Moni auf Achse - Monika E. Khan - E-Book

Moni auf Achse E-Book

Monika E. Khan

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Beschreibung

Moni auf Achse - Reisekurzgeschichten - Erweiterte Auflage Mal heiter, mal besinnlich, aber immer ganz erfrischend direkt und persönlich authentisch - mit viel Herz und unbändigem Unternehmungsgeist. Moni nimmt als junggebliebener Scout den Leser mit auf die Reise und lässt ihn teilhaben an ihren weltweiten Erfahrungen im Umgang mit Land und Leuten. Erleben Sie die großen und kleinen Abenteuer des Alltags - zusammen mit Moni auf Achse...

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Auf der Flucht!

Katzenjammer

Der Berg ruft

Moni rennt

Spurensuche

Bahngeflüster

Mittagstisch

Die Bratkartoffel - Lady von Teneriffa

Verpasster Ausstieg

Komplimente

Der lustige Willi

Ein gewiefter Schwarzfahrer

Wettlauf mit der U-Bahn

Ein Gentleman, der klaut...!

Gentleman mit Hindernissen

Ein sonderbarer Tipp

Harley Days

Australien

Australien I

Australien II

Australien III

Australien IV

Australien V

Mann über Bord!

Zeit für Gefühle

Trecker-Treff

Bildnachweis

VORWORT

„Wo steckst du denn nun schon wieder?“

Eine Frage, die Moni oft hört, wenn sie mal wieder auf Achse ist. Ob sie direkt vor ihrer Haustür, in ihrer Lieblingsstadt Hamburg, unterwegs ist oder sich am anderen Ende der Welt herumtreibt – stets erlebt sie ein Feuerwerk der Gefühle: Lustig, facettenreich und turbulent, hin und wieder nachdenklich und auch mal traurig. Reise-Kurzgeschichten, die den Leser nicht nur zum Schmunzeln einladen...

Spontan und mit offenen Augen und Ohren stürzt sie sich immer wieder in neue Unternehmungen, so dass sie auch mal in chaotische Zustände gerät. Überraschend und völlig verwundert steht sie dann da.

Aber durch ihre ganz persönliche Art ihrer individuellen Wahrnehmung und ihre positive Lebenseinstellung gewinnt Moni schnell wieder Oberwasser.

Kaum ist Moni wieder Zuhause, bekommt sie zu hören: „Was du so alles erlebst, wenn du auf Achse bist, ist schon immer wieder großartig!“

Globetrotterin Monika E. Khan ist Expertin für Single- und Solotouristik und Autorin der Bücher „Die besten Single-Reisen“. Sie wurde1938 in Kollow bei Hamburg geboren und lebt mit ihrem Mann in Hamburg.

AUF DER FLUCHT

Schluss, aus und vorbei. Die ganze Woche nörgelt er an mir rum. Jetzt habe ich die Schnauze endgültig voll! Zumindest vorübergehend...

Während mein Mann wieder einmal am Frühstückstisch rumpalavert, schleicht in mir der Gedanke hoch: „Ich mach mich aus dem Staub.“ Stehe auf, gehe seelenruhig, damit er keinen Verdacht schöpft, in mein Zimmer und stecke mir in Sekundenschnelle meinen Personalausweis und die EC-Karte in die Hosentasche. Als ich die Tür wieder öffne, steht mein Mann bereits im Flur. Irgendwie hat er Lunte gerochen. Mit einem forschenden Blick schaut er mich an: „Moni, was hast du vor?“ „Gar nichts“, erwidere ich scheinheilig, „ich muss nur mal vor die Tür, frische Luft schnappen, hier ist sie mir zu dick.“ Eine Sekunde lang steht er wie bedeppert da und überlegt krampfhaft, wie er sich verhalten soll. Diese Schrecksekunde nutze ich und schwups bin ich draußen. Dann nehme ich meine Beine in die Hand, renne am Moorteich entlang, der neben unserer Siedlung liegt. An der Hauptstrasse angekommen, gönne ich mir eine Verschnaufpause, um danach schnellen Schrittes weiter zu gehen, bis ich in den angrenzenden Stadtwald untertauche. Geschafft, nun habe ich alle Zeit der Welt und schlendere durch den kühlen Wald bis Wandsbek-Markt. Zu Fuß würde mein Mann mich niemals verfolgen. Er kennt meine Eskapaden. Meistens tauche ich sowieso nach kurzer Zeit wieder auf. Dieses Mal ist es anders, mein Entschluss steht fest. Zurück? Erst mal nicht. Wohin? Mir kommt eine blendende Idee.

In Berlin tobt die Loveparade, da wollte ich schon immer mal hin. Doch zunächst muss ich mir Klamotten kaufen. Außer einem Suntop, Shorts und Latschen trage ich, an diesem warmen Frühsommertag, nichts weiter auf dem Leib.

Für sage und schreibe 220 Mark bekomme ich im Billigkaufhaus eine komplette Grundausstattung und was man sonst noch so alles für eine Reise braucht. Verstaue alles in den neu erworbenen Rucksack und fahre mit der U-Bahn zum Hamburger Hauptbahnhof. Zur Feier des Tages gibt es auch noch günstige Wochenendtickets. In Wittenberge muss ich von einem Schnellzug in einen Nahverkehrszug umsteigen. Der Geruch von hochprozentigem Alkohol weht mir entgegen, als ich das Zugabteil betrete. Ein einziges Schlachtfeld empfängt mich. Blechern und knirschend kullern leere Flaschen und Dosen während der Fahrt von einer Ecke in die andere. Der klappbare Fenstertisch ist gewaltsam aus seiner Verankerung gerissen worden. „Wenn rohe Kräfte sinnlos walten“, entfährt es mir. „Was hat denn das zu bedeuten?“ Fragend schaue ich zwei junge Frauen an, die bereits im Abteil sitzen. „Der Zug kommt direkt von der Loveparade“, antwortet eine der beiden. Verständnislos schüttele ich den Kopf.

„Sind Sie Ossis oder Wessis?“, platze ich gleich mit der Tür ins Haus. Seit dem Mauerfall, vor einigen Jahren, habe ich noch keinen Kontakt mit Menschen aus dem Osten gehabt. Die Bezeichnung Ossi finden sie aber gar nicht witzig und sind beleidigt. Nun versuche ich sie so freundlich wie möglich umzustimmen:

„Entschuldigung, aber das meine ich nicht abwertend. Sie sind halt Ossi und ich bin ein Wessi. Das ist für mich nur eine geographische Bezeichnung.“ Nun sind sie milde gestimmt. Sie kommen gerade aus einem Dorf in der Nähe von Heide in Schleswig Holstein und wollen nach Eisenhüttenstadt.

„Und, wie ist es so im Westen?“ Ich bin gespannt. „Nicht leicht“, klagt spontan eine der beiden, „was meinen Sie, wie oft ich es zu spüren bekomme, dass ich aus dem Osten bin.“ Sie wirkt ziemlich unglücklich. „Wieso?“ hake ich nach.

„Neulich sagte doch tatsächlich der Berufsschullehrer zu mir, als ich meine Matheaufgabe abgab, ob ich als Ossi auch schon gelernt hätte, solide Aufgaben zu lösen. Gekränkt antwortete ich ihm: „Meinetwegen können sie ja die Mauer wieder hinsetzen und meinetwegen auch noch höher.“ Ich muss lachen und versuche sie zu trösten: „Wissen Sie, dass hat meiner Meinung nach mit Ossi oder Wessi nicht das Geringste zu tun. Da handelt es sich nur mal wieder um einen Lehrer, der in keiner Weise auch pädagogisch geschult ist, sondern lediglich seinen Frust an einem x-beliebigen Schüler rauslassen wollte.“ Bis Berlin vergeht die Zeit wie im Fluge.

Am Bahnhof Zoo scheint das Chaos perfekt zu sein. Trauben von Menschen sitzen und liegen dichtgedrängt auf dem Boden. Oder scheinen sinnlos umher zu laufen. So als wüssten sie nicht, wie es für sie weiter gehen soll. Beide Frauen, sie sind Freundinnen, nehmen mich kurz entschlossen an die Hand und wir drängeln uns zu dritt gewaltsam durch die Menschenmassen hindurch nach draußen. Herzlich verabschieden sie sich von mir. Denn sie müssen, um nach Eisenhüttenstadt zu kommen, den Bahnhof wechseln. Ein letztes Winken, als wären wir alte Bekannte, dann verlieren wir uns aus den Augen.

Mutig stürze ich mich ins kunterbunte Gewühl und lasse mich mit der Masse treiben. Laute Musik dröhnt mir in die Ohren. Ausgeflippte Menschen beherrschen das Straßenbild, bis es allmählich dunkel wird und die nachfolgenden Müllwagen die Regie übernehmen. Während ich in Richtung Brandenburger Tor schlendere, dort soll ja noch die Party bis zum nächsten Morgen abgehen, spricht mich ein Typ aus einer Gruppe an:

„Haben Sie nicht Lust, mit uns in eine Kneipe zu kommen?“ Sendepause meinerseits. Er merkt meine Unsicherheit und lässt es dabei bewenden. Wir schlendern noch ein Stückchen des Weges gemeinsam. Freundlich verabschiede ich mich von ihm. Auf keinen Fall will ich in einer Kneipe rumhängen.

Eine Weile schaue ich mir das Spektakel am Brandenburger Tor noch an, dann habe ich genug von der lauten Musik, dem Trubel und dem Müll und laufe zum Bahnhof zurück.

Hier herrscht immer noch unübersehbares Durcheinander. Gelernt von den beiden Mädels aus dem Zug, zwänge ich mich allein durch die Menschenmassen. Bis ich auf irgendeinem Bahnsteig lande. „Aachen über Köln“ steht auf dem Abfahrtsschild. Mensch, mir kommt eine Blitzidee, das ist die Lösung, ich besuche meine Freundin Walburga. In Köln werde ich dann umsteigen und den Zug nach Siegen nehmen. Gerammelt voll bis auf den letzten Stehplatz, schaffe ich es noch, mich in den Zug zu quetschen. Völlig übermüdet setze ich mich auf meinen vollgestopften Rucksack. Bereits am nächsten Bahnhof steigt eine Gruppe junger Menschen aus. Selig setze ich mich auf einen freigewordenen Sitzplatz, und schlafe vor lauter Erschöpfung ein.

Gegen 8.00 Uhr läuft der Zug am Sonntagmorgen in Köln ein. Wieso Walburga? Mir kommt eine viel bessere Idee. Ich fahre weiter bis Aachen und besuche Gilla in Frankreich? Ja, das mach ich. Mein letzter Entschluss! Wie oft hat sie mich in der Vergangenheit mit den Worten genervt: „Moni, wann kommst du mich endlich mal in Frankreich besuchen?“ Mein Mann mag sie eh nicht besonders und jetzt, wo ich sauer auf ihn bin, habe ich einen Grund mehr, sie endlich einmal zu besuchen.

‚Schön und gut, aber wie? Ich habe doch ihre Adresse nicht im Kopf. Wie heißt noch das kleine Dorf? Das in der Nähe von Limoges liegt? Das wird ja nie was. Mein Mut verlässt mich genau so schnell wieder, wie er gekommen ist. Ein neuer Lichtblitz in meinem Gehirn bringt die Lösung. „Christian“, Gillas Sohn! Zwar habe ich seine Adresse nicht, aber ich weiß von Gilla, dass er in Hamburg-Rahlstedt wohnt. Binnen weniger Minuten bekomme ich von der Telefonauskunft in Aachen seine Nummer.

Sekunden werden zu Minuten, endlich nach vielen Klingeltönen meldet sich eine dunkle Männerstimme mit Christian. Gott sei Dank! Er kennt mich vom Hörensagen und gibt mir bereitwillig die Telefonnummer seiner Mutter. Am Ende unseres Gespräches meint er noch: „Meine Mutter wird sich bestimmt sehr über deinen Besuch freuen.“

Freuen…? Ist gar kein Ausdruck. Gilla ist außer Rand und Band, als ich sie anrufe. Ausführlich erklärt sie mir, wie ich fahren soll.

„Über Paris fährst du nach Limoges, dort steigst du um und nimmst den Zug bis Guéret. Von dort musst du dir dann ein Taxi nehmen, denn am Sonntag fahren keine Busse zu uns. Kurz vor dem Ort Levand stelle ich eine Laterne und ein großes Schild mit meinen Namen an den linken Straßenrand, damit der Taxifahrer es nicht verpasst, meinst du, du schaffst es?“ „Kein Problem!“

Bereits kurze Zeit später sitze ich im Zug Richtung Paris. Steige dort um in den Zug nach Limoges. Gegen 22.00 Uhr bin ich dann endlich in Guéret. Weder Menschen noch ein Taxi sind am kleinen Bahnhof zu entdecken. Die Stadt scheint schon zu schlafen. Unschlüssig laufe ich eine Straße entlang. Auf halber Höhe schallt mir aus einer Kneipe ein Gemisch aus Musik und buntem Stimmengewirr entgegen. Ich fasse mir ein Herz und betrete das Lokal.

„Bonsoir“, grüße ich und lege dem Wirt den Zettel mit Gillas Anschrift und etwas Kleingeld auf den Tresen: „un taxi s'il vous plaît“, ein Taxi bitte. Das ist auch schon alles, was meine französischen Sprachkenntnisse hergeben. Verständnisvoll lächelt der Wirt mich an und greift zum Telefonhörer. Wenig später steht ein Taxi vor der Tür.

Wie versprochen, hat Gilla eine Laterne und ein Brett, auf dem mit großen Lettern ihr Name steht und ein Pfeil der nach links zeigt, am Straßenrand aufgestellt. Mit fuchtelnden Armen taucht Gilla plötzlich in der Dunkelheit auf. Freudestrahlend liegen wir uns in den Armen. Ein wenig habe ich mich über die hohe Taxirechnung geärgert. Doch Gilla meint, mit dem Feiertags- und Nachttarifzuschlag sei es normal.

Endlich stehe ich vor Gillas Traumhaus. Durch die offene Tür dringt ein Lichtstrahl nach draußen. Straßenlaternen scheinen es hier nicht zu geben. Rauchgeruch schlägt mir entgegen, als ich die Küche betrete. Links an der Wand brennt ein Feuer im Kamin. Kaum habe ich mich auf einem Küchenstuhl niedergelassen, bestürmt Gilla mich mit einem sonderbaren Vorschlag:

„Moni, hast du nicht Lust, mit auf eine Party zu kommen?“ „Um Himmels Willen Gilla, ich bin todmüde, ich habe doch in den letzten vierundzwanzig Stunden kaum geschlafen. Aber du kannst doch zur Party gehen. Ich gehe sowieso gleich schlafen.“ Kurzerhand ruft sie ihren Bekannten an und sagt ab. Ohne mich will sie auch nicht zur Party.

„Falls du nachts auf die Toilette musst, kannst du das Chemieklo benutzen, eine Toilette gibt es hier im Haus noch nicht.“ Gilla zeigt auf das kleine Klo neben dem Kopfende eines französischen Bettes. Meine Schlafstatt. Aha, die moderne Variante eines Pisspottes.

Todmüde falle ich ins Bett und knipse das Licht in Form einer herunterhängenden Glühbirne aus, die direkt über meinem Kopf baumelt. Erschrocken schnelle ich hoch und schreie: „Gilla!“, sie hat sich inzwischen nach unten verzogen:

„Gilla!“, wiederhole ich, „es ist stockfinster, so kann ich nicht schlafen, gibt’s hier kein Fenster?“ Gilla kommt nochmals die knarrende Holztreppe hoch gestiefelt. Eine Tür zwischen oben und unten gibt es nicht. „Weißt du, das war hier früher der Heuboden. Schau dort die Holzluke in der Außenwand, das wird später mal das Fenster werden.“

„Hm…, trotzdem, so dunkel kann ich nicht schlafen“, füge ich flehend hinzu. Gilla scheint für alles eine Lösung zu haben. Sie holt von unten einen Lichtstecker und steckt ihn in die Steckdose eines Verlängerungskabels, welches aus einem finsteren Loch, so groß wie ein Schuhkarton, hervorlugt. „Wo führt denn das Loch hin?“

„Das ist ein Nebenraum, der noch nicht bewohnbar ist“, bemerkt Gilla und verzieht sich wieder nach unten. Ein unheimliches Gefühl beschleicht mich, als ich ins gähnend schwarze Loch direkt an der Wand gegenüber schaue. Schnell ziehe mir die Bettdecke bis über den Kopf und schlafe dann auch irgendwann ein. Erst als ein paar helle Lichtstreifen durch die ausgefranste Luke ins Zimmer dringen, wache ich auf. Die Luke scheint genauso alt zu sein wie der Rest des Hauses. Beim Versuch sie vorsichtig zu öffnen, plumpst von draußen etwa herunter.

„Was war das?“, frage ich Gilla, während die Luke quietschend aufspringt und ich sie unten entdecke. Lächelnd blickt sie nach oben: „Och, nur ein Stein, der vor der Luke lag, er flog direkt an meinem Kopf vorbei.“

„Ach du liebe Zeit, entschuldige, aber ich wollte nur etwas Licht ins Zimmer lassen. Wofür legst du denn so einen großen Stein vor die Luke, Gilla?“

„Als Verschluss, sonst springt sie bei Wind andauernd auf.“

Na, das kann ja heiter werden.

Ohne weiter auf den purzelnden Stein einzugehen, fragt sie: „Wie hast du geschlafen?“

„Anfangs nicht so gut, aber dann bin ich doch eingeschlafen und fühle mich frisch und munter.“

„Sieh zu, dass du runterkommst, ich habe bereits den Frühstückstisch gedeckt.“ „Super, ich komme sofort.“

Weit schweift mein Blick durch die offene Luke übers hügelige Land. Hinter Gillas völlig verwildertem Garten grasen Kühe auf der angrenzenden Weidelandschaft, die sich in der Ferne in einem Wald verliert. Ein Traumblick, der durch nichts versperrt wird. Ein schönes Fleckchen Erde, was Gilla sich da ausgesucht hat. Hier werde ich mich richtig erholen. Bevor ich hinunter gehe, schaue ich mich noch im Zimmer um. Zimmer? Eher ein Heuboden ohne Heu. Überall steht Gerümpel herum. Außer einem Doppelbett und einen schmalen Kleiderschrank schmücken keine weiteren Möbel den Raum. Ein selbstgebautes Regal, voll bepackt mit Werkzeug, bildet die seitliche Trennwand zwischen Raum und der offenen Treppe, die nach unten führt. Verstreut hängen Gürtel, Handtaschen sowie Klamotten von der Decke, die nachts gruselige Schatten in den Raum werfen. Ein Gefühl, als sei ich auf einem Abstellgleis gelandet, beschleicht mich. Das ist nun Gillas Traumhaus, weswegen sie im letzten Jahr alle Zelte in Hamburg abgebrochen hat.

Der Duft von frisch gemahlenem Kaffee zieht mir in die Nase, als ich die Küche betrete. Obwohl es draußen warm ist, prasselt schon wieder das Feuer im Kamin. „Wegen der dicken Mauer ist es im Sommer besonders kühl hier drinnen“, meint Gilla, als sie mein Blick in Richtung Feuerstelle bemerkt.

Nach all dem Schrott, den ich bis jetzt im Haus gesehen habe, bin ich angenehm überrascht, als ich die Köstlichkeiten, die auf dem rustikalen Holztisch ausgebreitet sind, entdecke. Vom Ziegenkäse über gekochte Eier, die von freilaufenden Hühnern stammen, wie Gilla stolz betont, bis hin zum Vollkornbrot, es fehlt an nichts. Während wir ausgiebig frühstücken, haben wir uns viel zu erzählen, denn es ist schon eine ganze Weile her, als wir uns das letzte Mal sahen. Danach zeigt mir Gilla ihren Garten.

„Wieso hast du deinen Garten so verwildern lassen?“ Bis auf ein kleines Beet mit aufkeimenden Salatpflänzchen ist der Garten mit mannshohem Unkraut überwuchert.

„Weil ich vom Umzug so fertig war, dass ich mich bis jetzt noch nicht erholt habe“, rechtfertigt sie sich.

„Aber der Umzug war doch schon im letzten Jahr. Was sagen denn deine Nachbarn dazu?“

„Interessiert mich nicht, ich mach mit meinen Garten, was ich will. Würden sie neben einer Wiese wohnen, hätten sie ja auch nur Wildpflanzen neben sich!“ „So gesehen hast du natürlich recht.“

Zwischen den hochrankenden Wildpflanzen, wie Gilla ihr Grünzeug nennt, liegt versteckt ein kleines Steinhäuschen. Verwundert schaue ich durch die offene Tür in den Raum auf ein sonderbares Holzgestell.

„Voilà, mein selbstgebasteltes Klo!“, bezeichnet Gilla mit stolz geschwellter Brust das seltsame Gestell. Weil Gilla nicht sehr groß ist, hat sie von einem alten Holzstuhl einfach die vier Beine gekürzt. Dann in den Stuhlsitz ein kreisrundes Loch gesägt, einen Plastikeimer drunter gestellt, einen Plastikdeckel obenauf gelegt und fertig war ihr Plumpsklo. Ein zweiter, mit Sägespänen gefüllter Plastikeimer, steht daneben. Ausführlich erklärt mir Gilla die Gebrauchsanweisung dieses ungewöhnlichen Klos. Damit ich ja nicht zuviel Sägespäne benutze, denn die ist teuer, betont sie.

Nur fünf alte Steinhäuser liegen ein wenig verstreut in diesem kleinen verschlafenen Dorf. Einige davon sind bereits restauriert.

„Gilla, die Gegend hier ist sehr schön, auch dein Haus. Wenn es erstmal fertig ist...“ Ich habe ja Fantasie.

„Ja“, sagt sie mit einem Seufzer ihre Hauswand betrachtend, „die müsste dringend verputzt werden, sonst bröckeln die Felsblöcke bald raus.“ Hilflos schaut sie mich an.

Doch schnell erhellt sich ihr Gesichtsausdruck wieder, stillschweigend nimmt sie mich an die Hand und führt mich ins Haus. Dort zeigt sie mir, was sie schon alles verändert hat. Vom Steinfußboden, der bereits glatt geschliffen wurde, bis hin zu einer Wasserleitung, die in die Küche verlegt werden musste, erklärt sie. Muss ja eine einzige verfallene Scheune gewesen sein.

Nun erzählt sie mir ihre Zukunftspläne. Wenn sie es schafft, ihre Pläne in die Tat umzusetzen, könnte es ein Traumhaus werden. Ja, wenn. Von einem Studio unterm Dach mit Panoramafenster zum Himmel schwärmt sie, damit sie nachts die Sterne beobachten könne. Außerdem gehören ein Gästezimmer sowie ein Vollbad zu ihren Zukunftsvisionen. Doch im Moment müssen wir noch mit der Dusche im Garten vorlieb nehmen. Ideen hat sie, das muss man ihr lassen. Ich bin nicht nur vom Plumpsklo tief beeindruckt sondern auch von ihrem Erfindungsgeist bei der Dusche. Zwischen Gartenhäuschen und Pflaumenbaum hat sie einfach zwei gegenüberliegende Seile angebracht, an denen Stoffvorhänge als Sichtschutz hängen. Wenn man duschen will, nimmt man einfach den Gartenschlauch, der mit einem Wasserhahn in der Hütte verbunden ist. Nur hat das Ganze einen Haken: Man muss während des Duschvorganges nackt zwischen Pflaumenbaum und Hütte hin und her laufen, um das kalte Wasser an- und wieder abzustellen. Nach dem Duschen werden die Vorhänge einfach in die Äste des Pflaumenbaumes gelegt, damit sie bei Wind nicht hin und her flattern.

„Ehrlich Gilla, ich bewundere dich, das soll dir mal einer nachmachen. So mutterseelenallein, in der tiefsten Provinz Frankreichs, einen völligen Neustart zu wagen und das unter diesen Bedingungen. Ist schon Wahnsinn!“

Noch am selben Tag melde ich mich bei meiner Tochter, um ihr zu sagen, wo ich stecke, damit sie ihren Vater informiert. Erfahrungsgemäß setzt er alle Hebel in Bewegung, um herauszufinden, wo ich mich denn herumtreibe und wann ich zurückkomme, wenn ich einfach mal die Fliege mache. Diesmal habe ich mich geirrt. Zwar hat er bei unserer Tochter angerufen, war aber gar nicht aufgeregt wie sonst. Im Gegenteil, er ließ mir bestellen, ich solle es mir gutgehen lassen. Na fein, da kann ich ja meine selbst gewählte Auszeit von der Ehe ohne schlechtes Gewissen genießen.

Gilla und ich haben viel Spaß miteinander. Zu Fuß zeigt sie mir diese bezaubernde hügelige Gegend. „Es sind die Ausläufer des Zentralmassiv“, klärt sie mich auf.

Wir gehen am See spazieren, durchstöbern den Wald, klettern auf Heuballen herum, pflücken Wildblumen, die im Überfluss am Wegesrand blühen und lachen viel.

Mit dem Rad fährt Gilla ab und zu ins 18 km entfernte Guéret und bringt leckere Biolebensmittel mit. „Aber Gilla, wovon bezahlst du das alles, du hast doch nur eine kleine Rente?“ Sie war mal meine Arbeitskollegin und hatte auf Grund ihrer schwachen Nerven bereits mit 50 Jahren die Rente bekommen. Wenn ich ihr Geld geben will, wehrt sie stets ab, egal was ich mache. „Moni, du bist mein Gast“, betont sie, „außerdem kauf ich die Sachen kurz bevor sie abgelaufen sind, dann bekomme ich sie fast geschenkt!“ Das leuchtet mir ein. So genieße auch ich die französischen Delikatessen. Während Gillas Einkaufstouren mache ich mich im Garten und in der Küche nützlich. Die übrigen Räume sind eh mit Trödel vollgestopft. Jedoch die Krönung an Gerümpel befindet sich in dem unbewohnbaren Raum neben meiner Unterkunft.

„Sag mal Gilla, wofür brauchst du all das Zeug hier?“, staunend schaue ich mich im Raum um, als sie ihn mir zeigt.

„Na, wenn das Haus fertig renoviert ist, brauch ich es!“

„Aber doch keine drei Staubsauger oder mehrere Bügeleisen“, um nur einiges zu nennen, „die kannst du doch im Leben nicht alle benutzen.“ Allmählich kriecht in mir die Frage hoch: Ist Gilla vielleicht ein Messie? Der Plunder erinnert mich an Flohmarkt-Utensilien.

„Musste deswegen dein Bekannter aus Deutschland jedes Mal seinen Anhänger mitnehmen, wenn er mit dir hierher fuhr?“

„War doch praktisch.“ Ungläubig schüttele ich den Kopf.

Doch Gillas wahren Schätze finde ich in einem kleinen offenen Verließ, in der Küchenwand. Alte Tontöpfe und Krüge krame ich hervor und befreie sie gründlich vom fingerdicken Staub. Suchend sehe ich mich nach geeigneten Standorten um. Vom uralten, aber noch gut erhaltenen Küchenschrank räume ich erstmal den unnötigen Krimskrams runter und verstaue alles in einen Karton. Zwei Krüge bekommen ihren neuen Platz oben auf dem Schrank. Zwei Kleinere platziere ich rechts und links auf dem unteren Schrankabsatz. Nun entpuppt sich der Schrank als richtiges Schmuckstück. Finde ich. Für die zwei größten und schönsten Krüge gehe ich hinaus in die Feldmark und pflücke bunte Blumen, die ich zu schönen Sträußen arrangiere. Einen stelle ich mitten auf den rustikalen Küchentisch und der letzte Krug bekommt seinen neuen Standort auf dem Steinfußboden neben dem Kamin. Allmählich wird die Küche wohnlich. Schließlich ist es doch der einzige Raum im Haus, der auch im Winter durch den Kamin beheizt werden kann. Zufrieden mit meinem Tatendrang, warte ich gespannt auf Gillas Rückkehr aus der Stadt. Ihr Gesichtsausdruck spricht Bände und ist alles andere als begeistert. Mürrisch sagt sie: „Falls hier mal eingebrochen wird, wären die Krüge in dem Versteck besser aufgehoben.“ Sie lässt sie aber stehen.

Noch am selben Abend kommen Freunde von ihr aus einem Nachbardorf zu Besuch. Ihnen fällt die Veränderung in der Küche sofort auf. Sie sind voll des Lobes und Gilla ist stolz.

Die darauffolgenden Tage werden heißer und heißer. Das Wasser im See scheint warm genug zu sein, um baden zu gehen.

Wie gut, dass zu meiner Grundausstattung ein Body gehört, der mit seinem Blumenmuster wie ein Badeanzug aussieht.

„Du brauchst keinen Badeanzug, wir gehen nackt ins Wasser!“, ruft Gilla mir hinterher, als ich ihn holen will. „Ne, ich nicht! Oder ist es ein ausgewiesener FKK Strand?“

„Nein, trotzdem gehe ich immer nackt baden“, betont sie.

Nur zehn Minuten zu Fuß von Gillas Ortschaft entfernt, liegt eingerahmt in einer hügeligen grünen Postkartenlandschaft, der idyllische See. Kleine Holzhäuschen, die man mieten kann, säumen die Liegewiese.

„Ich sehe niemanden nackt ins Wasser gehen, wäre es nicht besser, du ziehst dir auch einen Badeanzug an? Mir ist das echt peinlich.“

Einen Moment zögert sie, zieht ihn sich dann aber doch an. Nur anstatt mit mir ins Wasser zu gehen, bleibt sie griesgrämig auf dem Rasen sitzen.

„Dann gehe ich eben früh morgens baden, auch wenn du nicht mitkommst“, mault sie.

Gilla ist unwahrscheinlich stolz auf ihren Busen. Zwar ist sie kleiner als ich, hat dafür aber viel größere Brüste.

„Stell dir vor Moni“, aufgeregt berichtet Gilla, als sie aus der Stadt zurückkommt, „mitten auf der Straße hält plötzlich ein Radfahrer an und sagt: „Haben sie aber einen schönen Busen!“

„Wie hat er denn das gesehen? Du trägst doch ein weites T-Shirt.“ Zweifelnd sah ich sie an.

Ihre Augen blitzten: „Kann man doch trotz T-Shirt sehen, dass ich einen schönen Busen habe.“

Dabei verriet sie mir mal: Wenn es ihr beim Radfahren zu heiß wird, schiebt sie einfach ihr T-Shirt hoch und genießt den frischen Wind auf nackter Haut.

So wird es auch heute gewesen sein.

Drei Tage, bevor ich meine Zelte bei Gilla wieder abbrechen wollte, kommt urplötzlich ein Auto um die Ecke geprescht. Ruckartig mit quietschenden Reifen bleibt es auf dem Platz vor dem Haus stehen. Wie von einer Tarantel gestochen, springt Gilla von ihrem Küchenstuhl hoch und stürzt ohne ein Wort zu verlieren durch die offene Tür nach draußen. Eine junge Frau und zwei Kinder kommen aus dem Wagen gekrabbelt. Auch ich stehe auf, um die Fremde zu begrüßen. Doch wie gebannt bleibe ich mit aufgerissenen Augen und offenem Mund auf der Türschwelle stehen. Nachdem sich die beiden Frauen aufs Herzlichste begrüßt haben, stellt sich die Fremde mit geschlossenen Augen vor Gilla hin. Während Gilla mit ihren Händen am Körper der Frau entlangfährt, bleibt diese wie angewurzelt stehen. Immer wieder gleiten ihre Hände vom Kopf bis zu den Füßen der Frau rauf und runter. Dann bewegen sich ihre Hände so, als wolle sie Wasser vom Körper der Frau abstreifen. Zum Abschluss pustet sie der Fremden ihren Atem ins Gesicht. Die Frau schlägt die Augen auf und erwacht wieder zum Leben.

Aha, Gilla ist jetzt eine selbsternannte Geistheilerin. Das hat sie mir ja noch gar nicht erzählt!

Die Kinder, etwa vier und sechs Jahre alt, turnen unterdessen ausgelassen am Auto herum. Klettern von hinten aufs Dach und rutschen vorn wieder runter. Beide Frauen gehen nun schnurstracks zum Kofferraum des Autos. Sieh da, Sesam öffne dich! Nacheinander zaubern sie Obst und Gemüse, Brote und Käse sowie diverse Wurstsorten ans Tageslicht und legen alles auf den Gartentisch. Sobald der Kofferraum leer und der Tisch bis zum Bersten voll ist, springen Mutter und Kinder husch husch wieder ins Auto. Mit hohem Tempo und quietschenden Rädern fahren sie wieder auf und davon. Der Spuk ist vorbei, ohne dass ich überhaupt die Chance hatte, der Frau „Hallo“ zu sagen. Ein einmaliges Schauspiel. Neugierig trete ich an den Tisch und schaue mir die kostbaren Lebensmittel etwas genauer an. Alles Marken, wie sie Gilla auch vorher aus der Stadt mitgebracht hat.

„Sind die alle aus dem Reformhaus?“, frage ich, immer noch ungläubig die Delikatessen betrachtend. „Ja“, kommt es stolz zurück, während sie die Sachen in die Küche trägt.

„Und was machst du mit so vielen Lebensmitteln?“, bohre ich weiter und helfe ihr. „Dumme Frage, essen natürlich!“

„Hast du das alles umsonst bekommen?“ Meine Neugierde ist unersättlich.

„Klar, bevor Nadine“, so heißt die Fremde, „alles wegschmeißt.“ Aha, so läuft der Hase, ein bisschen Hokuspokus und die Kasse klingelt, das nennt Gilla dann fast geschenkt bekommen. Diesmal schaue ich auf das Verfalldatum. Die nächsten Tage hätte Nadine einiges davon noch verkaufen können. Aber egal, ist ja nicht meine Sache, schließlich habe ich ja auch die ganze Zeit diese Delikatessen genossen.

Gemütlich sitzen wir am nächsten Morgen nach dem Frühstück in der Sonne vor dem Haus. Krampfhaft versuche ich, Gillas Schilderungen über das Nervensystem zu folgen. Ihre Version von den Zusammenhängen des Nervensystems habe ich, so, noch nie gehört. Allmählich kommt es mir unheimlich vor und ich unterbreche sie:

„Gilla, bringst du da nicht was durcheinander?“

„Moni, alles willst du besser wissen, das geht mir allmählich auf den Geist. Denn inzwischen weiß ich es besser!“ Ihre Stimme klingt ungewöhnlich scharf.

Ich traue meinen Ohren nicht, so eine Gilla habe ich bisher noch nicht erlebt. Früher lauschte sie gespannt meinen Ausführungen über die Naturheilkunde und lieh sich auch ab und zu ein Sachbuch von mir. Doch eine Ausbildung in irgendeiner Form über die Naturheilkunde hat sie nicht absolviert. Das wüsste ich, das hätte sie mir erzählt.

„Meine liebe Gilla, gelernt ist gelernt. Ich habe doch nicht umsonst drei Jahre die Heilpraktikerschule besucht. Und wie du weißt, habe ich in Singapur ein Akupunktur-Diplom absolviert. Danach habe ich noch mindestens zehn Jahre lang immer wieder an Heilpraktiker-Kongressen teilgenommen, Spezialkurse besucht und stets alles verstanden. Aber was du mir da erzählst, kann ich einfach nicht nachvollziehen.“ Nun verliert sie völlig ihre Fassung. Wutentbrannt schreit sie mich an und wiederholt, was sie schon vorhin gesagt hat: „Ich hab die Schnauze voll, alles willst du besser wissen, weißt du aber nicht!“

„Oh nein Gilla, alles nicht, ich lerne gern dazu, nur, was dieses Thema angeht, versteh´ ich es eben besser.“

Sie hört nicht auf, wie eine Furie zu schreien. So eine Gilla habe ich wirklich noch nie erlebt. Irgendwann bin auch ich mit meiner Geduld am Ende. Doch ich bleibe ganz ruhig, wie meistens in Situationen, in denen ich merke, sie könne eskalieren.

„Ich hau ab!“ Was Besseres fällt mir nicht ein. Ich stehe auf, gehe nach oben und packe meine sieben Sachen in den Rucksack. Als ich die Küche betrete, hat Gilla bereits zwei Stück Ziegenkäse auf den Tisch gelegt und ist dabei, Brote zu schmieren. Mit unsicherer Stimme sagt sie:

„Moni, sei vernünftig und bleib hier. Du kommst hier doch nicht weg. Der nächste Bus fährt erst wieder morgen früh. Übermorgen fährst du doch eh zurück nach Hamburg.“

„Ich gehe jetzt und was die Sachen betreffen“, ich zeige mit der Hand auf den Tisch, „die nehme ich nicht mit!“ „Aber den Ziegenkäse, den magst du doch so gerne, und du brauchst doch Proviant, wie willst du es denn schaffen?“

„Mir egal, ich schaff das schon!“ Drehe mich um und verschwinde.

Inzwischen ist es zwölf Uhr mittags. Erbärmlich brennt die Sonne vom Himmel. Auf halber Strecke zur Hauptstraße kommt mir ein Auto entgegen und hält an. Es ist der nette Nachbar vom Haus nebenan, der hier mit seiner Frau die Sommermonate verbringt.

„Wo wollen sie denn hin“, er wundert sich wohl, wieso ich allein mit meinem Rucksack unterwegs bin.

„Die ist ja verrückt, total verrückt.“

„Das haben wir auch schon gesagt“, antwortet er mit gelassener Stimme und fährt fort, „trotzdem, wo wollen Sie denn hin?“ „Nach Guéret natürlich, wohin wohl sonst?“ Er runzelt die Stirn, überlegt kurz, dann schlägt er folgendes vor:

„Passen Sie auf, ich bring jetzt meiner Frau die Einkaufssachen, komme danach zurück und fahre Sie dann nach Guéret.“

„Oh, vielen, lieben Dank!“ Erleichtert setze ich mich im Schatten auf einen Stein. Mensch hab ich mal wieder ein Glück, zumal der nette Nachbar auch noch deutsch spricht. Er war im Elsass geboren und aufgewachsen.

Im Zug nach Paris muss ich herzhaft lachen: Nun bin ich auf dieser Reise ein zweites Mal auf der Flucht.

KATZENJAMMER

„Ich…?“, rufe ich zweifelnd in den Hörer, „ich hab doch noch nie auf eine Katze aufgepasst! Bei aller Liebe Ingrid, aber das kann ich nicht!“

Funkstille am anderen Ende der Leitung, dann ein Räuspern und schließlich antwortet sie:

„Wieso nicht, Moni? Die Katze kennt dich und sie mag dich. Außerdem ist eine Katze sehr pflegeleicht, du brauchst mit ihr nicht mal vor die Tür zu gehen, wie mit einem Hund. Du wirst sehen, es ist ein Kinderspiel.“ Mit Engelszungen versucht sie mich, zu überreden. „Sonst kann ich nicht verreisen und du weißt, wie wichtig diese Reise für mich ist.“