Moonlight & Destiny (By Moonlight 2) - Daria Hannibal - E-Book

Moonlight & Destiny (By Moonlight 2) E-Book

Daria Hannibal

0,0
4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

**Kate liebt den Werwolf Asher. Doch ihre Zwillingsschwester braucht sein Blut.** Die Blutjägerin Ally muss ihre Zwillingsschwester Kate vor einer Gruppe skrupelloser Werwolf-Jäger beschützen. Aber sie will auch die Mörder ihrer Eltern aufspüren. Um beide Ziele zu erreichen, muss sie sich in die geheimnisvolle Jäger-Loge einschleusen, wobei sie auf die Hilfe des gutaussehenden Blutjägers Sebastian angewiesen ist. Er weckt Gefühle in ihr, die sie nach der Trennung von ihrem Ex-Verlobten Leo nicht für möglich gehalten hätte. Doch ist sie wirklich bereit, Leo loszulassen? Nachdem Kate erfahren hat, dass ihr Freund Asher ein Werwolf ist, arbeitet sie umso entschlossener daran, Ally von den Blutjägern nach Hause zu holen. Denn die sind auf Werwolfblut angewiesen – und Asher und sein Rudel planen nicht, es freiwillig herzugeben … Die Mythen der Werwölfe, Vampire und Jäger ganz neu interpretiert: Vom cosy Knistern im amerikanischen Kleinstadtsetting bis zu dramatischen Plot-Twists bietet diese Fantasy alles, was das Leser*innenherz begehrt. //Dies ist der zweite und abschließende Band der »By Moonlight«-Dilogie. Alle Bände der spannenden Fantasy-Romance: -- Band 1: Moonlight & Darkness -- Band 2: Moonlight & Destiny//

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.

Tauch ab und lass die Realität weit hinter dir.

Jetzt anmelden!

Jetzt Fan werden!

Daria Hannibal

Moonlight & Destiny (By Moonlight 2)

**Kate liebt den Werwolf Asher. Doch ihre Zwillingsschwester braucht sein Blut.**

Die Blutjägerin Ally muss ihre Zwillingsschwester Kate vor einer Gruppe skrupelloser Werwolf-Jäger beschützen. Aber sie will auch die Mörder ihrer Eltern aufspüren. Um beide Ziele zu erreichen, muss sie sich in die geheimnisvolle Jäger-Loge einschleusen, wobei sie auf die Hilfe des gutaussehenden Blutjägers Sebastian angewiesen ist. Er weckt Gefühle in ihr, die sie nach der Trennung von ihrem Ex-Verlobten Leo nicht für möglich gehalten hätte. Doch ist sie wirklich bereit, Leo loszulassen?

Nachdem Kate erfahren hat, dass ihr Freund Asher ein Werwolf ist, arbeitet sie umso entschlossener daran, Ally von den Blutjägern nach Hause zu holen. Denn die sind auf Werwolfblut angewiesen – und Asher und sein Rudel planen nicht, es freiwillig herzugeben ….

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Vita

Danksagung

© privat

Daria Hannibal wurde 1997 in Norddeutschland geboren. Mit dem Schreiben hat sie bereits in der Grundschule angefangen. Schon damals war es ihr großer Traum, eine ihrer Geschichten zu veröffentlichen. Sie studierte Germanistik und ev. Theologie an der Universität Oldenburg. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren fünf Kaninchen gemeinsam in der Nähe von Hamburg.

Dieses Buch ist für alle, die in der Schule lieber in einen Block gekritzelt haben, statt aufzupassen. Eure Worte haben Gewicht. Immer.

Kapitel1

Mein Herz pochte wild in meiner Brust, während ich vorsichtig an dem dicken Stamm der Eiche vorbeispähte. Es war nichts zu sehen. Für einen Moment schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf meine Umgebung. Die Blätter, die noch nicht dem Herbst zum Opfer gefallen waren, raschelten leise über mir. Auf dem Boden wimmelte es von Leben: Tiere, die sich in die Erde gruben, nach Nahrung suchten oder einfach nur schliefen. Keine Schritte, die mir folgten. Erleichtert atmete ich auf und lehnte mich an den Baum. Nur langsam konnte ich meinen Körper davon überzeugen, dass ich nicht mehr in unmittelbarer Gefahr schwebte.

Ich kaute auf meiner Unterlippe.

Was hatte er dort zu suchen gehabt? Das alles hätte so nicht passieren sollen. Überhaupt war nichts so verlaufen, wie ich es geplant hatte. Wie sie da gestanden und mich angestarrt hatte, als wäre ich ihr völlig fremd. In gewisser Weise war ich es vielleicht auch. Erst war da Freude in ihren Augen gewesen, aber diese war so schnell in Verwirrung und Angst umgeschwungen. In so kurzer Zeit hatte sich so viel verändert.

Ich seufzte laut und strich mir eine Locke aus dem Gesicht, die sich aus meinem Dutt befreit hatte. Obwohl ich nichts Verdächtiges gehört hatte, suchten meine Augen dennoch unablässig den Wald ab. Ich musste absolut sicher sein, dass mir keiner folgte. Vorher konnte ich nicht weitergehen.

Links von mir registrierte ich eine Bewegung in der Ferne zwischen den Bäumen. Ich musste ein paarmal blinzeln, als würde ich meine Augen wie ein Fernglas erst scharf stellen müssen, um zu erkennen, was dort durchs Unterholz schlich. Es war ein kleiner Fuchs, offensichtlich auf der Suche nach einer Maus oder einem Wildkaninchen.

Doch plötzlich geriet das Bild aus den Fugen. Wie ein Fernseher, bei dem das Signal gestört wurde, verschwamm alles, zeitgleich gesellte sich ein vertrauter Schmerz in meinem Kopf hinzu. Hastig tastete ich nach meiner Jackentasche, während mein Körper sich verkrampfte. Der Baumstamm an meinem Rücken war das Einzige, was mich daran hinderte, durch die Gegend zu taumeln. Endlich schlossen sich meine Finger um das kühle Glas des kleinen Fläschchens. Noch immer kostete es mich Überwindung. Doch der pochende Schmerz war Antrieb genug. Entschlossen zog ich das Fläschchen heraus, öffnete den Verschluss und trank es in einem Zug aus. Ein bitterer, leicht metallischer Geschmack breitete sich in meinem Mund aus und ich erschauderte. Daran würde ich mich wohl nie gewöhnen.

Nach einigen Minuten klarte mein Blick wieder auf, das dumpfe Rauschen verschwand aus meinen Ohren und der Schmerz in meinem Kopf ließ langsam nach. Allmählich war es an der Zeit die Signale meines Körpers frühzeitig zu erkennen. In diesen Momenten war ich so hilflos wie ein kleines Baby. Hätte er mich in diesem Zustand gefunden, dann wäre ich ihm nicht so leicht wieder entwischt. Was er wohl dann mit mir gemacht hätte? Hätte er mich sofort ausgeliefert oder hätte er weiter seine kleinen Spiele mit mir getrieben? Mein Herz zog sich zusammen. So viel gemeinsame Zeit, so viele gemeinsame Pläne waren plötzlich wertlos. Wäre die Welt nur eine andere …

Kopfschüttelnd unterbrach ich selbst diesen Gedanken. Dieses Hätte-wäre-wenn-Gedankenspiel brachte mich nicht weiter. Ich durfte mich nicht von solchen jämmerlichen Gefühlen ablenken lassen.

Diese ganze Mission war in einer Vollkatastrophe geendet. Es hätte alles ganz anders laufen sollen. Vermutlich war sie schon von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Anscheinend hatte ich unterschätzt, wie sehr sie bereits zu den Wölfen gehörte. Vielleicht hätte sie mich sogar verstanden, hätte mir zugehört und wäre mit mir gekommen. Sie war verletzt, aber ich hatte spüren können, dass sie mich so sehr vermisste, wie ich sie. Aber nein, er hatte alles mit seinem Auftauchen ruiniert. Und ich hatte nicht den Mut gehabt zu bleiben und ihr alles zu erklären. Ich hasste ihn dafür, dass er mich allein mit seiner Anwesenheit so aus der Fassung gebracht hatte. Ich wollte mich nie wieder wie ein ängstliches kleines Kind fühlen und doch erreichte er das innerhalb von Sekunden. Noch einmal würde ich es nicht zulassen. Das alles war Vergangenheit.

Seufzend stieß ich mich vom Baum ab, klopfte meinen Rock sauber und versuchte mich grob zu orientieren. Das gehörte nicht gerade zu meinen Stärken. Als ich jedoch einen Punkt fand, der mir bekannt vorkam, stieß ich erleichtert die Luft aus. Ich war instinktiv richtig gelaufen. Ein letztes Mal warf ich einen Blick über die Schulter in die Richtung, aus der ich gerade gekommen war. Es wurde langsam Zeit.

»Bald wirst du es verstehen, Kate«, flüsterte ich leise und gestattete mir einen kleinen Anflug von Heimweh, bevor ich mich auf den Weg in mein neues Zuhause machte.

***

Jedes Mal war ich wieder überrascht, wenn es zwischen den Bäumen auftauchte. Erst war da nur Wald und plötzlich ein riesiges, viktorianisches Herrenhaus. Einfach so. Puff und es stand da, wie aus einer anderen Zeit. Eine hohe, mit dichtem Efeu überwucherte Mauer schützte das Grundstück vor unerwünschten Besuchern. Ein weiteres Sicherheitssystem brauchte es nicht. Niemand konnte sich an den Bewohnern dieses Hauses unbemerkt vorbeischleichen. Langsam ging ich um die Mauer herum zur Vorderseite des Hauses, dabei ließ ich meine Finger über den Efeu fahren. Zum Haus führte ein kleiner Waldweg, den man mit dem Auto befahren konnte, falls man nicht allzu sehr an seinem Lack hing. Wie immer blieb ich einen kurzen Augenblick andächtig vor dem schmiedeeisernen Tor stehen. Die Metallstreben rankten sich oben zu einem kunstvollen Muster aus Rosen.

Es schien mir erst gestern gewesen zu sein, dass ich das Grundstück durch dieses Tor das erste Mal betreten hatte. Damals, als ich noch in einer kleinen Wohnung mit meinem Verlobten … Ex-Verlobten gelebt hatte, war mir alles hier unfassbar riesig vorgekommen. Und nun sollte dies mein Zuhause sein. So ganz wollte mein Kopf mein neues Leben noch nicht verstehen.

»Ein beeindruckender Anblick, nicht wahr? Auch nach Jahren raubt es mir noch immer den Atem.«

Ein leiser Schauer rieselte mir über den Rücken, als seine Stimme direkt neben meinem Ohr ertönte.

»Du sollst dich doch nicht immer anschleichen«, antwortete ich und drehte mich lächelnd um. Sebastian blinzelte mich verschmitzt an. Sein sandfarbenes Haar leuchtete beinahe golden in der Herbstsonne.

»Alte Angewohnheiten lassen sich nur ganz schwer ändern.« Er trug ein weißes Hemd mit einer schwarzen Weste zu einer schwarzen Anzughose. Offenbar kam er gerade ebenfalls von einer Mission.

»Dann sollte man sie am besten mit neuen Angewohnheiten ablösen«, erklärte ich. Sebastian beugte sich interessiert ein Stück zu mir hinunter. Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer. Beeinflussbares, kleines Ding.

»Und welche würdest du dafür vorschlagen?«

Ich hob den Finger und tippte ihm auf die Stirn.

»Geräusche machen, zum Beispiel.« Es fühlte sich wie ein kleiner Stromschlag an, als mein Finger seine erhitzte Stirn berührte. Schnell ließ ich meine Hand sinken und drehte mich wieder zum Tor um. Er sollte unter keinen Umständen merken, was er in mir auslöste. Dummer, naiver Körper. Er war schon einmal auf diese Art von Gefühlen hineingefallen. Und das letzte Mal hatte es meine halbe Familie ins Verderben gestürzt. Leos Gesicht blitzte vor meinem inneren Auge auf. Ein verschmitztes Grinsen im Gesicht, seine Hände auf meiner Haut, seine Lippen heiß auf meinen. Mein Magen zog sich vor Sehnsucht zusammen. Oder doch vor Ekel? Als ich merkte, wie mein Daumen unbewusst mit dem nicht vorhandenen Ring an meinem Finger spielte, ballte ich die Hand zur Faust. Nie wieder würde ich mich von meinen Gefühlen täuschen lassen.

Sebastian trat neben mich, aber ich vermied es weiterhin, ihn anzusehen. Nach den Ereignissen der letzten Stunden sehnte ich mich einfach nur danach, für eine kurze Weile alles vergessen zu können.

»Konntest du sie sehen?«, fragte er leise.

Ich nickte stumm.

»War es so, wie du dir erhofft hast?«

Ich zuckte mit den Schultern. Er schwieg, ließ mir Zeit, meine Antwort zurechtzulegen.

»Sie hat sich sehr verändert und gleichzeitig ist sie doch dieselbe«, sagte ich nachdenklich. »Aber vielleicht habe auch nur ich mich verändert.«

»Familientreffen sind nie leicht«, stimmte Sebastian mir zu und ich meinte eine unfassbare Schwere in seiner Stimme zu hören. »Konntest du ihr alles erklären?«

Einen Moment zögerte ich. Wie viel sollte ich verraten? Noch immer wusste ich nicht, ob ich den Blutjägern wirklich vertraute. Sie hatten mein Leben gerettet, aber würden sie auch ihres noch retten? Ich dachte an Kate, wie sie immer wieder unbewusst die Nähe zu ihrem Wolf gesucht hatte. Wie hieß er noch gleich? Asher? Schon bei der kleinsten Regung hatte dieser sich schützend vor sie gestellt. Wäre sie hier wirklich sicherer? Das alles war so viel größer, als sie jemals erahnen würde. Ich könnte sie einfach weiterhin in ihrer Unwissenheit in Frieden leben lassen, während ich mich hinter den Kulissen um ihre Sicherheit kümmerte. Aber das entsprach nicht meinem Auftrag.

»Wir wurden unterbrochen«, wich ich Sebastians Frage vorsichtig aus.

Er seufzte.

»Wenn du es nicht erzählen willst, wirst du dir in den nächsten fünf Minuten eine bessere Ausrede einfallen lassen müssen, Al.« Er ging an mir vorbei zum Tor und schob es auf. Obwohl es so alt aussah, war es erstaunlich geräuschlos. So wie alles auf diesem Anwesen.

»Ich weiß«, flüsterte ich und nahm all meinen Mut zusammen, um ihm zu folgen.

***

Das äußerliche Erscheinungsbild setzte sich drinnen fort. Alles schien alt, aber trotzdem nicht abgenutzt zu sein. Dieses Gebäude war mit so viel Geschichte gefüllt, dass es mir eine Gänsehaut bereitete. Wie viele Menschen waren bereits durch die Räume gewandelt? Wie viel Leid und Freude die Wände wohl schon gesehen hatten?

Ich folgte Sebastian durch die riesige Eingangshalle vorbei an der Treppe mit dem dunklen Eichengeländer. Dabei achtete ich darauf, möglichst geräuschlos zu gehen. Im Gegensatz zu Sebastian kam ich mir wie ein Elefant im Porzellanladen vor. Die Küche war in den letzten Jahrzehnten mal erneuert worden und war neben meinem eigenen Zimmer mein Lieblingsraum im Haus. Denn es war einer der wenigen Räume, der wirklich Zuhause ausstrahlte. Der Landhausstil erinnerte mich schmerzlich an mein Elternhaus. Es war noch gar nicht so lange her, aber es kam mir vor, als wäre es ein anderes Leben gewesen, in dem ich mir dort meinen Tee gekocht hatte, während Kate bereits ihren Kaffee getrunken und Mom uns Frühstück gemacht hatte. Mein Magen zog sich zusammen, aber ich hatte keine Zeit, mich der Trauer hinzugeben. Gefühle hatten keinen Platz in meinem neuen Leben. Es gab Wichtigeres. Zum Beispiel musste ich mir dringend überlegen, wie viel ich gleich bereit war zu erzählen. Sie wussten von Leo. Seinetwegen war ich schließlich hier. Aber es war nicht gut, dass er dort auftauchte, wo ich war. Dass er nun wusste, zu wem ich gehörte. Damit stellte er eine Gefahr für uns alle, für die große Mission dar. Was würde passieren, wenn ich es ihnen erzählte? Vermutlich würden sie mir verbieten, Kate zu sehen. Das hatten sie damals schon einmal getan und sie hätten recht damit. Die Loge durfte nicht herausfinden, wo die Blutjäger sich aufhielten oder wer zu ihnen gehörte. Wenn ich es ihnen erzählte, dann würden sie mich vermutlich nie wieder auf irgendeine Mission schicken, dann war ich wertlos für sie und konnte Kate nicht mehr beschützen. Vielleicht konnte ich einfach hierbleiben und hoffen, dass sie mich vergessen würden?

Während ich mir ein Glas Wasser einschenkte und es gleich hinunterstürzte, machte sich Sebastian daran, den Wasserkocher anzustellen und Tee zuzubereiten. Für sich selbst machte er eine Tasse Kaffee, während er mir Rooibos-Tee aufbrühte. Wie gut er mich schon jetzt kannte. Hatte Leo überhaupt gewusst, welchen Tee ich am liebsten trank?

»Du wirst dich hier nicht ewig verstecken können. Sie werden schon auf dich warten.« Sebastian lehnte sich an die Arbeitsplatte und sah mich ernst an, während das Wasser im Wasserkocher hinter ihm zu brodeln begann. Das Glas klirrte leise, als ich es seufzend abstellte.

»Ich weiß, aber sie werden nicht sonderlich erfreut sein, von dem, was ich ihnen zu berichten habe.« Gedankenverloren strich ich die Falten meines Rockes glatt. Der Wasserkocher piepte und Sebastian goss meinen Tee auf. Dann hielt er mir die Tasse mit einem aufmunternden Lächeln hin.

»Dann berichte es ihnen einfach nicht.«

Überrascht schaute ich ihn an. »Ich kann doch nicht lügen!«

»Es könnte auch einfach sein, dass dir ein Detail entfallen ist. Das passiert den besten unter uns.« Er grinste mich verschwörerisch an.

»Na komm schon«, er nickte in Richtung Tür. »So schlimm wird es nicht werden. Und falls doch: Ich kenne jeden geheimen Fluchtweg aus dieser Bruchbude.«

»Gerade eben war der Anblick dieses Hauses noch atemberaubend, du solltest dich mal entscheiden.« Lächelnd nahm ich die Tasse entgegen. Schulterzuckend machte er sich mit seinem Kaffee bereits auf den Weg.

»Dieses Gebäude ist höchst wandelbar, das wirst du schon noch merken.« Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber ich glaubte eine unterschwellige Drohung in diesem Satz herauszuhören.

Als wir vor der verzierten Flügeltür des früheren Herrenzimmers ankamen, atmete ich tief durch. Sebastian verschwendete jedoch keine Sekunde und stieß die Tür, ohne zu klopfen, auf. Sofort richteten sich zwei Augenpaare auf uns. Mein Herz klopfte schneller. Vergeblich versuchte ich, es zu beruhigen. Es gab keinen Grund aufgeregt zu sein. Es war schließlich nichts passiert.

»Schaut mal, welch hübschen Streuner ich vor dem Tor aufgegabelt habe«, sagte Sebastian und deutete auf mich.

Cecilia lächelte mich freundlich an.

»Wie schön, dass du wieder da bist«, flötete sie. Ihre Stimme klang immer, als würde sie jeden Augenblick anfangen zu singen. Allein damit schaffte sie es, jeden sofort in ihren Bann zu ziehen. Wer dann noch nicht überzeugt war, wurde es spätestens bei ihrem Aussehen. Bambi sah nicht harmloser aus. Ihre Augen hatten ein so dunkles Braun, dass man die rote Färbung nur erkennen konnte, wenn man wusste, dass es sie gab. Genau diese Augen blickten mich jetzt liebevoll an und ich kam nicht ohnehin, bei ihrem Anblick an meine Mutter zu denken. Auf dem Sofa neben ihr saß ihr Mann James. Die kinnlangen Haare wie immer zu einem kleinen Zopf zusammengebunden sah er aus, als könnte er hinter dem Tresen einer angesagten Bar in der Stadt arbeiten. Wüsste ich es nicht besser, hätte ich niemals geglaubt, dass er und seine Frau hier das Sagen hatten. Beide wirkten nur wenig älter als Sebastian und ich. Aber mittlerweile hatte ich herausgefunden, dass der Schein häufiger trog, als man annahm.

Auf dem kleinen Couchtisch vor ihnen lagen irgendwelche Unterlagen verstreut, über die sie sich gerade wohl unterhalten hatten. Jetzt fasste James sie gekonnt zusammen und legte den Stapel umgedreht hin. Das Vertrauen war auf beiden Seiten wohl noch nicht wirklich ausgebaut.

Cecilia deutete einladend auf das Sofa gegenüber von ihrem. Sebastian hatte es sich dort bereits bequem gemacht. Er hatte hier eigentlich nichts verloren. Ich wusste, dass er nur meinetwegen da war. Und tatsächlich beruhigte es mich ein wenig zu wissen, dass ich nicht allein sein würde. Steif marschierte ich zur Couch und ließ mich auf das kühle Leder sinken.

James stützte sein Kinn auf seine Hände und sah mich abwartend an. Im Gegensatz zu seiner Frau war das Rot seiner Augen nicht zu übersehen. Er würde niemanden über sein wahres Wesen täuschen können. Nervös spielte ich mit dem Faden meines Teebeutels.

»Konntest du deine Schwester sehen?«, begann Cecilia das Gespräch. Ihr Tonfall war mitfühlend, als würde sie bereits ahnen, wie schwer dieser Tag für mich gewesen war.

»Ja. Sie war mit ihrem Wolfsfreund im Haus unserer Eltern«, erzählte ich zögernd, darauf bedacht nicht zu viel preiszugeben. Diese Informationen waren alle schon bekannt gewesen.

»Es war für sie bestimmt ein ganz schöner Schock, dich plötzlich wiederzusehen.« Lächelnd nippte Cecilia an ihrer eigenen Tasse. Sie wussten nicht, dass ich schon früher Kontakt zu Kate aufgenommen hatte. Dieses Geheimnis hatte ich für mich behalten. Als Neuling die Regeln zu brechen, war vielleicht nicht besonders klug gewesen. Aber ich hatte Kate zugetraut, Himmel und Erde in Bewegung zu setzen, nur um mich zu finden. Zum Glück hatte Sebastian meine heimlichen Ausflüge immer gedeckt.

»Ja und offenbar habe ich keinen guten ersten Eindruck auf ihren Freund gemacht.« Ein klägliches Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. »Er hat mir von der ersten Sekunde an kein Stück vertraut. Das hat die Sache etwas … verkompliziert.« Ich ließ die beiden keinen Augenblick aus den Augen. Das war meine erste Mission gewesen, um die ich die beiden sogar angefleht hatte. Und was war passiert? Ich hatte sie komplett verbockt.

»Lass mich raten, deine Schwester wird morgen nicht mit all ihren Sachen hier vor der Tür stehen und den Blutjägern beitreten?«, fragte James. Meine Finger verkrampften sich um die Tasse, als ich mit dem Kopf schüttelte. Bitte fragt nicht, was genau passiert ist, flehte ich innerlich.

»Ach Schätzchen, das haben wir doch gar nicht erwartet«, lachte Cecilia plötzlich auf.

Überrascht schaute ich von meiner Tasse auf.

»Habt ihr nicht? Also hab ich es nicht verbockt?«, fragte ich, erleichtert darüber, dass keine weiteren Fragen kamen.

»Es ist alles in Ordnung, Alicia. Deine einzige Aufgabe bestand darin, wieder Kontakt zu deiner Schwester aufzunehmen. Niemand hat mehr erwartet. Du hast das gut gemacht. Es war sicher schwierig für dich. Wir wissen es zu schätzen, dass du für uns das Risiko eingegangen bist, in dein altes Leben zurückzukehren.« Ihre sanfte Stimme beruhigte mich und ich konnte meine verkrampften Finger wieder etwas lockern. Scheinbar war ich noch einmal drumherum gekommen, lügen zu müssen. Nun konnte ich mich das erste Mal seit Stunden entspannt zurücklehnen. Ich musste Leo nicht erwähnen. Er war mir nicht gefolgt, das hatte ich immer wieder kontrolliert. Es würde also keine Gefahr von ihm ausgehen. Und auf irgendwelche Missionen wurde ich sowieso nicht geschickt.

»Na siehst du, ich hab doch gesagt, sie werden dich nicht umbringen«, sagte Sebastian, grinste selbstzufrieden und nahm einen Schluck von seinem Kaffee.

»Du hast auch gesagt, dass du im Notfall jeden Fluchtweg von hier kennst«, gab ich zurück und nahm ebenfalls einen Schluck.

James richtete sich auf und räusperte sich. Sofort unterbrachen Sebastian und ich unser Geplänkel. Das Blut gefror mir in den Adern. Ich hatte mich zu früh gefreut. Das Verhör war noch gar nicht zu Ende gewesen.

»Alicia, dein Auftrag ist aber noch nicht vorbei. Wenn du deine Schwester wirklich beschützen willst, dann musst du sie davon überzeugen, dass sie bei uns in Sicherheit ist. Wir brauchen dieses Bündnis mit dem Rudel, wenn wir die Loge stürzen wollen.«

Kapitel2

Erschöpft ließ ich mich auf mein Bett sinken, breitete die Arme aus und atmete tief durch. Von der Tür erklang ein leises Lachen. Müde winkte ich es ab.

»Ich verstehe nicht, was gerade lustig sein soll«, murmelte ich mit halb geschlossenen Augen.

»Ich hab dir doch gesagt, dass nichts Schlimmes passieren wird.«

»War das also dein ›Ich hab’s dir doch gesagt‹-Lachen?« Ich spähte durch meine Wimpern zu ihm hinauf. Er lehnte mit verschränkten Armen im Türrahmen und sah schmunzelnd auf mich herab. Seine rotbraunen Augen blitzten amüsiert.

»Du magst es vielleicht immer noch nicht glauben, aber hier will dich niemand umbringen.« Er stieß sich vom Türrahmen ab und trat ins Zimmer. Die Matratze senkte sich leicht, als er sich neben mich auf die Kante setzte.

Ich rollte mich auf die Seite und stützte meinen Kopf auf meiner Hand ab, damit ich ihn besser sehen konnte.

»Nimm es mir nicht übel, aber ich denke, ich hab allen Grund, an Vertrauensproblemen zu leiden«, erklärte ich. Besonders in Bezug auf Männern, die mir die große Liebe vorspielten. Bei dem Gedanken an Leo zog sich mein Magen zusammen. Sebastian ließ sich nach hinten sinken und betrachtete den Baldachin aus eisblauem Stoff, der sich über mein Bett spannte. Manchmal dachte ich, dass dieses Zimmer extra für mich schon vor Jahren eingerichtet worden war.

»Tut es noch sehr weh?« Seine Stimme war sanft, klang beinahe beiläufig. Ich beobachtete ihn dabei, wie er eine Hand hob und sacht gegen einen der kleinen Traumfänger stieß, die ich überall aufgehängt hatte. Noch gab ich die Hoffnung nicht auf, dass sie meine bösen Träume fangen würden. Seufzend drehte ich mich auch wieder auf den Rücken und betrachtete den schaukelnden Traumfänger.

»Manchmal denke ich, es wäre mir mittlerweile egal. Es war sein Job. Ich war sein Job. Eine Mission, die er erfüllen musste. Manchmal denke ich, dass ich es vielleicht sogar ein bisschen verstehen kann. Aber dann denke ich an die vielen Momente und frage mich: Kann ein Mensch wirklich all diese Emotionen spielen? Oder war ich so blind?« Eine Träne fand ihren Weg, rollte über meine Schläfe und tropfte aufs Bett. Bevor die nächste ihr folgen konnte, spürte ich einen warmen Finger, der sie auffing.

»Es wird leichter, glaub mir«, flüsterte er leise. Da war sie wieder: diese unbekannte Schwere in seiner Stimme.

Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung. Wir lagen so nah beieinander, dass sich unsere Nasenspitzen beinahe berührten.

»Wann?«

»Bald.«

Mein Herz schlug laut in meiner Brust, während ich jedes Detail seiner Augen inspizierte. Jeden rötlichen Sprenkel in dem Braun, der verriet, was er war. Was er dafür tat. Was wir dafür taten.

»Danke«, flüsterte ich wieder.

»Wofür?«

Ich drehte mich wieder auf den Rücken und starrte an die Decke meines Himmelbettes.

»Ohne dich wäre ich noch in dieser Wohnung und würde mir vermutlich gerade ein Hochzeitskleid aussuchen. Vielleicht wäre ich auch schon tot, wer weiß das so genau.« Ich lachte freudlos bei dem Gedanken daran, wie mein altes Ich sich in die Hochzeitsvorbereitungen gestürzt hatte. Albernes kleines Ding. Hätte ich damals früher auf Kate gehört, wäre es nie so weit gekommen.

»Es tut mir leid, dass wir es so lange nicht gesehen haben.«

»Keiner hat erwartet, dass der Feind sich direkt vor unserer Nase versteckt«, antwortete ich leise. Die Matratze bebte unter Sebastians Lachen.

»Wieso klingt es bei dir eigentlich immer so, als wären wir die Mafia?«

»Weil ihr das auch irgendwie seid?«

»Wir«, korrigierte er mich sofort. Wir. Ein kleines Wort, das so eine mächtige Bedeutung hatte. Lange Zeit dachte ich, dass es nach dem Tod meiner Eltern kein Wir mehr geben könnte, das über mich, Kate und Leo hinausgehen würde. Aber jetzt war da irgendwie mehr.

Eine Weile lagen wir einfach nur nebeneinander. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Mir ging durch den Kopf, wie Sebastian, Cecilia, James und die anderen in mein Leben getreten waren. Ganz plötzlich schien nichts mehr zu stimmen, von dem ich dachte, es wäre wahr. Es war schon so lange her und doch waren wir alle so lange blind gewesen. Aber der Wolf hatte sich einen verdammt guten Schafspelz ausgesucht.

Plötzlich gab die Matratze unter mir nach und ich riss erschrocken die Augen auf. Sebastian stand vor mir und hielt mir die ausgestreckte Hand entgegen.

»Du wohnst hier jetzt schon seit über einem Monat und ich habe dir immer noch nicht meinen Lieblingsort im Haus gezeigt.«

»Ich kenne den Sportraum, ich habe wirklich keinen Bedarf, nach so einem Tag noch zu trainieren«, erwiderte ich. Sebastian wackelte ungeduldig mit den Fingern.

»Das ist mein zweiter Lieblingsort. Aber meinen wirklichen Lieblingsort kennst du noch nicht.«

Ich streckte meine Hand aus und er zog mich so schwungvoll vom Bett hoch, dass ich einen Schritt nach vorne gegen seine Brust stolperte. Die Hitze seiner Haut drang durch den Stoff seines Hemdes. Ich spürte seinen Herzschlag an meinen Fingern und für einen Augenblick vergaß ich, was wir eigentlich vorhatten. Eine Hand stützte meinen Rücken, während die andere meine noch fest umklammert hielt.

»Hoppla«, flüsterte er. Mein Blick hob sich und ich schaute in seine Augen. Mein verräterisches Herz setzte einen Schlag aus. Ich stieß mich ruppig von ihm weg.

»Hoppla«, erwiderte ich lächelnd und marschierte an ihm vorbei zur Zimmertür. Mit zwei Schritten hatte Sebastian mich eingeholt.

»Ist es nicht sinnvoller, wenn derjenige vorgeht, der den Weg auch kennt?«, fragte er grinsend, während er sich an mir vorbeischob.

»Kommt drauf an.«

»Kommt drauf an?«

»Kommt drauf an, wo wir ankommen wollen.«

»Das wirst du gleich sehen.« Einmal Blinzeln und er war weg.

»Angeber«, murmelte ich. Immer musste er alles mit einer Trainingseinheit verbinden. Seufzend dehnte ich meine Schultern, die nach dem anstrengenden Tag langsam zu schmerzen anfingen, dann schloss ich die Augen und horchte. Es dauerte einen Moment, bis ich die Geräusche im Haus den einzelnen Personen zuordnen konnte. Cecilia, die in der Küche rumorte, James, der gerade etwas am Laptop am Küchentisch tippte, Stella, die mit Will und July im Wohnzimmer eine Runde Karten spielte. Aber Sebastian konnte ich nicht hören. Anfangs war es für mich eine komische Vorstellung gewesen, dass alle jederzeit alles im Haus hören konnten. Aber mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt, zumal es keinen Grund gab, warum die anderen mich belauschen sollten. Es gab das ungeschriebene Gesetz, dass niemand diese Fähigkeit zum Spaß missbrauchte und ich vertraute darauf, dass sich alle daranhielten.

Nun runzelte ich die Stirn und kniff meine Augen fester zusammen, als würde sich dadurch mein Gehör verbessern. Noch einmal ging ich Raum für Raum durch. Aber da war keine Spur von Sebastian. Entweder erlaubte er sich gerade einen Spaß mit mir oder er befand sich nicht mehr in diesem Haus, was wiederum bedeutete, dass er sich einen Spaß mit mir erlaubte. Denn mir fiel das gezielte Hören noch schwer. Es erforderte ein Höchstmaß an Konzentration meinerseits die unterschiedlichen Geräusche zu filtern und im Zweifel auszublenden. Oft ließ ich mich von den vielen Geräuschen ablenken. Ich atmete tief durch und versuchte mein Gehör auf die Geräusche außerhalb des Hauses zu fokussieren.

Vom Dach tropften leise die Reste des Regens, ein Vogel lief über die Dachziegel. Ein großer Vogel. Ein großer Vogel, mit sehr festem Schritt. Ein Vogel, der einen kleinen Rhythmus mit seinen Füßen tippte.

»Haha«, flüsterte ich und rollte genervt mit den Augen. Wie war er da hochgekommen? Es erschien mir wenig reizvoll, einfach die Fassade hochzuklettern.

»Fenstersims in der Bibliothek«, kam prompt die Antwort, als hätte er meine Gedanken gelesen. Es gab Momente, da fragte ich mich, ob es nicht vielleicht doch Blutjäger gab, die über diese Fähigkeit verfügten.

Um meine Kräfte zu schonen und Sebastian ein wenig warten zu lassen, ging ich ganz gemächlich zur Bibliothek am Ende des Flures. Dieser Ort war ein Traum. Sie ging über zwei Etagen und war bis zum Ende vollgestopft mit Büchern aus allen Epochen und Ländern. Es roch nach altem Leder und staubigem Papier, nach unendlich vielen Geschichten, die entdeckt werden wollten. Bisher hatte ich viel zu wenig Zeit gehabt, durch die Regale zu stöbern, aber vielleicht gab es bald den Moment dafür.

Dieser Moment war jedoch nicht jetzt, wie Sebastian mir unmissverständlich durch Klopfen auf die Dachziegel deutlich machte. Ich schnitt eine Grimasse in Richtung der Decke und machte mich seufzend auf die Suche nach dem besagten Fenster inklusive Sims. Der Raum besaß nicht viele Fenster, um die wertvollen Bücher vor der Sonne zu schützen, deshalb dauerte es ein wenig, bis ich es hinter einem Regal versteckt in der letzten Ecke fand. Es stand offen und die kühle Nachtluft wehte hinein. Mittlerweile hatte der Regen aufgehört und eine klare Nacht hinterlassen, die nach frischer Luft und feuchter Erde roch. Vorsichtig kletterte ich auf den kleinen Sims beim Fenster und blickte suchend nach oben. Dort stand Sebastian auf dem Dach und streckte mir eine Hand entgegen, damit ich mich nicht an der Regenrinne hochziehen musste. Ich nahm sie und mit Leichtigkeit zog er mich hinauf. Für einen kurzen Moment wankte ich, bis ich mich auf dem schrägen, rutschigen Dach ausbalanciert hatte. Als ich wieder einen festen Stand hatte, blickte ich Sebastian fragend an.

»Dein Lieblingsort ist ein nasses Dach, ja?«

Er schüttelte geheimnisvoll lächelnd den Kopf, lief vorsichtig übers Dach und blieb schließlich bei einer kleinen Decke stehen, die er dort ausgebreitet hatte.

»Hast du das alles geplant oder liegt das immer hier?« Skeptisch zog ich eine Augenbraue hoch und betrachtete das Szenario vor mir. Ohne zu antworten, setzte er sich hin und klopfte neben sich auf die Decke. Sie war gerade so breit genug für zwei Erwachsene. Ich setzte mich mit ein wenig Abstand zu ihm. Daraufhin legte er sich mit angewinkelten Beinen auf den Rücken. Mit einer Handbewegung machte er mir deutlich, dass ich es ihm gleichtun sollte. Seufzend legte ich mich ebenfalls vorsichtig hin. Die Decke sorgte zwar dafür, dass wir nicht direkt auf den nassen Ziegeln lagen, aber dennoch drückten sie unangenehm hart in meinen Rücken. Ich bewegte mich ein wenig hin und her, bis ich eine halbwegs angenehme Position gefunden hatte und aus dem Augenwinkel zu Sebastian rüber schielte. Dieser schien meinen Blick gespürt zu haben und hob einfach nur die Hand, um nach oben zu deuten. Meine Augen folgten seinem ausgestreckten Zeigefinger. Es verschlug mir die Sprache. Über uns breitete sich ein Meer von Sternen aus. Die Wolken hatten sich inzwischen nahezu vollständig verzogen und das einzige Licht in der Umgebung kam vom Mond, der kraftvoll am Himmel leuchtete, eingebettet zwischen den Sternen, die ihn wie seine Schäfchen umgaben.

»Das ist wunderschön«, hauchte ich völlig fasziniert von diesem Anblick.

»Das ist mein Lieblingsort.« Das Lächeln in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Ich komme gerne her, wenn die Last der Welt zu viel erscheint. Dann sehe ich in den Himmel und mir wird klar, wie klein meine Probleme eigentlich sind.«

Früher hatte ich das auch einmal getan. Nächtelang hatte ich in den Himmel gestarrt und die Sterne beobachtet. Zu meinem zehnten Geburtstag hatte ich sogar ein Teleskop geschenkt bekommen. Ein Lächeln zuckte an meinen Mundwinkeln. Mom hatte mir die verschiedenen Sternbilder erklärt und ich hatte ewig geübt, bis ich sie problemlos auch mit bloßem Auge entdecken konnte. Wann hatte ich damit aufgehört?

Irgendwann war es einfach in Vergessenheit geraten. Ich war erwachsen geworden und habe die Nächte anderweitig verbracht. Und dann waren Mom und Dad gestorben. Einfach so waren sie fort und der Himmel war wieder die einzige Verbindung zu ihnen gewesen. Nächtelang betrachtete ich den Mond und die Sterne. Und dann kam die eine Nacht, die sich für immer in mein Gedächtnis gebrannt hatte. Niemals würde ich sie vergessen …

Jahre zuvor

Kate war mal wieder verschwunden, wie sie es in letzter Zeit so oft getan hatte. In einem Augenblick stand sie noch neben mir am Grab unserer Eltern und dann rannte sie plötzlich los, als wäre der Teufel persönlich hinter ihr her, und ließ mich allein auf dem Friedhof stehen. Rational betrachtet war mir durchaus bewusst, dass sie in diesem Moment nicht in der Lage war, ihre Gefühle zu kontrollieren. Aber dennoch ballte sich die Wut in meinem Magen zusammen, während ich ihr nachblickte. Sie hatte mich mit allem allein gelassen und nun schaffte sie es nicht mal, mir am Tag der Beerdigung unserer Eltern beizustehen. Leos Hand schloss sich fester um meine und drückte sie beruhigend. Ich warf ihm einen dankbaren Blick zu. Wie immer waren seine Haare akkurat geschnitten und er trug einen schwarzen Anzug, dabei hatte er meine Eltern doch nur für eine kurze Zeit gekannt. Er schenkte mir ein trauriges Lächeln und mir wurde warm ums Herz. Ich hätte diesen Tag ohne meine Schwester und ohne meinen Freund nicht überstanden. Der Wind zerrte an meinen Haaren, riss Strähnen aus dem Knoten, die mir daraufhin die Sicht raubten. Leo hob eine Hand und strich sie mir zart hinters Ohr.

»Du bist nicht allein. Ich bleibe so lange, wie du mich brauchst«, flüsterte er mir zu und ließ seine Hand kurz über meine Wange streichen.

»Danke«, antwortete ich tonlos und drückte seine Hand, so fest ich konnte. Auf meiner anderen Seite stand meine Tante, unsere einzige lebende Verwandtschaft. Sie starrte in den Wald, in den Kate verschwunden war. Sorge spiegelte sich auf ihrer in Falten gelegten Stirn wider. Kate und Steph hatten schon immer die engere Bindung gehabt. Ich war nur irgendwie immer mit dabei gewesen. Als sie meinen Blick auf sich spürte, drehte sie ihren Kopf in meine Richtung. Ihre Augen waren vom vielen Weinen in den letzten Tagen noch immer gerötet und geschwollen. Sie legte mir einen Arm um die Schultern und zog mich an sich. Sie roch nach frischer Wäsche und Rosen. Für einen Moment schloss ich die Augen und lehnte meinen Kopf an ihren. Dann begann der Pastor mit seiner Rede und Steph ließ mich wieder los.

Später konnte ich mich nicht erinnern, was über meine Eltern gesagt wurde. Die gesamte Beerdigung zog einfach an mir vorbei, während ich teilnahmslos dastand. Nachdem wir die Blumen und Erde ins Grab geworfen hatten, kamen immer wieder Menschen auf uns zu, um mir ihr Beileid auszusprechen. Doch ich sah die Menschen nur verständnislos an. Als Leo es bemerkte, übernahm er das Ruder, empfing stellvertretend alle Beileidsbekundungen für Kate und mich und dirigierte die Menschen im Anschluss für Kaffee und Kuchen zu uns nach Hause. Das alles zog wie im Rausch an mir vorbei. Zuerst stand ich am Grab meiner Eltern und starrte auf den Erdhügel. Dann aß ich plötzlich ein wenig Kuchen und trank Tee. Lächelte matt, wenn Menschen über meine Eltern sprachen und irgendwelche Anekdoten zum Besten gaben. Es waren nicht viele da. Meine Eltern hatten kaum wirkliche Freunde, nur Bekannte. Sie waren lieber für sich geblieben. Während der gesamten Zeit unterstützte Steph Leo so gut sie konnte. Gleichzeitig bestand mein einziges Ziel darin, nicht in Tränen auszubrechen. Seit der Nachricht über den schrecklichen Unfall befand ich mich in dieser Starre. Denn würde ich einmal anfangen, dann war ich mir nicht sicher, ob ich jemals wieder aufhören könnte. Es gab keinen Platz für Tränen, ich musste mich noch um so viel kümmern.

Die Sonne ging unter und dann war alles vorbei, alle Gäste verschwunden. Steph und Leo sammelten Tassen und Teller ein und stellten sie in den Geschirrspüler. Kate blieb die gesamte Zeit über verschwunden. Auch auf ihrem Handy konnte ich sie nicht erreichen. Als ich es probierte, hörte ich es über mir klingeln. Vielleicht lag sie irgendwo in einem Graben, vielleicht aß sie einfach ein Eis in der Stadt. Keiner dieser Gedanken löste eine Emotion in mir aus. Ich war einfach leer.

Aus der Küche drangen gedämpfte Stimmen zu mir ins Wohnzimmer. Sie sprachen leise, aber es war dennoch nicht zu überhören, dass sie sich stritten. Dass Steph Leo nicht mochte, wusste ich schon lange, aber ich rechnete es ihnen hoch an, dass sie sich den Tag über zusammengerissen hatten.

Der Mond schien von draußen zu mir herein. Steph und Leo waren schon lange ins Bett gegangen, nachdem sie sich tausendmal erkundigt hatten, ob sie bei mir bleiben sollten. Aber ich wollte niemanden um mich haben. Ich wollte endlich einfach nur allein sein.

Die letzten Tage waren so viel gewesen. Und Kate hatte sich als keine große Hilfe erwiesen. Sie war so in ihrer Trauer und ihrer Wut gefangen, dass nicht einmal ich zu ihr hatte durchdringen können. Stattdessen hatte sie sich wie ein kleines Kind geweigert, irgendetwas zu machen, also war alles an mir hängen geblieben. Ich hatte mich um alles kümmern und meine Trauer hintenanstellen müssen.

Irgendwann stand ich auf und verließ das Haus. Der Weg zum Friedhof war nicht sonderlich weit. Es dauerte keine fünfzehn Minuten, dann schob ich das quietschende Tor auf. Die Nachtluft glitt kühl über meine Haut, aber ich merkte es kaum. Der Kies knirschte unter meinen Schritten. Die Straßenlaternen waren längst ausgegangen. Das Grab war auch im Mondlicht deutlich an seinem frischen Erdhügel zu erkennen. Ich ging durchs taufeuchte Gras darauf zu und starrte auf die Erde hinunter. Auf die sterblichen Überreste meiner Eltern. Das letzte Bisschen, das den Brand überstanden hatte. Ich stand da, starrte einfach nur vor mich hin und dachte nach. Über all das, was unsere Eltern uns verschwiegen hatten und was sie uns nun nie würden erklären können.

Seit Tagen versuchte ich, alle Puzzlestücke zusammenzufügen, die ich nach dem Tod meiner Eltern erhalten hatte. Die E-Mails, die ich auf dem PC meines Dads entdeckt hatte. Deren Inhalt so unglaublich klang, dass ein Teil von mir beschlossen hatte, ihnen einfach nicht zu glauben. Wie gerne hätte ich mit Kate geteilt, was ich erfahren hatte, aber sie war einfach nicht da gewesen. Körperlich vielleicht, aber ihr Geist wollte gerade nicht im Hier und Jetzt verweilen. Sie hätte es vermutlich auch nicht geglaubt. Ich glaubte es ja selbst nicht.

Über mir erstreckte sich eine sternenklare Nacht. Der Vollmond leuchtete so hell, dass es kein zusätzliches Licht brauchte, um in der Dunkelheit sehen zu können. Es hatte etwas Tröstliches, dass diese Nacht nicht rabenschwarz war.

»Wieso habt ihr uns nie die Wahrheit erzählt? Wieso verdammt seid ihr allein losgefahren?«, flüsterte ich in die Unendlichkeit über mir hinein.

Meine Nackenhaare stellten sich auf, als ich in der Ferne ein Knacken hörte. Bestimmt nur ein Tier, versuchte ich mich selbst zu beruhigen. Doch dann hörte ich Schritte über die Kieswege des Friedhofes laufen. Es dauerte nicht lange, bis ich merkte, dass sie immer näherkamen. Mit pochendem Herzen drehte ich mich um. Im schwachen Licht des Mondes sah ich einen Mann, der auf mich zukam. Sein langer, schwarzer Mantel ließ ihn beinahe mit seiner Umgebung verschmelzen, als würde ein Kopf ohne Körper auf mich zukommen. Er kam mir bekannt vor und es brauchte einen Moment, bis ich begriff, dass er am Nachmittag auch bei der Beerdigung gewesen war. Aber ich kannte ihn nicht. Meine Eltern hatten ihn nie zu uns eingeladen.

»Wer sind Sie?« Mein Puls pochte laut in meinen Ohren. Alle Muskeln waren angespannt, bereit jederzeit wegzurennen.

Der Mann blieb in einiger Entfernung zu mir stehen und hob abwehrend beide Hände, als wollte er mir beweisen, dass er unbewaffnet und keine Gefahr war. Wenn es stimmte, was ich mir über meine Eltern zusammengereimt hatte, dann war diese Geste nichts wert. Ich machte einen Schritt zurück. Es entging ihm nicht und er ließ die Hände langsam wieder sinken.

»Ich bin ein alter Freund deiner Eltern. Mein Name ist James. Ich habe das Gefühl, dass wir uns mal unterhalten sollten«, erklärte er mir. Im Mondlicht konnte ich gerade so seine feingeschnittenen Gesichtszüge ausmachen. Das Haar trug er zu einem kurzen Zopf im Nacken gebunden, was ihn jugendlicher aussehen ließ, als er eigentlich sein konnte, wenn er der war, für den ich ihn hielt.

»Sollte ich Sie dann nicht kennen?«, fragte ich zurück. »Bei mir klingelt da gar nichts.«

»Es ist lange her, dass du mich gesehen hast. Damals waren du und deine Schwester gerade eingeschult worden.«

Meine Stirn legte sich in Falten, als ich versuchte, mich daran zu erinnern. Ich hatte davon in den E-Mails gelesen, aber die Erinnerung war nur sehr verschwommen.

Als ich nicht antwortete, fuhr er mit seiner Erklärung fort: »Ihr musstet fluchtartig euer Haus und euer gesamtes Leben verlassen. Es war quasi eine Nacht- und Nebelaktion. Doch zuerst waren deine Eltern mit euch Kindern zu mir gekommen. Denn ich war derjenige, der deinen Eltern euer neues Zuhause vermittelt hatte.«

So hatte ich es auch in den Mails meines Vaters gelesen. Wenn das stimmte, stimmte dann auch alles andere?

»Was genau sind Sie?« Meine Stimme zitterte bei der Frage. Wollte ich die Antwort wirklich hören? Ein Teil von mir glaubte immer noch nicht an das, was ich gelesen hatte. James Mundwinkel zuckten ein wenig.

»Du hast also die Mails deiner Eltern gefunden, nehme ich an. Das muss für dich alles furchtbar verwirrend gewesen sein.« Seiner Stimme konnte ich entnehmen, dass er mich mitleidig anblickte.

»Sie haben ja keine Ahnung«, flüsterte ich mehr zu mir selbst als zu ihm.

»Es tut mir sehr leid, was passiert ist. Ich habe deine Eltern gewarnt. Sie hätten nicht allein losfahren sollen, ich hätte sie davon abhalten müssen. Aber keiner von uns hat geahnt, wie nah die Jäger euch schon gekommen waren. Ich hätte besser aufpassen müssen, ich hätte es wissen müssen. Sie haben sich auf mich verlassen.« Verzweiflung kroch in seine Stimme. Er fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht, als wollte er es vor der Welt verbergen.

»Sie haben also diese E-Mails an meine Eltern geschrieben«, fasste ich zusammen. James nickte. Wären meine Eltern noch am Leben, wenn sie nicht auf ihn gehört hätten? Oder hätten diese Jäger uns alle getötet?

»Was wollen Sie noch hier?«

Überrascht ließ er die Hand sinken.

»Ich bin hier, weil es noch nicht vorbei ist. Ohne die Wolfsblocker werdet du und deine Schwester euch verwandeln. Es wurden nicht nur deine Eltern gejagt, Alicia. Sie sind auch hinter euch her. Und spätestens, wenn ihr euch das erste Mal verwandelt habt, werden sie euch jagen.« Bei seinen Worten gefror mir das Blut in den Adern. In was für Machenschaften waren meine Eltern nur verwickelt gewesen?

»Was meinst du damit, dass wir uns verwandeln werden? Und wer sind diese Jäger, von denen du die ganze Zeit erzählst?« Verzweifelt schaute ich ihn an. Vielleicht war ja alles einfach nur ein riesiges Missverständnis.

»Ihr seid Wölfe, Alicia. Ihr verwandelt euch in Wölfe und die Jäger gehören zu einer Gruppe, deren einzige Aufgabe es ist, Wölfe aufzuspüren und zu töten.«

Mir schwirrte der Kopf. James bestätigte alles, was ich bereits zu wissen geglaubt hatte.

»Wieso haben sie uns nichts erzählt?«, wisperte ich.

James seufzte schwer. »Ich habe ihnen immer wieder gesagt, dass sie es nicht ewig verschweigen können. Aber Paul und Michelle wollten einfach nicht, dass ihr es wisst. Ihr solltet möglichst normal aufwachsen und nie mit dieser Welt in Berührung kommt. Doch jetzt, wo sie tot sind, müsst ihr die Wahrheit erfahren.«

»Welche Wahrheit?« Meine Stimme bebte.

»Der Kampf hat gerade erst begonnen. Wir können euch nur beschützen, wenn du mir vertraust, Alicia. Wir müssen zusammenarbeiten, sonst können wir euch bald nicht mehr beschützen. Sie sind da und sie warten. Lass uns euch helfen.«

Diese Nacht hatte alles geändert. Ich hatte nach dem Tod meiner Eltern geglaubt, dass nichts mehr so sein würde, wie bisher. Aber erst dieses Gespräch hatte wirklich alles ins Rollen gebracht.

Es dauerte lange, bis ich halbwegs Vertrauen zu James und den Blutjägern fasste. Bis ich wirklich glauben konnte, dass das alles stimmte. Dass meine Eltern uns unser Leben lang belogen hatten. Die nächsten Wochen hielt ich mich von James fern, schrieb keine Nachricht an die Nummer, die er mir gegeben hatte. Stattdessen tat ich so, als hätte das Gespräch nie stattgefunden. Aber das Gefühl, beobachtet zu werden, verschwand nie wieder. Und dann begannen die Kopfschmerzen. Die ersten Symptome der Verwandlung, wie ich später erfuhr. Nichts half dagegen. Keine Schmerzmittel, keine Arztbesuche. James hatte mir in jener Nacht Wolfsblocker zum Abschied gegeben. Sie sahen aus, wie stinknormale Kopfschmerztabletten. Wie die Kopfschmerztabletten, die unsere Mom uns immer gegeben hatte, als wir noch Kinder waren.