Moonlight & Darkness (By Moonlight 1) - Daria Hannibal - E-Book

Moonlight & Darkness (By Moonlight 1) E-Book

Daria Hannibal

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Beschreibung

NIEDRIGER EINFÜHRUNGSPREIS NUR FÜR KURZE ZEIT! "Jeder Wolf braucht sein Rudel. Und wenn deins nicht da ist, dann sind wir deins." Asher ist alles, was Kate nicht braucht: gefährlich undurchschaubar, verrucht und zu allem Überfluss Leader der gefürchtetsten Gang der Umgebung. Aber als die 22-Jährige nach einem Streit mit ihrer Zwillingsschwester Ally an der stürmischen Küste Zuflucht sucht, will sie vor allem vergessen. Und das geht mit Asher erstaunlich gut. Bis Ally plötzlich spurlos verschwindet. Zu spät erkennt Kate, dass sie und ihre Schwester sich tief in eine uralte Feindschaft zwischen außergewöhnlichen Gruppen verstrickt haben ... Die Mythen der Werwölfe, Vampire und Jäger ganz neu interpretiert: Vom cosy Knistern im amerikanischen Kleinstadtsetting bis zu dramatischen Plot-Twists bietet diese Fantasy alles, was das Leser*innenherz begehrt. //Die Bände der spannenden Fantasy-Romance-Dilogie »By Moonlight«: -- Band 1: Moonlight & Darkness -- Band 2: Moonlight & Destiny (erscheint Februar 2025)//

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Daria Hannibal

Moonlight & Darkness (By Moonlight 1)

„Jeder Wolf braucht sein Rudel. Und wenn deins nicht da ist, dann sind wir deins.“

Asher ist alles, was Kate nicht braucht: gefährlich undurchschaubar, verrucht und zu allem Überfluss Leader der gefürchtetsten Gang der Umgebung. Aber als die 22-Jährige nach einem Streit mit ihrer Zwillingsschwester Ally an der stürmischen Küste Zuflucht sucht, will sie vor allem vergessen. Und das geht mit Asher erstaunlich gut. Bis Ally plötzlich spurlos verschwindet. Zu spät erkennt Kate, dass sie und ihre Schwester sich tief in eine uralte Feindschaft zwischen außergewöhnlichen Gruppen verstrickt haben …

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Vita

Danksagung

© privat

Daria Hannibal wurde 1997 in Norddeutschland geboren. Mit dem Schreiben hat sie bereits in der Grundschule angefangen. Schon damals war es ihr großer Traum, eine ihrer Geschichten zu veröffentlichen. Sie studierte Germanistik und ev. Theologie an der Universität Oldenburg. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren fünf Kaninchen gemeinsam in der Nähe von Hamburg.

Für alle, die noch auf der Suche nach ihrem Rudel sind.

Kapitel1

Niemals hätte ich gedacht, dass dies passieren würde. Aber jetzt stand ich hier und hielt mit einer Hand die Kapuze tief in mein Gesicht gezogen. Die andere Hand umklammerte fest den Griff meines Koffers. Unruhig trat ich von einem Bein aufs andere und versuchte immer wieder einen Blick auf die Anzeigetafel zu erhaschen. Der Bus müsste jede Sekunde kommen. Erleichtert atmete ich aus, als er endlich um die Ecke bog und vor mir hielt. Der Busfahrer stieg aus und verfrachtete meinen Koffer und die der anderen Fahrgäste in den Bauch des Busses. Dann drängten wir uns alle rein, froh, endlich im Trockenen und Warmen sitzen zu können. An der Tür zögerte ich einen Moment. War es wirklich das Richtige?

»Rein oder raus«, brummte der Busfahrer und blickte mich finster an, weshalb ich mir einen Ruck gab und entschlossen einstieg. Zielstrebig suchte ich mir einen Platz hinten im Bus. Dort lehnte ich meinen Kopf an die kühle Scheibe. Der Bus fuhr los und die Welt zog draußen an mir vorbei. Regen lief an den Scheiben hinunter. Die Außenwelt wurde von der Musik aus meinen Kopfhörern übertönt. An einem solchen Tag brauchte ich Musik, um abschalten zu können. Es fiel mir schwer, den Fokus zu behalten, immer wieder sprangen meine Gedanken von einem Thema zu anderen. So schnell, dass mir fast schwindelig wurde. Trotz der warmen Heizung, die direkt unter meinem Sitz entlanglief, begann ich zu frieren. Fröstelnd legte ich einen Arm um meinen Oberkörper, kuschelte mich tiefer in meine Jacke und ließ meinen Blick nach draußen gleiten. Dort beobachtete ich, wie sich einzelne Tropfen über die Scheibe jagten. Wie ein Auto zu nah am Bordstein durch eine Pfütze fuhr und die Passanten von oben bis unten nass spritzte. Ich sah immer wieder Menschen mit bunten Regenschirmen über die Bürgersteige eilen. Niemand wollte bei einem solchen Wetter draußen sein. Die Häuser der kleinen Stadt zogen an mir vorbei, ohne dass ich sie wirklich wahrnahm. Wir fuhren aus dem Stadtkern raus, in die kleinen Wohngebiete, in denen sich ein Einfamilienhaus mitsamt Garten an das nächste reihte. Irgendwann wurden auch diese von Feldern und Straßen abgelöst, die ich nicht kannte. In meinen Gedanken war ich draußen und lief.

Der Regen fiel auf mein ungeschütztes Haar und durchnässte mich innerhalb weniger Sekunden komplett. Aber das war mir egal. Ich lief, bis ich keine Luft mehr bekam. Bis ich anhalten und die Hände in die Seiten stützen musste, um nicht umzufallen. Mir war so warm, dass es sich so anfühlte, als verdampfe der Regen auf meiner Haut. Meine Muskeln brannten auf die gute Weise. Die Weise, die die Gedanken vertrieb. Es war nur das Rauschen des Regens zu hören. Nur der Regen und mein Herzschlag. Keine Autos. Keine Menschen. Nur ich und die Natur. Es war so lange her, dass ich einfach gelaufen war. Ohne Ziel. Das letzte Mal war ich vor dem Grab meiner Eltern davongerannt.

Und jetzt rannte ich wieder weg. Viel weiter als damals, ohne dass ich plante wieder zurückzukommen. Und diesmal war ich ganz allein. Langsam verschwand das letzte Sonnenlicht und die Welt zog in der Dämmerung an mir vorbei, sodass meine Lider immer schwerer wurden und ich schließlich eindöste.

***

Meine Beine fühlten sich taub an von der Busfahrt. Die Herbstsonne wärmte mein Gesicht, während der Wind gleichzeitig an meiner Kleidung zerrte. Im Hintergrund kreischten die Möwen laut und ich atmete die frische Küstenluft ein. Das letzte Mal, dass ich hier gewesen war, lag Jahre zurück. Ein trauriges Lächeln huschte über mein Gesicht, als ich mich daran erinnerte, wie Ally und ich als Kinder hier über das Kopfsteinpflaster gerannt waren, wie Dad versucht hatte uns zu fangen, während Mom lachend am Rand stand und uns beobachtete. Damals, als die Welt noch in Ordnung gewesen war.

Tränen sammelten sich in meinen Augen, als ich an unseren Streit der letzten Tage, nein, eigentlich der letzten Wochen dachte. Noch immer hallten ihre Worte in mir nach, wie in Dauerschleife liefen sie vor meinem inneren Auge ab. Wie sie vor mir stand, optisch das perfekte Ebenbild von mir. Tiefe Furchen hatten sich zwischen ihren Augenbrauen gebildet, Verachtung zog ihre Mundwinkel nach unten.

»Du bist einfach nur peinlich, Kate. Wie lange willst du dich noch in deinem Kinderzimmer verkriechen und allen die Ohren vollheulen, wie böse die Welt doch ist. Werd erwachsen, es dreht sich nicht alles um dich.« Ihre Stimme war so kalt gewesen, schnitt direkt in mein Herz. Blinzelnd versuchte ich die Tränen zu vertreiben. Die Ally, die in diesem Augenblick vor mir gestanden hatte, hatte nichts mehr mit meiner Schwester gemeinsam. Wir hatten uns schon oft gestritten, in den letzten Jahren immer mehr, seit sie Leo kennengelernt hatte. Seitdem hatte sie sich so sehr verändert, hatte sich von mir zurückgezogen, wollte das Haus unserer Eltern verkaufen, obwohl ich noch darin wohnte. Ihr schien alles egal, sie hatte nur noch Augen für ihn. Das ging so weit, bis ich es nicht mehr ausgehalten hatte. Schon länger hatte ich mein Studium unterbrochen und gejobbt und immer wieder mit dem Gedanken gespielt, alles hinter mir zu lassen, noch einmal neu anzufangen. Das Einzige, was mich bis jetzt davon abgehalten hatte, war Ally gewesen. Aber sie hatte mir sehr deutlich gesagt, dass sie mich nicht mehr um sich haben wollte. Meine Fingernägel gruben sich schmerzhaft in meine Handflächen, als ich daran dachte, dass sie vorhatte, diesen Widerling zu heiraten, wie sie mich vor die Wahl stellte. Keine von uns hätte wohl jemals gedacht, dass ich mich fürs Gehen entscheiden würde. Aber ich konnte nicht anders, ich konnte es einfach nicht mehr ertragen.

Der Busfahrer unterbrach meine Gedanken, indem er mir meinen Koffer gab, der zugegebenermaßen riesig war, und zurück in den Bus stieg. Kurz darauf fuhr er mit brummendem Motor wieder los und ließ mich allein an diesem verlassen wirkenden Fleckchen Erde zurück.

Ich bückte mich und griff nach meiner Tasche, die ich neben mich auf den Boden gestellt hatte. Nach ein bisschen Wühlen fand ich schließlich meine Kopfhörer, holte sie aus ihrer Verpackung, steckte sie mir in die Ohren und verband sie mit meinem Handy. Das Display musste ich mit der Hand abschirmen, um in der hellen Sonne überhaupt etwas erkennen zu können. Wären es nicht nur 15 Grad, hätte man glatt vergessen können, dass Oktober war. Schließlich hatte ich die perfekte Playlist gefunden und öffnete meine Navigations-App. Grob konnte ich mich zwar noch an den Weg erinnern, aber es war Jahre her, dass ich ihn gegangen war. Ich gab die Adresse meiner Tante ein und ließ mir den Weg anzeigen. Gestern Abend hatte ich ihr noch eine kurze Nachricht geschickt, dass ich heute hier aufschlagen würde. Als Antwort hatte ich heute Morgen nur ein OK erhalten. Ich prägte mir die Strecke ein und steckte mein Handy in die Tasche meiner Lederjacke. Statt mich die ganze Zeit navigieren zu lassen, wollte ich lieber ein wenig von dem Ort sehen, bevor ich bei meiner Tante ankam. Entschlossen packte ich den Griff meines Koffers und begann ihn über das unebene Pflaster zu ziehen. Es kam mir unnatürlich laut vor, wie die Rollen über den Boden schepperten. Aber ein Blick um mich herum verriet mir, dass noch immer keine Menschenseele zu sehen war. Also machte ich stattdessen meine Musik, gerade lief Linkin Park, lauter und lief los.

Das kleine Städtchen hatte sich kein bisschen verändert, seit ich das letzte Mal hier gewesen war. Es reihten sich kleine, zweistöckige Häuser aneinander. In den meisten waren unten kleine Läden oder Cafés, die in den Sommermonaten gut besucht waren. Green Harbor lebte vom Tourismus in den Sommermonaten. Doch jetzt war die Saison so langsam vorbei und es würden nur noch wenige Besucher hier sein.

Ich kam an einem kleinen Café vorbei, in dem drinnen nur zwei Leute an den Tischen saßen, Kaffee tranken und Zeitung lasen. Kurzerhand blieb ich stehen und öffnete die Tür. Begrüßt wurde ich von einer kleinen Glocke, die zu klingeln begann, als ich den Laden betrat. Während ich meinen Koffer weiter hinter mir herzog, lief ich zum Tresen. Mein Magen begann zu knurren, als ich die vielen Gebäckstücke in der Auslage sah. Augenblicklich lief mir das Wasser im Mund zusammen. Der Mitarbeiter des Cafés hatte mir den Rücken zugedreht und hantierte mit der Kaffeemaschine. Er hatte dunkles dichtes Haar und trug ein weites weißes Shirt. An seinen Armen konnte ich einige Tattoos ausmachen. Ich pausierte meine Musik und räusperte mich. Er drehte sich zu mir um. Er hatte ein kantiges Gesicht und seine dunkelbraunen Augen wurden von dichten, schwarzen Wimpern umrahmt. Als er mich sah, weiteten sich seine Augen einen kurzen Moment, als hätte er mit jemand anderem gerechnet. Dann verzog er seinen Mund zu einem lässigen Lächeln, stützte sich mit den Unterarmen auf dem Tresen zwischen uns ab und schaute durch seine Locken zu mir auf. Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück. Fragend zog er eine Augenbraue hoch.

»Starren kostet extra.« Seine Stimme war rau, sie klang beinahe heiser. Eine Gänsehaut überzog meine Arme.

»Was?« Es schien, als hätte ich soeben sämtliche Gehirnzellen an der Tür abgegeben.

Er lachte leise.

»Wenn du mich weiter so anstarrst, muss ich dir leider mehr für einen Kaffee berechnen. Mich gibt es nicht umsonst.« Sein Blick bohrte sich in meinen. Mir wurde heiß und das Blut schoss in meine Wangen. Was für ein arrogantes Arschloch.

»Ich war nur fasziniert davon, dass so jemand wie du Menschen bedienen darf«, feuerte ich zurück.

»So jemand wie ich?«

»Du versprühst so eine Arroganz, vertreibt das nicht die Kundschaft?«

Seine Augen funkelten mich belustigt durch seine dichten Wimpern an.

»Ehrlich gesagt, gibt es viel mehr Kundschaft, seit ich hier arbeite. Insbesondere weibliche.« Er beobachtete genau meine Reaktion. Mir kam es auf einmal sehr warm hier drin vor. Betont langsam blickte ich mich im Café um. Dann deutete ich mit einem Kopfnicken auf die einzigen beiden Gäste. Männer um die sechzig Jahre.

»Jetzt, wo du es sagst, sehe ich auch die Massen kreischender Mädchen hier. Komisch, dass sie mir nicht direkt aufgefallen sind.« Ich zuckte mit den Schultern und lächelte entschuldigend, während meine Stimme vor Sarkasmus troff. Seine Mundwinkel zuckten, aber sein Gesicht blieb ernst, als er sich noch ein Stück weiter über den Tresen vorbeugte.

»Keine Sorge, die anderen interessieren mich nicht«, flüsterte er mir verschwörerisch zu. Ich beugte mich ein Stück zu ihm hinunter. Unsere Gesichter waren nicht mehr weit voneinander entfernt, sodass ich den stechenden, alkoholischen Geruch seines Aftershaves riechen konnte.

»Mir wäre es lieber, wenn du mir einen Kaffee machen würdest, statt mich weiter anzustarren. Nicht, dass die anderen noch eifersüchtig werden und hinterher über mich herfallen.« Ich richtete mich wieder auf und wandte mich den Backwaren zu. Dann deutete ich auf eine Zimtschnecke.

»Und die bitte dazu.«

Ihm entfuhr ein kleines Lachen, als er sich wieder aufrichtete und nach einer Zange griff, um die Zimtschnecke aus der Vitrine zu befreien und in einer Papiertüte zu verstauen. Dann drehte er sich zur Kaffeemaschine um, nahm das Sieb und füllte es mit Kaffeepulver.

»Willst du ihn schwarz oder Milch und Zucker dazu?«, fragte er über die Schulter hinweg. Jetzt klang er beinahe professionell. Ich beobachtete, wie die Muskeln seine Tattoos auf den Armen bewegten. Aus meiner Perspektive konnte ich nur erahnen, was die Motive waren. Ich war mir aber sicher, dass ich einen Wald ausmachen konnte.

»Mit Zucker und viel Milch, bitte«, antwortete ich und besann mich darauf, ihn nicht weiter anzustarren. Stattdessen kramte ich nach meinem Portemonnaie.

Er legte die Tüte mit der Zimtschnecke auf den Tresen zwischen uns und stellte den dampfenden Kaffeebecher daneben. Dann tippte er etwas in die Kasse ein.

»Das macht sechs Dollar.« Ohne hochzuschauen nahm er das Geld, dass ich ihm reichte. Ich griff nach meinen Sachen und wandte mich zum Gehen.

»Bleibst du länger hier in der Stadt?« Überrascht drehte ich mich um. Er lehnte an der hinteren Theke und sah mich fragend an. Ich lächelte.

»Das geht dich nen feuchten Dreck an«, sagte ich, griff nach meinem Koffer und verließ das Café, begleitet von seinem heiseren Lachen.

Ich lief weiter die Straßen runter, während ich meinen Kaffee trank und anschließend die Zimtschnecke aß. Der Weg war doch weiter, als ich gedacht hatte. So langsam bereute ich es, meine Tante nicht gebeten zu haben, mich abzuholen. Am liebsten hätte ich vor Erleichterung laut gejubelt, als ich endlich die Holzveranda von Stephanies Haus erspähte. Die Holzverkleidung des Hauses war mit einer hellblauen Farbe gestrichen, die schon so langsam abblätterte. Ich hievte meinen Koffer die Stufen bis zur Haustür hinauf und klopfte. Stephanie besaß keine Klingel. Sie sagte, das schrille Läuten würde sie nur beim Schreiben aus der Konzentration reißen. Sie arbeitete als selbständige Kinderbuchautorin und war eigentlich immer in irgendeine Idee vertieft. Was der Unterschied zwischen einer Klingel und einem Klopfen, das sie auf ihrer Konzentration riss, war, erschloss sich mir jedoch nicht.

Es dauerte einen Augenblick, bis ich drinnen Schritte hörte und die Tür mit einem leichten Knarzen geöffnet wurde. Stephanie sah noch genauso aus wie beim letzten Mal, als ich sie gesehen hatte. Das dunkle, lange Haar hatte sie zu einem unordentlichen Dutt zusammengebunden, aus dem ihr mehrere Haarsträhnen ins Gesicht fielen. Ihr schmales Gesicht mit hohen Wangenknochen ließ ihre dunklen Augen noch mehr hervorstechen. Sie trug wie immer ein kariertes Hemd offen über einem weißen Top und dazu graue Shorts und Flipflops. Es war ihr völlig egal, ob es draußen schneite oder dreißig Grad war. Wenn sie arbeitete, trug sie immer kurze Sachen. Als sie mich zur Begrüßung anlächelte, bildeten sich kleine Fältchen um ihre Augen. Die waren neu und gaben ihrem sonst so jugendlichen Aussehen eine gewisse Reife.

Sie breitete die Arme aus und ich warf mich in die Umarmung regelrecht hinein. Sie schlang ihre Arme um mich und drückte so doll, dass mir kurz die Luft wegblieb. Prustend befreite ich mich ein Stück weit wieder aus ihrer Umarmung.

»Na, Kitty-Kat, beehrst du mich auch endlich mal wieder mit deiner Anwesenheit?« Die Stimme meiner Tante klang immer sanft, aber es schwang auch immer ein Lachen mit.

Ich packte meinen Koffer und schob ihn Richtung Tür.

»Ich hoffe, du hast noch Platz in deiner Bruchbude für eine kleine Streunerin«, sagte ich und quetschte mich an ihr vorbei in den Flur. An der geraden Treppe nach oben hingen lauter Bilder von allen möglichen Buchcovern. Alle diese Bücher hatte meine Tante geschrieben und veröffentlicht. Hin und wieder konnte ich auch ein Bild von Ally und mir sehen. Ansonsten gab es im Haus meiner Tante keine Bilder von irgendwelchen Verwandten.

Sie schloss die Tür hinter mir und ich befreite mich von meinen Boots und der Jacke.

»Für dich hab ich immer Platz«, erwiderte sie und lief an mir vorbei den Flur hinunter in die Wohnküche. Den Koffer und meine Tasche ließ ich im Flur stehen und folgte ihr. Ich setzte mich auf einen der Stühle am Küchentisch, während meine Tante nach der vollen Kaffeekanne griff und zwei Tassen aus einem Schrank holte. Eine davon stellte sie vor mir ab, die andere vor sich. Dann goss sie den dampfenden Kaffee hinein und stellte die Kanne auf einem Untersetzer zwischen uns auf dem Tisch ab. Sie drehte sich um und streckte sich nach einer Schublade hinter sich. Dabei lehnte sie sich auf ihrem Stuhl so weit zurück, dass ich Sorge hatte, sie würde gleich umkippen. Doch sie schaffte es, die Schublade zu öffnen und zwei Löffel herauszuholen. Währenddessen griff ich nach der kleinen Zuckerdose, die bereits auf dem Tisch stand und kippte drei Löffel Zucker in meine Tasse. Ich reichte die Dose Stephanie und sie tat sich ebenfalls einen Löffel in den Kaffee. Ich genoss das Schweigen zwischen uns. Steph und ich hatten uns schon immer gut verstanden. Wir konnten nicht nur beide sehr ungestüm sein, wir schafften es gemeinsam auch einfach mal zu schweigen. Bei anderen konnte ich Stille nur schwer ertragen. Doch jetzt war nur das leise Klirren der Löffel in unseren Tassen zu hören. Stephanie nahm die Tasse, trank vorsichtig einen Schluck und lehnte sich dann in ihrem Stuhl zurück. Abwartend sah sie mich an.

Ich seufzte, hob meine Tasse und pustete sanft in den Dampf hinein. Dann trank ich ebenfalls einen kleinen Schluck, an dem ich mir prompt den Mund verbrannte. Ich stellte die Tasse wieder auf den Tisch und legte meine Hände schützend darum. Ich musste wohl noch ein wenig warten, bis er wirklich trinkbar war.

»Ich freue mich wirklich, dass du da bist, und du kannst so lange bleiben, wie du willst. Aber was ist los, Kitty-Kat?« Tante Stephanie war die Einzige, die mich so nennen durfte. Nicht mal Ally erlaubte ich diesen Spitznamen. Unruhig rutschte ich auf meinem Platz hin und her.

»Ich musste mal raus da. Ein wenig weg von Zuhause. Mir ist einfach die Decke auf den Kopf gefallen.« Es war nicht wirklich gelogen, aber die Wahrheit war es auch nicht.

»Du musst mir nicht sagen, was genau passiert ist. Ich muss nur wissen, ob ich mich darauf einstellen muss, dass demnächst die Polizei oder das FBI an meine Tür klopft.«

Ich prustete leicht und hätte mich beinahe an meinem Kaffee verschluckt, der mittlerweile eine zumindest halbwegs trinkbare Temperatur erreicht hatte.

»Keine Sorge. Ich hab nichts Illegales getan«, erwiderte ich, »Ally und ich haben uns gestritten. So richtig. Ich wollte einfach nur weg.« Überrascht schaute Steph mich an.

»So schlimm? Was hat sie denn angestellt?« Stephanie und Ally hatten sich nie sonderlich nahegestanden.

»Sie wird Leo heiraten.« Nun war es meine Tante, die sich an ihrem Kaffee verschluckte. Nach einem Hustenanfall richtete sie sich auf und sah mich aus großen Augen an.

»Ehrlich? Diesen Schleimbolzen? Ich hätte meine Hand darauf verwettet, dass die Beziehung nicht mal das erste Jahr übersteht. Was findet sie nur an dem?« Mit jedem Wort wurde ihre Stimmer lauter und sie aufgebrachter. »Und du bist damit nicht einverstanden, nehme ich an. Ihr habt euch also deshalb gestritten.«

Ich nickte nur zur Bestätigung.

»Ich hab ihr von der Geschichte mit Leo erzählt«, flüsterte ich. Mein Blick trübte sich leicht, als ich spürte, wie Tränen in mir aufstiegen. Meine Hand verkrampfte sich um die Tasse, als wäre sie mein Rettungsanker.

»Und sie hat dir nicht geglaubt?« Stephanie wusste, was damals zwischen Leo und mir gewesen war. Nachdem Ally ihn mitgebracht hatte, hatte ich mich schon einmal zu Stephanie geflüchtet und ihr alles erzählt. Sie war es, die mir den Rat gab, erst einmal abzuwarten, wie sich alles entwickeln würde, bevor ich Ally mit der Geschichte vor den Kopf stoße. Ich hörte auf sie, denn normalerweise posaunte ich immer alles direkt raus und damit war ich mehr als nur einmal auf die Nase gefallen. Es war das erste größere Geheimnis, das ich vor meiner Schwester hatte. Danach war irgendwie alles den Bach runtergegangen.

Stephanie stellte ihre Tasse mit einem lauten Knall auf den Tisch, stand schwungvoll auf und riss mich so aus meinen Gedanken. Ich hatte ganz vergessen, ihr zu antworten.

»Na gut, es ist, wie es ist. Wenn sie sich dazu entschieden hat, können wir es auch nicht ändern. Ihr habt beide den Dickkopf eures Vaters geerbt«. Ein trauriges Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. »Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Lass ihr und dir die Zeit, das alles erstmal zu verarbeiten. Er muss ihr ganz schön den Kopf verdreht haben. Da ist es nicht so einfach, das komplette Bild einer Person zu verändern. Warte einfach ein bisschen, bis sich die Lage und die erhitzten Gemüter beruhigt haben. Und dann sehen wir weiter.« Sie klang so zuversichtlich, aber sie wusste auch nicht alles. Sie hatte Ally nicht gesehen, nicht die Verachtung in jeder Pore ihres Körpers gespürt. So schnell würde sich nichts ändern.

»Und jetzt los, pack deine Sachen aus und dann mach irgendwas, aber sitz nicht hier in der Küche deiner alten Tante und blas Trübsal. Außerdem müssen andere Leute arbeiten. Apropos: Das Smith’s sucht eine Aushilfe an der Bar.« Den letzten Satz ließ sie nebenbei fallen, als sie schon auf dem Weg nach draußen in Richtung ihres Arbeitszimmers war. In dem Moment begann mein Handy zu vibrieren. In der Annahme, es wäre vielleicht Ally zog ich es hastig aus meiner Tasche und blickte auf den Bildschirm.

»Scheiße!«, fluchte ich und entsperrte hastig das Handy.

»Hast du was gesagt?«, ertönte die Stimme meiner Tante aus dem Flur.

»Nein. Kümmere dich nicht um mich, deine Bücher brauchen dich dringender«, rief ich zurück und las die Nachricht nochmal.

»Wo zum Teufel bist du, Kate?! Hier ist die Hölle los. Wenn du nicht in ner halben Stunde da bist, dann brauchst du gar nicht mehr zu kommen!«

Ich hatte vergessen, bei der Arbeit Bescheid zu geben. Ich konnte die Wut meines Chefs praktisch durchs Handy hindurch spüren. Schnell tippte ich eine Antwort, in der ich mich entschuldigte und auf unbestimmte Zeit krankmeldete. Prompt kam die Antwort: »Lass dir so viel Zeit zum Gesundwerden, wie du willst. Du brauchst nicht mehr wiederkommen.« Ich lachte über die Absurdität dieser Nachricht. Er war einfach ein Arschloch. Tja, dann sollte ich heute Abend vielleicht tatsächlich mal im Smith’s vorbeischauen.

Kapitel2

Den Rest des Tages bekam ich meine Tante kaum zu Gesicht. Würden nicht das Klicken der Tastatur und ihre regelmäßigen, frustrierten Seufzer durchs Haus hallen, hätte ich gedacht, sie sei gar nicht mehr da. Den Nachmittag hatte ich damit verbracht, meine Klamotten aus dem Koffer in den großen, dunklen Eichenschrank oben im Gästezimmer zu hängen. Auch wenn das Zimmer für Gäste im Allgemeinen war, betrachtete ich es als mein eigenes. So viele Sommer hatte ich als Kind hier verbracht. Oft hatte ich meine Tante über den Sommer besucht, meistens gemeinsam mit meinem Vater, hin und wieder sind auch Mom und Ally mitgekommen. Dies war die einzige Zeit, in der ich für länger als eine Nacht von meiner Schwester getrennt gewesen war. Jedes Mal hatte ich genau in diesem Zimmer geschlafen. Manchmal mit meiner Schwester, manchmal ohne. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen, als ich auf dem Schreibtisch unter dem Fenster meinen eingeritzten Namen fand. Gott, hatte ich damals Ärger dafür bekommen. Aus dem Fenster des Zimmers blickte ich direkt auf eine Wiese, an deren Ende sich ein Wald anschloss. Es gab keine Zäune, ich war mir nicht sicher, wo der Garten des Hauses aufhörte und die Wiese anfing. Als ich das Fenster aufriss, spürte ich den kühlen Wind auf meiner Haut. Es war, als fiele in diesem einen Augenblick eine zentnerschwere Last von meinen Schultern. Erleichtert atmete ich die frische Luft tief ein, ließ sie meine Lungen bis zum Rand füllen und stieß dann den angehaltenen Atem aus. Ein Blick zum Wecker auf dem Nachttisch verriet mir, dass es so langsam spät genug war, um mich auf den Weg zur Bar zu machen.

Ich polterte die Treppe hinunter, schlüpfte in meine Boots und die Lederjacke. Über die Schulter rief ich in Richtung des Arbeitszimmers: »Ich geh mir dann mal einen Job suchen!«

»Gute Entscheidung. Nimm ruhig das alte Fahrrad aus dem Schuppen, das dürfte noch funktionieren. Der Schlüssel ist in der linken Schublade der Kommode«, kam es von Stephanie zurück. Dann hörte ich wieder das Klackern der Tastatur.

Ich ging zu der kleinen Kommode, die links von der Haustür stand, und zog die obere Schublade auf. Ein genervtes Stöhnen entfuhr mir, als ich das Sammelsurium von Schlüsseln erblickte. Es dauerte ein paar Minuten, bis ich mich durch die vielen Fahrrad-, Tür- und nicht identifizierbaren Schlüssel, woher auch immer die alle stammten, gewühlt hatte und einen fand, der eventuell in ein Fahrradschloss passen könnte. Wenn er es nicht war, würde ich laufen. Damit wäre ich garantiert schneller, als jeden einzelnen Schlüssel auszuprobieren.

Schwungvoll öffnete ich die Haustür und genoss für einen kurzen Augenblick die orangenen Strahlen der untergehenden Sonne auf meinem Gesicht. Noch konnte man die Restwärme des Sommers in ihnen spüren. Statt des Straßenlärms, den ich aus der Stadt gewohnt war, begegneten mir hier nur Vogelgezwitscher und das Rauschen des Windes in den Bäumen. Ich lächelte. Seit Langem fühlte ich mich wieder frei.

Mit entschlossen Schritten lief ich zum Schuppen, der neben der Einfahrt stand und zog die Tür auf. Sie knarrte laut und schleifte über den Boden. Drinnen war es düster und staubig. In dem dämmrigen Licht konnte ich eine Vielzahl an Gartengeräten ausmachen. Als ich hineinging, wirbelte der Staub vom Boden auf und kribbelte sofort in meiner Nase. Zum Glück stand das Fahrrad direkt vorne. Ich steckte den Schlüssel ins Schloss und betete, dass es aufspringen würde. Etwas Ruckeln war notwendig, doch dann klickte es auf. Ich schloss meine Hände um die abgenutzten Griffe des Lenkers, löste mit meinem Fuß den Ständer und schob es rückwärts aus dem Schuppen. Draußen inspizierte ich es dann erst einmal genauer. Es war staubig und voller Spinnweben, aber nachdem ich es ein wenig abgewischt hatte, sah es ganz passabel aus. Zumindest in die Stadt und wieder zurück würde es mich bringen, also schwang ich mich auf den Sattel und fuhr los.

Die Straße war mit ihren Huckeln und Schlaglöchern nicht optimal zum Radfahren, aber irgendwie schaffte ich es, sicher an der Bar anzukommen. Mittlerweile war die Sonne fast hinterm Horizont verschwunden.

Ich blickte durch das kleine Fenster in der Tür. Drinnen herrschte ein schwummriges Licht. Noch standen die Stühle alle oben und ich konnte keine Gäste erkennen. Aber dafür war es vermutlich auch noch zu früh. Bevor ich losgefahren war, hatte ich im Internet versucht, etwas über die Bar und vor allem über ihre Öffnungszeiten herauszufinden, aber es hatte absolut nichts gegeben. Das war für Green Harbor aber auch keine Besonderheit, wie ich schnell feststellte. Hier wurde offensichtlich keinen Wert auf eine Internetpräsenz gelegt.

Entschlossen griff ich nach der Klinke der alten Tür und hoffte einfach, dass sie sich öffnen ließ. Ich hatte keine Lust, hier noch lange rumstehen zu müssen. Die Klinke quietschte leise und man spürte, dass sie lange nicht mehr geölt worden war. Aber die Tür ließ sich problemlos öffnen.

Drinnen schlug mir warme, nach Alkohol und altem Zigarettenrauch riechende Luft entgegen. Nach Jahren hatte sich der Geruch in den Wänden und Möbeln festgesetzt. Suchend blickte ich mich um. An den Wänden waren überall Tische aufgereiht, an denen dunkle Bänke, die mit rotem Leder überzogen waren, standen. In der Mitte standen kleinere Tische mit Stühlen. Ich ging in Richtung Bar, wo ein Typ in einem schwarzen T-Shirt gerade ein paar Gläser mit einem Tuch polierte und unter dem Tresen verstaute. Aus den Boxen in der Ecke erklang leise Klaviermusik, was irgendwie einen merkwürdigen Kontrast zu dem Ambiente bildete. Als die Tür ins Schloss fiel, sah der Typ auf. Er hatte helles, fast schon weißblondes Haar und ein schmales Gesicht, seine Augen erinnerten mich irgendwie an einen Labrador. Überrascht schaute er mich an.

»Wir machen erst in ner Stunde auf«, erklärte er mit einem Blick zu Uhr, die hinter ihm an einer Wand hing.

»Ich bin nicht hier, um zu trinken«, erwiderte ich und setzte mich vor ihm auf einen Barhocker. Er ließ seine Hände mit dem Handtuch und dem Glas sinken und sah mich interessiert an.

»Womit kann ich dir dann behilflich sein?« Bei dem warmen Klang seiner Stimme konnte ich mir sehr gut vorstellen, dass er hervorragend singen konnte.

»Meine Tante sagte, dass ihr eine Aushilfe sucht. Ich bin hier doch richtig im Smith’s, oder?« Ich hatte zwar das Schild draußen gesehen, aber nirgendwo einen Aushang, dass wirklich eine Aushilfe gesucht wurde. Ein Teil von mir befürchtete, dass Stephanie Blödsinn erzählt hatte und ich mich hier jetzt zum Affen machte, aber der Typ begann zu lächeln und nickte zur Bestätigung.

»Das ist richtig. Ich hab dich hier aber noch nie gesehen. Wer ist denn deine Tante?« Trotz seiner freundlichen Stimme, glaubte ich, Skepsis in seinem Unterton zu vernehmen. Ich stützte mich mit meinen Unterarmen auf den Tresen vor mir auf. Nervös spielte ich mit den Ringen an meinen Fingern. Solche Situationen bereiteten mir immer Unbehagen. Vor jedem Vorstellungsgespräch war ich super aufgeregt. Was tat ich, wenn sie mich hier nicht haben wollten? Wenn ich nicht gut genug war? Vermutlich würde ich diesen Laden nie wieder betreten.

»Stephanie Mirror. Sie wohnt hinten beim Wald. Ich bin heute auch erst angekommen«, antwortete ich auf seine Fragen. Bei der Erwähnung des Namens meiner Tante leuchteten seine Augen auf. Sein Lächeln wurde breiter.

»Ah, Steph schickt dich. Dann bist du also eine ihrer Nichten. Gab es nicht zwei von euch?« Sein Blick irrte kurz hinter mich, als würde er glauben, er hätte meinen Zwilling nur übersehen. Innerlich schlug ich mir gegen die Stirn. Was hatte Stephanie hier alles erzählt?

»Ja, stimmt. Meine Schwester ist aber nicht mitgekommen. Ich bin alleine hier und suche einen Job, also hast du nun was oder nicht?«, wich ich seiner Frage aus und versuchte gleichzeitig jede weitere zu unterbinden. Er schien den Wink zu verstehen und konzentrierte sich wieder auf das Glas in seinen Händen.

»Hast du sowas schon mal gemacht?« Jetzt klang er ganz professionell.

Ich nickte: »Ich hab zu Hause schonmal in einer Bar gearbeitet. Das letzte Jahr hab ich gekellnert und zwischendurch auch mal hinterm Tresen gestanden.«

Er nickte, während er mir zuhörte, als würde er im Kopf eine Checkliste abhaken.

»Ab wann kannst du denn anfangen?«

»Ab sofort.«

Er räumte das fertig polierte Glas unter den Tresen, stützte sich mit den Händen auf der Arbeitsfläche ab und schaute mich an.

»Es gibt 12$ in der Stunde, Trinkgeld darfst du behalten. Der Schichtplan für die kommende Woche wird immer am Sonntag erstellt. Du kannst heute direkt anfangen.«

»Alles klar, eine Frage hätte ich aber noch: Bist du überhaupt berechtigt mich einfach so einzustellen?« Er war kaum älter als ich. Ich hätte erwartet, dass er mich zu seinem Chef bringen würde. Bei meiner Frage begann er zu lachen.

»Nein, ich mach es trotzdem.« Er kicherte immer noch. »Die Bar gehört meinem Dad. Der alte Smith hat aber keine Lust mehr und lässt mich hier jetzt zu Tode schuften, während er sich die Taschen füllt.« Ich stimmte in sein Lachen mit ein, um meine eigene Peinlichkeit zu überspielen. Irgendwie war es mir auf einmal sehr unangenehm diese Frage gestellt zu haben.

Langsam beruhigte er sich wieder. Mit einem Kopfnicken in Richtung der Tür, die sich neben der Bar befand, deutete er mir ihm zu folgen. Auf dem Weg nach hinten erklärte er mir über die Schulter hinweg noch ein paar Dinge, unter anderem worauf ich zu achten hatte.

Das Hinterzimmer war klein und stickig. Es passten gerade mal ein Tisch mit zwei Stühlen und ein Metallschrank mit verschiedenen Fächern rein. Hinter ihm konnte ich ein kleines Regal erahnen. Es gab einen Durchgang in eine kleine Küche und eine Metalltür, von der ich vermutete, dass sie nach draußen führte. Er deutete auf den Spind oben links.

»Das ist deiner. Hier hast du ne Schürze, mehr Arbeitskleidung gibt’s nicht.« Er griff hinter sich in ein Regal und zog eine schwarze, gefaltete Schürze raus, die er mir reichte. Ich griff danach, zog meine Jacke aus, legte sie in den Spind und band mir die Schürze um die Hüfte.

»Ach, ich bin übrigens Karl. Die Alten nennen mich alle Little Smith, aber wenn du das tust, muss ich dich leider gleich wieder fristlos entlassen.« Seine Miene war todernst, aber seine Stimme verriet, dass er nur Scherze machte. Ein warmes Gefühl der Erleichterung breitete sich in meiner Brust aus. Wenn die anderen auch nur ein bisschen so drauf waren wie Karl, dann würde ich hier eine ganz angenehme Zeit haben.

»Ich heiße Kate. Wenn du mich Kitty nennst, muss ich dich leider töten«, erwiderte ich lächelnd und streckte ihm meine Hand entgegen. Karl ergriff sie und schüttelte sie grinsend. Sein Griff war angenehm fest, seine Hand warm.

»Ist notiert, Kate.«

***

In der nächsten Stunde polierten wir gemeinsam die Gläser. Karl erklärte mir ein paar Dinge über die Bar und die Stadt sowie die Gäste, die mich heute erwarteten.

»Wenn Joe und Lenny zu viel Bier getrunken haben, dann muss man gewaltig darauf aufpassen, dass möglichst viele Menschen zwischen den beiden sitzen.«

»Weil sie sich sonst prügeln?«

Karl nickte. »Nüchtern sind sie die besten Freunde, aber betrunken wollen sie sich immer miteinander messen, was meistens in der Notaufnahme endet.«

Gedanklich notierte ich mir alles, was er sagte. Es war goldwert, so etwas bereits im Voraus zu wissen. Das hatte ich bei meiner letzten Stelle in einer Bar schmerzlich erfahren müssen. Unbewusst wanderte meine Hand auf meinen rechten Oberarm. Versteckt unter dem langen Ärmel meines Shirts war dort eine große Narbe. Ich hatte damals nicht gewusst, wann man den Typen keinen Whiskey mehr nachschenken sollte. Das Glas war zwar nicht für mich bestimmt gewesen, die Wunde musste dennoch mit mehreren Stichen genäht werden. Trotzdem mochte ich diese Art von Arbeit. Es gab einem die Möglichkeit, Menschen kennenzulernen, ohne etwas über sich selbst preisgeben zu müssen.

Wir arbeiteten weiter im einvernehmlichen Schweigen. Die Handgriffe hatten etwas Meditatives an sich. Ungefähr eine Stunde später kamen die ersten Gäste durch die kleine Tür in die Bar. Es dauerte nicht lange, bis sich der kleine Raum gefüllt hatte und alle Plätze belegt waren. Der Duft nach Alkohol vermischte sich mit dem Geruch billiger Aftershaves. Wie zu erwarten, lagen Karl und ich deutlich unter dem Altersdurchschnitt. Überwiegend waren es Männer ab vierzig Jahren, die ich bediente und die immer wieder Bemerkungen dazu abließen, dass sie mich ja noch nie hier gesehen hätten. Ich rollte dann lachend mit den Augen und gab einen kleinen Kommentar dazu ab, stellte ein neues Glas vor sie und dann interessierten sie sich auch schon mehr für ihr Getränk als für mich. Je später der Abend wurde, desto jünger wurde die Kundschaft. Aber die Vermutung lag nahe, dass es in der Umgebung entweder noch eine weitere Bar geben musste, wovon ich in der Gegend eher nicht ausging, oder dass es hier nicht so viele junge Menschen gab, was mir wahrscheinlicher vorkam. Es machte mir Spaß. Mit jeder Stunde, die verging, taute auch Karl neben mir auf. Er lachte und flirtete, was das Zeug hielt. Es schien ihm alles leicht von der Hand zu gehen. Die meisten mussten noch nicht einmal sagen, was sie haben wollten, da stellte er ihnen bereits das richtige Glas vor die Nase. Man konnte förmlich sehen, dass sich Karl in seinem Element befand.

Im Laufe der Schicht verfluchte ich mich immer wieder, mir ein langärmeliges Shirt angezogen zu haben. In der stickigen Luft lief mir der Schweiß den Rücken runter. Meine Haare hatte ich mir mit einem Zopfgummi zu einem wirren Dutt auf den Kopf geschlungen. Einzelne Strähnen fielen mir ins Gesicht und blieben an meiner verschwitzten Haut kleben. Es störte mich nicht. Ich genoss die Atmosphäre: den rauen Ton, die derben Witze. Die Stunden vergingen wie im Flug. Vielleicht war es der viele Alkohol, der die Luft schwer machte, vielleicht der Sauerstoffmangel, aber ich fühlte mich wie berauscht. Immer wenn mich die Gäste dazu aufforderten mitzutrinken, goss ich mir Wasser ins Glas, getarnt in einer Wodkaflasche. Es tat gut, einfach zu lachen, ein wenig zu flirten, mit dem Wissen, dass sich am nächsten Tag die meisten eh nicht mehr daran erinnern konnten. Später kam noch ein weiterer Angestellter dazu. Bob war bereits Mitte fünfzig, die Geheimratsecken gruben sich tief in seine grauen Haare. Er war groß und breit gebaut, man sah, dass er regelmäßig Krafttraining machte. Er hätte genauso gut als Türsteher irgendwo arbeiten können. Wenn er lachte, schien die Luft um ihn herum zu vibrieren. Alles an ihm erinnerte mich an einen riesigen, kuscheligen Grizzly.

Irgendwann gab Bob mir mit einem Nicken zur Uhr zu verstehen, dass ich mal eine Pause machen sollte. Ich huschte durch die Tür nach hinten und ließ mich mit einem erleichterten Seufzen auf einen der Stühle fallen.

Kurz darauf kam Karl, ebenfalls völlig verschwitzt, in den kleinen Pausenraum und setzte sich zu mir an den Tisch. Er streckte die Beine seitwärts am Tisch vorbei aus und lehnte sich erschöpft, aber mit einem glücklichen Lächeln auf dem Gesicht zurück.

»Das ist voll dein Ding, oder«, fragte ich und lächelte unwillkürlich. Seine Freude war ansteckend. Er nickte einfach nur mit geschlossenen Augen.

»In diesen Stunden kann ich sein, wer ich will. Mich einfach mit dem Strom ziehen und davontragen lassen. Ich könnte mir niemals vorstellen, den ganzen Tag in einem Büro vor einem Rechner zu sitzen. Ich hasse es schon, wenn hier die Buchhaltung mal wieder ansteht.« Er setzte sich wieder ein Stück aufrechter hin.

»Und wie gefällt es dir? Du scheinst die Arbeit auch zu genießen, oder bist du eine so gute Schauspielerin?« Mit einer Hand strich er sich eine weißblonde Strähne aus dem Gesicht.

»Wenn ich eins nicht kann, dann Schauspielern. Man sieht mir meine Laune immer sofort an, meistens ist es eine schlechte.« Karl lachte leise über meinen Witz.

»Ich mag es, Menschen so unverfälscht kennenzulernen. Hinter einem Tresen erfahre ich in einer Stunde mehr Lebensgeschichten als sonst in einem ganzen Monat. Und gleichzeitig fällt es ihnen nicht auf, dass sie mich gar nicht kennenlernen.« Ich wusste nicht, wieso ich so ehrlich war. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Karl mich verstehen würde.

»Ich weiß genau, was du meinst. Es gibt einem das Gefühl von Sicherheit, alles über jeden zu wissen und gleichzeitig von niemanden wirklich gekannt zu werden.« Sein Blick richtete sich auf einen Punkt an der Wand, er schien plötzlich weit weg.

»So kannst du keine Erwartungen enttäuschen«, fügte ich hinzu und richtete den Blick auf meine Hände, die ineinander verschränkt auf dem Tisch lagen. Ich betrachtete meine Ringe und auf einmal musste ich an Ally denken. Sie war vermutlich der einzige Mensch auf der Welt, der mich wirklich kannte. Und trotzdem glaubte sie mir nicht. Wieder versetzte es mir einen Stich. Es kam mir so vor, als wäre der Streit bereits Monate und nicht erst vierundzwanzig Stunden her. Bevor ich mich tiefer in den Gedanken verlieren konnte, erhob ich mich ruckartig. Überrascht schaute Karl mich an.

Ich setzte ein Lächeln auf.

»Ich geh lieber mal, bevor die da drinnen Bob auf den Tresen steigen.«

»Eher geht die Welt unter, bevor Bob das zulassen würde«, lachte Karl, schloss dann aber wieder seine Augen und schien augenblicklich in eine Art Powernap zu fallen.

***

Den Rest des Abends und der Nacht lenkte ich mich weiter mit der Arbeit ab. Ich lachte über alle möglichen Sprüche, Karl und ich begannen bereits eine geheime Zeichensprache zu entwickeln, die uns so sehr zum Lachen brachte, dass ich beim Einschenken danebengoss. Bob schüttelte darüber nur den Kopf, aber ich sah ihn aus den Augenwinkeln grinsen.

Irgendwann wurde es wieder leerer. Die Leute wankten nach und nach durch die kleine Tür nach draußen und traten ihren Heimweg an. Wir begannen, die letzten Gläser zu spülen. Bob nahm sich einen Besen und fegte den Raum. Schließlich schickte Karl mich nach Hause, aber nicht ohne mir vorher eine Uhrzeit für meine nächste Schicht zu nennen.

Die kühle Nachtluft schlug mir entgegen. Für einen Moment genoss ich, wie sie über meine erhitzte Haut strich, bevor ich zu frösteln begann und mir meine Jacke überzog. Ich warf einen Blick zum Himmel und es verschlug mir für einen Moment die Sprache, als ich das Meer an Sternen erblickte. In der Stadt konnte man niemals so viele sehen. Ich blieb eine Weile so stehen, den Kopf in den Nacken gelegt, bis er zu schmerzen begann und mir kalt wurde. Dann ging ich zu meinem Fahrrad, ließ das Schloss aufschnappen und schwang mich auf den Sattel.

Im Dunkeln war es deutlich schwieriger, über die unebenen Straßen zu fahren und ich musste zwischendurch anhalten, um auf meinem Handy nach dem Weg zu schauen. Außerhalb der von Straßenlaternen beleuchteten Straßen der Innenstadt sah in der Nacht alles gleich aus. Aber seltsamerweise hatte ich keine Angst, hier so spät noch allein durch die Straßen zu fahren. In der Stadt fühlte ich mich sonst immer verfolgt und versuchte so schnell es ging, den nächsten Bus oder die nächste Bahn zu erreichen. Hier gab es jedoch nichts, was mich gruselte. Ich konnte noch das leise Rauschen des Meeres hören, das sich mit dem Rauschen der Bäume im Wind verband. Die frische Luft tat nach der stickigen Bar gut. Mein Kopf hatte bereits zu schmerzen begonnen und so langsam meldeten sich auch meine Beine und der Rücken. Das würde morgen ein schmerzhaftes Erwachen geben. Aber so würde ich wenigstens wissen, was ich die letzten Stunden geleistet hatte.

Kapitel3

Als mich ein schrilles Klingeln aus dem Schlaf riss, war die Sonne bereits vor Ewigkeiten aufgegangen. Ich konnte ein leises Stöhnen nicht unterdrücken, als ich nach meinem Wecker auf dem Nachttisch tastete, um ihn endlich zum Schweigen zu bringen. Es würde nicht mehr lange dauern und ich würde ihn aus dem Fenster werfen. Sein Piepen begann langsam, mir in meine Albträume zu folgen. Und die waren auch so schon schrecklich genug. Ich streckte mich und bereute es sofort, als gefühlt durch jeden Muskel meines Körpers ein stumpfer Schmerz zuckte. Es wurde zwar mit jedem Tag besser, aber auch nach fast einer Woche hatte sich mein Körper noch nicht an die nächtlichen Belastungen bei der Arbeit gewöhnt. Am liebsten hätte ich noch Stunden weitergeschlafen. Aber ich wusste, dass mein Kopf davon am Ende nur noch schwerer werden würde. Also schlug ich die Bettdecke zurück und quälte mich aus dem Bett. Die Holzdielen fühlten sich unter meinen nackten Füßen angenehm kühl an. Mit noch halb geschlossenen Augen wankte ich ins Bad und stellte die Dusche an.

Das warme, fast schon zu heiße Wasser tat meinen geschundenen Muskeln gut und so langsam wurde ich auch etwas wacher.

Nach der Dusche wickelte ich mich in ein riesiges Handtuch und ging zurück in mein Zimmer an. Dieses Mal nahm ich auf dem Flur den leichten Geruch von frischem Kaffee wahr, der von unten die Treppe hinaufwehte. Das gab mir neue Energie und ich beeilte mich, mich anzuziehen. Die Türen des Schrankes knarrten leise, als ich sie öffnete und eine schwarze Jeans herausnahm, die Löcher unter den Knien hatte. Dabei hörte ich im Kopf die Stimme meiner Mutter, die sich beschwerte, wieso ich kaputte Kleidung kaufte. Dazu kombinierte ich ein einfaches weißes Top und ein dunkelgrün-kariertes Holzfällerhemd. Meine vom Duschen noch nassen Haare rubbelte ich mit dem Handtuch trocken und steckte sie dann locker mit einer großen Haarklammer hoch. Darum würde ich mich später kümmern.

Ich holte noch schnell mein Handy vom Schreibtisch und checkte wie jeden Morgen meine Nachrichten. Und wie jeden Morgen steckte ich es enttäuscht in meine Tasche. Keine Nachricht von Ally. Ich konnte mich nicht erinnern, dass wir jemals so lange keinen Kontakt hatten. Mir war durchaus bewusst, dass ich ihr genauso gut schreiben konnte, aber noch konnte ich nicht über meinen Schatten springen. Ja, vielleicht hätte ich ihr die Geschichte nicht einfach so erzählen sollen. Ja, vielleicht war es ein Fehler gewesen, es ihr so lange zu verschweigen. Aber als sie mir unterstellte, dass ich sie angelogen hatte … das tat einfach zu sehr weh.

Seufzend drehte ich mich um und verließ mein Zimmer, bevor ich diese Gedanken noch weiter vertiefen konnte. Wie immer polterte ich die Treppe nach unten. In der Küche traf ich auf Steph, die sich grade eine neue Tasse Kaffee fertig machte. Sie war in eine riesige Strickjacke gehüllt, das Haar wie jeden Tag zu einem unordentlichen Zopf zusammengebunden.

»Irgendwann wird das Haus noch zusammenbrechen, wenn du weiter wie eine Elefantenherde die Treppe herunterrennst«, begrüßte sie mich. Mit einem Schulterzucken ging ich zum Schrank und nahm mir die größte Tasse raus, die ich finden konnte.

»Dir auch einen wunderschönen Guten Morgen«, erwiderte ich und lächelte sie zuckersüß an. Lächelnd schüttelte sie den Kopf und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.

»Es ist zwar schon nach zwölf, aber na gut, ich denke, der Tag beginnt erst mit dem Aufstehen und nicht mit einer bestimmten Uhrzeit«, erklärte sie, streute sich Zucker in den Kaffee und lies sich am Küchentisch nieder. Ich goss mir ebenfalls eine Tasse ein und füllte den Rest mit viel Zucker und Milch auf. Stephanie verzog angeekelt das Gesicht, während sie mir dabei zuschaute.

»Es ist grausam, wie du dieses flüssige Glück verschandelst«, kommentierte sie meine Handlung und nahm einen vorsichtigen Schluck aus ihrer Tasse. Ich verdrehte nur die Augen und lachte.

»Die Milch lässt den Kaffee schneller trinkbar werden und der Zucker sorgt dafür, dass das Koffein schneller in meinen Kreislauf gelangt«, erklärte ich und setzte mich ihr gegenüber. Sie schien einen Moment zu überlegen, ob da etwas dran sein könnte.

»Wie läufts mit deinem aktuellen Buch?«, wechselte ich das Thema. Als Antwort erhielt ich ein fast schon verzweifeltes Seufzen.

»Frag bloß nicht. Ich sitze seit Ewigkeiten an dieser Szene fest. Aber mir fällt einfach nicht ein, wie sie aus der Höhle wieder entkommen können«, sagte sie und pustete nachdenklich in den Dampf, der aus ihrer Tasse aufstieg. So richtig hatte ich keine Ahnung, wovon sie sprach. Dunkel konnte ich mich daran erinnern, dass sie gerade an einem Kriminalroman für Kinder schrieb. Mehr Informationen hatte ich allerdings nicht dazu. Bücher waren nicht meine Welt. Ich hatte noch nie lange genug stillsitzen können, um wirklich eines zu lesen. Meine Leidenschaft galt dem Malen und Zeichnen. Nur dann konnte ich für eine Weile ruhig sein und alles um mich herum vergessen. Und genau das hatte ich heute vor. Dazu wollte ich mich in der Stadt nach Motiven umschauen, die ich später dann malen konnte.

Eine Weile tranken wir schweigend unseren Kaffee. Schließlich erhob sich Stephanie, um zurück an ihren Laptop zu gehen.

»Vielleicht finden sie ja Ariadnes magischen Faden, der sie aus dem Höhlenlabyrinth hinausführt«, sagte ich und trank den letzten Schluck aus meiner Tasse. Im Grunde war es nur noch kaltes Zuckerwasser. Angewidert verzog ich mein Gesicht. Stephanies Augen fingen an zu leuchten und sie lief los in ihr Arbeitszimmer.

»Du bist genial, Kate«, rief sie mir noch zu, dann hörte ich die Tür des Büros zufallen. Ich grinste.

»Klar bin ich das«, antwortete ich, auch wenn sie mich nicht mehr hörte. Dann stand ich auf und ging in mein Zimmer, um mir die Haare zu föhnen. Anschließend flocht ich sie mir zu einem lockeren Zopf. Jedes Mal wieder war ich überrascht, wie lang meine Haare inzwischen waren. Der Zopf reichte mir schon bis zur Hälfte meines Rückens. Einen kurzen Augenblick bewunderte ich ihn, dann trat ich zum Schreibtisch und holte meinen Skizzenblock und ein paar Stifte, die ich in meinem kleinen Lederrucksack verstaute.