Möglichkeiten und Grenzen des Sports bei Adipositas - Nico Scheibelhut - E-Book

Möglichkeiten und Grenzen des Sports bei Adipositas E-Book

Nico Scheibelhut

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  • Herausgeber: GRIN Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2008
Beschreibung

Examensarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Sport - Sportmedizin, Therapie, Ernährung, Note: 1,0, Georg-August-Universität Göttingen, Sprache: Deutsch, Abstract: "Dem Menschen, der Nahrung zu sich nimmt, kann es nicht gut gehen, wenn er nicht gleichzeitig seinen Körper durch sportliche Ertüchtigung beansprucht.“ (Hippokrates von Kós, 460-370 v. Chr.) „Essen ist ständig um uns herum: auf der Straße, im Fernsehen, bei unseren Freizeitaktivitäten – überall ist es ein Thema. Eigentlich kein Problem, solange sich Essen und Bewegung die Waage halten. Da wir uns aber immer weniger bewegen und mehr essen, entsteht ein Ungleichgewicht.“ (Bundesverbraucherministerin Renate Künast, Mai 2004) Als die Bundesregierung am 09.05.2007 Fit statt fett, den viel beachteten 5-Punkte-Plan gegen Fettleibigkeit, vorlegte, ging es um eine Thematik, die seit Hippokrates - seit 2500 Jahren also - die Fachwelt beschäftigt. Bei genauerem Hinsehen wird allerdings deutlich, dass die Regierungskoalition auf eine gesundheitliche Entwicklung reagieren musste, die es vor 20 Jahren noch nicht gab: Rund 2 Drittel der Männer und 53% der Frauen in Deutschland gelten als zu dick. Es sind aber auch schon 15 % der 3 bis 17 Jahre alten Kinder übergewichtig, 6,3 % sogar fettleibig. Im Vergleich mit den Jahren 1985 bis 1999 hat der Anteil der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen laut einer Studie des Robert Koch Instituts aus dem Jahre 2006 um die Hälfte zugenommen. Bei Fettleibigkeit registrierte man sogar eine Verdoppelung. (Vgl. JOURNAL MED, 2007) Da mit dieser rasanten Entwicklung jährlich viele Milliarden Euro an Kosten verbunden sind, muss nun ein Nationaler Aktionsplan her, mit dem die Bundesregierung bis zum Jahr 2020 das Übergewicht der Deutschen bekämpfen will. Denn man ist vor allem zu der Erkenntnis gelangt, dass „in unserer Gesellschaft zu wenig Bewegung im Alltag stattfindet“ (SZ, 2007b). (Vgl. SZ, 2007b) Verbraucherminister Seehofer und Gesundheitsministerin Schmidt schlagen vor, neben einem Schulfach Ernährung eine Mindestanzahl von 3 Sportstunden an Schulen festzulegen. Für Ganztagsschulen ist mittelfristiges Ziel sogar die tägliche Sportstunde. Außerdem sollen finanziell schlechter gestellte Familien bei der Deckung von Vereinskosten staatliche Unterstützung erhalten. Bedauerlicherweise handelt es sich bei diesem Programm nicht um gesetzlich verankerte Maßnahmen, sondern lediglich um Vorschläge. (Vgl. TAGESSCHAU, 2007b) Auf dem Hintergrund dieser aktuellen politischen Vorgänge dürfte es also lohnenswert sein, sich eingehend mit der Frage zu befassen: Welche Möglichkeiten und welche Grenzen hat Sport bei Adipositas?

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Inhaltsverzeichnis

 

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2. Ausprägungsformen überdurchschnittlich hohen Gewichts

2.1. Methoden zur Bestimmung des Körperfettanteils

2.1.1 Direkte Messmethoden

2.1.2. Indirekte Messmethoden

3 Epidemiologie und Prävalenz von Übergewicht und Adipositas

4. Ätiologie der Adipositas

4.1. Ernährung und Adipositas (Alimentäre Adipositas)

4.1.1 Der Energieverbrauch

4.1.2 Regulation von Appetit und Sättigung

4.1.3 Verzehrhäufigkeit und -menge einzelner Lebensmittel

4.1.4 Portionsgrößen

4.1.5 Wandel der Mahlzeitentradition und die Folgen

4.2. Psychosoziale Ursachen

4.2.1 Familie

4.2.2 Freizeitgestaltung und Medienkonsum

4.3. Körperliche Aktivität

4.3.1 Bewegungsmangel

5 Persistenz von Adipositas

6. Folgen der Adipositas

6.1. Physische Folgekrankheiten

6.1.1 Metabolisches Syndrom

6.1.2 Diabetes Mellitus Typ 2

6.1.3 Kardiovaskuläre Folgen

6.1.4 Gastrointestinale Erkrankungen

6.1.5 Respiratorische Veränderungen

6.1.6 Orthopädische Folgen

6.1.7 Fettstoffwechselstörungen

6.2 Psychosoziale Folgen und Lebensqualität

6.3 Kosten

7. Therapie der Adipositas

7.1 Therapieziele

7.2. Konventionelle Therapiemöglichkeiten

7.2.1 Verhaltenstherapie

7.2.2 Ernährungstherapie

8. Körperliche Aktivität in der Adipositastherapie

8.1 Bewegungstherapie – Sporttherapie

8.2 Begriffsbestimmungen: Sport und Körperliche Aktivität

8.3 Voraussetzungen für bewegungstherapeutische Maßnahmen

8.4. Ziele und Möglichkeiten gesteigerter körperlicher Aktivität bei Adipositas

8.4.1 Physiologische Ziele

8.4.2 Psychosoziale Ziele

8.4.3 Lebensstil (nach: Koch et al., 2007, 192f.)

8.5 Motivation zum Beginn einer Bewegungstherapie

8.6 Aufgaben des Bewegungstherapeuten

9. Körperliches Training bei Adipositas

9.1 Komponenten der Trainingsplanung

9.2. Ausgewählte Förderbereiche und Inhalte der Bewegungstherapie

9.2.1 Ausdauer

9.2.2 Kraft

9.2.3 Verbesserung der Koordination und Beweglichkeit

9.2.4 Mannschafts- und Rückschlagspiele, Kampfsportarten

9.2.5 Körperwahrnehmung

10. Körperliche Aktivitäten und ihre Eignung für die Therapie

10.1 Aktivitäten im Alltag

10.2. Sportliche Aktivitäten

10.2.1 Aktivitäten im Wasser

10.2.2 Walking

10.2.3 Radfahren

11. Risiken des Sports und körperlicher Aktivität bei Adipositas

11.1 Bewegungsapparat

11.2 Thermoregulation

11.3 Belastungsasthma

11.4 Kardiovaskuläre Risiken

12. Physische Adaptationen durch körperliche Aktivität bei Adipositas

12.1 Änderung der Körperzusammensetzung und Gewichtserhalt

12.2 Verbesserung des Stoffwechsels

12.3 Verbesserungen des Herz-Kreislaufsystems

12.4 Verbesserung der Leistungsfähigkeit

12.5 Einflüsse auf psychosoziale Faktoren

13 Schulsport und Sportlehrer als Interventionsmöglichkeit?

14. Das Projekt Fit für Pisa: Eine statistische Auswertung

14.1 Projektbeschreibung: Fit für Pisa

14.2 Teilnehmende Grundschulen und Sportangebot

14.3. Testungen

14.3.1 Sporttests

14.4 Ergebnisse

14.5 Veränderungen des BMI

15 Schlussbetrachtung

16 Literaturverzeichnis

17 Abbildungs- /Tabellenverzeichnis

ANHANG

ANLAGE 1: Direkte Messmethoden

ANLAGE 2: Indirekte Messmethoden

ANLAGE 3: Der SDSLMS-Wert

ANLAGE 4: Genetische Faktoren der Adipositas

ANLAGE 5: Auswahl von Krankheiten, die mit einer sekundären Adipositas einhergehen.

ANLAGE 6: Verschiedene Methoden zur Erhebung der Nahrungsaufnahme.

ANLAGE 7: Trends beim Verzehr von Fett und Kohlenhydraten bei Kindern und Jugendlichen im Zeitraum 1985-2000 der DONALD-Studie.

ANLAGE 8: Beispiel für Lebensmittelmengen und -auswahl in der optimierten Mischkost.

ANLAGE 9: Fettreiche Lebensmittel und fettarme Alternativen.

ANLAGE 10: Kalorienverbrauch eines Kindes bei ausgewählten Sportarten pro 10min in Abhängigkeit des jeweiligen Körpergewichts.

ANLAGE 11: Rohdaten sämtlicher Motoriktests und Schulen mit Mittelwerten, Standardabweichungen und Varianzen.

ANLAGE 12: Untersuchung der Rohdaten auf Normalverteilung.

ANLAGE 13: Interner Datenvergleich (2003  2006) der Projektschulen und der Kontrollschule.

ANLAGE 14: Vergleich der Projektschul- mit den Kontrollschuldaten für 2003 und 2006.

ANLAGE 15: Standardabweichungen der Differenzen bei Projektschulen und Kontrollschule.

 

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

„Dem Menschen, der Nahrung zu sich nimmt, kann es nicht gut gehen,

wenn er nicht gleichzeitig seinen Körper durch sportliche Ertüchtigung beansprucht.“

 (Hippokrates von Kós, 460-370 v. Chr.)

„Essen ist ständig um uns herum: auf der Straße, im Fernsehen, bei unseren Freizeitaktivitäten – überall ist es ein Thema. Eigentlich kein Problem, solange sich Essen und Bewegung die Waage halten. Da wir uns aber immer weniger bewegen und mehr essen, entsteht ein Ungleichgewicht.“

 (Bundesverbraucherministerin Renate Künast, Mai 2004)

Als die Bundesregierung am 09.05.2007 Fit statt fett, den viel beachteten 5-Punkte-Plan gegen Fettleibigkeit, vorlegte, ging es um eine Thematik, die seit Hippokrates-seit zweieinhalb Jahrtausenden also-die Fachwelt beschäftigt.

Bei genauerem Hinsehen wird allerdings deutlich, dass die Regierungskoalition auf eine gesundheitliche Entwicklung reagieren musste, die es vor 2 Jahrzehnten noch nicht gab: Rund 2 Drittel der Männer und 53% der Frauen in Deutschland gelten als zu dick. Es sind aber auch schon 15 % der 3 bis 17 Jahre alten Kinder übergewichtig, 6,3 % sogar fettleibig. Im Vergleich mit den Jahren 1985 bis 1999 hat der Anteil der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen laut einer Studie des Robert Koch Instituts aus dem Jahre 2006 um die Hälfte zugenommen. Bei Fettleibigkeit registrieren die Forscher sogar eine Verdoppelung. (Vgl. Journal Med, 2007)

Da mit dieser rasanten Entwicklung jährlich viele Milliarden Euro an Kosten verbunden sind, muss nun ein Nationaler Aktionsplan her, mit dem die Bundesregierung bis zum Jahr 2020 das Übergewicht der Deutschen bekämpfen will. Denn man ist vor allem zu der Erkenntnis gelangt, dass „in unserer Gesellschaft zu wenig Bewegung im Alltag stattfindet“ (SZ, 2007b). (Vgl. SZ, 2007b)

In erster Linie soll dabei der anhaltende Trend zum Übergewicht bei Kindern gestoppt werden. In diesem Zusammenhang schlagen Verbraucherminister Horst Seehofer und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt vor, neben einem Schulfach Ernährung eine Mindestanzahl von 3 Sportstunden an Schulen festzulegen. Für Ganztagsschulen ist mittelfristiges Ziel sogar die Einrichtung einer täglichen Sportstunde. Außerdem sollen finanziell schlechter gestellte Familien bei der Deckung von Vereinskosten staatliche Unterstützung erhalten.

Bedauerlicherweise handelt es sich bei diesem Programm jedoch nicht um gesetzlich verankerte Maßnahmen, sondern lediglich um Vorschläge. (Vgl. Tagesschau, 2007b)

Auf dem Hintergrund dieser aktuellen politischen Vorgänge dürfte es also lohnenswert sein, sich eingehend mit der Frage zu befassen:

Welche Möglichkeiten und welche Grenzen hat Sport bei Adipositas?

Das möchte ich mit dieser Arbeit versuchen, wobei ich mich bei meinen Ausführungen auf die Therapie bei Kindern und Jugendlichen beziehen werde.

Die Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut: Nach einer definitorischen Einordnung der Adipositas und einem Überblick von Bestimmungsmöglichkeiten des Körperfettanteils (Kapitel 2) werden in Kapitel 3 Epidemiologie und Prävalenz besprochen. Im Rahmen der sich anschließenden Ursachenfrage (Kapitel 4) wird auf Ernährung, psychosoziale Faktoren und Bewegungsmangel eingegangen und die Persistenz (Kapitel 5) aufgezeigt. Ausgehend von den zahlreichen körperlichen und psychischen Folgen der Adipositas und den damit einhergehenden Kosten (Kapitel 6) sollen Therapiemöglichkeiten erläutert werden (Kapitel 7), bevor in Kapitel 8-10 gesondert auf körperliche Aktivität in der Adipositastherapie eingegangen wird. Danach werden sowohl deren Risiken (Kapitel 11) als auch positive Auswirkungen (Kapitel 12) beleuchtet. Ausführungen zum Schulsport als Interventionsmaßnahme (Kapitel 13) bilden den Übergang zur statistischen Auswertung des Projekts Fit für Pisa, das an Grundschulen in Göttingen und Landkreis stattfand (Kapitel 14).

3 Epidemiologie[8] und Prävalenz[9] von Übergewicht und Adipositas

 

Übergewicht und Adipositas zeigen weltweit eine epidemische Entwicklung. Schätzungsweise 250 Millionen Menschen, d.h. 7% aller Erwachsenen (vgl. Schröder, 2001, 33) – anderen Schätzungen zufolge sogar mehr als 500 Millionen – sind betroffen. (Vgl. Ravussin/Bouchard, 2000, 131ff.) 500 bis 750 Millionen Menschen sind übergewichtig. (Vgl. Schröder, 2001, 33)

 

Die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas hat sich in Deutschland nicht nur in den alten, sondern auch in den neuen Bundesländern verstärkt.Hier war nach der Wiedervereinigung ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. (Vgl. Kries, 2005, 17) Währendin den Ländern der Dritten Welt ausschließlich Kinder aus Familien der Mittel- und Oberschicht, die einenwestlichen Lebensstil für erstrebenswert erachten, betroffen sind (vgl. Kries, 2005, 17), istAdipositas in Deutschland sowohl bei Erwachsenen[10] als auch bei Kindern und Jugendlichen ein „Unterschichtphänomen“ (Franke, 2003a, 155). So kommt sie dort 6 mal so häufig vor wie in höheren sozialen Schichten.Bei Frauen ist dieser Einflussfaktor besonders gravierend, denn nur 29% der übergewichtigen deutschen Frauen haben einen höheren Schulabschluss (Vgl. Franke, 2003a, 155). Zu ähnlichen Ergebnissen kam Srole (1975) bereits 1974 in seiner Midtown-Manhattan-Studie.[11] (Vgl. Srole, 1975,356ff.)

 

In den späten 1980er und 1990er Jahren wurde – im Gegensatz zu den späten 1970er bis frühen 1980er Jahren – bereits eine deutliche Zunahme von Übergewicht und Adipositas bei Kindern im englischsprachigen Raum Europas festgestellt.[12] Auch in Deutschland stieg die Prävalenz der Adipositas unter Kindern und Jugendlichen seit den 1980er Jahren an. (Vgl. Wabitsch et al., 2002, 99)

 

Neben den USA, Großbritannien, Belgien, Frankreich und den Niederlanden ist Deutschland damit eines der meist betroffenen Länder weltweit. (Vgl. Schröder, 2001, 33) Einer Studie vom April 2007 zufolge nimmt Deutschland im gesamteuropäischen Vergleich sogar eine führende Position ein.[13](Vgl. SZ, 2007a)

 

Nicht nur die Zahl der Betroffenen ist gestiegen sondern auch das Ausmaß des Übergewichts bzw. der Adipositas.(Vgl.Kromeyer-Hauschild, 2005, 13;Reinehret al., 2003, 8) In den westlichen Industrienationen stellt Adipositas die Volkskrankheit überhaupt dar.(Vgl. Reinehr et al., 2003, 8)

 

Weltweit wird in den letzten Jahren die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas gerade bei Kindern und Jugendlichen zunehmend präsenter.(Vgl.Kries, 2005, 17; Kromeyer-Hauschild, 2005, 12)Hielten viele dieses Problembis vor kurzer Zeit noch immer für ein rein US-amerikanisches Problem, ist mittlerweile auch das Ausmaß im deutschsprachigen Raum bekannt. Gerade in den letzten Jahren hat die Anzahl übergewichtiger und adipöser Kinder und Jugendlicher in Deutschland deutlich zugenommen. Beispielhaft ist dies in Tab. 2 zu sehen. Hierbei handelt es sichum Daten von Schuleingangsuntersuchungen aus Nordrhein-Westfalenund Leipzig.(Vgl.Kromeyer-Hauschild, 2005, 13)

 

Nordrhein-Westfalen

 

 

Leipzig

 

 

Tab. 2: Anstieg der Prävalenz von Übergewicht und Adipositas bei Einschülern aus Nordrhein-Westfalen und Leipzig.

 

(Kromeyer-Hauschild, 2005, 13)

 

Wabitschet al. (2002) präsentieren Zahlen, aus denen die Prävalenz in Deutschland von Übergewicht und Adipositas in spezifischen Altersgruppen deutlich wird. Die Werte stützen sich auf Studien aus mehreren deutschen Städten. Demnach waren bis 1999 zwischen 8,4 und 13,4% der Kinder im Alter zwischen 5 und 6 Jahren übergewichtig, 0,7 bis 6,7% von ihnen adipös. Unter Kindern im Alter von 9 bis 10 Jahren befanden sich zwischen 9,8 und 17,6% im übergewichtigen Bereich wieder, während 3,2 bis 6,3% hier adipös waren. Bei den 13 bis 15-Jährigen war eine noch stärkere Verbreitung zu erkennen. 13,8 bis 16,8% der Jungen und Mädchen konnten als übergewichtig, 5,1 bis 7,9% als adipös eingestuft werden.

 

Auch wenn aus den einzelnen Städten, bedingt durch die Anwendung unterschiedlicher Referenzsysteme, unterschiedliche Daten erhoben worden sind, so ist zu erkennen, dass die Prävalenz im Kindes- und Jugendalter zweifellos zugenommen hat. (Vgl. Wabitsch et al., 2002, 99ff.;Mülleret al., 2003, 41f.)

 

In Jena führte man eine Langzeitstudie über 30 Jahre durch, bei der 1002 Kinder im Alter von 7-14 Jahren alle 10 Jahre untersucht wurden. Bei den Mädchen waren die Ergebnisse besonders alarmierend, denn innerhalb von 10 Jahren hatte sich die Zuwachsrate für Adipositas bei ihnen fast verdoppelt und sie lagen 1995 sogar vor den Jungen. Waren 1975 noch 4,7% von ihnen betroffen und 1985 5,3%, so war die Zahl 1995 bereits auf 9,9% angestiegen. Jungen waren 1975 zu 5,3%, 1985 zu 6,1% und 1995 zu 8,2% adipös. (Vgl. Kromeyer-Hauschild et al., 1999, 1143ff.; Franke, 2003a, 154f.; Wirth, 20032, 165;Wabitschet al., 2002, 101f.) Noch in den Jahren 1982 und 1983 lag die Anzahl von adipösen Kindern und Jugendlichen insgesamt bei 6%.(Vgl. Fromme, 2002, 28)

 

Anhand ausgewerteter Daten von Schuleingangsuntersuchungen aus Bayern – dort sind sie obligatorisch – ist ein Trend von Übergewicht und Adipositas zwischen 1982 und 1992 gut zu verfolgen. Demnach nahm die Prävalenz von Übergewicht im Mittel pro Jahr um 0,3% zu, die Prävalenz von Adipositas um jährlich 0,1%. (Vgl. Kalies et al., 2002ff.; Koletzko et al., 2004, 231)

 

Heutzutage sind 10 bis 20% der Kinder und Jugendlichen übergewichtig, Lawrenz (2005) und Mayer (2006) sprechen von 10-18%(vgl.Lawrenz, 2005, 10; Mayer, 2006, 38),4 bis 8 % von ihnen sogar adipös.(Vgl.Lawrenz, 2005, 10; Mayer, 2006, 38;Kromeyer-Hauschild, 2005, 12f.; Pudel, 2003, 5; Wabitsch, 2006a, 13) Laut Reinehr et al. (2003) muss in Deutschland mittlerweile davon ausgegangen werden, dass jedes sechste Kind übergewichtig ist(vgl. Reinehr et al., 2003, 8), Stolecke (1997)

 

In einem aktuellen, auf den repräsentativen Ergebnissen des deutschen Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS)[14] basierenden Bericht vom April 2007 sprechen Kromeyer-Hauschild und Wabitsch bei 3- bis 17-Jährigen von einer Übergewichtsprävalenz von 15% (1,9 Millionen Kinder und Jugendliche). Von diesen sind wiederum 6% (800.000 Kinder und Jugendliche) adipös. Beide Angaben entstanden nach den oben genannten Definitionen. Damit ist bei Kindern und Jugendlichen jeder 6.-7. übergewichtig. Bei Kindern im Alter zwischen 3 und 6 Jahren stieg der Anteil der Übergewichtigen bzw. Adipösen auf 9% bzw. 2,9%, bei den 7- bis 10-Jährigen sogar auf 15% bzw. 6,4% und bei den 14- bis 17-Jährigen auf 17% bzw. 8,5% an. Die Prävalenz von Adipositas hat sich im Vergleich zu Daten von 1985-1999 laut KiGGS verdoppelt. Signifikante Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen oder Ost- und Westdeutschland konnten nicht erkannt werden. (Vgl. AGA, 2007c, 2)

 

Zusammenfassend lässt sich trotz der teilweise variierenden Angaben sagen, dass die dargestellten Zahlen eine hohe Prävalenz und ein weiteres Ansteigen von Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichendeutlich machen. Für Gegenmaßnahmen müssen mögliche Ursachen für Entstehung und Ausbreitung der Adipositas berücksichtigt werden.

 

4. Ätiologie[15] der Adipositas

 

Die Ursachen, die zu Adipositas im Kindes- und Jugendalter führen, sindmultifaktoriell. Bei der Ursachenforschung müssen u.a. genetische, soziale, kulturelle und psychosoziale Einflüsse berücksichtig werden. (Vgl. Reinehr et al., 2003, 8; Hebebrand et al., 2005a, 28)

 

Abb. 3 zeigt Faktoren, die Einfluss auf die Entstehung und Förderung einer Adipositas haben können.

 

 

Abb. 3: Ätiologie der Adipositas: Beeinflussende Faktoren

 

(Ehrsam/Melges, 2004, 282)

 

Der Einfluss genetischer Faktoren auf den BMI und somit auch Adipositas wird allgemein recht hoch angesehen[16](Vgl. Wirth, 20002, 64; Richter, 2000, 23ff.; Wabitsch, 2004, 832), soll im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht behandelt werden.Zudem kommen genetische Störungen mit einer Adipositas als Folge extrem selten vor. Eine kurze Abhandlung dazu findet sich in Anlage 4.

 

Auch die sekundäre Adipositas, die durch eine andere Krankheit oder durch bestimmte Medikamente hervorgerufen wird, soll nicht Thema dieser Arbeit sein. In Anlage 5 befindet sich eine kurze Auflistung solcher Krankheiten und Medikamente.

 

Da die übrigen Variablen Ernährung, psychosoziale Aspekte und körperliche Aktivität jedochbeeinflussbar sind, wird das Hauptaugenmerk im Folgenden darauf gerichtet sein.

 

4.1. Ernährung und Adipositas (Alimentäre[17] Adipositas)

 

In der Frühzeit verbrauchte der Mensch bei der Nahrungsbeschaffung ein hohes Maß an Energie, da große Strecken zurückgelegt werden mussten. Diese konnte nach erfolgreicher Jagd dem Körper in Form von Nahrung wieder zugeführt werden. Aber auch bei erfolgloser Nahrungssuche sicherte die Fähigkeit des menschlichen Körpers, Fettdepots anlegen zu können, das Überleben. Diese Zeit der Nahrungsknappheit prägte die genetische Grundausstattung, die heute in den westlichen Ländern auf konträre Lebensbedingungen stößt: Bewegungsmangel bei gleichzeitigem Nahrungsüberfluss. Diese Inkompatibilität führt dazu, dass ein relativ großer Teil der Bevölkerung Übergewicht und Adipositas entwickelt. Aus dem Vorteil, Energie speichern zu können, ist ein Nachteil geworden. (Vgl. Zapf, 20062, 444; Hebebrand et al., 2005a, 28; Kersting, 2005a, 62) Schusdziarra/Erdmann (20032) formulierten dies treffend: „In dieser Situation haben wir das über 5 Millionen Jahre gültige Prinzip `Bewegung garantiert – Essen vielleicht´ konvertiert zu dem Prinzip `Essen garantiert – Bewegung vielleicht´“ (Schusdziarra/Erdmann, 20032, 27).

 

Entscheidend für die Regulation des Körpergewichtes ist also die Relation von Energieaufnahme und Energieverbrauch.

 

4.1.1 Der Energieverbrauch

 

Der Gesamtenergieverbrauch von Frauen liegt unter Alltagsbedingungen durchschnittlich bei etwa 2200 und bei Männern etwa bei 2600 kcal/Tag. (Vgl. Laessle et al., 2001, 13; Wirth, 20002, 98) Er setzt sich aus den Komponenten Grundumsatz, nahrungsbedingte Thermogenese[18]und aktivitätsbedingte Thermogenese zusammen.

 

4.1.1.1 Grundumsatz

 

Der Grundumsatz bezeichnet den Energieverbrauch in völliger körperlicher Ruhe nach nächtlichem Fasten. (Vgl. Wirth, 20032, 46) Sein Anteil am Gesamtenergieverbrauch wird in der Fachliteratur mit 50-90% angegeben.[19] „Er ist in hohem Maße von Alter, Geschlecht[20], Körpergröße und Körpergewicht sowie hormonellen Einflüssen abhängig“ (Graf/Dordel, 2007, 67). Also lässt er sich in weiten Teilen nicht beeinflussen, lediglich „z.B. durch die Ab- oder Zunahme der Muskelmasse“ (Graf/Dordel, 2007, 67). Dies trifft auch für Adipöse zu, denn nimmt eine Person 10kg Gewicht zu, so sind davon etwa 3kg Muskelmasse. (Vgl. Jéquier/Schutz, 1988, 538)

 

Der Grundumsatz ist aber auch genetisch bedingt. Ein niedriger Grundumsatz kann schon innerhalb weniger Jahre Übergewicht und sogar Adipositas zur Folge haben. (Vgl. Wirth, 20032, 49) So zeigten Ravussin et al. (1988) in einer Studie, dass Personen mit niedrigem Grundumsatz in einem Zeitraum von 4 Jahren 8 mal häufiger 10kg Gewicht zunahmen als Menschen mit hohem Grundumsatz. (Vgl. Ravussin et al., 1988, 468f.)

 

4.1.1.2 Nahrungsbedingte Thermogenese

 

Die nahrungsbedingte Thermogenese ist kaum von Schwankungen betroffen und geschlechtsunabhängig. (Vgl. Wirth, 20032, 49) Sie beträgt allgemein etwa 10-15% des gesamten Energieverbrauchs (vgl. Graf/Dordel, 2007, 67; Wirth, 20032, 47; Laessle et al., 2001, 14; Hauner/Berg, 2000, 770; Schutz, 20032, 108) und wird wie der Grundumsatz von komplizierten Stoffwechsel- und hormonellen Prozessen gesteuert. (Vgl. Wirth, 20032, 49)

 

Das Ausmaß der nahrungsbedingten Thermogenese, die nach einer Mahlzeit einsetzt, wird hauptsächlich von „Alter, Geschlecht, Körperzusammensetzung, Ernährungszustand,[dem]autonome[n]Nervensystem, Hormone[n]und genetische[n]Faktoren“ (Schutz, 20032, 108) beeinflusst. (Vgl. Schutz, 20032, 108)

 

Einigen Forschern zufolge ist sie bei adipösen Menschen vermindert. Verantwortlich dafür ist eine Störung bei der Umwandlung von Glukose[21] in Glykogen[22], der durch körperliche Aktivität begrenzt entgegengewirkt werden kann.[23] (Vgl. Segal, 1985, 1107f.; Ravussin et al., 1983, 893ff.)

 

Der Ausprägungsgrad dieser Form des Energieumsatzes ist auch abhängig von der Nahrungszusammensetzung. Nach eiweißreicher[24] Nahrung fällt sie um ein Mehrfaches stärker aus als beispielsweise nach einer fettreichen Mahlzeit. (Vgl. Schutz, 20032, 108)

 

Zusammenfassend scheint es so zu sein, dass eine Adipositas über Grundumsatz und nahrungsbedingte Thermogenese nur begrenzt beeinflussbar ist.

 

4.1.1.3 Aktivitätsbedingte Thermogenese

 

Die aktivitätsbedingte Thermogenese[25] hingegen kann „extrem variabel“ (Graf/Dordel, 2007, 67) sein.Nach Laessle et al. (2001) beträgt die aktivitätsbedingte Thermogenese bei Nicht-Sportlern nur etwa 15%. Ein Mittelstreckenläufer hingegen könne in Trainingsphasen sogar 4000-5000 kcal/Tag verbrauchen, also das Mehrfache des Grundumsatzes. (Vgl. Laessle et al., 2001, 14)Andere kommen zu ähnlichen Ergebnissen.[26]

 

Aufgrund dieser Erkenntnisse wird die aktivitätsbedingte Thermogenese zur „wesentlichen Einflussgröße[n]für Veränderungen des Energieumsatzes“ (Graf/Dordel, 2007, 69). Hier lässt sich ihre Relevanz für eine Adipositastherapie vermuten.

 

Martinez-Gonzáleset al. (1999) konnten in einer 15 europäische Länder umfassenden Untersuchung an 15239 Menschen zeigen, dass zwischen der Entstehung von Übergewicht und Adipositas und einer mangelnden körperlichen Aktivität ein enger Zusammenhang besteht (Abb. 4). Je mehr Sport (bei mittlerer Intensität) getrieben und je weniger gesessen wurde, desto geringer fiel die Prävalenz der Adipositas aus.(Vgl. Martinez-Gonzáles et al., 1999, 1192ff.)