sache, Handlung, Erfahrungen oder ähnliches nicht deuten zu können widerspricht dem Ziel einer modernen Gesellschaft. Eine moderne Gesellschaft versucht die Welt zu strukturieren. Eine solche Struktur lässt sich nur durch eine Klassifizierung erzeugen. Nichts soll dem Zufall überlassen werden, also muss der Zufall verbannt werden. Die Ambivalenz wird daher als Drohung wahrgenommen, weil es die Berechenbarkeit und die Ordnung der Welt zunichtemacht. Ambivalenz tritt immer dann ein, wenn eine Sache nicht klassifiziert oder mehrfach klassifiziert werden kann. Diese Unentscheidbarkeit führt unmittelbar zum Verlust der Kontrolle. Die Bestrebung nach Ordnung durch Klassifizierung ist paradoxerweise auch zugleich der Grund für Ambivalenz,  da sich die Welt oder vielmehr die Natur nicht vollständig und vor allem nicht eindeutig Ordnen lässt.

 

Klassifizierungen sind in diesem Sinne nichts anderes als Trennungen. Es ist das unaufhörliche Handeln der Ein- und Ausschließung. Das Einordnen einer Sache in eine bestimme Klasse bedeutet zugleich das Ausschließen einer anderen Sache, die eben nicht in diese Klasse gehört. Aus diesem Grund ist zur Klassifizierung ein Gewaltakt notwendig.

 

„Ambivalenz ist ein Nebenprodukt der Arbeit der Klassifikation; und sie verlangt nach immer mehr Bemühungen um Klassifikation. Obgleich sie dem Drang zu benennen/klassifizieren entstammt, kann Ambivalenz nur durch Benenen bekämpft werden,[..]“[1]

 

Alle Bemühungen zur Bekämpfung der Ambivalenz sind daher unaufhaltsam und führen letztendlich zur Selbstzerstörung.

Zygmunt Baumann beschreibt die Aufgabe der Ordnung als eine von vielen unmöglichen Aufgaben, die sich die Moderne selbst gestellt hat.[2] Der Begriff der Ordnung selbst ist wie alles andere eine Klassifizierung und Benennung. Der Begriff Ordnung impliziert dessen Gegenteil nämlich Chaos und dessen Ausschluss. Um Ordnung als etwas Positives darzustellen muss dessen Gegenteil, das Chaos, als Negativität der Ordnung  verstanden werden. Auch hier stellt sich jedoch die Absurdität heraus, dass eine Sache ohne seine Negation überhaupt nicht positiv wahrgenommen werden kann. Eben solche Dualität erzeugt die Klassifizierung in der Moderne in unvorstellbarem Ausmaß. Um die Welt zu ordnen muss der Mensch es schaffen die Natur zu bezwingen. Soll heißen er muss über der Natur stehen und diese Beherrschen können. Nur durch diese Herrschaft über die Natur kann ein für die Gesellschaft angepasster Lebensraum entstehen, in dem eine künstliche Natürlichkeit definiert werden kann. Hierzu gehört der Kampf gegen alles, was nicht definiert werden kann.

 

Der moderne Staat

 

Um in einer modernen Gesellschaft Ordnung zu schaffen, bedarf es einem modernen Staat, der sich die Legitimation bzw. die Macht zuspricht, um die Gesellschaft in eine ordentliche Gesellschaft zu überführen. Hierzu ist es die Aufgabe des Staates das Chaos innerhalb der Gesellschaft zu beseitigen. Zygmunt Baumann vergleicht den Staat als eine Art „Gärtner“ der die Bevölkerung in „Unkraut“ und nützliche „Pflanzen“ unterteilt.[3] Das Instrument zur Zielumsetzung der vollständigen Eliminierungen aller chaosbringenden Faktoren war und ist die Wissenschaft. Statistiken helfen Probleme messbar zu machen, andere Wissenschaften entwickeln Lösungsmethoden für erkannte Probleme und unter der Annahme vernünftig zu handeln werden die Bekämpfungen der Probleme legitimiert. Was historisch rückblickend betrachtet beispielsweise in Hinblick auf die Eugenik bestialisch wirkt, war im Ursprung lediglich der Wunsch einer positiven und kontrollierten  Ordnung der Welt.

 

„Die moderne Wissenschaft entstand aus dem überwältigenden Ehrgeiz, die Natur zu besiegen und sie menschlichen Bedürfnissen unterzuordnen.“[4]

 

Oppositionen  - Das Außen und das Innen

 

Wie bisher beschrieben erzeugt die Klassifizierung eine Trennung. Die Herrschaft einer modernen Gesellschaft ist die Herrschaft einer Homogenen Gruppe, eine Herrschaft von Freunden. Ebenso wie die Ordnung bedarf es zur Definition von Freunden auch der Definitionen von Feinden. Freunde und Feinde bilden die Oppositionen einer modernen Gesellschaft. Die Voraussetzung für Freundschaft ist die Kooperation. Freundschaft wäre nicht denkbar, wenn die Existenz einer Feindschaft nicht bekannt wäre. Jeder, der sich selbstlos um das Wohlergehen des anderen sorgt, ist ein Freund des anderen. Jeder andere, der diese Fürsorge  nicht wahrnimmt, gilt als Feind. Die Freund-Feind-Opposition macht eine Gesellschaft erst aus. Durch die Zuordnung Freund oder Feind kann der Einzelne sich definieren. Er kann Freund und Feind wählen und anerkennen. Das Bewusstsein von Feinden stärkt die Gesellschaft unter Freunden. Der Gegensatz von Freund und Feind wird daher zwangsweise geduldet, da er  überhaupt erst das Zusammenspiel ermöglicht. Neben den Freunden und Feinden gibt es jedoch auch noch den Fremden. Der Fremde gilt als höchste Bedrohung der Vergesellschaftung. Die Unmöglichkeit den Fremden als Feind oder Freund einzuordnen, stellt die Freund –Feind-Opposition vor ein Dilemma. Mit dem Eintritt der Fremden kommt das Außen nach Innen. Dies macht den Kampf gegen das Chaos unmöglich und erzeugt  Angst. Jede Form der sozialen Gruppierungen wie beispielsweise die Nationalstaaten vergemeinschaften Freunde und Feinde und erzeugen das Ziel den oder die Fremden zu entfernen. Ein Nationalstaat dehnt seine Herrschaft territorial aus. Dies führt zwangsweise dazu, dass Freundschaften erzwungen werden müssen und rechtfertigt damit auch eine gewaltsame  Umsetzung. Zur Umsetzung bedarf es den Freund als  Einheimischen zu definieren. Innerhalb des Nationalstaats herrscht damit eine Gleichstellung der zu beherrschenden Freunde und vor allem eine Homogenität.

 

„[…] Nationalstaaten fördern die Gleichförmig. Nationalismus ist eine Religion der Freundschaft; der Nationalstaat ist die Kirche, die die künftigen Herde zwingt, den Kult zu praktizieren. Die staatlich erzwungene Homogenität ist die Praxis der nationalistischen Ideologie.“ [5]

 

Die Begeisterung für den Nationalstaat entstammt daher dem Glauben an diese Zielumsetzung.

Wäre der Nationalstaat imstande, sein Ziel zu erreichen, gäbe es in der Lebenswelt der in Einheimische verwandelten Bewohner, die ihrerseits wiederum in Patrioten verwandelt worden sind, keine Fremden mehr.“ [6]

 

Die Schwierigkeiten in der Umsetzung bereiten jedoch die Fremden, die sich gegen eine eindeutigen „Wir-Ihr-Einteilung“ weigern. Sie versuchen mit aller Macht ihre Unbestimmtheit aufrechtzuerhalten. Aus diesem Grund wächst der Umfang von Fremden mit jeder Vergesellschaftung. Um dem entgegenzuwirken brauchte man Sozialtechniken, die ein Zusammenspiel mit den Fremden ermöglichen.

 

Stigmatisierung

 

Sofern sich Fremde nicht entfernen lassen bleibt nichts anderes übrig als ein Zusammenleben zu organisieren. Um die Gefahr jedoch bestmöglich einzugrenzen, muss eine kulturelle Grenze gezogen werden. Der Fremde wird damit  geduldet, soll sich aber stets bewusst sein, dass er nicht dazu gehört. Doch diese kulturelle Grenze macht eben gerade immer wieder auf den Fremden aufmerksam und hält somit auch letztendlich die Angst vor dem Fremden aufrecht. Durch sogenannte Stigmas werden die Fremden charakterisiert. Bestimmte Eigenschaften, die normalerweise nicht auffallen, werden in den Vordergrund gestellt, damit der Freund stets vor dem Fremden gewarnt sei. Die Stigmas sorgen damit für eine klare Differenzierung. Da der Fremde nach wie vor eine Bedrohung darstellt, ist es ein gemeinsames Bestreben den Fremden immer wieder neu als Freund oder Feind definieren zu können. Er wird daher immer wieder neu interpretiert. Um dem Fremden überhaupt zu einem Freund oder Feind machen zu können, muss diesem natürlich auch Gelegenheit dazu gegeben werden. Aus diesem Grund bietet man oder vielmehr zwingt man ihm die sogenannte Assimilation an bzw. auf. Man erwartet, dass der Fremde beweist, dass er seine alten schändlichen Attribute ablegt. Die Möglichkeit seine alten Eigenschaften abzulegen und   Freund oder Feind zu werden, ist eine nicht erfüllbare Aufgabe. Der Fremde wird immer Fremder bleiben. Der Fremde steckt somit in einer ihm aufgezwungen Ambivalenz fest.

 

„Der Fremde kann die einheimische Kultur so, wie sie, nicht annehmen, ohne zuerst zu versuchen, einige ihrer Vorschriften zu revidieren; unter Umständen sogar solche, die für das Gefühl der Sicherheit und Selbstgewißheit der Einheimischen entscheidend sind. Die Kultur definiert ihn als Ungläubigen und schließt ihn aus[…]“ [7]

 

Alle Bemühungen zu assimilieren scheitern somit. Die Anwesenheit der Fremden wird dadurch immer präsenter und hält die scheinbare Bedrohung durch den Fremden aufrecht.

 

Der Fremde wird zudem verstärkt als Bedrohung angesehen, weil der Einheimische neidisch und erschreckt zugleich feststellt, dass der Fremde frei wählen kann, ob er zur Assimilation bereit ist oder eben nicht.

 

„Die Strategie, die sich auf das Assimilationsangebot einläßt, hat deshalb ihre inneren Grenzen, wie das Angebot selbst. In der Regel ist sie selbstzerstörerisch; wenn überhaupt, dann macht sie die Fremdheit des Fremden noch aufdringlicher und quälender“ [8]

 

Beispiel am Fall der deutsche Juden

 

Die Geschichte der Juden stellt ein Paradebeispiel für die soziologischen Theorien der  modernen Assimilationen dar, weil die Juden in  fast jeder sich modernisierenden Gesellschaft dem Assimilationsdruck ausgesetzt waren. Bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges rühmten sich die Juden mit Wohlstand und Reichtum.[9] Der Fall der deutschen Juden bietet der Soziologie außerdem eine optimale Möglichkeit der Analyse, da die Juden ihre eigene Geschichte sehr stark dokumentiert haben. Beginnend mit der französischen Aufklärung gefolgt von der französischen Revolution entstand ein Universalisierungsehrgeiz der entstehenden Nationalstaaten, der große Schwierigkeiten verursachte. [10] Bis dato war es schlichtweg Tatsache, dass die Juden sich von der restlichen Bevölkerung unterschieden. Diese Tatsache fiel erst mit dem Prozess der Universalisierung negativ auf. Auf einmal war die kommunale Autonomie der Juden den Herrschenden des Nationalstaats ein Dorn im Auge und erzeugte ein Verlangen die Juden zu eliminieren. Es entstand ein kultureller Kampf mit dem Ziel eine Gleichförmigkeit im Staat zu schaffen. Dieser Prozesse erzeugte und legitimierte das Gesetzgebungs-und Gewaltmonopol der Staatsgewalt. Die damaligen Juden insbesondere die Reichen und Gebildeten unter Ihnen unterstützen dieses Ziel, da auch sie an die Vollkommenheit eine gleichförmigen nationalen Kultur durch die Aufhebung kultureller Verschiedenheiten glaubten. Die damit entstehende Frustration war nicht abzusehen. Um die Gleichförmigkeit herzustellen standen die Juden nun unter dem Assimilationsdruck und mussten beweisen, dass sie ihre eigene Kultur ablegten und zu einheimischen werden würden. Eben diese Emanzipation machte jedoch das Anderssein deutlich.

 

Je lauter er seine Emanzipation vom Judentum bekannte, desto deutlicher trat sein Judentum hervor. […]Das Zurschaustellen der assimilatorischen Leidenschaft wurde als überzeugendster Beweis für seine jüdische Identität wahrgenommen.[11]

 

Die sich immer wiederholenden Ablehnung führte das Judentum ein einen Zustand der Einsamkeit. Die deutschen Juden verloren die Hoffnung, dass sie jemals als Einheimische anerkannt würden. Ein bitterer Beigeschmack war die Tatsache, dass die Juden keinen Rückzugsort hatten. Sie waren heimatlose Umhertreibende, die, ob sie es wollten oder nicht, keine Möglichkeit hatten aus dem Assimilationsdruck herauszukommen. Ein Weiterziehen in ein anderes Land hätte zur damaligen Nationalstaatbewegung wiederum zum Assimilationszwang unter anderen Einheimischen geführt. Aus der vormodernen Absonderung war nun eine verstärkte Form der Entfremdung geworden.

 

„Die Akkulturation gliederte die Juden nicht in die deutsche Gesellschaft ein, sondern transformierte sie in eine abgesonderte.“ [12]