Modernekonzepte im expressionistischen Drama - Thomas Müller - E-Book

Modernekonzepte im expressionistischen Drama E-Book

Thomas Müller

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Beschreibung

Examensarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,3, Universität des Saarlandes (Germanistik), Sprache: Deutsch, Abstract: In dieser Arbeit werden Dramen des Expressionismus von der Frage ausgehend betrachtet, wie sie mit den Phänomenen der Moderne umgehen. Wie stellen sie Moderne dar, wie bewerten sie sie, aber zunächst: Was ist überhaupt Moderne? Am Beginn der Untersuchung steht daher der Versuch, eine Terminologie zu entwickeln, welche die verschiedenen Aspekte der Moderne erfasst. Nach einem kurzen Überblick über die bisherige Forschung zum Thema Expressionismus und Moderne werden die untersuchten Dramen im Folgenden auf deren Darstellung und Bewertung von Moderne hin betrachtet. Im folgenden Kapitel sollen die Gegenentwürfe zur Moderne betrachtet werden, die in den Dramen präsentiert werden. Der Abschluss der Untersuchung wird von der Frage bestimmt, welche Rolle die Autoren für sich selbst sehen und welche Rolle sie in ihren Entwürfen spielen. Zusammenfassend lautet die Grundfragestellung also: Welche Konzepte von Moderne finden sich im Drama des Expressionismus? Die Grundannahme der hier vorliegenden Betrachtung lautet, dass Literatur immer auch eine Reaktion auf ihr gesellschaftliches Umfeld ist, und dass dieses Umfeld der Moderne über einen großen Zeitraum ähnliche Fragen aufwirft, die beantwortet werden wollen. Weiterhin wird angenommen, dass sich die Fragen der Menschen zur Zeit des Expressionismus zwar in ihren Ausprägungen von den Fragen der heutigen Zeit unterscheiden, sie aber die essenzielle Gemeinsamkeit haben, dass sie sich aus Phänomenen der Moderne ergeben. Wenn die Grundfragen also die gleichen sind, so lassen die Antworten, die verschiedene Zeiten auf sie gefunden haben, sichnicht zur zum Auffinden von Gemeinsamkeiten und Unterschieden vergleichen, sondern auch zum Infragestellen oder Schärfen der eigenen Position.

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Inhaltsverzeichnis
1 EINLEITUNG
2 MODERNE
2.1 Vorüberlegung: Semantik
2.2 Zeitliche Einordnung
2.3 Ästhetische und gesellschaftliche Moderne
2.4 Merkmale der gesellschaftlichen Moderne
4.2 Lebenswelt
4.3 Denken und Bewusstsein
5.1 Apokalyptische Muster
5.2 Die Vormoderne als Ausweg
6 ZUM SELBSTBILD DER AUTOREN
8 LITERATURVERZEICHNIS
8.1 Primärliteratur
8.2 Sekundärliteratur

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EINLEITUNG 3

1 Einleitung

Was wird das beste? Nicht aufzutauchen und in den Sturm verschleppt zu werden, der an die Küsten fährt. Da brüllt Tumult und zerrt uns in die Raserei des Lebens. Angetriebene sind wir alle - Ausgetriebene von unserm Paradies der Stille. Losgebrochene Stücke vom dämmernden Korallenbaum - mit einer Wunde vom ersten Tag an. Die schließt sich nicht - die brennt uns - unser fürchterlicher Schmerz hetzt uns in die Laufbahn!1

Aus der Passage aus Georg Kaisers DramaDie Koralleschlägt dem Leser eine Mischung aus Schmerz, Angst und Verlustgefühl entgegen. Losgerissen vom Ganzen treibt das Subjekt dort in der unberechenbaren Strömung seiner Umwelt umher, verletzt und verloren. Man könnte das Bild leicht umkehren und die Freiheit des unendlich scheinenden Meeres mit seinen unbegrenzten Möglichkeiten loben, es von der bedrückenden Enge des Korallenbaums abgrenzen. Die Frage, warum Georg Kaiser das nicht tut, sondern sich für die negative Variante entscheidet, führt direkt zum Thema dieser Arbeit. Zu viel Freiheit kann verängstigen; wenn ein Seiltänzer nach unten schaut und ihn Schwindel befällt, wird er wohl kaum die luftige Freiheit seiner Situation preisen, sondern sich festen Boden unter den Füßen zurückwünschen. Ähnlich verhält es sich offensichtlich mit der Moderne, die dem Subjekt den soliden Boden einer einheitlichen, allumfassenden Sicht auf seine Umwelt nimmt und es auf sich selbst zurückwirft. Dieser Analogie folgend, wären die Seiltänzer, die mit ihrer Freiheit nicht nur zurechtkommen, sondern mit ihr spielen, in dem zu suchen, was in Philosophie und den Künsten Postmoderne genannt wird. Bis dorthin lassen sich hauptsächlich Beispiele dafür finden, dass die Freiheit der Moderne auch als mangelnder Halt interpretiert werden kann, aus dessen luftigen Höhen man sich zurück auf die Geborgenheit eines sicheren Bodens wünscht.

Kaiser, Georg: Werke. 5 Bde. Hrsg. von Walther Huder. Frankfurt/M.: Propyläen-Verlag1

1971. Bd. 1, S. 711. Im Folgenden werden Zitate aus dieser Ausgabe mit dem SigleKaisersowie der Angabe von Band und Seitenzahl gekennzeichnet.

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In dieser Arbeit sollen Dramen des Expressionismus aus der Fragestellung heraus betrachtet werde, wie sie mit den Phänomenen der Moderne umgehen. Wie stellen sie Moderne dar, wie bewerten sie sie, aber zunächst: Was ist überhaupt Moderne? Am Beginn der Untersuchung steht daher der Versuch, eine Terminologie zu entwickeln, welche die verschiedenen Aspekte der Moderne erfasst. Nach einem kurzen Überblick über die bisherige Forschung zum Thema Expressionismus und Moderne werden die untersuchten Dramen im Folgenden auf deren Darstellung und Bewertung von Moderne hin betrachtet. Analog zum obigen Bild lautet die Frage in diesem Kapitel also, ob die Autoren der Texte auf dem Seil tanzen oder sich daran festklammern und sich stattdessen festen Boden unter den Füßen wünschen. Wie dieser Boden überhaupt beschaffen sein könnte, wird im darauffolgenden Kapitel zu betrachten sein, in dem Gegenentwürfe zur Moderne untersucht werden, die in den Dramen präsentiert werden. Der Abschluss der Untersuchung wird von der Frage bestimmt, welche Rolle die Autoren für sich selbst sehen und wer überhaupt den Stoff produzieren könnte, aus dem ein neuer, sicherer Boden beschaffen sein müsste. Zusammenfassend lautet die Grundfragestellung also: Welche Konzepte von Moderne finden sich im Drama des Expressionismus? Der Titel dieser Arbeit spricht vondemexpressionistischen Drama und enthält damit eine Verallgemeinerung. Bei der Textauswahl ist daher darauf zu achten, dass eine solche Verallgemeinerung auch plausibel gemacht wird, wozu sich vor allem bekannte Texte wichtiger Autoren anbieten. Somit fiel die Wahl auf kanonische Texte des Expressionismus, allen voran die expressionistischen Stationendramen schlechthin, Georg KaisersVon morgens bis mitternachtsund Ernst TollersDie Wandlung.Zudem werden KaisersDie Bürger von Calaissowie dessenGas-Trilogie,TollersMasse Menschsowie Walter HasencleversDer Sohnauf ihre Auffassungen von Moderne hin untersucht. Diese Textauswahl erlaubt nicht nur eine verallgemeinernde Ausweitung der aufgestellten Thesen auf das gesamte Drama des Expressionismus, sondern bietet einen weiteren Vorteil: Bei allen hier untersuchten Dramen handelt es sich um Werke, die von der Forschung umfangreich und tiefgreifend betrachtet wurden. Gerade da-

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EINLEITUNG 5

durch wird die Anwendung eines neuen Blickwinkels interessant, da Unterschiede zu bisherigen Interpretationen deutlich zum Vorschein kommen. Die Grundannahme der hier vorliegenden Betrachtung lautet, dass Literatur immer auch eine Reaktion auf ihr gesellschaftliches Umfeld ist, und dass dieses Umfeld der Moderne über einen großen Zeitraum ähnliche Fragen aufwirft, die beantwortet werden müssen. Weiterhin wird angenommen, dass sich die Fragen der Menschen zur Zeit des Expressionismus zwar in ihren Ausprägungen von den Fragen der heutigen Zeit unterscheiden, sie aber die essenzielle Gemeinsamkeit haben, dass sie sich aus Phänomenen der Moderne ergeben. Wenn die Grundfragen also die gleichen sind, so lassen die Antworten, die verschiedene Zeiten auf sie gefunden haben, sich nicht zur zum Auffinden von Gemeinsamkeiten und Unterschieden vergleichen, sondern auch zum Infragestellen oder Schärfen der eigenen Position.2

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2 Moderne

Der BegriffModerneund, in noch größerem Maße, dessen Adjektivmodernwerdenzwar einerseits von den meisten Menschen intuitiv verstanden und verwendet, zeichnen sich aber trotzdem - oder gerade deshalb - durch eine begriffliche Unschärfe aus und entziehen sich so einer einfachen Definition. Im Rahmen dieser Arbeit wird es weder möglich noch nötig sein, eine umfassende Definition des Begriffs Moderne vorzulegen. Ziel dieses Kapitels ist es vielmehr, eine möglichst klare begriffliche Grundlage in Form eines Arbeitsbegriffs zu schaffen, auf dessen Basis die Analyse der einzelnen Werke aufbauen kann.

2.1 Vorüberlegung: Semantik

Der Begriff der Moderne ist nicht nur unscharf, er ist auch stark an den jeweiligen Blickpunkt gebunden und kann, aus verschiedenen Perspektiven betrachtet, sogar völlig gegensätzliche Bedeutungen annehmen. Wenn ein Industrieller im späten 19. Jahrhundert seine Fabrik modernisieren wollte, verstand er darunter, dass die Arbeiter sich dem Rhythmus der neuen Produktionsmaschinen anpassen mussten. Wird heute eine Fabrik modernisiert, so wird die Arbeitsmethode hingegen so weit wie möglich den Bedürfnissen des Menschen angepasst.3Schon dieses einfache Beispiel zeigt Probleme bei der Definition des Begriffs Moderne.

Bei der Annäherung an einen so schwierigen und unscharfen Begriff ist es meist ein sinnvoller erster Schritt, sich seinen semantischen Kern klarzumachen und von dort aus weitere Bedeutungsebenen zu erschließen. Im Fall der Moderne lassen sich drei unterschiedliche Grundbedeutungen ausmachen, die sich je nach Verwendung überschneiden können und die sich jeweils über gegensätzliche Begriffspaare verdeutlichen lassen4: Die erste Bedeutungsmöglichkeit erschließt sich aus dem Gegensatz zwischen Gegenwart und Vergangenheit,

Vgl. Valade 2001: S. 9939.3

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wobei das Moderne die jeweilige Gegenwart eines lange bestehenden Konzeptes oder einer Institution darstellt. Ein Beispiel für diese Verwendung ist die alljährlich wiederkehrende Sommermode, die immer wieder neu sein und sich gegen das Vergangene, schon da gewesene abgrenzen muss. Die zweite Bedeutungsmöglichkeit ist im Begriffspaar neu und alt präsent - für diese Verwendung muss die eigene Gegenwart von einer als homogen empfundenen Epoche abgegerenzt werden. Gerade diese Abgrenzung ist in der dritten Bedeutungsmöglichkeit nicht mehr gegeben. Hier lautet das Begriffspaar transitorisch und ewig; eine Verwendung, die davon zeugt, dass die Gegenwart als so schnell vorübergehend gesehen wird, dass sie nicht mehr klar von einer homogenen Vergangenheit abgegrenzt werden kann. Als ihr als Gegenpol des Jetzt kann nur noch die Ewigkeit gestellt werden, die weder Anfang noch Ende besitzt.5

Während die erste Bedeutungsmöglichkeit relativ unabhängig von den beiden anderen ist und sich ihre Bedeutung kaum verändert hat, kann man an-hand der Möglichkeiten zwei und drei einen geistesgeschichtlichen Wandel ausmachen. Wird der Begriffmodernim Sinne eines Neuen und im Gegensatz zu einem Alten verwendet, so impliziert er nicht nur Homogenität der vergangenen Epochen, sondern auch das Verständnis einer Gegenwart mit unbestimmtem Ende.6Wie bereits festgestellt, setzt die dritte Möglichkeit voraus, dass eine solche, einfache Unterscheidung nicht mehr möglich ist. Die Unmöglichkeit einer solchen Unterscheidung hat zweierlei Gründe: zum einen ist das Gefühl der Beschleunigung zu nennen, das es nicht mehr erlaubt, die eigene Gegenwart als homogene Realität mit zeitlich offenem Ende zu sehen, zum anderen die Selbstreflexion, die keine einfache qualitative Wertung zwischen alt und neu mehr zulässt, da die eigene Gegenwart immer auch als Vergangenheit einer zukünftigen Gegenwart gesehen werden muss.

Die zweite Bedeutungsmöglichkeit kann hierbei als vorausgehender erster Schritt in diese5

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Diese beiden Aspekte enthalten bereits vieles von dem, was die gängigen Definitionsversuche seitens der Literaturwissenschaft betonen, wenn sie Moderne beschreiben. Außerdem schärft die Unterscheidung zwischen den drei Bedeutungsmöglichkeiten den Blick dafür, welche Modernebegriffe für den hier zu unternehmenden Versuch, eine begriffliche Grundlage zu schaffen, herangezogen werden können. Das ist auch dringend nötig, schließlich existiert mit dem Adjektivmodernusschon seit dem sechsten Jahrhundert nach Christus eine Form des Begriffes,7der seither in vielen Schattierungen zwischen den drei Bedeutungsmöglichkeiten gebraucht wurde. Die bisher gewonnenen Erkenntnisse erlauben es allerdings, die dritte Möglichkeit als diejenige zu identifizieren, die dem Verständnis der Literaturwissenschaft von Moderne am genauesten entspricht.

2.2 Zeitliche Einordnung

Wann die Moderne beginnt und wann sie endet - sofern sie das überhaupt tutwar in der Literaturwissenschaft lange Zeit umstritten. Vom Beginn der Neuzeit8bis zum späten 19. Jahrhundert kann man eine Vielzahl von Datierungs-vorschlägen finden. Ebenso unterschiedliche Meinungen finden sich auch bei der Frage nach dem Ende der Moderne, für das sich Angaben von 1920 bis zu einem offenen Ende finden lassen, das die Moderne bis in die heutige Zeit und noch darüber hinaus reichen lässt. Diese großen Unterschiede deuten darauf hin, dass hier nicht nur die üblichen Datierungsprobleme vorliegen, die für alle Epochen bestehen, sondern grundlegend verschiedene Vorstellungen darüber, was man unter einer Epoche der Moderne zu verstehen hat. Kemper schlägt in diesem Zusammenhang vor, zwischen einem Verständnis der Moderne als Mikroepoche und dem als Makroepoche zu unterscheiden:9Während die Mikroepoche der Moderne eine abgeschlossene literarische Epoche um 1900 bezeichnet und sehr stark an einen Stil- und

Vgl. Blamberger 1978: S. 620.7

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Programmbegriff gebunden ist, bezeichnet die als Makroepoche verstandene Moderne einen „Langzeitzusammenhang […], der die eigene Gegenwart noch einschließt und historisch dort beginnt, wo Grundprobleme und Strukturen des eigenen Gegenwartsbewusstseins entstehungsgeschichtlich ihre Wurzeln haben“.10Die Gegenwartsoffenheit der letzteren Lesart erscheint zunächst als Problem, da sie eine Kohärenz anzudeuten scheint, die wohl nicht vorhanden ist - besonders die Diskussion um eine Postmoderne legt nahe, dass es in gewisser Hinsicht problematisch wäre, die Moderne als eine große und bis in die Gegenwart reichende Einheit zu sehen. Gerade sie soll schließlich durch die Postmoderne überwunden werden. Sieht man die Makroepoche Moderne allerdings nicht als strikte Ordnungskategorie, sondern eher als hermeneutische Hilfskonstruktion, dann fallen doch mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede auf. Kemper weist zudem darauf hin, dass sowohl Moderne als auch Postmoderne „gegenwartsoffene Modernebegriffe [darstellen], wobei jeweils andere Problem- und Traditionsstränge als für die eigene Gegenwart relevant ausgewiesen werden“.11

Schwieriger als das Ende der Moderne ist bezüglich deren Datierung ihr Anfang. Dabei hat sich nach einer Diskussion darüber, ab wann und durch Erfüllung welcher Kriterien der Zustand der Moderne gegeben sei, inzwischen der Konsens gebildet, ihren Beginn um das Jahr 1800 zu veranschlagen. Innerhalb der Literaturwissenschaft konzentrieren sich systemtheoretische, problemgeschichtliche sowie produktions- und rezeptionstheoretische Ansätze auf diese Zeit als Geburtsstunde der Moderne, und auch interdisziplinär hat sich diese Datierung durchgesetzt. Mit ihr stimmt der philosophiehistorische Modernebegriff von Habermas ebenso überein wie Luhmanns soziologischer.12Auch Koselleck spricht in der Einleitung zum LexikonGeschichtliche Grundbegriffevon einer „Sattelzeit“13um 1800, in der ein tiefgreifender Umruch in Richtung Moderne stattfand.

10Kemper, Das Wort, 2003, 161-202@161

11Ebd.: S. 164.

12Vgl. ebd.: S. 166.

13Koselleck 1972: S. XV.

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Eine solche Datierung ist besonders durch zwei sehr unterschiedliche Revolutionen gerechtfertigt: die Französische und die Industrielle.14Erstere führte zu einem Einstellungswandel, indem sie zum einen durch die Abschaffung des Gottesgnadentums einen Weg der Säkularisierung aufzeigte und zum anderen zeigte, dass bis dahin unumstößlich geglaubte Gegebenheiten nicht unveränderlich waren.15Ohne göttlichen Plan und ohne eine als unveränderbar gedachte Tradition ist der Mensch auf sich alleine gestellt und kann sich ohne diese Instanzen nur noch auf sich selbst berufen - hier kommt ein weiteres Element der Moderne zum Tragen: die Selbstreflexivität, die in einer solchen Situation notwendig wird. In der anderen, der Industrielle Revolution, verdichten sich etwa zur gleichen Zeit schon vorher wahrnehmbare Wirkungen eines wissenschaftlichen und technischen Fortschritts zu einer Beschleunigung, die auch von den Zeitgenossen deutlich wahrgenommen wird.16Die beschriebenen Tendenzen um die Wende zum 19. Jahrhundert bedeuten eine stärkere Orientierung an der Zukunft und machen es plausibel, den Beginn der Moderne dort zu datieren. Das entspricht auch der Wahrnehmung der Menschen dieser Zeit: wie Koselleck betont, gab es in gebildeten Kreisen ein Bewusstsein, an einer Schwelle zu stehen, wohingegen bis ins „17. Jahrhundert hinein […] vorausgesetzt wurde, daß sich bis zum Weltende nichts prinzipiell Neues mehr ereignen könne“.17

Aufgrund der bisher erarbeiteten Erkenntnisse soll die Moderne im Folgenden übereinstimmend mit Kemper als Makroepoche gedeutet werden, die um die Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert beginnt und die Phänomene beschreibt, welche bis in die heutige Zeit andauern.

14Vgl. Waters 1999: S. XIII.

15Vgl. Klinger 2002: S. 129.

16Vgl. ebd.

17Koselleck 1987: S. 274.