Mord im Astoria - Ursula Heinrich - E-Book

Mord im Astoria E-Book

Ursula Heinrich

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Beschreibung

Teddy Steuber ist ein Betrüger und ein Schlitzohr. Was er nicht ist: ein Mörder. Auch wenn alle Indizien gegen ihn sprechen und ihm nichts bleibt als die Flucht. Im Wien der 1920er Jahre macht er sich auf die gefährliche Suche nach dem wahren Täter. In Mina Nowak, einer jungen Schreibkraft mit großen Träumen, die auf dem Kommissariat tätig ist, findet er unverhofft eine Verbündete. Gelingt es den beiden, Teddys Unschuld zu beweisen oder wird ihm seine kriminelle Vergangenheit zum Verhängnis?

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Ursula Heinrich

Mord im Astoria

Wien-Krimi

Zum Buch

Ein abgekartetes Spiel Teddy Steuber ist ein Schlitzohr. Ein charmanter Betrüger, der das gute Leben genießen möchte, was im Juli 1927 nicht einfach ist. Wien wird von blutigen Unruhen erschüttert und auch für Teddy geht das entspannte Leben schlagartig zu Ende. Ehe er sich versieht, ist er Hauptverdächtiger in einem Mordfall und muss das Luxushotel, in dem er sich einquartiert hat, Hals über Kopf verlassen. Der Versuch, die Polizei von seiner Unschuld zu überzeugen, scheitert kläglich, denn alle Indizien sprechen gegen ihn. Um nicht wieder im Gefängnis zu landen – und das für lange Zeit – entschließt sich Teddy erneut zur Flucht. In Mina Nowak, Schreibkraft des Kommissariats und angehende Kriminalschriftstellerin, findet er eine Verbündete. Sie ist fest von seiner Unschuld überzeugt und beginnt heimlich auf eigene Faust zu ermitteln. Wird es den beiden gelingen, Teddys Unschuld zu beweisen oder wird ihm seine kriminelle Vergangenheit zum Verhängnis?

Nach Abschluss eines Übersetzerstudiums in ihrer Heimatstadt Wien entschied sich Ursula Heinrich für eine Karriere im österreichischen Außenministerium, für das sie seit 1996 im In- und Ausland tätig ist. Nebenbei arbeitete sie mehrere Jahre als freiberufliche Übersetzerin, bevor sie sich der Literatur verschrieb. Mit ihren Kurzgeschichten ist sie in zahlreichen Anthologien vertreten. Als Teil eines Autorenteams veröffentlicht sie unter einem Pseudonym romantische Thriller. »Melange ohne« war ihr erster eigenständiger Roman. Mit „Mord im Astoria“ kehrt sie in das Wien der Zwischenkriegszeit zurück.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Everett Collection / shutterstock.com

ISBN 978-3-8392-7674-7

Widmung

Für Doris Winter,

eine clevere und wortgewandte Autorin und wirklich gute Freundin, deren intensive Mitarbeit dieses Buch erst möglich gemacht hat – vielen Dank für die vielen Stunden, die in dieses Projekt hineingeflossen sind.

Kapitel 1

Mittwoch, 13. Juli

Es war höchste Zeit, Theo von Hagendorf sterben zu lassen. Am besten noch bevor Adele ihre Drohung wahrmachte und den Portier Karten für die Oper bestellen ließ. Womöglich teure Logenplätze.

Teddy mochte die Oper genauso wenig wie Adele, nur ahnte diese das natürlich nicht. Denn Theo von Hagendorf besuchte die Oper mit Leidenschaft. Bevorzugt Premieren, wie er stets allen erzählte. Teddy hingegen mochte Jazz. Louis Armstrong, Jelly Roll Morton’s Red Hot Peppers, Charleston, Black Bottom, Shimmy und Stomp, flotte Schlager allemal, aber keine Soprane, die inbrünstig weiterträllerten, während sie auf der Bühne ihr Leben aushauchten. So etwas fand er lächerlich.

Teddy hätte auch lieber ein Krügel1 kühles Bier vor sich stehen gehabt oder ein Glas Whisky statt schalem Champagner. Der wurde immer wärmer, je länger Teddy wartete. Er leerte das Glas, solang der Inhalt noch trinkbar war.

Jetzt wartete er schon ziemlich lange. Entweder Adele hatte ihn versetzt – ein Gedanke, der ihn nicht so traurig stimmte, wie er vielleicht sollte, oder sie brauchte wieder einmal Stunden für ihre Toilette.

Er kratzte ein paar Kugeln Kaviar auf seinem Teller zusammen und fragte sich, warum er keinen Apfelstrudel bestellt hatte. Mit extra viel Schlag. Oder Buchteln mit Vanillesoße. Auch ein Herr von Hagendorf musste sich nicht ausschließlich von Kaviar und Austern ernähren.

Zwei Wochen war es her, dass er als Theo von Hagendorf vor dem Hotel Astoria aus dem Taxi gestiegen war. In einem Maßanzug, der nicht ausbezahlt war und es nie sein würde, und mit zwei exklusiven Koffern, die er mit alten Leintüchern2 vollgestopft hatte, damit sie nicht leer wirkten.

Als Theo von Hagendorf trat er zum ersten Mal auf. Abgesehen von ein paar Vorlieben, die Teddy nicht teilte, wie etwa die Liebe zur Oper, fiel ihm die Rolle leicht. Von Beruf Sohn. Der geborene Nichtstuer, dessen Vater eine große Reederei besaß, irgendwo in Deutschland. Wo genau, da hatte Teddy sich nicht festgelegt. In seinen eigenen Ohren klang sein deutscher Akzent dermaßen falsch, dass er sich wunderte, weshalb das niemandem auffiel. Aber die Leute hörten oft nur das, was sie hören wollten. Meistens reichte es, sie ein kleines bisschen in die richtige Richtung zu stupsen.

Fünf Minuten gab er Adele noch, dann würde er gehen. Den Champagner hatte er bereits auf sein Zimmer schreiben lassen. Doch da segelte Adele auch schon herein. Mit zwei Herren im Schlepptau.

An sich nichts Ungewöhnliches. Adele liefen ständig Männer nach. Sie war groß und modisch schlank. Mit ihrem blonden Bubikopf im Flapperstil und den schicken Abendkleidern, in die sie Abend für Abend schlüpfte, zog sie alle Blicke auf sich. An Verehrern mangelte es ihr wahrlich nicht.

Dass sie sich schließlich für Teddy entschieden hatte, lag zum einen daran, dass sie dachte, er wäre reich. Zum anderen waren die Kavaliere, die sich ganz besonders um sie bemühten – ein grauhaariger Apotheker aus Köln und ein Geschäftsmann aus der Gegend um Bozen –, mindestens doppelt, wenn nicht dreimal so alt wie er. Ein wenig langweilig obendrein, jedenfalls Adeles Worten zufolge.

Würde Adele auch nur ahnen, dass er, im Gegensatz zu all den anderen, arm war wie die sprichwörtliche Kirchenmaus, wäre ihr Interesse an ihm längst verflogen.

Teddy hatte kein schlechtes Gewissen. Zugegeben, das hatte er selten. Aber in diesem Fall benutzten sie einander gegenseitig. Adele verlieh seinem Auftritt Glaubwürdigkeit. Er hatte dafür gesorgt, dass sie unterhalten wurde, während sie darauf wartete, dass sich ihr Ehemann endlich von seiner Arbeit losriss und ihr nach Wien nachreiste. Teddy hatte sie mehrmals zum Essen eingeladen, einige Flaschen Champagner mit ihr geleert und dafür gesorgt, dass sie sich nachts nicht so einsam fühlte. Er musste jetzt nur elegant das Weite suchen, bevor nicht nur Adele, sondern auch die Hotelleitung dahinterkam, dass er nicht mehr als ein paar Groschen in den Taschen seines teuren Anzugs stecken hatte.

Er sah zu Adele, die den Saal zügig durchquerte. Die beiden Herren, die ihr folgten, waren keine Verehrer. Der eine, der schnaufend nachhetzte, kam ihm bekannt vor. Teddy war sich ziemlich sicher, dass es ein Angestellter des Hotels war. Nicht der Direktor selbst, aber irgendjemand, der sich für nicht minder wichtig hielt. Den anderen hatte er noch nie in seinem Leben gesehen, und wenn er nicht gerade erst angereist war, war er auch kein Gast in diesem Hotel. Der Kleidung nach zu schließen, konnte er es sich auch gar nicht leisten.

Adele wirkte aufgeregt. In ihrer Frisur steckten noch Klammern, und es war das erste Mal, dass er sie ohne Lippenstift sah. Den zog sie sogar im Bett nach, ganz ohne Spiegel. Das dunkle Rot ließ sich bestimmt nicht leicht aus der Bettwäsche herauswaschen. Wer immer das sauber kriegen musste, tat ihm ein bisschen leid.

Im Gegensatz zum keuchenden Hotelmenschen hatte der hagere Herr im karierten Sakko keine Mühe, mit Adeles flottem Schritt mitzuhalten. Schon hatte sie Teddys Tisch erreicht und ließ sich mit einem dramatischen »Ach« auf den Sessel ihm gegenüber fallen. Theatralisch schlug sie die Hände vors Gesicht, ließ sie aber gleich wieder sinken. Vielleicht hatte sie Angst, ihren Puder lose zu klopfen.

»Ich verlege nie etwas!«, verkündete sie im Ton tiefster Überzeugung.

Teddy hätte dem widersprechen können, hätte er es gewollt. Sie hatte ihren Zimmerschlüssel auf seinem Nachtkästchen vergessen, ihre Tasche nach einem Abendessen auf dem Tisch liegen lassen und das nicht einmal bemerkt, bis sie ihr ein aufmerksamer Kellner nachgetragen hatte, und sie suchte regelmäßig ihre Brille, die sie nicht aufsetzen wollte, ohne die sie jedoch nicht imstande war, auch nur eine Zeile zu lesen.

»Ich bin zutiefst entsetzt, aber ich kann mir tatsächlich kaum vorstellen …«, begann der Hotelangestellte, der nun ebenfalls ihren Tisch erreicht hatte.

Doch Adele ließ ihn nicht zu Ende sprechen: »Ich habe es natürlich nicht verlegt, es wurde aus meinem Zimmer entwendet. Außer Ihrem Personal hatte dort niemand Zutritt.«

Wieder hätte Teddy widersprechen können, selbstverständlich tat er es nicht.

»Können Sie den Gegenstand beschreiben?«, fragte jetzt der Herr im karierten Sakko.

Adele seufzte gequält. »Wie kann man ein so einzigartiges Schmuckstück beschreiben?«, sagte sie und versuchte es dann doch. »Es ist eine hauchzarte Kette aus Platin mit einem bezaubernden Anhänger. Eine verträumte Kreation, luftig, verspielt, elegant, wie für eine Fee gemacht. Geschwungene Ranken und Bögen, die ineinanderfließen, mit lupenreinen Diamanten besetzt. Eine sündhaft teure Perle hängt als krönender Abschluss daran. Ein Glanzstück in Weiß. Heller als der Mond.«

Teddy hatte nicht das Gefühl, dass diese Beschreibung den beiden Herren weiterhalf. Wenn überhaupt, stellte sich vermutlich jeder von ihnen etwas anderes vor.

»Eine Kette aus Platin mit Diamanten«, fasste der karierte Herr zusammen und brachte Adele damit ziemlich aus der Fassung.

»Wenn Sie es sagen, klingt es so gewöhnlich. Haben Sie Zettel und Stift? Ich versuche, es zu zeichnen.«

Zettel und Bleistift waren schnell bei der Hand, und Teddy staunte über Adeles Talent. Der Stift huschte über das Papier, und die zarten Striche gaben das Schmuckstück perfekt wieder.

Wäre Adele nicht in diesem halbfertigen Zustand hier aufgetaucht, hätte er es vermutlich viel früher bemerkt. Ihr Hals war nackt. Dieses Collier trug sie sonst jeden Abend.

»Sie geben also zu Protokoll, dass Sie sich zuletzt gestern Abend im Besitz des Schmuckstücks befunden haben?« Das klang ausgesprochen offiziell. Der karierte Herr war offensichtlich von der Polizei.

Leichtes Unwohlsein machte sich in Teddys Magengegend breit. Zu dieser Berufsgruppe hatte er kein ungetrübtes Verhältnis.

»Das habe ich Ihnen doch bereits gesagt.« Adele klang ungehalten.

»Hatte seitdem jemand Zutritt zu Ihrem Zimmer? Mit Ausnahme des Hotelpersonals«, fragte der Polizist in Zivil mit einem Seitenblick auf Teddy.

Adele sah Teddy ebenfalls an, ein bisschen verschnupft, wie ihm vorkam. Das war sie schon gestern Abend gewesen, als sie zur Kenntnis nehmen musste, dass sie den Abend und folglich auch die Nacht alleine verbringen würde. »Nein.« Sie richtete mit einer ausladenden Handbewegung ihren Fransenschal, den sie nur hastig übergeworfen und der zuvor wie eine Schleppe hinter ihr hergeweht hatte. »Solche Unterstellungen verbitte ich mir! Ich bin eine verheiratete Frau.«

Der Polizist sagte nichts. Aber er sah Teddy noch immer an. »Und Sie sind …?«, fragte er dann.

»Theo von Hagendorf. Hagendorf Reederei.«

Der Kommissar kniff die Augen zusammen. »Sie besitzen eine Reederei?«

»Mein Vater«, klärte Teddy auf. »37 Schiffe. Nein, 39, wenn man die kleinen mitzählt.« Nonchalant lehnte er sich in seinem Sessel zurück.

Der Blick, den der Polizist ihm schenkte, war eindeutig. Wohlhabender Vater arbeitete hart, und verantwortungsloser Sohn gab das Geld mit vollen Händen aus.

Genau das war der Eindruck, den Teddy hinterlassen wollte. Adele lächelte unbewusst vor sich hin, ehe sie sich wieder des Ernstes der Lage besann.

»Sie sind noch länger in Wien?«, fragte der Polizist.

»Bis Samstag«, antwortete Teddy. Adeles alarmierter Blick entging ihm nicht. Er hatte einfach noch keine Gelegenheit gehabt, es ihr zu sagen. Vielleicht hätte er auch einfach klammheimlich das Weite gesucht. Wie auch immer, die Aufmerksamkeit, die ihm gerade zuteilwurde, behagte ihm gar nicht. Es war wirklich an der Zeit abzureisen. Das fehlte noch, dass jemand Herrn von Hagendorf genauer unter die Lupe nahm und dabei auf Teddy Steuber stieß.

»Warum verhören Sie denn den armen Theo? Wollen Sie nicht lieber nach dem Dieb suchen? Warum tun Sie denn nicht endlich etwas?«, fragte Adele.

Der Polizeibeamte war die Ruhe selbst. »Wir sind dabei, das Personal zu befragen. Schloss und Zimmertür sind unbeschädigt. Wir werden dennoch die Personalien der übrigen Gäste aufnehmen.«

Na wunderbar. Theo von Hagendorf hielt einer flüchtigen Inspektion statt, aber sein gefälschter Pass führte die Polizei nicht lange hinters Licht. Wenn sein Schwindel aufflog, war er geliefert.

Ärgerlich war, dass er nun auch noch das persönliche Interesse des Beamten, der die Ermittlungen zu leiten schien, auf sich gezogen hatte.

Warum musste dieser dämliche Dieb denn ausgerechnet Adeles Schmuck stehlen? Das Astoria hatte viele Zimmer, er hätte sich doch leicht ein anderes Opfer aussuchen können. An Gästen, die ihre Wertsachen demonstrativ zur Schau stellten, mangelte es nicht.

»Ich brauche dringend etwas zu trinken«, sagte Adele.

Innerlich durchatmen und in der Rolle bleiben. Was machte eine teure Champagnerflasche mehr oder weniger schon aus? Er würde sie ohnehin nicht bezahlen.

»Selbstverständlich, meine Liebe.« Er winkte den Kellner herbei.

»Wollen Sie auch?«, fragte er den Polizisten. Wenn er schon unterging, warum nicht gleich mit fliegenden Fahnen?

»Bin im Dienst.« Der Polizeibeamte kramte in seiner ausgebeulten Sakkotasche und holte eine an den Rändern abgeschmuddelte Karte hervor, die er auf den Tisch legte und in Teddys und Adeles Richtung schob. Nachdem Adele keine Anstalten machte, sie anzusehen, geschweige denn in die Hand zu nehmen, griff Teddy danach.

»Kriminalbezirksinspektor Günther Schmalbach«, las Teddy.

»Die Flasche geht natürlich aufs Haus«, warf der Herr vom Hotel ein.

Adele wirkte nicht versöhnt. »Mein Collier ist mehr wert als das.«

»Ich bin sicher, der Vorfall wird sich aufklären.«

»Das hoffe ich für Sie und dieses Haus«, erwiderte Adele.

Adele kuschelte sich an Teddy, während er die Zimmertür aufsperrte. »Ich habe noch nie an einem Tatort geschlafen«, flötete sie in seinen Revers.

Er drückte leise die Tür auf. Bisher war es ihnen erfolgreich gelungen, die Liaison geheim zu halten, idealerweise blieb es dabei. Adele wollte sicher nicht, dass ihr Mann davon erfuhr.

Vor Teddy tat sich das übliche Chaos an Kleidern auf, die über Sessellehnen und von Haken an der Kastentür3 hingen oder die hastig auf das Bett geworfen waren. Kosmetikartikel kullerten in einem wilden Durcheinander auf dem Toilettentisch herum, und eine Note von Shalimar hing in der Luft. Mehr als eine Note eigentlich. Das Flakon war schon fast leer. Die zugezogenen Vorhänge und bunten Seidenschals, die – achtlos fallen gelassen – verstreut auf dem Boden lagen, verliehen dem Ganzen einen Anflug von orientalischem Bordell. Nicht dass Teddy schon jemals das Vergnügen gehabt hätte. Die einschlägigen Etablissements im Stuwerviertel waren eine vergleichsweise nüchterne Angelegenheit.

»Sollen wir nicht nochmals nach deinem Collier suchen?«, schlug er vor.

»Du willst doch nicht andeuten, dass ich es verlegt habe«, protestierte Adele. »Ich verlege nie etwas.«

Teddy begnügte sich damit zu schmunzeln. Adele verstand ihn auch so. Gutmütig nahm sie es hin und ließ ihren Blick durch den Raum streifen. »Die Polizei hat das Zimmer bereits durchstöbert.«

Wie er befürchtet hatte. Dann hatten sie es vermutlich auch schon auf Fingerabdrücke durchsucht. Falls aber nicht, würde er dafür sorgen, dass sie seine nicht auf der Schmuckschachtel fanden. Die hatte er öfters in der Hand gehalten, um Adele beim Anlegen ihres Colliers behilflich zu sein.

»Sie hätten nicht so eine Unordnung hinterlassen müssen. Ich sollte mich darüber beschweren«, sagte Adele.

In Teddys Augen hatten sie sich sogar größte Mühe gegeben, alles unverändert zu lassen. Er drückte einen Kuss auf ihre Nasenspitze. »Wir werden das Zimmer dennoch gründlich durchsuchen.«

»Oh, ihr Deutschen seid so gründlich«, schnurrte Adele und machte keinerlei Anstalten, sich an der Suche zu beteiligen. Stattdessen schmiegte sie sich wie ein Kätzchen an ihn und schlang die Arme um seinen Hals.

Es lag an Adele, dass die Suche so lange dauerte.

»Es ist nicht da. Ich habe dir doch gleich gesagt, es ist nicht da. Warum wolltest du mir denn nicht glauben?«, sagte sie etwa eine Stunde später mit leicht laszivem Schmollen.

Teddy ließ den Blick durch das Zimmer wandern. Es wirkte aufgeräumter als zuvor. Er hatte alles an den richtigen Platz zurückgelegt oder gehängt. Jedenfalls an den Platz, den er für den richtigen hielt. Adele war keine große Hilfe gewesen. Eine reizende Ablenkung, aber keine Hilfe.

Und ja, er war gründlich gewesen, selbst wenn er aus Hernals4 und nicht aus Hamburg stammte. Er steckte das Taschentuch ein, mit dem er versucht hatte, seine eigenen Spuren zu verwischen.

»War das Collier versichert?«

Adele sah zu Boden. »Nein. Es war ein Geschenk gewesen. Ein Erbstück. Mein Gustav hat es von seiner Großmutter geerbt. Die Versicherung konnten wir uns nicht leisten.« Das war ungewohnt ehrlich.

»Meinst du, er kommt wieder?«, fragte sie plötzlich und meinte damit bestimmt nicht ihren Mann.

»Wer? Der Einbrecher?«

Adele nickte. »Ich glaube, ich kann kein Auge zumachen, wenn ich weiß, dass er nochmals hier eindringen könnte.« Sie schauderte demonstrativ und blickte Teddy an. »Kannst du nicht heute Nacht bleiben?«

Darauf ließ sich schwer nein sagen.

Dass sie kein Auge zumachen würde, stimmte jedoch keineswegs. Kaum hatte sie, zugegebenermaßen ein wenig erschöpft, die Augen geschlossen, begann sie auch schon leise zu schnarchen.

Teddy hatte bereits vor einigen Tagen festgestellt, wie schwer es war, Adele aufzuwecken. Sie rührte sich nicht einmal, als er in den frühen Morgenstunden aus ihrem Zimmer schlich. Der Gedanke, sie bei unverschlossener Tür schlafen zu lassen, während ein Einbrecher womöglich seine Runden drehte, verschaffte ihm ein gewisses Unbehagen. Lieber verschloss er Adeles Tür von außen, wischte den Schlüssel erneut ab und schob ihn unten hindurch. Das war nicht das erste Mal, und morgen würde sie den Schlüssel finden, dort, wo er immer lag.

Teddy trug seine Schuhe in der Hand und schlich über den Gang in sein eigenes Zimmer.

1 0,5 Liter

2 Bettlaken

3 Schranktür

4 17. Wiener Gemeindebezirk

Kapitel 2

Donnerstag, 14. Juli

Teddys Magen knurrte. Wenn er zu lange schlief, wachte er meist mit einem Riesenhunger auf. Ein Butterkipferl und eine Melange waren da sicher nicht genug.

Als Theo von Hagendorf hatte er nur an seinem ersten Tag im Hotel ein Kännchen Kaffee bestellt. Der gelehrige Tourist begriff schließlich bald, dass man in Wien morgens eine Melange zu sich nahm und am Nachmittag eine Schale Gold oder einen kleinen Mokka. Jetzt stellte sich nur noch die Frage, ob er heute wieder im Hotel frühstücken oder doch die Führichgasse bis zum Café Tirolerhof entlang gehen sollte. Das war nur ein kurzes Stück, und dort saß es sich nett. Vielleicht doch das Tirolerhof, dachte er, als er aus dem Lift stieg und die holzgetäfelte Lobby betrat.

Vor der Portierloge hatte sich eine kleine Traube gebildet. Ein paar Neuankömmlinge warteten geduldig mit ihren Koffern, während am Tresen Inspektor Schmalbach sowie ein uniformierter Polizist lehnten.

»Zimmer 32«, sagte der Hotelportier.

Abrupt blieb Teddy stehen. Zimmer 32 war seines.

Rasch, aber nicht zu schnell, wandte er sich um und kehrte der Portierloge den Rücken zu. Jetzt galt es, nicht aufzufallen. Das Frühstück war gerade zur Nebensache geworden.

Neben den Aufzügen führte eine Treppe nach oben. Wenn es die Wahl gab, waren Treppen von Vorteil, in einem Aufzug bot sich keine Fluchtmöglichkeit.

Teddy stieg hastig die Treppe hinauf. Sicher würden Schmalbach und der Uniformierte den Lift ansteuern. Was bedeutete, dass sie vor ihm sein Zimmer im dritten Stock erreichen würden. Hoffentlich waren sie noch eine Zeit lang ins Gespräch mit dem Portier vertieft.

Teddy hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt, wenn er daran dachte, was sie in seinem Zimmer vorfinden würden. Im Schrank hingen verdächtig wenig Kleidungsstücke, der reiche Herr von Hagendorf reiste mit auffallend spärlichem Gepäck. Wenn man von den Leintüchern absah, die Teddy aus dem Wäscheschrank seiner letzten Unterkunft, einer kleinen Pension, entwendet hatte. Die hatte er gedankenlos unten in den Kasten gestopft und bisher nicht entsorgt. Solche Schlampereien rächten sich immer.

Aber das war nicht das Schlimmste. Zwar trug er seine eigenen Dokumente bei sich, doch im Nachtkästchen lag der gefälschte, auf Theo von Hagendorf ausgestellte Pass.

Teddy blieb am Treppenabsatz stehen und schielte in den Gang hinein. Das war Pech, die Polizei hatte vor ihm den dritten Stock erreicht. Schmalbach schien das Zimmer betreten zu haben, der uniformierte Beamte hatte sich davor postiert. Das amtliche Interesse an seiner Person war höchst unerfreulich.

Wie es aussah, hatte er gestern Nacht zu spät gehandelt. Die Polizei musste seine Fingerabdrücke in Adeles Zimmer gefunden haben, bevor er überhaupt die Chance erhalten hatte, sie von kritischen Gegenständen wie Schlüssel oder Schmuckschatulle abzuwischen. Trotz seiner nicht gerade lupenreinen Vergangenheit hätte er nicht gedacht, dass sie ihn so flott identifizieren würden. Jemand war hier fleißig gewesen und hatte eine Nachtschicht eingelegt.

Immerhin, sobald die Beamten Adele darauf ansprachen, konnte sie aufklären, was es mit seiner Anwesenheit in ihrem Zimmer auf sich hatte. Selbst wenn sie dazu ihre Liaison gestehen musste. Damit wäre die Sache fürs Erste aus der Welt geschafft, jedenfalls soweit es den Diebstahl betraf.

Allerdings saß Teddy nach wie vor in der Bredouille. Hochstapelei, Zechprellerei und Dokumentenfälschung ließen sich nicht so leicht erklären wie seine Fingerabdrücke in Adeles Zimmer. Er war noch lange nicht aus dem Schneider. Am besten, er kürzte seinen Aufenthalt drastisch ab und suchte so schnell wie möglich das Weite.

Er stieg wieder in die Lobby hinunter. Die Schlange vor der Portierloge hatte sich aufgelöst. Nur eine einzelne kinderreiche Familie beanspruchte die volle Aufmerksamkeit des Portiers.

Wenn Teddy sich beeilte und die Loge passiert, bevor der Portier dahinter aufsah, gelang es ihm vielleicht, unbeobachtet zu verschwinden. Alles, was es brauchte, war ein bisschen Glück.

Das allerdings schien ihn soeben zu verlassen. Er konnte nur hoffen, dass er rechtzeitig in der Telefonkabine verschwunden war, bevor das kleine Rudel von Polizisten in die Lobby vordrang. Teddy zählte fünf Uniformierte, aber er hielt die Tür zur Lobby auch nur einen schmalen Spalt geöffnet. Was wiederum bedeutete, dass er nicht den gesamten Raum überblicken konnte.

Er zog den Spalt zu, ohne die Tür komplett zu schließen. Erstens konnte er so besser hören, falls sich jemand in seine Nähe verirrte, und zweitens erleichterte es das Atmen enorm. Wer immer hier zuletzt telefoniert hatte, war Kettenraucher gewesen. Der Rauch hing noch frisch in der Luft und verwandelte den winzigen Raum in eine Selchkammer5. Bloß nicht husten, das hätte noch gefehlt.

»Steuber, Theodor, 24 Jahre, blond, mittlere Größe, schlanke Statur, Foto bekommen wir noch.«

Die Telefonzelle war zur Falle geworden. Mindestens zwei Polizisten schienen sich unmittelbar davor zu unterhalten.

»Alles klar, der kommt nicht an uns vorbei.«

Teddy saß fest. Nicht husten, nur nicht husten. Dabei kratzte sein Hals gerade jetzt wie verrückt.

Einer der Polizisten machte ein paar Schritte, weg von Teddy und der Telefonzelle. Ein Stück weiter krähten die Kinder. Absätze klapperten hektisch über den Steinboden. Gefolgt von schweren, gemäßigten Schritten.

»Krüger, sind alle Ausgänge besetzt?« Das war Inspektor Schmalbachs Stimme.

»Selbstverständlich, wir sind überall postiert.«

Teddy nestelte an seinem Hemdkragen, der sich auf einmal viel zu eng anfühlte.

»Frau Donnersberg, wir sind Ihnen dankbar für Ihre Kooperation, aber wenn ich Sie jetzt bitten darf …«

Teddy schloss erleichtert die Augen. Adele war bei Schmalbach. Sie würde ihn entlasten.

»Haben Sie ihn schon erwischt?«, hörte er sie plötzlich fragen. Das war nicht die Reaktion, die er von ihr erwartet hatte.

»Der entkommt uns nicht«, war Schmalbachs Antwort.

»Gut«, sagte Adele.

Gut?

Teddy rührte sich nicht. Er versuchte, sich auf das Gesagte einen Reim zu machen. Es ergab keinen Sinn.

»Wenn Sie Theo von Hagendorf – oder wie immer er tatsächlich heißt – verhaftet haben, bekomme ich meinen Schmuck zurück, nicht wahr?«

Verdächtigte Adele ihn ernsthaft? Die Adele, mit der er vor ein paar Stunden noch das Bett geteilt hatte?

»Ich kann es Ihnen nicht versprechen, Frau Donnersberg, aber wenn der Täter innerhalb kurzer Zeit gefasst wird, stehen die Chancen, Ihr Collier zurückzubekommen, relativ gut. Je schneller wir den Gauner schnappen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sich noch nicht von dem Diebesgut trennen konnte.«

»Wissen Sie, ich hatte ja keine Ahnung …«, hauchte Adele. Vor seinem inneren Auge konnte Teddy es geradezu sehen, wie sie sich zu Schmalbach beugte und ihn flehentlich anblickte. »Wie hätte ich denn wissen sollen, dass er ein Krimineller ist?«

»Ein notorischer Schwindler und Betrüger. Einbruch hat Steuber bislang noch keinen begangen. Nun ja, meiner Erfahrung nach gibt es für alles ein erstes Mal, und die Art und Weise, wie er sich bei Ihnen eingeschmeichelt und Ihr Vertrauen erschlichen hat, passt wiederum genau ins Muster. Außerdem haben wir zahlreiche seiner Fingerabdrücke in Ihrem Hotelzimmer gefunden. – Sie bleiben dabei, dass er es in Ihrem Beisein nie betreten hat?«

Sie bleiben dabei? Teddy befreite sich von seiner Krawatte und lockerte den obersten Hemdknopf. Es fühlte sich immer noch zu eng an.

»Oh, niemals … Gott sei Dank … jetzt, wo ich weiß, was für ein Mensch er ist.«

Schämte sie sich, weil sie dachte, auf ihn hereingefallen zu sein? Das war eine Erklärung. Eine andere, die sich in seinem Kopf immer mehr ausbreitete, war noch weniger erfreulich. Hatte er sich in Adele getäuscht?

In seinem Hinterkopf baute sich unangenehmer Druck auf.

»Ich verstehe Ihre Gefühle, Frau Donnersberg, aber ich ersuche Sie, sich wieder auf Ihr Zimmer zu begeben.«

»Würden Sie … würden Sie mich begleiten?«

Teddy hörte keine Antwort, nur Schritte, die sich entfernten.

Er schob die Tür weiter auf, um besser nach draußen spähen zu können. Polizei war keine zu sehen oder zu hören. Sein Blick fiel direkt auf die Portierloge. Diese wurde immer noch von der Familie mit den zahlreichen Kindern – in seinem Blickfeld zählte er fünf – belagert. Hinter ihnen türmten sich Unmengen von Koffern, daneben ein leerer Gepäckwagen, mitten in der Lobby abgestellt. Eine kleine Schande für ein nobles Hotel. Weit und breit war kein Angestellter außer dem geplagten Portier zu sehen. Aber vielleicht lag das auch an der Anwesenheit von so viel Polizei.

Der ganze Aufwand seinetwegen war schon beinahe schmeichelhaft.

Teddy zog das Sakko aus und krempelte die Ärmel hoch. Er trug keine Pagenuniform und sah auch nicht wie ein Dienstmann aus. Die charakteristische schwarz-rote Kappe, die diese normalerweise trugen, wäre ein hilfreiches Accessoire gewesen. Doch Menschen, das hatte er schon oft beobachtet, achteten nicht immer auf Details. Außerdem fiel ihm nichts Besseres ein.

Der kritische Moment war das Verlassen der Telefonkabine. Teddy wartete, bis sich sowohl Portier als auch die sichtlich genervten Eltern über den Tresen beugten. Dann drückte er rasch die Tür auf und marschierte zielstrebig auf den Gepäckstapel zu. Er schob den Wagen heran und begann, die Koffer aufeinanderzuschichten, sorgsam darauf bedacht, der Portierloge den Rücken zuzukehren.

»Zimmer 48?«, fragte Teddy und versuchte, seine Stimme besonders tief und etwas heiser klingen zu lassen.

»22«, rief ihm der Portier zu, ohne aufzusehen, und keiner schien sich daran zu stoßen, dass er den Wagen Richtung Ausgang statt zum Aufzug rollte.

Der Wagen rollte nur langsam, und die schwere Fracht drohte zu verrutschen. Teddy passte höllisch auf, nichts zu rammen. Eine am Boden zerschellende Blumenvase hätte es gerade noch gebraucht.

Um die Fracht heil durch die Tür zu manövrieren, musste er seitlich an dem Kofferstapel vorbeisehen.

Wie erwartet stand ein uniformierter Polizist vor dem Eingang postiert. Dessen Kollege war gerade ein paar Schritte weitergegangen, um Passanten zu befragen. Die Sicht auf Teddy war durch den Kofferturm versperrt.

Jetzt hieß es schnell sein. Teddy winkte ein zufällig vorbeifahrendes Taxi herbei. Prompt blieb es stehen. Beide Polizisten waren mit Passanten beschäftigt. Rasch stieg Teddy ein und zog die Tür zu.

»Und das Gepäck?«, fragte der Fahrer.

»Bleibt da«, antwortete Teddy und nannte die erste Adresse, die ihm einfiel.

Der Taxifahrer gab Gas. Wenn Teddy Glück hatte, reichte sogar das Geld in seiner Hosentasche, um die Fahrt zu bezahlen. Bis zur Mariahilfer Straße war es nicht sehr weit.

Die Hinterzimmer der Veilchenbar waren bei weitem nicht so mondän wie die opulenten, für die Gäste bestimmten Räumlichkeiten. Diese waren mit dunklem Mobiliar und blauem Samt ausgestattet, während Teddy auf einem knarzenden Küchensessel zwischen einem Schreibtisch und aufeinandergetürmten Champagnerkisten saß. Auf der Tischplatte hatten etliche Trinkgläser runde Spuren hinterlassen. Nur der schwarz-weiß geflieste Boden war der gleiche wie in den vorderen Räumen.

»Auf Frauen war noch nie Verlass«, proklamierte Otto, sichtlich überzeugt, es wissen zu müssen. Schließlich verdiente er wesentlich mehr an den heimlichen Aktivitäten seiner Tänzerinnen in den Separees als an den Getränken, die er den Lokalbesuchern zu überhöhten Preisen verkaufte.

»Frauen woll’n nie dein Bestes,« führte Otto weiter aus, »die schau’n immer nur auf sich.«

Teddy täuschte sich selten in Menschen, doch Adeles Verhalten hatte ihn überrascht. Vermutlich würde er nie herausfinden, weshalb sie gelogen hatte. Vielleicht wegen ihrem Mann.

Er streckte sich. »Ich muss hier raus.« Raus, an die frische Luft, um den Kopf wieder klar zu bekommen. Nicht einmal ein Fenster gab es hier hinten.

Otto zuckte mit seinen massigen Schultern. Otto Kovacs – oder »der blade6 Otto«, wie man ihn fast überall nannte, machte seinem Spitznamen alle Ehre. »Tu, was du nicht lassen kannst. Aber g’scheiter wär’ es schon unterzutauchen. Die Kieberer7 sind auch nicht auf der Nudelsuppe daherg’schwommen8. Wart’ wenigstens bis morgen. Bis sich die Aufregung gelegt hat. Und dann schau, dass du aus Wien rauskommst«, sagte Otto. »Brauchst du heut’ Abend vielleicht einen Platz zum Schlafen? – Für eine Nacht?«, fügte er noch an. Möglicherweise befürchtete er, Teddy wollte sich gleich für längere Zeit häuslich einrichten.

So gemütlich war es dann doch nicht in den Hinterzimmern der Veilchenbar, aber allemal besser als die Parkbank, mit der er schon fast gerechnet hatte.

Klar, sein Vater würde ihn jederzeit aufnehmen, aber es gab gleich mehrere Gründe, diese Möglichkeit nicht in Erwägung zu ziehen. Allen voran die Tatsache, dass ihn die Polizei dort als Erstes suchen würde. Da verbrachte er die Nacht besser auf dem Feldbett in Ottos Büro.

Natürlich war sich Teddy bewusst, was das Vernünftigste war. Das war, in der Veilchenbar zu bleiben, sich zu verstecken und abzuwarten. Nur dass das mehr Geduld verlangte, als er aufbringen konnte.

Dummerweise hatte er die Angewohnheit, nicht immer das Vernünftigste zu tun. Das Bedürfnis, die Bar zu verlassen und ein bisschen frische Luft zu schnappen, war von Stunde zu Stunde größer geworden – bis zum Abend hin zu groß, um es noch länger zu ignorieren. Sich eingesperrt zu fühlen, konnte Teddy gar nicht leiden.

Der Weg führte ihn unweigerlich Richtung Astoria. Aber wie er es drehte und wendete, ihm fiel nicht ein, wie er es schaffen sollte, das Hotel unbemerkt zu betreten. Gerade ging er an der Oper vorbei, jetzt war es wirklich nicht mehr weit, und er hatte noch immer keine Idee.

Ecke Führichgasse und Tegetthoffstraße blieb er stehen. Das war näher, als eigentlich klug war. Selbst wenn die Polizei nicht damit rechnen würde, dass er nochmals im Hotel auftauchte. Für so dämlich würden sie ihn wohl nicht halten. Einen Blick konnte er sich jedoch nicht verkneifen.

Vor dem Astoria herrschte erstaunlicher Andrang, eigentlich handelte es sich um einen regelrechten Menschenauflauf. Sogar auf den schmalen Balkonen des Hotels standen Gäste über die eisernen Balustraden gebeugt und verfolgten neugierig, was sich auf der Straße abspielte.

Abseits der Straßenlaternen erschien alles in den unterschiedlichsten Facetten von Grau. Es hätte jedoch das Licht der Laternen nicht gebraucht, um die vorherrschende Farbe im Getümmel zu identifizieren. Das Dunkelgrün und Schwarz der Polizeiuniformen. Überall waren die Tellerkappen der Polizisten zu sehen. Weniger martialisch als die alten Spitzhelme, in Teddys Augen aber kaum sympathischer.

Dann fiel sein Blick auf den schwarzen Wagen der Bestattung. Daneben standen ein aufgebrachter Hoteldirektor und noch mehr Polizei. Rückzug, und zwar schnell, war angesagt. Was immer hier geschehen war, besser, er befand sich nicht in der Nähe.

Rasch und ohne Umweg begab er sich zur Veilchenbar zurück. Einer kleinen Gruppe von Hakenkreuzlern, die sich am Ring versammelt hatte, ging er bewusst aus dem Weg. Was gar nicht so leicht war, weil sie in Feierstimmung jedem Passanten entgegenposaunten, dass der Gerechtigkeit endlich Genüge getan war. Oder so ähnlich. Teddy hielt sich nicht lange genug auf, um sich das anzuhören. Offenbar ging es um die tödlichen Schüsse in Schattendorf und das Urteil im dazugehörigen Prozess. Richtig, das sollte ja heute gefällt worden sein. Seit Tagen stand kaum etwas anderes in den Tageszeitungen. Wenn sich die Hakenkreuzler freuten, war es zugunsten der Angeklagten ausgefallen. Dann waren die Frontkämpfer von der Anklage freigesprochen worden, vergangenen Jänner aus einem Gasthaus heraus einen sozialdemokratischen Schutzbündler erschossen und ein paar andere verletzt zu haben.

Mit Politik hatte Teddy nicht viel am Hut. Allerdings war der zweite Tote, den die Frontkämpfer auf dem Gewissen hatten, ein sechsjähriger Bub gewesen. Darüber zu jubeln, dass dessen Mörder freigingen, war schlichtweg erbärmlich.

Aber nichts, was er ändern konnte.

Er beeilte sich zurück zur Veilchenbar und fragte sich, ob er Otto ein Glas vom guten Champagner abluchsen konnte.

5 Räucherkammer

6 dicke

7 Polizisten

8 dumm und ahnungslos

Kapitel 3

Freitag, 15. Juli

Teddy hatte kaum geschlafen. Bis nach 4 Uhr morgens hatte in der Veilchenbar reger Betrieb geherrscht, was bis in die Hinterzimmer zu hören war.

Gegen Mitternacht schwang sich die ausgelassene Stimmung in ungeahnte Höhen empor, sicherlich angeheizt vom Champagnerkonsum. Mit fortgeschrittener Stunde wurde auch die Musik immer lauter, und einige Gäste fanden Freude daran, bei den bekannten Schlagern mitzusingen. Enthusiastisch war es ja, wenn auch nicht sehr melodisch.

Erst in den frühen Morgenstunden hatte Teddy etwas Schlaf gefunden. Schwer vorzustellen, dass dieses wacklige Feldbett Otto je als Schlafstätte gedient hatte. Es brach doch in sich zusammen, wenn sich Otto nur darauf setzte. Noch dazu, wo der ein unruhiger Schläfer war und sich die ganze Nacht schnaufend von einer Seite auf die andere wälzte. So etwas wusste man über jemanden, mit dem gemeinsam man drei ganze Monate lang zwangsweise auf Staatskosten, und das auf engstem Raum, untergebracht gewesen war.

Teddys Müdigkeit verflog schlagartig, als er wenig später im Kaffeehaus saß. Er starrte auf die aufgeschlagene Morgenzeitung.

»Mord im Astoria«, lautete die reißerische Überschrift. Der Artikel war fast so prominent platziert wie jener über den Schattendorfer Prozess. »Frau Adele Donnersberg wurde gestern Abend von einem Zimmermädchen im Hotel Astoria